Warum Rückkehr zur eigenen Währung? – Einige grundsätzliche Erwägungen

10. Mai 2012 23:42 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

„Währungspolitik bedeutet mehr als Gestalten, Beeinflussen und Regeln eines Sondergebietes marktwirtschaftlicher Technik. Im Geldwesen eines Volkes spiegelt sich alles, was dieses Volk will, tut, erleidet, ist.“ Im Zustand einer Währung „spiegelt sich das gesamte soziale und politische Leben … Aufschwung und Verfall, Revolutionen, außenpolitische Erfolge und Misserfolge, innerpolitische Konstellationen, Kraft und Schwäche von Regierungen… die geographische und politische Lage eines Volks; die objektiven und subjektiven Möglichkeiten seiner Wirtschaft, seine Einstellung zu wirtschaftlichen Dingen und zur Zukunft; seine Moral und Energie; alles das was die Worte `Volksgeist´ und `Volkscharakter´ decken. Nichts sagt so deutlich aus welchem Holz ein Volk geschnitzt ist, wie das, was es währungspolitisch tut”.

Diese goldenen Worte von Joseph Schumpeter, einem der größten Nationalökonomen, die unser Volk hervorgebracht hat, sollte sich jeder, der über Währung, Kredit und Bankensystem nachdenkt und schreibt oder als verantwortlicher Politiker an der Gestaltung mitwirkt, in sein Tagebuch eintragen. Die Kultur eines Volkes und seine Währung gehören zusammen und dürfen nicht getrennt werden!

Das hängt schon mit der Natur des Geldes und des Kredits zusammen. Seiner Natur nach ist Geld ein Produkt der Rechtsordnung des Staates. Der Staat erlässt als Gesetzgeber die Geld- und Kreditverfassung und bestimmt durch diese, was auf seinem Territorium als Geld „gilt”  und wer zur Geld- und Kreditschöpfung berechtigt ist. Die Währungshoheit gehört zu den unveräußerlichen und unaufgebbaren Rechten des Staates. Es stellt eine der Absurditäten unserer Zeit dar, wenn der  Staat diese „Majestätsrechte” nicht selbst ausübt, sondern diese Ausübung einer „privaten” oder „unabhängigen”, nichtstaatlichen Organisation überträgt, auf die er keinen Einfluss hat und die ihm nicht verantwortlich ist.

Die so genannte „Unabhängigkeit der Notenbank” ist und war stets nur eine relative. Fehlt der politisch-staatliche Wille zu sachgerechter Geld- und Kreditpolitik, ist eine auch noch so „unabhängige” Zentralbank machtlos. Die deutsche Bundesbank wehrte sich vergeblich gegen die Aufgabe der Mark. Und die Machtlosigkeit zeigt  sich  auch jetzt wieder bei der US-Notenbank FED oder der EZB,  die beide jedes von den politischen Entscheidungsträgern verordnete „Bail-out”, „Ankurbelungsprogramm” oder „Konjunkturpaket” absegnen und finanzieren müssen. Manchmal allerdings drängen sie sich der Politik als „Problemlöser“ oder „Retter“ geradezu auf, wie Jean-Claude Trichet bei der Griechenlandpleite im Frühjahr 2010.

Für die logisch unwiderlegbare und daher auch unwidersprochen gebliebene „Staatliche Theorie des Geldes” (G. F. Knapp, 1905) ist Geld im engeren Sinne das staatlich anerkannte Zahlungsmittel (Münzen, Banknoten). Die staatliche Anerkennung besteht in der Selbstverpflichtung des Staates, Zahlungen in Form der von ihm bestimmten „Währungseinheiten” mit schuldbefreiender Wirkung der Steuerverpflichtungen entgegenzunehmen. Dank der staatlichen Anerkennung wird dieses „Geld“ auch unter den Bürgern zum „Zirkulationsmittel“. Im allgemeinen sind es heute die vom Staat eingesetzten oder anerkannten Notenbanken, die entsprechend den Ermächtigungen und unter der Aufsicht des Staates Münzen und Bankennoten ausgeben und so Geld „schöpfen”.

Schöpfung und Wert des Geldes

Alles Geld – sowohl im engeren wie im weiteren Sinne – entsteht, oder wird „geschöpft” durch Kredit. Kredit bedeutet, wie der Name schon sagt, „Vertrauen”. Dank der von ihm geschaffenen und erhaltenen Rechtsordnung „ist der Staat das Geld”. Verfällt die Rechtsordnung und büßt der Staat das Vertrauen in ihren Erhalt ein, verliert Geld seinen Wert. Bricht gar die staatliche Ordnung zusammen, wird Geld als Zahlungsmittel von den Bürgern nicht mehr angenommen. Nach dem Zusammenbruch im Zweiten Weltkrieg galt in Deutschland und Österreich die „Zigarettenwährung”, der Tauschhandel feierte wenig fröhliche `Urständ´.

Es ist wichtig zu begreifen, dass an sich jede Störung der Ordnung und des sozialen Friedens durch Streiks, Ausstände. Aufstände, Aufruhr, Gewaltausbrüche, Straßenterror, Brandschatzungen, Korruption, Bankenskandale, Großbetrügereien usw. das Vertrauen in den Staat und seine Währung schädigen und zur Flucht in Sachwerte oder ausländische Währungen veranlassen, wodurch wiederum die Inflation angeheizt wird, der Außenwert der Währung („Devisenkurs”) fällt und notwendige Importe sich verteuern.

Die Stärke der deutschen Mark, des holländischen Guldens, des Schweizer Frankens oder des Schillings gegenüber den mediterranen Währungen (Italien, Portugal, Spanien, Griechenland) beruhte zu einem erheblichen Teil auf der Durchsetzung einer Ordnung des Friedens, der Politik des sozialen Ausgleichs, der sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit und des Vorrangs der Sachautorität vor Parteiengezänk. In einer Währungsunion führen diskrepante Ordnungsauffassungen zu Wohlstandsverlusten und zu Spannungen zwischen den Staaten, die, wenn sie groß genug werden, die Währungsunion sprengen.

In den diskrepanten Ordnungsauffassungen sowie dem Souveränitätsverlust ist wohl auch der Grund zu finden, weshalb Großbritannien, Dänemark und Schweden, obwohl „reife” EU-Länder, von vorneherein der Währungsunion fernblieben und auf die Einführung des EURO trotz der mannigfach angepriesenen „Vorteile” verzichteten. Österreich hat das leider nicht getan, es wurde in die Währungsunion mit leeren Versprechung von Schüssel & Co. hineingetrickst, obwohl vor dem EU-Beitritt von Außenminister Mock die Beibehaltung des Schillings hoch und heilig versprochen wurde.

Geld ist nicht nur Wertaufbewahrungs-, Tausch-, Zahlungs- und Zirkulationsmittel, sondern ganz wesentlich auch „allgemeiner Wertmaßstab”, durch den alle Güter und Dienstleistungen „bepreist” und dadurch miteinander in Beziehung gesetzt werden. Dieser Geldmaßstab wird selbst auf Personen und Personengruppen angewendet, deren Arbeitsleistungen oder Verrichtungen in Form von Löhnen, Gehältern, Honoraren, Vergütungen oder Prämien bewertet und bezahlt werden.

Der Staat ist für das Geld verantwortlich

Durch diese Einbeziehung von Personen und Personengruppen in die allgemeine monetäre Bewertung bekommt Geld gesellschaftlichen oder „sozialen” Charakter. Es wird zur verbindenden, oder, wie das einst Adam Müller befand, zur „geselligsten Sache”. Es ermöglicht nicht nur den ”Tausch von Ware gegen Geld”, ist also nicht nur „Tauschmittel”, sondern es erleichtert auf vielfältige Weise die  „Kommunikation” (N. Luhmann und J. Habermas) der Mitglieder der Gesellschaft untereinander im „Subsystem” Wirtschaft.

Gerade wegen dieses Beitrags zur Kommunikation ist es Aufgabe und Verantwortung des Staates, für die Stabilität, gleichbleibende Geltung oder „Währung” dieses Wertmaßstabes und damit für die Erhaltung der Kaufkraft des Geldes zu sorgen. Wird der Staat dieser Verantwortung nicht gerecht oder schiebt er sie auf  nichtstaatliche Einrichtungen ab, eben die EU-Kommission, EZB, IWF, Troikas oder die EUROFIN-Gruppe, so drückt sich darin politisches Versagen aus. Er verliert den Einfluss auf seine Währung und seine Kreditpolitik.

Um den beträchtlichen Umfang dieser Verantwortung für die Erhaltung der Kaufkraft des Geldes zu begreifen, ist es notwendig, sich vor Augen zu halten, dass Geld  heute in Form von Münzen und Noten für den Zahlungsverkehr nur noch eine geringe Bedeutung spielt. In modernen Volkswirtschaften erfolgen 80-95 Prozent der Zahlungen „bargeldlos”, d. h. sie geschehen durch Einbuchung von Überweisungen von Konten zu Konten, von Bank zu Bank.

Das ist ausschlaggebend für die „Kreditschöpfung“. Das Wesen der Kreditschöpfung ist leichter durch die Vorstellung zu verstehen, innerhalb der Volkswirtschaft gäbe es nur eine einzige Bank und alle Zahlungen erfolgten bargeldlos. Alles Geld wäre dann Buch- oder „Giralgeld”. Durch den Zwischenbank- oder „Clearingverkehr” kommt die Praxis dieser Vorstellung sehr nahe.

In einem solchen Wirtschaftssystem ist es ausschließlich das Banken- oder Kreditsystem, welches Kredit „schöpft”, und zwar durch Einräumung von Ziehungsrechten oder Kreditlinien, die von den Schuldnern (d. s. die Banken untereinander, die einzelnen Bürger, Unternehmer, Kommunen, der Staat) für Zahlungen an ihre Arbeitskräfte und Lieferanten in Anspruch genommen werden. Durch jeden in Anspruch genommenen Kredit wird das zirkulierende Geld- oder Kreditvolumen ausgeweitet. Es gilt sich von der naiven Vorstellung zu befreien, die Banken wären bloß  „Vermittler”, die im Umfang der Spareinlagen Kredite zur Verfügung stellen. Die eigentliche Aufgabe der Banken ist die Geld- und Kreditschöpfung, sie sind in wesentlichem Umfange Schöpfer des zu Unrecht denunzierten  „Fiat money”. Spareinlagen sind Folge der Kreditschöpfung, nicht Ursache des Kredits.

Diese Einsicht ist ganz wesentlich für die Bestimmung der Grenzen der Kreditschöpfung. Entspricht die Ausweitung des Kreditvolumens dem nachhaltigen Wachstum der Volkswirtschaft, so ist gegen die Kreditschöpfung durch die Banken nichts einzuwenden, sie ist, ganz im Gegenteil, positiv zu beurteilen. Geschieht die Kreditschöpfung im Einklang mit dem Wirtschaftswachstum, dann wird der ausgeweitete Kredit durch die Kreditnehmer zwar verzinst oder „bedient”, aber als volkswirtschaftliches Aggregat nie zurückgeführt.

Solange Unternehmungen und auch Staaten gedeihen, werden Kredite nicht zurückgezahlt, sondern ausgeweitet. Das zeigt die Kreditstatistik praktisch aller modernen Staaten. Verminderung des Kreditvolumens ist regelmäßig Folge nachlassender Dynamik und Leistungskraft (Produktivität), von Fehlleitungen des Kreditstroms oder von unverantwortlichen Spekulationen, durch welche die Aktiva der Banken und damit Kreditgeld vernichtet wird. Geschieht die (Kredit-) Geldvernichtung in hohem Ausmaß oder nimmt sie gar die Form eines „Tsunami” an, kommt es zu Krisen und Zerrüttungen des Wirtschaftssystems, wie wir es in den letzten Jahren immer wieder erlebt haben.

Um Krisen und Zerrüttungen zu vermeiden, ist es von höchster Wichtigkeit, dass sich der Staat die Kontrolle über Volumina und Zwecke der Kreditschöpfung vorbehält und diese Kontrolle auch ausübt. Die Kontrolle kann erfolgen durch strikte Regulierung oder Verstaatlichung des Bankwesens, Beteiligung des Staates an Privatbanken oder durch  Einsetzung von Aufsichtsorganen, welche die Krediterteilung überwachen. Das hat mit „Bankenenteignung“ nichts zu tun.

Der derzeitige Zustand, in welchem der Staat die Kreditinstitute nach Willkür schalten und walten lässt und für ihre „faulen” Forderungen („bad debts”) oder fehlgeschlagenen Spekulationen und Derivatgeschäfte eintritt oder haftet, ist gegenüber der Gemeinschaft der Staatsbürger  und Steuerzahler unvertretbar. Der Staat hat vorbeugend und nicht erst nachträglich alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und Regelungen zu erlassen, die Bankpleiten verhindern. Nichts ist fataler für das Gedeihen der Wirtschaft als das Versiegen der Kreditströme wegen des Vertrauensverlustes der Banken ineinander und der Einleger in die Zahlungsfähigkeit der Banken.

Ist das Vertrauen erst einmal erschüttert, kann die Wieder-Ingangsetzung der Kreditströme für den Staat äußerst kostspielig werden. „Konjunkturpakete”, Vorziehen von Infrastrukturinvestitionen u. ä. m. sind mit Sicherheit die falsche Medizin, um systemische Fehler im Kreditwesen zu kurieren. Sie untergraben nur die Stabilität einer Währung und „verbrennen”,  wie der ehemalige deutsche Finanzminister Steinbrück es ausdrückte, die Mittel des staatlichen Haushalts. Noch unverantwortlicher ist es, konsumptive Staatsausgaben durch Kredite zu finanzieren. Es ist der sicherste Weg in die Pleite, wie das Beispiel Griechenland exemplarisch zeigt.

Wir brauchen Kapital-Protektionismus

Im Dienste der Wirtschaft des Landes sind Kredite durch die Banken ausschließlich an inländische Kreditnehmer zu vergeben und nur in Ausnahmefällen an das Ausland. Besondere Ausnahmefälle sind Länder wie die Schweiz oder Luxemburg, die als „Horte des Vertrauens“ den riesigen Devisenzufluss mangels Investitionsgelegenheiten nicht im Inland anlegen können. Für alle anderen Staaten aber gilt: Exportkredite, für die der Staat zuletzt (etwa im Wege der Kontrollbank oder der Notenbank) haftet, sind an Bedingungen und Kriterien zu binden, welche die Tilgung und Verzinsung sicherstellen. Exporte nur um der Beschäftigung willen, sind sinnlos, die Zeiten der „schenkenden Wirtschaft” (Bernhard Laum) sind vorbei. Immer ist zu bedenken: Jede Kreditgewährung an das Ausland bedeutet Absaugung der Leistungskraft der eigenen Volkswirtschaft.

Gemeinwohlschädigend ist ebenso der Verzicht des Staates auf die Kreditschöpfung bei der Finanzierung seines eigenen Haushalts. Wenn der Staat durch diesen Verzicht sich selbst zur Auflegung von  hochverzinslichen Anleihen womöglich noch im Ausland zwingt, die von den  Privatbanken gekauft werden, die sich zu niedrigen Zinsen, den sogenannten „Leitzinsen”, bei der Notenbank (oder der EZB) refinanzieren können, dann verschafft der Staat den Privatbanken einen Profit, der ihnen nicht zukommt, denn die Kreditschöpfung geschieht ja auch in diesem Falle durch den Staat bzw. seine Notenbank.

Der Staat ist „der Herr des Geldes” und des Kredits: „C´est au souverain à donner le crédit, et non à le recevoir!“ Nicht der Staat hat sich von den Finanzmärkten vorführen zu lassen oder sich den Banken zu „unterstellen“, sondern die Banken haben dem Staat zu parieren. Nicht der Staat ist den Banken zinspflichtig, sondern die Banken dem Staat. Als John F. Kennedy  mit diesen Prinzipien, die das FED-System gesprengt hätten, ernst machen wollte, wurde er ermordet. Das ändert aber nichts an der Richtigkeit der Prinzipien.

Der Staat allein ist verantwortlich für seine Währung. Er muss die Geld- und Kreditpolitik  wieder in die Hand bekommen, denn sie ist das wichtigste Instrument seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik. Auf die eigene Währung und Kreditpolitik zu verzichten, ist ein Politverbrechen der Sonderklasse. In Deutschland ist dieses Verbrechen an Außenminister Genscher und Bundeskanzler Kohl festzumachen, in Österreich an Wolfgang Schüssel, Ferrero-Waldner und den politisch willfährigen, früheren Notenbankpräsidenten Klaus Liebscher.

In Österreich wurde der EURO 1999 eingeführt, obwohl Außenminister Mock und die gesamte Regierung noch wenige Tage vor der im Jahr 1994 erfolgten EU-Beitrittsabstimmung den Wählern versicherten: „Der Schilling bleibt!”. Heute weiß jeder Österreicher, dass er mit hunderten von Täuschungen und gebrochenen Versprechungen von der Regierung und den Massenmedien in die EU und den EURO  „hineingelogen” und hineingelegt wurde. Das hat das Vertrauen in den Staat zutiefst erschüttert und dem politisches System der Parteiendemokratie schwersten Schaden zugefügt. Heute haben laut Standard 82 Prozent kein Vertrauen mehr zu den Politikern. In den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts folgte dem politischen Vertrauensverlust und Bankencrash der politische Umsturz.

Der Euro ist zum Scheitern verurteilt

Hinter dem EURO steht kein starker Staat, auch keine politische Union, die es nach Ansicht des früheren Chefvolkswirts der Europäischen Zentralbank (EZB), Otmar Issing, schon mit  Rücksicht auf das „Demokratieprinzip”, nie geben wird (FAZ v. 6. Dez. 2008, S. 11.). Eine Währungsunion ohne politische Union aber ist zum Scheitern verurteilt. Das hat der Nobelpreisträger Milton Friedman uns noch kurz vor seinem Tode (2006) eingeschärft. Vor einiger Zeit wurde in der PRESSE (vom 6. Dez. 2008, S. 4) durch den Harvard-Ökonomen Martin Feldstein, er war Wirtschaftsberater von Präsident Reagan und ist heute Präsident des National Bureau of Economic Research, allen Ernstes die  Frage gestellt: „Wird der Euro  die Krise überleben?”

Er führt gute Gründe für das erwartete Scheitern an, Gründe, die der frühere Präsident der Hessischen Landesbank, der Nationalökonom Prof. W. Hankel, in einem Vortrag in Wien (9. Okt.  2008) auf den Punkt gebracht hat: „Staat und Währung gehören zusammen und dürfen nicht getrennt werden”. Die Währungsunion, so Hankel („Die EURO-Lüge“, 2008), hat dazu geführt, dass der frühere Hartwährungsblock (Deutschland, Österreich, Benelux) heute die übrigen EU-Staaten mit Leistungsbilanzüberschüssen von 250 Mrd. EURO jährlich „subventioniert”, indem er ihnen die sonst notwendigen Abwertungen ihrer eigenen Währung erspart.

Diese horrende „Stütze“ scheint in keinem EU-Haushalt auf. „Versailles, ohne Krieg”, nannte  „Le Figaro“ diese Tribute. Stagnation in Wachstum und Reallohnentwicklung in Deutschland (und Österreich) sind auf diese Tribute zurückzuführen. Sie schwächen nicht nur den ehemaligen Hartwährungsblock, die „Lokomotiven”, sondern ganz Europa. Wenn die Lokomotiven nicht mehr ziehen, bleibt der Zug stehen.

Die Schwächung hat mit der Währungsunion begonnen, jetzt greift sie auf den EURO über. Sein Wert schmilzt wie Butter in der Sonne. Seit Einführung des EURO im Jahr 1999  hat sich der Goldpreis – der einzig verlässliche Maßstab bei Schwachwährungen –verdreieinhalbfacht. Das entspricht einer Inflationsrate von rund 10 Prozent p. a. Das wiederum stimmt mit den  Erfahrungen einer täglich einkaufenden Hausfrau, für welche die manipulierten Indizes ja keine Bedeutung haben, gut überein. Sie muss, wie jeder vernünftige Mensch, zu dem Schluss kommen: „Die EZB ist unfähig, die Inflation wirksam zu bekämpfen”.

Tatsache ist, dass die EZB das Kreditvolumen fünfmal schneller wachsen lässt als das Bruttosozialprodukt zunimmt. Der „Stabilitäts- und Wachstumspakt” war, wie von hunderten Nationalökonomen vorausgesagt, das Papier nicht wert, auf das er geschrieben wurde. Schon bei der Gründung der Währungsunion wurden die Stabilitätskriterien nicht eingehalten und auch später immer wieder gebrochen. Als dann auch noch Schwachwährungsländer wie Griechenland der Währungsunion beitraten, war ihr Zusammenbruch nicht mehr aufzuhalten. Heute sind wir mit ihm konfrontiert und werden das Bleigewicht nicht los, das uns umgehängt wurde.

Gerade deshalb ist es höchste Zeit, sich wieder auf die aus der Natur des Geldes und des Kredits abgeleiteten Grundsätze zu besinnen. Sie erfordern eine Reformierung der gegenwärtigen Geld- und Kreditverfassung. und damit die Wiedereinführung der eigenen Währung.. Wir sollten aus der Erfahrung des Finanzdesasters, in das wir durch die Europäische Währungsunion und Globalisierung des Finanzmarkts hineingezogen wurden, gelernt haben und schleunigst die Wiedereinführung der eigenen Währung zusammen mit der Stärkung der Banken- und Finanzmarktaufsicht vorantreiben.

Fehlende oder ungenügende Bankenaufsicht kann – und auch das wissen wir aus schmerzlicher Erfahrung – leicht die ganze Wirtschaft schwer beeinträchtigen, ja zum Ruin einzelner Staaten führen (Beispiel Island). Zur Banken- und Finanzaufsicht ist der Staat allein schon durch die notwendige Kontrolle der Kreditschöpfung gezwungen. Die Währungsumstellung wird nicht mehr Probleme verursachen, als sie bei Einführung des EURO auftraten und gelöst wurden.

Auch die Stärkung der heute schon vorhandenen Kontrolle des Kapital- und Zahlungsverkehrs mit dem Auslande dürfte kaum auf Schwierigkeiten stoßen. Sie jedenfalls ist wichtig, um den Ausverkauf Österreichs durch „Heuschrecken”  aufzuhalten und Veranlagungen im Ausland zu verhindern, die nicht dem Gemeinwohl  Österreichs dienen und womöglich noch dazu beitragen, dass Arbeitsplätze „verlagert” werden oder immense Haftungen durch den Staat für die Banken übernommen werden müssen, die, wenn sie schlagend werden, zum Bankrott führen. Großbanken jedenfalls sind zu wichtig für die Gesellschaft und den Staat als dass sie sich selbst überlassen bleiben könnten.

Zusammenfassung

Hier  eine Zusammenfassung der Thesen für eilige oder auch geduldige Leser:

Der Autor kann nur hoffen, dass unsere Politiker, Bankiers und Notenbankchefs nicht erst durch OWS (Occupy Wall Street), Attac oder gar durch die „Linken“ des Herrn Gysi auf die Sprünge geholfen wird. Rechte Finanz- und Währungs- und Kredittheorie hat schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Ergebnissen geführt, die einfach unwiderlegbar sind und  von der Politik nicht ungestraft ignoriert werden dürfen.

Vor dem Maastricht-EURO haben rund 700 Nationalökonomen gewarnt. Für sie ist die jetzige Misere keine Überraschung. Den Scherbenhaufen aber haben die Politiker zu verantworten, die den EURO aus der Taufe gehoben haben oder jetzt sein Scheitern nicht zur Kenntnis nehmen wollen, und dabei immer größere Teile des Volksvermögens versenken.

Der Autor  ist Dozent für Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik.

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Die Würfel sind gefallen

08. Mai 2012 23:42 | Autor: Andreas Tögel
Rubrik: Gastkommentar

Die beiden allseits erwarteten Ereignisse sind eingetreten: Francois Hollande, der sozialistische Herausforderer von Nicolas Sarkozy, wird in den Élysée-Palast einziehen. In Griechenland haben jene Kräfte Auftrieb erhalten, die von dem durch die EU diktierten „Sparkurs“ nichts wissen wollen. Man braucht kein Hellseher zu sein, um zu erkennen, dass dies nicht ohne Konsequenzen für die europäische Geld- und Fiskalpolitik bleiben kann.

Die zurückliegenden Maifeiern lieferten einen ersten Eindruck davon, in welche Richtung die Reise der EU ab jetzt gehen wird: In ganz Europa wurde bei den traditionellen Mairitualen der proletarischen Massen dieselbe Parole getrommelt: „Schluss mit der Sparpolitik.“ „Kaputtsparen“ hat die allerbesten Aussichten, zum Wort des Jahres zu avancieren.

Dazu muss man wissen, dass Rote, wenn sie vom „Kaputtsparen“ reden, damit in Wahrheit meinen, wie schädlich es sei, die Zunahme der Staatsverschuldung zu bremsen. Denn kaum ein Staat der Eurozone konnte in den zurückliegenden Jahren auch nur annähernd ausgeglichen bilanzieren. In Wahrheit kann daher keine Rede davon sein, dass tatsächlich gespart würde. Sparen bedeutet nämlich, dass die getätigten Einnahmen die Ausgaben übersteigen. Das aber war und ist weit und breit nirgendwo der Fall!

Dass die Staaten sich vor dem nun notwendig gewordenen Sanierungskurs – oft genug unter sozialistischer Führung – „kaputtverschuldet“ haben, kommt den Damen und Herren Umverteilern gar nicht erst in den Sinn. Denn sparen ist böse. Kreditfinanzierter Konsum dagegen schafft den Himmel auf Erden. Die politischen Eliten (genauer: die Sozialisten in allen Parteien) haben die Keynes´sche Bibel tief verinnerlicht: Wer spart, ist ein (Volks-) Schädling. Wer (fremder Leute) Geld zum Fenster hinauswirft und konsumiert als gäbe es kein morgen, ist ein Held. Kapital wird nicht als Folge des Konsumverzichts akkumuliert, sondern durch die Notenpresse erzeugt. Durch simples Bedrucken von Papier löst man jedes Problem – am Ende werden dadurch alle reich. Was für eine wunderbare Welt!

Selbst den Genossen sollte allerdings langsam dämmern, dass Schulden nicht ungestraft in unbegrenzter Höhe aufgetürmt werden können. Griechenland ist ein wunderbares Beispiel dafür: Dort hat man zuletzt den Weg gewählt, die Gläubiger bezahlen zu lassen und diese kurzerhand enteignet. Trotzdem steht das Land noch immer mit 160 Prozent des BIP in der Kreide. Weitere Schuldenschnitte (=Gläubigerenteignungen) sind unvermeidbar. Scheint zunächst, aus der Sicht des räuberischen Fiskus betrachtet, als geniale Politik. Allerdings liegen die Aussichten darauf, dass internationale Geldgeber diesem Staat je wieder Mittel zu tragbaren Zinsen zur Verfügung stellen werden, bei Null. Investitionen, die notwendig wären, um dem abgewirtschafteten Land nachhaltig aus der Misere zu helfen, werden ausbleiben.

Die sich als Folge des Wahlergebnisses abzeichnende Unregierbarkeit der Balkanrepublik dürfte ihr somit kaum zum Vorteil gereichen. Griechenland ist für lange Zeit erledigt. Wer kann, der wird gehen – insbesondere mehrsprachige, gut ausgebildete junge Leute. Der letzte zurückbleibende Rentner darf am Ende das Licht abdrehen…

Ein ähnliches Szenario droht durchaus auch anderen Staaten des europäischen „Club Med“. Selbst in Österreich besteht keinerlei Grund, sich in Sicherheit zu wiegen, wenn die strukturellen Probleme (wie z. B. das viel zu niedrige Pensionsantrittsalter) nicht entschlossen angegangen werden – was indes keine der im Parlament vertretenen Parteien ernsthaft vorhat. Inklusive der nicht ausgewiesenen impliziten Staatsschulden steht Österreich kaum besser da als die PIIGS.

Was nun europaweit passieren wird, lässt sich ausmalen: Die Deutsche Regierung, das im Moment stärkste und letzte Bollwerk gegen eine völlig ungebremste Ausweitung der Geldmenge, wird dem wachsenden Druck von innen und außen nicht standhalten. Die europäische Geldpolitik wird in der Folge auf den Kurs der US-Notenbank FED einschwenken. Die EZB wird schon bald in die unmittelbare Staatsfinanzierung einsteigen.

Damit stehen die Zeichen auf Inflation. Denn die im Aufwind befindlichen Genossen in Deutschland, Österreich und anderswo, wollen, wie sie sagen, sowohl sparen als auch investieren – also gleichzeitig bremsen und Gas geben. „Sparen“, das gilt es zu wissen, heißt nach österreichischer Lesart nicht etwa Staatsausgaben kürzen, sondern Einnahmen erhöhen (d. h. die Staatsquote weiter steigern). „Investieren“ dagegen bedeutet, in maximal unproduktiven Sektoren Geld zu versenken – allenfalls kurzfristig wärmende Strohfeuer abzubrennen.

So bedeutet die populäre Parole „Mehr in die Bildung“ zu investieren, letztlich nichts anderes, als noch mehr Soziologen, Politologen, Publizisten, etc. auszubilden, die für den produktiven Bereich (die Privatwirtschaft) unbrauchbar sind, und die daher am Ende eine gutdotierte Anstellung in der Staatsbürokratie einfordern werden. „In die Infrastruktur zu investieren“ bedeutet, noch mehr Geld in unnötige Bahnprojekte oder in die Landschaftsverschandelung mittels Windrädern zu stecken. Wie man es auch dreht und wendet – staatliche „Investitionen“ laufen in der Mehrzahl aller Fälle auf eine lupenreine Ressourcenvergeudung hinaus.

Mittels derart dubioser Therapien sollen kränkelnde Volkswirtschaften nachhaltig kuriert werden?!

Der frisch gekürte Franzosenhäuptling Hollande hat im Wahlkampf aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht. „Höhere Steuern!“ – nämlich 75 Prozent auf die Einkommen „besserverdienender“ Klassenfeinde sollen es sein. Die neue Regierung Griechenlands wiederum wird, unter dem wachsenden Druck des Staßenpöbels, die EU-Bürokratie mit noch frecheren Geldforderungen konfrontieren, die nicht ungehört verhallen werden. Und Europas Linke geben sich kollektiv der fatalen Illusion hin, ernten zu können, wo niemals zuvor gesät wurde.

Kein bekömmlicher Cocktail. Europa wird sein schrumpfendes Finanz- und Humankapital ab sofort noch rascher nach Übersee exportieren, als das jetzt schon der Fall ist. Der Alten Welt stehen also höchst „interessante Zeiten“ bevor. Wohl dem, der rechtzeitig materielle Reserven ins sichere, überseeische Ausland verbracht und einen Notfallkoffer gepackt hat…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Europa, wohin gehst Du?

07. Mai 2012 23:42 | Autor: Manfred Drennig
Rubrik: Gastkommentar

Dass politische Entscheidungen in eine Sackgasse führen, ist nichts unbedingt Neues und schon deshalb wenig Grund zur Aufregung. Diesmal muss man aber den Eindruck gewinnen, dass es sich nicht bloß um eine Sackgasse handelt, sondern, dass mit Vollgas gegen die selbst gebaute, turmhoch aus Haftungen bestehende Wand gefahren wird. George Soros hat gerade von einer kommenden „Tragödie historischen Ausmaßes“ gesprochen.

Mildere Beschreibungen sind dem Drama namens Europäischer Finanzkrise wirklich nicht mehr angemessen. Eigentlich ist alles da, was sich ein geschickter Regisseur nur wünschen könnte: Gute und Böse, Gute Vorsätze und heimliche Ängste, wenig Wahrheit und viel Schönfärberei, viel Anstrengung für falsche Ziele, ungeheure Gefahren bei gleichzeitigen heroischen Durchhalteparolen, und vor allem jede Menge Widersprüche.

Dabei ist die Handlung des Dramas eher simpel: Etliche Europäische Staaten haben so viel Schulden gemacht, dass Ihnen keiner mehr Geld borgen will. Wie so üblich, wird bei derartigen Problemen statt nach einer Lösung zunächst einmal nach Schuldigen gesucht: Favoriten dafür sind einerseits die böse Finanzindustrie (was im Falle Irlands sogar stimmt), oder andererseits der massive Ausbau des Sozialstaates (ist auch etwas zu einfach).

Die Reaktion der EU ist bekannt: Mit enormen Mitteleinsatz wurde eine vorläufige Weiterfinanzierung besonders gefährdeter Staaten erreicht. Diese mussten sich dafür verpflichten, durch konsequente Sparprogramme ihre Budgetdefizite abzubauen. Zeit hat man auf diese Weise gewonnen. Aber ist das auch eine Lösung?

Die offizielle Meinung ist, dass die betroffenen Staaten auf diese Wiese stabilisiert werden und es ihnen möglich gemacht werden sollte, irgendwann ihren Schuldenberg abzutragen. Inoffiziell hoffen so manche, dass ihnen das harte Brot der Schuldenrückzahlung durch eine kräftige Inflation erleichtert würde.

Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen. Die EU hat verkündet, der jüngste Schuldenschnitt solle es Griechenland möglich machen, seine Schulden bis 2020 auf 120 Prozent des BIP zu reduzieren. Das ist schon rein rechnerisch absurd. Denn dazu müsste es den Griechen gelingen, ihr jährliches Defizit auf 5 Prozent zu reduzieren und zugleich ein Wirtschaftswachstum von zumindest 4 Prozent jährlich zu erzielen. Tatsächlich läuft die Entwicklung genau in die Gegenrichtung. Griechenland steckt in einer tiefen Rezession mit kräftigem Schrumpfen des BIP. Das Defizit steigt absolut und im Verhältnis zum BIP relativ umso stärker. Glaubt irgendwer, in Portugal und Spanien werde alles besser laufen?

Inflation ist keine Lösung

Und die Weginflationierung des Problems ist so harmlos wie das Austreiben des Teufels durch Beelzebub. Deutschland und Österreich haben dieses Rezept kurz nach dem ersten Weltkrieg versucht. Das Ergebnis war nicht nur eine Vernichtung der Schulden (übrigens nur der inländischen, die in fremder Währung stiegen ins Astronomische), sondern auch eine Vernichtung aller Ersparnisse – und aller alten Pensionsansprüche – und ebenso die ziemlich komplette Vernichtung des Mittelstandes.

Außerdem hat eine Inflation ganz bestimmte Voraussetzungen: Eine wäre, dass sich die Konsumenten nicht wehren können – wie derzeit beim Benzinpreis, oder bei staatlichen oder kommunalen Tarifen. Wie kräftig solche ausfallen können, hat ja kürzlich die Stadt Wien recht eindrucksvoll demonstriert. Aber das reicht trotzdem nicht.

Sehen wir einmal vom technisch eher komplexen Phänomen einer asset-price inflation ab, dann ist eine weitere Voraussetzung für Inflation nicht bloß eine im Übermaß vorhandene Geldmenge. Dafür hat die EZB ja gesorgt. Aber die müsste erstens an Konsumenten oder Unternehmen transferiert werden – als Kredit oder Einkommen – und zweitens von diesen wieder in großen Mengen ausgegeben werden, als Konsum oder als Investitionen. Ohne solche Transfers kann es gar nicht zu einer nachfragebedingten Inflation kommen.

Solche Transfers finden aber gerade in den besonders betroffenen Südstaaten der EU nicht statt, Sie können es auch nicht, weil dort die erzwungene restriktive Budgetpolitik sie gar nicht möglich macht. Genau genommen fährt die Kolonne der EU-Staaten derzeit gleichzeitig mit Vollgas und mit Vollbremsung. In der Währungspolitik wird mit Vollgas die Geldmenge ausgeweitet wie nie zuvor, in der Budgetpolitik wird in den betroffenen Staaten gebremst wie nie zuvor.

Die Arbeitslosigkeit in der EU hat derzeit mit 17 Millionen einen neuen absoluten Höchst-stand erreicht. Besonders hoch ist die Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen: In Spanien ist derzeit bereits jeder zweite Jugendliche ohne Job. Auch für die Folgen einer strammen Sparpolitik gibt es ein eindrückliches historisches Beispiele aus dem Deutschland der Zwischenkriegszeit, mit Massenelend und anschließender politischer Radikalisierung.

Die EU hat mit ungeheurem, so nicht wiederholbarem Geldaufwand Zeit gewonnen und sich zugleich eine Reihe weiterer Probleme eingehandelt. Selbst mit der Zeit ist es so eine Sache. Kein Monat nach der Einigung auf achthundert Milliarden gutes Geld, um es dem schlechten nachzuwerfen, sind die Märkte schon wieder nervös.  Kann, darf man eine solche Politik als alternativlos bezeichnen oder ist sie nicht vielmehr phantasielos?

Was ist wichtiger: Der Euro oder die spanische Jugend?

Was soll das Beharren auf einem einheitlichen Euro, wenn immerhin zehn Mitgliedsstaaten der EU auch ohne die Gemeinschaftswährung ganz gut zurecht kommen und mit diesem Beharren nur auf das so wichtige – und bei leider offenkundig fehlender Konkurrenzfähigkeit unerlässliche – Instrument der Abwertung einzelner Währungen verzichtet wird?

Und warum bricht man unter Berufung auf über-gesetzlichen Notstand bedenkenlos gut erwogene vertraglich fixierte Grundsätze wie den des No Bail Out, statt diese Vertragsbestimmung als Containment, als wohl durchdachte Riskenbegrenzung zu verstehen und zu versuchen, ähnliche Lösungen wie seinerzeit für Argentinien zu finden? In diesem Fall haben die USA bei der Bewältigung der Finanzierungskrise geholfen, ohne sich selber bis an die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit zu verpflichten, wie es Deutschland derzeit macht.

So kann man nicht bewahren, was mühselig genug als EU geschaffen wurde, und so wird der heutigen komplexen Wirklichkeit einfach nicht genügend Rechnung getragen. Und weil so gerne von Solidarität die Rede ist: Welche ist dringender – die gegenüber den immer ärmer werdenden Menschen in den Südstaaten, oder die gegenüber dem abstrakten Konzept einer einheitlichen Währung? Die EU sollte sich dazu durchringen, die eigene Linie auf den Prüfstand zu stellen. Nur wenn sie lernt, wird sie überleben.

Vielleicht ist es aber zu lästig, aus der Geschichte lernen zu sollen – vor allem, wenn sich historische Vergleiche geradezu aufdrängen. Die chinesische Bürokratie hat vor gut einem halben Jahrtausend die eigene Seefahrt so gründlich sabotiert, dass Europäer auch dort Fuß fassten, wo die Chinesen längst hätten sein können. Das alte römische Reich ging (auch) deshalb zugrunde, weil dort so erbarmungslos besteuert wurde, dass die Bevölkerung die Herrschaft der barbarischen Germanen bald der der eigenen Leute vorzog.

Gründlichkeit kann man den Staaten der EU nicht absprechen. Derzeit marschieren sie mit Überbürokratisierung und weiteren Steuererhöhungen entschlossen gleich auf beiden Wegen. Irgendwann sollten die Bürger beginnen, sich aufzuregen. 

Dr. Manfred Drennig ist Bankvorstand i.R., aktuell Geschäftsführer einer Wertpapierfirma und Verfasser gesellschaftskritischer Bücher ( „Die Krise sind wir selbst", „Tauschen und Täuschen").

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Wahlen gewinnen, aber nicht regieren

07. Mai 2012 09:54 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es wird zum gemeinsamen europäischen Muster: Mit der Ausnahme Ungarns haben alle Wahlen der letzten Jahre zwei klare Trends gezeigt,die beide die Zukunft des Systems Demokratie in ein düsteres Licht rücken.

Der eine Trend ist die Zersplitterung der Parlamente auf immer mehr Parteien. Selbst Großbritannien braucht erstmals seit Menschengedenken wieder eine Koalition. In Österreich rechnen Analysen schon damit, dass nach der nächsten Wahl schon drei Parteien nötig sein könnten, um eine regierungsfähige Mehrheit zu haben. Mindestens drei Parteien in der Regierungsmehrheit finden sich in vielen Ländern von Tschechien bis zu den Niederlanden, was auch prompt für ständige Krisen sorgt (lediglich die Schweden fahren mit sogar vier Parteien derzeit recht sicher). In Griechenland ist es nun sehr wahrscheinlich, dass die Wahlen überhaupt bald wiederholt werden müssen, weil sich keine Mehrheit findet. Und auch Frankreich hat nur scheinbar eine klare absolute Mehrheit (wenn auch eine knappere als prophezeit) zustandegebracht. Denn im ersten Wahlgang haben sich die Stimmen mehr denn je zersplittert. Und auch dort darf man gespannt sein, wie das nächste Parlament aussieht.

Dieser Trend wird zur wachsenden Bedrohung für die Demokratie, solange diese nicht beispielsweise durch direktdemokratische Methoden weiterentwickelt wird. Mit diesen Methoden hat ja zumindest die Schweiz eine dort schon seit vielen Jahrzehnten zersplitterte Parteienlandschaft problemlos gemeistert.

Der zweite Trend ist noch viel gefährlicher: Es reüssieren immer mehr Parteien, die gar nicht regieren wollen. Sie wollen nur die Stimmen der immer zahlreicher werdenden Nein-Sager akkumulieren und viele Mandate erobern. Aber regieren wollen sie nicht wirklich. Weil dann müssten sie ja über hohle Parolen hinaus auch zu irgendetwas Ja sagen.

Musterbeispiel sind die Piraten, die jetzt schon ins dritte deutsche Landesparlament einziehen. Sie haben sich noch gar nicht so richtig entschieden, ob sie linke oder rechte Inhalte haben werden. Sie wollen nur keinesfalls regieren und lieber auf Dauer politische Couch Potatoes bleiben.

Aber auch die Links- und Rechtsradikalen Griechenlands wollten zwar in großer Zahl ins Parlament einziehen, aber regieren wollen sie nicht. Daran haben sie keine Sekunde gedacht, weil sie wissen: Dann würden sie beim nächsten Mal auf jeden Fall schwer verlieren. Auch die jüngere belgische Geschichte ist ein ähnliches Drama: Dort hat es über ein Jahr gedauert, bis eine Regierung zustandegekommen ist.

Doch selbst bei den österreichischen Freiheitlichen gibt es eine wachsende Anzahl von Stimmen, die sich in internen Diskussionen auf ein klares Wahlziel geeinigt haben: Sie wollen weiter dazugewinnen, möglichst ein Drittel der Mandate erringen, damit man jede Verfassungsänderung blockieren (oder eine Zustimmung sehr teuer verkaufen) kann. Aber regieren will man eigentlich nicht. Diesmal noch nicht, wie meist hinzugefügt wird.

Das erinnert stark an die freiheitlichen Diskussionen im Winter 99/00, als Jörg Haider eher im Alleingang seine Partei in die Regierung hineingezogen hat. Und auch er hatte sehr spezifische Motive: Er hatte damals schon in Kärnten regiert und gewusst, dass er im Bund mitbestimmen muss, wenn er für sein Bundesland etwas herausholen will, etwa den Koralm-Tunnel.

Dieser paneuropäische Trend macht sehr besorgt. Ja, es stimmt, regierende Parteien erleiden in der großen Mehrzahl der Fälle am nächsten Wahltag ein Minus – auch wenn die Drittelung der griechischen Sozialisten schon einen Rekord darstellt. Aber irgendwie brauchen Staaten halt doch eine Regierung. Und nicht nur eine Ansammlung von untereinander verfeindeten Parteien, die jeweils mit großer Radikalität für ein einziges, jedoch bei jeder Partei ganz anderes Anliegen stehen.

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Verschwiegene Wahrheiten über Kinder und Mütter, über Migranten und Frühpensionisten

05. Mai 2012 00:16 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es wird immer ärgerlicher, wie die Öffentlichkeit durch einseitige Medien und ideologische „Experten“ einseitig mit – oft total falschen und fast immer tendenziösen – Daten gefüttert werden. Noch ärgerlicher ist aber, wie manche gesellschaftspolitisch wichtigen Daten verschwiegen werden.

Hier ein kleiner Auszug:

1. Frühpensionierungen helfen nicht, den Gesundheitszustand zu verbessern, sondern verschlechtern ihn, vor allem bei Männern. Das zeigt eine große internationale Studie im Auftrag der EU. Von der man aber in Österreich nichts hört (wo meist nur die Klassenkampfstudien im Auftrag der Arbeiterkammer publiziert werden). Denn Frühpensionisten leben ungesünder, sie leiden oft unter einer schlagartig ausbrechenden Sinnkrise, sie verlieren ihre sozialen Netzwerke. Das, was vielen so erstrebenswert erscheint, ist also oft ein schwerer Schicksalsschlag.

2. Die Berufstätigkeit einer Mutter aus Mittel- und Oberschichtfamilien ist schlecht für die Entwicklung eines Kindes. Das kann man im neuesten deutschen Familienbericht (Seite 102) lesen (in Österreich wagt man sich gar nicht an solche Fragen heran). Dem Kind entgeht durch die außerfamiliäre Betreuung die Bildung und Erziehung durch seine gut gebildete und erziehungskompetente Mutter. Hinter deren Leistung bleibt das Bildungsangebot in Kindergärten weit zurück. Bei Migranten- und Unterschichtfamilien ist die Wirkung einer solchen Betreuung hingegen eindeutig positiv.

3. Die von der Politik, auch der EU so stark geförderte außerfamiliäre Betreuung von Kindern unter drei Jahren wird in Deutschland von Müttern mit Migrationshintergrund viel seltener benutzt als von anderen. Dabei begründet die Politik die teuren Kleinkinderbetreuungseinrichtungen vor allem damit, dass man Migrantenkinder so besser in den Bildungsprozess einbinden kann. Dafür werden diese Betreuungsstrukturen vor allem von besser gebildeten Müttern genutzt. (gleicher Familienbericht, Seite 99f)

4. Ein Zitat, dass die letztgenannten Punkte unterstreicht: „Kleinkinder dauerhaftem Stress auszusetzen, ist unethisch, verstößt gegen Menschenrecht, macht akut und chronisch krank. Dieses Wissen hindert die Bundesregierung und Wirtschaftsverbände nicht daran, die Erhöhung der Zahl der außerfamiliären Betreuungsplätze zum Ausweis moderner Familienpolitik zu stilisieren.“ So der deutsche Kinder- und Jugendarzt mit Schwerpunkt Sozialpädiatrie Rainer Böhm (Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 4. April, Seite 7). Das sind Sätze, die zweifellos auch für Österreich gelten, wo sich nur die meisten Mediziner mit unzeitgeistigen Erkenntnissen zurückhalten.

5. Die EU will, dass 75 Prozent der Frauen im erwerbstätigen Alter berufstätig sind (so wie die Männer). In Österreich sind es 66 Prozent, was weit über dem EU-Schnitt liegt. Der österreichische Wert beinhaltet aber auch die Frauen mit türkischem Hintergrund: Diese sind zu 41 Prozent berufstätig.

6. Amerikanische Jugendliche in Gefängnissen:

Quelle: C. Harper und S. McLanahan: „Father Absence and Youth Incarceration“. Data from National Longitudinal Survey of Youth.

7. Kokain-Nutzer unter erwachsenen Amerikanern:

Quelle: Add Health Wave II 1966

8. Schlechte Bildung. Untersucht wurden die in Österreich lebenden 25- bis 64-Jährigen:

Quelle: „migration & integration, zahlen.daten.indikatoren 2010“ (Statistik Austria, Seite 46)

Anmerkung: 48 Prozent der im Ausland geborenen Migranten stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien; 17 Prozent aus der Türkei. In Österreich kommt ein Drittel der Migrantenkinder überhaupt erst während ihrer Schulzeit ins Land, was dem Bildungssystem fast jede Chance der Gegensteuerung nimmt.

9. Österreich wird gerne als die Hölle für Ausländer dargestellt, etwa von der Rathaus-finanzierten Organisation Zara. eine EU-Studie zeigt das Gegenteil. Fälle von erlebter Diskriminierung unter 100 Migranten aus der Türkei innerhalb eines Jahres:

Quelle: EU-MIDIS Seite 14.

10. Von den weltweit über 20 Millionen Migranten mit tertiärem Abschluss (Universitäten und ähnliches) haben sich drei Viertel in den USA, Kanada, Australien und Großbritannien niedergelassen. Wen wundert es, dass diese Länder aus der Zuwanderung großen Nutzen ziehen? Länder wie Österreich werden von solchen Leistungsträgern jedoch total gemieden. Der Grund? Die Sprache, aber vor allem die hohen Steuern.

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Über die Unsichtbarkeit

03. Mai 2012 23:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Ein Traumbild ist’s von alters her,
und drüber mag man lachen,
nur wär’s nicht herrlich, nach Begehr
sich unsichtbar zu machen?

Bei Laurin und bei Alberich
schien’s in der Tat zu klappen,
denn diese Zwerge tarnten sich
mit wundersamen Kappen!

Na oder waren sie zu klein
und darum nicht zu sehen?
So dürfte es gewesen sein,
weil besser zu verstehen.

Doch zeigt sich just am kleinen Kind
und einem der drei Affen,
dass Mythen archetypisch sind –
und Wirklichkeiten schaffen:

Mit bloßen Händen vorm Gesicht
verscheucht das Kind die Krisen –
wenn ich nicht seh’, sieht mich man nicht,
sophistisch klar bewiesen!

Ganz ähnlich wird’s vom Strauß gesagt,
und analog – was wetten! –
sind jene auch so unverzagt,
die unsern Euro retten.

Indes, das Thema ist komplex
und sucht wohl seinesgleichen,
wie Sichtbarkeit und der Konnex
zur Sehkraft unterstreichen:

Von blinden Sehern lesen wir
in knappen Mußestunden,
und mancher blinde Passagier,
der sieht, wird nie gefunden!

Empirisch ist ein Teilbeweis
in China grad gelungen,
wo ungesehen wer und leis
dem Hausarrest entsprungen.

Denn dieser Mann ist blind fürwahr
und war dank Blindheit eben
für seine Pfleger unsichtbar –
tja, sowas soll es geben…

Pannonicus

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Keine Kinder mehr oder: Wie die Wissenschaft das zentrale Zukunftsthema ignoriert

01. Mai 2012 00:35 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Bernhard Felderer, der große alte Mann der österreichischen Ökonomie, hat sich an ein Thema herangewagt, das Ökonomen sonst gerne meiden. Sie tun dies wahrscheinlich aus politischer Korrektheit, also Feigheit. Felderer hat hingegen erstmals den dramatischen Kindermangel als fundamentales ökonomisches Problem Europas definiert. Für den Mut, dies einmal ganz offen anzusprechen, gebührt ihm jedenfalls eine dicke Gratulation.

Bisher ist der in den späten 60er Jahren passierte und seither anhaltende steile Absturz der Reproduktionsrate immer nur als kulturelles, religiöses oder nationales Problem angesehen worden. Was er natürlich auch ist. Die Reproduktionsrate, also die Zahl von Kindern pro Frau, sank damals binnen kürzester Frist in den meisten europäischen Ländern von über 2 auf unter 1,4. Auslöser dieser historischen Wende waren sowohl gesellschaftliche Umbrüche wie auch medizinische Entwicklungen (Antibaby-Pille).

Um nur einen dieser kulturellen Aspekte zu nennen, der vielen Menschen Sorgen macht: Am Ende dieses Jahrhunderts werden von den in Österreich lebenden Menschen nur noch weniger als 20 Prozent Nachfahren der Einwohner des Jahres 1970 sein. Der Rest werden Zuwanderer und deren Kinder sein. Welche Folgen das für die kulturelle Identität, für Wirtschaft und Gesellschaft haben wird, ist viel schwerer vorherzusagen.

Tatsache ist jedenfalls, dass in der Geschichte bisher immer solche großen ethnischen Verschiebungen auch gewaltige zivilisatorische Veränderungen auf allen anderen Gebieten nach sich gezogen haben. Für Österreich bedeuten sie schon einmal rein quantitativ die größte Identitätsveränderung seiner Bevölkerung seit der Völkerwanderung am Ende des Römischen Reiches. Die damalige Veränderung hatte auf Jahrhunderte einen Absturz in die Geschichtslosigkeit und Gesetzlosigkeit ausgelöst. Was die nunmehrige bedeuten wird, ist vorerst natürlich viel schwerer zu prognostizieren.

Wachstum durch mehr arbeitende Frauen

Die Ökonomen haben diesen gesamten Prozess bisher immer ignoriert. Diese Fragen klangen ihnen wohl zu sehr ideologisch, sie erforderten auch einen in der Ökonomie unüblichen langfristigen Denkansatz. Dort war man eher salopp der Meinung: „In the long run we are all dead.“

Statt die quantitativen wie qualitativen Folgen des Geburtenrückganges zu beachten, hatten sich daher in den letzten Jahrzehnten Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaften gleichsam in die Gegenrichtung bewegt: Sie betrieben eine Steigerung des Wirtschaftswachstums auf Kosten der Kinderzahl. Dieses Wachstum konnte kurzfristig durch eine gewachsene Frauenerwerbsquote weit über den Zuwachs durch den technischen Fortschritt hinaus gesteigert werden. Industrie und Gewerbe fanden in den Frauen hochqualifizierte, hochmotivierte und unproblematische Arbeitskräfte. Die Frauen wurden insbesondere in allen jenen Branchen wichtig, in denen körperliche Kraft an Bedeutung für die Arbeitsleistung verlor.

Zugleich hat eine geänderte Sinnhierarchie jungen Frauen primär in beruflichen Karrieren den neuen Sinn ihres Lebens vermittelt. Das kam den Interessen der Unternehmen voll entgegen. In früheren Generationen hatten Frauen hingegen immer ein geglücktes Familienleben als dominierendes Ideal.

Der kurzfristige Vorteil wird langfristig zum Nachteil

Nun aber wird zunehmend klar, dass das Ausbleiben von einem Drittel der für den Bevölkerungserhalt notwendigen Kinder zwar kurzfristig ein ökonomischer Vorteil war, langfristig aber zum ökonomischen Debakel wird, wie Felderers Analyse warnt. Er diagnostiziert eine strukturelle (also nicht bloß zufällige oder konjunkturell bedingte) Wachstumsschwäche Westeuropas. Und als Ursache sieht er zwei Grundübel, an denen der Kontinent im Vergleich zu den USA und vor allem Asien leidet. Der erste sind zu starke Staatseingriffe und zu hohe Steuern; dadurch werden Kapital und damit wieder Investitionen zunehmend zum Abwandern aus Europa bewegt.

Das zweite Großproblem ist in Felderers Grundsatzanalyse jedoch der wachsende Kindermangel: „Die Gefahr besteht, dass schon ein sinkendes Bevölkerungswachstum zu einem rückläufigen Produktivitätswachstum führt.“ Lediglich Frankreich und Dänemark hätten eine über 2 Kindern pro Frau liegende Reproduktionsrate. Das fordere diesen Ländern aber „großen Ressourceneinsatz“ ab, so Felderer.

Durch die bessere Ausbildung der Frauen und ihre inzwischen hohe Berufstätigkeit sind die Opportunitätskosten des Kinderhabens dramatisch angestiegen. Damit sind alle finanziellen Verluste für jene Zeit gemeint, in dem sich eine Frau den Kindern statt einem Job widmet. Sie verdient in dieser Zeit nichts, und zugleich werfen die gesellschaftlichen Investitionen in ihre Ausbildung keine Rendite ab – zumindest kurzfristig. Denn langfristig haben gebildete Frauen auch selbst wieder viel besser gebildete Kinder.

Das ist Faktum, unabhängig von der Frage, wieweit Intelligenz mit all ihren Konsequenzen nur eine Erziehungsfolge ist oder genetisch vererbt wird. Letzteres bestätigen zwar alle Forscher aus dem Feld der Genetik (der renommierte deutsche Wissenschafts-Journalist Dieter Zimmer hat in „Ist Intelligenz erblich?“ die vielen Beweise dafür in überzeugender wie verständlicher Form zusammengetragen). Das wird aber in einem Teil der ideologisch denkenden Politikszene noch verdrängt.

Wachsende Opportunitätskosten des Kinderhabens

Dieser Zusammenhang macht es zur absoluten Zukunftskatastrophe, dass von den Akademikerinnen derzeit fast nur noch jede zweite überhaupt zumindest ein einziges Kind bekommt. Damit wird nämlich das Kinderkriegen zunehmend zur Aufgabe, ja fast zum Reservat armer, wenig gebildeter Schichten. Was eine doppelte Schieflage bedeutet, haben doch in diesen Schichten viele zunehmend einen Migrationshintergrund.

Noch einmal sei Felderer zu dem erwähnten Anstieg der Opportunitätskosten des Kinderhabens zitiert: „Niemand hat darüber nachgedacht, wie wir das kompensieren können.“ Es gehe ihm bei dieser Sorge nicht um eine nationalistisch motivierte Politik des Natalismus (=des Geburtenförderns), sondern um ein ökonomisches Problem. Denn: „Dieses System kann auf längere Sicht nicht weiterfunktionieren.“

Mit dieser fundamentalen und vielerorts lange verdrängten Erkenntnis ist das Problem zwar noch nicht gelöst. Aber jedes Problem kann einer Lösung überhaupt nur näher kommen, wenn man es zuerst zumindest erkannt und definiert hat.

Wie explosiv es angesichts der gesellschaftlichen Debatte ist, zeigt eine andere Studie der Akademie der Wissenschaften: Dieser zufolge hat sich die Gebärfreudigkeit gar nicht so substantiell verändert: Nicht berufstätige Frauen haben weiterhin viele Kinder, und berufstätige Frauen haben auch schon in früheren Generationen wenige gehabt. Nur hat sich etwas anderes verändert: Der Anteil der berufstätigen Frauen hat sich vervielfacht.

Die Wissenschaft drückt sich um die wichtigsten Fragen

Die Herausforderung ist daher eine gigantische: Wollen die Europäer nicht binnen weniger Generationen aussterben, so müsste es gelingen, den berufstätigen und insbesondere den akademisch gebildeten Frauen wieder in großem Umfang Lust am Kinderkriegen zu vermitteln.

Gelingt das mit noch mehr direkt ausgeschüttetem Beihilfengeld? Oder fördert man damit nicht erst recht eine Arbeitsteilung zwischen Oberschichtfamilien (wo gut ausgebildete Frauen immer noch im Beruf mehr verdienen, als jede Förderung ausmachen kann) und Unterschichtfamilien (wo die Kinderproduktion zum guten Geschäft wird, ohne Rücksicht auf das Wie der Kindererziehung)? Sind staatlich geförderte Tagesmütter das richtige Modell (wie zumindest das Beispiel Frankreich indiziert)? Sind es massenweise ausgebaute Kindergärten auch schon für Ein- bis Dreijährige? Und wieweit ist die Doppelbelastung – Beruf und Kinder – nicht eine arge gesellschaftliche Zumutung für die Frauen?

Aber bevor man eine Antwort auf diese Fragen geben könnte, bräuchten wir jede Menge harter Fakten über den Erfolg der verschiedenen Wege zum Erwachsenwerden. Wie werden Kinder überhaupt besser fürs Leben gewappnet, stabiler, weniger kriminell, weniger drogenanfällig, erfolgreicher in ihrem Bildungsweg und  nachher in ihrem eigenen Erwachsenenleben? Durch Kindergärten und Ganztagsschulen oder durch viel Zeit eines Elternteils? Gibt es diesbezüglich vielleicht signifikante Unterschiede zwischen Unter- und Mittelschichtkindern? Könnte der Bildungserfolg nicht bei Migrantenkindern ohne Bildungshintergrund von ganz anderen Faktoren abhängig sein? Könnte es nicht sein, dass bei ihnen ein sehr früher Einstieg in den Kindergarten zu besseren langfristigen Erfolgen führt, während bei Mittelschichtkindern sich die Zeit der Mutter positiver auswirkt?

Ich habe hier zwar persönliche Antworten auf Grund meiner vielfältigen Beobachtungen. Aber ich vermisse intensive wissenschaftliche Studien zu all diesen Fragen, obwohl das für Gesellschaft wie Eltern überhaupt die wichtigsten Zukunftsfragen sind. Warum aber gibt es diese Studien nicht in ausreichender Dichte? Werden da vielleicht vom Zeitgeist unerwünschte (also politisch inkorrekte) Fakten zurückgehalten und verschwiegen?

Die beweisfreie Anordnung der EU, dass mindestens jedes dritte Kind unter drei Jahren ganztägig in einen Kindergarten muss, ist jedenfalls als Antwort zuwenig. Nicht nur deshalb, weil sich zunehmend autoritäre Einheitsbeschlüsse der EU als extrem problematisch erweisen.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Wie hoch sind Defizit und Verschuldung in den EU-Ländern?

24. April 2012 16:42 | Autor: Andreas Unterberger

Budgetsaldo und Verschuldung in den EU-Staaten in Relation zum BIP

 

Staat Euro Saldo 2010 Saldo 2011 Verschuldung 2010

Verschuldung 2011

Estland +

+ 0,2

+ 1,0

6,7

6,0

Ungarn

- 4,2

+ 4,3

81,4

80,6

Schweden

+ 0,3

+ 0,3

39,4

38,4

Finnland +

- 2,5

- 0,5

48,4

48,6

Luxemburg +

- 0,9

- 0,6

19,1

18,2

Deutschland +

- 4,3

- 1,0

83,0

81,2

Dänemark

- 2,5

- 1,8

42,9

46,5

Bulgarien

- 3,1

- 2,1

16,3

16,3

Österreich +

- 4,5

- 2,6

71,9

72,2

Malta +

- 3,7

- 2,7

69,4

72,0

Tschechien

- 4,8

- 3,1

38,1

41,2

Lettland

- 8,2

- 3,5

44,7

42,6

Belgien +

- 3,8

- 3.7

96,0

98,0

Italien +

- 4,6

- 3,9

118,6

120,1

Euro-17  

- 6,2

- 4,1

85,3

87,2

Portugal +

- 9,8

- 4,2

93,3

107,8

EU-27  

- 6,5

- 4,5

80,0

82,5

Niederlande +

- 5,1

- 4,7

62,9

65,2

Slowakei +

- 7,7

- 4,8

41,1

43,3

Polen

- 7,8

- 5,1

54,8

56,3

Rumänien

- 7,8

- 5,2

30,5

33,3

Frankreich +

- 7,1

- 5,2

82,3

85,8

Litauen

- 7,2

- 5,5

38,0

38,5

Zypern +

- 5,3

- 6,3

61,5

71,6

Slowenien +

- 6,0

- 6,4

38,8

47,6

Spanien +

- 9,3

- 8,5

61,2

68,5

Ver. Königreich

- 10,2

- 8,3

79,6

85,7

Griechenland +

- 10,3

- 9,1

145,0

165,3

Irland

+

- 31,2

- 13,1

92,5

108,2

Anmerkung: Die Maastricht- Stabilitätskriterien liegen -3 % Budgetsaldo sowie 60 % Gesamtverschuldung.

Von den Euro-Staaten erfüllen im Jahr 2011 beide Kriterien: Estland, Finnland und Luxemburg.

 

Quelle: EU-Kommission

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Gerichte öffnen die Migrationsschleusen

24. April 2012 02:31 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Bei Wahlen bekommen derzeit alle Regierungen Europas ihre Ohrfeigen, egal wer gerade regiert. Noch unpopulärer als die Regierungen ist die EU selber. Des öfteren sind es aber eigentlich die Richter, die den Zorn der Menschen am meisten verdient hätten. Diese stehen jedoch im Schatten und können dort ungehindert ihre Ideologien ausleben. Zum Schaden Europas.

Denn die neueste Judikatur von Verwaltungsgerichtshof und Europäischem Gerichtshof bringt mit einem Federstrich den wichtigsten Eckpfeiler des österreichischen Fremdenrechts zum Einsturz. Und die Republik reagiert hilflos. Die Gerichte berufen sich auf ein Abkommen, das die EU lange vor dem österreichischen Beitritt mit der Türkei geschlossen hat. Demnach sind Türken, die mit Österreichern verheiratet sind, künftig von Maßnahmen wie „Deutsch vor Zuzug“ und der Pflicht zu Integrationsvereinbarungen befreit.

Das aber waren in den letzten Jahren die einzigen relevanten Maßnahmen, um ein noch rascheres Anwachsen der türkischen Gemeinde einbremsen zu können. Das waren Maßnahmen, welche der SPÖ nur sehr mühsam abgerungen werden konnten. Das waren auch Maßnahmen, die genau an der richtigen Stelle angesetzt haben. Denn jene Fälle, die nun dank der Gerichte ungebremst zuwandern können, sind der weitaus problematischste Aspekt der Migration: Das sind die in einer Drittwelt-Umgebung mit einer mittelalterlichen Kultur und Religionspraxis aufgewachsenen Mädchen, die in einer arrangierten Ehe an einen Austrotürken – oft genug einen Verwandten – verheiratet werden. Um nicht zu sagen: verschachert. Ob das eine weiterhin verbotene Zwangsehe ist oder nicht, ist da in Wahrheit eine Frage aus einer anderen Welt. Denn diese Mädchen haben ja die Möglichkeit eines freien Willens überhaupt nie kennengelernt.

Wenn sie dann in Österreich sind, haben diese Frauen als Gebärmaschinen zu fungieren. Sie lernen meist nie deutsch, haben meist nie einen Job, verlassen nur selten das Haus und lassen den ganzen Tag türkische Satellitensender als einzigen Kontakt zur Außenwelt laufen. Sie ziehen dann logischerweise auch ihre Kinder in türkischer Sprache und in einem mittelalterlichen Geist auf. Weshalb wir in der zweiten und dritten Generation oft schlechtere Integrationsleistungen haben als in der ersten.

Jetzt ist auch die letzte Bremse gegen den Zuzug solcher Frauen (und natürlich auch einiger Männer) weggefallen. Das ist wirklich eine tolle Leistung der Gerichte! Braucht es noch extra erwähnt zu werden, dass sowohl der Chef des Verwaltungsgerichtshofs wie auch die von Österreich entsandte EU-Richterin knallrot sind?

Das Innenministerium glaubt nichts anderes tun zu können, als zu salutieren und die Gerichtsbeschlüsse brav umzusetzen. Obwohl diese der neuen Parole „Integration durch Leistung“ einen schwereren Schlag versetzt haben, als all die netten Inserate mit ein paar Dutzend Vorzeige-Zuwanderern an Nutzen stiften können.

Das ist juristisch auch richtig so. Aber rein theoretisch wäre es natürlich auch möglich, dass Österreich als Reaktion nach langem wieder eine aktive EU-Politik entwickelt. Das Land könnte sich ja – rein theoretisch – Verbündete suchen. Rein theoretisch könnte eine neue EU-Richtlinie wieder versuchen, wenigstens eine Spur von Lenkung in die Massenzuwanderung zu bringen. Denn nichts  anderes findet ja unter dem so harmlos klingenden Titel „Familienzusammenführung“ seit langem statt.

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Frankreich zwischen Macho-Großmaul und Retro-Sozialismus

24. April 2012 00:28 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es gibt viele Gründe, die für eine endgültige Abwahl von Nicolas Sarkozy sprechen. Es gibt nur einen einzigen Grund, der dennoch die (wahrscheinliche) Wahl seines Gegenkandidaten Francois Hollande zum noch größeren Alptraum macht: Sein Programm. Das ist nämlich noch viel schlimmer als Sarkozys Realität – für Frankreich und damit nach dem Prinzip „Mitgefangen, mitgehangen“ auch für alle Europäer. Wenn Hollande sein Programm auch nur ansatzweise umsetzen sollte, dann ist das ganze Euro-Europa mit Frankreich kaputt.

Daher wird der zweite Durchgang zwischen den beiden extrem spannend und für die Miteuropäer auch viel wichtiger als die amerikanische Wahl. Der Vorsprung Hollandes (28,6 Prozent) auf Sarkozy (27,2) ist extrem knapp. Da scheint zwar noch alles offen. Entscheidend wird aber das Verhalten der Anhänger von Marine Le Pen sein.

Die rechte Kandidatin hat mit 17,9 Prozent nicht nur das beste Ergebnis der Front National erzielt. Sie hat auch die Vorhersagen der Meinungsforscher lächerlich gemacht, die sie durchwegs deutlich niedriger eingeschätzt haben. Es ist aber schon seit Jahren ein politisches Naturgesetz: Rechte Wähler wählen nur in der geheimen Wahlkabine rechts, einem Meinungsforschungsinstitut gegenüber halten sie sich aber bedeckt. Denn sie fürchten sich vor der gesellschaftlichen Stigmatisierung durch ein politisches Outing.

Le Pens Wähler werden keineswegs geschlossen zu Sarkozy wechseln, wie manche oberflächliche Auguren meinen. Sarkozy steht zwar in der Ausländerfrage der Front National deutlich näher (und diese Frage ist für die Menschen im Unterschied zu vielen Medien wichtiger denn je). In Sachen Sparnotwendigkeiten, Sozialpolitik und Europa steht die Rechtspartei jedoch der radikalen Linken viel näher. Und umgekehrt.

Überdies gibt es auch bei Le Pens Wählern etliche, die Sarkozy als Person strikt ablehnen. Die Sprunghaftigkeit und Angeberattitüden des kleingewachsenen Mannes, der sich allzu lange allzu eng mit den Reichen und Schönen umgeben hat, nerven viele Franzosen. Auch das Kapitel Sarkozy und die Frauen war mehr dazu angetan, um bunte Hefte zu füllen als die Schar seiner Anhänger.

Noch schlimmer ist, dass sich Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit unter Sarkozy deutlich verschlechtert hat. Gewiss haben dazu viele kapitale Sünden früherer Linksregierungen beigetragen, wie die Arbeitszeitverkürzung oder der viel zu weitgehende Kündigungsschutz. Aber Sarkozy hat wie ein lateinischer Macho viel geredet (noch dazu mit ständig wechselnden Zielrichtungen); er hat jedoch trotz seiner fast unbegrenzten Macht wenig getan, um die Wettbewerbsfähigkeit der Grande Nation wieder zu verbessern.

Jetzt fällt es vielen Franzosen verständlicherweise ziemlich schwer, ausgerechnet in ihm den geeigneten Mann zu sehen, um Frankreich ein griechisches Schicksal zu ersparen. Die Zukunft erscheint ihnen sowieso düster, da hat für viele eine Generalabrechnung mit der Vergangenheit die erste Priorität.

Doppelter Scherbenhaufen für Merkel

Auch die Miteuropäer werden die erste (und einzige?) Amtsperiode Sarkozys keineswegs in guter Erinnerung behalten. War es doch er, der immer wieder großen Druck auf Angela Merkel ausgeübt hat, damit die zögerliche und innerlich unsichere Deutsche der wahnsinnigen Verschuldungspolitik des gesamten Euro-Europas zugestimmt hat. Die entscheidende und falsche Weichenstellung geschah ja im Frühjahr 2010, als Merkel der ersten Etappe der Megahilfe für Griechenland zugestimmt hatte.

Damals verlangten die gesamte Linke und damit die meisten Medien lautstark, dass das sozialistisch regierte Griechenland „gerettet“ werde (was natürlich angesichts der griechischen Zustände immer nur auf ein paar Monate gelingen konnte). Und dazu kam dann der gleichgerichtete Druck Sarkozys, der um die Kredite der französischen Banken und seine Wiederwahl bangte. Andere Länder wie Österreich haben ja seit Jahren überhaupt keinen Politiker, der europapolitisch mitsprechen oder auch nur mitdenken könnte.

Diesem Druck gab die harmoniesüchtige deutsche Bundeskanzlerin schließlich nach. Was sich von Tag zu Tag mehr als große Katastrophe herausstellt. Dieser erste große Fehler war dann der Vater aller weiteren: vom Ankauf dubioser Staatspapiere durch die EZB bis zum Neudrucken einer Billion Euro, vom „Stabilitätsmechanismus“ EFSF bis zum „Stabilitätsmechanismus“ ESM. Beide bringen keine Stabilität, sondern nur die ständig ausgeweitete Haftung aller Euro-Länder für die Schulden der anderen.

Die Ironie der Geschichte scheint es zu sein, dass nicht einmal der politische Hauptzweck dieser Aktion, also die Wiederwahl Sarkozys, erreicht werden dürfte. Damit droht Merkel die doppelte Blamage: einerseits die direkte und indirekte Haftung Deutschlands für die gesamte europäische Schuldenkonstruktion und dazu noch ein sozialistischer Präsident mit nostalgischen Politikideen im zweitwichtigsten Land der EU.

Denn so absurd es klingt: Eine Wiederwahl Sarkozys ist bei all seinen Fehlern noch immer die bessere Alternative als ein Amtsantritt Hollandes. Denn dieser hat sich im Wahlkampf so tief in linke Versprechungen einzementiert, dass er es sich politisch nicht leisten kann, alle zu vergessen.

Von den PIGS zu den FISPIG

Jedoch können sich weder Frankreich noch Europa eine Realisierung seiner Versprechungen leisten. Ob das nun die Bewahrung der von Sarkozy zuletzt (spät, aber immerhin) in Frage gestellten 35-Stunden-Woche ist oder eine Senkung(!) des Rentenalters oder eine Steigerung der Einkommensteuer auf 75(!) Prozent oder eine noch(!) lockerere Geldpolitik der EZB. Jede einzelne dieser Maßnahme würde Frankreich mit Garantie in die Gruppe der PIGS- oder PIIGS-Staaten reihen. Und lediglich Journalisten werden sich freuen, wenn sie dann über neue Abkürzungen wie FIPIGS oder SPIFIG oder FISPIG nachdenken können.

Die schon in breiter Front begonnene Flucht von Anlegern aus dem Euro-Raum wird sich bei einer Wahl Hollandes mit Sicherheit noch mehr beschleunigen. Und es ist dann nur noch eine Frage der Zeit, bis die Anleger auch erkennen, dass selbst Deutschland kein sicherer Anker mehr sein kann. Aus dem Bett, in das sich Merkel mit Sarkozy gelegt hat, kommen Deutschland und mit ihm Europa auch dann nicht mehr heraus, wenn dort plötzlich ein Monsieur Hollande vom alten, längst in Konkurs gegangenen sozialistischen Schlaraffenland träumt.

Auch der niederländische Anker reißt

Diese vielen Fehler der letzten Jahre führen nicht nur in Frankreich, sondern schon reihum zum Zusammenbruch der beteiligten Regierungen. Ist doch fast zeitgleich zum französischen Wahltag auch die Regierung der Niederlande kollabiert. Immerhin sind die Niederlande nach Deutschland der zweitgrößte Stabilitätsanker im Euroraum.

Auch dort hat sich wie bei Le Pen gezeigt, dass die rechtspopulistischen Parteien – in den Niederlanden unter Führung des charismatischen Geert Wilders – nicht für die unpopulären, aber notwendigen Sanierungsmaßnahmen bereitstehen. Selbst wenn man ihnen in Sachen Migrationspolitik in fast allem recht gibt, erweisen sie sich stabilitätspolitisch als ebenso unverantwortlich wie die linken Parteien.

Denn sie alle lehnen jene Sanierungsmaßnahmen ab, die absolut unvermeidlich sind: egal ob man in der EU beziehungsweise im Euro bleibt oder nicht. Wilders wie Le Pen gaukeln den Wählern vor, dass diesen ein neuer Protektionismus, ein Abschließen der Grenzen etwas nutzen würde. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Protektionismus hat jedes Land langfristig verarmen lassen.

Bei einem währungspolitischen Alleingang eines Eurolandes wird ein Programm der Schmerzen für dieses Land sogar mit Sicherheit noch viel zwingender: Denn es verliert damit sofort an jeder Kreditfähigkeit. Es muss daher auf jedes weitere Schuldenmachen verzichten und sämtliche Sozialausgaben drastisch straffen; und seine Bürger werden viel länger arbeiten und auf Vieles von dem verzichten müssen, was Sozialdemokraten und Gewerkschaften ihren Anhängern als dauerhafte Errungenschaften verkauft hatten. Ein Land, das das nicht tut, landet in der Mega-Inflation, die in Europa schon einmal Massenelend und eine kriegerische Mega-Katastrophe ausgelöst hat.

Das gleiche Ergebnis brächte die Politik Hollandes und vieler europäischer Sozialdemokraten. Deren Kern: Statt Sparen Geld drucken.

Peinliche Medien-Begeisterung für Melenchon

Hinter der großen europa- und stabilitätspolitischen Bedeutung der französischen Wahl hat der erste Durchgang aber auch ein erfreuliches Waterloo für viele Medien gebracht. Haben sich diese in ihrem linken Fanatismus doch in großer Zahl für den linksradikalen Kandidaten Jean-Luc Melenchon begeistert. Nach dem ersten Wahldurchgang ist der Mann jedoch mit 11,1 Prozent weit abgeschlagen an vierter Stelle gelandet, nur knapp vor dem schillernden Zentristen Bayrou (9,1).

Mit Melenchons Sprüchen von 100-prozentigen Einkommensteuern ab einer bestimmten Grenze kann man zwar bei der wenig intelligenten französischen Intelligenz ein wenig punkten; diese ist  ja noch mehr als die anderer europäischer Länder von spätpubertärer Revolutionsgeilheit geprägt. Aber die Mehrheit der Franzosen ist doch ein wenig vernünftiger. Dies hatten ja auch schon die Wahlgänge nach dem Jahr 1968 gezeigt: Damals errang die Rechte große Wahlsiege, nachdem die linken Studenten und Arbeiter monatelang das Land mit ihren wilden revolutionären Aktionen lahmzulegen versucht hatten.

Der Sieg der Vernunft hat aber seine Grenzen. Auch die Franzosen greifen noch immer nach jedem Strohhalm, der ihnen eine Alternative zu den furchtbaren Schmerzen einer Sanierung zu bieten scheint. Und wenn man damit zugleich einem verachteten Macho namens Sarkozy eine Ohrfeige geben kann, dann wird eben ein Papier gewordener Anachronismus namens Hollande zum Favoriten für das französische Präsidentenamt.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com. 

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Europa darf kein Kontinent von armen Leuten werden

21. April 2012 23:42 | Autor: Helmut Graser
Rubrik: Gastkommentar

Ein Gespräch mit Richard Sulik, dem ehemaligen slowakischen Parlamentspräsidenten und Vorsitzenden der Partei SaS, über Flat Tax, EU und Slowakei und warum er bei den österreichischen Steuerzahlern noch ein Bier gut hat.

Richard Sulik ist Vorsitzender der Partei SaS (Slobodna a Solidarita, Freiheit und Solidarität) in der Slowakei. Von ihm stammt das Konzept für die 19 Prozent Flat Tax, die von der Regierung Mikulas Dzurinda 2004 eingeführt wurde. Der studierte Ökonom begann seine politische Karriere als Berater des damaligen Wirtschaftsministers Ivan Miklos. Die Partei SaS trat 2009 erstmals bei einer Wahl an, verfehlte aber bei der Europawahl den Einzug in das Europäische Parlament. Nach der slowakischen Parlamentswahl 2010 war die SaS Teil einer Mitte-Rechts-Regierung, Sulik wurde Parlamentspräsident.

Das Regierungsbündnis zerbrach an der Frage des ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) bzw. des EFSF. Hatte sich ursprünglich die gesamte Regierung gegen einen dauerhaften Rettungsschirm ausgesprochen, änderten die Parteien SDKU und KDH (beide auf europäischer Ebene Teil der Europäischen Volkspartei EVP) ihre Meinung und stimmten gemeinsam mit der sozialistischen Partei Smer dafür. Seit der Neuwahl in der Slowakei im März dieses Jahres ist die SaS in Opposition. Richard Sulik, der zum Teil in Deutschland aufgewachsen ist, ist außerhalb der Slowakei vor allem durch deutsche Talk-Shows zur Frage der Griechenlandhilfe und des sogenannten Euro-Rettungsschirms bekannt geworden.

In der Slowakei waren vor kurzem Wahlen. Wie interpretieren Sie das Wahlergebnis?

Die Sozialisten haben grandios gewonnen. Es gab zwei Hauptgründe. In erster Linie war es die Zerstrittenheit innerhalb der Rechtsparteien. Premierministerin Iveta Radicová hatte in ihrer eigenen Partei keinen Rückhalt mehr. Zweitens gab es diese Unterwürfigkeit gegenüber Brüssel. Ich kann das verstehen im Jahre 1998. Das war nachdem wir Vladimír Meciar hatten. Wir waren auf dem besten Wege nach Weißrussland.

Dann kam Dzurinda, ein junger frischer Politiker, und hat gesagt: „Ich werde euch zurück nach Europa bringen. Ich sorge dafür, dass Me?iar wegkommt und ich werde Reformen machen." Ich kann verstehen, dass damals alles der Priorität „wir wollen in die EU und in die NATO“ untergeordnet wurde. Aber in den vergangenen vierzehn Jahren hat sich die Situation geändert. Es ist jetzt eben an der Zeit, vielleicht ein bisschen mehr Selbstbewusstsein an den Tag zu legen und auch manchmal zu fragen: Ist das wirklich gut für uns und warum sollen wir dem zustimmen?

Zum Beispiel der Erweiterung des Schutzschirmes.

Das ist ein sehr gutes Beispiel. Denn die Slowakei zahlt nämlich am meisten, wenn alle Garantien schlagend werden. Im Durchschnitt muss ein Deutscher 120 Stunden für diese Verbindlichkeiten arbeiten, ein Slowake aber 300 Stunden. Da ist ein Unterschied. Der zweite Grund war, dass es auf der linken Seite nur eine einzige Partei gibt, die gekommen ist und gesagt hat: „Wählt mich. Ich verspreche euch Stabilität und Sicherheit."

Welche Rolle hat die Gorilla Affäre gespielt?

Gorilla ist ja nicht die Gesamtaufnahme der Korruption innerhalb der vergangenen zehn Jahre, sondern eine Momentaufnahme zu einem gewissen Zeitpunkt, Ende 2005, Anfang 2006. Und das ist der dritte Grund für das Wahlergebnis.

Noch einmal zurück zu dieser Entscheidung betreffend des Rettungsschirmes. Sowohl Miklós, als auch Radicová selbst waren ursprünglich eher auf Ihrer Linie.

… voll. Das war unsere gemeinsame Linie. Aber irgendwann haben sie ihre Meinung geändert. Wenn ich mit Miklós (Finanzminister der Regierung Radicová, Anmerkung) spreche, sagt er mir: „Jaja, du hast vollkommen recht mit deinen ökonomischen Argumenten". Sage ich „Na gut, dann sage bitte du mir einen Grund, warum wir das trotzdem tun sollten?". „Ja, weil das ist Geopolitik." Das ist alles? Geopolitik.

Klingt gut und keiner versteht etwas von Geopolitik.

Ja, eben. Dann braucht man nicht mehr argumentieren. Dann habe ich ein anderes Mal mit Dzurinda gesprochen: „Wenn wir das ablehnen, würde Brüssel doch eine andere Lösung finden, und zwar recht schnell.“ Sagt er: „Ohne Frage, innerhalb von drei Tagen, aber dann würde Radicová in Brüssel keiner mehr die Hand reichen". Sage ich: „Na gut, für 7,7 Milliarden einmal nicht die Hand reichen …“

Und da kam kein Druck auf Sie, dem Rettungsschirm zuzustimmen? Die Liberalen im Europäischen Parlament sind ja auch voll auf dieser Linie?

Ja, was ich nicht verstehe. Die haben mir einen Brief geschrieben. Auch Westerwelle, ebenfalls von einer liberalen Partei, hat mich angerufen und gesagt: „Herr Sulik, ich bin sicher, sie werden sich richtig entscheiden." Sage ich: „Haben Sie keine Angst. Wir werden das bestimmt richtig entscheiden." Darauf hat er nicht gewusst, was er sich denken soll. Also mich überrascht das bei den Liberalen – was weiß ich, sind wir keine liberale Partei?

Da gibt es viele Interpretationen.

Also ich interpretiere das so: Wir sollten für mehr Freiheit kämpfen. Die rechts sind, kämpfen für mehr unternehmerische Freiheit, die die liberal sind, kämpfen für mehr persönliche Freiheiten. Deswegen ist unsere Partei eine rechtsliberale Partei. Zu mehr persönlichen und unternehmerischen Freiheiten gehört, weniger Steuern zu zahlen.

Das war ja eines der Erfolgsmodelle der Slowakei. Erinnern wir uns, als Dzurinda bzw. Miklós die 19 Prozent Flat Tax eingeführt haben.

Ja, das war ich. Der Miklós war dagegen und ich war sein Berater damals. Und dann ist es irgendwie gelungen.

Das war ein massives Argument auch in Österreich für die Senkung der Steuern. Österreich ist damals auf 25 Prozent bei der Körperschaftssteuer gegangen. Das wäre ohne 19 Prozent in der Slowakei nicht gekommen.

Dann habe ich ein Bier gut beim österreichischen Steuerzahler.

Mindestens eines. Das müssen wir aber in der Slowakei trinken, da ist weniger Steuer drauf.

(Lacht): Ich habe mir einmal das deutsche Steuersystem angeschaut. Die haben das noch komplizierter. Und dann kommt noch der Herr Eichel (ehemaliger SPD-Finanzminister Anm.) und sagt: „Eine komplexe Wirtschaft braucht ein komplexes Steuersystem". Also das würde ich zum dümmsten Spruch des Jahres küren.

Rechnen Sie damit, dass sich das System in der Slowakei jetzt ändert unter Fico?

Ja. Er will die Flat Tax abschaffen. Aber wissen Sie, das sind die Sozialisten. Die haben das Geldausgeben – Geld von anderen Leuten – im Blut.

Aber die Leute scheinen das zu schätzen. Es ist irgendwie bequemer.

Ja, aber das ist zu billig. Es wird die gesamte slowakische Wirtschaft schädigen. Nicht nur, dass ich davon überzeugt bin, wir haben ja bereits Erfahrungen. Wir haben den Steuersatz gesenkt und innerhalb von zwei Jahren hat sich die Steuergrundlage fast verdoppelt. Sie ist um 92 Prozent angestiegen. Werden die Steuern erhöht, wird sie eher sinken als weiter ansteigen.

Es mehren sich Stimmen, die eine stärkere Entwicklung der EU in Richtung „Vereinigte Staaten von Europa“ befürworten. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Ich sehe das aus zwei Gründen negativ: Denken wir zurück an die Grundidee der Europäischen Union. Zuerst war das eine Organisation zur Sicherung des Friedens. Das ist vollkommen gelungen. Also das ist für mich der wichtigste Grund, warum es gut ist, dass es die EU gibt und warum es gut ist, dass die Slowakei beigetreten ist. Und damals, als die EU entstanden ist, hat es diese vier Freiheiten gegeben: Freier Verkehr von Kapital, von Waren, Dienstleistungen und Personen. Man hat sich gesagt, wenn es mehr Freiheit gibt, dann werden die Leute mehr Handel treiben. Das war gut, solange man sich daran gehalten hat.

Dann kam aber immer stärker die Regulierung und jetzt es ist Europa eine Regulierungsbehörde. In der Lissaboner Strategie steht zwar, wir wollen die am dynamischsten wachsende Wirtschaft werden, gleichzeitig kommen aber Sozialschutz, Umweltschutz, und alles Mögliche. Die geben sich zehn zum Teil entgegengesetzte Ziele und wundern sich dann, dass die Strategie nicht aufgeht. Dasselbe wird mit der Strategie 2020 passieren. Wenn sich noch irgendwo etwas bewegt, dann wird es reguliert.

Die EU, da wo sie hätte zeigen können, dass es funktioniert, bei der Verteidigung oder bei der Außenpolitik, da ist doch von der Frau Asthon das ganze Jahr lang nichts zu hören. Die hat bereits ein Amt mit 4000 Beamten. Ich möchte wissen, was die machen. Die Slowakei und auch alle anderen Länder haben doch ihre Auslandsvertretungen, haben ihre Außenminister. Also wenn das richtig gut funktionieren würde, wäre das heute schon abgeschafft. Da könnten wir ein bisschen Geld sparen.

Würden Sie das akzeptieren, eine tatsächlich europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Kein slowakischer Außenminister mehr?

Ja, ich könnte mir das vorstellen. Ja, für die Slowakei könnte ich mir das vorstellen.

… die Franzosen werden das nie akzeptieren und die Briten noch weniger.

Ja gut, aber dann sollen sie nicht mit der EU spielen. Kein Spitzenpolitiker bewirbt sich freiwillig für ein Spitzenamt in der EU.

Da sieht man dann wo die wirkliche Macht ist.

Ja eben. Wenn wir also jetzt wirklich so tun, dass wir die Vereinigten Staaten von Europa wollen, dann vergleichen wir einmal mit den USA. Für die US-Präsidentenwahl, da gibt es einen richtig Andrang und einen richtigen Kampf. Aber Herr Van Rompuy, der entsteht einfach so. Da haben sich zwei, drei Leute geeinigt und haben das mit 20 andern abgesichert und dann ist er auf einmal gewählt.

Der kleinste gemeinsame Nenner.

Ja. Einer, der nicht zu viel eigene Meinung hat und nicht zu viel stört und auf jeden Fall gehorcht.

Mit der Eurokrise gab es auch den Vorschlag der Trennung in Nord- und Südeuro.

Es gibt keinen ökonomischen Grund, warum die Südländer das machen sollten. Was Griechenland helfen würde ist, dass sie sofort aussteigen und ihre eigene Währung einführen. Übrigens, Griechenland war ja schon einmal in einer Währungsunion mit Italien und anderen Ländern und hat dort ständig Schulden gemacht. Die anderen Länder sind deswegen ausgestiegen. Man muss die Griechen sich selbst überlassen.

Rechnen Sie damit, dass der Euro hält, oder fällt die Euro-Zone auseinander?

Das ist eine gute Frage. Sie wird bestimmt nicht auseinanderfallen, wenn Griechenland aussteigt, dann wird der Euro fester werden. Wir werden gewinnen, wenn Griechenland, vielleicht Portugal aussteigen. Nur Spanien, ich denke, das ist einfach von der Größe her nicht zu bewältigen, dass Spanien aussteigen kann, Italien schon gar nicht. Dann kann es passieren, dass eben die Nordländer sagen „Ok, wir gehen jetzt". Und wenn zwei Euro-Zonen entstehen, ist das ein Auseinanderfallen des Euro? Wahrscheinlich ja. Wissen Sie, es ist die Frage, wie man es definiert. Dass alle 17 Länder zu ihrer nationalen Währung zurückkehren halte ich für recht unwahrscheinlich aus heutiger Sicht.

Das würden Sie aus Sicht der Slowakei nicht anstreben?

Die Euro-Zone hat ja schon ihre Vorteile, nur die Regeln müssen endlich eingehalten werden.

Immer mehr Kapitalismuskritiker freuen sich über das Scheitern des Finanzkapitalismus und propagieren verschiedene alternative Wirtschafts- und Geldsysteme. Was halten Sie davon?

Ich habe ein mulmiges Gefühl, wenn ich mir die realen Warenströme im Vergleich zu den Finanzströmen ansehe. An einem Tag werden beispielsweise 20 Milliarden an Waren umgesetzt und 900 Milliarden an irgendwelchen Krediten, Swaps, Optionen usw. Noch vor 20 Jahren hat sich das ungefähr gedeckt. Dass man deshalb aber alles verbieten muss, da bin ich mir nicht sicher. Ich denke, man muss die Regeln einhalten. Beispielsweise die Regel, dass, wenn die Gewinne privatisiert werden, die Verluste nicht sozialisiert werden dürfen. Man macht es aber leider, bei riesengroßen Pleiten heißt es dann immer „too big to fail“.

Bankenrettung ist ein gutes Stichwort. Das Argument sind dann die unabsehbaren Folgen, der Bank-Run, man weiß nicht, wie die Bevölkerung reagiert.

Da haben die Politiker nicht den Mut. Das muss man als Tatsache zur Kenntnis nehmen. Deswegen können wir uns durchaus eine Regulierung vorstellen, eine vernünftige Regulierung der Finanzmärkte.

Der vor kurzem verstorbene Ökonom Roland Baader hat in einem seiner letzten Interviews gemeint, eine private Parallelwährung sollte eingeführt werden.

Die Nationalbanken oder die EZB die sind da sehr streng. Die bewachen ihr Monopol sehr streng und verbieten Parallelwährungen. Ich würde das durchaus erlauben. Wenn beispielsweise meine Bank eine Parallelwährung, gedeckt mit Gold und Immobilien oder mit irgendwelchen Werten, einführt, würde ich nicht eingreifen. Aber das darf man ja nicht. Wenn jetzt alle Länder auf einmal auf den Goldstandard umstellen würden, dann wäre das wahrscheinlich eine gute Idee. Wenn das aber ein Land macht, dann endet das langsfristig beim Beispiel Schweiz.

Die kommen dann unter Aufwertungsdruck.

Ja, sehr stark. Wobei ich nicht verstehe, warum die nicht einfach Franken drucken und dafür Gold kaufen. Jetzt wird der Franken immer stärker und wertet immer mehr auf. Ich würde so lange Gold aufkaufen, bis das aufhört. Wenn er anfängt unter eine gewisse Grenze zu fallen, dann würde ich das Gold wieder verkaufen und auf diese Weise die gedruckten Franken wieder aus dem Umlauf nehmen.

Die Österreicher, wenn wir jetzt von der ökonomischen Schule sprechen, sagen ja überhaupt weg von Zentralbanksystemen hin zu rein privaten Währungen.

Naja, eine Zentralwährung hat schon viele Vorteile, und ist ja auch viel objektiver, wenn sie dann auch gedeckt ist mit Werten. Ich hätte das nie für möglich gehalten was jetzt in der EZB passiert. Zu Zeiten eines Wim Duisenberg war das wahrscheinlich ausgeschlossen. Da wird eine Billion Euro in den Markt gepumpt, das ist 15 Mal das slowakische Bruttoinlandsprodukt. Zu einem Prozent für drei Jahre. In drei Jahren machen sie es wieder, da bin ich überzeugt davon.

Wenn nicht schon früher.

Ja.

Das bedeutet Inflation.

Ja.

Also eigentlich genau das was man vermeiden wollte, was die Maastricht-Kriterien mit den strengen Regeln für die EZB verhindern sollten, wird jetzt durch die Politik der EZB eingeführt.

Genau. Inflation und Abwertung gegenüber anderen Währungen. Da höre ich schon die Leute: „Naja, die Exporte werden billiger, die Importe teurer, das ist doch gut." Aber man bestiehlt doch die eigenen Leute. Wenn das gut ist, na gut, dann binden wir doch unsere Währungen an die chinesische Währung, weil die ist doch so stark unterbewertet. Aber hier werden die eigenen Leute bestohlen. Irgendwann wird Europa ein Kontinent von armen Leuten sein, die sich nichts aus dem Ausland kaufen können, die nicht ins Ausland verreisen können. Also das wollen wir ja nicht.

Früher haben die Regierungen das Vermögen ihrer Bürger durch Kriege zerstört, jetzt zerstören sie es durch Inflation.

Ja. Man bestraft vor allem die Leistungsträger. Aber auch die einfachen Leute.

Noch eine Frage zur Wirtschafts- und Steuerstruktur der Slowakei. Wissen Sie, wie viele Prozent der Leute noch Netto in das System einzahlen? Wir haben in Österreich weniger als ein Viertel, die noch netto in das System einzahlen. Das heißt, es ist systemisch unmöglich, dass eine Partei eine Mehrheit bekommt, die das System umdrehen würde.

Die Zahlen werden ähnlich sein. Wir haben 5,4 Millionen Einwohner, 2,3 Millionen arbeiten, aber da müssen Sie die abziehen, die Nettoempfänger sind. Ich denke das Steuersystem sollte keine Sozialfunktionen haben. Als ich noch zur Schule ging hieß es, das Steuersystem hat eine wirtschaftspolitische Funktion, eine sozialpolitische Funktion, eine Investitionsfunktion und den ganzen Mist. Das ist einfach nicht wahr. Das Steuersystem ist da, um Geld von den Leuten aufzutreiben. Also sollte es gerecht sein, neutral, einfach und wirksam. Wissen Sie, die Politiker spielen gerne. Im wirklichen Leben wären die meisten Politiker nicht in der Lage, einen Kiosk zu führen, und dann spielen sie gerne mit großem Geld. Vor allem mit fremdem Geld.

Sie sind aber auch Politiker.

Naja gut, aber ich sehe mich nicht als Politiker …

… als Quereinsteiger?

… schon eher als Ausnahme. Ich bin eher der Beschützer der Steuerzahler.

Das Gespräch führten Helmut Graser (Unternehmensberater in Wien und Herausgeber des Echos) und Rainhard Kloucek (Generalsekretär der Paneuropabewegung Österreich) für die nächste Ausgabe des „ECHO der himmelschreienden Diskriminierung österreichischer Steuerzahler“ (siehe www.conwutatio.at).

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Der geplante Verfassungs-Putsch im Mai

17. April 2012 00:42 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

Für Mai 2012 plant unsere Regierung den großen Verfassungsputsch. Zum 700 Milliarden EURO plus-Monster „Europäischer Stabilitäts-Mechanismus“ soll das Parlament Ja und Amen sagen und dann auf ewig seinen Mund halten. Die Exekutive will das Parlament buchstäblich „entmündigen“. Der ESM ist eine Mega Bad Bank, die uneinbringliche Schulden zahlungsunfähiger Staaten (PIIGS) aufnimmt, um sie von den reichen Staaten (D, NL, FIN, AT) und ihren Bürgern „bedienen“ zu lassen.

Allein der Finanzminister als „Gouverneur“ der neuen Mega Bad Bank ESM soll in Brüssel unwiderruflich entscheiden, welche Unsummen wir aufzubringen haben und wohin unser Steuergeld zu fließen hat. Der von Bundeskanzler Faymann am 2. Februar 2012 unterzeichnete Knebelvertrag ist ein totalitärer Anschlag auf das Verfassungsrecht, auf den Primat des Nationalrats und  die  Souveränität unseres Staates in Finanz- und Budgetfragen.

Zur Unterstützung gescheiterter Staaten werden uns Bürgern auf Generationen hinaus die Mittel entzogen, die wir selbst dringend brauchen, um wenigstens halbwegs über die Runden zu kommen, unsere Sozialnetze vor dem Zerreißen zu bewahren, die Infrastruktur zu erhalten und unserer Jugend jene Ausbildung zu ermöglichen, die sie für ihren Lebenskampf braucht.

Was ist beabsichtigt?

Der einzige Zweck des Putsches ist die Entschuldung schwacher EURO-Staaten zu Lasten der starken und ihrer Bürger. Es soll also genau das geschehen, was bei Einführung des EURO ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Niemals hätten Deutsche oder Österreicher der Einführung des EURO zugestimmt, wäre ihnen gesagt worden, sie müssten die Schulden anderer Staaten bezahlen oder für sie bürgen. Der Gedanke an eine „Schuldenunion“ war für alle Regierungen und sogar für den Mr. Euro, Herrn Claude Juncker, in den 90er Jahren so absurd wie „eine Hungersnot in Bayern“.

Das wurde vertraglich eisern und unmissverständlich in der „No-Bailout“-Klausel (heute Art. 125 AEUV) fixiert: „Kein Staat haftet oder zahlt für einen anderen Staat“. Und ausdrücklich wurde verboten, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Gelddruckmaschine anwirft, um Staatsschulden zu finanzieren. Im Mai 2010 wurden durch die Staatschefs im Zusammenwirken mit der EZB in einer Nacht- und Nebelaktion die Verträge gebrochen.

Ein einmaliger Vorgang: Die Staatschefs, die auf die Verfassung eingeschworen sind, brechen das Recht und machen genau das, wofür jeder Bürger bestraft wird. Das war das Ende des Rechtsstaats in Europa. Seit diesem Rechtsbruch kam es auf rund zehn Gipfeltreffen zu einer Kette von illegitimen „Rettungsmaßnahmen“, welche die zahlenden Euro-Mitglieder zugleich mit den „beschirmten“ Schuldnern immer tiefer in den Schuldensumpf hineintrieben, in dem sie nun  versinken und ihre Freiheit verlieren. Denn ohne Recht gibt es keine Freiheit.

Der Putsch durch ein neues „Ermächtigungsgesetz“

Mit dem ESM-Vertrag wird einer kleinen Gruppe von Personen, dem aus den Finanzministern der Euro-Mitglliedsstaaten bestehenden „Gouverneursrat“ (Art. 5), eine praktisch unkontrollierbare, politische und finanzielle Macht übertragen.

Bei dieser ungeheuerlichen Kompetenzübertragung steigt selbst dem „Grünen“ EU-Freak Alexander van der Bellen „die Galle hoch“, wie er im Standard vom 30. März 2012 schreibt: „Nur weil die Regierungschefs pfeifen, haben Abgeordnete noch lange nicht zu springen. Sind Parlamente nichts als zeitraubende Schwatzbuden? Gilt jetzt als billiger Populismus, wenn Abgeordnete sich gegen autoritäre Strukturen wehren?“

Seine Fragen sind berechtigt, denn das ESM-Gesetz (es hat noch keinen Namen) ist nur mit dem „Ermächtigungsgesetz“ Hitlers aus dem Jahr 1933 vergleichbar. Dieses wurde im Reichstag (am 23. März 1933) damit begründet, dass es „dem beabsichtigten Zweck nicht genügt, wollte die Regierung sich für ihre Maßnahmen von Fall zu Fall die Genehmigung des Reichstags erhandeln und erbitten." Frau Fekter will einen Ausschuss des österreichischen Parlaments gerade noch „informieren“ und ihm allenfalls eine „begleitende Kontrolle“ einräumen, mehr nicht. Mit den Abnickern aus den Regierungsparteien glaubt sie schnell fertig zu werden. Und sie hat wohl recht damit.

Die Gewaltenteilung ist aufgehoben, die Exekutive hat die Legislative längst in die Tasche gesteckt. Die Abgeordneten lesen ja großteils nicht einmal die Gesetze, die sie beschließen, ihr Verständnis für komplizierte Finanztransaktionen ist beschränkt. Sie merken gar nicht, dass durch den bevorstehenden Verfassungsputsch das Königsrecht des Parlaments, die Repräsentation des Bürgers in Budgetfragen, durch ihre Zustimmung ausgehebelt wird. Immerhin werden wenigstens FPÖ und BZÖ den Knebelvertrag ablehnen, die „Grünen“ jedoch zustimmen. Sie verhandeln bereits, wie uns van der Bellen unterrichtet, mit der Regierung, und wie die Verhandlungen dieser Partei von Heuchlern mit der Regierung ausgehen werden, ist jetzt schon gewiss.

Der Putsch ist der eigentliche Skandal

Der Putsch durch eine unscheinbare Verfassungsänderung, mit der alle ursprünglichen Prinzipien der Europäischen Währungsunion (EWU) auf den Kopf gestellt werden, ist der eigentliche Skandal. Der ESM selbst gehört nicht zum EU-Recht, er beruht auf einem eigenen völkerrechtlichen Vertrag, der nach luxemburgischen Gesellschaftsrecht eine Art Aktiengesellschaft ins Leben ruft („a special purpose vehicle“, also eine „Zweckgesellschaft). Doch weil die „Verfassung“ der EU, der sog. „Lissabonvertrag“ (EUV und AEUV), von höherem Rang ist, dürfen völkerrechtliche Verträge zwischen den EU-Mitgliedern nicht der EU-Verfassung widersprechen.

Daher wird eine Verfassungsänderung notwendig. Diese, angeblich so „unscheinbare Verfassungsänderung“ geschieht durch einen Zusatz zu Art. 136 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der EU), der das Bailout-Verbot aufhebt. Der Zusatz lautet:

„Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren“.

Begleitet wird die jetzt die Einrichtung dieses „Stabilitätsmechanismus“ durch einen „Fiskalpakt“, der die Staaten zur Haushaltsdisziplin anhält, Er erwies sich jedoch schon bei der Unterzeichnung am 21. März 2012 als Placebo und wurde gebrochen. Spanien kündigte an, die Vorgaben nicht einhalten zu können. Der Fiskalpakt wird, so die Erwartung aller Fachleute, wohl das gleiche Schicksal erfahren wie der bei Schaffung der Währungsunion verabschiedete „Stabilitätspakt“ mit den bekannten „Maastricht-Kriterien“ (3 Prozent Defizit, 60 Prozent Gesamtverschuldung).

Er wurde ebenfalls schon bei der Einführung und später noch ungefähr sechzig Male gebrochen. Es lohnt sich nicht, diesen „Fiskalpakt“ näher zu betrachten, er dient allein dazu, den Abgeordneten eine Ausrede für ihre illegitime und gewissenlose Zustimmung zum ESM-Vertrag zu liefern. Ganz abgesehen davon stellt der streng keynesianische WIFO-Ökonom Stephan Schulmeister die Sinnhaftigkeit des Fiskalpakts immer weder mit guten Gründen in Frage Würde der Fiskalpakt durchgeführt wie geplant, so würde das gerade die „Rettung“ jener Staaten vereiteln, die Hilfen aus dem ESM in Anspruch nehmen müssen und alle anderen mit in die Depression stürzen. Schon werden Wachstumsprogramme aufgelegt, welche die Schulden gleich wieder erhöhen und den durch den Fiskalpakt vorgeschriebenen Schuldenabbau aufheben.

Die Regelung zur Einrichtung des ESM soll im „vereinfachten Vertragsänderungsverfahren“ gemäß Artikel 48, Absatz 6, EUV (EU-Vertrag) erfolgen. Der einzige Zweck dieses „vereinfachten Verfahrens“ ist die Ausschaltung der Parlamente und die Nichtabhaltung von Volksabstimmungen in Ländern, wo dies für die Ratifikation völkerrechtlicher Verträge und ihrer Änderung notwendig ist. Weil durch den ESM-Vertrag das ganze EURO-Konstrukt auf den Kopf gestellt wird, kommt dies einer Gesamtänderung der Verfassung  gleich, für die in Österreich eine Volksabstimmung zwingend erforderlich ist. Um sie zu vermeiden, deklarierte man einfach diese „unscheinbare“, in Wahrheit aber umstürzende, einer Revolution gleichkommende Einfügung zum Gegenstand des vereinfachten Verfahrens! Jetzt ist in Österreich nur noch eine 2/3-Mehrheit im Nationalrat für die Aufhebung des Bailout-Verbots notwendig.

Nach dem Lissabon-Vertrag ist durch eine „Nichtbeistandsklausel“ in ganz unmissverständlicher Weise das Bailout verboten:

„Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein“ (Art. 125 AEUV).

 Durch die Aufhebung  dieses  Kernstücks der nach deutschem Vorbild konzipierten „Stabilitätsunion“, wird die Europäische Währungsunion zu einer Schulden-, Haftungs- und Transferunion. Eine grundlegendere Verfassungsbestimmung, durch welche die ursprünglichen Prinzipien der EWU vollkommen verändert werden, ist kaum denkbar. Bundeskanzler Faymann hat sich vor den Wahlen zum Nationalrat verpflichtet, jede grundlegende Veränderung der Lissabonverträge einer Volksabstimmung zu unterziehen. Jetzt versucht er sich mit „dirty tricks“ seiner Verpflichtung zu entziehen und wird wortbrüchig.

Im Schuldensumpf für alle Ewigkeit

Der ESM-Vertrag enthält keine Auflösungs- und Austrittsklauseln. Er verpflichtet alle künftigen Generationen unseres Landes in alle Ewigkeit die Schulden anderer Länder zu übernehmen und zu bedienen, und das auf Kosten des eigenen Wohlstands. Die Haftung ist praktisch unbegrenzt. Wir haben uns nämlich verpflichtet, die Anteile am ESM auch jener Länder zu übernehmen, die Hilfen aus dem ESM erhalten oder ihren Vertragsverpflichtungen nicht nachkommen.

Suchen alle in Frage kommenden Länder, die so genannten „PIIGS“ (Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien) um Hilfen an, dann können sich unsere Haftungen und Zahlungen verdoppeln oder verdreifachen. Außerdem werden die Kredite des IWF vorrangig zurückgezahlt und bedient, sodass auch dadurch das Haftungsrisiko nochmals erheblich steigt.

Nach der Zustimmung zum ESM sind wir  Österreicher praktisch an einer „Gesellschaft mit unbeschränkter Haftung“ beteiligt, aus der wir nicht mehr herauskommen und damit „erpressbar geworden“ sind (Prof. Hans-Werner Sinn). Wir befinden uns dann auf dem sicheren „Weg in die Katastrophe“ (Prof. Max Otte). Schon seit den ersten, noch bescheidenen Beteiligungen konnten wir uns der ständigen „Aufstockungen“ und „Erweiterungen“ der nutzlosen Rettungsschirme nicht erwehren. Jetzt betragen Zahlungen und Haftungen für uns Österreicher mehr als 50 Milliarden EURO!

Wofür die zahlungskräftigen EURO-Mitglieder bereits zahlen und  haften

Wofür und in welchem Ausmaß wir Österreicher zahlen und haften müssen, weiß in Wahrheit niemand. Frau Fekter gab zuletzt (im „Standard“ vom 1. April 2012) eine Summe von 40 Milliarden EURO an, doch vergaß sie dabei die Zinsen und die bereits eingetretenen Ausfälle, nicht zuletzt verursacht durch Spekulationen von inländischen Banken. Zahlreiche Banken müssen Abschreibungen auf ihre Beteiligungen im Ausland vornehmen, die das Steueraufkommen mindern.

Die Steuerausfälle müssen von den Bürgern Österreichs durch erhöhte Zahlungen abgedeckt werden. Durch die bereits außer Kontrolle geratene Inflation erfolgt zusätzlich zur höheren Besteuerung eine „kalte Enteignung“ der Vermögen und Realeinkommen. EZB und Notenbanken haben die Geldschleusen geöffnet, neue Blasenbildungen zeichnen sich ab, die eher früher als später platzen und zu weiteren Belastungen führen werden.

Eine grobe Übersicht über weitgehend unbestrittene Zahlungs- und Haftungsbeträge der Gesamtheit der EURO-Länder weist folgende Positionen auf:

IWF-Anteil am Rettungsschirm (Haftung EURO-Länder!)

250 Mrd.

Bürgschaften für Hilfen aus dem EU-Haushalt (EFSM)

60 Mrd.

Bürgschaften aus dem EFSF (Vorgänger des ESM)

780 Mrd.

1. Rettungspaket für Griechenland (bilateral inkl. IWF)

109 Mrd.

 Privatentschuldung“ Griechenlands (dafür kommt größtenteils der Staat auf indirekte Weise in Form von Zinsdifferenzgeschenken an die Banken und durch Steuerausfälle auf)

110 Mrd.

EZB Ankäufe von Staatsanleihen der PIIGS (die nie zurückgezahlt werden!)

220 Mrd.

Target 2 Verbindlichkeiten der PIIGS (uneinbringlich!)

650 Mrd.

Geplante Aufstockung der IWF-Beteiligung durch EWU-Länder

150 Mrd.

In dieser horrenden Summe von 2.3 Billionen EURO sind Altbeteiligungen am Kapital des IWF oder der EZB, die natürlich ebenfalls nie zurückgezahlt werden, noch nicht enthalten. Auch die Verluste der EZB durch Abschreibungen auf uneinbringliche Forderungen gegenüber Banken und auf die von ihnen gestellten Sicherheiten („Collaterals“) lassen sich heute nicht beziffern. Die EZB hat ihre Bilanzsumme mit Hilfe ihrer Gelddruckmaschinen in wenigen Jahren auf rund drei Billionen EURO erhöht und damit verdreifacht! Und das bei praktisch stagnierender Realproduktion! Längst wird sie ihrer eigentlichen Aufgabe, für Preisstabilität zu sorgen, nicht mehr gerecht.

Österreich ist an den Unsummen mit ungefähr drei Prozent beteiligt. Wie hoch das daraus resultierende Risiko ist, lässt sich heute noch kaum abschätzen. Wir stecken jedenfalls bis zum Hals im Schuldensumpf.

Der Ausstieg ist machbar!

Trotzdem ist der Ausstieg machbar. Die von dem englischen, bankenunabhängigen Forschungsinstitut „Lombard Street Research“ im Auftrag der Niederländer erstellte Studie „Netherlands and the EURO“ (im Internet leicht abrufbar!) kommt jedenfalls zu dem Schluss, dass selbst der sofortige Ausstieg auf jeden Fall für die Niederländer weit billiger käme als die Weiterführung der Währungsunion bis zum Jahr 2015 oder darüber hinaus. Selbst wenn die bereits geleisteten Zahlungen und noch bestehenden Zahlungsverpflichtungen voll abgeschrieben werden müssten, ist der Nutzen aus dem Ausstieg höher als die Kosten.

Die Studie räumt ein für allemal mit der falschen Behauptung auf, die Niederländer hätten von dem Beitritt zur Währungsunion „profitiert“. Tatsächlich war der Beitritt von Beginn an mit erheblichen Wohlstandsverlusten verbunden. Geringere Zuwächse an BIP und  Realeinkommen pro Kopf, Zunahme an prekären Arbeitsplätzen, höhere Budgetdefizite, höhere Arbeitslosenraten, höhere Abschreibung auf Leistungsbilanzüberschüsse, höhere Inflationsraten, Einbußen an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Ländern wie Schweiz und Schweden lassen deutliche Nachteile aus der Mitgliedschaft in Währungsunion erkennen. Für die Niederländer wäre der sofortige Ausstieg aus der Eurozone sehr zu empfehlen. Die Gefahr einer überbordenden Aufwertung der eigenen Währung (dem Niederländischen Gulden) besteht nicht.

Die Ergebnisse dieser gründlichen Studie können ganz ohne Zweifel in hohem Maße auf Österreich übertragen werden. Auch für Österreich gilt, dass der schnellstmögliche Ausstieg aus der Währungsunion, die Nichtbeteiligung am ESM und die Rückkehr zur eigenen Währung die weitaus günstigste Option wäre.

Damit aber entsteht eine Verpflichtung für alle Abgeordneten, Journalisten, Meinngsführer und für alle Bürger, denen das Wohl des Landes und der künftigen Generationen am Herzen liegt, sich mit allen Kräften gegen den Putschversuch zu stemmen. Wenn wir diesen geplanten Putsch nicht verhindern, wird die ESM Mega Bad Bank sich auf uns legen wie eine Krake und mit ihren Fangarmen noch den letzten Blutstropfen aus unseren Adern saugen, bevor wir endgültig im Schuldensumpf versinken.

Friedrich Romig lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Er war Mitglied der Europakommission der Österreichischen Bischofskonferenz. In seinem jüngsten Buch „Der Sinn der Geschichte“ (Regin-Verlag, Kiel 2011) bringt er die Gefahr der Entwicklung der Europäischen Union zu „Vereinigten Staaten von Europa“ in den Zusammenhang mit der Herausbildung der Neuen Weltordnung („Ordo Novus Saeculorum“).

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Sparen sollen die anderen

17. April 2012 00:16 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Vom einstigen Staatsbankrott Argentiniens über die gegenwärtige Megakrise Spaniens bis zu Österreichs wachsenden Schuldenproblemen zieht sich ein blutige Spur: Während die Zentralregierungen irgendwann doch erkennen – wenn auch meist schon viel zu spät –, dass es mit der Big-Spender-Politik nicht mehr weitergeht, schmeißen die jeweiligen Provinzen weiter mit nicht eingenommenem Geld um sich. Das ist auch dann zutiefst provinziell, wenn die Provinzen beispielsweise Bundesländer heißen.

Diese Provinzialität hängt zum einen schon damit zusammen, dass in Provinz- und Landesregierungen in der Regel niemand mit einem sonderlichen volkswirtschaftlichen oder währungspolitischen Sachverstand sitzt. Ein solcher gehört ja nicht wirklich zur Job-Beschreibung, wenn jemand in die Regionalpolitik eintritt. Dort wird man meist nur dann erfolgreich, wenn  man möglichst viele Kreisverkehre, Kindergärten, Sommerfestivals oder Freizeiteinrichtungen eröffnet. Aber nicht, wenn man für Sparsamkeit, ausgeglichene Budgets und globale Wettbewerbsfähigkeit eintritt. Solche Eigenschaften werden von den Wählern – wenn überhaupt – dann höchstens nur bei Angehörigen von Zentralregierungen geschätzt.

Besonders schlimm wirkt sich der Provinzialismus aus, wenn sich die Provinz-Capos bei ihren Einnahmen nicht gegenüber dem Steuerzahler verantworten müssen, sondern nur beim jeweiligen Finanzminister ihr Geld zu holen haben. Wie es etwa in Österreich der Fall ist, wo (bis auf geringfügige Ausnahmen) der Finanzminister die Bürger sowohl für den Bund wie auch die Länder schröpft. Statt dass auch jede Landesregierung selber den Bürgern gegenüber ihre Einnahmen und Ausgaben rechtfertigen müsste.

Die Länder müssen in Österreich nur alle fünf Jahre das Verteilungsmatch gegen den Finanzminister gewinnen. Da gewinnt immer die Provinz. Dies schon deshalb – so absurd das eigentlich ist –, weil sie an politischer Artikulationsmacht neun Mal so viel Stimmgewicht haben wie der einsame Finanzminister. Das wird in den nächsten Wochen wohl auch Maria Fekter erleben. So wie ihre roten, blauen und schwarzen Vorläufer.

Sie hat es ja besonders schwer, weil sie gegen die Front der Landeshauptleute und Landesfinanzreferenten nicht einmal die Unterstützung des eigenen Bundeskanzlers hat. Dieser hält sich wie ein nur wenig interessierter Unbeteiligter abseits. Obwohl Werner Faymann eigentlich selber im Europäischen Rat der Regierungschefs die Verpflichtung auch zur Sparsamkeit der Bundesländer unterschrieben hat.

Bundesländer: Nur keine Sparregeln

Fekter will die Bundesländer zu dauerhaften Haushaltsregeln zwingen. Was die aber keinesfalls wollen. Damit machen die Landeshauptleute eines klar: Sie haben in keiner Weise verstanden, dass die Zeiten der Schuldenmacherei dauerhaft vorbei sind. Sie haben nicht verstanden, dass jedes einzelne Bundesland die Kreditwürdigkeit der ganzen Republik bedrohen kann.

Die Bundesländer hüllen ihre Sparunwilligkeit in einen Wust von Worten. So als ob es letztlich entscheidend wäre, was genau schon bei welcher Sitzung beschlossen worden ist. Es kann nur um eines gehen: Was ist notwendig und sinnvoll?

Noch absurder ist die Argumentation etwa des Wiener Landeshauptmannes, dass man zuerst wissen müsse, was man einnehmen werde, bevor man sich bei den Ausgaben zu Sparsamkeit verpflichten könne. Michael Häupl: „Man kann nicht künftige Ausgaben planen, ohne die Einnahmen zu kennen.“ Der natürlich gegebene Zusammenhang zwischen Einnahmen und Ausgaben dürfte aber in einer logischen Welt nur dazu führen, dass man die Ausgaben stets anpassen oder so zurückhaltend planen muss, damit man stets mit den Einnahmen auskommt. Keinesfalls kann jedoch die Konsequenz aus diesem Zusammenhang sein, dass man bei den Ausgaben tun kann, was man will, weil halt niemand die Einnahmen im Voraus genau planen kann.

In der Volkswirtschaft und Konjunktur ist es eben nicht so wie bei Beamtengehältern, dass man schon zehn Jahre voraus genau weiß, was man verdienen wird (auch wenn die Wirtschaftsforschungsinstitute mit ihren aufs Zehntel Prozent genauen Prognosen diesen Eindruck zu erwecken versuchen – aber mit ihren Prognosen bekanntlich immer total falsch liegen).

Entmündigung als Ideallösung

Gewiss kann man den Fekterschen Plänen entgegenhalten, dass die Verdonnerung zu Strafzahlungen für ein schon überschuldetes Bundesland irgendwie kontraproduktiv ist. Die Exekution von Strafzahlungen ist in einem konkreten Anlassfall ökonomisch wie politisch kaum durchzustehen.

Aber die Alternative kann ja nicht darin bestehen, dass die Bundesländer weiterhin ungehindert sündigen dürfen. Die wahre und wirklich sinnvolle Alternative wäre es, ein unerlaubte Defizite produzierendes Bundesland zu entmündigen, ihm einfach bestimmte Ausgaben zu verbieten, das Land zum Abbau von Beamten und zum Verkauf von Landesbetrieben zu zwingen. So wie es ein Bundesland gegenüber einer bankrotten Gemeinde tun kann. So wie es die EU nun in ersten Ansätzen gegenüber sündigen Mitgliedsstaaten tut. Da aber die Bundesländer Niederösterreich, Kärnten und Wien auf Grund ihrer Schuldensucht als erste besachwaltert werden müssten, ist es klar, dass eine solche Konstruktion erst nach einer noch viel größeren Krise kommen wird. Derzeit sind die drei Landesfürsten in all ihrer dumpfen Engstirnigkeit die politischen Schwergewichte ihrer Partei. Und sie können dort alles verhindern.

Aber auch bei den nun diskutierten Plänen automatischer Strafzahlungen wird von den stolzen Plänen der Ministerin halt kaum etwas überbleiben. Die Landeshauptleute wollen nur eines: wiedergewählt werden und nicht sparen.

SPD-Hilfe für Fekter

Viel besser waren die Karten der Ministerin gegenüber der Schweiz. Da hat sie wider alle Prophezeiungen von Opposition und Skeptikern sehr rasch und schnell das Abkommen zur Besteuerung der Gelder von Auslandsösterreichern durchgebracht. Was ihr zusammen mit den zuletzt überraschend breit fließenden Steuereinnahmen hilft, das Defizit zu reduzieren (vom Schuldenabbau sind wir freilich noch weit entfernt).

Das ist ein schöner Erfolg für die hantige Oberösterreicherin. Fekter hat dabei zweifellos von dem populistischen Taktieren der deutschen Linksparteien profitiert, die vorerst das parallele Abkommen zwischen Deutschland und der Schweiz sabotieren. Sie lehnen – zumindest bis zu den nächsten Regionalwahlen – aus taktischen Gründen ein solches Abkommen ab. Das hat wiederum die Schweiz dazu motiviert, möglichst rasch und unkompliziert mit den Österreichern zu verhandeln, um so die Fronten der Gegner aufzuspalten.

Besser die Milliarde in der Hand als die reine Lehre auf dem Dach

Das Herumstänkern eines pensionierten Wiener Universitätsprofessors gegen ein solches Abkommen ist absurd. Denn die Alternative wäre lediglich, dass Österreich vorerst gar kein Geld bekommt. Statt eines Abkommens nur darauf zu warten, dass die EU eines Tages kollektiv die Schweiz dazu zwingen kann, die Namen und Daten aller ausländischen Kontobesitzer herzugeben, kann noch Jahre dauern. Wenn es überhaupt jemals so weit sein wird. In dieser Zeit würde kein Geld nach Österreich fließen.

Außerdem sind die meisten Gelder aus Österreich schon so lange in der Schweiz, dass alle Steuervergehen inzwischen verjährt sind. Daher würde auch eine konkrete Nennung der Namen von Geld-Flüchtlingen durch die Schweiz nichts bringen.

Echte Steuerhinterzieher haben in den letzten Jahren daher meist längst den Weg in asiatische und lateinamerikanische Destinationen angetreten. Wer heute Geld in der Schweiz hat, tut dies überwiegend nur noch deshalb, weil er darauf vertraut, dass dort das Geld sicherer angelegt ist als in Österreich. Und dass sich der Franken besser entwickeln wird als der Euro. Was beides keine ganz grundlosen Annahmen sind.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Kurzanalyse zur politischen Situation: Die Piraten kommen

13. April 2012 23:42 | Autor: Herwig Hösele
Rubrik: Gastkommentar

Die Piraten kommen – so könnte der kleinste gemeinsame Nenner einer Kurzformel zur deutschen und österreichischen Politik im April 2012 lauten. Jedenfalls könnten die Piraten den Einzug in zwei deutsche Landtage im Mai schaffen und in Österreich machen im Wochentakt neue Parteien und „W(M)utbürger“-Gruppen von sich reden.

Vor allem in Österreich scheint das Unbehagen am gegenwärtigen politischen System einen neuen Höchststand erreicht zu haben. „Stillstand und Anstand“ hatte Josef Pröll vor ziemlich genau einem Jahr bei seinem Abschied aus der Politik als die zwei Hauptproblemfelder benannt. Daran hat sich im Bewusstsein der Bevölkerung trotz des Konsolidierungspaketes der Bundesregierung nichts geändert – im Gegenteil, fast hat es den Anschein, als könnte das Krebsübel Korruption Österreichs Demokratie von innen zerstören.

Auch wenn es wichtig ist, für Anstand und saubere Spielregeln zu sorgen und bei Missständen rasch durchzugreifen und nichts relativiert werden soll: Es ist nicht so, dass Korruption ein Phänomen des Österreich 2011/12 wäre. Immer wieder gab es seit 1945 Phasen, in denen Korruption verstärkt an die Öffentlichkeit geriet: Krauland, Haselgruber, Olah, AKH Wien, Bauring Wien, Autobahn Strengberg etc. Entscheidend ist, wie damit umgegangen wird. Die Selbstreinigungskraft der Demokratie ist gefordert, Transparenz ist ein Gebot.

In diesem Klima nimmt es nicht Wunder, dass nicht nur die „Piraten“ mit diffusem Programm angespornt durch die deutschen Wahlerfolge in Österreich bei den nächsten Nationalratswahlen kandidieren wollen, sondern, dass über diverse neue Parteien spekuliert wird: Die Online Partei Österreichs (OPÖ) hat sich bereits konstituiert, die Gruppe „Österreich spricht“ ebenfalls, was Frank Stronach macht, ist noch offen. „Mein Österreich“ sammelt bereits Unterschriften für das Demokratiebegehren.

Umfragen zeigen, dass die „Piraten“ allen Parteien, auch den Grünen, die ebenfalls bereits zum Establishment gezählt werden, Stimmen wegnehmen.

Für das BZÖ kann das Antreten einer neuen Partei sogar existenziell gefährlich werden – in Österreichs Nationalratswahlrecht gilt ja die 4-Prozenthürde. Andererseits sieht es so aus, als ob keine der drei Parteien, die mit über 20 Prozent gemessen werden, also SPÖ, FPÖ und ÖVP – die nunmehr schon relativ lang relativ konstant auf Platz 3 rangiert –, über 30 Prozent kommen wird.

Es stellt sich also die Frage, welche Koalitionsbildung nach der Nationalratswahl 2013 möglich sein wird – viel wird auch davon abhängen, ob neben SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grünen noch eine weitere Partei ins Parlament kommt. Das ist bei mehreren weiteren Kandidaturen und der Verkleinerung des Nationalrates von 183 auf 165 Abgeordnete mehr als offen.

Faktum ist es, dass sowohl SPÖ als auch ÖVP in der Koalition erodieren – kamen sie 1986 – vor Bildung der Großen Koalition 1987 – noch auf 84,4 Prozent der gültigen Stimmen, erhielten sie 2008 nur mehr 55,2 Prozent und jetzt laut Umfragen nur mehr knapp über 50 Prozent. 2008 war übrigens die Gruppe der Nicht- und Ungültigwähler erstmals größer als die stimmenstärkste Partei. Die SPÖ erhielt 1,430.206 Stimmen und fiel erstmals unter die 30-Prozentgrenze, es gab 1,445.800 Nicht- bzw. Ungültigwähler.

Die letzten Umfragen zeigen folgendes Bild, wobei auffällt, dass die FPÖ zwar auf Platz 2, Strache in der Kanzlerfrage aber nur auf Platz 3 rangiert – ein Hinweis darauf, dass die FPÖ hauptsächlich als Protestpartei wahrgenommen wird.

Parteien Nationalratswahl

Datum

Institut/Medium

SPÖ

ÖVP

FPÖ

BZÖ

GRÜNE

NRW2008

Endergebnis

29,26

25,98

17,54

10,70

10,43

12.3.12

OGM/Kurier

28

24

27

4

15

19.3.12

Market/Standard

29

24

27

4

15

23.3.12

Hajek/Format

29

23

27

6

13

6.4.12

Karmasin/profil

29

23

27

2

13

8.4.12

Gallup/Österreich

28

22

28

4

14

 

Fiktive Kanzler-Direktwahl

Datum

Institut/Medium

Faymann

Spindelegger

Strache

Glawischnig

Bucher

12.3.12

OGM/Kurier

18

16

15

7

3

19.3.12

Market/Standard

22+5*

9+5

9+5

23.3.12

Hajek/Format

19

12

14

 6

4

6.4.12

Karmasin/profil

18

14

13

 6

8.4.12

Gallup/Österreich

22

16

14

*plus Nachfrage bei Unentschlossenen

GALLUP hat für „Österreich“ auch erhoben, was ein Antreten der Piraten- bzw. der Stronach-Partei bewirken würde, die übrigens derzeit 7 (Piraten) bzw. 6 Prozent (Stronach) erreichen würden:

„Am meisten würden laut Gallup SPÖ und FPÖ verlieren. Beide würden von 28 Prozent auf rund 25 Prozent stürzen. Die ÖVP bliebe mit 22 Prozent stabil. Stark betroffen wären die Grünen: Diese würden dann auf nur noch zehn Prozent kommen. Für das BZÖ wäre dies das Ende: Es würde auf maximal drei Prozent kommen und aus dem Nationalrat fliegen.“

Deutschland: Überlebenskampf der FDP, Kanzlerin Merkel im Hoch

Die Piraten kommen – das kann man nach dem sensationellen Berliner Wahlergebnis und dem überraschenden Einzug in den Saarländer Landtag im März 2012 feststellen. Umfragen sagen auch ihren möglichen Einzug in die Landtage in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen voraus, wo am 6. bzw. 13. Mai vorzeitig gewählt wird. Umgekehrt wird der FDP in beiden Landtagen das „Aus“ prophezeit, so wie es schon im Saarland und bei den Landtagswahlen davor erfolgte.

Auch bundesweit verfehlten die traditionsreichen Liberalen die deutsche 5-Prozenthürde in den letzten Monaten deutlich (erst die nach Ostern veröffentlichte Forsa-Umfrage gibt wieder einen Hoffnungsschimmer), sodass der CDU sowohl auf der Bundesebene als auch in den Ländern ein potentieller Koalitionspartner abhanden kommen könnte, was für Angela Merkel umso schmerzlicher wäre, weil sie selbst seit Monaten im Popularitätshoch ist – wohl auch wegen ihrer Rolle in der Euro-Diskussion. So konnte sich die CDU im Saarland überraschend deutlich in der Führungsrolle behaupten. Andererseits ging der Frankfurter Oberbürgermeister-Posten verloren.

Ob die „Piraten“ ohne klare Führungsstruktur und mit wenigen programmatischen Positionen mehr als ein politisches Kurzzeitphänomen sind, wird sich weisen. Im Saarland wurden sie sogar stärker als die Grünen, denen sie deutlich Stimmenpotential abgraben (dasselbe Bild zeigt auch die jüngste bundesweite Umfrage). Die Linke scheint ebenfalls bereits ihren Zenit überschritten zu haben – sogar in der Heimat von Oskar Lafontaine, also im Saarland, wo er einmal Ministerpräsident und auch Oberbürgermeister der Landeshauptstadt war, gab es deutliche Verluste, bei den beiden anderen Landtagswahlen ist das „Aus“ prognostiziert.

Die jüngste bundesweite Umfrage (Forsa) ergab folgendes Bild in Prozent – Gewinn/Verlust gegenüber der Bundestagswahl 2009:

CDU/CSU

36

+ 2,2

SPD

24

+1,0

Grüne

11

+ 0,3

Piraten

13

+ 11,0

Linke

8

- 3,9

FDP

5

- 9,6

Die Landtagswahl im kleinsten deutschen Bundesland, im Saarland mit rund 800.000 Wahlberechtigten, war notwendig geworden, weil die schwarz-gelb-grüne Jamaika-Koalition unter CDU-Ministerpräsidentin Kramp-Knarrenberger zerbrochen war. Nunmehr wird eine CDU/SPD-Koalition unter ihrer Führung erwartet. Das Wahlergebnis vom 25. März in Prozent – Gewinn/Verlust zur letzten Landtagswahl (Die Wahlbeteiligung lag bei 61,6 %, das sind - 6,0 %):

CDU

35,2

+ 0,7

SPD

30,5

+ 6,1

Linke

16,1

- 7,2

FDP

1,2

- 8,0

Grüne

5,0

- 0,9

Piraten

7,4

+ 7,4

In Schleswig-Holstein tritt der CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen nicht mehr an. Es duellieren sich der bisherige Landesminister Jost de Jager (CDU) und der Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig (SPD) als Spitzenkandidaten. Es gilt ein Machtwechsel als sehr wahrscheinlich, da die FDP der CDU als potentieller Koalitionspartner abhanden zu kommen droht.

Eine Dimap-Umfrage von Ende März ergibt folgendes Bild in Prozent – Gewinn/Verlust gegenüber der letzten Landtagswahl:

CDU

34

+ 2,5

SPD

32

+ 6,6

Grüne

15

+ 2,6

FDP

4

- 10,9

Linke

4

- 6,0

SSW

4

- 0,3*

Piraten

5

+ 3,2

*für den SSW (Südschleswigschen Wählerverband) gilt die 5-Prozenthürde nicht, weil er die Partei der dänischen Minderheit ist und ungeachtet dieser Hürde in den Landtag kommt.

Am 13. Mai wählt das einwohnerstärkste deutsche Bundesland – Nordrhein-Westfalen – vorzeitig. Dort wurde 2010 eine CDU-geführte Regierung durch eine rot-grüne Koalition abgelöst, die zwar keine Mehrheit im Landtag hatte, aber in wichtigen Abstimmungen die Mehrheit durch FDP oder Linke erhielt. Kürzlich scheiterte sie an der FDP bei einer Budgetabstimmung, die sich damit selbst ins Out manövrierte.

Rot-grün hat gute Chancen unter Ministerpräsident Hannelore Kraft an der Macht zu bleiben, da der CDU-Herausforderer Bundesumweltminister Norbert Röttgen – an sich ein Hoffnungsträger der Union – sich einen schweren taktischen Schnitzer leistete, indem er sich nicht festlegen wollte, ob er im Fall einer Wahlniederlage Oppositionsführer in Düsseldorf wird, was alle dahingehend deuteten, dass er dann in Berlin in seinem Ministeramt bleiben will.

Die Umfragesituation von Ende März zeigt folgendes Bild in Prozent – Gewinn/Verlust gegenüber der letzten Landtagswahl:

CDU

32

- 2,6

SPD

40

+ 5,5

Grüne

12

- 0,1

FDP

4

- 2,7

Linke

3

- 1,6

Piraten

5

+ 3,4

Professor Herwig Hösele war Präsident des Bundesrates (ÖVP) und ist als Geschäftsführer der „Dreischritt GmbH" und der „public opinion GmbH" publizistisch tätig. Er erstellt vor allem politische und strategische Analysen.

Rückfragen unter h.hoesele@dreischritt.at bzw. 0664 / 18 17 481.

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Das Alternativlos

13. April 2012 03:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Wie hat man doch emsig, beinah virtuos
mit tönenden Phrasen gelogen,
für uns aber schamlos das mieseste Los,
das Alternativlos gezogen!

Wohin wir auch blicken, bedienen sich nur
Halunken, von Dreistigkeit trunken –
was sind das für Brüder, wo gibt’s eine Spur
von Freude, von göttlichem Funken?

Bereits Billionen verschlang das Konstrukt,
vertan auf verworrenen Pfaden,
indes wird Europa von andern verschluckt,
und wir haben Spott noch zum Schaden.

Man sträubt sich beharrlich – auch das weckt Verdacht –
zumindest das Gold heimzuholen,
ja selbst uns zu sagen, wer wo es bewacht –
verhehlt man gar, dass es gestohlen?

Statt dessen wird weiter ein Irrweg borniert
als alternativlos verteidigt,
wird weiter sophistisch herumschwadroniert,
wird Hausverstand gröblich beleidigt:

Europa, so heißt’s, sei ein Friedensprojekt
und dürfe schon darum nicht scheitern –
wenn hilflos der Karren im Schuldensumpf steckt,
kann solches bloß bitter erheitern.

Und ist man verwickelt in Kriege zugleich
für Ziele, die nicht unsre Sache,
erweist es noch mehr sich als ehrloser Streich,
denn uns hier trifft letztlich die Rache.

Daher endlich Schluss mit gefrömmeltem Schein
von Alternativlosereien!
Nur Mut, um vereint ein entschlossenes Nein
dem Wahnwitz entgegenzuschreien!

Pannonicus

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Rettersyndrom mit Infrarot oder: Das Lob des Nichts-Tuns

10. April 2012 00:30 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es ist in 90 Prozent der Fälle das Beste und Richtigste, was Politiker tun sollten: Nichts. Aber gerade das fällt ihnen am schwersten. Weil sie doch wichtig sein wollen. Weil Nichts-Tun doch unpopulär klingt. Weil der elektronische und gedruckte Boulevard doch ständig nach hektischer Aktivität der Politik ruft. Gerade noch das Osterwetter hat man ihnen bisher nicht zur Rettung aufgehalst – während sie aber schon längst sogar das Weltklima ununterbrochen retten sollen und wollen.

Diese Klimarettung wird ja mit großer Sicherheit einst in die Geschichtsbücher als die große vielbelachte Skurrilität dieser Epochen eingehen. Ähnlich dem Glauben an den Weltuntergang rund um das Jahr 1000 oder ein paar Jahrhunderte später jenem an die Erde als Mittelpunkt des Weltalls.

Aber abgesehen vom Kriegführen haben die Politiker durch ihr Tun, durch ihre Einbildung, ständig etwas retten zu müssen, zweifellos in der Wirtschaft den größten Schaden angerichtet. Nur einige aktuelle Beispiele für verheerende Folgen des Rettungs-Wahns der Politik: So ermöglichte es die Rettung der ÖVAG (Österreichs oberster Volksbank) durch die Politik dem ganzen Volksbank-Sektor, sofort wieder aggressiv die Konkurrenz anzugreifen. Aus Tirol berichtet die Bank Austria etwa von einer Volksbank, die ihren Kunden zusammen mit der Wohnfinanzierung für zwei Jahre eine Eigenheimversicherung und dazu eine Infrarotkabine im Wert von 5390 Euro schenkt. Was unter normalen Umständen ein lustiger Wettbewerb ist, wird durch das Eingreifen des Staates kriminell.

Denn die Konkurrenz ist zu Recht empört: Bedient sich doch die Politik für ihre Rettungsaktionen zunehmend in den Kassen jener Banken, die überhaupt noch eine solche an Stelle eines riesigen Lochs haben. Das Maximalste, was die Politik bei der ÖVAG genauso wie bei der Hypo-Alpen-Adria tun hätte sollen, wäre es gewesen, eine geordnete Abwicklung sicherzustellen, also ein chaosfreies Zusperren.

Aber durch ihr ständiges manisches Helfersyndrom macht sie alles noch viel schlimmer. Wenn man nämlich verhindert, dass kranke Firmen sterben, wenn man diese zu Lasten der gesunden rettet, macht man eine ganze Branche kaputt. Und es gibt nur wenige Bankexperten, die nicht überzeugt sind, dass es in Österreich viel zu viele Banken gibt.

Schumpeters mutiges Rezept

Der große österreichische Ökonom Joseph Schumpeter hat daher auch schon vor über hundert Jahren das Hohelied der schöpferischen Zerstörung gesungen. Nur wenn man das Alte sterben lässt, kann Neues, Besseres, Zukunftsfähiges entstehen. Denn weder im Leben noch in der Wirtschaft kann es etwas Ewiges geben. Und so schmerzhaft es auch ist, wenn altvertraute Firmen und Arbeitsplätze untergehen, so sehr ist dieser Untergang doch notwendig, um den Wohlstand aller zu verteidigen.

Das hat auch die deutsche Politik nicht begriffen, so gut Deutschland – als Folge von zwei Jahrzehnten gewerkschaftlicher Lohnzurückhaltung – heute an sich im Vergleich zum Rest der Eurozone dasteht. Aber dennoch gilt: Auch Europas stärkstes Land wird sich noch ein paar Kapitalfehler wie die Rettung von Opel nicht leisten können. Opel war und ist einfach in dem mit gewaltigen Überkapazitäten ausgestatteten globalen Automarkt ebensowenig überlebensfähig wie Italiens Fiat.

Aber die Politik begreift das nicht. Oder sie traut sich nicht, es den Wählern zu sagen. Wie auch das nächste Beispiel zeigt: Vor allem die SPD, aber auch die CDU und die Grünen wollen nun mit Steuergeld die Drogeriekette Schlecker retten. Als ob es in Deutschland zu wenig solcher Ketten gäbe. Als ob die Konsumenten nur aus Blödheit Schlecker gemieden hätten.

Zum Glück hat die FDP bisher diese teure „Rettung“ verhindern können. Aber niemand weiß, wie lange es diese Partei überhaupt noch gibt. Nach ihrem Tod wäre dem wirtschaftspolitischen Populismus auch in Deutschland überhaupt jedes Tor geöffnet. Denn auch bei der SPD geben nicht mehr die relativ mutigen Münteferings und Schröders den Ton an. Und ob sich Steinbrück durchsetzt, ist mehr als zweifelhaft.

Zwischen Schweden und Österreich

Schweden hingegen hat das Glück einer mutigeren und weniger populistischen Regierung: Unter konservativer Führung hat sich das Land bisher konsequent geweigert, den maroden Autokonzern Saab zu retten. Es ist also kein Wunder, dass Schweden heute das Land ist, in das viele Investoren strömen. Sie wissen zwar, dass die Löhne dort hoch sind. Aber sie wissen auch, dass sie dort nicht wie anderswo ausgeraubt werden, um kostspielige Rettungsaktionen der Politik zu finanzieren.

Sie wissen auch, dass sie dort nicht im österreichischen Ausmaß vom Sozialstaat schikaniert werden: So gibt es etwa in Schweden viel weniger Krankenstandstage, weil jeweils der erste Tag vom Gehalt oder Urlaub abgezogen wird. Was vor allem an Mon- und Freitagen die Präsenz der Arbeitnehmer unglaublich erhöht hat.

Ganz anders in Österreich: Hier hat die Regierung schon in der ersten „Rettungs“-Phase nach Ausbruch der Krise (noch unter Josef Pröll und dem Boulevard-Frühstücksdirektor Werner Faymann) Banken- und Kursgewinnsteuern eingeführt. Heute steht sie vor den Trümmern dieser Politik, ignoriert das aber: Der Umsatz der Wiener Börse ist binnen eines Jahres um nicht weniger als 52 Prozent eingebrochen. Und vergleicht man mit einem fünf Jahre zurückliegenden Zeitpunkt, dann waren damals die Börseumsätze in Wien sogar viermal höher.

Was interessiert mich die Börse, werden da manche fragen. Nun: die Börse ist der international übliche Platz, wo sich Unternehmen das Geld zum Aus- und Aufbau holen. Diese Funktion wird in Zeiten doppelt wichtig, da die Kreditvergabe an Unternehmen auf Grund einer Vielzahl chaotisch und überlappend in Kraft tretender neuer Regulierungsbemühungen der internationalen und österreichischen Politik deutlich schwieriger wird. Gleichzeitig ist ja auch die Sparquote der österreichischen Haushalte dramatisch abgestürzt.

Wenn sich aber die Wirtschaft nicht mehr refinanzieren kann, dann gibt es weniger Arbeitsplätze und weniger Steuereinnahmen. Insofern ist die Börse also für alle wichtig und nicht nur ein Teufelszeug des Karl-Heinz Grasser.

Crashkurs Solarenergie

Ein ähnliches Chaos hat die Politik auch beim Stichwort Alternativenergien angerichtet. Dort ließ sie sich von geschickten und mit der grünmedialen Hysteriemaschinerie verbündeten Geschäftemachern in eine Panik treiben, dass die Welt bald aus Schuld der Menschen den Hitzetod sterben werde. Die europäische Politik hat deshalb die Förderungen für Alternativenergien so gewaltig in die Höhe getrieben, dass das schlimme Konsequenzen hat: Viele Arbeitsplätze wurden angesichts der (zur Finanzierung dieser Förderungen) überhöhten Energiekosten abgebaut oder ins nichteuropäische Ausland transferiert.

Eine Zeitlang konnte sich die Regierungen von Spanien bis ins Wiener Landwirtschaftsministerium rühmen, dass sie dafür viele „Grüne Jobs“ geschaffen hätten. Was jedoch eine Selbsttäuschung war. Denn dabei wurden weit mehr Jobs zerstört als neu geschaffen. Und inzwischen brechen auch diese Grünen Jobs schon wieder nach der Reihe weg. Vor allem China produziert heute billig und massenweise die Solarzellen, die den europäischen Alternativenergiemarkt überschwemmen und von den Förderungen profitieren.Während die europäischen und amerikanischen Fabriken überschuldet zusperren müssen.

Selbst der linke „Spiegel“ musste dieser Tage angesichts einiger Megapleiten zwischen Amerika und Europa zugeben: „Die Asiaten haben die hiesigen Firmen uneinholbar abgehängt – Hauptgrund dafür ist ausgerechnet der Förder-Boom der letzten Jahre.“ Die europäischen Produzenten haben sich auf die fetten Förderungen verlassen und auf die eigene Wettbewerbsfähigkeit vergessen.

Jetzt ist das Fördergeld weg. Und die Politik muss zugleich verschämt ihr Eigenlob als Retterin des Klimas und Schöpferin vieler grüner Jobs verräumen.

Das heißt nun nicht, dass Solarenergie keine Zukunft hat. Aber diese hat sie nur im sonnigen Süden und nicht im oft wochenlang von Wolken und Nebel bedeckten Deutschland oder Österreich. Und jedenfalls hat sie erst dann eine Zukunft, wenn sie konkurrenzfähig ist. Also wenn die Energiepreise auf Grund der  wachsenden Nachfrage so weit gestiegen sind, dass sich auch Solaranalagen ohne Förderungen zu Lasten Dritter rentieren.

Angesichts der hohen Förderungen hat auch weitgehend der entscheidende Anreiz gefehlt, intensiv nach billigen und effizienten Alternativenergien zu forschen. Forschung funktioniert aber immer besser, wenn sich die Wirtschaft ohne wichtigmacherische – dabei jedoch populistisch auf jeden Modetrend hineinfallende – staatliche Einmischung ganz nach dem Marktbedingungen richten kann und muss. Denn nur dann kann sie der angewandten Forschung auch eine sinnvolle Richtung vorgeben.

Innovation statt Bewahren

Diese vielen handfesten Beispiele zeigen: Die Politik soll sich möglichst draußen halten. Fast jedes Mal, wenn sie sich einmischt, entsteht Schaden, oft an ganz unerwarteter  Stelle.

Auch Schumpeter und die Theoretiker der Österreichischen Schule der Nationalökonomie haben schon lange gezeigt: Wirtschaft lebt von der Innovation und Anpassungsfähigkeit, nicht vom Bewahren. Auch wenn dieses sehr populär ist. Aber das Bewahren wirtschaftlicher Strukturen bedeutet in Wahrheit, dass die europäischen Ökonomien auf einen historischen Stand eingefroren würden.

Man denke nur an die Konsequenzen, wenn schon im Gegensatz zur industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts das Bewahren angesagt gewesen wäre: Dann wäre noch mehr als die Hälfte der Menschen in der Landwirtschaft tätig, unter oft erbärmlichen, jedem Unwetter und jeder Dürre ausgesetzten Lebensumständen. Und mit der halben Lebenserwartung von heute.

Unternehmerische Initiative bringt ständige Änderung, Sterben und Neuentstehen. Aber wer sich dem verweigert, stirbt am sichersten. Oder um noch einmal den „Spiegel“ zu zitieren: „Es nutzt dem letzten Hersteller von Kutschen nichts, wenn er seine internen Prozesse und sein Marketing optimiert, wenn die Menschen Automobile verlangen.“

Gelddrucken ist keine Alternative

Und es nutzt schon gar nichts, wenn Europa glaubt, die notwendigen Anpassungen seiner Wirtschaft und vor allem seiner maßlos aufgeblähten Sozialsysteme durch hektisches Drucken von neuem Geld vermeiden zu können. Zwar hat die gigantische Billion Euro, mit denen die EZB die Märkte überschwemmt hat, ein paar Monate lang die Krise wegspülen können. Aber die Überflutungsmethode wirkt immer weniger und immer kürzer: So sind in Spanien schon vor Ostern die Zinsen für die dortigen Staatsanleihen wieder in unfinanzierbare Höhen gestiegen.

Während die Deutschen für zehnjährige Staatsanleihen deutlich weniger als 2 Prozent zahlen müssen, müssen die Spanier  dem Markt trotz der Geldflut inzwischen schon wieder 5,7 Prozent bieten. Was sie nie und nimmer finanzieren können. Beträgt doch die spanische Arbeitslosigkeit jetzt schon 23 Prozent. Und schon die Hälfte der Jungen findet keinen Job mehr – weil der Staat in einer früheren Phase des Rettersyndroms die Jobs so sehr verteuert und auf Gewerkschaftsverlangen „sicher“ (=unkündbar) gemacht hat, dass fast kein Arbeitgeber mehr neue Dauerjobs anbietet.

Aber eines ist absolut gewiss: Eine Rettung Spaniens nach dem Muster Griechenlands würde sämtliche Kräfte Europas überfordern. Selbst wenn sich seine Regierungschefs noch so sehr um kollektives Retter-Gehabe bemühen. Gleichzeitig könnte aber die soziale Unzufriedenheit in dem heißblütigen Land in absehbarer Zeit zu einer Explosion führen, von der niemand unberührt bleibt. Dann aber kann niemand mehr irgendwen retten, weil wir schon so viel gerettet haben.

PS.: Politikern fiele das Nichts-tun übrigens auch dann viel leichter, wenn es viel weniger von ihnen gäbe. Denn jeder Abgeordnete, jeder Minister, jeder Landesrat mehr will zusätzliche Spuren ins Buch der Geschichte eingravieren, also in Wahrheit zusätzliche Schäden verursachen.

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Aufwiegelung

04. April 2012 02:42 | Autor: Wolfgang Hoffmann
Rubrik: Gastkommentar

Dieses Wochenende haben wir ständig in den ORF Nachrichten gehört: „ab Sonntag muss jedes Telefongespräch und jede E-Mail für 6 Monate gespeichert werden." (z.B.: http://orf.at/stories/2112902/) So tönte es zu jeder vollen Stunde im Radio, und am Abend sogar im Fernsehen. Ein ganz normaler Vorgang: Die größte Medienorgel des Landes, finanziert durch unser aller Gebühren, hat uns lediglich über ein neues Gesetz informiert. Irgendwelche Zweifel?

Jetzt überlegt wohl jeder, was er demnächst am Telefon sagt. Wird ja schließlich aufgezeichnet. Und die Liebeserklärung in der E-Mail an die heimliche Freundin, die lassen wir wohl auch lieber weg. Wird ja alles gespeichert! Irgendwelche Zweifel?

Die ersten Zweifel befallen jene Österreicher, die zufällig einen EDV-Techniker im Bekanntenkreis haben. Da kommen dann Meldungen wie: „Sämtliche Speicherkapazitäten (Festplatten, Datenbänder, USB-Sticks…) in Österreich reichen nicht aus, um alle Telefongespräche und E-Mails auch nur ein paar Stunden aufzuzeichnen." Also was jetzt?

Tatsächlich hat der ORF in den letzten Tagen eine glatte Falschinformation verbreitet. Gespeichert werden lediglich Verbindungsdaten, also wer mit wem wann wie lange telefoniert oder E-Mails schickt. Den Inhalt dieser Verbindung – also das Gespräch oder die Mail selbst – kann und will niemand aufzeichnen. Das wäre nämlich ein klarer Bruch des Briefgeheimisses, und somit ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte jedes Bürgers.

Bleibt die Frage: warum verbreitet der ORF so hartnäckig offensichtliche Falschinformation?
Wie bereits dargelegt, werden die Verbindungsdaten von Telefon- und Internetprovidern schon immer gespeichert, alleine schon zum Zweck der Abrechnung. Das neue Gesetz regelt somit einen Wildwuchs, bei dem Fachleute schon immer ein wenig Bauchweh hatten. Dagegen hetzen nun die Journalisten des ORF. Sie informieren nicht, sondern machen Politik. Und sie hetzen gleichzeitig die Bevölkerung gegen das neue Gesetz und seinen Ursprung (EU Kommission) auf. Das erfüllt den Tatbestand der Aufwiegelung.

Wolfgang Hoffmann, Jahrgang 1959, ist Musiker, Unternehmer und Autor.
Siehe:
http://www.woho.at

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Der klamme Fiskus auf Abwegen

03. April 2012 23:42 | Autor: Andreas Tögel
Rubrik: Gastkommentar

Da in Österreich eine ausgabenseitige Budgetsanierung außerhalb der Vorstellungswelt der am Ruder befindlichen rotschwarzen Koalition liegt, wird – insbesondere vom sozialistischen Seniorpartner der Regierung – auf der Suche nach neuen Einnahmequellen jede Menge Phantasie mobilisiert. Die Notwendigkeit zur Beschaffung weiterer Finanzmittel, um einem stetig wachsenden Heer von Staatsbediensteten, Frührentnern, Langzeitstudenten und anderen Minderleistern auch künftig Brot und Spiele bieten zu können, lässt dem Regime gar keine andere Wahl.

Vom Staat – einer, wie kritische Geister anmerken, ihrem Wesen nach „kriminellen Organisation“ – zu erwarten, dass er sich dabei ausschließlich rechtmäßiger Methoden bedient, ist natürlich kindisch. Dass Finanzbeamte Geschäftskontakte zu Kriminellen knüpfen, die ihnen – illegal beschaffte, aber einträgliche – Informationen liefern (in Deutschland ist das längst geübte und von einer breiten Öffentlichkeit gutgeheißene Praxis!), ist daher ganz normal.

Hehlerei, Raub und Diebstahl sind, so hat es der demütige Untertan gelernt und tief verinnerlicht, nur dann strafbare Delikte, wenn diese von Privatleuten begangen werden. Für den Leviathan und seine Büttel gelten – wie immer – gänzlich andere Regeln: „Quod licet Iovi, non licet bovi.“

Die deutschen Steuervögte haben bei der Anwendung dubioser Methoden zur Enteignung ihrer Bürger eindeutig die Nase vorn. Dass die vergleichsweise ein wenig langsamen Austriaken dennoch keine Sekunde vor einer allfälligen Datenhehlerei zurückschrecken würden, hat der rote Staatssekretär im Finanzministerium, Andreas Schieder, allerdings bereits unverhohlen klagestellt, indem er für den Fall des Scheiterns eines einschlägigen Steuerabkommens mit der Schweiz den Ankauf von „Steuersünder-CD´s“ angekündigt hat. Juristisch geschulten Zeitgenossen dürfte es nicht schwerfallen, zu bewerten, ob diese öffentlich erfolgte Feststellung den Tatbestand einer Anstiftung zu einer strafbaren Handlung darstellt…

Verglichen damit wiegt der Umstand gar nicht mehr so schwer, dass Politik und gleichgeschaltete Hauptstrommedien es mit der Wahrheit in Fragen der „Steuerhinterziehung“ nicht besonders genau nehmen. So ist im Zusammenhang mit Auslandsvermögen von Österreichern regelmäßig und ausschließlich von „Schwarzgeld“ die Rede. Es wird – ungeprüft – unterstellt, dass jeder von österreichischen Staatsbürgern im Ausland angelegte Euro notwendigerweise (illegal) am Fiskus vorbeigeschafft wurde.

Was eine völlig aus der Luft gegriffene Annahme ist. Immerhin darf jedermann (zumindest bis dato) frei entscheiden, was er mit seinem Geld anzufangen gedenkt. Die Parteigänger Herrn Schieders mögen sich mehrheitlich dazu entschließen, es zum Branntweiner, ins Kaffeehaus oder zum Gebrauchtwagenhändler zu tragen; Bürgerliche Klassenfeinde neigen indes eher dazu, zu sparen und Zukunftsvorsorgen zu treffen.

Sollten sie dabei, wegen ihres aus vielen triftigen Gründen resultierenden Misstrauens gegenüber der korrupten Alpenrepublik, zum Schluss kommen, ihr sauer Verdientes und Erspartes wäre im Ausland besser aufgehoben, so ist das ihr gutes Recht. Sie verletzen damit keinerlei Gesetz. Legal erworbenes, ins Ausland verbrachtes Geld mutiert daher mitnichten automatisch zu „Schwarzgeld“, wie das vom politisch-publizistischen Komplex unterstellt wird.

Worauf sich die amtliche Schätzung stützt, wonach österreichische Staatsbürger in der Schweiz einen „Schwarzgeld“-Schatz im Wert von 12 bis 20 Milliarden Euro vergraben hätten, wissen allein die beamteten Etatisten. Vermutlich stammen die Zahlen aus erster Hand: Man hat sie sich wohl im Finanzministerium aus den Fingern gesaugt!

Eine vom deutschen Fiskus ins Auge gefasste „Abschöpfung“ von bis zu 34 Prozent dieses Vermögens wäre also, falls es sich dabei um bereits beim Erwerb versteuertes Geld handeln sollte, nichts als pure Behördenwillkür – und glatter Raub. Dass dieser mutmaßlich unter heftigem Beifall der Neidgenossenschaft erfolgte, würde nichts am Unrechtscharakter der Maßnahme ändern.

Natürlich ist über eine allenfalls nicht erfolgte Versteuerung von Erträgen dieser Vermögen zu debattieren. Gegen eine an der Quelle einzuhebende Steuer ist in diesem Zusammenhang kaum etwas einzuwenden (jedenfalls nicht mehr als im Falle der heimischen Variante).

Ein ganz wesentlicher Punkt wird bei der gesamten Diskussion wohlweislich ausgeblendet: Gerade Deutsche und Österreicher sollten wissen, wie wichtig es in unsicheren Zeiten sein kann, über Vermögen zu verfügen, die dem Staat nicht bekannt sind…

Doch wie heißt es so schön: „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit“. Im Krieg der begehrlichen Obertanen gegen die von ihnen ausgebeuteten Untertanen verhält es sich nicht anders…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

Link zur gefährlichen Drohung des Staatssekretärs:
http://www.oe24.at/oesterreich/politik/Sparpaket-Jetzt-fehlen-2-5-Milliarden/60759691

Interview der österreichischen Staatsgazette mit Hans-Hermann Hoppe:
http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/archiv/78534_Hans-Hermann-Hoppe.html

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Die Geschichte der Krise oder: Wenn ein Dauersieger im Wettbewerb untergeht

03. April 2012 00:32 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Wenn einer eine Krise durchlebt, dann kann er was erzählen. Mit den Erzählungen über die Krise der letzten vier Jahre gibt es freilich ein großes Problem: Es kursieren so viele Geschichten über die Krise, so viele teils bewusste Lügen und Ablenkungs-Stories, so viele Irrtümer und Varianten des Wunschdenkens, dass sich die ganze Wahrheit zu dieser Krisen nur noch schwer durchzusetzen vermag.

In drei zentralen Gedanken das, was man heute nach bestem Wissen und Gewissen als Zusammenfassung dessen sagen kann, warum es zu dieser Krise gekommen ist (ganz abgesehen davon, dass es immer Krisen gegeben hat und geben  wird) und was sie bedeutet:

Erstens: All die Stories von Gier, Spekulation und zu kompliziert gewordenen Finanzprodukten erklären gar nichts; denn Gier und Spekulation gibt es, seit es Menschen gibt, ebenso wie scheinbar zu kompliziert gewordene Zusammenhänge; deshalb haben die linken Krisenerklärer Unrecht, die als Krisenursache beklagen, dass heute die Ökonomie mächtiger als die Politik ist; denn das war sie immer.

Zweitens: Viel größere, aber dennoch keine alleine ausreichende Erklärungskraft haben die Hinweise auf eine blasenbildungsfördernde Geld- und Subventionspolitik in Europa, Japan und Amerika, sowie auf die exzessiven und auf historisches Rekordniveau gekletterten Staatsverschuldungen vieler Länder.

Drittens, eine fundamentale historische Erklärung steht über all diesen Faktoren: Die genannten drei Regionen, die in den letzten Jahrhunderten die Weltwirtschaft und damit auch die Weltpolitik beherrscht haben, sind im globalen Wettbewerb gegen die aufstrebenden Schwellenländer entscheidend zurückgefallen, was sich lange nicht, aber dann im plötzlichen großen Erdbeben der Krise umso heftiger gezeigt hat.

Spanien und Irland waren gering verschuldet

Dass die Krise mehr mit Wettbewerbsveränderungen als mit Staatsverschuldung alleine zu tun haben muss, lässt sich an der Tatsache ablesen, dass keineswegs alle jener Staaten, die heute so heftig von der Krise erschüttert werden, vor der Krise eine hohe Staatsverschuldung gehabt haben. In Spanien und Irland war diese – im Gegensatz zu Griechenland und Portugal – sogar besonders niedrig. In diesen beiden Ländern war dafür die Privatverschuldung gegenüber dem Ausland besonders hoch (von Banken, Unternehmen, Privaten).

Allen Krisenländern gemeinsam ist damit, dass sie mehr Produkte und Leistungen des Auslandes konsumiert haben, als sie dem Ausland verkaufen konnten. Sie hatten insgesamt eine hohe Außenverschuldung (egal ob staatlich oder privat) und damit ein großes Zahlungsbilanzdefizit. Das sind zwangsläufige Folgen einer geschrumpften Wettbewerbsfähigkeit. Ein solches „Geschäftsmodell“ muss früher oder später kollabieren.

Nicht der Euro ist schuld, sondern seine falsche Nutzung

Daran ist aber auch nicht der „Euro“ an sich schuld, wie manche Anhänger von Verschwörungstheorien meinen. Jedoch: Der Euro ermöglichte es ein Jahrzehnt lang den südeuropäischen Krisenländern, anstrengungsfrei gut zu leben. Ungeachtet der Tatsache, dass sie die zuvor durch ständige Abwertungen immer halbwegs verteidigte Wettbewerbsfähigkeit gleichzeitig stark absinken ließen.

Die Geldverleiher, die „Märkte“, haben ihnen viel zu billig viel zu viel Geld geborgt; sie haben sich in einem blamablen Vergessen wirtschaftlicher Grundtatsachen zehn Jahre lang nicht mehr die Kreditwürdigkeit ihrer Schuldner angeschaut; sie haben irgendwie an eine magische Wirkung einer gemeinsamen Währung geglaubt. Das Umdenken geschah dann umso heftiger.

Die Ursachen dieses Verlusts an Wettbewerbsfähigkeit sind vielfach und werden sicher noch Anlass zu spannenden Analysen sein. Eine zentrale Ursache der Krise ist jedenfalls, auch wenn es aufs erste paradox klingt, der unglaubliche Erfolg des westlichen Modells. Europa und Amerika haben seit einem halben Jahrtausend einen unglaublichen Aufstieg erlebt. Sie haben ökonomisch, kulturell, politisch die Welt beherrscht. Dieser Aufstieg hat sich in den letzten beiden Generationen seit dem Weltkrieg noch einmal vervielfacht, vor allem weil das EU-Europa zugleich die längste Friedensperiode der Geschichte genossen hat.

Zusammen mit der Nutzung zahlloser wissenschaftlicher Erkenntnisse, mit den Vorteilen einer globalisierten Wirtschaft, mit dem Nutzen eines halbwegs funktionierenden Marktes, mit stabilen demokratischen Verhältnissen, mit der Basis eines korrekten Rechtsstaats hat diese Periode den Menschen zuvor Ungeahntes ermöglicht, den weitaus höchsten  Massen-Wohlstand der Geschichte und eine Rekord-Lebenserwartung bei guter Gesundheit.

Der Sündenkatalog

Aber diese Periode hat Europa selbstzufrieden und müde gemacht. Mit fatalen Konsequenzen auf allen genannten Feldern.

  1. Die schlimmste Katastrophe ist zweifellos der Wohlfahrtsstaat, der in den letzten Jahrzehnten mit zunehmender Verschuldung erkauft worden ist, der immer mehr Menschen ein konsumorientiertes Leben ermöglicht hat, der zugleich viele Bürger und damit auch die Politik die Grundlagen des früheren Erfolges vergessen ließ;
  2. Die Menschen waren sich immer weniger der Notwendigkeit von Leistung und Anstrengung bewusst;
  3. die Schicht wirklicher Leistungsträger wurde durch immer höhere Auflagen und Steuern demotiviert;
  4. immer mehr Menschen glaubten ernsthaft, die Durchsetzung politischer beziehungsweise sozialer Forderungen schaffe die Grundlage des Wohlstandes;
  5. Staaten und EU lähmten die Wirtschaft mit einer ständig wachsenden Fülle von ökologisch, sozial, gesundheitlich und obrigkeitsstaatlich begründeten Regeln und Vorschriften, womit die europäischen Unternehmen im Wettbewerb gegen die sehr freien Konkurrenten in Übersee ständig weiter zurückgeworfen wurden;
  6. zugleich gelang es Panikmachern, den Menschen mit dubiosen Parolen gegen Atome, Gene, Hormone oder Klimakatastrophen Angst vor der Wissenschaft zu machen;
  7. die Gewerkschaften trieben in Tateinheit mit populistischen Politikern die Lohn- und Sozialkosten ständig steiler in die Höhe, als sie zugleich in den konkurrierenden Schwellenländern anstiegen;
  8. dazu kommen zunehmend die Folgen der Geburtenverweigerung: Europa wie Japan werden im Rekordtempo älter. Das wird im nächsten Jahrzehnt zu einem Kippen der sozialen Balance führen. Die rasch schrumpfende Schicht der Arbeitenden wird sich zunehmend weigern, der riesigen Menge an alten Menschen den erhofften Ruhestand mit dem heutigen Pensionsniveau zu finanzieren. Und die Zuwanderer werden sich da erst recht weigern; hatte man ihnen doch Europa nur als ein sozialstaatliches Schlaraffenland vermittelt, das man ganz anstrengungsfrei konsumieren kann.

Aus all diesen und etlichen anderen Gründen weigern sich verständlicherweise China&Co, die heute auf Billionen von Dollar- und Euro-Noten aus ihren emsigen Exporten sitzen, dieses Geld so wie in den letzten Jahrzehnten in europäische Staatsanleihen und Banken zurückzuinvestieren. Sie kaufen sich lieber afrikanische Ländereien, um dort Landwirtschaft und Bergbau zur eigenen Versorgung zu betreiben, sowie europäische Spitzenindustrien, deren Knowhow sie brauchen.

Dementsprechend haben alle großen Schwellenstaaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), also die Machtzentren der Zukunft, die heute schon die Hälfte der Weltbevölkerung stellen, in der Vorwoche bei einem Gipfeltreffen einhellig die egoistische und kurzsichtige Politik des Westens getadelt, sich durch wilde Geldvermehrung einen kurzfristigen Vorteil zu kaufen. Sie weigern sich auch, via Währungsfonds den Schuldenstaaten zu helfen.

Der schöne Schein des Krisen-Endes

Wieso scheint es dennoch seit einigen Wochen so, dass auch die zweite Welle der 2008 begonnenen Krise glimpflich vorbei wäre? Die Antwort ist ziemlich klar: Die europäischen und amerikanischen Zentralbanken drucken wie verrückt Geld, mit denen die Staaten (auf dem Umweg über die Banken) derzeit ihre alten Schulden in neue umwandeln. Das hat die unmittelbare Katastrophenstimmung gemildert. Dennoch versucht jeder sonstige Besitzer dieses Geldes dieses rasch in Sachwerte einzutauschen (seien es Qualitätsimmobilien oder Gold oder brasilianische Aktien).

Das ist natürlich ein Wirtschaftsmodell, das sehr bald platzen muss. Daher ist die Krise zweifellos nur kurzfristig unterbrochen.

Köstlich naiv ist der derzeit boomende Glaube vieler europäischer Politiker und Journalisten, man müsse nur die Dämme der diversen Krisenrettungsmechanismen hoch genug bauen, um jede Katastrophe verhindern zu können: 300 Milliarden, 500 Milliarden, 800 Milliarden, 1,3 Billionen, 10 Billionen: Fast im Wochentakt werden die Summen größer, die Dämme höher, mit denen ein Ausbrechen der Fluten verhindert werden soll.

Notenbanker zurück an die Uni

Aber die Finanzströme verhalten sich ähnlich wie die echten Hochwässer: Mit hohen Dämmen kann man zwar viele kleine Überflutungen verhindern. Kommt dann aber bisweilen das große Wasser, wird die Katastrophe umso größer. Irgendwann bricht immer irgendwo ein Damm, wenn der Druck zu groß wird; oder es steigen die Fluten einfach über jede denkbare Dammgröße hinaus und sind dann ein umso verheerenderer Schwall. Deswegen baut man ja jetzt beim echten Wasser wieder viele eng und hoch eingedämmte Flussläufe wieder zurück, lässt ihnen statt dessen in möglichst großen Flächen die Möglichkeit zur gefahrlosen Ausdehnung, um die menschlichen Behausungen selbst umso effektiver schützen zu können.

Vielleicht sollte man die Notenbanker und Regierungspolitiker Europas und Amerikas in eine Vorlesung über modernen Wasserbau schicken? Vielleicht lernen sie dann, dass man die Europäer in ihrer Unbeweglichkeit, wohlfahrtsstaatlichen Verfettung, Überalterung nicht durch immer höhere Schuldendämme vor den Folgen ihrer rasch schwindenden Wettbewerbsfähigkeit schützen kann. Sondern nur dadurch, dass man diese Wettbewerbsfähigkeit wieder offensiv verbessert. So wie es einst den Amerikanern nach dem Sputnik-Schock oder den Mitteleuropäern nach den Osmanen-Angriffen geglückt ist.

Die ToDo-Liste

Heute wäre natürlich - von der Annahme ausgehend, dass im Atomzeitalter die Auseinandersetzungen ehr wirtschaftlich und weniger militärisch sind - ein anderes, den Herausforderungen angepasstes Maßnahmenbündel nötig, durch das man die Wettbewerbsfähigkeit wieder erhöhen könnte:

Würden Europas Regierungen samt EU diese Ziele mit Schnelligkeit und großer Energie sowie Unterstützung der Menschen verfolgen, dann hätte dieser Kontinent noch eine Chance. Dann wäre das Hochziehen der Krisenpräventions-Dämme sogar sinnvoll, um zeitlich noch ein wenig Luft für die notwendigen Reformen zu gewinnen.

Die Schnellen zu bremsen statt die Langsamen zu beschleunigen?

Jedoch fehlt mir der Glaube, dass Europas Bürger diese Notwendigkeiten noch erkennen können. Weshalb die Politiker sie schon gar nicht erkennen wollen. Beide glauben in ihrer Mehrheit offenbar wirklich, dass durch diese Dämme aus Schulden die Folgen des Wettbewerbsverlustes dauerhaft abgewendet wären.

Ein epochaler Irrtum. Denn damit werden die teuren Schutzdämme zur Hauptursache der nächsten großen Krise. Als Folge konzentriert sich Europa jetzt nicht auf das knappe noch offen stehende Zeitfenster zur Wiedererlangung seiner Wettbewerbsfähigkeit, sondern glaubt offenbar wirklich, dass eine Fiskal- und Sozialunion die richtige Krisenprävention für die Zukunft herstellt.

Vor allem die Sozialdemokraten, aber auch etliche andere Parteien meinen: Wenn einmal die Löhne, Steuern und Sozialleistungen zwischen Griechenland und Deutschland (sowie allen anderen) angeglichen sind, wenn es also innerhalb Europas weniger Wettbewerb gibt, dann gewinnt Griechenland seine Wettbewerbsfähigkeit zurück. In Wahrheit aber tritt das genaue Gegenteil ein: Auch Deutschland und die paar noch halbwegs lebensfähigen Länder werden dann mit absoluter Sicherheit ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Dann gibt es kein böses Blut zwischen Deutschen und Griechen mehr, denn allen wird es gleich schlecht gehen.

Der Merksatz für alle weltfremden Theoretiker: Europa darf nicht seine Schnellsten bremsen, sondern muss die Langsamsten munter machen.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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Der Weg von der Europa-Begeisterung zur Depression

02. April 2012 00:46 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Verheerender kann die Stimmung kaum sein: Nur noch 29 Prozent der Österreicher halten es für einen Nutzen, der Europäischen Union anzugehören. Schon 42 Prozent sehen darin einen Nachteil. So wie diese IMAS-Umfrage zeigen auch viele andere Indizien ein deprimierendes Image der Union. Dagegen rücken zwar regelmäßig die journalistischen, diplomatischen und politischen EU-Verteidiger zum Tadel für die Österreicher aus, all die Vorteile Europas nicht zu verstehen. Doch das ändert nichts. Denn die politisch-mediale Klasse hat ja längst jede Glaubwürdigkeit verloren.

Haben damit jene nachträglich Recht bekommen, die schon immer gegen die österreichische EU-Mitgliedschaft gewesen sind? Gewiss nicht. Denn jede ernsthafte Analyse zeigt, dass Österreich ohne die EU ökonomisch einen katastrophalen Weg gegangen wäre. Genauso klar ist aber auch, dass nichts falscher und schädlicher ist als die mancherorts gepflegte quasireligiöse Europaduselei.

Der Autor darf das mit einer gewissen Legitimation sagen: Er war der erste politische Journalist, der schon in den frühen 80er Jahren für den vollen Beitritt zu den europäischen Gemeinschaften eingetreten ist. Das hat ihm damals viel Tadel eingebracht – insbesondere von Außenamt und Wirtschaftskammer und den Grünen sowieso, die sich heute alle als die Erfinder Europas gerieren. Heute sind die Polsitionen vertauscht. Heute ist der eigene Blick auf die EU sehr kritisch und damit auch selbstkritisch geworden.

Die Union in der Existenzkrise

Die EU hat nicht bloß ein Vermarktungsproblem, wie man sich in Brüssel einreden will. Wir haben nicht nur eine extrem gefährliche, viele Länder erfassende Schuldenkrise. Sondern es stellt sich auch erstmals die Existenzfrage der EU selber.

Bedeutete vor zwei Jahrzehnten der EU-Beitritt für Österreich einen großen Schritt Richtung Modernisierung und Öffnung eines zur Nabelbeschau neigenden Landes, einen Akt der Durchlüftung und Befreiung aus dem erstickenden Mief der allumfassenden großen Koalition und dem real existierenden österreichischen Sozialismus, so hat die EU-Mitgliedschaft heute die gegenteilige Funktion.

In den 80er Jahren war die EU (damals: EG) ein grandioses Bollwerk der Freiheit, der Marktwirtschaft, der Idee eines grenzenlosen Binnenmarkts souveräner Nationalstaaten als Gegenmodell zur kollabierenden kommunistischen Planwirtschaft Osteuropas. Heute ist sie eine Agentur der sinnlosen Umverteilung zu Trittbrettfahrer-Nationen geworden. Heute versucht sie die europäischen Bürgern in präpotenter Art zu entmündigen. Kommission, Rat, Parlament und Gerichtshof wollen wie ein totalitärer Staat immer mehr menschliche Lebensbereiche reglementieren. Immer öfter ertappt man sich daher bei dem Gedanken: Liegt die einzige Überlebenschance Europas etwa gar in einer Neugründung?

Natürlich hatten EWG/EG/EU schon von Anfang an viele Konstruktionsfehler, etwa die Bevorzugung kleiner Mitgliedsstaaten bei Mandatszahlen und Stimmgewichtung. Wenn Malta oder Zypern in vielen Gremien genauso stark wie Deutschland oder Großbritannien sind, dann ist das schlicht undemokratisch.

Aber diese Konstruktionsfehler waren nicht so bedeutend, als es einst nur um eine Wirtschaftsgemeinschaft und dann einen Binnenmarkt ging, die man im Konsens aufbaute. Der freie Fluss und Wettbewerb von Waren, Dienstleistungen, Geld und Arbeitskräften vergrößerte den Wohlstand aller. Die Katastrophe trat erst ein, als sich die Union immer stärker auch zur wohlfahrtsstaatlichen Transferunion und zum überregulierenden Großen Bruder zu entwickeln begann.

Eine Luxemburgerin personifiziert den Absolutheitsanspruch

Die subjektive Lust der Brüsseler Akteure an der Macht ist nachvollziehbar, aber dennoch verderblich. Für mich wird sie etwa durch jeden Auftritt von Viviane Reding verkörpert. Die einstige Journalistin einer kleinen Zeitung (für die ich übrigens auch gelegentlich aus Österreich berichtet habe) stammt aus dem kleinen Luxemburg mit 500.000 Einwohnern. Heute ist sie Kommissarin „für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft“ von mehr als 500 Millionen Menschen. Alleine der Faktor 1000 würde wohl bei vielen ausreichen, um einen Machtrausch auszulösen. Bei Reding kommt hinzu, dass sie aus dem Titel ihres Ressorts auch eine allumfassende inhaltliche Kompetenz ableitet.

Niemand wagt mehr, sie in die Schranken zu weisen. Weder die Mitgliedsländer noch der schwache Kommissionspräsident Barroso. Freilich: Es gibt keine Materie, die nicht irgendwie mit Justiz oder Grundrechten in Zusammenhang zu bringen wäre. Reding ist keine Juristin, sondern Anthropologin, geriert sich aber als Vorgesetzte von 27 Justizministern – und der gesamten Justiz. In den Kompetenzen der Kommission sind allerdings in der Tat neben der Hauptfunktion Exekutive sowohl Gesetzgebung wie Rechtsprechung enthalten. Diese primären Staatsgewalten werden von anderen Verfassungen streng getrennt. Nicht so in der EU.

Dementsprechend präsentiert sich die Luxemburgerin als Großinquisitorin gegen Ungarn, dem sie Vertragsverletzungen vorwirft – weil dort eine Regierung mit Zweidrittelmehrheit das tut, was auch sonstwo (etwa ein Stück donauaufwärts) Regierungen auch ohne Zweidrittelmehrheiten tun, nämlich alle Spitzenfunktionen mit eigenen Leuten besetzen. Am nächsten Tag will sie den unabhängigen Gerichten Österreichs vorschreiben, dass sie den Diffamierungs-Kampagnen des korrupten Diktators von Kasachstan gegen dessen geflüchteten Ex-Schwiegersohn gehorchen sollen. Sie fordert von Österreich in Sachen Korruption bestimmte Maßnahmen (kümmert sich aber kaum um die gigantische Misswirtschaft mit EU-Geldern). Sie will per Gesetz(!) Europas Aktiengesellschaften einen bestimmten Frauenanteil in den Aufsichtsratsjobs vorschreiben. Sie kritisiert den Inhalt niederländischer Webseiten. Sie zwingt die Versicherungen zu Einheitsverträgen für Männer und Frauen (trotz grob unterschiedlicher Risken). Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Aber es wäre zu einfach, das Problem Europas auf eine Personalie zu reduzieren, auch wenn die noch so signifikant ist. Das Problem liegt schon in den unsauberen Verträgen. So kann sich der EU-Gerichtshof über alle in Sonntagsreden beschworene Subsidiarität und föderale Aufgabentrennung hinwegsetzen und mit den Staaten weit willkürlicher umspringen, als etwa die Republik Österreich mit den Bundesländern. Beispielsweise zwingt der EU-Gerichtshof Österreich zur Gleichbehandlung deutscher Studenten – obwohl die Universitäten ausdrücklich von der EU-Kompetenz ausgenommen sind, obwohl manche Studienrichtungen unter dem Ansturm zusammenzubrechen drohen.

Brüsseler Neojosephinismus

Die EU mischt sich auch in tausend andere Dinge wie Glühbirnen, Isolierungen von Hauswänden, Rauchverbote, Gleichbehandlung von Geschlechtern bei der Arbeitsplatzsuche oder die Anzahl von Kindern in Kinderkrippen ein. All das ist zur Herstellung eines gemeinsamen, wohlstandsmehrenden Binnenmarktes überhaupt nicht notwendig und in Österreich vielfach nur Bundesland-Kompetenz.

Für all diese Unsinnigkeiten ist es keine Entschuldigung, dass sie in einer Art Neojosephinismus vielleicht gut gemeint sind. Hinter der Regulierungswut steckt oft eine Allianz zwischen den EU-Beamten und den jeweiligen Fachministern, die mit ihren Anliegen national oft – und zu Recht – nicht durchdringen. Das trifft insbesondere Orchideenressorts wie jene für Frauen oder Umwelt. Nirgendwo in der EU-Maschine gibt es Instanzen oder Menschen, die sagen würden: Hört endlich auf, ihr regulierungswütigen Sozialtechnokraten, das Leben und die Freiheit der Europäer immer mehr abzuwürgen. Man kann hinter der Entwicklung auch eine ideologische Attacke sehen: Die linken Gegner von Freiheit und Marktwirtschaft, die in fast allen Ländern in den letzten Jahren von der Macht vertrieben worden sind, haben nun die EU als ihre Lieblingsplattform entdeckt.

Zugleich aber ist die EU völlig hilflos in jenen Dingen, wo es wirklich ein funktionierendes Europa bräuchte.

Wir haben dort viel zu viel Europa, wo wir es nicht brauchen. Und wir haben viel zu wenig davon, wo es unbedingt funktionieren sollte.

Dieser Beitrag erscheint in ähnlicher Form in der soeben erschienenen neuen Ausgabe der Zeitschrift "Academia".

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Kein Aprilscherz

29. März 2012 23:42 | Autor: Wolfgang Hoffmann
Rubrik: Gastkommentar

Mit 1. April 2012 tritt das Bundesgesetzblatt I Nr. 27/2011 in Kraft, besser bekannt als Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Dann muss jeder Telefon- oder Internetprovider die Verbindungsdaten seiner Kunden mindestens ein halbes Jahr speichern und bei Bedarf den Behörden zur Verfügung stellen. Gespeichert werden keine Inhalte (Telefongespräche, Mails, Bilder, …), sondern nur wer mit wem wann und wie lange in Verbindung war.

Dahinter steckt eine einfache Idee: Wenn alle Bürger rund um die Uhr überwacht werden, sind Straftaten schneller aufzuklären oder sogar zu verhindern. Deshalb feiert die Überwachung nach jedem Terroranschlag, wie etwa zuletzt im Juli 2011 in Norwegen, fröhliche Urständ. So ein Überwachtungsstaat verträgt sich allerdings gar nicht mit den Grundrechten einer freien Gesellschaft. Deshalb hat etwa der deutsche Verfassungsgerichtshof das erste Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland aufgehoben, weil es gegen das Grundgesetz verstieß.

Die Republik Österreich hat mit der Umsetzung der entsprechenden EU-Verordnung so lange gewartet, bis es im Juli 2010 deshalb sogar verurteilt wurde. Nach dem Desaster in Deutschland hat die EU-Kommission die Verordnung allerdings komplett überarbeitet. Inzwischen hat Österreich reagiert: Das neue Gesetz stellt sicher, dass Strafverfolgungsbehörden nur bei Verdacht einer schweren Straftat Zugriff auf die Daten bekommen. Bei Missbrauch droht eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr.

Nach meiner Erfahrung als Internetprovider muss ich den Verantwortlichen allerdings viel Naivität unterstellen. Jeder Provider speichert Verbindungsdaten seit jeher für lange Zeit, oft sogar über Jahre. Notwendig ist das alleine schon für die laufenden Abrechnungen. Bis heute gibt es aber keine Kontrolle, was mit diesen Daten später geschieht. Auch wenn die Provider ihre Verbindungsdaten nach sechs Monaten löschen müssen – wer kontrolliert das?

Wolfgang Hoffmann, Jahrgang 1959, ist Musiker, Unternehmer und Autor.
Siehe:
http://www.woho.at

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Wieder einmal abgehakt…

28. März 2012 23:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Wie sich doch die Bilder gleichen:
Auch nach Wahlen an der Saar
sah den Blässling man erbleichen –
Liberale sind halt rar.

Selbst die Grünen wirkten blasser,
weil da jemand andrer glatt
das gewohnte Oberwasser
ihnen abgegraben hat.

Besser beim im Trüben Fischen
ist, wie nämlich sich erweist,
der Piratentrupp inzwischen,
unbedarft, verwirrt und dreist.

Gleichfalls war davon betroffen
Oskar, Sahras Knecht und Glück –
das lässt fürchten oder hoffen:
Geht er nach Berlin zurück?

Sieger ist, obwohl kein Renner,
eine Koalition –
groß genannt und kleinster Nenner,
wie bekannt im voraus schon.

Ja, und mögen auch Parteien
im Programm verschieden sein,
packt man schleunig die Schalmeien
nach den Wahlen wieder ein.

Denn so ist’s im Alltagsleben –
Themen werden anderswo
von ganz andern vorgegeben,
Selbsterwählten sowieso.

Und das klappt in allen Ländern:
Wähler kriegen zwar die Wahl,
doch sie können nix verändern –
und den meisten ist’s egal…

Pannonicus

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Die Finanztransaktionssteuer: Der Dukatenesel der Fiskaltechnokraten

27. März 2012 23:42 | Autor: Ökonomengruppe proMarktwirtschaft
Rubrik: Gastkommentar

Erinnern Sie sich noch? Lautete einst nicht ein Argument pro EU-Binnenmarkt und pro Währungsunion: Transaktionskosten senken, damit knappes Kapital seiner produktivsten Verwendung zugeführt wird? Denn wer die Freiheit des Kapitalverkehrs beschränkt, verteuert die Unternehmensfinanzierung, beeinträchtigt die Investitionsdynamik ebenso wie das Innovationstempo und schadet dadurch der Wettbewerbsfähigkeit. Wachstums-, Beschäftigungs- und Wohlfahrtsverluste sind die Folge.

Aus gutem Grund heißt es daher in der EU-Richtlinie betreffend die indirekten Steuern für die Ansammlung von Kapital:

In krassem Gegensatz zu dieser Richtlinie wird in vielen EU-Mitgliedstaaten die Einführung einer wenn schon nicht EU-, dann zumindest doch Euroraum-weiten Finanztransaktionssteuer (FTS) oder einer speziellen Abwandlung einer solchen, nämlich einer Börsenumsatzsteuer, propagiert. Hier soll neuerlich geschaffen werden, was durch den Binnenmarkt und die Europäische Währungsunion eliminiert wurde: Hindernisse für den freien Kapitalverkehr als einer der vier europäischen Grundfreiheiten. Eine lediglich fiskalpolitisch motivierte Diskussion um das Für und Wider einer FTS greift mithin bei weitem zu kurz. In Sachen FTS geht es um nicht weniger als die Funktion des Europäischen Binnenmarkts. Wer eine solche Steuer propagiert, legt die Axt an den ordnungspolitischen Rahmen in Europa.

Die Europäische Kommission hat sich in ihrer Mitteilung zu intelligenter Regulierung in der Europäischen Union zu evidenzbasierter Politikgestaltung sowie Folgenabschätzungen in der politischen Entscheidungsfindung bekannt. Wenden wir uns also den nüchternen Fakten im gegenständlichen Fall zu.

Sie lauten:

Die Abwägung der ökonomischen Wirkungen einer einnahmenseitigen im Vergleich zu einer ausgabenseitigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte müsste – nach derzeitigem Stand der finanzwissenschaftlichen Forschung – dazu führen, letztere zu präferieren. Dennoch die Einführung einer FTS zu fordern heißt, neben den generellen Nachteilen einer höheren Besteuerung auch ihre spezifischen Nachteile gegenüber anderen einnahmenseitigen Instrumenten zu ignorieren.

In ihrer Auswirkungsstudie gelangt die Europäische Kommission zu dem Ergebnis, dass mit einem Bruttosteueraufkommenseffekt in Höhe von EUR 57 Mrd. pro Jahr zu rechnen sei. Hiervon sind allerdings die Steueraufkommensverluste aus wachstums- und beschäftigungspolitischen Kollateralschäden in Höhe von bis zu 1,76 Prozent des BIP beziehungsweise bis zu 500.000 Arbeitsplätzen abzuziehen, denn nicht erst Milton Friedman warnte: „There ain't no such thing as a free lunch.“ Unter Berücksichtigung der korrespondierenden Aufkommensverluste ergibt sich daher nur ein sehr bescheidenes Nettosteueraufkommen aus der FTS von cirka einem Drittel des Bruttosteueraufkommens.

Doch nicht einmal dieses gerade noch positive Ergebnis erweist sich bei genauerer Analyse als stichhaltig. Außer Acht gelassen wurde der Verlust von Geschäftsvolumina an Nicht-EU-Akteure, die Verlagerung der Geschäftsaktivitäten von EU-Akteuren in das Nicht-EU-Ausland, die relative Attraktivierung von Nicht-EU-Investitionsvorhaben und die Erhöhung der Kapitalkosten bei Investitionen aus nicht-ausgeschütteten Gewinnen. Würden solche Effekte berücksichtigt, kehrte sich das erwartete Nettosteueraufkommen mit großer Wahrscheinlichkeit ins Negative.

Eines allerdings wäre einer Finanztransaktionssteuer zu Gute zu halten, wie schon das Beispiel der britischen Stamp Duty Reserve Tax zeigt. Sie vermag Finanzinnovationen zu induzieren, und zwar solche mit dem primären Ziel der legalen Steuervermeidung. Im Ergebnis wird einerseits das intendierte Steueraufkommen (weit) verfehlt, andererseits verlagern sich erhebliche Teile des Handels auf weniger regulierte (und intransparente) Instrumente.

Eine Möglichkeit, die Stamp Duty zu vermeiden, besteht etwa in so genannten Differenzkontrakten („Contracts for Difference“, CFDs), welche die Parteien einer Transaktion verpflichten, lediglich die Differenz zwischen dem aktuellen Kaufkurs und einem späteren Verkaufskurs in bar auszugleichen. Da die Handelspartner bei diesen Geschäften die zugrunde liegenden Aktien weder kaufen noch verkaufen, entfällt die Steuer. Die Existenz einer solchen Steuer fördert also die Nachfrage nach Derivaten (mit einem zuweilen extrem hohen Hebeleffekt!) und senkt die Nachfrage nach generischen Anlageinstrumenten wie Aktien und Anleihen zur Finanzierung von Realinvestitionen: Ein geradezu perverser Anreizeffekt!

Ergo: Eine Finanztransaktionssteuer streut keinen Sand in das Getriebe der  Spekulation, sondern in den Motor der Unternehmensfinanzierung. Nicht die hohe Kapitalmobilität ist das „public bad“, sondern der diskretionäre Eingriff  in die Grundfreiheit des Kapitalverkehrs. Die Debatte wird zum Lackmustest für die Seriosität europäischer Politik. Wer faktenbasierte Politikgestaltung proklamiert, muss die Finanztransaktionssteuer als Negativsummenspiel ablehnen. Auf der österreichischen Ebene beschränkt sich die Politikempfehlung an dieser Stelle daher nicht nur trotz, sondern gerade wegen des All-Parteien-Beschlusses im Parlament auf eine einzige: Präferiere das Nichtstun vor dem Irrtum!

Unabhängig von ihren jeweiligen beruflichen Funktionen haben mehrere österreichische Spitzenökonomen (Mathias Bauer, Peter Brandner, Peter Brezinschek, Josef Christl, Christian Helmenstein, Thomas Url) die neue Initiative proMarktwirtschaft gegründet, für die dieser Text verfasst wurde.

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Ungarn: Viel ausländische Hysterie, viele eigene Fehler, viele mutige Reformen

27. März 2012 01:46 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Drei Tage lang intensives Eintauchen in ungarische Verhältnisse machen klar: Erstens, die von der Linken geschürte Hysterie ist völlig absurd, dass in Ungarn Demokratie oder Rechtsstaat abgeschafft werden. Zweitens, diese Hysterie ist auch deshalb ein Fehler, weil sie zu einer Stärkung der radikalen Rechten führt und die ungarischen Sozialisten nach ihrer schweren Niederlage tendenziell eher noch mehr diskreditiert. Drittens aber: Die ungarische Regierung hat neben vielen wichtigen und sinnvollen Reformschritten einige gravierende Fehler begangen, die das Land noch Jahre zurückwerfen werden.

Worum geht es bei der derzeit rasch zunehmenden radikalen Rechten, der Jobbik-Partei? Das ist eine Partei, die paramilitärische Formationen ähnlich den österreichischen Parteiarmeen der Bürgerkriegszeit zu schaffen versucht. Sie hetzt nicht nur gegen die ungarischen Zigeuner (womit sie ein in Ungarn angesichts etlicher Zwischenfälle, aber auch angesichts einer sehr aggressiven Presse mehrheitsfähiges Sentiment anspricht), sondern auch gegen alles Westliche. Sie sucht ihre Freunde primär bei aggressiven Diktaturen wie insbesondere jener des Iran.

Linke Kampagne hilft Rechtsradikalen

Falls die Jobbik-Partei, die seit Oktober bei sämtlichen Umfragen Ungarns zweitstärkste ist, eines Tages gar zur stärksten werden sollte, dann liegt ein Gutteil der Schuld auch beim heutigen Verhalten der europäischen Linken und der EU-Kommission. Denn beide haben mit völlig aus der Balance geratenen Reaktionen auf den Wahlerfolg der ungarischen Mitte-Rechts-Partei Fidesz reagiert. Diese hatte ja vor zwei Jahren (mit 53 Prozent der Stimmen) 68 Prozent der Mandate errungen.

Diese Reaktion ähnelt in vielen Details ebenso wie in ihrer Dummheit den Sanktionen von 14 EU-Ländern gegen Österreich im Jahre 2000. Diese Sanktionen, die dann nach einem halben Jahr kleinlaut entsorgt werden mussten, haben übrigens auch damals in Österreich die Umfragewerte der Linksparteien nicht gerade verbessert.

300 Gesetze pro Jahr: Die Fehler sind programmiert

Was ist nun in Ungarn wirklich passiert? Die Mehrheitspartei hat im letzten Jahr mit 300 neuen Gesetzen ein ungeheures Volumen an neuem Recht durchs Parlament geschleust. Das ist in den Augen fast aller Rechtsexperten ein großer Fehler: Solche Gesetzesmengen und ein solches Tempo bergen nämlich zwangsläufig viele technische Fehler, von denen sich so mancher auch jetzt schon gezeigt hat. Diese Gesetze können gar nicht ordentlich vorbereitet gewesen sein, da in einer komplizierten modernen Gesellschaft vor jedem Gesetz sorgfältige Begutachtungen und Diskussionen dringend notwendig sind (was bekanntlich auch den in dieser Woche finalisierten österreichischen Belastungsgesetzen gut getan hätte).

Dieser zu kurz gekommene Diskussionsbedarf gilt natürlich auch für die neue Verfassung, die ohne lange Konvente und dergleichen binnen eines Jahres geschaffen worden ist. Viele dieser Gesetze haben nun bei der EU zu Recht etliche Vertragsverletzungsverfahren ausgelöst.

Jedoch relativieren sich diese Fehler der ungarischen Regierung gewaltig: In Europa sind Vertragsverletzungsverfahren nämlich ein ganz normaler Vorgang. Derzeit laufen fast tausend solcher Verfahren gegen die 27 Mitgliedsstaaten. Und auch heute sind trotz aller Ungarn-Aufregung gegen andere, „alte“ EU-Länder viel mehr solcher Verfahren in Gang als gegen die Magyaren.

Prüft man nun die gegen diese laufenden Vertragsverletzungsverfahren auf ihre Substanz, dann sind es auch gar nicht allzu gravierende Punkte, die da offen sind. Und die Ungarn scheinen weitgehend kompromissbereit.

Zwei Jahrzehnte verschlafener Reformen

Zugleich sollte man nicht vergessen: Die ungarische Führung stand unter einem gewaltigen Handlungsdruck. Hat sich das Land doch in den ersten zwei Jahrzehnten nach der Wende im Gegensatz zu den anderen Reformländern weitgehend auf seinen Lorbeeren als Vorkämpfer der einstigen Wende ausgeruht. Unter rechten wie linken Regierungen. Man war zu lange stolz auf den „Gulaschkommunismus“. Selbst die Verfassung stammte noch aus der kommunistischen Zeit. Sie war nur in einigen Punkten novelliert worden.

Natürlich hat sich die Orban-Regierung bei ihrem atemberaubenden Tempo auch an eine alte und wohl richtige politische Regel gehalten: Die schmerzhaften und unangenehmen Maßnahmen sollte man in der ersten Hälfte einer Amtsperiode machen, damit man in der zweiten die erhofften Früchte der Reformen kassieren kann.

Die Vorwürfe relativieren sich

Die meisten Vorwürfe, die man den Ungarn macht, bestehen im Einsatz der Zweidrittelmehrheit bei der Besetzung wichtiger Funktionen. Nur: Dieser Vorwurf kann zur Gänze auch Österreich (und vielen anderen EU-Ländern) gemacht werden. Es gibt bloß einen Unterschied: In Österreich werden neue Spitzenpositionen auch ohne Zweidrittelmehrheit durchgängig und ausschließlich mit Parteigängern der Regierungsparteien besetzt. Und zwar seit jeher. Kann man ernsthaft den Ungarn etwas vorwerfen, was man den Österreichern noch nie vorgehalten hat?

Ein weiterer konkreter Vorwurf ist die Tatsache, dass einflussreiche Spitzenpositionen gleich auf neun Jahre hinaus an Freunde des Regierungschefs Viktor Orban vergeben worden sind. Damit kann die nächste Regierung, selbst wenn sie von einer anderen Partei gestellt wird, an diesen Besetzungen nicht mehr rütteln.

Das klingt arg. Aber auch das ist es in Österreich noch viel ärger (wenn es überhaupt wirklich arg wäre und nicht bloß eine Maßnahme zum Schutz dieser Funktionsträger vor politischer Willkür). Denn in Österreich wird sogar das allermächtigste Gremium, nämlich der Verfassungsgerichtshof, nicht nur auf neun Jahre, sondern lebenslänglich besetzt. Und Werner Faymann hatte nicht den geringsten Genierer, Richterposten im VfGH sogar direkt mit einem Mitglied seines Kabinetts zu besetzen.

Viele der restlichen Vorwürfe gehören in die Kategorie des Hanebüchenen. Manche Linke stört es etwa, dass vor Amtsantritt ein Eid auf die Verfassung abgelegt werden soll. Deutlich problematischer klingt die vorübergehende Senkung des Pensionsantrittsalters für Richter von 70 auf 62 Jahre, obwohl dann in den folgenden Jahren wieder eine (für alle Beamten gemeinsame) Steigerung des Pensionsantritts von derzeit 62 auf 65 Jahre erfolgen soll.

Jedoch lässt sich auch das halbwegs begründen: Mit der vorübergehenden und verpflichtenden Senkung wird Ungarn rascher eine problematische Garnitur von Richtern los, die noch aus dem Kommunismus stammen. Außerdem löst man solcherart ein besonders absurdes Privileg: Die noch amtierenden Altrichter konnten ab Erreichung des Anspruchsalters gleichzeitig zu ihren Bezügen parallel eine Pension kassieren. Was angesichts der wirtschaftlichen Situation des Landes ziemlich grotesk ist. Polizisten, Soldaten, Feuerwehrmänner konnten bisher sogar schon ab dem 45. Geburtstag in Pension gehen und daneben ungehindert einen anderen Job beginnen.

Jedenfalls sehen auch regierungskritische Journalisten keine Rückkehr zu einer Diktatur. Sowenig sie auch über die parlamentarische Übermacht der Fidesz erfreut sind. Diese liegt auch noch zur Halbzeit der Legislaturperiode im Gegensatz zum Schicksal der Regierungsparteien vieler anderer Länder bei den Umfragen klar voran.

Die soziale Lage ist bedrückend

Die kritischen Journalisten weisen dafür – und zweifellos zu Recht – auf die katastrophale wirtschaftliche Situation vieler Menschen in Ungarn hin. Da erzählt der eine von der Ärztin, die vor der Not fliehend einen Job in Dresden angenommen hat, obwohl sie schon 52 ist und keineswegs ausreichend Deutsch kann. Da erzählt ein anderer von der 38-jährigen Lehrerin, die ihren Job verloren und die sich nun für die Prostitution entschieden hat.

Niemand wagt auch nur zu behaupten, dass Ungarn heute von einer Welle des Optimismus oder Aufbruchs bewegt wird. Davon reden nicht einmal mehr die begeistertsten Anhänger der Regierung.

Es ist nun müßig, allzulange darauf zu verweisen, dass sich Ungarns wirtschaftliche Lage und seine Verschuldung vor allem unter der achtjährigen Herrschaft der Sozialisten so dramatisch verschlechtert haben. So stiegen die Schulden binnen acht Jahren von 52 auf 82 BIP-Prozent. Entscheidend sind jedoch Gegenwart und Zukunft. Und dafür trägt nun einzig Viktor Orban mit seiner großen Macht die Verantwortung.

Die EU macht sich selbst zum Sündenbock

Derzeit hilft ihm freilich die EU mit ihrer problematischen Sanktionenpolitik dabei, die Verantwortung nach Brüssel abzuschieben. Denn durch die Streichung von Kohäsionsgeldern kann Orban nun perfekt Brüssel als Sündenbock vorführen.Und er kann dabei verschweigen, dass es dabei eigentlich nur um eine überschaubare Summe geht.

Denn die EU-Maßnahmen legen weniger als 500 Millionen Euro aufs Eis. Während alleine die Erste Bank in einem einzigen Jahr durch die Orban-Maßnahmen einen Schaden von mehr als 500 Millionen erlitten hat. Überdies ist es durchaus möglich, dass die EU-Maßnahmen bis zum Sommer wieder aufgehoben werden. Der Raubzug auf die (österreichischen und anderen) Banken wird natürlich nicht rückgängig gemacht.

Die EU hat sich aber damit Budapest jedenfalls als perfekter Sündenbock angeboten. Viele ungarische Regierungspolitiker beklagen in den Gesprächen dementsprechen einen Doppelstandard der Brüsseler Kommission. Der Vorwurf scheint berechtigt: Ungarns Defizit ist lange nicht so hoch wie jenes vieler anderer Mitgliedsländer. Ganz zu schweigen von Spanien, dass nun zugeben musste, dass das Defizit im Vorjahr fast doppelt so hoch ausfiel wie geplant und versprochen.

Umso überraschender ist es, wenn der Staatssekretär aus dem Wirtschaftsministerium Zoltán Cséfalvay im Gegensatz zu diesem Vorwurf die EU-Strafen gegen Ungarn sogar als „logisch“ bezeichnet. Das Defizitverfahren gegen Ungarn sei durchaus berechtigt, weil es gegen Ungarn schon seit 2004 läuft, also länger als gegen alle anderen Länder.

Überdies gehe es ohnedies nur um eine sehr kleine Differenz beim Budgetdefizit. Diese Differenz mache bloß ein halbes Prozent des Bruttoinlandsprodukt aus und sei eigentlich nur durch unterschiedliche Wachstumserwartungen ausgelöst worden. Cséfalvay: „Wir sind sicher, dass wir das binnen weniger Wochen lösen werden können. Wir müssen jetzt unsere Hausaufgaben machen. Und in ein bis zwei Monaten wird niemand mehr darüber reden.“

Auch die für die EU zuständige Staatsministerin Enikö Györi gibt zu, dass für die Ungarn schon 2011 die Frist zur Defizitreduktion abgelaufen war, während sie für Spanien noch bis 2013 läuft. Aber umso genauer wollen sich die Ungarn anschauen, was dann gegenüber Spanien passiere. Also ob auch im Falle des großen EU-Lands genauso konsequent vorgegangen wird wie gegen das kleine Ungarn. Denn Györi weiß: „In der EU sind doppelte Standards nichts Neues.“

Das wahre Problem Ungarns heißt weder EU noch IMF

Das wahre, freilich vielen Ungarn noch kaum bewusste Problem der Regierung ist daher auch nicht die EU. Es ist auch nicht in erster Linie der Internationale Währungsfonds (IMF), der derzeit im Einklang mit der EU die Gewährung eines Beistandskredits an Ungarn zurückhält. Die Ungarn sehen derzeit in einem solchen Kredit ja ohnedies nur eine Sicherheitsmaßnahme, die nicht unbedingt notwendig wäre. Ganz offensichtlich profitieren nämlich auch sie derzeit bei der staatlichen Refinanzierung von den frisch gedruckten Geldmengen, mit denen die europäische und die amerikanische Notenbank seit dem Vorjahr die Welt überfluten, und haben daher keine akuten Probleme.

Das wahre Problem Ungarns ist der internationale Vertrauensverlust durch die Maßnahmen der letzten zwei Jahre. An deren Spitze stehen die überfallsartig eingeführten Belastungen für Banken, Handels- und Telekom-Firmen. Das sind ganz „zufällig“ jene Branchen, die zu einem starken Teil in ausländischer Hand sind.

Dadurch (und durch die Beschlagnahme der Reserven der „zweiten Säule“, der privat-obligatorischen Pensionsvorsorge) hat man zwar in den ersten beiden Fidesz-Jahren das Defizit relativ niedrig halten können. Man hat solcherart der ungarischen Bevölkerung auch vorerst die schmerzlichen Gehaltsreduktionen erspart, die in anderen Ländern notwendig waren. Aber dadurch wurde zugleich ausländischen Investoren ganz klar die Botschaft vermittelt: Ungarn ist ein Land, das über Nacht die Spielregeln ändert. Es gilt damit nicht mehr als sicheres Land für Investitionen.

Aber gerade ausländische Investitionen sind es, die Ungarn heute dringender als sonst irgendetwas anderes braucht. Will das Land doch eine zusätzliche Million Arbeitsplätze schaffen, was nur mit Hilfe vieler ausländischer Investoren möglich ist. Diese sind aber in Zeiten der Krise sowieso schwer genug zu finden. Und erst recht dann nicht, wenn sie fürchten müssen, dass ihre Investition durch eine spätere drastische Änderung der Rechtslage nachträglich total entwertet wird.

Viel zu wenige Ungarn haben einen Job

Wie wichtig die Schaffung von Arbeitsplätzen ist, zeigt der Arbeitsmarkt. In keinem anderen Land ist ein so geringer Prozentsatz der arbeitsfähigen Bevölkerung auch tatsächlich berufstätig wie in Ungarn: nämlich nur 55 Prozent. Wenn es Orban aber nicht gelingt, substanziell mehr Jobs zu schaffen, wird er einerseits nicht aus dem Defizitsumpf herauskommen (wobei es ihm auch nichts hilft, dass an der Entstehung des Sumpfs die Sozialisten die Hauptschuld tragen); seine Partei wird dann andererseits wohl auch nicht mehr den Vormarsch der radikalen Rechten standhalten können.

Dazu kommen aber auch immer wieder dumme Äußerungen von Regierungsvertretern. Immer wieder wurden bei meinen Gesprächen düster die „Interessen“ der ausländischen Investoren getadelt. So als ob es ein Geheimnis wäre, dass jeder Investor am Ende Gewinne erzielen will. So als ob ein modernes Bankwesen keine Voraussetzung einer erfolgreichen Wirtschaft wäre.

Dann spricht Orban unter offensichtlicher Anspielung auf das Ausland wiederum davon, dass Ungarn keine „Kolonie“ sein will. Und erst vor wenigen Tagen sagte er bei einem Vortrag in München: „Ein reicher Deutscher irritiert uns nicht, bei einem reichen Österreicher sieht es schon anders aus.“

Was nicht nur geschmacklos ist, sondern angesichts der Tatsache, dass Österreich im Verhältnis zu seiner Größe bisher die weitaus meisten Investoren in Ungarn gestellt hat, auch dumm. Klarer kann man es ihnen ja kaum sagen, dass sie unerwünscht sind.

Mutige und kluge Maßnahmen

Durch solche Worte und Taten macht Ungarn derzeit wahrscheinlich alles wieder zunichte, was es derzeit an absolut vernünftigen und im Ausland kaum bekannten Reformmaßnahmen setzt:

Das sind viele mutige und kluge Maßnahmen aus dem Repertoire einer klassisch liberalen Wirtschaftspolitik. Vielleicht hat aber auch gerade dieses Etikett den Zorn der europäischen Linksparteien auf Ungarn so stark erhöht, dass sie das Land zum Ziel ihrer Hasskampagne machten. Als ob es nicht schon genug Probleme hätte, an denen die ungarischen Sozialisten hauptschuld sind.
 

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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Wie viele Asylwerber gab es 2011 in der EU?

25. März 2012 17:32 | Autor: Andreas Unterberger

Asylwerber absolut und pro einer Million Einwohner in der EU und dem EWR 2011 nach Staaten

Quelle: Eurostat

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Welchen Institutionen vertrauen die Österreicher?

25. März 2012 12:44 | Autor: Andreas Unterberger

Saldo aus "Habe Vertrauen zu" und "Habe kein Vertrauen zu" März 2012 im Vergleich zu März 2011

 

Institution Vetrauenssaldo Veränderung
Rechnungshof

50

 
Arbeiterkammer

50

+3

Polizei

44

+2

Verfassungsgerichtshof

42

 
Universität

40

+3

Nationalbank

26

-12

eigener Gemeinderat

21

+7

Schule

18

 
Krankenkassen

17

 
Wirtschaftskammer

9

-7

Bundesheer

7

-12

eigene Landesregierung

5

 
Gewerkschaftsbund

3

+14

Landwirtschaftskammer

2

 
Katholische Kirche

-2

+3

Seniorenrat

-2

-9

Pensionsversicherung

-5

 
Industriellenvereinigung

-15

 
Parlament

-15

 
Justiz

-19

-14

Opposition

-22

+4

Finanzmarktaufsicht

-34

-10

Regierung

-37

-8

EU

-41

 

Quelle: OGM

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Ungeliebte Kapazitätsmärkte – Niemand will investieren

21. März 2012 23:42 | Autor: Dieter Friedl
Rubrik: Gastkommentar

Große Unsicherheit herrscht derzeit darüber, wie für den ständig ansteigenden Anteil der Erneuerbaren Energien ein entsprechender Ausgleich geschaffen werden kann, für jene Zeiten, wo kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Das Hauptaugenmerk wird dabei auf Gaskraftwerke gelegt, die in ausreichender Zahl gebaut werden sollten.

Das Problem ist, dass bei den derzeitigen Gaspreisen niemand investieren will, weil die Investitionen nicht verdient werden können. ??Unter den zu erwartenden Gegebenheiten, dass die Anlieferung von grünem Strom wesentlich steigen wird und die Strompreise sich nicht wesentlich erhöhen werden, gibt es nur zwei Stellschrauben an denen gedreht werden kann.

Die Gaspreise müssen angepasst werden, um Gaskraftwerke zu ermöglichen.
In der Vergangenheit gab es so genanntes „Kraftwerksgas", das zu Preisen angeboten wurde, die sich an der Konkurrenzenergie (etwa Kohle) orientierten, das war meist deutlich unter den Marktpreisen für Gas. Diese Zeiten sind vorbei. Viele potentielle Kraftwerksbetreiber verlangen daher eine Anbindung der Gaspreise an die Strompreise, zumindest für einen Teil der Liefermenge. Derartige Angebote gibt es bereits am Markt, was aber noch immer nicht ausreicht, um die Vollkosten abzudecken.

Auch die heimischen Betreiber von Gaskraftwerken leiden unter den hohen Preisen der Langfristverträge mit Gazprom. Die Russen haben bisher wenig Bereitschaft gezeigt, an der Preisschraube zu drehen.?

Bleibt als zweite Möglichkeit eine Änderung der Rahmenbedingungen und damit befindet man sich bereits bei dem heiklen Thema der „Kapazitätsmärkte".
Es geht dabei darum, ob der Neubau von Kraftwerken subventioniert werden soll. Das heißt im Klartext, dass ein Teil der Liberalisierung der Energiemärkte wieder zurückgenommen würde. Politiker und Stromversorger wollen das eigentlich nicht. Österreich Energiemanager sehen dies als einen Rückschritt an. Wirtschaftsminister Mitterlehner: „So etwas ist nicht nötig". ?

Während in Österreich noch keine Überlegungen für Kapazitätsmärkte bekannt sind, überlegt die deutsche Bundesregierung eine direkte Subventionierung der Investitionskosten im Ausmaß von 15 Prozent (für Investitionsentscheidungen zwischen 2013 und 2016) unter der Voraussetzung, dass die Kraftwerke CCS-fähig (CO2-Abscheidung) sind. Zudem dürfe der Betreiber nicht über einen Marktanteil von mehr als fünf Prozent des Stromerzeugungsmarktes verfügen.

Bezahlt sollen diese Subventionen aus den staatlichen Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten werden. ??Das könnte allerdings in Brüssel auf Widerstand stoßen, wo man derzeit an einheitlichen Vorgaben für derartige Beihilfen arbeitet. Es geht darum, dass nur Kraftwerke gefördert werden, die die gesamte Prozesskette zur Abscheidung und Abspeicherung von Kohlenstoff bis 2020 tatsächlich vornehmen können. Dies wird weder in Deutschland noch in Österreich der Fall sein, weil dies politisch derzeit nicht gewollt wird.

Wie die Energiewende funktionieren wird steht somit nach wie vor in den Sternen. Weder der Kraftwerkausbau noch der dringend notwendige Ausbau der Übertragungsnetze ist auf Schiene. Überschüssige Strommengen von norddeutschen Windrädern werden somit unerwünscht nach Tschechien, Polen und auch Österreich schwappen und Unruhe in die nationalen Stromnetze bringen. Retten könnte man sich indem man den Strom einfach nicht hereinlässt (also den Phasenschieber zumacht). In Polen ist das angedacht, die Tschechen wollen das nicht und möchten eher die heimischen Übertragungsnetze ausbauen. In Österreich ist das Problem in nächster Zeit noch nicht allzu dringend zu lösen.

Dieter Friedl ist Österreichs führender Energie-Journalist. Er gibt 14-tägig den unabhängigen elektronischen „Energiedienst“ heraus, der unter der E-Mail Adresse kontakt@elisabethgall.at abonniert werden kann. Der „Energiedienst“ informiert über alle Energiefragen.

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Frankreich: Die Richtungswahl des nächsten Crash-Kandidaten

20. März 2012 00:14 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es ist oft schwer verständlich, wie viele Sende- und Zeitungsfläche die europäischen Medien jedem einzelnen Vorwahlergebnis in Amerika spendieren, und wie relativ wenig Aufmerksamkeit selbst den großen europäischen Staaten gewidmet wird. Dabei wage ich zu sagen: Alleine Frankreich, das schon im April und Mai wählt, ist für die Zukunft Europas wichtiger als alle amerikanischen Vor- und Präsidentenwahlen zusammen.

Denn wir leben ja zum Glück nicht mehr in Zeiten, da das amerikanische Eingreifen einen Weltkrieg entscheidet. Denn wir leben in einer Epoche, wo unser aller Schicksal mindestens ebenso stark von der Europäischen Union wie von den nationalen Regierungen entschieden wird, aber viel weniger von irgendwelchen Entscheidungen Washingtons. Und in der EU erfolgt die entscheidende Willensbildung seit Jahrzehnten durch den deutschen Bundeskanzler und den französischen Präsidenten.

Da mag sich die EU selber noch ein weiteres Dutzend einander eifersüchtig beobachtender Präsidenten für Kommission, Rat oder Euro-Gruppe etc. geben: Das letzte Wort bleibt in Paris und Berlin. Ganz Europa respektiert das, weil es keine funktionierende Alternative gibt. Geschichtsbewusste schätzen das auch deshalb, weil der frühere Antagonismus zwischen den beiden Völkern über zwei Jahrhunderte Europa regelmäßig schwere Konflikte und millionenfachen Tod beschert hat.

Frankreichs Präsidentenwahl ist auch deshalb besonders spannend, weil Nicolas Sarkozy ein impulsiver und überehrgeiziger Politiker ist, dem man vieles Negative nachsagen kann, aber nicht, dass er langweilig oder feige wäre. Noch spannender wird das Rennen dadurch, dass nicht weniger als fünf Kandidaten Chancen haben, zweistellige Prozentanzahlen zu erreichen, und weil es daher mit fast absoluter Sicherheit eine Stichwahl geben wird.

Ein Staatssozialismus nähert sich dem Crash

All diese – fast hätte ich gesagt: sportlichen – Aspekte verblassen aber hinter der wirtschaftlichen Bedeutung. Denn das zweitgrößte Land Europas befindet sich in einer extrem fragilen Position. Ein größerer Crash in Frankreich hätte aber ganz andere Folgen als etwa die griechische Krise der letzten drei Jahre. Und ein solcher Crash hat eine ziemlich große Wahrscheinlichkeit, wenn man sich die französische Realität näher anschaut.

Die wichtigste Ursache der französischen Krise ist die enorm große Rolle des Staates in der Wirtschaft. Das hat die Wettbewerbsfähigkeit des Landes und seiner Industrien im Lauf der Jahre stark reduziert und die Budgetdefizite stark erhöht. Zugleich haben frühere sozialistische Regierungen etwa durch die Einführung der 35-Stunden-Woche mit populistischen Maßnahmen die französischen Unternehmen belastet. Das wurde von den Gaullisten nicht mehr zurückgenommen. Stehen doch auch sie in einer starken sozialetatistischen Tradition. Ist doch die Rücknahme sozialer Ansprüche in fast keinem Land ohne enormen Widerstand durchsetzbar.

Der französische Staat ist wie ein Luftballon aufgeblasen, der mit einem Reißnagel zum Platzen gebracht werden kann. Frankreich hat heute rund 5,5 Millionen Staatsbedienstete. Das sind um 18 Prozent mehr als vor einem Jahrzehnt. Das ist auch eine halbe Million mehr als in Deutschland (obwohl in der Bundesrepublik 19 Millionen mehr Menschen wohnen als in Frankreich). Der französische Staat kontrolliert darüber hinaus ganze Industriebranchen; er ist an mehr als 800 meist großen Unternehmen signifikant beteiligt.

Zugleich lebt Frankreich in einem höheren Ausmaß als die allermeisten anderen Länder nur vom Konsum, der durch staatliche Schuldenmacherei finanziert wird. Die offiziellen Staatsschulden: Österreich 73 Prozent, Frankreich 86 Prozent. Dabei machen die inoffiziellen – „impliziten“ – Verpflichtungen etwa aus dem generösen Pensionssystem noch ein Vielfaches dieser Werte aus, werden jedoch nirgendwo exakt gemessen. Auch die Staatsausgabenquote (als Anteil am BIP gemessen) ist mit 56 Prozent höher als im ebenfalls ausgabenfreudigen Österreich (52 Prozent), und gleich um zehn Prozentpunkte höher als in Deutschland oder auch Italien.

Deutschland produziert viel billiger

Fast notgedrungene Folge dieses Staatssozialismus: Die Arbeitslosigkeit beträgt 10 Prozent, und von den Jugendlichen ist schon jeder vierte arbeitslos. Dennoch ist bisher jeder Versuch, die Beschäftigungsquote durch eine Liberalisierung des überregulierten Arbeitsmarktes zu erhöhen, sehr rasch immer an aggressiven Demonstrationen und Streiks von linken Gewerkschaften und Studenten gescheitert. Die Profiteure in den diversen staatlich geschützten und gestützten Sektoren sind einfach nicht willens, in eine Wettbewerbswirtschaft zu wechseln. Warum sollten sie auch auf persönliche Vorteile verzichten? Die Folge: Kaum noch ein Arbeitgeber ist willens, neue Arbeitsverträge zu diesen Gewerkschaftsbedingungen zu schaffen.

Denn die Arbeitskräfte sind nicht nur unkündbar, sondern auch teuer, vor allem im letzten Jahrzehnt haben sich die Kosten für Arbeitgeber stark erhöht. Dazu kommen hohe Steuern auf jeden Arbeitsplatz. Heute sind die totalen Kosten für eine Arbeitsstunde in Frankreich um 41 Prozent höher als in Deutschland. Das führt dazu, dass immer mehr, vor allem junge Menschen wenn überhaupt nur noch kurzfristig limitierte Arbeitsplätze finden.

Frankreich agiert zwar heute als eine Führungskraft der EU. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb? – hat das Land es geschafft, große Wirtschaftsbereiche gegen die Herausforderungen, die kurzfristigen Schmerzen, damit aber auch die langfristigen Vorteile eines gemeinsamen Binnenmarktes abzuschotten. Dies gilt insbesondere für die französische Landwirtschaft, aber auch für alle Sektoren, die sich als kulturell ausgeben können.

Und ganz besonders gilt das für die großen französischen Strom- und Telekomkonzerne. Diese sind in den letzten Jahren im Ausland auf große Einkaufstour gegangen, haben aber im Inland jede Konkurrenz für ihre Monopole abwenden können. Vor allem der Stromriese EDF hat dabei freilich durch die günstige Atomstromproduktion auch einen echten Wettbewerbsvorteil gegenüber den von den Atomgegnern lahmgelegten Konkurrenten. Diese Nuklearindustrie hat zweifellos mitgeholfen, dass das französische Wohlfahrtsmodell bisher noch nicht kollabiert ist.

Der Immobilismus der Eliten

Zugleich hat Frankreich eine lange Tradition linksradikaler Intellektueller, welche weit wirklichkeitsfremder sind als etwa die deutschen Sozialdemokraten. Aber auch die weniger radikalen Eliten haben nicht wirklich versucht, die Nation von der Notwendigkeit irgendwelcher Änderungen zu überzeugen. Sie selbst leben ja in dem Immobilismus des französischen Modells nach wie vor gut.

Die Eliten des Landes von links bis rechts tun sich auch nach wie vor schwer mit dem Gedanken, dass Frankreich heute nur noch ein mittelgroßes Land und keine Weltmacht mehr ist. Diese Fixierung auf eine große Vergangenheit behindert aber zweifellos eine echte Zuwendung zur Zukunft.

Auch die starke Zentralisierung des Staates erweist sich immer mehr als eine unheilvolle Tradition. Sie erschwert Flexibilität und Vielfalt. In der Geschichte hat sich bisher immer staatlich gelenkte Industriepolitik als langfristig dem freien Wachstum der Ideen unterlegen erwiesen.

Eine schwere Last für Frankreich ist die große Zahl von Einwohnern, deren Wurzeln in Afrika liegen. Sie haben zwar großteils die französische Staatsbürgerschaft; sie haben aber nur in kleinen Minderheiten zum bildungsmäßigen und zivilisatorischen Standard der Mehrheitsbevölkerung aufschließen können. Sie sind daher nicht nur in besonders hohem Ausmaß arbeitslos, da die meisten einfachen Jobs verschwunden sind. Diese Menschen sind daher eine wachsend aggressive Kraft einer sozialen Destabilisierung. Bisher schien es in Frankreich wenigstens weniger gefährliche islamistische Netzwerke zu geben als etwa in Großbritannien. Das jüngste Blutbad vor einer jüdischen Schule in Toulouse lässt jedoch nun auch in diesem Punkt eine negative Entwicklung befürchten.

Sarkozy: Reden statt Handeln

Sarkozy hat vor fünf Jahren den Eindruck erweckt, als einer der ersten Spitzenpolitiker die französische Krankheit voll diagnostiziert zu haben. Aber er hat dann als Präsident – obwohl im eigenen Land viel mächtiger als der jeweilige deutsche Kanzler in seinem – fast nichts für eine Therapie getan. Sarkozy hat viel geredet und wenig gehandelt.

Zuerst haben die niedrigen Zinsen das anhaltende Schuldenmachen noch erleichtert. Und dann kam die Krise. In dieser hat sich das Defizit für die enormen Sozialausgaben automatisch rasch erhöht, während die Struktur- und Wachstumsreformen erst recht nicht angegangen wurden. Daher fehlt Sarkozy fast jede Glaubwürdigkeit, wenn er jetzt – in der Krise und im Wahlkampf – plötzlich wieder von energischen Reformen redet.

Allerdings: Keiner seiner Konkurrenten scheint auch nur in der Theorie die Reformnotwendigkeiten erkannt zu haben. Die meisten wollen sogar das Schulden-Füllhorn noch weiter über den Wählern öffnen, versprechen noch mehr Wohlfahrt, wollen marode Industrien durch neue Schulden retten. Und sie meinen weiterhin, dass sich schon alles irgendwie ausgehen wird. Oder sie glauben, dass die Deutschen (und einige andere) wie in den letzten Jahrzehnten dafür zahlen werden.

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Die lustigen und listigen Spareunfrohs

18. März 2012 01:53 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Ganz Europa spart, spart, spart. Ganz Europa? Nein, ein kleines Land in seiner Mitte und ein großes Land in seinem Süden wollen das nicht so wirklich. Zwar wird auch dort in zahllosen Politikerreden und offiziellen Ankündigungen viel von einem Einbremsen des Schuldenwachstums geredet. Schaut man sich jedoch ihre Taten an, weiß man, dass das Gegenteil zutrifft.

Das eine Land heißt Spanien. Dieses hat gerade zugeben müssen, dass es weder im Vorjahr noch heuer die versprochenen und verpflichtenden Defizitreduktionen realisiert hat, beziehungsweise schaffen wird. Es geht halt nicht. Und die EU nimmt das sehr gleichmütig zur Kenntnis, sie denkt gar nicht daran, die Spanier (oder die ähnlich agierenden Griechen) ebenso zu bestrafen wie die Ungarn. Schließlich haben die Spanier ja nicht eine so komische Sprache wie die Ungarn und einen viel besseren Wein. Daher muss man schon nachsichtig sein.

Gleichzeitig verzichtet Spanien trotz aller Besserungsgelübde – „vorerst“ – nicht nur auf effizientes Sparen, sondern auch auf den Verkauf der beiden größten Flughäfen des Landes. Die Preise seien halt derzeit nicht gut. Interessant. Durch ganz Europa schwappen derzeit milliardenweise die vielen Euro und Dollar, mit denen die amerikanische und die europäische Zentralbank die Märkte überfluten. Aber dennoch will niemand einen spannenden Flughafen kaufen, obwohl Barcelona, Madrid oder Mallorca wirklich wichtige Drehkreuze sind, auch des Tourismus wegen.

Das bedeutet: Entweder ist die Aussage über das Desinteresse der Käufer gelogen. Oder die ganze künstliche Geldschöpfung der EZB fließt gleich wieder zurück in die diversen überschuldeten Staatskassen und in für zukunftssicher gehaltene Länder in Ostasien und Lateinamerika.

Genauso Seltsames erfährt man vom spanischen Fußball. Denn die iberischen Profi-Klubs schulden dem Finanzamt nicht weniger als 752 Millionen Euro. Zugleich wird das Gerücht immer lauter, dass den Klubs jetzt ein Teil davon nachgelassen werden wird. Was ziemlich frech wäre. Da kaufen die Klubs quer durch die Kontinente alles an Spielern ein, was gut und teuer ist; und viele Experten halten Barcelona als Folge dieser Einkäufe heute  für den besten Fußballverein der Welt überhaupt, dicht gefolgt von Real-Madrid. Aber die Klubs können ihre Steuern nicht zahlen. Oder wollen es nicht. Denn bevor sie den jubelnden, aber auch leicht in Zorn verfallenden Massen in den Stadien ihre Circenses entziehen, schnalzen die Klubs lieber den Staat. Und der lässt es sich gefallen. Der Grund ist klar: Mit Fußballfans und Sportjournalisten ist nämlich nicht gut über Sparsamkeit und Ehrlichkeit zu reden.

Wechseln wir nach Österreich. Dort ist ja auch gerade ein „Sparbudget“ mit großem Tamtam und viel Selbstbeweihräucherung beschlossen worden, obwohl es keineswegs die Sparvorgaben erreicht, geschweige denn ein Nulldefizit. Interessanterweise sind auch in Österreich die Sportsubventionen gleich von vornherein vom Sparen ausgenommen worden. Und keine einzige Partei hat etwas dagegen zu sagen gewagt. Man kennt ja die wahren Prioritäten: Panem et Circenses.

Ein bisschen jammern und schon gibt es Geld

Zugleich wird mit jedem Tag die Liste jener länger, die sich mit großem Erfolg aus den Einsparungen hinausreklamieren. So hat das etwa der SPÖ-nahe Verein Gedenkdienst umgehend geschafft. Er organisiert einen Zivil-Ersatzdienst in ausländischen Gedenkstätten, eine bei jungen Wehpflichtigen sehr beliebte Alternative zu Bundesheer oder Altersheim. Kaum haben die Gedenkdiener über bevorstehende Kürzungen geklagt, verkündet Bundesnichtsparkanzler Faymann auch schon, dass sie ihr bisheriges Geld weiter bekommen werden.

Die Folge dieses Erfolgs gegen eine knieweiche Regierung ist klar. Er reizt zur Nachahmung an. Da ist höchstens noch die Frage offen, ob es Hunderte oder gar Tausende anderer Subventionsbezieher sein werden, die in den nächsten Monaten unter Berufung auf dieses Einknicken ebenfalls Kürzungen abwenden werden. Sie alle haben ja in den letzten Tagen gelesen, dass man schon mit ein paar Protestaussendungen spielend leicht Erfolg hat. Und wer einmal einknickt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dann von „Jetzt aber nicht mehr“ spricht.

Voll im Einknicken ist auch schon die Justizministerin beim Plan, die kleinen Bezirksgerichte zusammenzulegen, die ja oft nur mit einem oder zwei Richtern besetzt sind. Als erste haben – ausgerechnet – Vorarlberg und das Burgenland ein kategorisches Nein deponiert. Damit ist die Frau Karl sogar schon bei den Zwerg-Bundesländern gescheitert. Jedes Bundesland hat ja nach unserer bisweilen sehr seltsamen Verfassung ein Vetorecht gegen solche Einsparungen des Bundes.

Solche Universalrichter in der Einschicht müssten sich – theoretisch – in jedem Rechtsgebiet perfekt auskennen.  Was natürlich undenkbar ist, schaffen das doch so manche Spezialrichter nicht einmal im eigenen Gebiet. Aber die Qualität der Justiz ist hierzulande ohnedies schon egal. Nicht nur den Landeshauptleuten ist anderes, wie etwa das Wohlwollen einiger Bürgermeister viel wichtiger.

Das Image der Justiz ist jedenfalls total im Keller gelandet: Bei einer neuen OGM-Umfrage hat ihr eine überwältigende Mehrheit der Österreicher das Vertrauen entzogen. Im Vertrauensbarometer landet sie weit hinten. Und sie liegt sogar hinter selbst so umstrittenen Institutionen wie Schule, Krankenkassen, Bundesheer, ÖGB, Kirche, Parlament. Auch wenn an diesem Imageverlust primär die Staatsanwälte die Schuld tragen, so macht das doch auch jeden Justizminister zu einer lahmen Ente. Das gälte auch dann, wenn wir wieder bessere Minister hätten als die derzeitige Ressortchefin, deren einzige Qualifikation die Protektion durch den Herrn Schützenhöfer ist. Dass EU und Bundesregierung noch schlechtere Werte haben, sollte für die einst sehr angesehene Justiz keine Sekunde lang ein Trost sein. Die Justiz wäre auf Grund ihrer Wichtigkeit nur dann in Ordnung, wenn ihr Ansehen das beste unter allen getesteten Institutionen ist.

Sie bereiten schon wieder neue Ausgaben vor

Aber die Glaubwürdigkeit des Landes wird nicht nur durch den Unwillen der diversen Profiteure zertrümmert, auf den langgewohnten Zaster (Copyright: Johanna Mikl-Leitner) zu verzichten. Denn einige Politiker sind sogar schon darüber hinaus wieder unterwegs, um sich neue Ausgaben und damit Schulden auszudenken.

Da fordert etwa Sozialminister Rudolf Hundstorfer öffentlich: Der „Weiterbau“ des Sozialstaats sei das Gebot der Stunde. Selbst wenn solche Sprüche schon primär Teil eines inoffiziellen Wahlkampfs um das Erbe des Michael Häupl sein sollten, zeigen sie doch, wie wenig die Lage der Republik in den Köpfen der Sozialdemokraten angekommen ist. Wäre es anders, könnte Hundstorfer mit solchen Aussagen ja gar nicht Stimmung unter den Genossen für sich machen. Aber es ist zu befürchten, dass er seine Worte auch blutig ernst meint. So bezeichnete er die Notwendigkeit, angesichts einer ständig steigenden Lebenserwartung länger zu arbeiten, schlichtweg als „Mär“. Dieser Mann will offenbar wirklich jede notwendige Reform verhindern.

Zusätzlich das Budget belasten wollen aber auch andere Ministerien. Sowohl die Infrastrukturministerin Bures wie auch die Frauenministerin Heinisch-Hosek haben jetzt angeordnet, dass Aufträge nur noch an Firmen vergeben werden, die Frauen fördern. Die Heinisch-Hosek-Anordnung gilt auch gleich fürs ganze Bundeskanzleramt, obwohl dort theoretisch ein anderer zuständig wäre. Aber der . . .

Die Weisungen der Ministerinnen werden eine ganz eindeutige Konsequenz haben: Die Aufträge werden im Schnitt für den Steuerzahler deutlich teurer werden. Denn je weniger Konkurrenten um einen Auftrag rittern, umso teurer wird er, umso eher können die Firmen hohe Preise durchsetzen. Außerdem kann jede Firma natürlich zu Recht argumentieren, dass die verlangten Förderprogramme Kosten verursachen.

Diese Verteuerung betrifft alle Ausschreibungen bis 100.000 Euro. Erst bei höheren Beträgen gilt das strenge und objektive Vergabegesetz. Die Schwelle, wo dieses wirksam wird, hat die Regierung Faymann im Handstreich von 40.000 auf 100.000 Euro erhöht. Was natürlich derlei Schiebungen wieder einen weit größeren Spielraum verschafft als vor der schwarz-blauen Vergabereform.

Man darf nun freilich gespannt sein, wie die Zeitungsverleger Fellner und Dichand künftig die „Frauenförderung“ beweisen werden, um weiterhin an die fetten Faymann-Inserate heranzukommen. Vielleicht durch die nachweislich exzellenten Abdruckchancen für leicht- bis gar nicht bekleidete Mädchen? Schöner kann man ja Frauen gar nicht fördern . . .

Die Banken zittern vor Greenpeace

Aus vordergründiger Ideologie gegen die eigene Tasche (beziehungsweise die der Steuerzahler) arbeiten aber neuerdings nicht nur Ministerien, sondern dies tut auch die Bank Austria. Obwohl es ihr ja auch nicht so sensationell gut gehen soll. Die Bank hat jetzt als Folge einer politischen Erpressung durch grüne NGOs den Betriebsmittelkreditvertrag mit der slowakischen Kernkraftwerksgesellschaft gekündigt. Wenn Greenpeace und Global 2000 trommeln, dann verzichtet man eben lieber auf ein gutes Geschäft. Als ob man so viele andere machen würde.

Bleibt noch die Frage offen: Werden künftig in der Bank Austria im Herbst und Winter auch die Lichter und Computer ausgeschaltet? Denn in dieser wasser-, sonnen- und windarmen Periode muss Österreich ja regelmäßig den bösen tschechischen Atomstrom importieren. (Oder weiß das Greenpeace nicht? Dann bitte geheimhalten.)

 

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Die Krise ist vorbei – es lebe die Krise

13. März 2012 00:43 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Europas und Österreichs Politiker versuchen den Eindruck zu erwecken, dass die große Krise überwunden wäre. Da die Menschen der schlechten Nachrichten längst überdrüssig sind, sind sie nur allzu gern geneigt, die Botschaft auch zu glauben. Alleine: Die wirtschaftlichen Fakten sprechen eine ganz andere Sprache. Sie bleiben in der Welt, auch wenn man sie verdrängt.

Die Gefahr ist sogar groß, dass gerade die Rettungsmaßnahmen einen Startschuss für die nächste Krise bedeuten, die daher eine direkte Fortsetzungskrise zu werden droht. Vor allem die Politik des billigen Geldes und die ständige Steigerung der Staatsausgaben bergen großes Gefahrenpotential.

Damit wiederholen sich die Hauptursachen des letzten Krisenausbruchs: Nach der Dot.com-Krise 2001/02 haben die westlichen Notenbanken – auf Druck der Politik – eine viel zu expansive Geldpolitik betrieben. Und zugleich war auch die Fiskalpolitik viel zu expansiv. „Die Wirtschaft wurde damals von beiden Seiten befeuert“, formuliert der Makroökonom Peter Brezinschek. Das musste zur Entstehung von Blasen führen, die irgendwann einmal platzen, was dann 2008 mit katastrophalen globalen Folgen passiert ist.

Am Beginn einer österreichischen Immobilienblase

Auch wenn Wissenschaftler in Hinblick auf die Zukunft immer viel vorsichtiger formulieren als bei der Vergangenheit, müsste ein Satz von Christian Helmenstein, einem weiteren prominenten Ökonomen, in ganz Österreich die Alarmglocken schrillen lassen. „Österreich befindet sich möglicherweise an der Schwelle zu einer Immobilienblase. Es gibt aber keinen Politiker, der bereit wäre, eine sich aufbauende Blase zu stoppen.“

Genau solche Immobilienblasen – also steil ansteigende Preise für Häuser und Wohnungen – sind ja am Beginn der jüngsten Krise von Amerika bis Spanien geplatzt. Das hat die bekannten explosiven Kettenreaktionen ausgelöst. Denn ein tiefes Absinken der zuvor in die Höhe gejagten Werte von Immobilien (in Spanien etwa auf ein Fünftel der Spitzenwerte) bringt natürlich nicht nur die Hausbesitzer, sondern auch die kreditgebenden Banken ins Schleudern. Es setzt sie existenzbedrohend „unter Wasser“, wie es die Amerikaner formulieren.

Das, was vor zehn Jahren zu der verheerenden Blasenbildung geführt hat, ist im Grund genau das, was auch jetzt wieder passiert. Die EZB hat mehr als eine Billion Euro an Billigstgeld gegen zum Teil sehr dubiose Sicherheiten unter die Europäer gebracht; ähnliches tun die Amerikaner; zugleich sind die Sparanstrengungen vieler Länder unzureichend. Wir haben also wieder eine leichtfertig expansive Politik, in Sachen Budgets wie auch in Sachen Notenbanken. Die aber keineswegs für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand sorgt.

Die Schweiz gibt weniger aus – und baut Vorsprung aus

Österreichische Spitzenökonomen, die in der Gruppe „proMarktwirtschaft“ zusammengefasst sind, haben nachgewiesen, dass die Schweiz in den fünf Jahren 2006-2010 ihren Vorsprung auf die Euro-Länder drastisch ausbauen hat können: War das (entsprechend der Kaufkraft berechnete) Pro-Kopf-Einkommen der Schweizer anfangs „nur“ um 34  Prozent höher als im Euro-Raum, so stieg der eidgenössische Vorsprung am Ende der Periode auf 47 Prozent.

Damit ist der gesamte Wachstumsvorteil, den die Euro-Einführung ursprünglich im Vergleich zur Schweiz ausgelöst hat, wieder verloren gegangen. Ursprünglich war ja der Euro für viele Länder vorteilhaft, weil er niedrige Zinsen gebracht hat. Jedoch wurden diese in vielen Ländern nicht für Investitionen genutzt (mit denen man die Rückzahlung finanzieren hätte können), sondern für Konsumausgaben.

Die Schweiz hat ihren Wachstums- und Wohlstandsgewinn während der letzten Jahre nicht durch höhere Staatsausgaben oder Verschuldung oder billiges Geld erzielt. Was ja nach der Ansicht von gewerkschaftsnahen Ökonomen die einzigen Wege zu Wachstum wären. Sie hat vielmehr in diesem Zeitraum Staatsausgabenquote wie auch Schulden deutlich zurückschrauben können. Letztere sank (im Zeitraum 2002 bis 2010) etwa von 68 auf 54 Prozent.

Die Ökonomen sehen auch über die Schweiz hinaus eine enge Korrelation zwischen dem Abbau von Schulden und einem steigenden Wachstum. Diese Erkenntnis stellt die einstige Keynesianische Theorie weitgehend auf den Kopf, die zu immer mehr Schulden geführt hatte.

Sparpaket ist völlig unzureichend

In Österreich hingegen steigt trotz dieser Erkenntnisse die Ausgabenquote weiter an. Das Land hat in den guten Konjunkturjahren 2009/10 fast als einziges Euro-Land die Ausgabenquote sogar gesteigert. Auch für die Zukunft schaut es trotz eines angeblichen Sparpakets nicht gut aus. Während die EU eine alljährliche Reduktion des strukturellen Budgetdefizits um 0,75 Prozent verlangt, reduziert Österreich dieses strukturelle Defizit nur um 0,4 Prozent des BIP (Bei der Berechnung eines strukturellen Defizits werden Konjunktur-Effekte herausgerechnet).

Die proMarktwirtschaft-Ökonomen sehen eine jährliche Defizitreduktion von sogar 1 Prozent als leicht möglich an. Alleine in den drei Bereichen Gesundheit (zB.: zu viele Akutbetten, zu viele und medizinisch noch dazu schlechte Kleinspitäler), Pensionen (ein viel zu niedriges Antrittsalter) und Förderungen wäre das Defizit problemlos um sechs Prozentpunkte reduzierbar. In all diesen drei Bereichen ist Österreich weit ausgabenfreudiger als die anderen europäischen Länder. Dabei geht es hier durchwegs um Ausgaben, die nicht wachstumsfördernd sind.

Bankenrettung ist nicht an Krise schuld

Die Daten der Ökonomen widerlegen noch weitere häufig wiederholte Glaubenssätze der österreichischen Debatte. So wird oft behauptet, die Bankenrettungen seien die Hauptursache der angewachsenen Schulden. Dabei macht das ganze Bankenrettungspaket nur maximal 5 Prozent des BIP aus – dies aber nur im Fall, dass das Paket ganz ausgeschöpft wird und keine Gelder für die Partizipationsscheine zurückfließen. Was jedoch als absolutes Worst-Case-Szenario gilt.

Bereits Tatsache ist jedoch, dass die Krise das Defizit um rund 15 Prozentpunkte ansteigen hat lassen. Und der allergrößte Teil der rund 73 Prozent Staatsschulden, die Österreich heute so drücken, ist ja überhaupt in den Jahren vor der Krise, also ganz ohne Bankenrettungen entstanden.

Aber auch diese 73 Prozent sind nur ein kleiner Teil der Wahrheit: Schon  im übernächsten Jahr kommen weitere 4,5 Prozent durch derzeit noch in ausgelagerten Gesellschaften versteckte Schulden hinzu. Die wirkliche – nur selten öffentlich angesprochene – Katastrophe ist aber die implizite Staatsverschuldung. Zu deren Berechnung werden auch all jene Verpflichtungen dazugerechnet, die der Staat jetzt schon eingegangen ist: etwa die künftig auszuzahlenden, aber heute schon bestehenden Zahlungsverpflichtungen für Pensionen, für den öffentlichen Dienst und die Folgen der demographischen Entwicklung.

Helmenstein berichtet von einer neuen deutschen Studie, dass diese implizite Verschuldung in Österreich bereits über 297 Prozent liegt. Zwar sind auch in anderen Staaten solche implizite Schulden aufzufinden. Aber sie liegen etwa in Deutschland um rund hundert Prozentpunkte niedriger als in der Alpenrepublik.  Daher ist ein weiterer Verlust der österreichischen Kreditwürdigkeit, ein neuerliches „Downgrading“ wahrscheinlicher als eine Rückkehr zum Triple-A.

Die Politik als oberster Preistreiber

Auch die Klagen mancher Politiker über die Preissteigerungen der „Wirtschaft“ sind überaus heuchlerisch: Während die gesamte Inflation in Österreich im Schnitt des letzten Jahrzehnt 1,9 Prozent ausgemacht hat, sind die (politisch) administrierten Preise um 2,65 Prozent gestiegen. Das heißt: Die Politik selber ist der größte Preistreiber.

Selbst die einstige sozialdemokratische Vorbild-Region Skandinavien ist kein Exempel mehr für die Politik der österreichischen Regierungen (vor allem der besonders ausgabenfreudigen Landesregierungen), um ihre Schulden- und Ausgabenfreudigkeit zu rechtfertigen. Schweden etwa hat als einziger EU-Staat derzeit ein ausgeglichenes Budget, kann sich daher zum Unterschied von Österreich sein noch immer recht hohes Ausgabenniveau leisten. Es hat aber auch seine Ausgabenquote um nicht weniger als 4,7 Prozentpunkte reduziert. Während eben Österreich diese Quote steigert.

 Mit anderen Worten: Die Politik tut alles, damit sich die Krise recht bald in noch gesteigertem Umfang wiederholt.

 Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Griechenland ist pleite!

12. März 2012 23:42 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

Mit dem Stempel der ISDA  (International Swaps and Derivatives Association) wurde es ganz offiziell: Griechenland ist pleite! Alle „Rettungsschirme“, die aufgespannt wurden, um die Pleite zu verhindern, haben nichts gebracht, 350 Milliarden wurden in den Sand gesetzt, die Gläubiger (Staaten, EZB, Notenbanken, Auffanggesellschaften, Privatgläubiger, IWF, EU) halten jetzt nur noch „Ramsch-Papiere“ in ihren Händen.

Die griechischen Schulden, welche in diesen Ramsch-Papieren verbrieft sind, werden jedoch zum Nennwert (!) „virtuell“ auf die Mitglieder der EURO-Zone übertragen und im Wege von EFSF/ESM bedient. Auf diese Weise entsteht das, was bei Gründung der EWU nie beabsichtigt war und mit allem Nachdruck ausgeschlossen wurde: Eine Schulden- und Haftungsunion. Österreich wird an dieser Schulden- und Haftungsunion mit über 50 Milliarden EURO beteiligt sein (verlorene Zuschüsse, Kapitalbeteiligungen und Zinsen).

Griechenland wird entschuldet, und dazu wird die EURO-Zone bis 2020 rund 500 Milliarden EURO aufzubringen haben. Das erste Hilfspaket von 109 Milliarden EURO wird natürlich nie zurückgezahlt, sondern herumgeschoben, bis es auf der Ramschhalde von EFSF/ESM landet. Das zweite Hilfspaket von 135 Milliarden wird unmittelbar vom EFSF beigestellt und später vom ESM übernommen. Im ESM landen nach ein paar Jahren auch die IWF-Kredite, denn auch für die wurde von den EURO-Mitgliedern die Haftung übernommen… Zur Entschuldung Griechenlands mussten inzwischen auch die „Privatgläubiger“ (also vor allem die Banken) 107 Milliarden EURO beitragen.

Die als „Privatgläubiger“ ausgegebenen Banken werden allerdings entschädigt durch „billiges Geld“ (1 Prozent p.a.), welches ihnen die EZB in Höhe von einer Billion EURO (!) zur Verfügung stellt. Sie verleihen es mit einer Spanne von 300-400 Prozent weiter, zu Lasten der Bürger der Euro-Staaten, die als Steuerzahler oder Konsumenten in Form von Zinsen für diese „Geschenke“ an die Banken – rund 30 Milliarden EURO jährlich! – aufzukommen haben.

Doch auch damit nicht genug. Der griechische Pleite-Staat darf neue Schulden machen und neue Staatsanleihen ausgeben. Die EZB akzeptiert laut Mitteilung ihres Präsidenten Draghi vom 09.03. diese neuen Ramschanleihen als Pfand („Collateral“) und gibt dafür „frisches“, elektronisch aus dem Nichts geschaffenes Geld aus. 200-300 Milliarden EURO dürften auf diese Weise in den nächsten 30 Jahren an neuen griechischen Ramsch-Schulden entstehen und im EZB-System hängen bleiben.

Außerdem werden Griechenland „Notkredite“ von rund 100 Milliarden EURO als „Emergency Liquidity Assistance“ (ELA) zu Lasten des EZB-Systems eingeräumt (dzt. sind es 53 Milliarden EURO), die ebenfalls nie zurückgezahlt, sondern nur herumgeschoben werden, bis sie irgendwo im gemeinsamen Schuldentopf der EURO-Mitglieder gelandet sind.

Dazu kommen nun auch noch die berühmten Target 2 - Kredite, die mit „frischem Geld“ aus dem EURO-System finanziert wurden und werden. Im Falle von Griechenland dürften sie Ende Februar 2012 bereits eine Größenordnung von über 200 Milliarden EURO erreicht haben. Sie sind natürlich ebenfalls uneinbringlich, denn Griechenland wird noch auf lange Zeit keinen Exportüberschuss aufweisen können.

Durch EZB, EFSF, ESM und Target 2 entsteht jetzt eine Transfer-Union ungeahnten Ausmaßes. Auch sie wurde in den Verträgen über die Währungsunion ausgeschlossen. Doch dass die Staatschefs Recht und Verträge brechen, ist längst zur Gewohnheit geworden. Wer heute noch an Treu und Glauben als Grundprinzip der europäischen Rechtskultur erinnert, macht sich lächerlich. Wer gegen Zwangsenteignungen das Grundrecht auf den Schutz des Eigentums einmahnt, gilt als „unsolidarisch“. Wer auf dem Diskrimierungsverbot und auf Rechtsgleichheit beharrt, gefährdet die „Sanierungsbemühungen“. Die nachträgliche Änderung von Anleihebedingungen und der Zwangsumtausch sind der beste Beweis.

Österreich kann aus dem „kollektiven Wahnsinn“ – als solchen bezeichnet der britische Außenminister Hague die Europäische Währungsunion – nur einen einzigen Schluss ziehen: Sich dem kollektiven Wahnsinn entziehen. Sich am ESM nicht beteiligen. Auf pünktlicher Rückzahlung der Griechenland -Kredite  aus dem 1. Hilfspaket beharren. Die Zustimmung zur Auszahlung von EFSF- und weiteren Kredittranchen an Griechenland verweigern. Jede Aufstockung der „Firewalls“ verhindern. „Kein Cent nach Griechenland, den Pleitestaat“, das muss die Parole sein! 1998, kurz vor Einführung des EURO, hat Jean-Claude Juncker vor versammelter CSU-Mannschaft noch getönt: „Transferleistungen sind so absurd wie eine Hungersnot in Bayern“. Jetzt gilt es, sich darauf zu besinnen.

Der Autor lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Sein jüngstes Buch „Der Sinn der Geschichte“ (Regin-Verlag, Kiel 2011) behandelt ausführlich die EU-Problematik. In zahlreichen Gastkommentaren hat er für das „Tagebuch“ zur Europäischen Währungs- und Wirtschaftsunion Stellung genommen. Nachlesenswert  sind seine Warnungen vor der „Schwindelwährung Euro“ und vor der „Spengkraft des Euro“ aus dem Jahr 1997(!): www.jf-archiv.de/archiv/20aa4.htm und www.jf-archiv.de/archiv/47aa12.htm.

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Einen wie hohen Anteil erneuerbarer Energie haben die EU-Staaten?

11. März 2012 14:28 | Autor: Andreas Unterberger

Anteil der erneuerbaren Energie (inklsive Wasserkraft) am Stromverbrauch in Prozent 2010

 

Staat erneuerbare Energie
Österreich

68

Schweden

54

Portugal

51

Spanien

36

Finnland

25

Italien

21

Deutschland

18

Frankreich

15

Tschechien

10

Ver. Königreich

8

Ungarn

8

Niederlande

7

Quelle: E-control/Eurostat

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Der Tod einer Verschwörungstheorie

09. März 2012 00:31 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Griechenland ist noch lange nicht gerettet – aber wieder einmal ist eine Verschwörungstheorie zusammengebrochen. (Mit einer nachträglichen Ergänzung)

Dass 95 Prozent der privaten Gläubiger Griechenlands auf einen Gutteil ihre Forderungen verzichten, überrascht. Haben doch alle „Insider“ seit Wochen von einer großen Verschwörung der Hedgefonds berichtet. Diese Fonds hätten sehr viele Forderungen günstig aufgekauft, würden auf keinen Euro davon freiwillig verzichten, und für den Fall einer zwangsweisen Beschneidung die von ihnen gekauften Kreditausfallversicherungen (CDS) aktivieren. Solche CDS seien außerdem von den wilden Spekulanten auch in Form von Wetten ganz ohne zugrundeliegenden Kredit in großem Umfang gekauft worden.

Es gab zwar offensichtlich keine Beweise, aber man wusste das einfach alles. Seit drei Jahren wird ja jedes Gerücht geglaubt, wenn es nur irgendwelche düstere Spekulanten zum Bösewicht stempelt. Die Vermutung ist groß, dass solche Gerüchte besonders von der Politik gestreut werden, damit nur möglichst wenige Menschen erkennen, dass die schuldensüchtigen Regierungen die eigentlichen Hauptschuldigen an der Krise sind. Aber wieder einmal hat all das Böse, was man da so über die Finanzwelt zusammenreimte, nicht gestimmt. Seltsam. Und wenn jemand wie behauptet wirklich massenweise die behaupteten Spekulations-Wetten abgeschlossen hätte, stünde er nun mit blutiger Nase da. Aber man sieht keinerlei Blutspur.

Die einzigen, von denen zumindest griechische Medien konkret berichten, dass sie dem Schuldenschnitt nicht zugestimmt haben, sind ausgerechnet griechische Pensionsfonds. Das wäre noch viel seltsamer. Wenn diese Meldungen oder auch jene über gewaltige Rüstungskäufe Griechenlands stimmen sollten, dann bestätigt das freilich nur eines, was jeder Lokalaugenschein in Griechenland auch zeigt: Das eigentliche Problem Griechenlands ist nicht die Schuldenmenge, sondern der Reformunwille des Landes und seiner Menschen. Man tut ständig nur so, als ob man harte Schnitte setzt – ­ nämlich solange irgendein Ausländer Druck macht. Aber kaum ist der wieder abgezogen, geht der alte Schlendrian weiter.

Wirklich grundlegende Änderungen finden dort einfach nicht statt. Während Irland oder Portugal sehr harte Sanierungsmaßnahmen durchziehen, erscheint es den Griechen offenbar viel praktischer, wenn halt auf das nunmehrige zweite Hilfspaket in einiger Zeit ein drittes folgt. Und so weiter.

Das bestätigt aber nur die absolute Überzeugung: Schon das erste Paket war ein schwerer Fehler gewesen. Und die europäischen Steuerzahler wären viel billiger weggekommen, hätten sie nicht Griechenland dauerretten, sondern nur den Dominoeffekt wegsubventionieren müssen, falls ausländische Banken mit vielen griechischen Staatsanleihen im Tresor zu kollabieren gedroht hätten.

Aber diesen historischen Fehler wird nie jemand zugeben. Weder eine Regierung noch EU noch die EZB noch eine Notenbank. Wer ist schon bereit zu sagen: Wir haben einen Riesenfehler begangen? Lediglich der Internationale Währungsfonds wendet sich immer stärker von der bisherigen Griechenland-Politik ab. Vielleicht weil dort keine Europäer sitzen?

(Am nächsten Morgen waren es dann zwar doch nur 84 Prozent. Was aber am Geschriebenen nichts ändert).

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Wenn die Inder den Europäern den nackten Hintern zeigen

06. März 2012 00:47 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Rückkehr nach einigen Tagen Indien, Rückkehr mit einer Fülle neuer Eindrücke, mit einem veränderten Blick auf die asiatische Herausforderung an Europa. Während alle Welt nach China und dessen seit Beginn dieser Woche auch offiziell eingestandene Wachstumskrise blickt, macht sich Indien gerade daran, bevölkerungsmäßig zur Nummer eins auf der Welt zu werden. Bei dem südasiatischen Riesen hat einfach alles andere Dimensionen: sowohl die Erfolge wie auch die Misserfolge.

Bleiben wir zuerst bei den Sonnenseiten. Auch wenn Indiens Image nach wie vor mit Hunger und Elend verbunden ist, sollten wir uns klarmachen: Hungerkatastrophen hat es in dem Land schon lange keine mehr gegeben. Die modernisierte Landwirtschaft blüht – und kann nicht zuletzt dank neuer wissenschaftlich entwickelter Saatgut-Formen die inzwischen schon 1,3 Milliarden ernähren, was sie früher bei einer nur halb so großen Bevölkerung nicht geschafft hat. Panische Angst vor genveränderten Pflanzen oder vor allem, was mit dem Wort Hormon zusammenhängt, hat in Indien niemand. Das sind spezifisch europäische Krankheiten.

Das Thema der Werbung: Bildung

Fährt man durch die großen und kleinen Städte des Subkontinents, dann springt einem wie seit jeher der laute, dichte und chaotische Straßenverkehr ins Auge: mit einer im Vergleich zu einstigen Besuchen noch gewaltig vergrößerten Zahl an Autos, mit Fahrrad-Rikschas, mit jeder anderen nur denkbaren Form von Verkehrsmitteln, mit Elefanten, Kamelen und Kühen, mit Geisterfahrern jeder Art. Der zweite starke Eindruck sind die vielen Plakate. Auf diesen dominiert neben der Werbung für die soeben abgehaltenen Regionalwahlen vor allem ein Thema: Alles was mit Bildung zusammenhängt.

Auf den Werbeflächen werden die diversesten Schulen, Kurse und Universitäten beworben. Ein Mädchen-Internat genauso wie eine Computerschule, MBA-Ausbildungen genauso wie simple Englisch-Kurse. Ein Land ohne sonderliche Rohstoffe, aber mit einer unglaublich dynamischen Jugend weiß, wo seine einzige Zukunftschance liegt. Nur eine einzige Zahl: Das Durchschnittsalter beträgt 26 Jahre, in Österreich hingegen 43!

Daher ist in dem vielsprachigen Land in vielen Grundschulen der Unterricht in den letzten Jahren auf englisch umgestellt worden, auf die Sprache, die sowohl national wie global alle Tore öffnet. Selbstverständlich sind all die beworbenen Schulen und Kurse kostenpflichtig. Ihr Besuch wird daher auch ernster genommen als in österreichischen Gratisschulen.

Das Ergebnis der Bildungsexplosion lässt sich schon heute sehen: Jeder dritte Programmierer auf der Welt ist ein Inder. Zum Programmieren braucht man ja keine großen Maschinen-Investitionen, sondern „nur“ ein diszipliniertes mathematisches Hirn.

Auch in einer anderen postindustriellen Kreativ-Branche sind die Inder extrem erfolgreich: Die Bollywood-Filmindustrie ist die weitaus größte der Welt. Die voll Schmalz, Schmerz und Schönheit produzierten Filme sind auch in großen Teilen der islamischen Welt einsetzbar. Denn erstens sind sie professionell gemacht, zweitens billig, drittens haben sie verständliche Handlungen, und viertens sind sie garantiert frei von Sexszenen oder ähnlichem.

Gut ausgebildete junge Menschen sind auch das erfolgreichste Exportgut des Landes: In Großbritannien verdienen die aus Indien stammenden Menschen heute um rund zehn Prozent mehr als die Durchschnittsbriten. In den USA machen die Inder zwar nur 1 Prozent der Bevölkerung, aber 16 Prozent der Studenten an den Elite-Unis aus.

Mit anderen Worten: Während Mitteleuropa primär die ungebildeten Sozialmigranten aus der Dritten Welt anzieht, gehen die bildungsorientierten Inder dorthin, wo die Steuern nieder sind und die Unis Weltklasse darstellen (und wo die Sprache Englisch ist).

Wer wie der Autor Indien schon vor mehr als 30 Jahren mehrmals besucht hat, kann heute auch eine signifikante Steigerung der industriellen und Infrastruktur-Investitionen feststellen. Die Flughäfen in Delhi und Mumbai sind moderner und großzügiger als alle europäischen Airports, die ich kenne. Aus Indien stammende Industrielle sind international heute etwa schon in der Schlüsselbranche Stahl führend. Aber auch Automarken wie Jaguar oder Land Rover sind schon in indischem Besitz. Dennoch reicht die industrielle Dynamik Indiens nicht ganz an jene etwa Chinas oder Vietnams heran.

Der Protektionismus bremst

Denn Indien ist – und hier wechseln wir zu den Schattenseiten – noch immer weniger investorenfreundlich als China. Viele westliche Konzerne halten sich von dem Subkontinent fern, weil die Gesetze sehr protektionistisch sind.

So hat jetzt beispielsweise Ikea die Pläne fallengelassen, nach Indien zu gehen: Das wäre nur erlaubt gewesen, wenn Ikea garantiert, dass 30 Prozent der verkauften Produkte aus Indien stammen. Was Ikea mit seiner globalen Produktionsweise nicht garantieren will. Dabei sind sich Experten einig: Gerade solche Handels-Weltkonzerne würden die industrielle Produktion im Lauf der Jahre in die Höhe ziehen. Sind die Gehälter in Indien doch trotz anhaltender Inflation noch immer sehr niedrig. Das gleicht das geringe Arbeitstempo eines indischen Arbeiters mehr als aus.

Ähnlich protektionistisch hat Indien auch den Flugverkehr abgeschirmt. Das führt dazu, dass derzeit nach der Reihe indische Fluglinien bankrott gehen, weil ihnen internationales Kapital und Knowhow fehlen.

Der Protektionismus hat zwar einige geschützte Industriellenfamilien sehr erfolgreich gemacht, das Land aber um die mögliche Dynamik gebracht. Zwar steckt Indien nicht mehr in einer sozialistischen Planwirtschaft, die das Land in den ersten Jahren der demokratischen Unabhängigkeit noch total gelähmt und verarmt hat. Aber Indien braucht eindeutig mehr Investitionen, um den jungen Menschenmassen eine gute Zukunft zu geben.

Denn Indien ist viel jünger als China, wo die Menschen als Folge der Einkind-Politik im Durchschnitt heute schon rund zehn Jahre älter sind als auf dem Subkontinent. Indien hat mit Ausnahme einer kurzen undemokratischen Periode unter Indira Gandhi nie eine Politik der Geburtenbeschränkung forciert. Für seine Familien sind viele Kinder zum Unterschied von Europa auch heute noch trotz aller Erziehungskosten ökonomisch besonders wichtig: Sie sind für die meisten Inder nach wie vor die einzige Altersvorsorge. Und werden daher in großer Anzahl in die Welt gesetzt.

Genauer gesagt: Das gilt nur für die Söhne. Töchter hingegen haben sich nach der Heirat ausschließlich um die Schwiegereltern zu kümmern, fallen für die Altersvorsorge der Eltern aus. Selbst Eltern, die nur Töchter haben, werden von der indischen Tradition eher auf die Versorgung durch Neffen verwiesen, als dass sie auf die Hilfe ihrer wegverheirateten Töchter rechnen dürfen. Das führt nun erstens dazu, dass weiterhin viel mehr in die Erziehung der Söhne als jene der Töchter investiert wird: 70 Prozent der männlichen Inder können lesen, aber nur 48 Prozent der weiblichen.

Ein Mädchen? Dann abtreiben

Eine weitere Konsequenz dieses archaischen Altersversorgungssystems ist in Kombination mit den Mitteln der heutigen Medizin noch viel dramatischer: Millionenfach werden alljährlich weibliche Föten gezielt abgetrieben. Die Geburtenzahlen kleiner Mädchen erreichen nur noch 91 Prozent der Zahlen der Buben, in manchen Regionen sind es sogar 82 Prozent.

Dieser in den letzten Jahren entstandene Trend wird wohl gewaltige, aber noch schwer konkret beschreibbare Konsequenzen haben: Wie werden sich all die jungen Männer künftig verhalten, die keine Frauen finden? Sind sie nicht eine potentielle Quelle für Kriminalität, Gewalt und Kriege?

Dennoch müssen viele Frauen heute auch heute noch – obwohl gesetzlich verboten – bei der Ehe eine ordentliche Mitgift mitbringen. Und wehe ihnen, ihre Familie stattet sie nicht ordentlich aus: Jede Jahr werden nach einer neuen indischen Studie über 8000 junge Frauen umgebracht, weil die Familie des Mannes enttäuscht ist über das, was da an Schmuck und Geld mit der Frau mitkommt. Das ist ziemlich genau jede Stunde eine tote Ehefrau. Und die Zahl der Morde nimmt im Langfristvergleich weiter zu – auch wenn sie oft als Unfälle, etwa als Verbrennungen beim Kochen, getarnt werden.

Ein Grenzstaat zum Islam

Eine ganz andere explosive Problemzone Indiens ist der Dauer-Konflikt mit dem islamischen Nachbarn Pakistan, der zum Teil auch mit Reibereien zwischen den 81 Prozent Hindus und den 13 Prozent Moslems verbunden ist. Nur ein kleines Beispiel: An einigen Plätzen einstiger Tempel, auf denen islamischen Großmoguln nach deren Zerstörung Moscheen errichtet haben, herrscht explosive Hochspannung. Viele Hindus wollen nämlich, dass statt der Moscheen wieder Hindu-Heiligtümer entstehen. Was die Moslems wiederum nicht akzeptieren wollen. Als Folge krachen bisweilen Bomben. Die damit verbundene Spannung merkt man auch an den Hunderten schwer bewaffneten Wachposten, die jeden Besucher an den umstrittenen Orten mindestens dreimal genau kontrollieren.

Ebenso beklemmende Situationen kann man am einzigen Straßenübergang der mehr als Tausend Kilometer langen Grenze Indien-Pakistan beobachten: Hier sind nicht nur kilometerlang Kasernen zu sehen. Hier warten auch tausende Lkw oft zwei Wochen lang auf die Umladung auf ein anderes Gefährt, weil indische Fahrzeuge nicht nach Pakistan dürfen. Und umgekehrt.

Dieser Grenzübergang wird am Abend jedes Tages in einer grotesken Zeremonie geschlossen: Tausende Zuseher auf beiden, aber vor allem der indischen Seite begleiten die Grenzschließung mit Sprechchören wie „Hindustan Zindabad“, Lang lebe Indien. Während es auf der anderen Seite eben „Pakistan Zindabad“ heißt.

Die Offiziere brüllen jeweils zur gleichen Sekunde wie ein Gegenüber auf der anderen Seite die gleichen Kommandos in Mikrophone. Jeder versucht dabei aber, den Befehlston länger anzuhalten als der Konkurrent auf der anderen Seite. Und er wird von seinen Landsleuten heftig akklamiert, sollte er es schaffen. Dennoch schütteln einander die beiden Wachkommandanten in einer von unsichtbaren Regie inszenierten Choreographie fünf Sekunden lang die Hände.

Das Ganze ist eine groteske Mischung aus kindischem Imponiergehabe und nationalistischer Wichtigmacherei. Es bedeutet im Grund aber auch den Versuch einer Sublimierung eines Konflikts. Zwei Staaten suchen nach einem halbwegs geordneten Nebeneinander, wenn sie schon kein Miteinander schaffen. Immerhin sind es zwei Staaten, die wegen eines seit mehr als 60 Jahren umstrittenen Grenzverlaufs schon etliche Kriege gegeneinander geführt haben. Wobei übrigens keine einzige Schlacht mehr entbrannt ist, seit beide Länder Atomwaffen haben. Offenbar hat auch hier, so wie einst im europäischen Ost-West-Konflikt, die allesvernichtende Bedrohung durch jene Waffen eine gewisse heilsame Wirkung.

Armut: ja – aber weniger als einst

Längst werden sich viele Leser gefragt haben: Und wo bleibt die dramatische Armut der Inder? Wo bleiben die Folgen des Kastenwesens? In diesen beiden Punkten lassen sich die europäischen Augen leicht täuschen. Sie vergleichen mit dem heutigen Europa, die Inder vergleichen hingegen mit dem Indien eine Generation davor. Und in dieser historischen Sicht hat sich Vieles gebessert. Auch wenn die Dinge noch in keiner Weise Europa ähneln.

So gibt es schon Staatspräsidenten und Landeshauptleute aus der untersten Kaste der einst für unberührbar Gehaltenen. Und das ist auch allgemein akzeptiert worden. Auf der anderen Seite sorgt es immer wieder für böses Blut, wenn Angehörige unterer Kasten und Moslems bei der Aufnahme in bestimmte Universitäten oder Jobs durch Quotenregelungen bevorzugt werden, auch wenn ihre Qualifikationen nicht gleichwertig sind.

Und die Armut? Die scheint optisch nach wie vor allgegenwärtig. Das Bild täuscht. Man darf ja auch die dramatisch angewachsene Zahl von (professionell importierten) Bettlern in österreichischen Straßen nicht als ein Zeichen steil ansteigender Armut werten. Ebenso muss man hinter den vielen Bettlern und riesigen Slums Indiens eben auch das explosionsartige Ansteigen eines Mittelstands sehen.

Aber natürlich bietet Indien auch heute noch beängstigende Anblicke: Etwa, wenn man sich in der Pilgerstadt Benares durch Hunderte, oft arg entstellte Bettler seinen Weg bahnen muss. Etwa wenn man Delhi via Bahn verlässt und dabei noch etwa eine Stunde durch Teile der 20-Millionen-Metropole fährt: Denn die ganze Strecke über ist der Bahndamm links und rechts nicht nur eine einzige Mülldeponie, sondern auch ein einziges Klo. Man fährt also an Hunderten nackten Hintern vorbei, die unbekümmert ihre Notdurft verrichten und deren Besitzer interessiert dem drei Meter entfernt vorbeiratternden Zug nachschauen.

So ungustiös dies dem Europäer auch vorkommt, so sehr muss er sich doch fragen, ob Indien nicht bald der ganzen Welt sinnbildlich die Kehrseite zeigen kann, weil es die heute reichsten Länder weit überholt hat. Das wird freilich nur dann der Fall sein, wenn es seine vier Hauptaufgaben zu lösen imstande ist: also die notwendige Wirtschafts-Liberalisierung (die relativ leichteste Aufgabe), die Arbeitsplätze schaffen und die Inflation reduzieren würde; eine Reduktion der schier allgegenwärtigen Korruption; einen dauerhaften Frieden mit Pakistan; und eine Lösung der Altersversorgung, wodurch sich viele Sozial-, Demographie- und Frauendiskriminierungs-Probleme lösen würden.

Auf den meisten anderen Ebenen aber hat das Land gewaltige Vorteile: Seine Demokratie hat sich als stabil, überlebensfähig und zugleich ausreichend elastisch erwiesen; seine Bevölkerung als arbeitswillig und friedlich; und die meisten Fesseln eines Realsozialismus sind heute abgeschüttelt.

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Kosovo: Lauter halbe Sachen machen noch kein ganzes Europa

28. Februar 2012 00:53 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die europäische Diplomatie jubelt. Und insbesondere tut das die österreichische. Beide glauben endlich wieder einmal einen wirklichen Erfolg erzielt zu haben. Unter starkem Druck der EU und unter intensiver Mitwirkung Österreichs ist erstmals ein Abkommen zwischen Serbien und Kosovo zustandegekommen. Und das öffnet nun auch gleich den Weg Serbiens Richtung EU-Beitritt. Doch: Ist das wirklich ein Erfolg? Jubelt die misserfolgsgeplagte Union da nicht eine diplomatische Missgeburt hoch?

Die Zweifel sind mehr als berechtigt. Wieder einmal hat man sich in Europa anstelle klarer, logischer und nachvollziehbarer Entscheidungen mit halben Sachen zufrieden gegeben. Lauter halbe Sachen machen aber noch keine einzige ganz. Das, was man in den letzten Jahren ganz besonders an der inkonsequenten Stabilitäts- und Währungspolitik ablesen konnte, zeigt sich auch bei der Frage nach Ländergrenzen, nach staatlicher und juristischer Identität. Nicht ist eindeutig, nichts konsequent.

Die Zweifel an dem jüngsten „Durchbruch“ in Sachen Serbien-Kosovo heißen keineswegs, dass die Serben nicht ein willkommener Teil Europas wären. Sie sind sehr wohl ein stolzer und durchaus wichtiger Teil der europäischen Identität. Woran die schwierige österreichisch-serbische Geschichte mit ihrem Kulminationspunkt 1914 nichts ändert.

Jedoch dürfte ein denkendes und selbstbewusstes Europa mit keinem Land über einen Beitritt auch nur reden, wenn man nicht präzise weiß, wo dieses Land anfängt und wo es aufhört. Und das weiß man bei Serbien auch nach diesem oberflächlichen Formelkompromiss mit dem Kosovo noch keineswegs. Denn während sich der Kosovo selbst als unabhängiger Staat ansieht, während das auch schon rund die Hälfte der Staatengemeinschaft so sieht, zählt Serbien die ehemals autonome Provinz des Tito-Staates Jugoslawien nach wie vor staats- und völkerrechtlich zu seinem eigenen Hoheitsgebiet.

Dieser Dissens ist nun nicht durch eine Entscheidung oder gar einen Konsens gelöst worden, sondern durch einen der üblen diplomatischen Kompromisse: Belgrad hat in seinem von der EU patronisierten Abkommen mit dem Kosovo durchgesetzt, dass dabei durch eine Fußnote auf eine alte UNO-Resolution Bezug genommen wird. In dieser wird das Kosovo als Teil Serbiens bezeichnet. Auf den Punkt gebracht heißt diese Konstruktion: Man setzt Abkommen durch, in denen sich beide Vertragspartner zwar als Staaten behandeln, schreibt aber gleichzeitig hinein, dass der eine Vertragspartner kein Staat ist.

Die Möchtegerngroßmacht ist knieweich

Alles klar? Für die EU offenbar ja. Und für Österreich auch, das besonders stolz darauf ist, erstmals seit langem wieder außenpolitisch mitgemischt zu haben. Was zwar stimmt, aber das Ergebnis nicht besser macht.

Dieses Europa träumt ständig davon, eine Großmacht zu sein. Es ist aber  dennoch bereit, Mitglieder mit unklarer Identität aufzunehmen. Denn die Unklarheit über den Kosovo macht natürlich auch Serbiens Grenzen selbst unklar. Kann man sich sonstige Großmächte vorstellen, die so etwas hinnehmen – oder gar noch bejubeln?

China etwa bricht mit jedem Land sofort die Beziehungen ab, welche das kleine Taiwan, die Republik China, anerkennt. Russland setzt an seinen Südgrenzen sogar immer wieder seine Armee zur Klärung solcher territorialer Fragen ein.

Das heißt nun nicht, dass sich Europa inhaltlich an diesen beiden Unrechtsstaaten ein Beispiel nehmen soll. Aber Europa sollte sich auch nicht ständig als inkonsequent und knieweich lächerlich machen. Das hat es freilich schon des öfteren gemacht. Insbesondere durch die Aufnahme Zyperns und durch die Beitrittsgespräche mit der Türkei.

Hält doch die Türkei einen wichtigen Teil Zyperns militärisch besetzt und hat sie doch dort einen von sonst niemandem anerkannten Staat gegründet. Womit ein Vollmitglied der EU nur in einem Teil des Unionsterritoriums der Jurisdiktion der Union unterliegt. Wenn man den Anspruch einer  gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik aber ernst nimmt, wenn man den gemeinsamen EU-Rechtsraum durchdekliniert, dann ist das absurd. Denn man muss zu folgendem Schluss kommen: die Türkei hält völkerrechtswidrig einen Teil der EU militärisch okkupiert; sie wird dennoch dafür in keiner Weise bestraft, sondern durch Beitrittsverhandlungen sogar belohnt.

Auch in anderen Territorialfragen ist Europa von faulen Kompromissen gebeutelt: Griechenland kann – trotz all seiner eigenen schweren Sünden – seit vielen Jahren die volle Anerkennung des neuen Balkanstaates Mazedonien blockieren. Was die Griechen nur deshalb tun, weil sie meinen, der Name Mazedonien gehöre exklusiv ihnen (aus weit mehr als 2000 Jahre zurückliegenden Gründen). Und die restliche EU lässt sich solche neurotischen Ansprüche gefallen.

Ebenso dubios ist die Haltung der EU zu Bosnien-Herzegowina. Dort hält Europa krampfhaft an der Einheit dieses Staates fest. Eine solche Einheit wird aber von einem großen Teil der dortigen Bevölkerung abgelehnt, sie entspricht auch in keiner Weise der realen Machtstruktur. Vor allem die bosnischen Serben führen weitgehend ein von den europäischen Fiktionen – die derzeit von dem österreichischen Diplomaten Valentin Inzko vertreten werden – losgelöstes Eigenleben.

Solcherart kann sich das lebensfremd komplizierte Gebilde Bosnien-Herzegowina niemals wirtschaftlich aus seiner Krise heraus entwickeln. So wie etwa auch das Kosovo. Niemand investiert in Gebieten mit ungeklärten staatlichen und territorialen Rahmenbedingungen.

Die Lösung heißt: Selbstbestimmung

Was aber tun? Die Lösungsformel ist längst entwickelt: Sie heißt Selbstbestimmungsrecht. Dieses wird in den meisten angesprochenen Fällen zur Bildung neuer Staatsgebilde führen. Diese wären auch ökonomisch oft besser aufgestellt als Großgebilde, die auf juristisch-politischen Fiktionen beruhen. Siehe die blühenden Kleinststaaten Liechtenstein und Luxemburg, siehe den wirtschaftlichen Erfolg der Slowakei nach der Trennung von der Tschechoslowakei (trotz der üblen Prophezeiungen, welche einst die Sezession begleitet haben).

Eine solche Politik auf Basis des Selbstbestimmungsrechts wäre die einzig ethisch, demokratisch und rechtlich begründbare. Sie würde im Kosovo – als Ergebnis sauberer und international überwachter Referenden – wohl bedeuten: Volle staatliche Souveränität für den Kosovo, Wechsel der serbisch bewohnten Grenzgemeinden zu Serbien und Wechsel der albanisch bewohnten südserbischen Gemeinden zum Kosovo.

Da aber auch andere europäische Staaten am Souveränitätsanspruch über Gebiete beharren, deren Bevölkerung mehrheitlich nicht zu diesen Staaten gehören will, ist die EU auch in dieser Frage zu keiner klaren Politik imstande. Man denke nur an das Baskenland oder an Südtirol, wo die Grenzen jeweils nur auf der Macht der Gewehre, aber nicht auf einer demokratischen Legitimität beruhen. Daher ist für Spanien und Italien das Selbstbestimmungsrecht tabu.

Manche verteidigen den Anspruch Serbiens auf das Kosovo damit, dass das Kosovo einst ein rein slawisches Territorium war. Das ist zwar richtig. Aber es wäre dennoch absurd, heutige Gebietsfragen mit Jahrhunderte zurückliegenden Fakten zu begründen.

Aus der ethnischen Verschiebung im Kosovo kann man jedoch noch etwas ganz anderes lernen: Nicht nur Eroberung, sondern auch Migration kann zur Verschiebung von staatlichen Identitäten oder Grenzen führen. Daher sollte man doch immer auch für das Mitteleuropa von heute genau prüfen, zu welchen Veränderungen großdimensionierte Wanderungsbewegungen samt unterschiedlicher Geburtenfreudigkeit langfristig führen können. Diese Gefahren zu beachten, wäre klug und keineswegs wie manchmal behauptet fremdenfeindlich.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Feenfreud und Feenleid

24. Februar 2012 23:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Es war einmal ein kleiner W.,
entrückt von einer blonden Fee
aus seinem Häuschen, schlichten,
in ein gewaltig großes Schloss –
und wie ihr ahnen könnt, verdross
den Guten das mitnichten.

Was Wunder, kam’s dem Mann ab dann
auf schöne fromme Rede an,
der Fee zum Wohlgefallen –
doch so wie allen recht getan,
ist’s eben auch ein leerer Wahn,
es recht zu reden allen.

Das wies sich klar, als er befand,
was mittlerweile zu dem Land
gehöre sozusagen:
Nicht an Gebiet – das ist vorbei –
vielmehr an buntem Allerlei,
von fern herbeigetragen!

Da staunte man im Volke sehr,
zumal erst kurze Zeit vorher
die Fee, die hochverehrte,
den lang gehegten Mummenschanz
ums Vielgevölk als voll und ganz
gescheitert doch erklärte!

Gleichwohl hat sie den W. gestützt –
nur hat’s ihm letztlich nichts genützt
und manche gar erheitert:
Er ist ja an Vergangenheit
und noch dazu, was nicht gescheit,
der eigenen gescheitert!

Ein Pech war, dass beim Folgeschritt
der Feenstab ihr glatt entglitt,
und sie stand stumm daneben,
denn leise durch die Hintertür
entschieden andre flugs die Kür –
so ist’s im wahren Leben…

Pannonicus

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Haut die Ungarn! Oder: Mein Gott, Gio!

23. Februar 2012 01:01 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Erstmals fällt Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn jenseits von Phototerminen auf – und das gleich abgrundtief negativ. Er heult in der ihm eigenen Feigheit mit der Linken mit, indem er als einer von zwei Hauptverantwortlichen Ungarn strafweise die heurigen Kohäsionsgelder kürzt. Das ist ein absoluter Skandal.

Dieser Schritt sei „beispiellos“, lobt sich hingegen die EU-Kommission selber. Womit sie – freilich  in ganz anderer Hinsicht als gemeint – doch wieder recht hat. Denn ihr Vorgehen ist in seiner Einseitigkeit tatsächlich absolut beispiellos.

Niemand in Brüssel kann nämlich die Frage ausreichend beantworten, weshalb Ungarn bestraft wird, Griechenland jedoch nicht. Dabei haben die Griechen länger und intensiver als jedes andere Land gegen die europäischen Defizitregeln gesündigt. Und tun es bis heute. Die ungarischen Sünden werden hingegen von der Kommission selbst nur für die Zukunft geortet; sie vermutet, dass sich die ungarische Defizitreduktion als nicht nachhaltig erweisen dürfte. Was zwar stimmen könnte. Was aber auch mit großer Wahrscheinlichkeit in vielen anderen Ländern stimmen dürfte (etwa auch in Österreich).  Wo jedoch kein EU-Kommissar an solche Maßnahmen denkt.

Die Unrechtsunion

Vor allem aber führen Hahn&Co damit ein ganz neues Rechtsprinzip ein, das die EU wirklich zur Unrechtunion stempelt: Vergangene Verbrechen werden ignoriert, für die Zukunft vermutete hingegen streng bestraft.

Das straffrei davonkommende Griechenland ist sogar das einzige Land, das des schweren Betrugs überführt ist. Es hat ja in breiter Front seit vielen Jahren alle volkswirtschaftlichen Statistiken massiv gefälscht. Ohne dass bisher auch nur ein einziges Strafverfahren gegen einen Verantwortlichen in Gang gekommen wäre!

Während Griechenland Hunderte Milliarden Euro Schaden in ganz Europa anrichtet, musste bisher noch niemand Geld nach Ungarn überweisen. Dieses ist ja kein Euro-Land. Die Ungarn sind selbst die primären Opfer ihrer Schuldenwirtschaft. Und selbst wenn sie demnächst Hilfe brauchen sollten, geht es um viel geringere Summen als in Griechenland. Das ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass der Raubzug der ungarischen Regierung auf ausländische Banken und andere Investoren, die viel Geld ins Land getragen haben, eine Riesensauerei war und ist. Aber ein Kampf gegen diese Sauerei war ja erklärtermaßen nicht das Motiv der EU-Kommission, sondern nur das erwartete Defizit der Ungarn.

Der Unterschied zwischen der europäischen Reaktion auf Griechenland und jener auf Ungarn ist aber in Wahrheit noch viel skandalöser, als es schon die bisher aufgezeigten Fakten zeigen. Denn während den Ungarn die EU-Gelder gestrichen werden, werden den Griechen Gelder aus den EU-Strukturfonds nachgeworfen, obwohl sie die bisher ehern geltenden Voraussetzungen für den Erhalt solcher Gelder gar nicht mehr erfüllen (können): nämlich die sogenannte Kofinanzierung. Diese heißt, dass im gleichen Maß wie europäische Geld auch nationales in jedes Kofinanzierungs-Projekt fließen muss. Das ist bisher bei jeder EU-Hilfe unabdingbar gewesen. Nicht mehr so bei den Griechen.

Wer kann da noch ernsthaft glauben, dass es in Europa mit gerechten Dingen zugeht? Hinter der scheinheiligen Argumentation der EU-Kommission, dass man durch die Streichung von 495 Millionen ja nur einen „Anreiz“ zu mehr Budgetdisziplin setzen wollte, steckt natürlich reinste Parteipolitik. In Griechenland hat im Zeitpunkt des Kollaps eine sozialistische Regierung amtiert, in Ungarn hingegen eine rechte. Und das ist halt gar nicht erwünscht. Gleichzeitig haben die Ungarn das Pech, das sie – auf Grund eines Beschlusses der linken Vorgängerregierung – noch durch einen Sozialisten in Brüssel vertreten werden, der nunmehr ständig offen gegen das eigene Land intrigiert.

Feinster Zynismus Brüsseler Art

Die Kommission setzt ihrer durch nichts zu rechtfertigenden Aktion noch einen Zynismus sondergleichen drauf: Man tue den Schritt „zum Wohle der ungarischen Bevölkerung“. Eh klar: Eine rechte Regierung kann ja a priori niemals zum Wohle der Bevölkerung sein . . .

Die bürgerlichen EU-Kommissare wie Hahn sind offensichtlich zu wenig intelligent, um das Spiel zu durchschauen. Kommissionspräsident Barroso ist froh, wenn von Portugal abgelenkt wird. Die Luxemburger Kommissarin ist zwar christlichsozial, aber linker als Dschingis Khan. Der von der CDU entsandte Mann ist höchstens grenzintelligent. Und alle zusammen fürchten sich vor dem von Roten, Grünen und Linksliberalen beherrschten EU-Parlament. Denn von dort aus versucht die Linke, generalstabsmäßig Revanche für die schwerste Wahlniederlage zu nehmen, die sie seit Jahrzehnten in einem europäischen Land erlitten hat.

Damit kein Missverständnis entsteht: Das Tagebuch findet die Wirtschaftspolitik dieser ungarischen Regierung genauso wie die ihrer Vorgänger katastrophal und zutiefst unseriös. In einer Wirtschaftsunion darf und soll man darauf auch sehr ernsthaft reagieren. Aber bitte gerecht, also nicht nur bei rechten Regierungen. Und zuerst bei jenen Ländern, deren Misswirtschaft für die Miteuropäer den größten Schaden anrichtet.

Gerechtigkeit heißt nämlich: Gleiches gleich behandeln und Ungleiches ungleich. Das aber haben die in Brüssel regierenden Dummköpfe und Intriganten längst vergessen.

Im Schatten Ungarns: das nächste Griechenland-Debakel

Fast unbemerkt von der europäischen Öffentlichkeit erleidet die EU übrigens gerade rund um die nächste Griechenland-Hilfslieferung auch schon das nächste Debakel. Bei den angeblich abgeschlossenen Verhandlungen wurde zur Besänftigung der erregten Bürger Deutschlands groß verkündet, dass Griechenland künftige Steuereinnahmen auf ein Sperrkonto einzahlen werde. Dadurch könne ein Teil der Steuergelder immer zur Befriedigung der Gläubiger verwendet werden. Das werde so in der griechischen Verfassung verankert.

Die schlichten Europäer haben nur übersehen, dass eine Verfassungsänderung in Griechenland rechtlich so schwierig ist, dass ein Beschluss eines solchen Sperrkontos viele Jahre dauern wird. Gleichzeitig spricht aber alles dafür, dass bei den bevorstehenden griechischen Wahlen radikale Parteien triumphieren werden, die sich in keiner Weise den Abmachungen mit Europa verpflichtet fühlen. Tut nichts, die Hunderten Milliarden fließen dennoch.

Viel spricht dafür, dass auch ein weiterer Teil der Abmachungen nicht halten wird: Die privaten Gläubiger werden wahrscheinlich keineswegs in ausreichender Mehrheit der „Freiwilligkeit“ eines Verzichts auf 70 Prozent ihrer Ansprüche gegen Athen zustimmen.

Denn viele von ihnen sind (durch „Credit Default Swaps“) gegen einen Staatsbankrott gut versichert, bei einem freiwilligen Verzicht würden die Versicherer, meist Banken hingegen nichts zahlen. Daher wird das ganze von manchen seltsamerweise noch immer bejubelte Griechenland-Paket nicht so funktionieren können wie beschlossen. Tut nichts, die Hunderten Milliarden fließen dennoch. Und wenn dann noch immer Geld fehlt (was sicher der Fall ist), wird man dieses halt mit einem weiteren Trick von der Zentralbank holen.

Aber während Kommission, Regierungschefs, Zentralbank, Finanzminister solcherart weiter miese tricksen, bestrafen sie jedenfalls einmal ordentlich die Ungarn.

Maria Fekter könnte übrigens nach diversen Enttäuschungen der letzten Wochen berühmt werden. Dazu müsste sie es nur wagen, in der noch fälligen Abstimmung der EU-Finanzminister über den Ungarn-Beschluss der Kommission Nein zu sagen. Bei dieser Abstimmung kann sie im Gegensatz zum Sparpaket die SPÖ-Linie de facto relativ leicht ignorieren. Ich wette dennoch: Fekter wird nicht berühmt.

 

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ACTA gehört nicht ad acta

21. Februar 2012 01:01 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Alle Welt kämpft seit ein paar Tagen wie auf Knopfdruck gegen das internationale Anti-Piraterie-Abkommen ACTA. Es wird wild dagegen demonstriert. Fast alle Parteien lehnen ACTA plötzlich lautstark ab. Fast kein Politiker wagt es mehr, ausdrücklich dafür zu sein. Muss da nicht dieses Abkommen eigentlich ziemlich gut sein, wenn all diese Parteien und die üblichen Demonstranten dagegen sind?

Diese erste Reaktion auf die ACTA-Aufregung wird freilich durch eine zweite zugegebenermaßen ebenso emotionslastige konterkariert: Bauen sich hier nicht die Behörden ein gewaltiges Großer-Bruder-Instrument, mit dem sie die Meinungsfreiheit einschränken können?

Die dritte Reaktion widerspricht sowohl der ersten wie auch der zweiten. Die blindwütige Ablehnung von ACTA ist dumm, aber volle Begeisterung dafür wäre ebenso dumm. Denn selten stoßen zwei diffizile und wichtige Rechtsgüter so frontal aufeinander wie in dieser Frage: auf der einen Seite die Freiheit, nicht um die Früchte seiner Arbeit bestohlen zu werden, auf der anderen die Freiheit, nicht vom Staat überwacht und zensuriert zu werden.

Die Inszenierung lautet: David gegen Goliath

Die ACTA-Gegner spielen geschickt das David-Goliath-Spiel: Große Konzerne und die USA wollen den kleinen Internet-Usern und den ahnungs- und hilflosen EU-Europäern an die Gurgel. Sie stellen falsche und manipulative Vorwürfe gegen ACTA ins Internet, besonders unter Nutzung von YouTube. Da wird mit starken Bildern suggeriert, dass man künftig sogar dann verfolgt werde, weil man seiner Mutter ein Mail schickt.

All diese Vorwürfe sind durch keinen Buchstaben des Abkommens fundiert. Es ist auch absoluter Unsinn und polemische Fiktion, wenn von einem Geheimabkommen geredet wird. ACTA liegt wie jedes Gesetz und jeder internationale Vertrag den Parlamenten mit einem voll publizierten Wortlaut ohne geheime Zusätze zur Zustimmung vor. Und gäbe es doch noch geheime Zusätze, wären die natürlich ungültig und von keinem Gericht anerkannt.

Der ACTA-Text ist wie bei jedem Vertrag und Gesetz natürlich von Experten und nicht basisdemokratisch auf Marktplatz oder im Audimax formuliert worden. Dort ist noch nie ein brauchbares Gesetz entstanden. Und mit den Occupy- oder Attac-Chaoten könnte es auch hinter Polstertüren schon gar nicht zustandekommen. Das würde zum gleichen Chaos führen wie bei der von Greenpeace und Global 2000 ausgelösten und derzeit total kollabierenden UNO-Klimahysterie.

Vor allem aber sind die durch ACTA geschützten Urheber keineswegs nur große Konzerne, sondern auch Hunderttausende kleine Musiker, Komponisten, Autoren, Schauspieler, Designer, Ingenieure, Techniker, Werbegurus und viele andere, die mit viel Plage ein geistiges Werk herstellen, die eine unbekannte Marke zu einer weltweit angesehenen machen. Aber auch große Konzerne können ja nicht auf Grund ihrer Größe einfach für vogelfrei erklärt werden, wie es die Linke gerne täte. Ganz abgesehen davon, dass sie Millionen Mitarbeitern Brot und Lohn geben, dass ihre Aktionäre in der großen Mehrheit ganz normale Sparer sind.

Sie alle werden betrügerisch um einen guten Teil des Entgelts ihrer Arbeit gebracht, wenn jemand etwa in der Textilbranche ein Markenlabel fälscht, wenn jemand im Internet „gratis“ einen Film, ein Musikstück, einen Text kopiert.

Von Red Bull bis zur Staatsoper

Dabei geht’s nicht nur um die Interessen der offenbar automatisch bösen Amerikaner. Man denke nur an die beiden österreichischen Stars, die in den letzten Jahrzehnten auf dem internationalen Markenhimmel aufgegangen sind: Red Bull und Swarovski. Beide haben mit erstaunlich simplen Produkten (geschliffene Glasscherben und einem süßen Getränk mit Himbeergeschmack) sowie raffiniertem Marketing Weltmarken geschaffen, die Milliarden Euros nach Österreich geschaffen haben.

Es ist daher extrem selbstbeschädigend, wenn österreichische Parteien den volkswirtschaftlichen Wert eines modernen Markenschutzes nicht erkennen. Genauso zentral gerade für dieses Land sind die scheinbar „nur“ immateriellen Produkte von Philharmonikern, Staatsoper und anderen Kreativen.

Zugleich sind es keineswegs nur die vielzitierten „Kleinen“, die von einer Verletzung des Markenschutzes profitieren. Hinter den Fälschungen und Raubkopien, die man auf asiatischen Märkten, an italienischen Stränden und im Internet angeboten findet, stecken durchaus ertragreiche Großkonzerne und nicht Robin-Hood-Studenten. Von denen borgt man sich höchstens das Image. Dies hat erst vor ein paar Tagen die Verhaftung eines millionenschweren deutschen Gangsterbosses in Neuseeland gezeigt, der mit Internet-Kopierdiebstahl einen extrem luxuriösen Lebensstil finanziert hat.

Bei vielen Anti-ACTA-Demonstranten steckt hinter den zutiefst sympathischen „Freiheit!“-Parolen ein bemerkenswerter, wenn auch nie zugegebener Wertwandel. Sie wollen, ohne es offen auszusprechen, Kinderpornographie und Diebstahl durch die Hintertür legitimiert bekommen. Eine ganze Generation will nicht durch effizientere Kontroll-Maßnahmen am Stehlen gehindert werden. Sie erachtet Raubkopieren als ein neues Menschenrecht. Das ist freilich eine ganz andere Freiheit als die der Aufklärung, die immer in den Rechten und Freiheiten der anderen ihre Grenzen fand.

Zur Verteidigung dieses Rechts auf Diebstahl werden schwere Kampftruppen in Stellung gebracht. Dazu zählen einerseits die Anonymous-Piraten, die ständig mit Megaschäden Internet-Seiten hacken und zerstören, wenn jemand anderer Meinung zu sein wagt als sie. Sie haben etwa jüngst harmlose Leser und Gesprächspartner einer konservativen deutschen Wochenzeitung (Junge Freiheit) auf niederträchtige Weise kollektiv mit Namen und Adressen als „Nazis“ an den Internet-Pranger gestellt. Die internationalen Polizeibehörden haben sich auch in allen anderen Fällen als erstaunlich hilflos gegen diese Anonymous-Gangster gezeigt, die im Internet immer geschickt ihre Spuren zu verwischen verstehen.

Eine weitere effiziente Kampftruppe sind die neuen Piratenparteien, die in einigen europäischen Ländern zuletzt wie ein Feuerwerk aufgestiegen sind. Diese haben sehr vielen anderen Parteien Furcht und Schrecken eingejagt, weshalb sie jetzt ohne lange nachzudenken eilfertig jede Aktion gegen ACTA unterstützen. Von einer Suche nach einer gerechten Abwägung zweier widerlaufender Interessen ist also bei den meisten Aktivisten keine Spur.

Ginge es den Anonymous- und Piraten-Jugendlichen wirklich um das hehre Ziel der Meinungsfreiheit im Internet, dann würden sie nicht primär gegen ACTA demonstrieren, sondern gegen jene europaweiten Gesetze, welche – beispielsweise zuletzt unter dem Vorwand „Kampf der Verhetzung“ – die Meinungsfreiheit radikal eingeschränkt haben. In Hinblick auf die reale wie die virtuelle Welt.

Um diese Meinungsfreiheit muss man sich jedoch ernsthaft sorgen. Political Correctness und der in die Gerichte transferierte Kampf der Linken gegen andere Auffassungen und Überzeugungen haben heute in der Mehrheit der Menschen mit gutem Grund die Überzeugung wachgerufen, dass man nicht mehr frei seine Meinung sagen kann. Das ist der wahre Skandal dieser Zeit. Dieser geht Hand in Hand mit dem unerträglichen Realsozialismus aller Parteien und Behörden, der jede menschliche Handlung, insbesondere wenn sie eine unternehmerische ist, bis ins letzte Detail kontrollieren und überwachen will.

In dieser Zeit ist das Internet ein Refugium geworden. Dort kippt dann freilich der unsterbliche menschliche Freiheitsdrang, die Sehnsucht nach offenem Meinungsaustausch oft in einen unerquickliches Extrem: Im Schutz der Anonymität werden sonst gesittet wirkende Bürger zu bösartigen Denunzianten, sie schimpfen und höhnen, was das Zeug hält. Das Internet ist auch in einem abstoßenden Ausmaß von Pornographie überschwemmt. Und eben von einem milliardenschweren Business mit dem Diebstahl geistigen Eigentums.

In einer Welt, in der noch vor kurzem jede Postkarte wie selbstverständlich von Zensoren untersucht werden konnte, in der bei vielen Paketen heute noch Zöllner neugierig hineinschauen können, ist das eine totale Gegenwelt. Zwischen diesen beiden Welten gibt es keine dialektische Synthese, sondern nur Konflikte – oder schrittweise Annäherungen.

Selbst wenn die meisten von den ACTA-Gegnern verbreiteten Vorwürfe nicht stimmen, ist bei nüchterner Betrachtung der Verdacht nämlich nicht ganz ausgeräumt, dass ACTA zu weit geht. Es geht wohl zu weit, wenn „Beschuldigte“ verpflichtet werden, alle Informationen beizuschaffen, wenn Internet-Provider automatisch alle Daten herausrücken müssen.

Das ist vor allem dann bedenklich, wenn eben gleichzeitig der Verdacht besteht, dass die Kompetenzen der Exekutive und Justiz genutzt werden können, um auch Meinungsdelikte zu überwachen. Zwar sind die übelsten Meinungsjäger gerade die Anonymous-Typen mit ihren Bloßstellungaktionen. Aber auch die EU und die Strafbehörden haben in den letzten Jahren massive Meinungskontroll-Attitüden angenommen, die scharf abzulehnen sind.

Die Lösung heißt: Meinungsfreiheit

Was also sollten die jetzt in Entscheidungsnot gekommenen Regierungen tun? Sie müssten durch ein mutiges wie offenes Vorgehen das verlorene Vertrauen zurückerringen. Und zwar durch eine doppelte Strategie:

Einerseits führt kein Weg zu mehr Vertrauen an einer Rücknahme aller Meinungsdelikte vorbei. Diese schränken vor allem im Zuge der linken Correctness wie ein Würgegriff die Freiheit der Bürger immer mehr ein. Wenn sich Menschen wieder auf Marktplätzen und bei Diskussionen ganz offen ihre Meinung auszusprechen trauen, wird auch viel Druck aus dem Internet herauskommen. Dann ist es ganz egal, ob ich meinen Standpunkt als „Donald Duck“ getarnt im Netz sage oder unter meinem vollen Namen in der Öffentlichkeit. Das würde mit großer Wahrscheinlichkeit auch im Internet die Umgangsformen zivilisieren. Das würde zugleich jene, die weiterhin unflätig schimpfen wollen, als nicht ganz zurechnungsfähig von selbst ins Abseits stellen.

Andererseits muss es aber möglich werden, weltweit mit wirklicher Effizienz gegen Fälschungen und Raubkopien vorzugehen. Ein globales System ist nicht überlebensfähig, in dem man von chinesischen, russischen oder karibischen IP- und Server-Adressen aus fast jedes Verbrechen begehen und decken kann. Vom Diebstahl bis zu der millionenschweren Produktion von Kinderpornographie, einer ganz besonders widerlichen Tätigkeit.

Jedoch wird auch kein System überlebensfähig sein, in dem man nur diese Pornographen und Diebe bekämpft, aber nicht gleichzeitig den Bürgern ihre geistige Freiheit zurückgibt.

 

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Subventionen machen ein Land krank

19. Februar 2012 00:57 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Warum stecken ausgerechnet jene EU-Länder am tiefsten in Schwierigkeiten, die in den letzten Jahrzehnten die größten Summen an europäischen Subventionen bekommen haben? Aus Strukturfonds, aus Kohäsionsfonds und vielen anderen Töpfen sind alljährlich dicke Milliarden vor allem nach Griechenland, Portugal, Spanien, Irland und (Süd-)Italien geflossen. Und kein einziges der unterstützten Mitgliedsländer ist heute nach Jahrzehnten des  Subventionsbezugs auf sicherem Boden gelandet oder gar ein Nettozahler geworden.

Süditalien ist sogar schon vor den EU-Zeiten ständig vom Norden unterstützt worden (was diesen inzwischen frustriert mit einer Trennung des Landes liebäugeln lässt). Waren all diese Subventionen am Ende ergebnislos vergeudetes Geld?

Nein. Sie waren nicht ergebnislos. Sie sind im Gegenteil sogar eine Hauptursache der heutigen Malaise. Sie treiben den Völkern die Eigenverantwortung aus und versetzen diese in ein Stadium des Hospitalismus, also eines Patienten, der sich komplett und ohne eigene Aktivität in die die rundum sorgenden Hände eines Spitalsteams fallen lässt. Dieses Verhalten macht eine Genesung extrem unwahrscheinlich.

Diese Krise hat damit zumindest einen Nutzen: Die Welt ist um eine Gewissheit reicher. Was bisher nur liberale Ökonomen analysiert haben, ist nun empirisch bestätigtes Wissen. Das, was uns heute die EU zeigt, haben ja auch schon etliche – insbesondere afrikanische – Ökonomen in Hinblick auf die Entwicklungshilfe nachgewiesen: Je weniger Hilfe es gegeben hat, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass aus einem darbenden Drittweltland heute ein blühendes Industrieland wie Südkorea oder zumindest ein Schwellenland wie China geworden ist.

Die EU denkt freilich nicht daran, ihr riesiges Geldtransfersystem aufzugeben, für das derzeit übrigens der Österreicher Johannes Hahn hauptverantwortlich ist. Schließlich wäre das nicht nur ein gewaltiges Schuldeingeständnis, sondern würde auch viele Beamte und Politiker arbeitslos machen.

Sie alle sollten aber lesen, was der griechische Wirtschaftsminister Michalis Chrysochoidis dieser Tage gesagt hat: Als Folge der EU-Hilfen sei in Griechenland das Wissen um die Notwendigkeit harter Arbeit verloren gegangen. „Während wir mit der einen Hand das Geld der EU nahmen, haben wir nicht mit der anderen Hand in neue und wettbewerbsfähige Technologien investiert. Alles ging in den Konsum. Das Ergebnis war, dass jene, die etwas produzierten, ihre Betriebe schlossen und Importfirmen gründeten, weil sich damit mehr verdienen ließ. Das ist das eigentliche Desaster dieses Landes.“

Deutlicher und anschaulicher kann man die verheerende Wirkung von Dauersubventionen nicht darstellen. Die Empfänger hängen am Tropf, werden süchtig und nie mehr gesund.

Und damit niemand glaubt, hier würde ein kapitalistischer Ausbeuter zitiert: Herr Chrysochoidis ist Sozialist.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

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Dämonokratie

16. Februar 2012 02:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Wieder wurde wild gerettet,
und die Wogen sind geglättet –
für wie lang, ist Rettern gleich.
Fest steht bloß, wenn andre retten,
liegen wir, wie die uns betten,
bangend vor dem nächsten Streich.

Aber selbst wenn manche hoffen,
bleibt beim Hokuspokus offen,
ob denn wer gerettet ist!
Jedenfalls sind’s nicht die Griechen,
die doch just am Euro siechen –
wie man vorbedacht vergisst.

Na, es mag zum Trost gereichen,
dass die Tempel und dergleichen
hoch auf der Akropolis
schon kaputt sind und nicht brennen,
wie wir’s drunt von Häusern kennen,
das zumindest ist gewiss.

Und was kümmert dort der Trubel –
an der Wall Street herrschte Jubel
nach Kotau des Parlaments,
wittert längst man ja den Braten,
präpariert mit Derivaten
auf die nächste Insolvenz!

Nun, ein paar der Volksvertreter
wurden zwar Parteiverräter,
doch die schloss man aus geschwind,
haben Platz ja auf den Listen
nur getreue Stimmstatisten,
die beliebig tauschbar sind.

Da ersetzlich wie Lakaien,
gingen aber auch Parteien
demokratisch in die Knie –
und was ist das Wunderbare?
Nennt wer Strippenzieher, wahre,
wär’s Verschwörungstheorie…

Pannonicus

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Wenn die Politik der Wähler überdrüssig wird

14. Februar 2012 00:12 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Wahlen? Derzeit sinnlos. „Wahlen bedeuten heillose Versprechungen. Extreme Parteien von rechts und links würden gewinnen.“ Selten wurde der Demokratie eine so unverblümte Absage erteilt. Der Mann, der da Wahlen am liebsten abschaffen würde, heißt jedoch Hannes Swoboda, und er ist immerhin Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im europäischen Parlament. Da läutet offenbar eine ganz gewichtige Stimme eine ganz neue Debatte über eine fundamentale Krise der Demokratie ein.

Der SPÖ-Mann Swoboda hat aus Anlass der bevorstehenden griechischen Wahlen gesprochen. Die Politiker, die dabei antreten, stehen derzeit allesamt unter internationalem Druck, massivste und unpopuläre Sparmaßnahmen zu beschließen. Sie sollen also jetzt all das wieder abschaffen, womit sie in den letzten Jahrzehnten die Stimmen der Wähler gekauft haben. Was die Politiker vor ein dramatisches Dilemma stellt. Denn in ein paar Wochen bekommen sie von den Wählern das nächste Zeugnis ausgestellt. Die Wähler aber zeigen derzeit einen Maximum an Hass auf die gesamte Politik. Kein Wunder, dass da bei den Volksvertretern Panik ausbricht.

Was einen eigentlich kalt lassen könnte. Schließlich ist die Demokratie für die Bürger, nicht die Politiker geschaffen worden.

Die Problematik geht jedoch weit über diese griechischen Wochen hinaus. Sie lässt immer häufiger die Frage aufkommen: Ist vielleicht gar die Demokratie als solche am Ende? Ist die historische Epoche des Triumphs der demokratischen über alle anderen Staatsformen schon im Abklingen? Sind die Politiker in ihrer Abhängigkeit von den oft sehr oberflächlichen und egoistischen Reflexen vieler Wähler so populistisch geworden, dass sie nicht mehr imstande oder willens sind, das Richtige und Notwendige zu tun? Sind dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – die Wähler der Politiker überdrüssig geworden?

Diese Fragen lassen sich zwar nicht letztgültig beantworten. Ihr skeptischer Kern hat aber jedenfalls viel für sich. Die Demokratie birgt ein unüberbrückbares Dilemma zwischen dem Erwünscht-Angenehmen und dem Unerwünscht-Notwendigen.

Dieses Dilemma hat etwa dazu geführt, dass von Italien bis Griechenland heute nicht mehr vom Volk direkt oder indirekt gewählte Politiker als Regierungschefs agieren, sondern parteilose Experten, die ohne Rücksicht auf Wähler und Wahltag handeln sollen und können.

Freilich müssen auch sie jede Gesetzesänderung am Ende vor die gewählten Volksvertretungen bringen. Die dortigen Abgeordneten sind derzeit aber nur unter massivstem Druck zu einer Zustimmung zu einschneidenden Spar- und Sanierungsmaßnahmen zu bewegen. Ein solcher Druck lässt sich jedoch naturgemäß nicht dauerhaft aufrechterhalten. Womit auch das griechisch-italienische Modell keine wirkliche Lösung des Demokratie-Dilemmas ist.

Dieses Dilemma beherrscht aber auch die österreichische Politik, wenngleich auf anderem Niveau. Da hat etwa der Wiener Bürgermeister Michael Häupl Wahlkämpfe als Zeiten konzentrierten Unsinns bezeichnet; was zwar richtig ist, aber eben nicht gerade von Respekt eines Volksvertreters vor dem demokratischen Souverän zeugt, wenn er die Zeiten des Dialogs zwischen Wähler und Gewähltem so zynisch sieht. Da hat die Regierung Gusenbauer-Molterer die Dauer einer Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre verlängert; man wollte nicht durch die Wähler beim Regieren gehindert werden.

Die „heillosen Versprechungen“, von denen Swoboda in Hinblick auf Griechenland spricht, die hat Österreich aber auch schon selbst erlebt. Am weitaus schlimmsten im September 2008, als das Parlament drei Tage vor der Wahl Milliarden zur Wählerbestechung beim Fenster hinausgeworfen hat. Milliarden, die dann später mit zur gegenwärtigen Krise samt Sparpaket geführt haben. Swoboda hat damals freilich keineswegs von „sinnlosen“ Wahlen gesprochen, war doch seine Partei die Hauptschuldige jener Aktion.

Alternativen zur Demokratie

Was aber sind langfristig die Folgen des Demokratie-Dilemmas? Es ist in der Tat nicht mehr absolut auszuschließen, dass viele heute demokratische Staaten in die Unregierbarkeit, in Chaos, in Gesetzlosigkeit versinken. Dass staatliche Strukturen nur noch in wenigen Bereichen funktionieren, dass statt dessen Kriminalität, Chaos und Faustrecht regieren. Während die Staaten immer noch mehr Gesetze beschließen, werden immer weniger Gesetze befolgt, und am Schluss gar keines mehr.

Eine andere, aber ebenfalls keineswegs erfreuliche Folge wäre der starke Mann, der unter vielerlei Versprechungen die Macht an sich reißt oder gar angedienert bekommt. Um sie erst wieder abzugeben, wenn er militärisch besiegt oder in einem revolutionären Kraftakt gestürzt würde. Ein solcher starker Mann war etwa Napoleon, der die blutigen Wirren der Französischen Revolution (die ja ursprünglich durchaus demokratisch-rechtsstaatlich begonnen hatte!) zur anfänglichen Erleichterung vieler Franzosen durch seine Machtergreifung beendete. Aber letztlich hat eben auch der einst so bejubelte Napoleon sein Land ins Elend gestürzt.

Ein erstaunlich erfolgreiches und schon lange funktionierendes Alternativmodell stellt die direkte Demokratie der Schweiz dar. Dort haben sich die Stimmbürger seit Jahrzehnten als viel verantwortungsbewusster denn die üblichen Machtträger der repräsentativen Demokratie erwiesen. Von der Landesverteidigung bis zur Schuldenfrage haben die Schweizer immer gezeigt, dass sie sich der Konsequenzen ihres Stimmverhaltens bewusst sind. Ihr Modell funktioniert – obwohl die direkte Demokratie immer als hemmungsloser Griff der Bürger in die Staatskasse attackiert wird.

Die Perspektiven dieser durchaus unterschiedlichen Alternativen wachsen jedenfalls. Das heißt aber noch nicht, dass die repräsentative Demokratie unwiderruflich am Ende ihres historischen Lebenszyklus angelangt sein muss. Aber sie braucht dasselbe wie die direkte Demokratie: ein hohes Ausmaß an Verantwortungsbewusstsein, sowohl der Wähler wie auch der Machthaber.

Dieses Bewusstsein wird jedoch von vielen Medien, Parteien und Gewerkschaften nicht gefördert, die statt dessen ständig Kurzsichtigkeit und Gruppenegoismus propagieren. Was vielen Bürgern aufs erste als die angenehmere Alternative gegenüber der sparsamen Strenge der schwäbischen Hausfrau erscheint. Obwohl sie – würde man nur ehrlich mit ihnen reden und ihnen nicht eine sozialutopische Fata Morgana vorgaukeln – an sich durchaus imstande sind, Notwendigkeiten zu begreifen.

Nationaler Grundkonsens ist entscheidend

Letztlich braucht jede funktionierende Gesellschaft einen grundlegenden Konsens zwischen Mächtigen und Bürgern: über die Notwendigkeiten des Zusammenlebens, über das Verhältnis von Rechten und Pflichten, über grundlegende Werte – altmodisch würde man sagen: über Moral – und auch über die volkswirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten. Es geht um den Wert der Familie, um Sparsamkeit, um die „Rule of law“, um die Treue gegenüber als durchwegs sinnvoll empfundenen Gesetzen (auch wenn einem kein Polizist über die Schultern blickt), um das Prinzip „Pacta sunt servanda“, um die Notwendigkeit von Leistung und Anstrengung, um gegenseitige Rücksicht und um die Wichtigkeit von Grundrechten, insbesondere Meinungsfreiheit, Menschenwürde, Eigentumsrechte und das Verbot von Willkür.

Wenn dieses Fundament funktioniert, dann funktioniert auch jedes politische System. Und die Demokratie tut das am besten. Dann muss auch ein Swoboda keine Wahlen mehr fürchten.

Die europäischen Völker haben aber anscheinend nach zwei Generationen eines so lange wie noch nie herrschenden Friedens und beständigen Wohlstandszuwachs viel von diesen Grundlagen verlernt. Und dann kann gar kein System mehr funktionieren.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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Europäische Prinzipien der Demokratie

13. Februar 2012 23:42 | Autor: Hannes Marcel Bichler
Rubrik: Gastkommentar

„Die Kommission will nicht, dass über dem Land weiterhin ein Schatten von Zweifel an der Achtung demokratischer Prinzipien und Werte bleibt", so EU-Kommissionspräsident Barroso anlässlich der Einleitung von drei EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn. So weit, so schlecht.

Es geht hier nun nicht darum, wie wer auch immer zur Politik der Regierung Orban stehen mag, sondern um ein Faktum, das bisher nicht berücksichtigt wurde: Hier wird eine zweifelsfrei demokratisch gewählte Regierung – ausgestattet mit einer 2/3 Mehrheit, was in Europa die Ausnahme darstellt und wohl schon aus diesem Grunde verdächtig erscheint – zur Achtung demokratischer Prinzipien aufgefordert. Von wem? Von einer Institution namens Europäische Kommission, der jegliche demokratische Legitimation fehlt!

Eine Kommission, die sich großteils aus von ihren Heimatländern abgeschobenen oder gescheiterten Parteiapparatschiks zusammensetzt und die nie vom Volk, sondern von ebensolchen ins EU-Parlament weggelobten (geschassten?) Mitgliedern ihrer Heimatparteien gewählt wurde! Und auch, wie weit man es in Brüssel mit der Achtung von Werten hält, zeigt die Nebensächlichkeit, dass man von Änderungen der ungarischen Regierungsbeschlüsse die Finanzhilfen für das Land abhängig macht. Das kann man auch offen Erpressung oder Nötigung nennen.

Die ungarische Regierung aber sieht in den Verfahren die Möglichkeit, „die Debatte auf fachlicher Grundlage durchzuführen, und zwar mit der dafür vorgesehenen Institution, der Europäischen Kommission, als Hüterin der Verträge". Das ehrt die Regierung und entlarvt die EU-Institution.

Eine demokratisch gewählte Volksvertretung begibt sich zur Verteidigung demokratischer Prinzipien zur „Hüterin" (?) derselben, die aber eine nicht demokratische Einrichtung ist. Otto von Habsburg rotiert höchstwahrscheinlich in der Kapuzinergruft.

Hannes Marcel Bichler

Mitglied der Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft, Mitglied verschiedener Stiftungen und Organisationen für und in Osteuropa

Der Verfasser war von 1994 bis 2009 regelmäßig Begleiter und Mitorganisator von Dr. Otto von Habsburg, Alterspräsident des Europäischen Parlaments a.D.

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Fußnote 261: Die Gleichen und die Gleicheren

13. Februar 2012 22:41 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Griechenland hat 500.000 Beamte zu viel.

Der ORF rätselt in der „Zeit im Bild“, was mit diesen 500.000 geschehen soll: Hinauswerfen? Der Staatssender kommt aber sofort zur Antwort: „Eine Firma kann das tun, ein Staat nicht.“ Na klar, wäre ja noch schöner, wenn man am Rande des Staatsbankrotts unbeschäftigte Beamte abbauen könnte. Im ORF müssen wir Steuerzahler ja auch für jede Menge an überflüssigen Büroleitern, Abteilungsleiter und ähnlichen weißen Elefanten zahlen. Wer einmal vom Staat (oder einem Staatssender) lebt, der hat nach ORF-Philosophie für sein Leben lang ausgesorgt zu haben. Die anderen sollen bluten; die können ruhig arbeitslos werden, wenn's der Firma schlecht geht; die sollen als Jugendliche Null Job-Chance haben; die sollen immer höhere Steuern zahlen müssen. Auch für die überflüssigen griechischen Beamten. Es gibt eben immer Gleiche und Gleichere.

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Toleranz ist mehr als ein Kinder- und Geduldspiel

11. Februar 2012 03:42 | Autor: Endre Bárdossy
Rubrik: Gastkommentar

Gabriel Marcel – J.-P. Satres Gegenspieler im Pariser Nachkriegsszenario für Existenzphilosophie, Metaphysik und Literatur –  verdanken wir eine unüberbietbar präzise Begriffsdefinition für dieses Grundwort: „Das Wesen der Toleranz ist eine aktive Anti-Intoleranz". Dieser Spruch mag sich vielleicht beim flüchtigen Zuhören als Wortspielerei anhören, bietet aber eine kräftige Aussage zur Diskussion.

Was es eigentlich heißt „tolerant: lateinisch: geduldig, ertragend, ausharrend, gelassen" zu sein, ist heute ebenso abgegriffen, vorsätzlich verstellt und bis zum Kern korrodiert („zernagt"), wie unsere gesamte politische Sprache. Der katholische Scharfdenker Marcel gibt der Toleranz in einer echt neusokratischen Manier eine unerwartete, dialektische Wendung. Ein Schlüsselwort zum wahren Humanismus aus griechisch-römischer und christlich-aufgeklärter Überlieferung, die niemals auf das Naturrecht verzichten können wird.

Die naturrechtliche Grund- und Existenzfrage ist dabei: Darf es in Opposition zur Sozialen Demokratie auch eine Bürgerlich-Liberal-Konservative Demokratie geben? Hans Kelsen war ein Steigbügelhalter für die Alt-Vorbilder aller Wiener Sozialisten: Nämlich für den in Ritterlichkeit wenig geübten Karli Marx und seine Kameraden wie die lange Liste von Friedrich Engels, Sigmund Freud, Otto Bauer, Karl Renner… zeigt.

Von langer Hand vorbereitet hat man das „Politisch Korrekte" der Sozialen Internationale in der EU von heute auf Biegen und Brechen bereits durchgesetzt. Auch mit pseudodemokratischer Intoleranz und antiliberaler Gewalt der Straße! Die perfekt inszenierte Verhetzung gegen den Ball des Wiener Korporationsringes in der Hofburg am 27. Januar ist nur ein seichtes Beispiel dafür, wie das Monopol der Sozialen Demokratie verwaltet wird. Es gibt aber auch schwerer wiegende Verleumdungen und mediale Hinrichtungen von Andersdenkenden.

Naturrecht und Reine Rechtslehre

Ganze Heerscharen von Politologen, Soziologen, Psychologen, Künstlern, Konjunkturwahrsagern, Hirnforschern, Journalisten und andere professionelle Meinungsmacher arbeiten in der EU daran, dass alle unsere traditionell geladenen Worte und Werte vergessen, umgedeutet oder zumindest lächerlich gemacht werden. In einer erstaunlich offenherzigen, man möchte beinahe sagen, fast schon undiplomatisch anmutenden Selbstbloßstellung hat der ORF die wunden Punkte aufgezählt, an denen sich die Rotgrünen Geister besonders sensibel bis zur Rage erregen können: Es handelt sich offenbar um christlich-traditionelle Werte und um das noch nicht erloschene Nationalgefühl der Magyaren  –  die Österreichern schon längst als uneuropäisch untersagt worden sind. Wörtlich wird es gescholten, dass

„Die neue Verfassung [von Ungarn] in der Präambel Verweise auf Gott und das Christentum [beinhaltet], das die Nation einen [könnte]. Kritiker werten das als diskriminierend für Atheisten und Gläubige anderer Religionen. Auch traditionelle Familienwerte werden in der Verfassung betont, wodurch Kritiker Benachteiligungen für Homosexuelle und Alleinerziehende befürchten. Abtreibungen könnten verboten werden, da die neue Verfassung vorschreibt, das Leben des Fötus sei vom Moment der Empfängnis an zu schützen." (Vgl. http://news.orf.at/stories/2053825/2053848/)

Was für ein moralischer Trümmerhaufen ist aus dem Europa der Vaterländer geworden, wo Homosexuelle, Alleinerzieher und Abtreiber dem natürlichen Modell der Familie vorgezogen werden? Denn an dieser Verfassung, vom Naturrecht aus gesehen, wäre nicht einmal das geringste Jota zu beanstanden! Im Gegenteil. Freilich den Rechtspositivisten haben die Ungarn damit keinen Gefallen erwiesen. Aber ist der Positivismus lediglich die Auffassung der Wiener Rechtsschule eines Professors namens Hans Kelsen (1881-1973) und die Meinung seines Auftragsgebers namens Karl Renner (1870-1950), der immer darauf bestand als vollblütiger Marxist zu gelten?

Warum sollte sich ein souveräner Nachbarstaat einer fremden Rechtsauffassung beugen, dessen Bürger immer noch christlich-traditionelle Prämissen politisch hochhalten und zur Geltung bringen wollen? Oder ist Kelsens moralfreier, reiner Positivismus vielleicht der Inbegriff „der Demokratie und aller Menschen- und Frauenrechte" schlechthin nach der Diktion des Wiener Bürgermeisters, der sich freilich bereits seiner dritten Ehe erfreut? Klar, das ist eine Privatangelegenheit, die niemanden etwas angeht, auch wenn sie öffentlich erwähnt wird.

Aber ebenso klar ist, wohin die allgemeine Kelsen'sche Moralverhütung Europa geführt hat. Bekanntlich hat er als Mastermind der sogenannten Reinen Rechtslehre auch jeden Begriff der Gerechtigkeit zur Leerformel erklärt: Welches Problem hat er damit für die Verfechter der sogenannten „Sozialen Gerechtigkeit" geschaffen?!  Bis dato hat noch niemand erklären können, was die Soziale Gerechtigkeit eigentlich sei.

Jedenfalls befinden wir uns auf dem Abhang eines aussterbenden Kontinents, der früher das Abendland hieß und die Wiege der Zivilisation war, solange seine Völker noch unter der Regierung des Naturrechts gedeihen durften. Das Naturrecht hat dem Faustrecht des Stärkeren Jahrhunderte lang (so gut wie möglich, freilich ohne Perfektion) standgehalten. Vor dem zwanzigsten Jahrhundert gab es zwar Kriege und Friedensverträge – aber keinen Ausrottungskrieg auf Weltmaßstab und keinen falschen Frieden zur Fortsetzung des vorhergehenden Krieges.

Das Allgemeine Natur- und Existenzrecht von Individuen, Gruppen und Nationen wurde ja bereits von den ersten Sokratikern bis zu den paläoliberalen, englischen Whigs beschworen. Heute wird es nur mehr von der Katholischen Kirche hochgehalten, denn die sogenannten Menschen- und Frauenrechtler verfahren selektiv: Der Anfang und das Ende des physischen Lebens wird der Manipulation anheimgestellt.

Mir linker Ideologie in den Untergang

Wie der konservativ-katholische Politiker und Historiker Plinio Correa de Oliveira (1908-1995) aus Sao Paulo nachgewiesen hat: Erst die Französischen und Russischen Revolutionäre haben das Rechtsverständnis der Alten Welt mit ihren Vor- und Nachteilen endgültig abgeschafft. Und dafür eine Vernichtungsindustrie installiert. Freilich, die National-Sozialen aus Deutschland und Deutschösterreich waren nach dem Frieden von Versailles (1919) nicht die ersten in dieser Zeit- und Rangordnung  – sondern erst die dritten nach den Franzosen und Russen. Sie blieben aber hinter ihren Konkurrenten an Grausamkeit nicht zurück.

Im Zeitalter der Internationalen Sozialen Demokratie sollte es endlich anders werden? Leider nicht aus ganzem Herzen. Heute kommen die Todfeinde nicht mehr unter die Guillotine oder in ein Vernichtungslager. Sie werden medial hingerichtet. Wie es aus der gegenwärtigen politisch-moralischen Dekadenz zu ersehen ist, ist es möglich bloß mit Rufmord und Lügen erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Lord John Maynard Keynes (1883-1946), seines Zeichens Erzvater aller Sozialen Schuldenmacher und Inflationäre, bestand darauf – wohl dem Österreicher Kelsen nicht unähnlich –, ein „Inmoralist" zu sein. Und sind heute nicht praktisch alle Europäischen Politiker (wenigstens Halb-) Kelsenianer und (Halb-) Keynesianer? So schlittern wir von Krise in Krisen. Moralisch und finanziell.

Der Perfektionismus der Politisch Korrekten, die anstelle von Kindern nur Schulden machen können, schafft schon alle Hürden. Aber nur um den Preis der "Rache der Natur". Homosexuelle, Alleinerzieher, Abtreiber und ihre Wortführer haben immer weniger Kinder und in geometrischer Progression immer weniger Enkel. Auch wenn ich diese Tatsachen ohne Diskriminierung und Wertung beobachte: Und die Welt freilich nicht politisch korrekt, sondern statistisch unbeirrbar sehe. Die Zahlen lügen weniger als die Politiker.

Der von den Perfektionisten eingeschlagene Weg führt somit konsequent zur Dezimierung des eigenen Bestandes. Etwas hellsichtigere Soziale Demokraten  – wie Thilo Sarrazin –  haben das ebenfalls eingeräumt. Freilich Sarrazin war und blieb ein treuer Sozialgesinnter seiner Partei, wenn auch etwas häretischer, ungehorsamer und realistischer als der Durchschnitt. Er ist weder ausgetreten noch ausgeschlossen worden. Rechtsphilosophische Argumente der Natur hat er vermutlich weder studiert noch ins Treffen geführt, aber die pragmatischen Konsequenzen ihrer Missachtung hat er doch wahrgenommen. Über Statistiken der Dekadenz ist es müßig zu diskutieren. Sie werden von Naturgesetzen exekutiert wie die Gravitation.

Die wahrhaft Intoleranten

In Zusammenfassung:

  1. Jedes keimende Leben hat das Natürliche Recht in einer intakten Familie aufzuwachsen. Alle physischen Väter und Mütter haben die natürliche Pflicht, ihren heranwachsenden Kindern von Anfang an beizustehen und für eine zivilisierte, allenfalls auch für eine christliche Erziehung zu sorgen. Staatliche Kindergärten und Schulen sind nur subsidiäre Behelfsmittel zu diesen Grundrechten und Grundpflichten: Was die kleinere (natürliche) Einheit zu leisten vermag, ist der größeren („sozialen") Einheit der Verstaatlichung vorzuziehen. Nicht umgekehrt!
  2. Nach J.-J. Rousseau's Sozial-Libertärer Vertragsrechtsauffassung (deren Schattenseiten seit der Französischen Revolution in ganz Europa grassieren) ist alles hemmungslos erlaubt, was mehrheitsfähig ist. Das Töten ungeborenen Lebens ist kein Mord mehr, sondern lediglich eine libertäre Option: Eine undramatische Wahlmöglichkeit der selbstherrlichen Menschen- und Frauenrechtler, denen das keimende Leben nicht mehr heilig ist.
  3. Ist es nicht merkwürdig, dass zum Rotgrünen Syndrom der Libertären Weltanschauung so kunterbunte Sachen gehören, wie einerseits eine groß angelegte Kampagne gegen die Konstitution eines souveränen, wenn gleich konservativen Nachbarlandes – und andererseits die Diskriminierung des Hofburgballes einer unverdächtigen akademischen Jugendgruppe, nur weil sie nicht der Linie der Österreichischen Hochschülerschaft und dem Dekalog der Sozialen Internationale folgt. Der kleinste gemeinsame Nenner für die Verbindung so unterschiedlicher Sachverhalte hat nur einen möglichen Namen: Intoleranz und Hass gegen Andersdenkende.

Die Marcel'sche Definition der Toleranz als Anti-Intoleranz lässt sich nun nach dieser illustrierten Einleitung sonnenklar erläutern. Toleranz bedeutet gewiss nicht Förderung für Gegner und Feinde aller Abstufungen. Toleranz schließt keinen (noch so scharfen) Wettbewerb von Werten und Zielen aus. Toleranz verneint aber sich selbst immer, wann und wo sie intolerant wird, wo sie mit allen Mitteln unfair für das Eigene kämpft, und das Existenzrecht der Anderen in Frage stellt.

An diesem Umschlagspunkt kulminieren „Natur- und Seinsrechte" in eine untrennbare Identität, die nur von totalitären Schächtern ignoriert werden kann. Jemanden totwünschen oder in der Tat auch totschlagen ist oft nur ein hauchdünner Unterschied. Einfacher ausgedrückt: Toleranz ist eine großmütige Ritterlichkeit nicht nur dem ritterlichen Gegner, sondern in extremen Grenzsituationen – christlich gesprochen – sogar dem Todfeind gegenüber.

Allem Anschein nach ist Toleranz eine uralte Tugend der Zivilisation, welche ohne das Naturrecht einfach unerträglich wird. Intoleranz dagegen war das Grundwort der Ideologen im zwanzigsten Jahrhundert. Damit wir wieder zivilisierter (d. h. bürgerlicher) werden, müssten wir vor allem alte Feindbilder (nicht unsere Feinde und Konkurrenten) begraben:

Dipl.-Ing. Dr. Endre Bárdossy war Universitätsassistent im Institut für Wirtschaft, Politik und Recht an der Universität für Bodenkultur Wien, anschließend 23 Jahre lang o. Universitätsprofessor für Volks- und Betriebswirtschaftslehre in San Salvador de Jujuy bzw. Mendoza (Argentinien) an landwirtschaftlichen Fakultäten.

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Flessibilità

10. Februar 2012 02:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Der Silvio, oft wild verdammt
von Neiderschaft, gemeiner,
war immerhin so lang im Amt
wie dort vor ihm noch keiner.

Und auch sein Unterhaltungswert
beginnt uns abzugehen –
besonders wenn jetzt umgekehrt
wir diesen Monti sehen:

Als Kommissar von Goldman Sachs
und Bilderberger-Runde
ist der zwar Meister seines Fachs
und quasi Mann der Stunde.

Doch als Regierungschef in Rom
ein Intellektueller
und noch dazu ein Ökonom?
Der lacht wohl bloß im Keller!

Trotz allem hat er, wie es scheint,
nun mal probiert zu spaßen –
indes, es war ganz ernst gemeint,
zum Trost gewissermaßen:

Ein Lebens-Job sei monoton,
und statt darauf zu hoffen,
sei Wechseln – na, ihr ahnt es schon –
was Schönes, sagt er offen.

Flexibel sein, das pries der Mann
– und prompt ging’s in die Hosen –
als Tugend just der Jugend an,
der massenarbeitslosen!

Er selbst bleibt auch nur auf ein Jahr,
wie locker er vermerkte –
mit garantiertem Job, na klar,
dort wo er früher werkte…

Pannonicus

(Monti riet Jugendlichen in einer „Talk-Show“, nicht auf einen fixen Job zu hoffen. Er ergänzte, ein Job fürs ganze Leben sei langweilig. Es sei schön, zu wechseln und sich neuen „Herausforderungen“ zu stellen. Dieses berüchtigte Verharmlosungswort, nämlich „challenge“, hat er sicher in Amerika gelernt, wo das „positive Denken“ seit Jahrzehnten allen Job-Anfängern eingetrichtert wird!)

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Griechenland führt Europa vor

10. Februar 2012 02:26 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Der unendliche Poker mit Griechenland scheint nun – wieder einmal – zu einem üblen Schein-Ende zu kommen. Auch wenn sich die EU-Finanzminister noch ein wenig zieren, werden ganz offensichtlich in Kürze weitere 130 Milliarden an echten Euros in den griechischen Abgrund geschoben. Im Gegenzug für unglaubwürdige griechische Versprechungen. Zugleich scheint Griechenland trotz aller Hilfen angesichts der Ungewissheit um seine währungspolitische Zukunft in diesem Abgrund unrettbar festzustecken.

Solange nämlich lebhafte Zweifel bestehen, ob Griechenland überhaupt im Euro bleiben kann, wird niemand in dem Land investieren. Dazu trägt  auch die Tatsache bei, dass Griechenland eine weiterhin keineswegs investitionsfreundliche Bürokratie hat. Ohne Investitionen kann es aber kein Wachstum und damit auch keine positive Zukunft Griechenlands geben. Denn nur naive Grüne predigen, dass es einen Wohlstand ohne Wachstum geben könnte.

Zur Skepsis angesichts der Lage Griechenlands trägt insbesondere bei, dass das Land auch schon bisher einen Gutteil seiner Sanierungsversprechungen ignoriert hat. Wer will daher ernsthaft glauben, dass es diesmal anders sein wird? In jenem Land haben ja nicht einmal Gesetze eine Auswirkung auf die Wirklichkeit, etwa auf das Handeln – und vor allem Nichthandeln von Beamten. Politikerversprechen haben das daher noch viel weniger.

Trotz aller Drohungen der EU-Partner war nicht wirklich anzunehmen, dass sie Griechenland fallen lassen. In diesem Fall müssten sie, müsste insbesondere die deutsche Regierung nämlich direkt oder indirekt zugeben, dass sie schon mit der ersten Griechenland-Hilfe im Mai 2010 schwere Fehler begangen haben. Denn ein Staatskonkurs – mit nachfolgend ermöglichtem Neuanfang – wäre damals billiger gewesen. Und würde inzwischen anstelle der ewigen Konkursverschleppung auch schon erste Erfolge bringen.

Knapp vor den französischen Wahlen war aber ein solches Eingeständnis eines Waterloos der europäischen Politik schon gar nicht zu erwarten gewesen. Da muss alles auf Sonnenschein programmiert werden. Die Märkte haben die Sonnenschein-Parole auch brav apportiert. Die Kurse sind gestiegen. Dass damit nur gutes Geld dem vielen schon verlorenen nachgeworfen wird, stört die Anleger offenbar nicht. Denn sie haben wieder ein halbes Jahr gewonnen, in dem man Business as usual betreiben kann.

Dass der darauffolgende Crash wegen der neuerlich vergrößerten Dimension der Geldverbrennung nur noch ärger ausfallen wird, wird einfach verdrängt. Ebenso wie die Tatsache, dass der Crash noch sicherer geworden ist. Alleine die gegenwärtigen Blasen bei den europäischen Immobilienpreisen müssen fast sicher mit einem Knall samt unberechenbaren Dominoeffekten enden.

Die einzige Möglichkeit, noch einen Crash abzuwenden, ist die – noch weiter intensivierte – Herbeiführung einer Megainflation. Die ist aber keineswegs ein Trost. Denn eine Megainflation wird verheerende Auswirkungen haben – die halt nur nicht in einem Schwarzen Freitag kulminieren, sondern sich über Jahre erstrecken.

Enger-können-wir-den-Gürtel-aber-wirklich-nicht-mehr-schnallen

Die Fernsehaufnahmen aus den Straßen Athens sind in dieser Situation die übliche und nicht weiter ernst zunehmende Reaktion. Jeder Grieche ist intelligent genug, jedem ausländischen Mikrophon furchtbare Klageschreie über das Enger-können-wir-den-Gürtel-aber-wirklich-nicht-mehr-schnallen entgegenzurufen. Auch wenn er vielleicht gerade von der Bank kommt, wo er seine Euro sicherheitshalber abgezogen oder ins Ausland transferiert hat.

Wäre wirklich ein Schmerzpunkt erreicht, hätten die griechischen Gewerkschaften nicht schon wieder zu einem zweitägigen Generalstreik gerufen. Sie glauben ganz offensichtlich noch immer daran, dass sie jemand erpressen können. Und sie haben vielleicht sogar recht: Denn Europa zahlt ja wieder einmal. Wahrscheinlich auch für die bei den Demonstrationen verbrannten deutschen Fahnen . . .

Wer den griechischen Mitleidsgeschichten dennoch glaubt, sollte eine Sekunde lang die heutige griechische Reaktion mit dem Jahr 1945 vergleichen: Damals hat in Europa niemand gestreikt. Nicht einmal eine Sekunde lang. Auf keiner Seite der ehemaligen Fronten. Denn einer, dem‘s wirklich schlecht geht, der streikt nicht. Gestreikt wurde dann erst in den Jahren darauf, als die Kommunisten zum Putsch ansetzten.

Auch das jetzt – theoretisch – zugesagte griechische Sparpaket ist keineswegs so schlimm, wie es manche darstellen. Die Streichung von Zusatzpensionen in privilegierten Branchen, für die nichts ausreichend eingezahlt worden ist,  erweckt nur begrenztes Mitleid.

Auch die Reduktion des gesetzlichen Mindestlohns ist völlig legitim und richtig. Denn die Festsetzung eines Mindestlohns durch populistische Politiker ist immer (nicht nur in Griechenland) ein Unsinn. Was soll ein hoher gesetzlicher Mindestlohn helfen, wenn niemand zu diesem Lohn mehr genug Jobs anbietet? Immer noch ist ein geringer Lohn besser als gar keiner. Daher ist dessen Senkung notwendig (was ja noch nicht die schon derzeit ausbezahlten Löhne reduziert). Nur niedrigere Löhne für Neueinsteiger können Griechenland wieder wettbewerbsfähig machen. Freilich ist diese Senkung keineswegs alleine schon eine ausreichende Medikation für Griechenland.

Notwendig wäre daneben erstens auch eine massive Verwaltungsreform, und zweitens die währungsmäßige Sicherheit für neue Investitionen in Griechenland. diese Sicherheit ist aber wohl nicht mehr herstellbar. Da muss nämlich jeder fürchten, Euros zu investieren und Drachmen zurückzubekommen.

Wenn aber schon die Herstellung einer wirklichen Währungssicherheit nicht mehr möglich ist, wäre eine echte Entmachtung des griechischen Gesetzgebers und der Regierung durch einen europäischen Masseverwalter umso notwendiger. Auch das wurde nicht durchgesetzt.

Papierende Zusagen griechischer Politiker beeindrucken hingegen wenig. Schon gar nicht, wenn Griechenland absurderweise ein Wahlkampf bevorsteht. In einem solchen ist leider fast immer Populismus statt Ehrlichkeit Trumpf.

Daher wird Europa auch in den nächsten Monaten wieder nur hilflos zuschauen können, wenn die Griechen auch jetzt wieder ihre Zusagen Scheibe für Scheibe vergessen werden.

Alle jene, die nach dem Motto „Das kleine Griechenland werden wir doch noch durchfüttern können“ trotz allem für die Milliarden in das bodenlose Fass sind, sollten sich noch über etwas anderes im klaren sein: Alles, was man den Griechen gewährt, wird man den anderen Schuldnerländern nicht verwehren können. Und deren Reihe wird ja immer länger. Schon hat Irland gefordert, dass es jede Konzession erhalten müsse, welche etwa die Europäische Zentralbank den Griechen einräumt. Dies würde etwa für einen Schuldenschnitt gelten, den nun offenbar nicht nur Privatgläubiger hinnehmen sollen, sondern den die EZB nach inoffiziellen Informationen auch den Griechen gewährt.

Das „Sozialmodell“ als historischer Betrug

Besonders widerlich ist das Verhalten der nichtgriechischen Sozialdemokraten. Dass der Neokommunist Oskar Lafontaine gemeinsame Anleihen aller Europäer für die Griechen verlangt, war ja noch zu erwarten gewesen. Aber völlig fassungslos macht ein Brief des SPÖ-Mannes Hannes Swoboda, der ja jetzt sogar Vorsitzender der roten Fraktion im EU-Parlament ist. Er attackiert doch tatsächlich in aggressiven Worten die „ruinöse, extreme Sparpolitik“, welche die EU-Staaten von den Griechen verlangten. Noch absurder ist, wenn Swoboda in diesen Forderungen sogar einen „großen Betrug am europäischen Sozialmodell“ zu erkennen behauptet.

In Wahrheit hat natürlich niemand irgendein „Sozialmodell“ betrogen. Sondern dieses hat sich selbst als der größte Betrug der letzten zwei Generationen erwiesen. Dieses Modell ist aber nichts anderes als der real existierende Sozialismus, als der ständig durch noch mehr Schulden finanzierte Sozialstaat.

 

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Griechenland ist kein Problem

09. Februar 2012 19:42 | Autor: Christian Ebner
Rubrik: Gastkommentar

Die Pleite und / oder der Euro-Austritts Griechenlands rücken immer näher. In den letzten Monaten hat eine Serie von Politikern und selbsternannten Mahnern dieses Szenario als Katastrophe mit unabsehbaren Folgen beschrieben. Von einem dramatischen Einbruch der Exporte ist da immer wieder die Rede, von einer schweren Rezession in ganz Europa oder gar von einem Kollaps des Finanzsystems. Es ist also höchste Zeit, ein solches Szenario mit der nötigen Nüchternheit zu analysieren.

Immer wieder wird der Euro-Austritt Griechenlands mit einem Austritt Deutschlands oder dem Zerfall des Euro gleichgesetzt. Der Präsident des Deutschen Außenhandelsverbandes, Anton Börner, stellte diesbezüglich im letzten November im Berlin fest, dass der Wert des Euro für Deutschland überschätzt wird. Er sagte wörtlich: „wichtig ist für uns der freie Markt, wir brauchen nicht zwingend die gleiche Währung“, und weiters „wir können auch ohne Euro leben.“

Wenn Deutschland wieder zur D-Mark zurückkehren würde, dann würde diese wohl kräftig aufgewertet. Die Schweiz hat in den letzten Monaten eine solche Aufwertung erlebt. Die Schweizer Exportwirtschaft hat es verkraftet. Zur Erinnerung: Auch deutsche und österreichische Exportunternehmen haben es jahrzehntelang geschafft, mit Aufwertungen zu leben.

Den Ängstlichen und Angstmachern sei an dieser Stelle gesagt: der Austritt Deutschlands oder der Zerfall des Euro stehen gar nicht an, sondern bloß der Austritt Griechenlands! 2009 betrug das griechische BIP € 235 Mrd., also rund 2 Prozent des EU-BIP. Ebenfalls im Jahr 2009 importierte Griechenland Waren im Wert von € 33,8 Mrd. aus der EU, das entspricht rund 0,29 Prozent (!) des EU-BIP. Selbst wenn sich die griechischen Importe infolge eines Euro-Austritts über mehrere Jahre hinweg deutlich reduzieren würden, so würde das im übrigen Europa kaum bemerkt!

Laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) halten die europäischen Banken und die EZB griechische Staatsanleihen im Ausmaß von je rund € 50 Mrd. Das konsolidierte Vermögen der EU Banken beträgt aber € 31.067 Mrd., jenes der EZB € 2.687 Mrd.. Das heißt für die EZB wäre ein Euro-Austritt Griechenlands (und die damit verbundene Abwertung der griechischen Staatsschulden) ein schmerzhafter, aber verkraftbarer Verlust. Für den europäischen Bankensektor wäre eine kräftige Abwertung der griechischen Staatsschuld von beschränkter Bedeutung, die meisten Institute haben die Griechenland-Forderungen ohnehin schon stark wertberichtigt.

Möglicherweise haben aber einzelne Institute und Investmentgesellschaften den Fehler gemacht, zu viele griechische Anleihen gekauft zu haben und für zu viele Kreditausfallsversicherungen für griechische Anleihen geradezustehen. Für solche Gesellschaften könnte es natürlich schmerzhaft werden, daher sind sie offenbar bemüht ihre Verluste auf den Steuerzahler abzuwälzen.

Dieser Wunsch bestimmter Finanzinstitute ihre Verluste auf den Steuerzahler abzuwälzen, würde auch erklären, warum es speziell die Vertreter von bestimmten Finanzkonzernen sind, die eine Pleite und / oder einen Euro-Austritt Griechenlands mit besonders dunklen Farben ausmalen und die Politik besonders eindringlich dazu aufrufen, das ach so arme und unschuldige Griechenland doch nicht fallen zu lassen.

Wer falsche Entscheidungen trifft, muss in einer Marktwirtschaft die Konsequenzen, also die Verluste, tragen. Wie kommen eigentlich die Steuerzahler dazu, für die Fehler gewisser Finanzkonzerne bezahlen zu müssen? Die Steuerzahler haben schon genug gezahlt.

Mag. Christian Ebner ist Unternehmensberater bei Elpis Consulting GmbH und Wirtschaftssprecher des BZÖ Niederösterreich.

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Der Fluch des Euro

07. Februar 2012 23:42 | Autor: Andreas Tögel
Rubrik: Gastkommentar

„Der Euro kommt zu früh!“ So lautete ein anno 1998 von 155 namhaften Wirtschaftswissenschaftlern in der „FAZ“ veröffentlichter Aufruf. Vergebens. Das Lieblingsprojekt der politischen Eliten wurde – ohne Rücksicht auf Verluste, wie wir heute erleben – dennoch ins Werk gesetzt.

Es ging dabei nicht ums Geld, nicht um die keineswegs schlechte Idee einer gemeinsamen Währung. Der Euro war von Anbeginn an kein monetäres, sondern ein lupenrein politisches Projekt und sollte der Schaffung eines neuen Imperiums nach US-Vorbild, der „Vereinigten Staaten von Europa“, Vorschub leisten. Auf dem direkten Weg – über entsprechende Referenden – wäre dieser größenwahnsinnige Plan unmöglich zu realisieren gewesen, das war der herrschenden Klasse sonnenklar. Niemals hätten die so grundverschiedenen Völker der Alten Welt der Aufgabe ihrer Eigenarten und ihrer Fernsteuerung durch Brüssel freiwillig zugestimmt.

Europa hat der Welt einst eben nicht als zentral verwalteter Monolith seinen Stempel aufgedrückt, sondern als Sammelsurium miteinander konkurrierender Völker und Ideen. Zu sehr war und ist den Bürgern Europas auch heute noch bewusst, dass die Stärke ihres Kontinents in der Vielfalt und nicht in der Einfalt und der erzwungenen Nivellierung liegt.

Daher spannten die abgehoben agierenden Politeliten den Ochsen trickreich hinter den Karren und führten zunächst die Gemeinschaftswährung ein – in der sicheren Gewissheit, dass diese ohne eine – gegenwärtig in Umsetzung befindliche – totale Gleichschaltung der Provinzen des neuen Reiches keinen Bestand haben könnte.

Nun wird die Verteidigung des Euro – kontrafaktisch – zu einer „Frage von Krieg und Frieden in Europa“ stilisiert: Helmut Kohl meint „Der Euro ist ein Friedensprojekt“; Von höchsten Vertretern der Union werden Verschwörungstheorien lanciert, wonach wir es mit einem „Angriff“ finsterer Mächte (der perfiden Märkte!) auf das heilige Brüsseler Reich zu tun hätten. „Ohne Gemeinschaftswährung hat Europa keine Zukunft“ – so oder so ähnlich tönt es aus den EU- und Staatskanzleien. Und so trommeln es auch die gleichgeschalteten Medien des Meinungshauptstroms von Lissabon bis Helsinki. Alle nicht in das Konzept eines zentralistisch organisierten Molochs passenden Fakten werden entweder kleingeredet oder totgeschwiegen.

Dass etwa Frankreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg Frieden machten und hielten – und zwar ohne gemeinschaftliche Währung – wen interessiert es? Die Grundlage für Frieden zwischen den Völkern und deren steigenden Wohlstand ist allein der Freihandel, wie der französische Physiokrat Frédéric Bastiat meinte, wenn er vor langer Zeit formulierte: „Wenn Güter die Grenzen nicht passieren, werden es Armeen tun!“

Eines politisch zwangsverordneten Geldes bedarf es dafür aber ganz sicher nicht. – wer bedenkt das dieser Tage? Der Euro wird zur Religionsfrage erhoben. Es wird – entgegen der historischen Evidenz – so getan, als ob ein gemeinsamer Wirtschaftsraum nicht auch ohne einheitliche Währung zu verwirklichen wäre.

Dass eine europäische Freihandelszone bereits vor weit mehr als 100 Jahren – in der Zeit vor 1914 – existierte, und zwar ohne Gemeinschaftswährung (die faktisch allerdings durch die Goldbindung der verschiedenen Währungen gegeben war) wissen heute nur noch die wenigsten. Die politischen Eliten haben größtes Interesse, diese Tatsache gar nicht erst zu thematisieren, um die Fadenscheinigkeit ihrer Argumente für das schwindsüchtige Esperantogeld Euro nicht ans Licht zu bringen.

Einen interessanten Beitrag zum tieferen Verständnis der Problematik der europäischen Gemeinschaftswährung leistet das kürzlich bei Olzog erschienene und von Peter Altmiks herausgegebene Buch „Die optimale Währung für Europa?“

Fünf Beiträge sehr unterschiedlicher Autoren beleuchten Geschichte, Wesen und mögliche Zukunft des Euro. Glühende Befürworter, wie etwa der eben aus dem Direktorium der EZB ausscheidende Volkswirt Jürgen Stark, und Kritiker, wie der Herausgeber selbst, der als Wirtschaftsreferent im Liberalen Institut der Friedrich Naumann Stiftung tätig ist, verdichten eine Fülle von Informationen und analytischen Überlegungen zu einer guten Grundlage für den interessierten Beobachter, um sich seine eigenen Gedanken zu diesem für Europa so überaus wichtigen Thema bilden zu können.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien

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Schulden-Bolschewismus

06. Februar 2012 23:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Wer zählt die Summen, schon vertan,
wer nennt sie, all die Namen,
die da für Volksbetrug und Wahn
bisher zusammenkamen?

Doch wieder sollen kurz vorm Knall
zum Zwecke Gelder fließen,
die sich mit reichem, vollen Schwall
ins schwarze Loch ergießen!

Erhöhen heißt es lapidar,
was aufgestockt, erweitert,
verdoppelt und dergleichen war
und gallig bloß erheitert:

Nach Schirm, Paket und Fonds konkret,
dann Sixpack, Feuermauer
samt Hebel und Fazilität
jetzt ein Fiskalpakt, schlauer!

Man ist zu Ende mit Latein,
nur stellt zum Trost der Seelen
sich stets ein neues Gutwort ein,
wo längst Begriffe fehlen.

Kein Wunder, man versteht sich ja
perfekt aufs Euphemisteln,
verkauft als Rettung – blablabla –
wohl Eiter gar aus Fisteln.

Denn Schulden-Bolschewismus pur
ist höchste Glaubenslehre,
und weil drum wider die Natur,
wär’ Klartext Straftat, schwere!

Hier wendet sich als Folge draus
erst recht kein Gast mit Grausen –
doch werden wir im eignen Haus
bald selbst als Fremde hausen…

Pannonicus

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Burgstaller und Merkel: Zweimal Hoffnung und zurück

30. Januar 2012 09:53 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die Hoffnung, dass sich in Österreich und Europa der Verstand doch noch durchsetzt, blitzt manchmal kurz auf. Doch – ganz konträr zu dem beliebten Spruch, dass sie das zuletzt tut – stirbt sie sehr schnell wieder. Zumindest hierzulande. Ob in der EU ebenfalls, das werden die nächsten Stunden und Tage zeigen.

Von der Öffentlichkeit kaum – weil von den Meinungsmachern nur ungern – wahrgenommen, hat die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller gemeinsam mit den Salzburger Schwarzen einen Tabubruch durchgesetzt, der wie ein Aufbruch des gesunden Politikerverstands wirkt: Die Salzburger Landesregierung hat eine Aufforderung an die Bundesregierung beschlossen, die Studiengebühren wieder einzuführen. Prompt erntete sie Rücktrittsforderungen aus den Reihen der jungen Sozialisten sowie schnoddrige Abfuhren von Faymanns Laura (Rudas) und der SP-Wissenschaftssprecherin Andrea Kunzl.
Damit war das Aufflackern von Sachverstand wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Jetzt sollen gar nicht die zum Überdruss wiederholten und allseits bekannten Argumente für diese Maßnahme wiedergekäut werden. Aber: Ist es nicht eine Frage der Gerechtigkeit, dass in Zeiten der Schröpfzüge bis hin zu den Pensionisten auch die Studenten wieder für aus Steuergeld finanzierte Leistungen wenigstens einen symbolischen (in China sind Studiengebühren höher!) Tribut entrichten müssen?
Faymanns Gerechtigkeit gibt’s halt nur auf dem Plakat.
Zu hoffen steht, dass dem zweiten bemerkenswerten Aufbruch, diesmal von Angela Merkel, nicht ein ähnliches sang- und klangloses Verschwinden beschert ist – und zwar in unser aller Interesse.
Die Deutschen fordern, dass die EU den Griechen einen Sparkommissar hinsetzt, der die Budgetgebarung überwacht und sogar mit einem Vetorecht ausgestattet ist. In Athen hat der Vorschlag sofort zu radikalen Verbalinjurien geführt – was zu erwarten war. Von einem „Gauleiter“ ist da die Rede, von einer Demütigung, die man nicht hinnehmen kann.
So sieht die „Solidargemeinschaft“ aus: Nehmen kann man unser Geld und es dann auch nicht mehr zurückzahlen wollen – darauf bereiten uns bereits Kommissar Rehn und der Präsident der Eurozone, Jean Claude Juncker, vor. Aber bei der Art und Weise, wie man mit unseren Milliarden umgeht, da ist man „autonom“. In dieser Budget-Autonomie lag im Falle der Griechen ja der Urgrund der Katastrophe. Sie waren so autonom unehrlich, dass sie sich den Eintritt in die gemeinsame Währung mit falschen Angaben erschlichen haben.
Also wäre ein „Aufpasser“ wohl mehr als gerechtfertigt, wenn es jetzt um die Schutzschirm-Milliarden geht. Mit dubiosen „Listen der Schande“ im Internet kann man vielleicht einen Herrn Kräuter in der österreichischen SP-Zentrale beeindrucken, aber keinen müden Cent in die Staatskasse bringen. Und viele andere Maßnahmen der Regierung Papademos scheinen die gleiche (Un-)Wirksamkeit zu haben.
Es wird also Zeit, dass die EU sich einmischt. Angela Merkel hat das verstanden. Vielleicht kann sie sich durchsetzen.
Die Hoffnung stirbt – eben doch – zuletzt.
 

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Wessen Staatsanleihen halten österreichische Banken?

23. Januar 2012 19:00 | Autor: Andreas Unterberger

Von heimischen Banken gehaltene Staatsanleihen anderer EU-Mitglieder in Mio. Euro, Stand 10/2011

 

Staat Betrag
Polen

2.837

Italien

2.821

Deutschland

2.289

Ungarn

2.020

Tschechien

1.231

Rumänien

1.175

Slowakei

1.024

Belgien

806

Griechenland

736

Frankreich

707

Spanien

450

Slowenien

230

Portugal

218

Irland

187

Sonstige

1.364

Quelle: EZB/Finanzministerium

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Griechenland: Auch vor Tische konnte man es schon wissen

21. Januar 2012 00:07 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es ist gewiss nicht allzu populär, besserwisserisch zu klingen. Dennoch konnte ich diesmal der Versuchung nicht widerstehen, in alten Tagebuchnotizen zu kramen. Der Anlass: Rundum wird nun plötzlich von einer Pleite Griechenlands gesprochen.

In Österreich natürlich nicht. Hier haben ja Rot und Grün den Ball einiger Burschenschaften für die zentrale Bedrohung der Nation erklärt. Hier beschäftigt sich ja der Wrabetz-Wolf-ORF längst nur noch mit sich selber. Hier ist ja die Regierung bemüht, den Verlust der eigenen Kreditfähigkeit kleinzureden (obwohl Experten längst davon reden, dass das Land noch immer um zwei Stufen zu gut bewertet ist!) und sich ansonsten stolz darauf zu zeigen, das enorme Problem der Diplomatenpässe für Ex-Minister und Bischöfe gelöst zu haben, damit wenigstens ein Problem gelöst ist.

Einige der ignorierten Meldungen. Sie stammen alle aus den bisherigen Jännertagen.

So weit so klar. Was ist davor geschehen? Die anderen Euro-Staaten haben durch Cash oder Haftungen direkt oder über Zentralbank, Währungsfonds, EU oder Rettungsschirme seit Mai 2010 dreistellige Milliardenbeträge in Griechenland versenkt. Offensichtlich ohne jeden erkennbaren Sanierungsnutzen. Die dadurch gewonnene Zeit hat nur eine einzige Gruppe nutzen können: Reiche Griechen haben ihr Geld ins Ausland transferiert und so vor einer Abwertung oder einem sonstigen Staatszugriff in Sicherheit gebracht.

Noch schlimmer: 2010 hat Griechenland noch wirklich spürbar gespart. 2011 sind die Sanierungsbemühungen völlig erschlafft - ganz offensichtlich hat nach Aufspannen des europäischen Rettungsschirms niemand mehr die Lust zu schmerzhaften und unpopulären Maßnahmen gehabt.

Hat man das nicht alles von Anfang an wissen können? Man hat schon, aber man wollte nicht. Weil ja nicht sein kann, was nicht sein darf. Weil nicht nur Sozialisten, sondern auch viele Christdemokraten noch immer an Problemlösungen durch keynesianische Schuldenmacherei, durch Verdrängung und Schönreden glauben. Lediglich in Prag und London gibt es noch Regierungen mit ein wenig ökonomischem Sachverstand. Allzu viel hätte es aber auch anderswo nicht gebraucht, um die Entwicklung vorherzusehen.

Unkommentiert dazu einige Eigenzitate aus dem Tagebuch:

17. Juni 2011

Die EU kann Griechenland gar nicht pleite gehen lassen. Denn das ist es schon längst. Jetzt geht's nur noch darum, endlich auch offen zuzugeben, dass Griechenland niemals all seine Schulden zahlen kann. Werden die Staaten Europas wie im Mai 2010 noch einmal Beihilfe zur Konkursverschleppung leisten? Im normalen Leben landet man damit vor dem Strafrichter.

11. Mai 2010

Seit Deutschland & Co nun praktisch solidarisch für Griechenland & Co haften, muss man ihre Stabilität noch mehr bezweifeln als schon bisher. Hat man zwischen Berlin und Wien doch schon vor diesem schwarzen Wochenende die Staatsschulden in absurde Höhen gejagt.

7. Mai 2010

Was würde der inzwischen verstorbene Friedman den Europäern wohl heute raten? Vermutlich Folgendes:

  1. Vorerst keinen Kredit mehr für Griechenland.
  2. Notfalls die Gläubiger-Banken mit rund 60 Prozent für die dadurch eintretende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands schadlos halten (keinesfalls zu 100 Prozent), damit die Folgewirkungen abgebremst werden.
  3. Griechenland ein Aussteigen aus dem Euro-Raum nahelegen.

29. April 2010

Da wird in einer angeblichen Qualitätszeitung der Bankrott Griechenlands als „Liquiditätskrise“ beschönigt. Da werden die Rating-Agenturen beschimpft, weil sie griechische oder portugiesische Staatsanleihen abwerten.

13. April 2010

Tatsache ist, dass die Milliarden für Griechenland eine glatte Verletzung der EU-Verträge bedeuten, die eine solche Hilfe zwischen Euro-Ländern verbieten. Tatsache ist, dass alle jene Politiker lügen, die die Kreditvergabe als gutes Geschäft darstellen; denn das wäre es nur, wenn eine seriöse Chance auf volle und pünktliche Rückzahlung bestünde.

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Der Reformer

20. Januar 2012 23:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Freunde schöner neuer Riten
lesen gern dem Papst Leviten –
dumm ist bloß, dann stehen meist
fromme Lämmer da belemmert,
und nach Lammerts Hammer dämmert
ihnen auch grad, was das heißt:

Norbert nämlich will was meinen,
darum hofft er nicht auf einen
– wie er sagt – „Befreiungsschlag“,
und von diesem Papst aus Bayern
halt „schon gar nicht“ – ja so bleiern
drückt der Konkordats-Vertrag!

Ist dem Papst er, dem konkreten,
nicht mal aufs Gewand getreten
einst im Saale, berstend voll?
Klar, was sonst – denn Päpste tragen
selbst in unsern lichten Tagen
keinen Schlips laut Protokoll.

„Wir sind Papst“ war irrig eben,
und drum soll’s den nächsten geben
von weit weg, meint Lammert auch –
Deutsche sind nur da zum Zahlen,
nicht um groß herumzuprahlen,
so ist’s wohlgelittner Brauch!

Übrigens das Paternoster
hat er, gleichsam als Entroster,
umgedichtet lebensfroh
und dabei, wie leicht zu fassen,
die „Versuchung“ weggelassen,
„Schuld“ natürlich sowieso.

Doch die „Erde“ – das stimmt heiter –
gibt’s mitsamt dem „Himmel“ weiter,
und dann im gemischten Chor
klingt das Ganze wirklich prächtig –
einzig eines ist verdächtig:
„Reich“ kommt immer noch drin vor!

Pannonicus

(Bundestagspräsident Norbert Lammert meinte zu Problemen der Kirche, er erwarte keinen „Befreiungsschlag“, „schon gar nicht unter diesem Papst". Der komme höchstens von einem Papst aus der Dritten Welt. Lammert hat auch das Vaterunser neu übersetzt und war Papst Benedikt XVI. bei der Begrüßung im Bundestag auf dessen Gewand getreten.)

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Nachher ist man immer klüger

19. Januar 2012 00:35 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Grau ist alle Theorie. Das gilt insbesondere, wenn man das Verhalten von Menschen prophezeien will. Dieses lässt sich jedoch nicht so einfach wie eine Maschine steuern, bei der man genau weiß, was passiert, wenn man eine Schraube dreht. Diese menschliche Unberechenbarkeit hat schon viele ideologische und ökonomische Theorien zerstört. Und im letzten Jahrzehnt auch den Euroraum.

Denn natürlich hat man bei der Einführung des Euro vorhergesehen, dass sich die Wirtschaft in einzelnen Ländern und Regionen unterschiedlich entwickeln kann. Das hätte sich aber der Theorie zufolge so wie im Dollar-Raum automatisch ausgleichen sollen. Wenn es in den USA in einem Staat oder einer Stadt kriselt, weil beispielsweise mehrere Firmen bankrott gegangen sind, dann reagieren die Menschen: Sie packen ihre Koffer und ziehen an einen anderen Ort.

Dasselbe hätte in Europa passieren sollen. Ist es aber nicht. Das lässt sich in Zahlen gut zeigen: In den USA sind in einem Jahr 2,8 Prozent der Menschen in einen anderen Staat gewandert. In Europa taten das hingegen nur 0,18 Prozent.

Warum hat hier die Mobilitätsmaschine so total versagt? Das hat mehrere Ursachen, derer man sich aber offenbar erst im Nachhinein bewusst wird. Die größte Mobilitätsbarriere war die Sprache. Diese ist in ganz Amerika gleich, in Europa jedoch fast überall anders. Mit der sprachlichen Homogenität  geht in den USA auch eine kulturelle einher. Sie reicht vom Sport bis zum Fernsehen. All das ist in Europa viel unterschiedlicher.

Dass die Mobilität sofort größer wird, wenn die Sprachbarriere wegfällt, zeigen Deutschland und Österreich.
Aber auch die Wohnkultur ist total anders. In Amerika wechselt man Häuser wie die Autos. Das wird dadurch erleichtert, dass für Immobilienkredite nur Grundstück und Haus haften, nicht jedoch der Besitzer. In Europa werden Häuser oft in lebenslanger – und meist auch noch die nächste Generation einschließender – Perspektive gekauft oder gebaut. Überdies bindet die politische Wohnbauförderung die Menschen fast so fest an ihr Heim wie einst die Leibeigenschaft die Bauern an die Scholle.

Noch wichtiger sind die Kollektivverträge: In Europas Krisenstaaten haben die Gewerkschaften trotz stagnierender Produktivität die Lohnkosten überproportional in die Höhe getrieben. Zusammen mit Kündigungsverboten und der Aufblähung von Beamtenheeren hat man so jeden Anreiz zur Mobilität genommen. Auch jene, die keinen Job mehr bekamen – das sind logischerweise in solchen Systemen vor allem die Jungen –, sind meist sozial so gut gebettet, dass sie selten auswandern. Das taten nur die Osteuropäer und Menschen aus der Dritten Welt,  bei denen es kaum Sozialsysteme gibt.

Jetzt haben die Ökonomen für ihre Lehrbücher gelernt: Wenn solche Faktoren die Mobilität verhindern, muss ein gemeinsamer Wirtschaftsraum kollabieren. Aber nachher sind wir ja immer alle gescheiter.

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Hungaria semper libera – Una et eadem libertas: Petition

17. Januar 2012 23:42 | Autor: Eva Maria Barki
Rubrik: Gastkommentar

Grund- und Freiheitsrechte und das Selbstbestimmungsrecht sind in Ungarn seit mehreren Jahrhunderten unverzichtbarer Teil des Verfassungsbestandes. Die Verletzung dieser Rechte hat im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zu Aufständen und Revolutionen geführt, welche langfristig für ganz Europa impulsgebend waren.

Zuletzt haben wir im Jahre 1956 der kommunistischen Diktatur und der Pax Sovietica die Maske vom Gesicht gerissen und damit deren Zusammenbruch eingeleitet.

1989 haben wir den eisernen Vorhang in eine damals vielversprechende Freiheit geöffnet.

Wir wurden sehr enttäuscht. In dem proklamierten „Neuen Europäischen Haus“ haben wir bisher nur im Keller einen Platz erhalten; anstelle von Freiheit diktatorischen Zwang; anstelle von Sicherheit beängstigende Zweifel und anstelle von Recht, auf Lügen beruhende Ungerechtigkeiten. Unter dem Vorwand der Bewahrung europäischer Werte werden wir erniedrigt, beleidigt, ausgegrenzt und werden unsere demokratischen Rechte in Frage gestellt. Wieder müssen wir uns wehren. Wir müssen die Maske vom Gesicht der neuen unsichtbaren Diktatur und der Pax Americana herunterreißen, solange es nicht zu spät ist.

Wir wissen, dass dieser Kampf viel schwieriger ist, als es der Kampf gegen Panzer war. Unsere Waffen sind nur das Wort, das Recht und die Europäischen Werte. Er ist deshalb schwierig, weil nicht wir, sondern die Europäische Union an einem demokratischen Defizit leidet. Wir sind der Willkür ausgeliefert, weil die Europäische Union bis heute ihrer übernommenen Verpflichtung nicht nachkommt und noch immer der Europäischen Konvention für Menschenrechte nicht beigetreten ist, sodass ihre Organe vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht belangt werden können.

Nicht wir haben uns von den Europäischen Werten entfernt, sondern das Brüsseler Machtzentrum. Nicht wir leugnen die Demokratie, sondern  es mangelt den Europäischen Institutionen an der demokratischen Legitimität.

Europa ist in einer wirtschaftlichen und politischen Krise und einem moralischen Verfall. So haben wir uns das neue Europa nicht vorgestellt!

Wir müssen ein neues Europa aufbauen. Ein Europa, welches nicht zentralistisch, sondern polyzentrisch aufgebaut ist; ein Europa, welches zu seinen christlichen Wurzeln und Werten zurückkehrt; ein Europa, in welchem nicht die Finanzoligarchie, sondern das Volk und die Nation der Souverän ist. Ein Europa, in welchem der demokratische Wille der Völker respektiert wird.

Ein Europa, in welchem jedes Volk die grundlegenden Freiheitsrechte, in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht genießt, welches im jeweiligen Artikel 1 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte und des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte wie folgt definiert ist:

„Kraft dieses Rechtes entscheiden die Völker frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“

Ein Europa in Freiheit und echtem Frieden ist nur auf der Basis von Selbstbestimmung und staatlicher Souveränität denkbar.

Wir sagen Nein zu Zwang und Erpressung! Wir sagen Nein zu Furcht und Angst, die Herausforderungen müssen wir annehmen! Niemals dürfen wir unsere Selbstbestimmung, Selbstdefinition und Selbstachtung aufgeben!

Wir wissen, dass die Mehrheit der europäischen Bürger dasselbe will. Wir wissen, dass die europäische Meinung nicht ident ist mit der unrichtigen veröffentlichten Meinung. Wir rufen jeden Ungarn und jeden Europäer auf, er möge die gegen uns vorgebrachten Lügen und Irreführungen zurückweisen, mutig die Wahrheit aussprechen und fordern und helfen, ein neues, freieres, friedlicheres und glücklicheres Europa auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechtes der Völker und der Souveränität der Staaten zu errichten.

Gott schütze Ungarn!

http://www.petitionen24.com/selbstbestimmung_und_souverenitat_ungarns

Dr. Eva Maria Barki ist Rechtsanwältin in Wien.

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Los von Rom?

16. Januar 2012 13:42 | Autor: Herrolt vom Odenwald
Rubrik: Gastkommentar

Die Staatsschuldenkrise in der EU zeitigt Folgen anderer Art, die außerhalb ihres Wirkungsgebiets noch kaum wahrgenommen werden. So gewinnt, sozusagen im Schatten, die die Lichtquellen der europäischen Öffentlichkeit werfen, unterm Brenner eine Diskussion darüber an Breite, ob der südliche Landesteil Tirols im Stiefelstaat verbleiben oder seine Zukunft anderswo suchen sollte.

Schon einmal, im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands, war eine ernstzunehmende Debatte darüber in Gang gekommen, ob die Südtiroler – bei Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts – darüber befinden können sollten, ob ihr Land, das als Autonome Provinz Bozen-Südtirol auch nach dem Zweiten Weltkrieg bei Italien verblieb, (vorerst) nach einer Freistaatslösung streben (und später) oder sogleich nach Österreich rückgegliedert werden soll. Und mit den Andreas-Hofer-Feiern 2009, im Gedenken an die Tiroler Volkserhebung 1809, erhielt sie abermals Auftrieb.

Die damaligen Antworten, gegeben von den politischen Kräften, die in Bozen, Innsbruck und Wien das Sagen haben – der römische Standpunkt war, ohne ihn extra zu erfragen, ohnedies klar – lautete: Mit der Erweiterung der EU durch Mitgliedschaft Österreichs (1995) und dem mittels Schengen-Regimes vollzogenen Entfernen der Schlagbäume verliere der Brenner seinen Charakter als „Unrechtsgrenze“. Mit dem Entfall von Grenzkontrollen sowie der grenzüberschreitenden Kooperation, mit gemeinsamen Landtags- sowie Regierungssitzungen und dergleichen mehr wachse wieder zusammen, was einst getrennt worden war.

Die Landeseinheit erwachse daher gleichsam aus dem Prozess ihrer Europäisierung. Und die seit 1945 in Bozen regierende Sammelpartei SVP sah statt in der Ausrufung des – nachgerade in ihrem Parteistatut verankerten – Selbstbestimmungsrechts sowie den Freistaats- und/oder Rückgliederungsgelüsten, wie sie vornehmlich die Opposition propagierte – auch in Innsbruck und Wien – die Zukunft des Landes(teils) in der „Dynamisierung seiner Autonomie“.

Die neue politische Lage

Heute ist die Lage eine andere. Nicht, dass die SVP ihre Haltung verändert hätte. Sie hat aber merklich an Strahlkraft eingebüßt, und ihre Position im Südtiroler Landtag ist seit der Landtagswahl 2008 geschwächt, wo sie nur mehr über 18 von 35 Sitzen verfügt. Mitunter lässt sie sich auf Händel mit italienischen Parteien ein, die ihr früher nicht in den Sinn gekommen wären. Und die geeignet sind, den Oppositionsparteien und deren Begehr weiteren Zulauf zu garantieren.

Der wird von einem noch lange nicht verdauten Skandal im Landesenergieversorger SEL AG  befördert, dessen personelle Verflechtungen mit ihr der SVP schaden. In der Zukunftsfrage plädieren die „deutschen“ Oppositionsparteien – Freiheitliche (fünf Sitze), Süd-Tiroler Freiheit (zwei Sitze) und Union für Südtirol (ein Sitz) – für einen „Freistaat Südtirol“ oder für „Rückkehr zum Vaterland Österreich“; jedenfalls verbindet sie trotz Nuancen in der politischen Betrachtung und gelegentlicher Reibereien zwischen den maßgeblichen Personen das „Los von Rom“.

Verstärkt wird das Begehr trotz des „moderaten“ Mario Monti an der Spitze jener „Expertenregierung“, die nach Jahrzehnten des „Dolce far niente“ mittels eines ambitionierten Sparpakets versucht, den ramponierten Ruf Italiens wieder einigermaßen herzustellen. Sie hebt dabei all die im Rahmen der mühsam erkämpften (Finanz-) Autonomiebestimmungen für Südtirol erwachsenen Vorteile aus den Angeln und führt damit Buchstaben, Geist und Wert des gesamten Autonomiepakets und dessen völkerrechtliche Verankerung ad absurdum.

Hinter die Separations- und Wiederangliederungsgelüste der Oppositionskräfte in (Süd-)Tirol und Österreich stellt sich ein großer Teil der – parteipolitisch neutralen – Schützen, jener traditionsreichen Verbände, die in beiden Landesteilen verankert sind und ihre Heimattreue seit dem Maximilianischen Landlibell von 1511, in welchem die Freiheiten (der Stände) Tirols kodifiziert wurden, mannigfach unter Beweis stellten. Auch unter der Südtiroler Jugend finden derlei Anwandlungen Gehör, und sogar in Verbänden Wirtschaftstreibender wird die Option eines selbstbewussten, eigenständigen „Südtirol außerhalb Italiens“ nicht (mehr) verworfen.

Ganz offen sprechen Handelstreibende, Touristiker, Industrielle und Handwerker darüber, dass sie, je mehr sich die „Krise Italiens auswächst“, ihre unternehmerische Zukunft „anders ausrichten“. Nicht wenige investieren vermehrt in Österreich und Deutschland. Das Ziel, „nicht in den Sog der Krise Italiens“ zu geraten, drückt sich denn auch in einem  Landtagsbeschluss aus, in dem es heißt, man werde sich jeder weiteren finanziellen Belastung und Beschneidung der erworbenen Rechte des Landes Südtirol durch Sparmaßnahmen der italienischen Regierung widersetzen. Für die Opposition ist das aber entschieden zu wenig. Sie verlangt eine Art Befreiungsschlag.

Österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler?

Und im Nationalrat zu Wien ließ die FPÖ verlauten, Österreich müsse „Südtirol die Möglichkeit geben, sich dem italienischen Abwärtsstrudel zu entziehen". Eine erste Möglichkeit sei die Gewährung der Staatsbürgerschaft für Südtiroler. In Wien wie in Bozen wird auf das Beispiel Ungarns verwiesen: Budapest verleiht allen ethnischen Ungarn außerhalb des Landes, die sie beantragen und ihr Magyarentum nachweisen, die Staatsbürgerschaft.

Das ist in der EU umstritten, und in Wien haben sowohl das Außen- als auch das Innenministerium Bedenken. Doch in einem Gutachten des Innsbrucker Rechtswissenschaftlers Günther Obwexer und in Stellungnahmen des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramts wird die Möglichkeit der entsprechenden Gesetzesanpassung und also Erteilung der Staatsbürgerschaft – für die eine Bürgerinitiative 22 000 Unterschriften sammelte und für die auch die SVP-Führung Sympathie signalisierte – für rechtskonform gehalten. Insofern ist „die doppelte Staatsbürgerschaft für Südtiroler nur noch eine Frage des politischen Willens", den aber SVP und österreichische Regierung „doch nicht aufzubringen gewillt“ seien, lassen die Oppositionsparteien verlauten.

Unlängst hat die Süd-Tiroler Freiheit zudem in der Gemeinde Ahrntal – sie besteht aus mehreren Ortschaften und hat knapp sechstausend Einwohner – ein „Selbstbestimmungs-Referendum“ organisiert. Dabei sprachen sich 95 Prozent derer, die daran teilnahmen, für die Einforderung und Anwendung des Selbstbestimmungsrechts aus. Bei einer Beteiligung von nur 31 Prozent der Wahlberechtigten kann von Repräsentativität nicht gesprochen werden, zumal sich der Wahlerfolg der Partei Süd-Tiroler Freiheit bei der Kommunalwahl in dieser Gemeinde (2010) prozentual mit diesem Ergebnis nahezu deckt. Woraus hervorgeht, dass offenkundig lediglich ihre Anhänger am Referendum teilnahmen.

Doch so anfechtbar das Ergebnis auch sein mag, es gänzlich zu negieren wäre fahrlässig. Denn den Charakter eines Stimmungsbarometers trägt es. Würden auch die beiden anderen Oppositionsparteien bei einem landesweiten Referendum mitmachen – so es in der EU bei den Staatsschulden zur krisenhaften Zuspitzung mit Folgen für den Euro käme, wobei just im Blick auf Italien letzten Endes wohl nicht so schnell mit einer wirtschafts- und finanzpolitischen Erholung zu rechnen sein dürfte – so geriete auch die SVP unweigerlich in den Sog des Begehrens „Los von Rom“

Sie könnte sich dem Selbstbestimmungsverlangen wohl nicht länger mit der Begründung entziehen, Voraussetzung dafür sei, dass Rom völkerrechtliche Verträge missachte und zu seiner Durchsetzung – nach positivem Ausgang – der Wille und die Kraft Österreichs vonnöten sei, des Vertragspartners Italiens. Beides ist nicht gar so irreal wie es noch scheinen mag. In Österreich dürfte, so die Koalition aus SPÖ und ÖVP weitermacht wie bisher, eine Kanzlerschaft des FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache in Reichweite rücken. Der war unlängst in Südtirol und hat „jedwede Unterstützung für die Selbstbestimmung“ bekundet. Mit der Vertragstreue Roms ist es in Bezug auf Bozen im Rückblick auch nicht gerade zum Besten bestellt gewesen.

Und wenn die SVP in diesem sich verstetigenden politischen Gärungsprozess nicht mehr zu bieten hat als die Proklamation der „Vollautonomie“ – die einer ihrer ganz schlauen Landesräte Rom für ein Linsengericht von 15 Milliarden Euro abzukaufen gedenkt, womit er und seine Parteifreunde zugleich aber eingestehen (müssen), dass es sich im stets gepriesenen „Modell Südtirol“ allenfalls um eine Halb- oder Teilautonomie handelt – so dürfte sie womöglich ein „blaues Wunder“ erleben.

Der Autor ist ein deutsch-österreichischer Journalist und Historiker, der für mehrere Zeitungen schreibt.

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Die Wahlhelferin

14. Januar 2012 00:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Wie rasend schnell die Zeit vergeht:
Fünf Jahre sind’s im Maien,
dass Sarko auf den Hacken steht,
die ihm Statur verleihen!

Dass Carla flaches Schuhwerk trägt,
das hat natürlich bieder
ihr Orthopäde angeregt,
weil’s gut ist für die Glieder.

Indessen gibt es kein Problem
mit Ähndschies Körpermaßen –
drum ist’s mit ihr so angenehm,
platonisch rumzuspaßen.

Dass allerdings vor aller Welt
den Kumpel sie allmählich
trotz Gleichwuchs in den Schatten stellt,
das findet dieser schmählich.

Denn seht, es weiß der gute Mann,
in nächster Zeit sind Wahlen,
und Wählern kommt’s auf Optik an,
für die sie gerne zahlen!

Zur Rettung hat er desperat
’ne Jungfrau jetzt erkoren –
ja so was gibt es in der Tat,
weil früher mal geboren.

Sie steht auf einem Sockel zwar
und ist bereits verstorben,
doch hat den Briten einst sie klar
so manchen Spaß verdorben.

Wie passend folglich als Symbol
ist heut’ die kleine Wilde!
Nur dumm – man hat sie längst frivol
auch weiter rechts am Schilde…

Pannonicus

(Sarkozy „entdeckt“ die Jungfrau von Orléans als Wahlhelferin – auf die sich allerdings schon seit langem der Front National beruft.)

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Der Magyaren „falsche“ Wahl

13. Januar 2012 23:42 | Autor: Herrolt vom Odenwald
Rubrik: Gastkommentar

Der luxemburgische Außenminister Asselborn nennt Ungarn einen „Schandfleck“. Ähnlich andere Sozialdemokraten respektive Sozialisten: Der Deutsche Martin Schulz bezichtigt Ministerpräsident Orbán der „Säuberungspolitik“, der Österreicher Hannes Swoboda bringt, wie Ulrike Lunacek, seine Parlamentskollegin von den Grünen, EU-Vertragsverletzungsverfahren und Stimmrechtsentzug ins Spiel.

Unter Beifall des flämischen Liberalen Guy Verhofstadt sieht der Charlemagne-Grüne Daniel Cohn-Bendit Orbán „auf dem Weg, ein europäischer Chavez zu werden, ein Nationalpopulist, der das Wesen und die Struktur der Demokratie nicht versteht". Vergleiche mit der „gelenkten Demokratie“ des Moskowiters Putin oder gar des Autokraten Lukaschenko in Minsk sind wohlfeil.

Unübersehbar ist, dass es die hauptsächlich die links der Mitte angesiedelten politisch korrekten Moral- und Tugendwächter stört, dass in Budapest eine nationalkonservative Regierung im Amt ist. Dass die Magyaren im Frühjahr 2010 Sozialisten und Liberale, die nach acht Jahren Regierungszeit ihren Nachfolgern ein abgewirtschaftetes und vor dem Abgrund stehendes Land hinterließen, nicht einfach nur abwählten, sondern politisch marginalisierten und Orbán mit einer satten Zweidrittelmehrheit im Parlament ausstatteten.

Die er seitdem unbeeindruckt von Kritik nutzt, um das Land von Grund auf umzubauen. Worin ihm – man darf sich von sogenannten Massendemonstrationen nicht den Blick verstellen lassen – die Mehrheit der Bevölkerung (noch immer) folgt, was ihn aber im politisch korrekten Europa verdächtig macht, wo man ihn – im günstigsten Fall – des „Cäsarismus“, „Bonapartismus“ oder „Horthyismus“ zeiht.

Ein Diktator ist Orbán beileibe nicht, sondern – vor allem anderen – ein ungarischer Patriot. Doch mit Vaterlandsliebe eckt man an in der schönen neuen Welt. Schon als junger Mann hat er – damals noch hinterm Eisernen Vorhang – den Abzug der Sowjettruppen aus Ungarn und die Rehabilitation der Revolutionäre von 1956 verlangt. Die Magyaren sind ein freiheitsliebendes, geschichts- und nationalbewusstes Volk. Das haben sie nicht nur damals bewiesen.

Deswegen schätzen sie es auch, wenn sich Orbán „Einmischung jedweder Art“ von außen verbittet. Deshalb folgen sie ihm auch bisher ohne Murren bei allem, was dazu angetan ist, die Effizienz der staatlichen Strukturen und Institutionen sowie des Regierungshandelns zu steigern. Sie haben nichts dagegen, dass in der Präambel der neuen Verfassung die „Heilige Krone“ als Wahrung der historischen Kontinuität der Nation verehrt, sondern auch der „Segen Gottes“ für deren Gedeih erfleht wird; letzteres gilt für alle religiös Indifferenten und jene, die sich „freisinnig“ dünken, geradezu als provokative Regelverletzung.

Dasselbe mag für das Bekenntnis zur einen Nation gelten, im wohlverstandenen Sinne ihrer historischen, sprachlichen und kulturellen Bande über die Grenzen des 1920 um zwei Drittel verkleinerten Territoriums Ungarns hinaus. Unmut erregt auch das Bekenntnis zur Familie, besonders deswegen, weil die neue Verfassung die Gleichstellung der Gemeinschaft aus Mann und Frau mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ausschließt. Auch mit der Festlegung des 22. Juli zum (nunmehr vierten) Nationalfeiertag – im Gedenken an den Sieg eines christlichen Heeres über die Türken 1456 – fordert Orbáns Ungarn den Zeitgeist heraus und entzieht sich der politischen Korrektheit, welcher sich alle bedienen die ständig das Wort vom „Verstoß gegen die europäischen Werte“ führen.

Weshalb bei der Betrachtung des „unbotmäßigen Ungarn“ durchaus eine Parallelität zum Nachbarland Österreich auf der Hand liegt. Denn die ganze Szenerie erinnert an das – letztlich gescheiterte – Vorgehen gegen Wien anno 2000, wobei sich nicht wenige Politiker und Publizisten, die seinerzeit die „besonderen Maßnahmen“ („Sanktionen“) der damals 14 Regierungen gegen die fünfzehnte guthießen, heute dazu versteigen, die angeblich „von Orbán ausgehende Gefahr“ um „ein Vielfaches“ höher zu bewerten als das „Vergehen“ der  „Schüssel-Haider-Koalition“. Vor zwölf Jahren wurde gegen die Entscheidung zur Regierungsbildung in Österreich kampagnisiert, heute trifft es der Ungarn „falsche“ Wahl.

Der Autor ist ein deutsch-österreichischer Journalist und Historiker, der für mehrere Zeitungen schreibt.

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SN-Kontroverse: EU und Ungarn

13. Januar 2012 00:24 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Unter dem Titel “Kontroverse” gibt es in jeder Freitag-Ausgabe der Salzburger Nachrichten eine Doppelkolumne, in der Katharina Krawagna-Pfeifer und ich jeweils zum gleichen, von der SN-Redaktion vorgegebenen Thema schreiben. Und zwar ohne dass man gegenseitig die Texte vorher kennt.
Diese Woche steht die “Kontroverse” unter dem Titel:

Soll die EU schärfer gegen Ungarn vorgehen?

In der Folge finden Sie die beiden – unverändert wiedergegebenen – Kolumnen. Dadurch soll dieser kreativen und spannenden Idee auch hier ein Forum gegeben werden.

Wer hütet die Grundwerte Europas?

Katharina Krawagna-Pfeifer war Innenpolitikerin der SN, Innenpolitikchefin sowie Leiterin des EU-Büros des “Standard” und SPÖ-Kommunikationschefin. Sie arbeitet jetzt als Publizistin und Kommunikationsstrategin (kkp.co.at).

Wenn es einen Vorsatz im neuen Jahr auf EU-Ebene gibt, dann sollte er lauten: Wir nehmen uns und unsere selbst gesetzten Regeln endlich einmal ernst. Das gilt für alle Bereiche der Union und nicht nur für die Wirtschaft.

Denn gern wird in Zeiten von Euro- und Finanzindustriekrise vergessen, dass die EU sehr viel mehr ist als eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung zur Mehrung der Kapitalflüsse und zum ungehinderten Austausch von Waren sowie Dienstleistungen aller Art. Es geht auch um die Wahrung bestimmter Werte. Dies gilt spätestens seit Inkrafttreten der Verträge von Nizza (2003) und Lissabon (2009). In Nizza wurde der mittlerweile berühmte Artikel 7 der EU-Verträge eingeführt, der ein geordnetes Sanktionsverfahren gegen Mitgliedsstaaten vorsieht, wenn deren Regierungen Grundwerte der EU verletzen. Der Artikel wurde wegen des „Coup d'etat" geschaffen, der Österreich zu Beginn des 21. Jahrhunderts erschüttert hatte.

Durch den Lissabon-Vertrag haben sich die Länder der Union zu Einhaltung der Grundrechtecharta verpflichtet. Die Charta garantiert in sechs Titeln die allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte sowie die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Unionsbürger. Gleichzeitig enthält sie wesentliche Grundsätze, an die sich der europäische Gesetzgeber zu halten hat. In Ungarn werden derzeit diese europäischen Grundrechte von der Regierung mit Füßen getreten. Meinungs- und Pressefreiheit sind eingeschränkt, Oppositionelle werden mundtot gemacht und selbst die ungarische Nationalbank wurde an die Regierungskandare genommen. Was soll noch alles geschehen, damit die Union gegen die derzeitigen Machthaber in Budapest ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet? Oder anders gefragt: Worauf wartet die „Hüterin der Verträge" noch, um ihre Lethargie zu überwinden?

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Österreich und Ungarn: ein Vergleich

Andreas Unterberger

Da hat wieder ein Land gewagt, falsch zu wählen und die Sozialisten auf Minigröße zu dezimieren. Europas Rote und Grüne zeigen den Ungarn deshalb, was sie schon 2000 den Österreichern gezeigt haben: Sie sind perfekt im Denunzieren; wenn ihnen sonst nichts einfällt, jagen sie halt wieder Faschisten.

Das heißt nun nicht, dass Ungarn nicht zu tadeln wäre. Es hat eine katastrophale Wirtschafts- und Finanzpolitik. Begonnen wurde die Katastrophe unter den Sozialisten, die hemmungslos Schulden machten, die den Beamten über Nacht 50 Prozent mehr zahlten. Und der Konservative Orban spart ebenfalls nicht; er räumt stattdessen die privaten Pensionsversicherungen aus, belegt die Banken mit einer heftigen Steuer und anderen teuren Schikanen und wundert sich dann, dass sie nicht mehr in Ungarn investieren. Nur: Die „Abkehr von der Demokratie" ist eine Propagandalüge. Alle Vorwürfe treffen auf Österreich genauso zu. Nicht nur in Hinblick auf Bankensteuer & Co. 

Aber Orban besetzt doch fast die ganze Nationalbank neu! Und wer besetzt in Österreich alle Jobs in der gerade erst (!) total verstaatlichten Nationalbank; und war nicht Ewald Nowotny immer ein braver Parteisoldat? Ungarn verletzt wahrscheinlich EU-Recht! Und wie oft wurde das bei Österreich und allen anderen schon festgestellt? Orban besetzt den öffentlichen Rundfunk mit seinen Leuten! Muss man die Zustände im ORF und die Bestechung etlicher Wiener Zeitungen mit Staatsgeldern noch näher erläutern? Orban besetzt den Verfassungsgerichtshof und den Rundfunkrat! Und wer im Wiener VfGH hat kein rotes oder schwarzes Ticket; kam nicht ein Höchstrichter sogar direkt aus dem Faymann-Büro auf die Richterbank?

Der einzige Unterschied: Orban hat 68 Prozent der Stimmen bekommen, Faymann hingegen nur 29 Prozent (und die Koalition 55). Aber Faymann ist rot und da ist ja alles automatisch superfein demokratisch.

 

 

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Europas Sparefrohs

10. Januar 2012 00:32 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Fast täglich erreichen uns Fernsehbilder aus Europas meistverschuldeten Staaten, in denen uns immer dieselbe Botschaft vermittelt wird: Die Regierungen und die Menschen sparen bis an den Rand der Verzweiflung.

Vor allem Griechen und Italiener verbreiten diese Botschaft in regelmäßigen Demonstrationen. Diese sollen unseren offenbar naiven Glauben zerstreuen, dass angesichts schwerer Schulden ein „Zehn Prozent weniger von allem“ doch möglich sein müsse. Blickt man jedoch hinter die Oberfläche dieser Fernsehbilder, stößt man plötzlich auf ein ganz anderes Bild.

Italiens arme Abgeordnete

Da revoltieren etwa die italienischen Abgeordneten ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt gegen die Ansinnen der Sparregierung Mario Montis, da das Sparen sie selber treffen soll. Sie drechseln die skurrilsten Argumente, warum das bei ihren eigenen Bezügen absolut unmöglich sei. Ein Abgeordneter verkündete sogar, dass er und seine Kollegen ja auch viel mehr arbeiten würden als ausländische Parlamentarier. Ein anderer behauptete, der Steuerdruck sei in Italien höher als im Ausland. Der Mann sollte einmal nach Österreich eingeladen werden.

Die Argumente klingen alle so, wie wenn die Abgeordneten bei irgendwelchen Gewerkschaftsbossen in die Schule gegangen wären und dort einen Crash-Kurs in „Hundert Wege, Nein zu sagen“ absolviert hätten.

Dabei sind die Privilegien der italienischen Volksvertreter gigantisch. Sie verdienen mehr als die Angehörigen jedes anderen Parlaments. Mit rund 16.000 Euro monatlich bekommen sie ziemlich genau doppelt so viel wie die österreichischen Abgeordneten (VOR der hohen österreichischen Einkommensteuer). Von den armen Osteuropäern gar nicht zu reden.

Italiens politische Klasse hat Zehntausende Dienstwagen. Die Volksvertreter konnten bis vor kurzem zu Billigstpreisen in exquisiten Parlamentsrestaurants speisen (das wenigstens wurde inzwischen abgedreht). Die Abgeordneten haben auch ein üppiges Pensionssystem, das sie bisher schon mit 50 Jahren in Anspruch nehmen konnten (in Österreich hingegen ist schon vor etlichen Jahren das privilegierte Politikerpensions-Schema ausgelaufen).

Italien hat zwei nationale Parlamentskammern, die insgesamt 955 Abgeordnete haben – mehr als jedes andere irgendwie vergleichbare Parlament. Italien hat neben diesen zwei Kammern und den EU-Abgeordneten aber auch noch auf drei weiteren Stufen gewählte Volksvertreter: Regionen, Provinzen, Gemeinden. Das ist also noch eine Stufe mehr als in Österreich. Dabei meinen schon in Österreich viele mit guten Argumenten, dass das Land seit dem EU-Beitritt mindestens eine Verwaltungs- und Gesetzgebungs-Ebene zuviel hat.

Ein Abgeordneter namens Mario Pepe sagte sogar: „Wir sind Opfer einer Racheaktion. Man will uns für die Schuldenkrise bestrafen.“ In der Tat: Warum eigentlich nicht? Denn niemand anderer als die Gesetzgeber trägt ja die letzte Verantwortung dafür, dass ein Staat alljährlich mehr ausgibt, als er einnimmt. Ein Verhalten, bei dem immer klar war, dass es irgendwann zum Zusammenbruch führen muss.

Eine signifikante Kürzung von Abgeordnetenbezügen bei Defiziten wäre daher durchaus legitim und logisch. Sie entspricht dem praktizierten Prinzip Verantwortung. Die politische Verantwortung kann ja nicht darin bestehen, dass Abgeordnete für die regelmäßige Bestechung von Wählern durch ungedeckte Schecks noch belohnt werden.

Will Griechenland Krieg führen?

Was den Italienern die Politikerprivilegien, sind den Griechen die Armeeausgaben. An diesen sind nämlich die Sparbeschlüsse bisher fast spurlos vorbeigelaufen. So hat Athen zwar einige Neuanschaffungen von Waffen hinausgeschoben – die gewaltige Zahl von 130.000 aktiven Soldaten bleibt jedoch unverändert. Der Vergleich zu Österreich: Hier hat das Heer noch 35.000 Mann, es ist aber ein weiterer Abbau geplant, und die Wiener Regierung sucht schon heftig nach Möglichkeiten, pragmatisierte Soldaten in andere Dienststellen zu transferieren. Griechenland hat elf Millionen Einwohner, Österreich acht. Griechenland gibt unverändert fast drei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Streitkräfte aus – in Österreich sind das 0,7 Prozent.

Dieses Militärbudget kann vom Ausland nur noch als Provokation aufgefasst werden. Denn während in Griechenland viele Bezüge sehr wohl spürbar gekürzt werden, tut das Land so, als ob ein Krieg unmittelbar bevorstünde.

Die griechische Armee war wegen des Antagonismus gegenüber der Türkei traditionell immer stark aufgebläht. Die Luft- und Seegrenze in der Ägäis war ein regelmäßiger Zankapfel – obwohl beide Länder Nato-Mitglieder sind. Und natürlich spielt auch die Geschichte mit: Die Griechen konnten sich erst im 19. Jahrhundert nach Jahrhunderten der Unterdrückung aus dem Osmanischen Imperium befreien. Im Gegenzug wurden nach dem ersten Weltkrieg viele Griechen aus dem einst rein griechischen Kleinasien vertrieben. Die Türkei hat in den letzten Jahrzehnten auf ihre Rechte in der zur Gänze von griechischen Inseln umgebenen Ägäis gepocht. Und auch die türkischen Nadelstiche gegen das Oberhaupt der orthodoxen Welt in Istanbul waren immer wieder provokativ.

Seit etlichen Jahren aber gibt es eindeutig eine Entspannung in diesem Verhältnis. Die Türkei hat vor allem im Osten in den Kurdengebieten Sicherheitsprobleme, sie überquert deshalb auch fast regelmäßig die Grenze in den Irak, um dort Kurden-Stellungen auszuheben. Bei allem, was man der Regierung Erdogan auch Kritisches nachsagen mag: Interesse an Zündeleien entlang seiner Westgrenze zeigt die Türkei derzeit sicher keine.

Daher könnte Athen zweifellos ohne Gefährdung zurückschrauben. Und daher ist es ein Skandal, eine so hochgerüstete Armee zu unterhalten, wenn das Ausland gleichzeitig Hunderte Milliarden Euro für Griechenland zahlen muss, was auch dem ganzen Euroraum schwer schadet.

Auffällig ist freilich auch, wie wenig Druck Deutschland – und der Rest Europas – in Sachen griechisches Heeresbudget macht. Hängt das vielleicht gar damit zusammen, dass Griechenland einer der drei größten Abnehmer deutscher Waffenprodukte ist?

Die Griechen selbst konstruieren neben der Türkei eine andere Erklärung für die Notwendigkeit einer so intensiven Rüstung: Sie müssten die Grenze gegen die Flut illegaler Immigranten sichern. Griechenland ist in der Tat zum Einfallstor Nummer eins für Möchtegern-Asylwerber aus Asien und Afrika geworden. Und es weiß, dass es mit diesem Hinweis bei den Miteuropäern Sympathie auslöst. Die Größe des griechischen Heeres kann damit aber in Wahrheit natürlich nicht gerechtfertigt werden.

Das gewaltige Militärbudget ist vielmehr ein Beweis, dass den Griechen weiterhin die Bereitschaft zu einem grundsätzlichen Umdenken, zu einem radikalen Hinterfragen jedes einzelnen Ausgabepostens abgeht.

Die andere Erklärungsmöglichkeit für die ungeniert anhaltende Hochrüstung wollen wir ja hoffentlich gleich wieder vergessen: nämlich, dass Griechenland ernsthaft an einen Einsatz seiner Armee denkt. Es gibt freilich viele historische Beispiele bedrängter Politiker in schweren Krisen, die geglaubt haben, in der kriegerischen Flucht nach vorne einen Ausweg zu finden.

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Das Unjubiläum

05. Januar 2012 22:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

In der Tat, er hilft beim Sparen,
wie jetzt plötzlich nach zehn Jahren
uns der Euro offenbart,
denn statt lang herumzueiern
hat man Jubiläumsfeiern
schlicht und einfach eingespart!

Sparen heißt ja die Devise,
und ob gut, ob schlecht bei Krise,
ist im Grunde ganz egal,
wichtig bloß bei solch Beschlüssen
ist, dass andre sparen müssen –
und falls wir, erst später mal.

Nicht gespart wird allerorten
mit pathetisch frommen Worten,
und so war’s von Anfang an:
Friede, Freude, Eierkuchen
gäb’s dank Euro zu verbuchen –
irgendwann für jedermann.

Starter-Kits hat’s gar gegeben,
wie für Hobby-Bastler eben,
doch es haben unbemerkt
selbst nur Pfuscher – oder eher
hemmungslose Pharisäer
an dem Gaunerstück gewerkt.

Heute lässt ihr ernstes Mahnen
fast den Nachruf schon erahnen –
längst verblasst ist schöner Schein
schöner Münzen, schöner Scheine,
allerdings vom reinen Weine
schenkt uns trotzdem keiner ein!

Tja, die D-Mark hatte Neider
und zur E-Mark durfte leider
nie sie werden, wie man weiß –
fort sind Schilling auch und Gulden,
und zum Ausgleich gibt’s mehr Schulden,
denn der Spaß hat seinen Preis…

Pannonicus

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Ein historischer Paradigmenwechsel

03. Januar 2012 17:11 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die medialen Rückblicke auf das abgelaufene Jahr haben uns mit einer Fülle von interessanten wie überflüssigen Daten überhäuft. Das aber, was wahrscheinlich einst als weitaus Wichtigstes an den vergangenen Monaten in die Geschichtsbücher eingehen wird, ist nirgendwo herausgearbeitet worden. Es ist ein absolut historischer Paradigmenwechsel, der zwar nicht mit einem bestimmten Tag zu verknüpfen ist, der aber 2011 seinen Kulminationspunkt erreicht hat.

Er besteht in einer zentralen Erkenntnis, die sich wie ein Lauffeuer verbreitet hat: Der Wohlfahrtsstaat funktioniert nicht mehr. Er hat sich wie die Brot-und-Spiele-Politik der römischen Cäsaren als nicht nachhaltig aufrechterhaltbares Pyramidenspiel entpuppt, das im alten Rom ebenso wie im Nach-Weltkriegs-Europa nur noch zum befristeten Machterhalt einer ausgelaugten politischen Klasse gedient hat. Das aber irgendwann zusammenbrechen musste.

Denn parallel mit dem wirtschaftlichen Kollaps schwirren ja auch noch andere, aus der Geschichte ebenfalls gute bekannte Todesengel über Europa, die letztlich nur andere Ausformungen der Wohlfahrtsillusion sind. Der eine trägt die Botschaft: „Europa ist nicht mehr imstande, sich selbst zu verteidigen“. Es wechselt fast überall von der Wehrpflicht zu einem Söldnersystem.Dabei müssen aber heute schon etliche europäische Länder verzweifelt im Ausland nach potenziellen Soldaten suchen. Aber alle historischen Exempel beweisen: Völker, die nicht mehr die Kraft zur Selbstverteidigung haben, gehen unter; ausländische Söldner kassieren zwar gerne, sterben aber nur sehr ungern für fremde Menschen.

Eine zu Recht entsorgte Kultur

Der andere Todesengel, der am Grab des Wohlfahrtsstaates lauert, verkündet: „Europa stirbt durch einen Geburtenstreik aus.“ Diesen Streik kann man seit 40 Jahren an den viel zu geringen Geburtenzahlen ablesen. Eine Generation, die nur noch zum selbstsüchtigen Genuss ohne die Last der Kinderaufzucht imstande ist, geht ohne Nachfahren rasch zugrunde. Sie wird lieblos entsorgt werden. Die Geschichtsbücher werden dazu nur sagen: Zu Recht.

Natürlich gibt es noch Menschen, die noch eine Zeitlang an der Wohlfahrtsillusion festhalten wollen. Dies tun vor allem jene Politiker und insbesondere Gewerkschaftsfunktionäre, die dieser Illusion die eigene Machtstellung verdanken. Etliche von ihnen suchen noch immer nach Tricks, mit denen die Wohlfahrts-Mühle noch weiter angetrieben werden kann. Sie tun das in jedem europäischen Land mit unterschiedlichem, aber generell zwangsläufig abnehmendem Erfolg.

Der Kern der Illusion hat in dem Glauben an die Überlebensfähigkeit einer Gesellschaft bestanden, die immer mehr Menschen immer mehr Wohltaten ohne Gegenleistung zukommen lässt: immer längere und immer sinnlosere Gratisstudien und Scheinausbildungen; immer kürzeres Arbeiten; immer mehr Förderungen zur Bedeckung aller möglichen, oft künstlich geschaffenen Ansprüche und Bedürfnisse; immer bessere Gesundheitsversorgung; immer längere Rentenbezüge; immer mehr Möglichkeiten, auch schon vor dem Rentenalter auf Kosten anderer zu leben.

Wer aber sind diese anderen? In den ersten Nachkriegsjahren hatte der Antrieb der Wohlstandsmühle durch das hohe Wachstum des Wiederaufbaus funktioniert. Später war es hilfreich, dass als Spätfolge des Krieges und des Babybooms relativ wenige Pensionisten zu versorgen waren. Dann hat das System durch immer höhere Besteuerung funktioniert.

Doch auch diese ist längst an eine Grenze angekommen. Die allermeisten Steuererhöhungen bringen nur noch ein Minus in die öffentlichen Kassen. Jüngstes und besonders anschauliches Musterbeispiel ist die österreichische Kursgewinnsteuer, welche die Umsätze an der Wiener Börse dramatisch einbrechen hat lassen. Das hat Kapital und Kapitalsucher natürlich prompt ins Ausland vertrieben. Das hat natürlich dem gesamten österreichischen Steueraufkommen schwer und dauerhaft geschadet.

Der Gutmenschtrick

Dasselbe lässt sich auch bei fast jeder anderen Steuerform auch für fast jedes andere Land durchdeklinieren.

Das gilt besonders bei jeder Form einer Reichensteuer. Denn die Reichen sind ja meist an ihrem Geld interessiert (wer einem Buffet, einem Soros oder einem Haselsteiner glaubt, dass diese nicht an ihrem Geld interessiert wären, ist einem besonders simplen Schmäh, dem sogenannten Gutmenschtrick, ihrer PR-Berater zum Opfer gefallen). Die Reichen sind aber auch meist durchaus intelligent (sonst wären ja nur die wenigsten von ihnen reich geworden) und finden am schnellsten Wege, ihren Reichtum so zu verlagern – meist in andere Länder –, dass ihn die gierigen Steuereinheber nicht erwischen können.

Daher ließ sich in den letzten Jahren die auf historischem Rekordniveau befindliche Abgabenquote in kaum einem europäischen Land mehr erhöhen. Da blieb der Politik nur noch ein Ausweg: Die sich immer schneller drehende Wohlfahrtsmühle auf Schulden zu finanzieren. Das ging etliche Zeit gut. Es gab sogar einige sogenannte, schwer ideologisierte Wirtschaftsforscher, die ein Loblied auf die Schuldenwirtschaft sangen.

2011 aber sind die Geldverleiher endlich zur späten Erkenntnis gekommen, dass die sich immer verschuldenden Staaten wahrscheinlich ihre Kredite nicht zurückzahlen können. Und sie drehten folgerichtig den Geldhahn für die meisten europäischen Staaten zu. Sie taten dies vor allem ab jenem Zeitpunkt im globalen Gleichschritt, als die EU plötzlich dekretierte, dass eines ihrer Mitgliedsländer seine Anleihen privaten Anlegern nur noch zur Hälfte zurückzahlen müsse.

Die Goldmünzen aus Blech

Damit scheint die Wohlfahrtsillusion endgültig ausgedient zu haben. Oder doch nicht? Die Politik zauberte in diesem Augenblick genau jenen Trick hervor, den schon fast alle historischen Fürsten, Könige und Kaiser knapp vor dem Zusammenbruch praktiziert haben. Historisch wurde der Edelmetallgehalt der Münzen immer mehr ausgedünnt, also das Geld immer weniger wert. Das bedeutet in der Gegenwart den Beschluss, unbegrenzt Geld zu drucken. Was ebenfalls zwangsläufig zur Geldentwertung führt. Die amerikanische Notenbank beschloss dies einige Monate früher, die Europäische Zentralbank ganz am Ende des Jahres.

Die EZB tut dies dadurch, dass sich alle europäischen Banken bei ihr praktisch unbegrenzt und praktisch unentgeltlich ohne ausreichende Pfänder langfristig Geld ausleihen konnten.

Der technische Weg des Gelddruckens ist aber ohnedies fast gleichgültig. Was viel entscheidender ist: Die Notenbanker haben damit jedenfalls die Illusion ihrer Unabhängigkeit, ihrer Orientierung am Geldwert zerstört. Sie sind schwächliche Erfüllungsgehilfen verzweifelter und daher zum letzten entschlossener Politiker.

Das Gelddrucken der EZB – die bezeichnenderweise unter einem italienischen(!) Chef steht – hat natürlich zu Jahresende noch einmal eine belebende Wirkung gehabt. So wie es davor bei der amerikanischen Fed der Fall war. Ähnlich werden ja auch Rauschgiftsüchtige noch einmal glücklich, wenn mitten in die Qualen einer Entziehung doch noch eine Lieferung des Giftes platzt. Sogar Italien konnte in dieser mit Geld überschwemmten Banklandschaft in der letzten Jahreswoche seine abgereiften Anleihen wieder refinanzieren.

Das ändert natürlich nichts mehr an der weiteren Entwicklung. Denn die Menschen, die Wirtschaft und vor allem das Ausland werden sehr rasch merken, dass Euro wie Dollar eine beliebig vermehrbare Masse geworden sind. Ein solches Geld spart man nicht, sondern will es schnellstmöglich wieder loswerden. Von Spielzeugwährungen wie dem ungarischen Forint gar nicht zu reden. Das muss zwangsläufig zu einem weiteren Anstieg der Inflation führen. Dieser Anstieg wird sich nicht mehr in der bisherigen Dimension von dem einen oder anderen Zehntelprozent pro Monat bewegen.

Jeder konsumiert noch rasch und dann eilt der Tod herbei

Eine rapide steigende Inflation führt zwangsläufig zu einem Schwinden aller Ersparnisse, zu weiterer Kapitalflucht und damit zu einem nicht mehr abwendbaren Crash. Jeder konsumiert rasch noch einmal, niemand investiert mehr.

Seit 2011 sagen das nicht mehr nur ein paar neoliberale Skeptiker. Die Erkenntnis ist Allgemeingut der Bürger geworden. Womit wir wieder beim Beginn dieser Überlegungen sind: Die Bürger sind empört über das Zusammenbrechen der ihnen jahrzehntelang von praktisch allen Parteien gegebenen Wohlfahrtsversprechen und Sicherheitsgarantien. Sie sind aber auch zornig auf sich selbst, weil sie diese Lüge einer ewig gefüllten Wundertüte geglaubt haben.

Werden die Bürger nun Fünf nach Zwölf auch die schmerzhaften Konsequenzen eines Scheitern des Wohlfahrtsstaates hinnehmen? Oder werden sie sich in irgendwelche radikalen, aber perspektivenlosen Abenteuer stürzen? Werden sie noch einmal den Politikern mit ihren verlogenen Sündenbockkonstruktionen glauben, dass die Banken, die Reichen, die Spekulanten, die Juden, die Unternehmer und wer sonst immer schuld seien? Wird es auch in anderen Ländern mutige Politiker wie Mario Monti geben, die dort vielleicht sogar schon Fünf vor Zwölf den Wohlfahrtsstaat beerdigen und den Staat retten?

Die Hoffnung ist klein, aber sie stirbt zuletzt.

 

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Lasst die Gedanken frei – und scheinen sie euch auch böse

27. Dezember 2011 00:40 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Kein Zweifel: Die Türken haben an den Armeniern am Rande des Ersten Weltkriegs einen Völkermord begangen. Das ist nicht nur durch Franz Werfels großes Werk bewiesen. Ebensowenig Zweifel gibt es aber auch an einer zweiten Erkenntnis: Die von Frankreich jetzt eingeführte strenge Bestrafung der Leugnung dieses Genozids ist ein ziemlicher Schwachsinn.

Diese Diagnose hängt überhaupt nicht mit den wilden Reaktionen des türkischen Machthabers Erdogan zusammen. Diese Reaktionen wecken im Gegenteil eher Sympathien für Frankreich. Diese Diagnose hängt auch nicht damit zusammen, dass durch das französische Gesetz den türkischen Ambitionen, der EU beizutreten, das bisher wirksamste Stopplicht entgegengesetzt worden ist (obwohl es dabei gar nicht um den Beitritt geht). Eine türkische EU-Mitgliedschaft ist zwar abzulehnen, weil sie aus vielerlei Gründen den Untergang der Union bedeuten würde. Aber diese Ablehnung sollte man bitte mit ehrlichen Begründungen und nicht über die Völkermord-Bande kommunizieren.

Schon gewichtiger bei der Kritik am französischen Beschluss, die Leugnung eines Völkermords mit Strafe zu belegen, ist dessen Hauptmotiv: Es geht nämlich im Wahrheit nur um die Stimmen der relativ großen armenischen Gemeinde bei der nächsten Präsidentenwahl. Türkische Zuwanderer hingegen spielen in Frankreich eine zahlenmäßig sehr geringe Rolle (wirklich gewichtig sind dort unter den Zuwanderern die Araber). Aber jedenfalls ist es von Übel, wenn solche wahltaktischen Motivationen einen Beschluss über ein neues Strafgesetz beeinflussen, das noch dazu Grundrechte beschneidet.

Aber am allermeisten stört, dass sich – ausgerechnet – Frankreich mit diesem Gesetz weit von der Aufklärung und ihren liberalen Grundsätzen verabschiedet. Von Voltaire und von vielen anderen vor allem französischen (und englischen) Geistern wurde einst das entscheidende Fundament gelegt, auf dem sich Vernunft und Wahrheit gegen die Regeln der Macht durchsetzen konnten. Diese Durchsetzung kann immer nur durch Überzeugung und Beweise geschehen und nie durch Zwang oder Anordnung, die ja in den Jahrtausenden davor immer der Wahrheit den Weg versperrt haben.

Es ist daher für ganz Europa bedrückend, wenn sich ausgerechnet im Mutterland der Aufklärung nun die Antiaufklärung so dramatisch durchsetzt.

Zurück zum Faktum Völkermord. Auch wenn niemand genau definieren kann, was Völkermord eigentlich ist, ab welcher Zahl Getöteter dieser Ausdruck legitim ist, so hat es doch zweifellos viele solcher Genozide gegeben. Nicht nur an den europäischen Juden durch Hitler-Deutschland. Nicht nur an den Armeniern durch die Türken (die im ersten Weltkrieg übrigens mit Österreich verbündet waren, das angesichts der auf dem Weg über Österreich bekanntgewordenen Massaker sehr verzweifelt, aber letztlich zum Ignorieren verurteilt war).

Ist aber nicht auch die weitgehende Auslöschung der indigenen Einwohner Amerikas durch die einwandernden Weißen ein solcher Völkermord gewesen? Waren das nicht auch die millionenfachen Morde der Sowjetunion an Ukrainern, Tataren und anderen Völkern? War das nicht auch das Gemetzel der Roten Khmer unter den Kambodschanern? Was haben eigentlich im Dreißigjährigen Krieg die Schweden in Mitteleuropa getan? Was taten die Normannen im Mittelalter? Die arabischen Sklavenjäger in Südeuropa? Die europäischen in Westafrika?

Die Geschichtsbücher sind voll solcher Greueltaten. Manche schriftlosen Völker wurden sogar ausgelöscht, ohne wenigstens eine Erinnerung hinterlassen zu können.

Ein aufgeklärter liberaler Rechtsstaat muss sich diesen Taten stellen, wo auch immer er damit konfrontiert wird. Durch Bestrafung von Tätern, wo solche noch am Leben sind. Durch offene wissenschaftliche Aufarbeitung. Durch scharfe verbale und intellektuelle Auseinandersetzung mit jenen Menschen, die jene Fakten leugnen oder beschönigen oder gar rechtfertigen.

Wer hingegen diese Auseinandersetzung durch Denkgebote und -Verbote ersetzen will, der trägt nur zur Entstehung  von Mythen bei, der macht aus Tätern Märtyrer. Wer glaubt, sich einem Dummkopf oder Fanatiker nur mit Hilfe des Strafrichters stellen zu können, ist feig und faul. Was Dummkopf und Fanatiker natürlich sofort in eine moralisch überlegene Position bringt, wo sie sicher nicht hingehören.

Wenn nun das Leugnen von Völkermord unter Strafe gesetzt wird, welche vermeintlichen oder wirklichen Wahrheiten werden als nächster Schritt unter strafrechtlichen Schutz gestellt? Etwa die Zweifel an der Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit ständig steigender Staatsschulden? Etwa die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der derzeit politisch beschlossenen Klimatheorien? Etwa Kritik an der Gesamtschule? Etwa Kritik an der Massenzuwanderung?

Frankreich ist jedenfalls kein Einzelfall. Europaweit reduziert der Durchgriff der Politik, reduzieren Wahlkampfinteressen genauso wie die dumpfe Political Correctness immer mehr die Meinungsfreiheit, deren Kern Voltaire am besten ausgedrückt hat: „Ich lehne zutiefst ab, was sie sagen. Aber ich werde immer alles tun, damit sie es sagen können.“

Was besonders bedrückt: In Zeiten wirtschaftlicher Nöte und Engen geht es der Meinungsfreiheit meist noch verstärkt an den Kragen. Daher sollte man fast ignorieren, was uns die Wirtschaftsforscher fürs kommende Jahr alles an Grauslichkeiten prognostizieren . . .

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Fußnote 248: ein Streikgraben geht durch Europa

22. Dezember 2011 01:10 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Auch in Belgien wird gestreikt. Daran kann man ablesen, dass auch in dem seit Jahrzehnten im Spitzenfeld der Schuldnerrangliste liegenden Land erstmals gespart wird.

Das ist jedenfalls positiv, aber derzeit nichts wirklich Außergewöhnliches. Kein Mensch wird besonders Mitgefühl mit den Protesten gegen die Erhöhung des sogenannten belgischen „Vorruhestands“ von 60 auf 62 Lebensjahre haben. Weiß doch jeder zum Rechnen fähige Europäer, dass das sicher nicht die letzte Etappe in diese Richtung sein kann. Viel interessanter ist aber die unterschiedliche Befolgung des Streiks: Im französischsprachigen Wallonien waren kaum fünf Prozent der Züge unterwegs, im flämisch sprechenden Teil des Landes fuhren hingegen alle. Deutlicher kann man den tiefen kulturellen Graben gar nicht zeigen, der quer durchs Land, aber auch den Kontinent geht. Deutlicher kann man gar nicht anschaulich machen, warum der romanische Süden wirtschaftlich immer weiter zurückfällt, während die nördlichen Völker immer stärker davonziehen. Vereinfacht auf den Punkt gebracht: Im Süden glaubt man seine Lage durch Streiks verbessern zu können, im Norden durch Arbeit. Das spielt sich in Europa in gleicher Weise ab wie in Belgien: Das rohstoffreiche Wallonien war einst der reiche Teil des mehrsprachigen Landes, in den letzten Jahrzehnten ist es gegenüber den früher stark bäuerlich geprägten (aber auch seit langem sehr handelsorientierten) Flamen immer stärker zurückgefallen. Das haben nur die meisten Ausländer lange nicht so mitgekriegt, weil sie meist nur französisch, aber fast nie flämisch verstehen. Sie bekommen das Problem erst mit, seit die Flamen immer stärker nach der Teilung des Landes rufen. Was nicht ganz unverständlich ist, wie das Beispiel zeigt.

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Die Faschingsunion

20. Dezember 2011 00:25 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Was ist die geplante europäische Fiskalunion, was sind die nationalen Schuldenbremsen wirklich wert? Diese zentralen Fragen dieses Winters sind hinter den vordergründigen Aufregungen um die britische EU-Abstinenz beziehungsweise um das österreichische Ringen Koalition-Opposition bisher völlig untergegangen. Die Antworten, die man dazu derzeit geben kann, sind freilich mehr als ernüchternd.

Denn in Wahrheit geht es bei diesen Aktionen weiterhin primär darum, eine leider anhaltend hässliche Braut mit viel (bürokratischem) Brimborium auf schön zu schminken. Die Freier, die man damit gewinnen will, sind die internationalen Geldverleiher. Diese wollen ja derzeit von der europäischen Braut angesichts allzu vieler bekannter Fälle offensichtlicher Untreue und Betrügereien nichts mehr wissen. Von diesen Selbstbeschädigungen soll nun das Brimborium der geplanten Fiskalunion ablenken.

Worin besteht diese aber genau?

Erstens in Selbstverpflichtungen der Staaten, die Maastricht-Kriterien einzuhalten. Diese setzen zwei Obergrenzen fest: maximal 3 Prozent jährliches Defizit und maximal 60 Prozent Staatsverschuldung insgesamt, jeweils gemessen am Jahres BIP, also an der Summe des von einer Nationalökonomie in einem Jahr Erwirtschafteten. Doch halt! Hat man nicht genau die Beachtung dieser zwei Limits schon einmal versprochen, nämlich im Februar 1992 in Maastricht? Dieses Datum liegt pikanterweise fast auf den Tag genau 20 Jahre vor der nunmehr geplanten Brimborium-Selbstverpflichtung. Diese wird daher wohl von den meisten Geldgebern wohl nur unter einer Devise gelesen werden: Wer einmal lügt, dem glauben die bösen Märkte leider nicht mehr.

Zweitens wird es ein Defizit-Verfahren der Kommission geben. Diese kann den EU-Mitgliedsstaaten finanzielle Sanktionen gegen einen Staat vorschlagen, der die genannten Kriterien verletzt. Doch halt! So ein Defizitverfahren der Kommission hat es ja auch schon bisher gegeben. Auf dem Papier. Denn in der Vergangenheit wie in der Zukunft sind Geldstrafen gegen einen exzessiven Schuldner absolut schwachsinnig. Einem Land, das hinten und vorne zuwenig Geld hat, als Strafe noch einmal Geld abzuknöpfen: Die Perversion einer solchen Armensteuer muss man sich erst einfallen lassen. Mit so einer Strafe löst man ja kein Problem, sondern verschärft es logischerweise nur! Deswegen hat man ja auch schon in der Vergangenheit nie die schon bisher theoretisch möglichen Strafen verhängt, obwohl der Maastricht-Vertrag rund 60 Mal gebrochen worden ist.

An dieser Nicht-Verhängung von Strafen wird auch der als großer Erfolg bejubelte Umstand nichts ändern, dass es künftig für eine Ablehnung eines solchen Kommissions-Vorschlags einer Zweidrittel-Mehrheit bedarf. In Wahrheit gilt: Weder wird die Kommission solche Strafen vorschlagen, noch wird auch nur ein Land für die Bestrafung eines anderen stimmen. Die Strafen bewirken nichts, und sie stellen das verschuldete Land noch schlechter. Außerdem gilt: Man könnte ja selbst einmal in die gleiche Lage kommen, und man hat ja überall befreundete Schwesterparteien.

Drittens soll – nach dem derzeitigen Vorschlag – jedes Land den Europäischen Gerichtshof anrufen können, wenn ein Land die Schuldenbremse nicht einhält. Doch halt! Auch dieser EuGH hat keine Möglichkeiten, Sparsamkeit durchzusetzen. Er kann insbesondere nicht teure Wohlfahrts-Gesetze der einzelnen Staaten aufzuheben, die das Defizit verursachen.

Viertens ist die Rede von einer alljährlichen Vorlage der nationalen Budgetentwürfe an die EU-Kommission. Doch halt! Das heißt an sich noch gar nichts. Denn die Kommission hat ja kein Vetorecht gegen die Budgets, oder gegen finanziell wirksame Beschlüsse der nationalen Parlamente.

Fünftens soll es regelmäßige Euro-Gipfel geben (gähn); weiters ist im Entwurf die Rede von einer verstärkten Zusammenarbeit einiger Staaten (gähn) sowie natürlich auch von diversen Arbeitsgruppen (gähn). Und was es an derlei diplomatischen Redeübungen sonst noch gibt. Das soll die internationalen Geldgeber jetzt beeindrucken? Da glaubt jemand ernsthaft, dass sich diese nun in langen Schlangen anstellen werden, um den Euro-Ländern künftig wieder Kredite geben zu dürfen?

Sechstens und vor allem anderen sollte klar sein: Die ganze Konstruktion nimmt sich ja selbst nicht ernst. Denn wären die verfassungsmäßigen Schuldenbremsen wirksam, dann würde es ja eigentlich gar kein europäisches Sanktionen-Regime brauchen. Durch dessen Einrichtung zeigt man ja gerade: Trotz verfassungsrechtlicher Schuldenbremsen vertraut niemand darauf, dass die Mitgliedsstaaten die Regeln künftig besser einhalten. Gleichzeitig ist aber das Sanktionen-Regime so zahnlos, dass das Ganze bestenfalls zur Postenbeschaffung für einige EU-Beamte dient, die den Märkten Sand in die Augen streuen sollen.

Trotzdem ist man als Euro-Staat gut beraten, bei dem ganzen Brimborium mitzutun. Denn wer das nicht tut, gerät natürlich auf den Finanzmärkten erst recht ins schiefe Licht. Außerdem: Nutzt das Ganze auch nichts, so schadet es ja ebenso wenig.

Welche Regel könnte aber eine solche Fiskalunion glaubwürdig gemacht? Nur eine einzige: Nur das Recht der Kommission, wirklich in die nationale Gesetzgebung eingreifen zu können. Das aber will keine Partei, kein Parlament der EU zugestehen. Da würden sie sich ja selbst redundant machen. Das tut sie nur bei unwichtigen Themen, nicht aber in der heißesten Frage Europas, dem Recht der Parlamente, populistisch immer mehr Geld auszugeben.

In einer funktionierenden Fiskalunion hätte (irgend)eine europäische Institution das Recht, das zu tun, was einzelne Staaten in den letzten zwei Jahren zum Teil schon getan haben: So hat etwa Rumänien die Beamtengehälter um nicht weniger als 25 Prozent gesenkt. Es hofft, dadurch mehr finanzielle Luft und bessere Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.

Es tat dies aber nicht wegen irgendeiner Schuldenbremse oder wegen einer europäischen Fiskalunion, sondern wegen der nach wie vor obersten Instanz in allen Geldsachen: also wegen des internationalen Finanzmarktes, also der Summe jener Menschen, Institutionen und Staaten, die – das von Italien&Co so dringend benötigte – Geld haben und es verleihen oder auch nicht. Es war ja auch nicht die EU, sondern diese vielgescholtenen Märkte, die Italien und Griechenland zu ihren Sparpaketen gezwungen haben.

In den meistverschuldeten Ländern wäre es natürlich gut gewesen, wenn schon Jahre vorher eine Instanz als Hüterin der ökonomischen Grundrechnungsarten die Länder zu einem sparsameren Verhalten gezwungen hätte. Damals hätten die Einschnitte lange nicht so tief angesetzt werden müssen wie jetzt.

Solange aber kein Land freiwillig einer außenstehenden Institution solche Rechte einräumt, bevor ihm nicht selbst das Wasser weit über beide Nasenlöcher gestiegen ist, sollte man die Fiskalunion aber zumindest nicht ausgerechnet in der Faschingszeit verkünden. Denn sie wird sich als bloßer Faschingsscherz entpuppen.

Solange es keine solche echte Fiskalunion gibt, ist es aber auch weiterhin ein schwerer Fehler, die Steuerzahler (und die nächsten Generationen) anderer Länder zu zwingen, die Schuldnerländer immer weiter zu finanzieren. Denn dann wird es mit der Disziplin in den Schuldnerländern bald wieder vorbei sein. Und am Schluss sind eben alle pleite. Oder aber es kommt zur viel wahrscheinlicheren "Lösung": Das Geld ist nichts mehr wert, und damit sind es auch die Schulden nicht mehr. 

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Was unsere Politiker nicht wahrhaben wollen: Die Währungsunion ist das eigentliche Problem

19. Dezember 2011 23:42 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

Die bisherigen Maßnahmen zur Euro-Rettung haben nichts gebracht. Auch die jetzt vorgeschlagenen Schuldenbremsen helfen nicht. Sie sind gut gemeint, doch sie vertiefen nur die Rezession. Das eigentliche Problem sind nicht die Staatsschulden, sondern das ist der Euro selbst.

Wer sich darüber näher informieren will, der sollte sich den Beitrag „Euro-Krise: Die Währungsunion ist selbst das Problem“ herunterladen (http://www.mpg.de/print/4397700). Der Autor, Prof. Dr. Fritz W. Scharpf, ist emeritierter Direktor am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung.

Scharpf hat sich gerade in den vergangenen Monaten in verschiedenen Beiträgen in renommierten Fachzeitschriften kritisch mit der Europäischen Währungsunion auseinandergesetzt. Seine Ausführungen räumen mit vielen unqualifizierten Aussagen von Politikern auf, welche leider  durch unkritische Journalisten und Massenmedien weite Verbreitung finden und die in der Bevölkerung oft anzutreffenden gesunden Anschauungen zunehmend verdrängen. Wir bringen hier in eigener Zusammenfassung seine auch für uns Österreicher wichtigen Thesen:

  1. Nicht die Staatsschulden und die Finanzkrise von 2008 sind die erste Ursache der Euro-Misere, sondern diese ist zurückzuführen auf „Fehlentwicklungen vor der Krise, für die nicht die Finanzpolitik der GIPS-Regierungen (Griechenland, Irland, Portugal und Spanien), sondern in erster Linie die Europäische Währungsunion selbst und die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank verantwortlich“ waren.
  2. „Die einheitliche Geldpolitik in der nicht einheitlichen Eurozone, die den Anstieg der makroökonomischen Ungleichgewichte verursacht hat, steht … auch der Krisenbewältigung innerhalb der Währungsunion im Wege.“
  3. Mit der Verminderung der Staatsschulden, mit Zinsstützungen und Erleichterungen von Kreditaufnahmen durch die Schuldenländer ist es nicht getan. Deren Abhängigkeit von Transfers und Auslandskrediten bleibt bestehen, wenn nicht „der dramatische Rückgang der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der GIPS-Länder seit Beginn der Währungsunion“ korrigiert wird.
  4. „Für eine solche Korrektur aber gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder die nominale Abwertung oder die reale Abwertung“.
  5. Unsinnigerweise wird „die nominale Abwertung, die bei den hoch verschuldeten Staaten auch einen drastischen Schuldenschnitt voraussetzt, in der bisherigen politischen Diskussion kategorisch ausgeschlossen – weil sie den zumindest vorübergehenden Austritt des betroffenen Landes aus der Währungsunion erforderte, und weil ein solcher rhetorisch mit dem Scheitern der europäischen Integration gleichgesetzt wird.“
  6. Eine reale Abwertung könnte in der Zwangsjacke der Währungsunion nur durch „rasche Senkung der Lohnstückkosten“ erfolgen. Dazu notwendig „wären … staatlich erzwungene Lohnsenkungen.“ Um „ein Lohndiktat wirksam durchzusetzen“, fehlen dem Staat jedoch die verfassungsrechtlichen und faktischen Mittel. „Daran könnte auch eine europäische „Wirtschaftsregierung“ (Anm.: und ebensowenig eine jetzt laut Frau Merkels Regierungserklärung vom 14. Dezember angeblich auf den Weg gebrachte „Fiskalunion“) „nichts ändern“.
  7. Der Versuch, den Euro in seiner gegenwärtigen Form durch Kredite, Eurobonds oder direkte Finanztransfers an die Defizitländer zu retten, kann die grundlegenden Strukturprobleme der Währungsunion nicht beheben. Den aus Wettbewerbsgründen nicht Euro-fähigen EU-Mitgliedern wäre „die Rückkehr zu dem flexibleren Europäischen Währungssystem  (Anm.: das heißt zur eigenen Währung, siehe Punkt 5) zu ermöglichen. Andernfalls könnte die Eurokrise tatsächlich zum Sprengsatz für die Europäische Union werden“.

Soweit die Thesen von Scharpf. Der Austritt der innerhalb der Eurozone nicht wettbewerbsfähigen Länder würde die Eurozone „auf den Kern der eng miteinander verflochtenen und dauerhaft stabilitätsfähigen Mitglieder verkleinern“. Das wirft allerdings die Frage auf, welche Länder denn zu diesem „Kern“ gehören würden. Hinter Frankreich, Belgien und Italien wäre ein großes Fragezeichen zu setzen. Deshalb erscheint für alle Staaten die Rückkehr zur eigenen Währung mit eigener Notenbank als einzig vernünftige und politisch vertretbare Lösung übrig zu bleiben, denn nur so kann der „Sprengsatz für die Europäische Union“ entschärft werden und ein echtes Europa der Vaterländer und der politischen Vernunft entstehen.

Der Autor lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Sein jüngstes Buch „Der Sinn der Geschichte“, erschien 2011 im Regin-Verlag, Kiel. Das Kapitel, „Kein Gott in der EU“, behandelt ausführlich die Probleme der Europäischen Union. Die Vernachlässigung des nationalen Interesses wird vom Autor thematisiert in: „Die Rechte der Nation“ (L. Stocker-Verlag, Graz 2002, Slowakisch 2008).

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Wo ist der österreichische Monti?

17. Dezember 2011 01:00 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Das ist die gute Nachricht zur Vorweihnachszeit: Das italienische Sparpaket des neuen Ministerpräsidenten Mario Monti hat mit schmerzhaften, aber nicht entscheidenden Abstrichen seine wichtigste parlamentarische Hürde genommen. Damit ist die größte Umwandlung des Nachkriegsitaliens fix. Was heißt das aber für Europa und für Österreich?

Die massive Mehrheit in der römischen Abgeordnetenkammer zeigt, dass das Wissen um den Ernst der Lage letztlich doch in den Köpfen der südlichen Nachbarn angekommen ist. Sogar ein Gutteil der Linken hat dem zugestimmt, was einem Berlusconi sogar bei weit weniger einschneidenden Maßnahmen verweigert worden war. Die Lega Nord hingegen hat sich zur populistischen Neinsager-Partei degradiert, die keine Perspektive für die Zukunft des Landes bietet (auch wenn der Wunsch nach einer Abtrennung des mitteleuropäischen Nordens vom mediterranen Süden durchaus nachvollziehbar ist).

Dass auch die Gewerkschaften wie wild gegen Monti kämpfen, ist zum Teil als landesübliche Folklore und Überlebenskampf eines überholten Vereins einzustufen. Dieser Kampf setzt zum anderen Teil aber doch noch ein heftiges Fragezeichen hinter die europäische Sanierungspolitik.

Denn chinesische wie andere Investoren – die der alte Kontinent so dringend bräuchte – haben immer wieder klargemacht, dass sie ihr Geld nicht zuletzt deswegen von Europa fernhalten, weil sie an der Ernsthaftigkeit der europäischen Spargesinnung zweifeln. Und da sind die Fernsehbilder von Streiks und Besetzungsaktionen halt nicht sehr überzeugend. Es ist einem Nichteuropäer gar nicht so leicht klarzumachen, dass dahinter keine Bevölkerungsmehrheit steht. Dies ist vor allem dann schwierig, wenn die linken Medien Occupy-Aktionen weit über die in Wahrheit sehr bescheidenen Teilnehmerzahlen hinaus bejubeln.

Die Liste der Monti-Maßnahmen ist aber jedenfalls bunt wie eindrucksvoll und weitgehend nachahmenswert:

Vorerst gescheitert ist Monti hingegen mit einer Freigabe der Taxilizenzen und mit einer Kürzung der luxuriösen Parlamentariergehälter, die mit über 11.000 Euro netto(!) pro Monat weit über allen anderen Ländern liegen. Allerdings haben die Abgeordneten versprochen, das nun „autonom“ anzugehen.

Dennoch bleibt das Paket eindrucksvoll. Und man kann für Italien hoffen, dass das Land mit Monti nun vielleicht doch bald wieder über den Berg kommen könnte.

Manche der nun beschlossenen Maßnahmen (auch in der zweiten Kammer werden sie wohl noch vor Weihnachten durchgehen) schaffen Privilegien ab, die in österreichischen Ohren wirklich provozierend klingen. In seinen Kernbereichen, vor allem beim Pensionsantritt, sind das aber durchwegs Beschlüsse, die auch anderswo dringend notwendig wären. Etwa auch in Österreich. Freilich ist versicherungsmathematisch und demographisch ein Pensionsantritt mit 66 Jahren in Wahrheit immer noch zu früh. Denn Erich Streißlers einst von allen aufrechten Linken wütend bekämpften Berechnungen, dass der Pensionsantritt angesichts der steil gestiegenen Lebenserwartung erst über 70 erfolgen dürfte, sind nach wie vor richtig.Und sind angesichts des hartnäckigen Geburtendefizits noch viel richtiger.

Nur: Wo ist der österreichische Monti? Selbst außerhalb der Regierung findet man keinen überzeugenden Kandidaten.

Gleichzeitig zu den Monti-Beschlüssen ist der Zustand der österreichischen Pensionsversicherung bekanntgegeben worden. Die Kosten des Pensionssystems wachsen im kommenden Jahr um weitere 6,2 Prozent. Aus dem Bundesbudget müssen sogar um 14,2 Prozent mehr in das System geholt werden. Damit fließen über die Beitragszahlungen hinaus schon 4,6 Milliarden Euro aus dem allgemeinen,schwer verschuldeten Bundesbudget ins Pensionssystem. Und das alles in Zeiten einer neuen Rezession. Und das alles noch BEVOR die Babyboomergeneration ohne Zurücklassung einer nennenswerten Kinderzahl massenweise in Pension geht. Was sie aber im kommenden Jahrzehnt tun wird.

Was noch schlimmer ist: Nirgendwo ist ob dieser Zahlen die notwendige erregte und besorgte Diskussion ausgebrochen. Es sind ja nur Ziffern. Und handeln müssen nur die Italiener

 

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Wie hoch ist die Arbeitslosenquote in der EU?

16. Dezember 2011 11:59 | Autor: Andreas Unterberger

Arbeitslosenquote der EU-Staaten Ende November 2011 in Prozent

 

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SN-Kontroverse: Klima-Hysterie

16. Dezember 2011 00:45 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Unter dem Titel “Kontroverse” gibt es in jeder Freitag-Ausgabe der Salzburger Nachrichten eine Doppelkolumne, in der Katharina Krawagna-Pfeifer und ich jeweils zum gleichen, von der SN-Redaktion vorgegebenen Thema schreiben. Und zwar ohne dass man gegenseitig die Texte vorher kennt.

Diese Woche steht die “Kontroverse” unter dem Titel:

 

Klimapolitik - Nichts als Hysterie?

 

In der Folge finden Sie die beiden – unverändert wiedergegebenen – Kolumnen. Dadurch soll dieser kreativen und spannenden Idee auch hier ein Forum gegeben werden.

Überlebenswichtig vernünftig

Katharina Krawagna-Pfeifer war Innenpolitikerin der SN, Innenpolitikchefin sowie Leiterin des EU-Büros des “Standard” und SPÖ-Kommunikationschefin. Sie arbeitet jetzt als Publizistin und Kommunikationsstrategin (kkp.co.at).

 

So um die Wende zum 19. zum 20. Jahrhundert wurden Frauen als „hysterisch" bezeichnet, wenn sie nicht den Ansprüchen der vorherrschenden patriarchalisch-brachialen Ideenwelt gerecht wurden. Dann kam, so um die Zeit, als das Auto erfunden wurde und die ersten Frauen an Universitäten in Europa studieren durften, ein gewisser Dr. Sigmund Freud und ließ sich als Arzt in der Bergstraße in der damaligen Reichshauptstadt Wien nieder und erfand die Psychoanalyse. Er räumte gründlich mit dem Begriff der Hysterie auf.

Freuds Thesen waren heftig umstritten, setzten sich aber durch. Der Göttin sei Dank! Ähnlich verhält es sich mit dem Umwelt- und Klimaschutz. Noch in den 1970er- und 1980er-Jahren kämpften „rebellische" Jugendliche für Umweltschutz, gegen Atomkraftwerke, für den Erhalt des Wiener Naherholungsgebiets, die Hainburger Au. Unter Bundeskanzler Franz Vranitzky wurde dann ein bundesweites Wasser- und Seenerhaltungsprogramm umgesetzt. Heute kann wieder in der Donau und deren Nebenflüssen zumindest in Österreich unbedenklich gebadet werden. Die Seen haben Trinkwasserqualität.

Die Maßnahmen durchzuziehen ging nicht ohne Widerstände ab, weil sie mit hohen Kosten verbunden waren. Nur wenige würden heute aber sagen, sie hätten sich nicht gelohnt. Global hat sich auch einiges getan. Forscher können genau den CO2-Ausstoß pro Industrienation berechnen, wissen um die schädlichen Auswirkungen der Treibhausgase und der Klimawandel ist keine „hysterische" Einbildung, sondern nachweisbar.

Und, was das Wichtigste ist: Die Menschheit im globalen Dorf kann etwas dagegen tun. Klar, es kostet, die Meere vom tödlichen Plastikmüll frei zu halten und für reine Luft zu sorgen. Globale Klimapolitik ist aber alles andere als Hysterie, sondern überlebenswichtig vernünftig.

 


Sehr teuer, aber nutzlos

Andreas Unterberger

 

Die Österreicher zahlen für die Klimapolitik Milliarden. Für Kyoto-Strafen, für Klimaforschung, für hässliche Windmühlen quer übers Land, für (immer öfter chinesische) Solarpaneele, usw. Während der dadurch mitverursachte Crash der Staatsfinanzen eine sehr reale Gefahr ist, bezweifeln Zehntausende Naturwissenschafter, dass CO2 und andere Gase eine globale Erwärmung auslösen (für Interessierte: www.nipccreport.org). Dem stehen Computermodelle der offiziellen UNO-Doktrin vom Klimatod gegenüber, die nach den 0,8 Grad Erwärmung der letzten 150 Jahre für die nächsten Jahrzehnte mit 2 bis 6 Grad plus drohen. Diese offizielle Doktrin ist auch dadurch suspekt geworden, weil ihre Exponenten mit Erpressungen die Veröffentlichung kritischer Studien bekämpfen und Daten unterdrücken.

 

Eine Reihe von Tatsachen macht auch Nichtnaturwissenschafter nachdenklich: Die Erde hat schon viel wärmere (und kältere) Zeiten erlebt, ganz ohne menschliche Aktivitäten. Grönland etwa wurde als agrarisch nutzbares „Grün"(!)-Land entdeckt. CO2 fördert jedenfalls massiv das Wachstum der Pflanzen, die wir zur Ernährung der wachsenden Menschheit dringend brauchen. Im kalten Norden liegen die größten Landmassen des Globus; diese würden bei einer wodurch auch immer ausgelösten Erwärmung nutzbar. Wärmeperioden waren in der Geschichte der Menschheit immer die friedlichsten und prosperierenden. Aber selbst wer trotz dieser und vieler anderer Indizien an das Klimagespenst glaubt, darf dennoch am Sinn des sogenannten Kyoto-Protokolls zweifeln, das Österreichs Steuerzahler so belastet: Denn die Länder, die sich zu diesem Protokoll bekennen, also vor allem die EU, stoßen nur 15 Prozent der globalen Treibhausgase aus. Jedes in Europa eingesparte Fass Öl macht aber nur das Öl für China & Co. billiger. Die wirtschaftliche Selbstbeschädigung der EU ist also klimatisch jedenfalls irrelevant.

 

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Die Schuldenbremse

15. Dezember 2011 05:42 | Autor: Walter Schönthaler
Rubrik: Gastkommentar

Ein satirisches Märchen mit Happy End.
Es geschah vor vielen Jahren auf dem wunderschönen Kontinent Indebitamento:

Der Investor Pecuniarius borgte dem Herrscher Governatos eine Scheibtruhe voller Münzen. Governatos wollte ein gerechter Herrscher sein und verteilte das geborgte Geld in Form von Subventionen und Gratifikationen an sein Volk.

Die Angewohnheit der Herrschenden, mehr Geld auszugeben, als sie durch die Steuern der Untertanen eingenommen hatten, nannte man Deficit Spesa. Als der berühmte Ökonom Keynesianus die  ideologische Basis dafür lieferte, verbreitete sich die Methode rasch auf dem Kontinent. Bald gab es Dutzende Staaten und Regierungen, die eifrig Deficit Spesa betrieben.

Dieser Vorgang wiederholte sich mehrere Jahrzehnte, bis die Bewertungsagentur Norma & Povero die Finanzgebarung der Schuldner überprüfte und zum Schluss kam, dass viele Regierungen niemals in der Lage sein würden, die kumulierten Schulden aus den Steuereinnahmen ihrer Untertanen zurückzuzahlen.

Der Schuldenberg wurde von Tag zu Tag drückender – eine Schuldenbremse musste her.

Aber die Gläubiger wollten nicht bremsen – die Regierungen sollten es tun. Diese bekannten sich öffentlich zur Schuldenbremse und wollten sie per Verfassungsgesetz beschließen, um sie zukünftigen Regierenden als wirtschaftspolitisches Vermächtnis zu hinterlassen.

So geschah es, dass der Staat weiterhin Kredite bekam, aber die Unternehmen in der Kreditklemme gefangen waren.

Die Investitionen der Unternehmen fielen nahezu auf null, das Bruttonationalprodukt stagnierte, die Inflation betrug sieben Prozent und immer weniger Untertanen wollten sparen, nicht einmal die kleinen Sparer, die die Finanzwirtschaft jahrzehntelang brav mit negativer Realverzinsung gesponsert hatten.

Da hatte der Unternehmer Entrepreneros eine Idee: Er machte Pecuniarius und den Investoren den Vorschlag, direkt in die Unternehmen zu investieren – statt den ineffizienten Umweg über die Staatsanleihen zu nehmen.

„Das kann ich leider nicht! Die Kreditgewährung an Unternehmen und Private ist sehr erschwert worden, man könnte sagen, Unternehmenskredite sind verbaselt worden“, antwortete Pecuniarius.

„Geschäftsbanken, die Kredite an Unternehmen vergeben, müssen große Nachteile in Kauf nehmen. Denn für einen Unternehmenskredit brauche ich viel mehr Eigenkapital als für Staatsanleihen, Fremdwährungsfinanzierungen, CDS (Credit default swaps) oder andere Blasenpumpen“, seufzte Pecuniarius traurig.

Der Kontinent Indebitamento war offensichtlich dem Untergang geweiht.

Da geschah das, was man später als „das Wunder der Inversion“ bezeichnete:

Durch den Irrtum eines Spitzenbeamten der Zentralbank in einer Provinz waren die Vorschriften für Staatsanleihen mit jenen für Unternehmenskredite verwechselt worden.

Ein glücklicher Zufall, der die Fehlleitung der Finanzströme während der letzten beiden Jahrzehnte schlagartig beseitigte.

Denn als die strengen, restriktiven Vorschriften von Basilea II auf alle Finanzgeschäfte ohne realwirtschaftliche Basis angewendet wurden, reduzierten sich diese auf ein Minimum und auch die Spekulation verschwand schlagartig.

Hingegen führte die Freigabe der Realkredite zu einer Renaissance der Investitionen in die Realwirtschaft. Denn die Unternehmer und Banken nutzten die Chance, um in neue Technologien und Produkte zu investieren, sodass das Bruttonationalprodukt kontinuierlich stieg und neue Arbeitsplätze entstanden.

Als man erkannte, welchen positiven Effekt die simple Umkehrung der Kreditvorschriften in der Provinz gehabt hatte, übernahm man dieses Inversio-Prinzip für den gesamten Kontinent:  Es dauerte nicht lange und der Kontinent Indebitamento war weltwirtschaftlich und geopolitisch wieder auf Erfolgskurs.

Mag. Walter Schönthaler ist Unternehmensberater für Markenartikelunternehmen und Fachhochschullektor für Innovationsmarketing und Unternehmensführung;  zuvor arbeitete er mehr als drei Jahrzehnte in der Lebensmittelindustrie, u.a. als Vorstand der Manner AG, CEO der Felix Austria GmbH und CEO der S.Spitz GmbH.

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Die einzige Erklärung

15. Dezember 2011 02:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Sicher blieb so manchem Jecken
schon bei Hellas sein Helau
ungejeckt im Halse stecken –
doch inzwischen geht’s, o Schrecken,
weiter Richtung Euro-GAU.

Denn wenn höchste Gipfel kreißen,
um beinah im Wochentakt
wieder Rettung zu verheißen,
ist ihr Auswurf stets zum Schmeißen:
Giga-Mäuslein, hohl und nackt!

Na, zu unserm Glück erfanden
irgendwann sie den Advent,
dass bei Lichtern und Girlanden,
selbst wenn wenig Geld vorhanden,
alles eilig drängt und rennt.

Darum kauft, ihr lieben Leute,
nützt noch die Gelegenheit,
kauft nach Möglichkeit gleich heute
unter Glitzer und Geläute,
gebt ihr Sinn, der Weihnachtszeit!

Und wenn kräftig Steuern fließen
dank der Torschluss-Konjunktur,
soll auch das euch nicht verdrießen:
Gibt’s mehr Spenden auszugießen
bei der nächsten Rettungs-Tour!

Wisst ihr, wie ich mir’s erkläre?
Die da oben offenbar
glauben an die Maya-Lehre –
und dass eh vorbei es wäre
mit der Welt im nächsten Jahr…

Pannonicus

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Euro oder Nicht-Euro ist nicht die Frage

15. Dezember 2011 00:27 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Beim EU-Gipfel haben zumindest anfangs vier Länder die Zustimmung zu einer Fiskalunion verweigert, teils nur vorübergehend, teils dauerhaft. Unabhängig von der Dauer des Neins ist die Frage interessant: Sind die Nein-Sager eigentlich klüger oder dümmer als die anderen?

Alle vier haben zwar durchwegs konservative Regierungen, sie sind auch allesamt sehr froh, nicht beim Euro zu sein. Sie sind aber dennoch in Wahrheit sehr unterschiedlich zu beurteilen.

Weitaus am besten steht Schweden da. Es ist nach dem schweren Kollaps des sozialdemokratischen Wohlfahrts- und Schulden-Modells in den 90er Jahren und nach darauffolgenden neoliberalen Reformen (die das Land aber keineswegs unsozial gemacht haben) heute neben der Schweiz Europas Vorzeigeland Nummer eins. Die Finanzen sind in Ordnung, die Wirtschaft blüht, der durchschnittliche Pensionsantritt erfolgt vier Jahre später als in Österreich, was auch die etwas höhere Arbeitslosigkeit deutlich relativiert. Schweden ließ sich nicht einmal erpressen, als der marode Saab-Konzern nach Staatshilfe rief. Denn seine Regierung weiß, dass man auch den Mut haben muss, ein Unternehmen sterben zu lassen. Die Folge dieser Politik: Schwedische Aktien und die schwedische Währung zählen heute zu den häufigsten Tipps, wo man sein Geld anlegen kann.

Auch Tschechien, das nächste abseitsstehende Land, steht an sich gut da. Freilich ist es sehr stark von Exporten in den Euroraum abhängig, und die Prager Regierung beschädigt sich selbst regelmäßig mit heftigen Korruptionsskandalen.

Die Briten hingegen haben derzeit wirklich schlechte wirtschaftliche Daten. David Cameron hat jedoch mutige Reformen gestartet, um eine kräftigende Rosskur auszulösen, die wieder wie einst unter Margaret Thatcher eine Epoche der Blüte einleiten könnten. Jedenfalls wurde von den meisten Briten das Nein zum Gipfelbeschluss begeistert aufgenommen. Die Inselbewohner wissen zwar, dass sie den Binnenmarkt brauchen, und sie sind auch militärisch gute Bündnispartner, aber sie haben verständlicherweise keinerlei Lust, sich bei Steuern oder Budgets von der EU dreinreden zu lassen.

Ungarn hingegen ist ein sehr trauriger Fall. Seine Währung steht heftig unter Druck, seine Anleihen sind Ramsch. Die Regierung spart zwar nach schweren Fehlern ihrer sozialdemokratischen Vorgänger nun spürbar, sie hat sich aber gleichzeitig durch antisemitische Akzente, durch eine betont nationalistische Politik und durch Frontalangriffe auf Banken und Medien in eine weitgehende Isolation manövriert. Selbst österreichische Politiker zögern derzeit, nach Ungarn zu reisen.

Die Unterschiede zwischen den Vier zeigen jedenfalls: Euro oder Nicht-Euro ist keineswegs die entscheidende Frage. Das ist vielmehr die Höhe der Schulden, die Wirtschaftskraft und vor allem die Glaubwürdigkeit der Sanierungsversuche. Das heißt heute aber auch: Ohne Jahre der bitteren Mühen kommt kein Land aus der Krise heraus. Egal, welche Währung es hat.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

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Die Spekulanten rächen sich und - spekulieren nicht mehr

13. Dezember 2011 00:42 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Jeder drittklassige Provinzpolitiker und jeder viertklassige Leitartikelschreiber hat die Täter gekannt: Die Finanzkrise sei von Spekulanten ausgelöst worden, die zuerst Griechenland und dann nach der Reihe andere Länder in die Krise getrieben haben. Unter dem Eindruck dieser – auch von vielen europäischen Bürgern begeistert geteilten – Überzeugung sind die europäischen Regierungen im Sommer zum Haarschnitt geschritten.

Sie zwangen alle privaten Gläubiger Griechenlands – also vor allem die Käufer griechischer Staatsanleihen –, freiwillig auf 50 Prozent ihrer Forderungen zu verzichten. Vor allem in Deutschland glaubte man, durch diesen Haircut die Last ein wenig von den eigenen Steuerzahlern abgewälzt zu haben. Auf diese hat man ja seit Mai 2010 in mehreren Etappen die Haftung für die griechische Misswirtschaft überwälzt.

Das hat man im übrigen auch auf dem jüngsten Gipfel in einer weiteren teuren Etappe getan (obwohl darüber fast niemand redet, weil man lieber auf die Briten schimpft). Diesmal geschah die Überwälzung der Schulden durch eine forcierte Einschaltung des Währungsfonds, den man als Nicht-EU-Institution bisher in der Schuldenkrise eher nur am Rande mitspielen lassen wollte. Aber auch die Aktivierung des Währungsfonds kostet wieder mindestens(!) 150 Milliarden europäisches Geld. Das man halt neuerlich aus den Zentralbanken nimmt. Bei dieser Umwegkonstruktion muss man einerseits nicht die Parlamente fragen und kann andererseits das in den EU-Verträgen stehende Verbot der direkten Finanzierung von Schuldnerstaaten durch andere Staaten oder europäische Institutionen umgehen.

Gewiss fanden es von Anfang an manche Kritiker ein wenig widersprüchlich, wenn man jemandem zu einem „freiwilligen“ Verzicht zwingt. Diese Freiwilligkeit ist im übrigen bis heute noch in keiner Unterschrift festgehalten. Gleichzeitig steigt der Ärger über diese neue Zweiklassengesellschaft: Private Gläubiger müssen auf die Hälfte verzichten, staatliche hingegen nicht. In Zeiten des real existierenden Sozialismus gelten ja Staaten offenbar als etwas Besseres, private Geldverleiher kommen hingegen in der Beliebtheit gleich nach den Henkern und Lobbyisten.

Dass die Staaten etwas Besseres sind, haben die internationalen Notenbanken ja auch schon längst mit Brief und Siegel festgehalten: Sie haben in den diversen Basel-Abkommen die Kredite, die ein Staat aufnimmt, für absolut sicher erklärt, was Kredite eines Privaten niemals sein können.

Das alles erinnert übrigens stark an einen anderen internationalen Konsens von Regierungen und „Experten“, freilich etliche Zeit früher: Damals hat man die Erde zum Mittelpunkt des Weltalls erklärt. Trotz dieses nur von wenigen Querköpfen gestörten Konsenses hielt sich die Wirklichkeit bedauerlicherweise nicht daran. Heute ist es die Pleite Griechenlands (und anderer), welche die breite politische Übereinkunft stört, dass Staaten total sicher seien.

Zurück in die Gegenwart: Hier zeigen sich auch noch weitere Widersprüche zwischen dem allgemeinen Konsens der politisch-medialen Klasse und der Realität. Die viel kritisierten und als Spekulanten dämonisierten Geldverleiher waren in der Regel ganz biedere Sparer, Pensionsfonds, Versicherungen oder ausländische Staaten. Sie wollten eigentlich nur Geld sicher anlegen. Was ja eigentlich ein viel seriöseres Unterfangen ist als etwa das Betreiben des österreichischen Pensionssystems mit seinen vielen ungedeckten Mega-Schecks an die Zukunft.

Eine weitere Abweichung der Realität von der Denkwelt diverser EU-Gremien: Die „Spekulanten“ sind lernfähig. Sie lernen aber unfreundlicherweise aus der Realität und nicht aus Erklärungen diverser EU-Gipfel, die in immer kürzeren Abständen die Krise für beendet erklären. In der realen Welt waren die Investoren, pardon: „Spekulanten“ jedenfalls damit konfrontiert, dass entgegen aller europäischen Rhetorik die Anleihen eines­ – ersten – Euro-Landes nur noch die Hälfte wert waren.

Sie handelten daraufhin völlig folgerichtig. Denn, was in Griechenland passieren kann, kann ja nun auch in jedem anderen Land passieren. Daher begann ein „Spekulant“ nach dem anderen, sein Geld aus Anleihen europäischer Staaten zurückzuziehen. Sie weigerten sich immer öfter, neue Anleihen zu kaufen, egal ob die für neue Schulden oder nur die Rückzahlung abreifender alter Anleihen notwendig wurden. Sie kauften höchstens dann noch, wenn ihnen wirklich saftige Zinsen zugesichert wurden. Diese brauchten sie freilich auch für die notwendigen Kreditausfallversicherungen (CDS), ein weiteres uraltes Instrument, das neuerdings zum Teufelswerk erklärt worden ist.

Jetzt ist guter Rat teuer. Denn all die derzeit – angeblich – kommenden Schuldenbremsen, und die in Wahrheit sehr vage und konsequenzenarm bleibende Fiskalunion des letzten Gipfels können nicht mehr das einmal zerstörte Vertrauen wiederherstellen.

Der gute Rat ist so teuer, dass nun vom deutschen Finanzministerium bis zum EU-Ratspräsident lebhaft sogar darüber nachgedacht wird, ob man den griechischen Haircut nicht vielleicht noch rückgängig machen kann. Nur weiß jeder Friseur: Hat er einmal irgendwo zu viele Haare abgeschnitten, lassen sich die nicht mehr wirklich leicht ankleben. Oder in der Sprache der Finanzwelt: Wenn einmal Vertrauen zerstört worden ist, dann lässt sich das nicht mehr auf Befehl wiederherstellen.

Das Vertrauen in staatliches Reden und Handeln ist bei den deutschen Banken zusätzlich dadurch zerstört worden, dass sie von der eigenen Regierung 2010 überredet wurden, zum Unterschied von anderen Ländern keine griechischen Anleihen zu verkaufen. Ein Jahr später waren diese Anleihen nur noch die Hälfte wert. Dieser miese Trick belastet seit der Haircut-Ankündigung jedes weitere Gespräch zwischen Regierungen und Banken massiv. Denn wer der deutschen Regierung vertraut hat, steht jetzt ziemlich blöd da. Und anderen Regierungen zu vertrauen, ist ja schon seit längerem nur noch ein Ausweis besonderer Dummheit.

Jetzt werden manche einwenden: Aber ohne einen solchen Haircut hätten die europäischen Steuerzahler ja noch viel tiefer in diese Tasche greifen müssen. Denn ohne deren Hilfe wäre es ja jedenfalls zu einem griechischen Zahlungsausfall gekommen – was ja nichts anderes als ein sofortiger Haircut bei den Gläubigern ist.

Das ist im Prinzip richtig. Nur hätte eine Insolvenz Griechenlands erstens keine Zweiklassengesellschaft unter den Gläubigern bedeutet und wäre damit nicht so provozierend und demotivierend für jeden privaten Sparer gewesen. Sie wäre zweitens zu einem viel höheren Anteil von den Griechen als Urheber des Schuldendebakels selbst zu tragen gewesen. Drittens hätte man – mit vermutlich viel weniger Geldaufwand – den Dominoeffekt sogar in hohem Ausmaß abfedern können, der ausländische Gläubiger bei einer Pleite Griechenlands bedroht hat.

Und der vierte Einwand ist der gewichtigste: Bei einer Insolvenz Griechenlands wäre schon vor eineinhalb Jahren das klare Signal an alle Europäer ausgesandt worden, dass sie selbst ganz allein für ihre Schulden und deren Rückzahlung verantwortlich sind. Dann hätten schon im Mai 2010 von Italien bis Österreich die notwendigen, aber schmerzhaften Sanierungen begonnen. Diese werden statt dessen jetzt erst überall mühsam diskutiert. Und gegen sie richtet sich allerorten naturgemäß der Protest der Schuldenprofiteure, wie etwa der Gewerkschaften, der Bürokratien und der Subventionsempfänger. Denn überhaupt kein Zweifel kann darüber bestehen, dass beispielsweise eine signifikante Hinaufsetzung des österreichischen Pensionsantrittsalters im Jahre 2010 viel schlauer gewesen wäre als wenn das erst 2012 – vielleicht! – beschlossen wird. Um nur aus einem einzigen Land nur eine einzige der Hunderten notwendigen, aber unpopulären Maßnahmen zu nennen.

 

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Räuberbande, Staat und Imperium

12. Dezember 2011 23:42 | Autor: Andreas Tögel
Rubrik: Gastkommentar

Die eben erfolgte Entscheidung der Staats- und Regierungschefs der EU, einen „fiscal compact“ zu bilden, der automatische Sanktionen im Falle eines Defizitverfahrens gegen einen der Mitgliedstaaten, verstärkte Durchgriffsrechte der Zentrale und damit einen weiteren massiven Souveränitätsverlust für nationale Parlamente vorsieht, kommt einer Kampfansage an die Bürger Europas gleich.

Da zugleich auch die Einstimmigkeitsregel für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) entsorgt wurde, ist es künftig problemlos möglich, mit einer Mehrheit von 85 Prozent Entscheidungen gegen den erklärten Willen von Minderheiten durchzusetzen. Begriffe wie Subsidiarität und Eigenverantwortung geraten in Euroland damit zunehmend weiter ins Abseits. Dass die traditionell euroskeptischen Briten es verweigert haben, sich bedingungslos dem Brüsseler Diktat zu unterwerfen, ist wenig überraschend und immerhin ein nicht einfach zu ignorierendes Signal.

Weshalb plötzlich eine Regel eingehalten werden sollte, die nur noch 0,5 Prozent Neuverschuldung, gemessen am BIP, erlaubt, wenn es bisher nicht einmal möglich war, eine – ebenfalls vertraglich festgelegte – Grenze von drei Prozent nicht zu überschreiten, ist unklar. In welcher Form künftig unbotsame Staaten diszipliniert werden sollen, liegt ebenfalls im Dunkeln.

Im Falle von aufmüpfigen Transferempfängern leuchtet die Sache ja noch ein. Bei einer Vertragsverletzung könnten einfach die Zahlungen ausgesetzt werden. Was aber, wenn sich plötzlich ein Nettozahler bockig geben, und seine Überweisungen an die EU einstellen sollte? Wird dann die (noch nicht einmal aufgestellte) europäische Kavallerie gegen den Spielverderber in Marsch gesetzt werden?

Schließlich wird es auch interessant sein, wie die von ihren Zentralisierungsphantasien berauschten Eurokraten die im Falle derart weitreichender Regeländerungen notwendige Zustimmung der Bürger im Zuge von Referenden erreichen wollen. All das steht gegenwärtig noch in den Sternen.

Sicher ist, dass allein die Existenz von Oasen das Leben in der Wüste erträglich macht. Der Umstand, dass es Steueroasen gibt, macht es den Regierungen in den Steuerwüstenstaaten unmöglich, die Ausbeutung ihrer Untertanen zu weit zu treiben.

Die bei vergleichsweise geringen Kosten und niedrigen Steuerlasten bestens verwaltete Schweiz kann als Vorbild dienen: Die über Steuerhoheit verfügenden Kantone stehen untereinander im Wettbewerb. Das erzwingt eine schlanke Haushaltsführung, da eine übergroße Begehrlichkeit des kantonalen Fiskus augenblicklich zu einem Exodus der Betriebe und Leistungsträger führen würde. Eine EU-weite „Fiskalunion“ würde eine „Abstimmung mit den Füßen“ indes unmöglich machen und den Bürger der vollständigen Ausplünderung durch die Bürokratie ausliefern – falls er vor einer Auswanderung nach Übersee zurückschreckt.

Lysander Spooner, ein im 19. Jahrhundert in den USA lebender Anarchist, stellte in seinem Aufsatz „No Treason“ zur Funktion des Steuerstaates folgendes fest:

„… dass jeder, der sein Geld in die Hände einer so genannten „Regierung” gibt, ihr ein Schwert übergibt, das gegen ihn selbst gerichtet wird, um noch mehr Geld von ihm zu erpressen und ihn außerdem in Abhängigkeit von ihrer Willkür zu halten. […] dass jene, die sein Geld ohne seine Einwilligung nehmen wollen, es in erster Linie zu seiner weiteren Beraubung und Versklavung verwenden werden, falls er sich anmaßt, sich in Zukunft ihren Forderungen zu widersetzen. […] Der Wegelagerer nimmt die Verantwortung, die Gefahr und die Kriminalität seiner eigenen Handlung auf sich selbst. Er tut nicht so, als hätte er einen rechtmäßigen Anspruch auf dein Geld oder als beabsichtige er, es zu deinem eigenen Vorteil einzusetzen. Er tut nicht so, als sei er etwas anderes als ein Räuber.“

Das macht den gemeinen Straßenräuber zu einem – im Vergleich zum Staat – geradezu rührend ehrlichen Akteur! Denn er beschönigt seine Niedertracht nicht durch heuchlerische Verweise auf „höhere Aufgaben“ oder „soziale Verantwortung“, die jedermann zukommen mögen, ganz bestimmt aber nicht dem, wie Nietzsche befindet, „kältesten aller kalten Ungeheuer“.

Aufmerksamen Zuhörern wird nicht entgangen sein, dass der Papst bei seiner kürzlich vor dem Deutschen Bundestag gehaltenen Rede den Staat ebenfalls – und zwar an gleich zwei Stellen – mit einer Räuberbande verglichen hat. Einmal unter Berufung auf Augustinus: „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande?“ Was könnte auf staatlicher Ebene wohl „Recht“ daran sein, falsche Anreize zu setzen, Sparsamkeit, Fleiß und Produktivität gnadenlos abzustrafen und Konsumwahn, Faulheit und Missgunst zu fördern – wie es für den modernen Wohlfahrtsstaat typisch – ja konstituierend – ist?

Was Spooner, Nietzsche und Benedikt XVI. über den Staat gesagt haben, trifft auch auf jedes Imperium zu. Die dräuenden – gleich unter welchem Vorwand einzuführenden – direkten EU-Steuern werden den letzten Schritt bilden, um die EU endgültig in ein zentral gesteuertes Imperium zu transformieren. Imperien waren und sind gekennzeichnet vom gewaltbewehrten Privileg, Steuern zu erheben – ohne den unterworfenen, tributpflichtigen Völkern dafür garantierte Gegenleistungen bieten zu müssen.

Das Muster ist immer dasselbe: Einer immer größer werdenden Masse steuerfinanziert lebender Profiteure, steht ein stetig schrumpfender Anteil von Leistungsträgern gegenüber, der die Chose zu finanzieren hat. Kommt es zur „imperialen Überdehnung“ und steht das Mittel der Verschuldung – wie wir es derzeit erleben – nicht mehr unbegrenzt zur Verfügung, ist das Ende absehbar, denn: Die Steuerlast ist endlich! Auch die politische Klasse wird begreifen müssen, dass Wohlstand nicht durch (Um-)Verteilung, sondern durch Produktion entsteht. Wer die letzten Produktiven entmutigt oder vertreibt, wird am Ende mit leeren Händen dastehen…

Je weiter vom Bürger entfernt Entscheidungen fallen; je massiver die Bemühungen der Zentrale ausfallen, sämtliche wirtschaftlichen Angelegenheiten regeln zu wollen (eine Anmaßung, die am unvermeidlichen Informationsmangel scheitern muss. Noch jede Planwirtschaft hat schmählich versagt!); je geringer Verantwortung und Haftung der Machthaber gegenüber den Beherrschten: Desto klarer offenbaren sich Unfähigkeit, Korruption und Unrechtscharakter der politischen Entität. Die Wandlung der Frieden, Freihandel und Wohlstand verpflichteten Europäischen Gemeinschaft zum totalitären, kriegerischen Moloch EU macht da keine Ausnahme.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Fussnote 242: Der europäische Klimaselbstmord

11. Dezember 2011 01:46 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Europa steht wirtschaftlich am Abgrund – und ein paar Klimafanatiker stoßen es endgültig in diesen hinein.

Bei der sogenannten Weltklimakonferenz bietet die EU knapp nach dem Gipfel schon wieder die nächste masochistische Aktion. Die EU-Vertreter wollen Europas Wirtschaft und Bürger durch eine neuerliche einseitige Selbstbindung in Sachen CO2 mit neuen Milliardenlasten belasten, während die neuen Handelsriesen wie China oder Indien begeistert zuschauen. Offenbar hat die EU-Kommission noch immer nicht den dramatischen Zustand ihrer Mitgliedsländer erkannt. Offenbar ist die EU schon total von grünen Saboteuren unterwandert. Der Rest der Welt amüsiert sich nur noch über die europäische Selbstzerfleischung, die Millionen Arbeitsplätze kostet, während alle anderen großen Mächte ungeniert weiter den eigenen Vorteil suchen. Am meisten wird sich aber wohl das Klima amüsieren, das sich wie seit Millionen Jahren nach ganz eigenen, von niemandem noch ganz erforschten Regeln entwickelt, die jedenfalls primär von Sonne und Erdrotation abhängig sind. Das Klima wird mit Sicherheit um kein Zehntelgrad Celsius anders, weil die Europäer – wenn die Pläne der Masochisten aufgehen – künftig weniger CO2 produzieren. Selbst wenn die Treibhausgas-These stimmen würde, führt eine europäische Öl- und Gas-Askese nur dazu, dass Europas schärfsten Konkurrenten automatisch billiger an Öl und Gas herankommen. Weniger amüsant werden das alles jene Europäer finden, die dadurch ihren Job verlieren.

PS.: Wussten die werten Leser schon, dass man von Eiszeit spricht, wenn beide Polkappen gleichzeitig mit Eis bedeckt sind? Wie es etwa heute noch der Fall ist. Das heißt: Der Kern der Panik, wegen der Europa zum Vorteil der Chinesen, Amerikaner oder Inder zertrümmert wird, ist Nostalgie darüber, dass (vielleicht) die letzte Eiszeit endgültig zu Ende geht.

PPS.: Wer glaubt, dass die Global-Warming-These über jeden Zweifel hinaus bewiesen wäre, sollte einmal in Ruhe alle Analysen der ZAMG auf der Hohen Warte dazu lesen.

 

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Die Sorgen der Schweizer möchte man haben

10. Dezember 2011 00:24 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Andere Länder, andere Sorgen – warum eigentlich? Das zeigt eine Umfrage bei den wahlberechtigten Schweizern. Diese werden alljährlich nach ihren größten Sorgen befragt. Und dabei zeigt sich wieder einmal, dass die westlichen Nachbarn eine gesunde Weisheit besitzen, ohne auf die medial modischen Themen zu achten.

Denn sie fürchten sich am meisten vor der Arbeitslosigkeit. Die zweitmeisten Sorgen bereiten ihnen Ausländerfragen. Und an dritter Stelle folgt die Wirtschaftsentwicklung – in Wahrheit nur ein anderes Wort für Arbeitslosigkeit.

Das klingt noch nicht so aufregend. Viel spannender ist, welche zwei Sorgen aus der Liste der zehn meist genannten Sorgen hinausgekippt sind: Umweltschutz und europäische Integration.

Das heißt: Jene Umwelt-Themen, mit dem Medien, NGOs und Grüne europaweit seit Jahr und Tag für ständige Panik-Schlagzeilen gesorgt haben – vom Waldsterben bis zur globale Erwärmung – lösen heute nur noch Langeweile aus. Durchaus zu Recht, da die meisten grünen Weltuntergangs-Prognosen so haltbar waren wie jene von Sektenpredigern. Vielleicht ziehen auch anderswo Politiker ihre Schlüsse daraus und verbrennen nicht mehr Milliarden für hässliche und teure Windmühlen und Schutzgeldzahlungen an die grünen NGOs. Das tun sie auch, freilich noch nicht in Österreich: So immerhin vor einigen Tagen gleich sechs Umweltminister aus osteuropäischen EU-Staaten vor einer Verschärfung der (sauteuren) EU-Klimaziele gewarnt. Das war mutig - und zeigt, dass man auch von östlichen Nachbarn etwas lernen könnte.

Aber auch das gewachsene Schweizer Desinteresse an der europäischen Integration ist signifikant. Angesichts des derzeitigen Zustandes der EU ist die Mitgliedschaft in der Union nur noch in Beinahe-Drittweltstaaten zwischen Balkan und Kaspischem Meer ein interessantes Thema. Die Schweizer wenden sich mit Grausen ab (haben freilich durch viele bilateralen Verträge mit der EU ihre Interessen auch längst geregelt).

Das heißt nun sicher nicht, dass für ein EU-Mitglied ein Austritt eine sinnvolle Option wäre. Das heißt aber ganz gewiss, dass die Hausaufgaben jedes Landes auch wirklich zu Hause gemacht werden müssen; und dass gerade bei nüchternen Alemannen das real existierende EU-Prinzip wenig Begeisterung auslöst: Wir verschulden uns heute, um unsere Wähler zu bestechen, und zahlen tun dann morgen die anderen. Weil die müssen ja solidarisch sein, sonst beschimpfen wir sie.

Nach dem jüngsten Gipfel wird es jedenfalls kaum Europäer geben, die noch hochmütig auf die Schweizer herabblicken, die meinen, dass man von den Eidgenossen nichts lernen könnte. Es war jedoch nicht die EU, die Österreich im laufenden Jahr zu einem Defizit gezwungen hat, das rund fünf Mal so groß ist wie jenes der Schweiz. Es war die Begehrlichkeit der Österreicher selber. Ihr Pensionssystem, ihre ÖBB, ihre vielen Subventionsbezieher, ihre Landeshauptleute. Die diversen Solidaritätsaktionen für Griechenland&Co haben sich hingegen noch gar nicht im Budget niedergeschlagen. Noch nicht.

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Europas Schuldenböcke nach dem Gipfel

09. Dezember 2011 12:00 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Ist es eine Katastrophe, dass vier konservativ regierte Länder dem deutsch-französischen Projekt einer Fiskalunion auf dem EU-Gipfel die Zustimmung verweigert haben? Ganz sicher nicht. Das viel größere Problem ist, dass dieses Projekt auch nur ein Projekterl ist, das die europäische Schuldenkrise nicht in den Griff bekommen kann. Großbritannien & Co schaffen den anderen höchstens einen Sündenbock für das Scheitern. Schuld aber sind die Schuldenböcke.

Was bedeuten die jüngsten EU-Beschlüsse? Gewiss ist es verwirrend, dass die europäische Architektur noch komplizierter geworden ist. Neben den 17 Euro-Ländern und den 27 EU-Länder gibt es dazwischen künftig die 23, die dem neuen Fiskalregime zugestimmt haben. Bis auf Großbritannien ist es freilich auch durchaus möglich, dass einige der vier Nein-Länder irgendwann doch noch aufspringen werden.

Zweitens werden die 23 (plus?) jetzt überhaupt erst einen detaillierten Vertrag ausarbeiten müssen. Das kostet Zeit. Es ist beispielsweise völlig unklar, ob die 23 (plus?) sich der EU-Institutionen wie des Gerichtshofs überhaupt bedienen dürfen. Freilich. Eine Änderung des EU-Vertrags hätte wegen der Wichtigmachereien des EU-Parlaments sowie wegen der notwendigen Volksabstimmungen (und der Hörigkeit Werner Faymanns gegenüber der Kronenzeitung) noch viel länger gedauert.

Die wirklichen Fragezeichen liegen noch immer in den Details. Es gibt noch keinen Vertragstext, weder für die 23 noch die 27. Das bedeutet aber auch die Gefahr, dass so manche Euro-Staaten die notwendigen scharfen Sanierungsmaßnahmen weiter aufschieben werden, bis dieser Vertrag vorliegt. Zumindest die sparunwillige SPÖ dürfte sich insgeheim sogar recht freuen darüber, aber auch so manche in der ÖVP. Die Opposition zeigt sowieso keinen ernsthaften Sparwillen (das tut sie aber in keinem Land). Und Österreich wie auch alle anderen Länder zahlen halt ständig höhere Zinsen für die eigenen Anleihen.

Im Grunde geht es um einen fast aussichtslosen Kampf: Schaffen es die Staaten doch noch, in ihrer Wirtschaftspolitik so glaubhaft zu werden, dass ihnen Anleger wieder Geld für ihre Anleihen geben, zumindest für die Refinanzierung der alten alljährlich abreifenden Kredite?

Die Anleger sind nämlich seit dem Beschluss über den griechischen Haircut – der übrigens noch immer nicht rechtlich ordentlich umgesetzt worden ist! – extrem vorsichtig geworden. Denn dieser Haircut stellt sich spätestens in diesem Spätherbst von Tag zu Tag mehr als Erbsünde heraus: Die Anleger haben gesehen, dass Staatsanleihen über Nacht das Gegenteil von absolut sicher sind. Während man bisher als Privater mit Anleihen eines Euro-Staates auf einen kleinen, aber ungefährdeten Gewinn hoffen konnte, gibt es nun den Präzedenzfall, dass 50 Prozent des Geldes weg sind. Und kein Mensch ist sich mehr sicher, ob der griechische Schuldenschnitt ein Einzelfall bleiben wird.

Viele der beim Gipfel besprochenen Limitierungen für staatliche Defizite klingen ja durchaus vernünftig, auch wenn sie eben noch immer (Primär- und Sekundär-)Defizite erlauben. Freilich kommen sie um zwei Jahrzehnte zu spät. Solche Regeln, die deutlich über die einstigen Maastricht-Kriterien hinausgehen, hätte man von den ersten Vorstufen des Zusammenwachsens zum Euroraum an haben sollen. Dann wäre es nie zur Katastrophe gekommen.

Vor allem aber hätte es energische und wirksame Konsequenzen bei einer Verletzung der Defizit-Kriterien gebraucht. Wären die Maastricht-Kriterien strikt beachtet worden, dann wäre es nie zu dieser Krise gekommen. Dann bräuchte es auch keine neuen Kriterien. Dann wären aber insbesondere Italien, Belgien und Griechenland niemals Euro-Mitglieder geworden. Dann wäre das auch Österreich nur nach einem kräftigen, allerdings nicht dramatischen Einschnitt in den Wohlfahrtsstaat geworden.

Alles, was man vorerst über das neue europäische Fiskal-Regime wirklich sagen kann: Es ist besser als das alte, aber weiterhin unzureichend. Denn letztlich gibt es weiterhin kein Durchgriffsrecht gegen Budgetbeschlüsse souveräner Parlamente. Weiterhin können diese Parlamente soziale Wohltaten unters Volks streuen. Und sie werden sich diese Rechte auch durch einen neuen Vertrag nicht nehmen lassen. Das würde übrigens auch die gesamte Verfassungsarchitektur der einzelnen Staaten grundlegend verändern.

Ein kleines aber typisches Beispiel für die Hoffnungslosigkeit: Der Gipfel hat neuerlich eine verfassungsrechtliche Schuldenbremse in allen Ländern beschlossen. Aber wenn in Österreich nur zwei Parteien dafür stimmen, kommt sie eben nicht zustande. Und man wird sehen, ob der neue Anlauf, den die Regierung da unternehmen will, besser ans Ziel kommt. Wenn also ein im Prinzip populärer und sogar von einigen Oppositionsparteien ursprünglich geforderter Beschluss so schwierig ist, wie wird es erst werden, wenn man wirklich jemandem etwas wegnehmen muss!

Der Populismus der Politik wird wohl erst dann aufhören, wenn die Regierungen weder Pensionen noch Beamtengehälter noch Rechnungen ihrer Lieferanten bezahlen können. Aber dies wird – so ist man heute reihum überzeugt – nicht passieren, weil letztlich auf irgendeinem Weg doch immer fremdes Geld in die bedrohten Länder fließt. Wobei die Rechtskonstruktion fast egal ist: Ob EZB, EFSF, ESM oder IMF. Immer fließen rettende Milliarden ins Land

Dass Österreich nach dem Gkipfel auch in den Kanal des Währungsfonds (IMF) die Kleinigkeit von weiteren sechs Milliarden fließen lassen muss, geht da schon fast unter. Ist ja nur das dreifache Budget des gesamten Bundesheers (samt den einst so dramatisierten Abfangjägern).

Die Härte zum Nein-Sagen bringt man in Europa einfach nicht auf. Auch wenn die Folgen immer schlimmer werden, je länger das so weitergeht. Der Kardinalfehler bleibt der Mai 2010, als auch Angela Merkel unter dem Gerede der Solidarität eingeknickt ist und in klarer Verletzung der europäischen Verträge Geld nach Athen schicken hat lassen.

Seither nimmt niemand mehr irgendwelche europäischen Regeln und Verträge ernst. Die Juristen würden halt kühl sagen, das seien ja nur lauter Leges imperfectae.

Also bleibt auch die ökonomische Konsequenz weiterhin unausweichlich. Das Geld der Europäer wird immer weniger wert. Und damit auch deren Ersparnisse. Das merkt man vorerst noch weniger im Vergleich zum Dollar und – vorerst! – auch weniger im Vergleich des Verbraucherpreisindex. Das sieht man aber am sprunghaft zugenommenen Preis etwa von Gold und anderen als stabil angesehenen Ersatzwährungen. Das sieht man an den Richtung Schweiz, Schweden und Singapur strömenden Euro-Mengen.

 

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Waswärwennereien

09. Dezember 2011 05:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Im Olymp beäugt Europe
– längst von Zeus dorthin entrückt –
mit dem Götter-Teleskope
bang Europas Biotope
und sinniert, nicht grad entzückt:

Wie wohl wäre es gekommen,
hätte ich an Sidons Strand
einen andern Stier genommen?
Und wo wär’ der hingeschwommen,
welche Richtung, welches Land?

Nun, bei meines Reittiers Streben
war nebst Kreta wenig Wahl,
denn es hatte damals eben
weder Übersee gegeben
noch bei Suez den Kanal.

Doch hätt’s südlich uns verschlagen,
tät’ zum Schwarzen Erdteil jetzt
jedermann Europa sagen –
logisch, ohne mich zu fragen,
und ich wäre arg vergrätzt!

Wär’s indes Kurs Nord gegangen,
hätt’ den Namen die Türkei –
würde mir nicht minder langen,
sag’ ich mal ganz unbefangen
und von Vorurteilen frei.

Wären wir im Land geblieben,
hätt’ man nichts nach mir benannt,
denn auch wenn wir’s arg getrieben,
hätt’ man drüber nicht geschrieben,
und ich wäre unbekannt.

Drum, der Wahrheit alle Ehre,
traf ich’s eigentlich nicht schlecht –
wenn bloß nicht die Hera wäre,
und gar Zeus sagt, der Megäre
macht selbst er es niemals recht!

Tja, der Satz „was wär’ gewesen“
sagt sich halt so leicht daher –
allerdings an Hypothesen
könnt’ nur dann die Welt genesen,
wenn das Wörtchen wenn nicht wär’…

Pannonicus

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SN-Kontroverse: Steuerbremse?

09. Dezember 2011 00:49 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Unter dem Titel “Kontroverse” gibt es in jeder Freitag-Ausgabe der Salzburger Nachrichten eine Doppelkolumne, in der Katharina Krawagna-Pfeifer und ich jeweils zum gleichen, von der SN-Redaktion vorgegebenen Thema schreiben. Und zwar ohne dass man gegenseitig die Texte vorher kennt.

Diese Woche steht die “Kontroverse” unter dem Titel:

 

Braucht es nach der Schulden- auch eine Steuerbremse?

 

In der Folge finden Sie die beiden – unverändert wiedergegebenen – Kolumnen. Dadurch soll dieser kreativen und spannenden Idee auch hier ein Forum gegeben werden.

Absurdes Dauergebremse

Katharina Krawagna-Pfeifer war Innenpolitikerin der SN, Innenpolitikchefin sowie Leiterin des EU-Büros des “Standard” und SPÖ-Kommunikationschefin. Sie arbeitet jetzt als Publizistin und Kommunikationsstrategin (kkp.co.at).

Jetzt wird's langsam absurd. Die Fundamentalisten des Neoliberalismus, die für die Krise in Europa hauptverantwortlich sind, kriegen noch immer den Rachen nicht voll. Sie und ihre Helfershelfer starten jetzt schon flächendeckend gegen ökonomisch gesunde Staaten Spekulationsangriffe via Ratingagenturen. Wie stets knapp vor EU-Gipfeln. Sie wollen offenbar nach dem Muster des bankrotten Irland vorgehen, das noch vor einem Jahr mit Milliarden gerettet werden musste. Irland ist nach wie vor marode, aber gleichzeitig hat es seine steuerparadiesischen Zustände nicht abgestellt. Auch die „griechischen" Zustände sind so wie sie sind, weil es offenkundig als unmoralisch, gilt Steuern zu zahlen. Und weil wenige reiche Familien sich das Land untereinander aufgeteilt haben und die Regierung es zuließ, dass sie ihre Milliarden ungeschoren außer Landes bringen konnten. Dass die italienische Sozialministerin unter Tränen ein Sparpaket verkünden musste, ist wohl auch nicht darauf zurück zu führen dass Berlusconi & seine politischen Kumpane regelmäßig und in angemessener Höhe ihren Steuerverpflichtung nachgekommen sind. Die Geistesverwandten dieser Kumpanei zulasten der Allgemeinheit in den einzelnen Nationalstaaten leisten dem weiter Vorschub. In Österreich ist ihnen die gesetzliche Verankerung der „Schuldenbremse" nicht genug. Sie fordern nun auch noch eine „Steuerbremse". Das ist ein wenig zu viel des Bremsens. Selbst eine gesunde Volkswirtschaft würde so in enorme Schwierigkeiten gestürzt. Der Konsum würde abgeschnürt und die Unverteilung von unten nach oben - also die Kluft zwischen Reichen und Armen - ginge munter weiter. Mit all den Folgekosten einer derart einseitigen Belastungspolitik. Denn die „Schuldenbremse" kann nur funktionieren, wenn sie fair und gerecht ist.


Zweithöchste Steuerlast

Andreas Unterberger

 

Österreich ist im Euro-Raum das Land mit der zweithöchsten Abgabenlast. Noch keiner Generation sind auch nur annähernd so hohe Teile ihres Einkommens weggenommen worden. Hunderte Sparideen harren der Umsetzung, scheitern aber an gewerkschaftlichen, ökologischen, ökonomischen, provinziellen Lobbies. Wer dennoch ständig nur über noch mehr Steuern spricht, schadet dem Land genauso wie jene Parteien, welche eine effiziente Schuldenbremse verhindern.

Neben dem Sparen sollte in Krisenzeiten vor allem darüber nachgedacht werden, wie man (ohne Geld!) wieder Jobs und Wachstum schafft, wie man durch Deregulierungen unternehmerisches Handeln ankurbelt, wie man durch Privatisierungen Unternehmen dynamisch und gewinnbringend macht. Solche Maßnahmen finden sich nun in den italienischen und griechischen Sanierungspaketen.

Freilich: Wenn Bundes- wie Landesregierungen weiterhin nicht sparen, sondern Horror-Defizite produzieren, dann ist bald der Staatsbankrott erreicht. Dann werden die Österreicher so wie Italien und Griechenland viel Schädliches und Schmerzhaftes erdulden müssen. Von Pensions- und Gehaltskürzungen bis hin zu Steuererhöhungen.

Aber auch dann ist bei jeder Steuer nüchtern zu prüfen, wie sehr sie einen künftigen Wiederaufschwung behindert. Deswegen setzt Italien jetzt zu Recht primär auf Mehrwertsteuererhöhungen. Die bei uns diskutierten Steuerideen sind hingegen dumm und schädlich. Etwa die von der ÖVP angedachte „Zaster-her"-Erhöhung der ohnedies exorbitanten 50-Prozent-Einkommensteuer oder die von der SPÖ angedachten Formen der Kapitalbesteuerung (die Investitionen und Investoren vertreiben, sobald sie über Italiens Variante einer Segelboot- und Wohnungssteuer hinausgehen).

 

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Griechenland im Würgegriff der Finanzmärkte?

08. Dezember 2011 05:42 | Autor: Markus Fichtinger
Rubrik: Gastkommentar

Es ist verständlich, dass es angesichts der Fernsehbilder aus Griechenland schwierig ist, die Finanzsituation des griechischen Staates sachlich und faktenbasiert zu beurteilen. Neben den medialen Darstellungen wird die Analyse durch Aussagen mancher Politiker und Ökonomen erschwert, deren Grundlage eher ideologische Vorurteile bilden, als eine nüchterne Betrachtung der Tatsachen.

Ziel dieser Kurzanalyse ist es daher den politischen Wertungen mittels einer längerfristigen Betrachtung der Entwicklung der Eckdaten der griechischen Finanzpolitik, eine reale Einschätzung gegenüber zu stellen, gemäß dem Motto Friedrich Schillers „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

1. Entwicklung der Staatsverschuldung

Die öffentlichen Schulden Griechenlands lagen im Jahr 1996 bei € 97,8 Mrd. und sind bis Ende 2010 auf € 328,6 Mrd. gestiegen, dies ist ein Anstieg um 236%. Im Vergleich dazu hat sich die gesamte Staatsverschuldung der Eurozone im gleichen Zeitraum um „nur“ 67,5% erhöht. In Relation zu den Staatseinnahmen ist der Schuldenstand von 265,5% auf 365,7% angestiegen, während sich diese Relation in der gesamten Eurozone von 160,1% auf 192,2% verschlechtert hat.

Während die Mitgliedsstaaten der Eurozone vor Ausbruch der Finanzkrise in der Lage waren, die relative Verschuldung bis Ende 2007 auf 149,7% zu senken, hat Griechenland diese Phase ökonomischen Aufschwungs ungenutzt verstreichen lassen: Der Schuldenstand sank bis 2007 nur unmerklich auf 263,9%. Die finanzielle Situation Griechenlands hatte sich somit schon vor Ausbruch der Finanzkrise relativ zu den anderen Mitgliedsstaaten der Eurozone deutlich verschlechtert.

Abbildung 1 Staatsverschuldung in der EU und der Eurozone in % der Staatseinnahmen 2010, Quelle: Eurostat Government Finance Statistics 1/2011; eigene Darstellung

Abbildung 2 Staatsverschuldung in der EU und der Eurozone in % der Staatseinnahmen 2007, Quelle: Eurostat Government Finance Statistics 1/2011; eigene Darstellung

2. Sind die hohen Zinsen schuld?

Die hohe Staatsverschuldung wird zwar auch von politischen Entscheidungsträgern und ökonomischen Experten akzeptiert, allerdings wird diese Erhöhung primär den „Finanzmärkten“ angelastet, die durch „Wucherzinsen“ den Griechen jede Chance auf ein Entkommen aus der „Schuldenfalle“ nehmen würden, unabhängig davon wie sehr sich Griechenland auch anstrengen würde, zu sparen. Hier wird zunächst einmal übersehen bzw. vielleicht auch nicht verstanden, dass die ausgewiesen Yields nicht die Zinsbelastung auf die bestehende Staatsschuld darstellen, sondern den Ertrag eines bereits begebenen Schuldtitels auf Basis des aktuellen Kursniveaus.

Beispiel: Eine zu EUR 100 begebene Anleihe mit einer Kuponzahlung von € 3 notiert derzeit auf einem Kursniveau von EUR 95. Nehmen wir der Einfachheit halber an, dass die Restlaufzeit genau ein Jahr beträgt. Der Investor bezahlt also € 95, erhält aber in einem Jahr den Tilgungsbetrag von € 100 zuzüglich der letzten Kuponzahlung in Höhe von € 3. Seine Investition hat somit einen Ertrag von 8,42% erzielt. Für den Schuldner blieb aber die Zinszahlung weiterhin auf dem ursprünglichen Zinsniveau von 3%, die Kursschwankungen sind für diesen irrelevant, er hat somit keinen „Wucherzins“ zu leisten. Dieses theoretische Beispiel lässt sich am Beispiel Griechenland auch in der Realität beobachten.

Entgegen den Behauptungen ist die absolute und relative Zinsbelastung Griechenlands in den letzten 15 Jahren deutlich gesunken. 1996 lag der effektive Durchschnittszinssatz der griechischen Staatsschuld bei 10,56%, im Jahr 2000 bei 7,13%, 2007 bei 4,46% und selbst im Jahr 2010 ist er von 4,13% (Ende 2009) auf 3,83% weiter gesunken. Gegenüber dem Durchschnitt der Eurozone, deren Werte von 7,43% auf 3,26% gesunken sind, hat sich damit das Zinsdifferential massiv von 313 Basispunkten auf 57 Basispunkte verringert.

Abbildung 3 Entwicklung der effektiven Zinsbelastung 1996 – 2010; Quelle: Eurostat; eigene Berechnungen

Entsprechend deutlich ist auch die Belastung des Staatshaushaltes durch Zinszahlungen zurückgegangen: 1996 musste Griechenland beinahe ein Viertel (23,8%) seines Budgets für die Bedienung der Zinslast aufwenden, damals waren keine Klagerufe über die „irrsinnigen“ Finanzinvestoren zu vernehmen. Bis 2007 sank diese Belastung deutlich auf 10,1% und stieg bis 2010 nur relativ schwach auf 11,1% wieder an.

Im Vergleich zur Eurozone (2010: 5,53%) ist dies zwar eine überdurchschnittliche Belastung des Haushalts, aber im langfristigen Vergleich eher gering und nicht das Resultat eines „Würgegriffs“ der Finanzmärkte, sondern der massiven Ausweitung der Staatsverschuldung in den letzten 15 Jahren.

Abbildung 4 Anteil der Zinszahlungen an den gesamten Staatsausgaben Griechenlands 1996 – 2010; Quelle: Eurostat; eigene Berechnungen

3. Zu Tode sparen, oder zu Tode konsumiert?

Da das Hauptproblem Griechenlands somit nicht die Zinszahlungen sind, sondern der Schuldenstand, muss die Ursachenbekämpfung auch dort ansetzen. Die Einnahmen müssen erhöht, aber auch die Ausgaben reduziert werden. Keynesianisch geprägte Ökonomen warnen allerdings davor, dass dieses „Rezept“ die Krise verschärfen würde, da durch geringere Ausgaben des Staates die Wirtschaftsleistung zurückgehen muss. In den mechanischen Modellen der Neoklassik und dem saldenmechanischen Denken dieser Ökonomen ist dies tatsächlich unausweichlich. Die Empirie liefert für diese Theorien aber keine hinreichende Bestätigung, und das Verständnis für echte ökonomische Zusammenhänge kann diese Überlegungen ebenfalls nicht bestätigen.

Die Keynesiansiche Sichtweise betrachtet im Wesentlichen die Einkommensverwendungsseite des BIP, die, entgegen der begrifflichen Indikation, die bestimmende Determinante der Einkommensentstehung sein würde. Konsum von Staat und privaten Haushalten führe zur Produktion. Dass dies sowohl technisch, als denklogisch unmöglich ist, lässt den überzeugten Keynesianer allerdings kalt.

Nur bereits hergestellte – also produzierte – Güter können auch konsumiert werden. Produktion muss immer vor dem Konsum geschehen, wie auch nur die Einkommensverteilung erst nach geleisteter Produktion vorgenommen wird. Das langfristige Wohlergehen einer Volkswirtschaft hängt daher von der Produktion ab. Wie sich diese dann auf die einzelnen Sektoren verteilt ist eine wesentliche wirtschaftspolitische Frage, aber eben nur eine abzuleitende. Der Wohlstand hängt von der Wertschöpfung ab, nicht vom Konsum.

Um Produktion zu ermöglichen braucht es die entsprechenden Produktionsfaktoren, Kapital und Arbeit. Kapital sind Güter, die nicht für den Konsum verwendet werden, d.h. die zukünftige Produktions- und Leistungsfähigkeit hängt vom Konsumverzicht der Gegenwart ab. Somit ist genau das Gegenteil der Keynesianischen Behauptung (oder Verwirrung) ökonomisch richtig: nur durch die Reduktion des Konsums können die Voraussetzungen für einen mittel- und langfristigen Produktions- und Wertschöpfungsanstieg geschaffen werden.

Die griechische Entwicklung der letzten Jahre bestätigt diese grundsätzlichen Einsichten des ökonomischen Denkens: Die griechischen Staatsausgaben (ohne Zinszahlungen) sind zwischen 1996 und 2007 um 206,6% gewachsen, was einer jährlichen Wachstumsrate von 8,82% entspricht. Das nominelle Wirtschaftswachstum Griechenlands lag im gleichen Zeitraum allerdings bei nur 6,06%, d.h. Jahr für Jahr sind die Ausgaben durchschnittlich um 2,76%-Punkte stärker gestiegen als die Wirtschaftsleistung. Der Keynesianische Irrtum wurde also wieder einmal offenbart: Griechenland hat sich in den letzten 15 Jahren nicht zu Tode gespart, sondern – wenn man schon das Wort gebrauchen will – zu Tode konsumiert.

4. Der Sozialstaat als Retter?

Die Keynesianer und andere Neo-Sozialisten behaupten auch immer wieder gerne, dass der Ausbau des Sozialstaates ein wesentliches Element zur Minderung oder gar Verhinderung von wirtschaftlichen Krisen wäre. Der Staatsekretär im Finanzministerium, Andreas Schieder, hat wörtlich behauptet: „Es war der Sozialstaat, der verhindert hat, dass aus der ökonomischen eine tiefe soziale Krise wurde.“ Zumindest für den Fall Griechenland ist auch hier nur der Wunsch der Vater des Gedankens.

Die Realität zeigt genau eine gegenteilige Entwicklung. Die griechischen Staatseinnahmen sind zwischen 1996 und 2010 um durchschnittlich 5,95% jährich gewachsen, und damit doppelt so stark wie im Durchschnitt der Eurozone (2,91%). Anstatt diese Mehreinnahmen und die sinkende Zinsbelastung (siehe obige Ausführungen) zur Sanierung der Staatsfinanzen zu verwenden hat Griechenland vor allem die Sozialausgaben massiv ausgeweitet.

Diese sind im Beobachtungszeitraum jährlich um 8,36% gestiegen, und damit dreimal so schnell wie der Durchschnitt der Eurozone (2,79%). Während also in der Eurozone insgesamt die Dynamik der Sozialausgaben in einem ausgewogenen Verhältnis zur Einnahmenentwicklung gestanden ist, hat Griechenland hier ein jährlich negatives Wachstumsdifferential von 2,41%-Punkten ausgewiesen.

Genau umgekehrt verhält es sich mit den Investitionen des Staates: Diese sind zwar auch relativ stark gewachsen (5,51% p.a.), aber eben geringer als die Einnahmen, und deutlich schwächer als die Sozialausgaben. Für eine Volkswirtschaft, die einen Aufholprozess gegenüber den einkommensstärkeren Ländern der Eurozone durchlaufen sollte, ist dies eine nicht adäquate Ausgabenstruktur des öffentlichen Sektors.

Im Falle Griechenlands kann also zu Recht behauptet werden, dass der Ausbau des Sozialstaates die Krise nicht nur nicht verhindert hat, sondern im Gegenteil sogar einen wesentlichen Beitrag zu dessen Entstehung geleistet hat.

Dies soll allerdings nicht als verallgemeinerndes Urteil missverstanden werden. Der Ausbau von Sozialleistungen ist allerdings immer im Verhältnis der Leistungsfähigkeit des Staatswesens zu bewerten. Aber sowohl das Wirtschaftswachstum (4,94% p.a.), als auch das Wachstum der Staatseinnahmen (5,95% p.a.) machen eine derartige Ausweitung der Sozialleistungen auf Dauer nicht trag- und finanzierbar. Daher ist es ein richtiger und notwendiger Schritt auch die Reduktion der Staatsausgaben in den vor der Krise zu stark ausgeweiteten Bereichen vorzunehmen.

 

Abbildung 5 Durchschnittliche jährliche Änderungsraten Griechenlands 1996 – 2010; Quelle: Eurostat; eigene Berechnungen

5. Der Angriff der Rating-Agenturen und/oder Spekulanten?

Auch wenn die Analyse der Fundamentaldaten der griechischen Staatsfinanzen hinreichende Belege für die wirklichen Ursachen der Krise Griechenlands geben sollte, bleiben immer noch die Vorwürfe gegen die Finanzmärkte, in diesem Fall die Rating-Agenturen und die „Spekulanten“ aufrecht.

Betrachten wir die erste Gruppe. Natürlich ist es richtig, dass das Rating die Preisbildung beeinflusst, denn schließlich ist die Einschätzung des Risikos eines Zahlungsausfalls entscheidend für die Frage des Wertes einer Staatsanleihe. Ein Rating stellt daher eine wesentliche Information und Entscheidungshilfe für Investoren dar. Die Politik sieht daher die Tätigkeit der Rating-Agenturen auch nicht grundsätzlich problematisch, aber nur, solange die Bewertungen gut sind.

Auch in der aktuellen Situation wird nicht kritisiert, dass Länder wie Deutschland, Österreich oder die Niederlande die höchste Bonitätsstufe (AAA) aufzuweisen haben. Kritisiert werden nur die schlechten Ratings für Portugal, Griechenland und Irland. Wenn aber die Rating-Agenturen in diesen Fällen falsch liegen sollen, dann müsste dies doch auf generelle Fehler oder Fehlannahmen ihrer Modelle zurück zu führen sein, d.h. auch die guten Ratings wären dann nicht korrekt. Die Inkonsistenz dieser politischen Aussagen fällt der Öffentlichkeit aber seltsamerweise nicht auf.

Aber auch im zeitlichen Ablauf von Hilfsmaßnahmen, Ratings und Kursentwicklung stimmen politische Wertungen und tatsächliche Abläufe nicht überein. Weil Griechenland sich nicht mehr ausreichend oder zu passenden Konditionen auf den Märkten refinanzieren konnte, wurden die ersten Hilfsmaßnahmen der Euroländer und des IWF am 12. April 2010 beschlossen. Da Griechenland aber davon abhängig ist, durch die Aufnahme neuer Schulden die bestehenden und auslaufenden Staatsanleihen zu refinanzieren, war es spätestens durch den Beschluss dieses Pakets ersichtlich, dass die Bedienung der bestehenden Schulden unsicherer geworden ist.

Die Rückstufung durch S&P am 27. April 2010 um drei Bonitätsstufen auf BB+ war daher nur eine Anpassung an die reale Situation.

Auch in der Phase danach waren nicht die Rating-Agenturen die Auslöser für Refinanzierungsprobleme des griechischen Staates: Bis zur nächsten Rückstufung am 29. März 2011 verging beinahe ein Jahr, in dem die Kurse der zehnjährigen Staatsanleihen um 25,1% gefallen sind. Seit damals wurde das Rating um sechs (!) weitere Stufen auf CCC gesenkt, die Kurse sind aber „nur“ noch um 14,3% zurückgegangen. Und seit der letzten Absenkung am 14. Juni 2011 haben sich die Kurse sogar um 6,2% (4. Juli 2011) erhöht.

Die Aussagen eines britischen Bankers scheinen sich also empirisch bestätigen zu lassen: “Die Ratingagenturen machen eine Aufholjagd, um zum Markt aufzuschließen. Der Markt preist eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit ein, dass es in Griechenland zu einem Ausfall kommt. Die Ratingagenturen liefern jetzt ihre negativen Einschätzungen nach, die der Markt schon längst eingepreist hat – und nicht umgekehrt.”

Abbildung 6 Entwicklung der Durchschnittskurse 10-jähriger griechischer Staatsanleihen in der Zeitspanne zwischen zwei Rating-Rückstufungen durch S&P; Quelle: Bank of Greece, eigene Darstellung

Bleiben die „Spekulanten“. Das sind in politischer Auffassung jene nebulosen Personen, die auf den Kursverfall wetten bzw. die Kursverluste ausnützen würden. Es ist natürlich schwer zu beweisen, dass diese Behauptung stimmt, aber genauso schwierig ist es diese Behauptung zu widerlegen. Aber gewichtige Argumente sprechen gegen diese These.

Im Allgemeinen wird ein Anstieg der Spekulation durch eine Zunahme der Handelsaktivität vermutet. Für griechische Anleihen ist aber eine vollkommen gegenläufige Entwicklung zu beobachten. Die Anzahl der Transaktionen mit griechischen Staatsanleihen lag im Juni 2011 bei 15.971. Gegenüber dem Höchststand im März 2010, also noch vor der ersten großen Rückstufung im April 2010, bedeutet dies einen Rückgang um mehr als zwei Drittel (-67,6%).

Dies ist aber kein einmaliges Phänomen, sondern ein bereits seit Jahren anhaltender Trend. 2010 lag die durchschnittliche Anzahl der monatlichen Transaktionen um 8% unter dem Niveau des Jahres 2009. Im ersten Halbjahr 2011 war die Anzahl der Transaktionen um 43% niedriger als 2010, und um 48% geringer als 2009. Die höchsten durchschnittlichen Transaktionen mit griechischen Anleihen gab es im Jahr 2007, also noch deutlich bevor die griechische Finanzkrise offenbart wurde.

 

Abbildung 7 Anzahl der monatlichen Transaktionen griechischer Staatsanleihen Jänner 2010 bis Juni 2011; Quelle: Bank of Greece; eigene Darstellung

6. Fazit

Die gegenwärtige Situation der griechischen öffentlichen Finanzen ist primär die Folge einer exzessiven Ausgabenpolitik des griechischen Staates. Die Staatsausgaben, insbesondere in den Bereichen Sozialtransfers und Personalaufwand im öffentlichen Sektor, sind in den letzten fünfzehn Jahren deutlich stärker als die Wirtschaftsleistung und die Staatseinnahmen gestiegen.

Entsprechend hat sich auch der Schuldenstand deutlich stärker erhöht als die Wirtschaftsleistung und ist somit bis Ende 2010 auf 365% der Staatseinnahmen gestiegen, und weist damit mit Abstand den höchsten Wert der Mitgliedsländer der Eurozone auf. Die Finanzmärkte sind für diese Entwicklung nicht kausal verantwortlich. Die Zinsbelastung des Haushalts ist bis 2009 kontinuierlich gesunken, vor allem auf Grund einer stetig fallenden effektiven Zinsbelastung, die sich auch noch im Jahr 2010 fortgesetzt hat.

Die Rückstufungen durch die Rating-Agenturen waren Reaktionen auf die Marktentwicklungen, und nicht deren Auslöser. Die behauptete Spekulation „gegen“ Griechenland ist aus der Entwicklung der Handelsaktivitäten mit griechischen Anleihen nicht beobachtbar. Ausflüchte und Ausreden werden Griechenland nicht helfen und schon gar nicht retten. An strukturellen, nachhaltigen und fundamentalen Änderungen der Finanzpolitik des griechischen Staates führt somit kein Weg vorbei.

Griechenland ist somit auch ein mahnendes Beispiel für andere Staaten der EU bzw. der Eurozone: Ein dauerhaftes Ausgabenwachstum ist ohne entsprechendes Wachstum der Produktion und Wertschöpfung nicht möglich. Auch eine noch höhere Umverteilung durch Ausweitung der Abgabenquote kann diesen Grundzusammenhang nicht auflösen. Griechenland hat(te) kein Einnahmenproblem, sondern ein Ausgabenproblem, wie praktisch alle „modernen“ Industrienationen. Wer sich dieser Realität nicht annimmt oder sie sogar verleugnet hat für zukünftige Eskalationen wie in Griechenland die Verantwortung zu tragen.

Mag. Markus Fichtinger ist Mitarbeiter des Bereichs Finanzpolitik & Recht der Industriellenvereinigung

Disclaimer: Die Ausführungen des Artikels geben die persönliche Meinung und die Ansichten des Autors wieder und entsprechen nicht zwingend der Position seines Arbeitsgebers.

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Der Robin-Hood-Richter und der Autofahrer im Wasser

05. Dezember 2011 00:13 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Kaum ein Gespräch entgeht derzeit der ultimativen Frage: Was hat als letzte Ursache die Schuldenkrise ausgelöst? Gewiss stehen da zu Recht schwere Fehler der Politik im Zentrum. Aber der tiefere Grund ist eine fundamentale Mentalitätsänderung in vielen Köpfen. Der Staat wurde von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer mehr als Selbstbedienungsladen angesehen. Das ist eine Veränderung der Beziehung zwischen Bürger und Obrigkeit, wie es sie noch nie in der Geschichte gegeben hat.

Das zeigt sich auf vielen Ebenen. Das beginnt bei den ständigen Tricks, um möglichst früh in Pension zu gehen. Das endet bei den in Österreich besonders häufigen und teuren Möglichkeiten, sich Förderungen und Subventionen auf Kosten der Allgemeinheit zu beschaffen: von der Landwirtschaft über die Alternativenergie-Produzenten bis zu den zahllosen Migranten/Feministinnen/Sozial/Kultur-Initiativen.

Dazwischen gibt es auch tausende winzige Beispiele. Menschen cashen ohne Unrechtsbewusstsein bei der Allgemeinheit ab. Sie werden darin nicht nur von der Politik, sondern auch den Gerichten unterstützt. Wie etwa in diesem Beispiel:

In der Salzburger Ortschaft Nußdorf ist im Juli 2009 der Fluss Oichten nach starken Regenfällen über die Ufer getreten; er hat auch einen Teil der Gemeindestraße überschwemmt. Soll schon vorgekommen sein. Vorgekommen ist auch schon – wenngleich seltener –, dass ein Fahrer dennoch versucht, auf einer in einem großen See verschwindenden Straße weiterzufahren.

Das tat seinem Auto jedoch gar nicht gut. Und es entstand ein 10.000 Euro teurer Motorschaden. Was tat der Mann? Statt sich zu schämen, klagte er die Gemeinde. Auf diese Idee muss man erst einmal kommen.

Aber er handelte richtig. Denn er traf auf einen Richter der gleichen Devise: „Selbstbedienung für alle“. Der Richter sprach dem Mann einen Anspruch auf 40 Prozent des Schadens zu. Wahrscheinlich hielt er sich dabei auch noch für einen sozialen Robin Hood. Er glaubt wohl, einem Reichen, also der Gemeinde, zugunsten eines Armen etwas weggenommen zu haben. In Wahrheit ist es genau umgekehrt. Denn solche Urteile nehmen allen etwas weg, auch jenen, die es sich nicht leisten wollen, leichtfertig in einen See zu fahren. Das wird der Richter aber wohl erst dann begreifen, wenn eines Tages der öffentlichen Schulden wegen sein Gehalt nach griechischer Art um 40 Prozent gekürzt wird.

Ähnlich schwer von Begriff sind Arbeitsrichter, die mit Vorliebe gegen die Arbeitgeber oder gegen die Sozialversicherung judizieren. Oder jene Richter, die fast aus Prinzip die Banken zugunsten der Kunden verurteilen. Wenn sie es aus ehrlichen rechtlichen Erwägungen tun, ist das natürlich in Ordnung; wenn sie es aber aus innerer emotionaler Parteinahme tun, weil sie sich halt auch schon einmal über eine Bank geärgert haben, dann ist das genau jene Einstellung, die uns nun alle bedroht.

 

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Die drei großen Ängste des Werner F.

03. Dezember 2011 00:08 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Werner Faymann hat sich auf eine Auslandsreise begeben. Wenn auch nur nach Berlin, wo er nicht zu fürchten brauchte, in einer anderen Sprache als deutsch angeredet zu werden. Aber der Besuch ist dringend notwendig gewesen. Denn langsam musste auch ein Faymann merken, dass ihn die Entwicklungen in Europa alles andere als unberührt lassen. Denn inzwischen ist präzise klar geworden, wohin Angela Merkel und Nicolas Sarkozy den Kontinent steuern. Nämlich in eine für Faymann sehr unerquickliche Richtung.

Das deutsch-französische Konzept sagt im Kern: Deutschland will den Schuldenländern nur noch dann helfen, wenn diese sich einem strengen Schuldenregime unterwerfen, das sowohl prophylaktisch, wie erst recht im Krisenfall ein Vetorecht externer Aufseher gegen zu hohe Staatsausgaben bringt. Eine solche Unterwerfung steht aber in vollem Widerspruch zur nationalen Souveränität, laut der die nationalen Parlamente die absolute Ausgaben- und Budgethoheit haben. Daher braucht es eine Änderung des EU-Vertrages und/oder anderer bindender völkerrechtlicher Verträge.

Eine solche Vertragsänderung widerspricht aber der einzigen außenpolitischen „Idee“, die Faymann je formuliert hatte. Er hatte dem Kronenzeitungs-Gründer knapp vor dessen Tod öffentlich geschworen, dass eine solche Vertragsänderung nur nach einer Volksabstimmung erfolgen dürfe. Faymann muss aber eine solche Volksabstimmung über die von Merkel gewünschte Vertragsänderung wie der Teufel das Weihwasser fürchten, weil er dabei mit Sicherheit von der Koalition FPÖ-ÖGB-Kronenzeitung gedemütigt untergehen würde. Zugleich würde es ein Faymann wohl nie wagen, sich mit dem Hause Dichand anzulegen, auch wenn dieses inzwischen eher kopflos dahintorkelt.

Was tun? Am Ende gar doch staatspolitische Verantwortung übernehmen? Ist ein Faymann dazu überhaupt imstande?

Das wird man in den nächsten Stunden schon an seiner ersten Bewährungsprobe sehen. Wird der SPÖ-Chef kämpfen, dass die Schuldenbremse mit einer Verfassungsmehrheit abgesegnet wird, damit sie auch gegenüber den Bundesländern und Gemeinden greift? Wird er den durchaus vernünftigen Bedingungen des BZÖ zustimmen? Wird er wenigstens Druck auf die eigenen Abgeordneten des Gewerkschaftsflügels machen, damit sie der Schuldenbremse zustimmen? Und vor allem: Wird er endlich rasch auch wirklichen Einsparungen zustimmen (von denen die Linke ja in Wahrheit noch immer nichts wissen will, die ja noch immer von den Tausenden Dagobert Ducks träumt, die man zusammen mit Mikl-Leitner ausrauben kann) und nicht nur einer sehr abstrakten Schuldenbremse?

Dahinter aber lauert eben die noch viel größere zweite Bewährungsprobe: Wird Faymann einem Schuldenstaaten-Kontroll-Vertrag trotz der Widerstände der Kronenzeitung zustimmen? Und zwar ohne langwierige Verfassungskonvente und Referenden? Beziehungsweise umgekehrt gefragt: Wird die Kronenzeitung als offenbar oberster Souverän dieses Bundeskanzlers dessen nach dem Merkel-Treffen gedrechselte skurrile Ausrede hinnehmen, dass das ohnedies keine bedeutende Vertragsänderung sei, dass die Volksabstimmung – ganz im Gegensatz zum einstigen Faymann-Brief – nur dann fällig werde, wenn aus der EU Vereinigte Staaten nach dem Vorbild der USA würden?

Denn wenn der Merkel-Plan aufgehen soll, wenn der wegen seiner unabsehbaren Folgewirkungen so gefürchtete Kollaps einiger (Euro- und Nicht-Euro-)Staaten verhindert werden soll, dann muss rasch gehandelt werden. Dann müssen die Schuldnerstaaten von einer außenstehenden Institution auch zu drastischen Maßnahmen gezwungen werden können. Ohne dass diese Maßnahmen von populistischen Zufallsmehrheiten im jeweiligen nationalen Parlament abhängig sind. Ohne dass dort weltfremde Gerichte sagen könnten, das sei aber ein unerlaubter Eingriff in wohlerworbene Rechte.

Eine solche Regelung hat aber natürlich nicht nur im Falle Griechenland oder Portgual zu gelten, sondern auch in einem noch nicht ganz so unwahrscheinlichen Fall Österreich.

Nicht mit Merkel mitzugehen, wäre aber für Österreich noch riskanter und unangenehmer. Denn dann würde es sich sofort aus der Gruppe der starken AAA-Europäer hinauskatapultieren, in die es sich bis zuletzt so stolz hineingeschmiegt hat.

Ein solches Abkommen hat keinerlei Chancen, in Österreich angenommen zu werden. Es ist aber nach all den vielen schweren Fehlern der EU und insbesondere rund um den Euro jetzt die einzig noch denkbare Rettungsmaßnahme.

Die dritte Probe für Faymann könnte man Sarkozy-Probe nennen. Ist der SPÖ-Mann bereit, eine solche Blut-und-Tränen-Rede zu halten, wie sie Sarkozy trotz bevorstehender Wahlen dieser Tage gehalten hat? Sie stand in abruptem Gegensatz zu Sarkozys bisherigem Opportunismus. Er war in den letzten Jahren nach seinem anfänglichen Law-and-order-Kurs ganz auf einen sozialdemokratischen Kurs populistischer Verschwendung eingeschwenkt. Jetzt aber hat Sarkozy in seiner scharfen Intelligenz erkannt, dass er keine andere Alternative mehr hat, als den Franzosen die volle Wahrheit zu sagen: nämlich dass sie jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt haben. Er konnte wenigstens mit gutem Grund der gewerkschaftshörigen Politik seines Vorgängers einen Teil der Schuld zuschieben.

 

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Das R-Wort und die wie immer unschuldigen Täter

29. November 2011 00:49 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Seit wenigen Stunden ist das R-Wort nun auch offiziell heraußen: In Europa hat laut OECD eine neue Rezession begonnen. Diesmal wird man die Krise nicht mehr durch die Scheinlösungs-Strategie der Jahre 2008/09 beenden können, nämlich durch eine gigantische weitere Verschuldung der Staaten. Denn heute ist niemand mehr willens, den europäischen Staaten in nennenswertem Umfang Geld zu leihen. Was also tun?

Die europäischen Bürger gehen derzeit lieber mit dem vielen unter die Menschheit gebrachten Geld noch einmal kräftig weihnachtseinkaufen, statt Anleihen ihrer Regierungen zu zeichnen. Nicht einmal mehr die Chinesen, auf die der letzte EU-Gipfel noch in verzweifelter Hoffnung gesetzt hat, sind zu neuen Krediten an europäische Länder im erwünschten Ausmaß bereit. Und selbst wenn die Deutschen noch einmal einknicken sollten, um mit ihrer noch – relativ! – guten Kreditwürdigkeit ein letztes Mal für die Miteuropäer ins Pfandleihhaus zu gehen, wird das nur für wenige Monate Erleichterung bringen.

Das gilt auch für alle anderen Konstruktionsideen, die derzeit tagtäglich unter die ohnedies schon extrem nervösen Bürger gestreut werden – egal, ob dabei nun Eurobonds, Elite-Bonds, Europäische Zentralbank oder Währungsfonds verbal eine Schlüsselrolle spielen. Das sind durchwegs intellektuelle Glasperlenspiele für Ökonomen, die allesamt aufs Gleiche hinauslaufen: Wenn man sie genauer analysiert, bringen sie nur ein wenig Zeitgewinn, viel Umverteilung von den Sparer- zu den Verschwendernationen, und am Ende immer dieselbe brutale Alternative: Staats-Crash oder Inflation.

Da bleibt jetzt nur noch eines über: All die Fehlentwicklungen, die Europas Krise ausgelöst haben, rapide zu beenden. Und das geschieht am besten durch eine geistige Rückversetzung an den letzten Zeitpunkt, von dem an es nur noch aufwärts gehen konnte: nämlich in das Jahr 1945.

Die Frage ist nur: Haben die alt, satt und verwöhnt gewordenen Europäer noch die geistige (und körperliche) Kraft, wieder neu anzufangen? Man darf daran zweifeln, auch wenn der Neuanfang zum Glück auf einem viel, viel höheren Niveau stattfinden könnte. Denn der wahre Zustand Europas ist vielerorts noch immer nicht im Bewusstsein angekommen.

Die Österreicher etwa haben die letzte Krise überhaupt nicht zu spüren bekommen: die für Konsumausgaben zur Verfügung stehenden Löhne sind alljährlich trotz aller Wertverluste von Investitionen weiter real gestiegen. In allen Länder geben die Politiker die bestürzende Wahrheit erst dann zu, wenn sie am nächsten Monatsersten die Fixausgaben nicht mehr zahlen können. Die Gewerkschaften rufen lieber zum fünfzigsten Generalstreik, bevor sie das Scheitern des Wohlfahrtsmodells zugeben würden. Die Parteien verteidigen ihre Wählerinteressen. Das gilt von den Bauern über die vielen ideologischen Vorfeldvereine bis zu den Eisenbahnern. Die Möchtegernpensionisten steuern noch zielsicherer in die Frührente als vermeintlich sicheren Hafen denn bisher. Die österreichischen Studenten weigern sich trotz des Kollapses an vielen Universitäten, auch nur einen geringfügigen Beitrag als Gebühr zu zahlen.

Um noch eine weitere, besonders wichtige, aber fast nie angesprochene Krisenursache zu nennen: Die Wirtschaft und insbesondere die Industrie erkennen nicht, dass sie in den letzten Jahrzehnten die wichtigste Zukunftsinvestition selbst sabotiert hat, nämlich die Geburt der künftigen Leistungsträger. Und diese passiert vornehmlich in bildungsorientierten Familien. Die Industrie hat die akademisch oder sonstwie besonders qualifizierten Frauen im Windschatten einer familienfeindlichen Gesetzgebung lieber als wachstumsfördernde Arbeitskraft ausgenutzt, statt ihnen ohne Druck zu ermöglichen, die entscheidenden Kinder zu gebären und heranzuziehen. Da sollten sich die bildungsdiskutierenden Industriellen nicht mehr allzusehr wundern, wenn nur noch jede zweite Akademikerin Kinder in die Welt setzt.

Der Glaube, das Kinderdefizit durch die in breiter Front hereingeströmten Zuwanderer ersetzen zu können, hat ja grandios Schiffbruch erlitten. Denn die Bildung, die Leistungsbereitschaft, das Können einer neuen Generation hängt in hohem Ausmaß davon ab, ob diese Dinge auch im Elternhaus vermittelt und vorgelebt werden. Diesen Zusammenhang kann man wahrscheinlich nicht einmal in einer Diktatur ändern, in der alle Kinder schon im ersten Lebensjahr den Eltern abgenommen werden. Dadurch würde man wahrscheinlich nur die Zahl der bildungsorientierten und leistungsbereiten Jugendlichen gegen Null treiben.

Damit sind nur einige der gigantischen Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte angesprochen. Eine andere ist etwa der Irrglaube, durch noch mehr Regulierung irgendwelche Pleiten verhindern zu können. Dahinter steckt die abenteuerliche Überzeugung, dass die Verhinderung von Pleiten etwas Gutes wäre. Dabei sollten wir seit Schumpeter wissen, dass nur auf dem Weg von Pleiten, also des industriellen Sterbens wieder Platz und Kraft für Neues entstehen kann.

Das einzige, worüber man bei Pleiten legitimerweise nachdenken kann, ist: Wie verhindert man notfalls auch mit Steuergeld einen Dominoeffekt, bei dem die Pleite einer Bank automatisch Tausende andere Unternehmen und Banken in den Abgrund reißt? Aber eine Bankpleite an sich ist etwas so Natürliches und Notwendiges, wenn auch Schmerzvolles wie der menschliche Tod. Und wer sie prinzipiell verhindern will, ermuntert nur zu fahrlässiger Sorglosigkeit.

Die unkoordinierte Überregulierung und der Machtkampf unter den diversen Regulierern treibt derzeit unsere Banken mit erhöhtem Tempo in die Krise. Ständig werden von irgendwelchen, die eigene Existenznotwendigkeit unterstreichenden Gremien die Bankregeln geändert, verschärft, verkompliziert.

Ob solches nun die nationalen Bankaufseher wie Finanzmarktaufsicht und Notenbank tun (die soeben in Österreich mit neuen Regeln die Banken weitgehend aus dem Ostgeschäft hinausschießen), ob es die neue Europäische Bankenaufsicht tut (die sich besonders radikal zu gebärden versucht), ob es die EZB tut (die ständig andere Refinanzierungsregeln hat), ob es die G20 tun, ob es die EU-Regierungschefs oder die nationalen Gesetzgeber tun, ob es der IWF tut, ob es die OECD tut, die Basler BIZ (die Zentralbank aller Zentralbanken), die EU-Kommission, die Finanzminister (die nach der neuen Börsensteuer nun an einer Finanzmarkttransaktionssteuer basteln), oder ob es die EBRD der EU tut (die um selber wieder ins Ostgeschäft zu kommen, die dortigen Volkswirtschaften krankjammert): Sie alle glauben meist, etwas Gutes zu tun und stiften schon allein durch ihre Vielfalt und die Unterschiedlichkeit ihrer Beschlüsse und Vorgaben nur weiteres Chaos. Sie wollen aber keinesfalls am Ende Verantwortung oder gar Schuld tragen.

Das Europäische Parlament will das schon gar nicht. Hat es doch schon angekündigt, die – nach Vernunft klingenden – deutsch-französischen Bestrebungen zu sabotieren, in der EU endlich, aber nun rasch einen Mechanismus für Staatspleiten schaffen zu wollen. Dabei ist dieses Parlament die hemmungsloseste Ansammlung von populistischen Verschwendern im ganzen europäischen Getriebe. Was auch kein Wunder ist, ist doch immer nur die zweite Garnitur nach Brüssel geschickt worden.

Um nur noch einen einzigen weiteren, fast nie angesprochenen Verantwortungsbereich zu nennen: Das sind die Gerichte, die ständig einzelnen Individuen gegenüber den Staaten angeblich wohlerworbene Rechte zubilligen. Diese Rechte mögen zwar wohl erworben sein – nur wohl finanzierbar sind sie in keiner Weise.

Kann man wirklich in all diesen Bereichen ein rasches Umdenken erreichen? Ich zweifle heute mehr denn je.

 

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Fußnote 237: Die Ehre der Aphrodite

28. November 2011 14:53 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Niemand weiß, wie die griechische Regierung den Monat Dezember finanziell überstehen wird. Aber an den dortigen Gerichten werden dennoch unverdrossen ganz seltsame Prozesse geführt.

Dort werden nämlich jetzt reihenweise Redakteure und Journalisten des deutschen „Focus“-Magazins angeklagt, weil dieses eine Aphrodite gezeigt hat, die den Deutschen den Stinkefinger zeigt. Jeder, der die europäischen Menschrechtsjudikatur kennt, weiß, dass eine eventuelle Verurteilung der Deutschen irgendwann nach fünf Jahren vom Straßburger Gerichtshof unter der Überschrift Meinungsfreiheit aufgehoben werden wird. Daran kann die Behauptung wohl nichts ändern, dass die Liebesgöttin noch immer ein griechisches Staatssymbol sei (2011 Jahre nach Christus, nicht 500 vor!). Weil in Europa Meinungsfreiheit heute (noch!) einen so hohen Stellenwert hat, wird ja auch in Deutschland kein griechischer Journalist auf die Anklagebank gesetzt, obwohl dort die Deutschen reihenweise mit dem Hakenkreuz in Verbindung gebracht worden sind. Was ja zweifellos einen juristisch härteren Vorwurf bedeutet, als ihn der bloße Stinkefinger verkörpert. Aber jedenfalls haben die griechischen Gerichte einmal wirklich etwas zu tun. Und daher auch keine Zeit, den heimischen Steuerbetrügern mit Effizienz nachzugehen.

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Die Zeit scheint abzulaufen: Vor dem „Eurogeddon“?

28. November 2011 01:42 | Autor: Andreas Tögel
Rubrik: Gastkommentar

Der mutmaßlich vom US-Ökonomen Paul Krugman erstmals gebrauchte Begriff „Eurogeddon“ kommt nicht zufällig gerade zu einer Zeit in die Welt, als eine Rettungsaktion für den Euro die nächste jagt. Was ist das für ein merkwürdiges Geld, das pausenlos – vor wem oder was eigentlich? – „gerettet“ werden muss?

Abraham Lincoln verdanken wir die Erkenntnis, dass man „… einige Leute die ganze Zeit, alle Leute einige Zeit, aber nicht alle Leute die ganze Zeit zum Narren halten“ kann. Da dieser Befund auch auf das bürokratische Elitenprojekt der europäischen Gemeinschaftswährung zutrifft, steht die Nomenklatura gegenwärtig vor immer größeren Problemen, die Illusion von deren Vorteilhaftigkeit für alle teilnehmenden Volkswirtschaften aufrecht zu erhalten. Viele der vor seiner Einführung genannten Vorzüge des Euro entpuppen sich dieser Tage entweder als falsch, oder sie basier(t)en auf nicht gegebenen Voraussetzungen.

Jedermann ist klar, dass die Belastbarkeit einer Kette vom schwächsten ihrer Glieder abhängt. Beim Zusammenschluss von wirtschaftlich starken und schwachen Staaten verhält es sich nicht anders. Die (auch von der Nationalbank in einer aktuellen Kampagne nach wie vor getrommelte) Propaganda, wonach eine gemeinsame Währung zuverlässig gegen Angriffe bitterböser „Spekulanten“ immunisieren würde, erweist sich soeben in spektakulärer Weise als unsinnig. Die Behauptung wäre plausibel, wenn es sich um einen Zusammenschluß gleichwertiger Partner handelte.

Davon konnte und kann indes keine Rede sein. Deshalb konnte die angeblich überlegene Gemeinschaftswährung auch nicht verhindern, dass die schwächelnden Mitglieder des „Club Med“ heute deutlich höhere Zinsen für ihre Staatsanleihen zu bezahlen haben, als etwa Deutschland oder Holland.

Der einst behauptete, gemeinschaftliche Nutzen mutiert zum Fluch: Schwache Volkswirtschaften verlieren unter dem Joch der gemeinsamen Währung laufend an Wettbewerbsfähigkeit, während die starken Partner durch institutionalisierte Transferzahlungen dauerhaft ausgeblutet werden; wie innerhalb des den Wohlstand zersetzenden, nationalen Wohlfahrtsstaates, so auch eine Ebene höher! Das versprochene „Win-win-Szenario“ entwickelt sich zum Alptraum für alle Beteiligten. Und an die Stelle der intendierten Integration Europas tritt dessen tiefe Spaltung…

Langsam beginnt es auch wirtschafts- und finanzpolitischen Themen weniger interessierten Zeitgenossen – ja sogar einigen Wirtschaftsredakteuren der Hauptstrommedien! – zu dämmern, dass die von den Granden der Union und von willfährigen nationalen Parlamenten beschworene „Solidarität“ seriöser Kreditoren mit dubiosen Debitoren massive Nachteile für die stabilen Mitglieder der Gemeinschaft mit sich bringt.

Kein bei klarem Verstand befindlicher Mensch erachtet es für logisch, sinnvoll oder gerecht, die Kreditwürdigkeit eines Einzelnen daran zu messen, wie seine Nachbarn es mit ihren Finanzen halten. Die Bonität jedes Kreditwerbers wird selbstverständlich individuell bewertet. Sowohl ob er einen Kredit erhält, als auch der von ihm zu entrichtende Zins hängen maßgeblich von seiner wirtschaftlichen Lage und den gebotenen Sicherheiten ab. Weshalb diese einleuchtende und die Sorgfalt sowohl des Kreditgebers als auch des -nehmers fördernde Vorgangsweise auf der Ebene von Nationalstaaten nicht gelten sollte, ist beim besten Willen nicht einzusehen.

„Eurobonds“ bedeuten nicht mehr und nicht weniger, als einen weiteren Schritt auf dem Weg in ein gleichgeschaltetes Schuldenimperium. Eurobonds bedeuten eine Kollektivierung der Haftung für Verbindlichkeiten der Nationalstaaten – wovon ausschließlich potentielle Pleitekandidaten profitieren – und eine weitere Aufwertung der europäischen Zentralbürokratie, was allen Bürgern gleichermaßen schadet.

So wie die Einführung einer bundsweiten Einkommensteuer in den USA anno 1913 der Regierung in Washington ungeheure Macht über die bis dahin einigermaßen autonomen Gliedstaaten verschaffte, würden „Eurobonds“ das endgültige Ende jeder finanziellen Autonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union bedeuten. Denn das Recht, über die Zuteilung der auf diese Weise aufgebrachten Mittel zu befinden, bringt für die Brüssler Zentrale faktisch weitreichende „Durchgriffsrechte“ gegenüber den einzelnen Staaten mit sich.

Damit wird nicht nur der politischen Willkür der Zentrale Vorschub geleistet, sondern auch einer weiteren Zunahme der Verantwortungslosigkeit in den Provinzen des Imperiums Tür und Tor geöffnet. Jede nationale Regierung wird sich fürderhin – völlig zu Recht - hinter einem „Diktat aus Brüssel“ verstecken und jede Verantwortung für ihr Handeln von sich weisen können. Geschichtsbewusste Österreicher sollten um diesen Mechanismus besser Bescheid wissen als andere Europäer: Nach der Hyperinflation des Jahres 1922 stellte sich die heimische Regierung unter Kuratel des Völkerbundes und gab damit (anders als die deutsche ein Jahr später) mutwillig jeden Handlungsspielraum aus der Hand.

Dass heute ausgerechnet von der Regierung Deutschlands einer weiteren Aufgabe souveräner Rechte zugunsten des Brüsseler Molochs das Wort geredet wird, ist unbegreiflich und kann nur mit historisch bedingten Neurosen erklärt werden. Allein Deutschland verfügt gegenwärtig über die wirtschaftliche Kraft, zu verhindern, dass der Vorhang sich zum vermutlich letzten Akt hebt – der Einführung der „Eurobonds“.

Immerhin konnte die Regierung Deutschlands die totale Politisierung der EZB bislang noch verhindern. Geben die Deutschen ihren hinhaltenden Widerstand am Ende allerdings doch noch auf, hat die Eurozone gute Chancen, den aktuellen „Hässlichkeitswettbewerb“ der Währungen gegen das Britische Pfund und den US-Dollar zu gewinnen.

Unter dem Eindruck einer weiter verschärften Inflationierung würden die Bürger damit beginnen, zu „entsparen“ und auf den Pfad zum kollektiven Wohlstandsverlust abbiegen. Ersparnisse auf seriöse Weise zu veranlagen würde jeden Sinn verlieren. Eine kurze „Katastrophenhausse“ könnte dann den Auftakt zur Hyperinflation – mit allen damit verbundenen Konsequenzen – markieren…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Und jetzt hat es auch Deutschland erreicht

23. November 2011 15:38 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Nicht einmal mehr die Bundesrepublik bekommt seit Mittwoch ihre gesamten auf den Finanzmärkten angebotenen Staatsanleihen los. Damit stehen viele als blamiert da. Damit ist aber auch die Ursache der Katastrophe messerscharf bloßgelegt.

Blamiert sind alle jene, die in den letzten Monaten Deutschland und andere Länder in oft rüdem Ton zu mehr „Solidarität“, also zu noch leichtfertigerer Schuldenaufnahme aufgefordert haben. Fast sämtliche Linkspolitiker und Kommentatoren Europas müssten daher eigentlich ab jetzt für immer schweigen. Selbst die Deutschen sind nämlich seit langem nur relativ besser dagestanden als andere Länder, von gut war aber auch dort keine Rede.

Heute ist aber auch Angela Merkel blamiert, weil sie seit Mai 2010 immer wieder – damals noch – gutes Geld dem schon verbrannten nachgeworfen hat. Sie hat damit Deutschland mit in den Schuldenstrudel gestürzt. Und damit auch andere Länder wie das jeder eigenen Außen- und Finanzpolitik bare Österreich (dessen Politiker sich ohnedies nicht mehr weiter blamieren können).

Blamiert haben sich alle jene Politiker, die in den letzten Jahren trotz einer steigenden Staatsverschuldung auch nur einmal gesagt haben: „Aber das muss das . . .reichste Land der Welt sich doch leisten können“, oder: „Der Molterer soll nicht so auf seinem Geld sitzen“, oder: „Der Grasser mit seinem Nulldefizitfimmel“, oder: „Schüssels soziale Kälte“, oder: „Zuerst brauchen wir Wachstum, dann können wir später sparen“ usw. Und blamiert ist auch jeder einzelne Abgeordnete, der in den letzten Jahren Gesetzesentwürfen mit Mehrausgaben zugestimmt hat. Also primär die Abgeordneten der Regierungsparteien, aber oft genug auch die der Opposition, die auch immer besonders laut weitere Ausgaben gefordert haben.

Blamiert sind auch die Freiheitlichen, die in der letzten Zeit von der Trennung in einen guten Nord- und einen schlechten Südeuro oder gar von einem Neo-Schilling fabuliert haben. Ohne ganz konkretes Sparen hier und jetzt ist jeder Euro, jeder Schilling, jede D-Mark gefährdet.

Und bis auf die Knochen blamiert ist auch die EU-Kommission. Denn es ist wohl kein Zufall, dass die Geldgeber nun genau an jenem Tag auch Deutschland boykottieren, da die Kommission (mit Unterstützung auch fast aller österreichischen EU-Abgeordneten von Karas bis Swoboda!) den Druck massiv und öffentlich erhöht hat, Eurobonds auszugeben. Das sind ja nichts anderes als Anleihen, bei denen die Deutschen in irgendeiner Form für Griechenland & Co mithaften sollten.

Das alles ist ein historischer Paradigmenwechsel. Noch nie ist den europäischen Staaten in ihrer Gesamtheit und als Institution so sehr das Misstrauen ausgesprochen worden. Das erschüttert Staaten und Demokratie in ihren Grundfesten. Und die Parteien erst recht.

Alle einfachen und schmerzarmen Auswege sind ihretwegen längst versäumt worden. Und in Österreich treten gerade die Arbeiterkämmerer aller Couleur zum Sturm auf  die Idee einer Schuldenbremse an . . .

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Wie wirkte sich der Euro auf Staatsanleihen aus?

22. November 2011 16:34 | Autor: Andreas Unterberger

Risikoaufschläge auf 10-jährige Staatsanleihen ausgewählter Euroländer seit 1990

 

 

Quelle: AA & MR, Datastream, zerohedge.com

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Welcher Euro-Staat hat welchen Anteil an den Gesamtschulden?

22. November 2011 16:21 | Autor: Andreas Unterberger

Anteil der Staaten der Eurozone an der Gesamtmenge der Staatsschulden, sowie Schuldenstand in Milliarden

 

Anmerkung: bn = Milliarden

Quelle: AA & MR, Datastream, zerohedge.com

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Die Abwahl von Regierungen macht nur kurze Freude

22. November 2011 00:59 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Nach Spanien am vergangenen Sonntag in ein paar Tagen wohl auch Slowenien: Sozialdemokratische Regierungen werden reihenweise aus dem Amt gefegt. Das bedeutet zwar ein Ende der Verirrungen, die Europa als Spätfolge der zerstörerischen 68er Ideologie erfasst haben. Was bedeutet das aber jenseits aller nationalen Besonderheiten für die gesamteuropäische Krise?

Das signalisiert primär einen allgemeinen Frust der Wähler angesichts der nicht bewältigten und auch nicht bewältigbaren Euro-Krise. Es bedeutet damit fast automatisch eine Absage an jeden, der in einem Euro-Land regiert. Demnächst werden ja wohl auch einige jener Regierungen stürzen, die rechts der Mitte stehen, wie etwa die französische.

Die österreichische Linksrechts-Koalition hat zwar noch bis 2013 mit den nächsten Wahlen Zeit. Das bisweilen in Zeitungen aufflackernde Gerede von vorzeitigen Neuwahlen ist nicht wirklich ernst zu nehmen. Aber dann werden Rot und Schwarz wahrscheinlich Mühe haben, gemeinsam noch einmal die 50 Prozent zu erreichen. Das sind wohlgemerkt zwei Parteien, die gemeinsam bis in die 80er Jahre 90 Prozent hatten und auch in der Folge noch lange die Zweidrittelmehrheit.

Nur: Die Alternativen sind rar, wenn man die europaweiten Trends zu analysieren versucht: Viele Wähler wenden sich insbesondere frustriert dem Lager der Nichtwähler zu. Womit sie freilich nur eines erreichen: dass die Stimmen aller anderen noch gewichtiger werden. Profitieren können Linksaußenparteien – freilich auf niedrigem Niveau – und insbesondere Parteien mit einem starken nationalen beziehungsweise fremdenfeindlichen Akzent. Die spanischen Wahlsieger sind ja sehr durch den spanischen Nationalismus geprägt, der sich gegen die „Anderen“ im eigenen Staat richtet, die halb oder ganz weg von Madrids Oberhoheit wollen, wie vor allem Basken und Katalanen.

Gewiss gibt es auch einige Erfolge liberale Ordnungsideen, insbesondere in Nicht Euro-Ländern: Siehe Polen, Skandinavien, Baltikum und nicht zuletzt Großbritannien. Im wichtigsten Land Europas hat die FDP aber inzwischen schon wieder jeden Kredit für seriöse Ordnungspolitik verspielt – wohl auch wegen ihrer mangelnder Ernsthaftigkeit – und damit die nächste Linkswende schon vorbereitet.

Man kommt zwar in Europa zunehmend zur Erkenntnis, dass die sozialdemokratische Wohlfahrtsstaats-Illusion die Hauptursache der Schuldenkrise ist. Die gigantischen Fehlinvestitionen vor allem der sozialistischen Ära in Spanien – an denen auch die sinnlose Freigiebigkeit der diversen EU-Struktur- und Kohäsionsfonds für jenes Land gehörig Mitschuld trägt – haben zwar ein kurzes Konjunktur-Strohfeuer entzünden können. Sie haben aber langfristig unzählige Bauruinen hinterlassen samt noch gewaltigeren Schulden. Ansonsten blieb vom Sozialismus in Spanien eine moralische Wüste mit zahllosen feministischen und schwulen Verirrungen.

Von der langfristig tödlichen Wohlfahrtsstaats-Illusion sind viele andere Gruppierungen nicht verschont geblieben. Auch die meisten Konservativen und Christdemokraten haben sich im Lauf der letzten Jahrzehnte voll mit dieser „progressiven“ Krankheit infiziert. Und bei den fremdenfeindlichen Parteien fehlen – neben ihren legitimen migrationsskeptischen Ansätzen – die sozial- und wirtschaftspolitischen Konzepte meist ganz. Oder diese Parteien sind sozialistischer als die Sozialdemokraten, sie ersetzen lediglich die internationalistische Rhetorik durch eine nationalistische.

Freilich: So sehr man den Parteien den Vorwurf machen muss, dass sie mit ihrer fast durchwegs sozialdemokatisch-keynesianischen Schuldenpolitik die Krise verursacht haben, so wenig kann man ihnen heute die Tatsache zum Vorwurf machen, dass sie keine Ahnung haben, wie Europa schnell aus der Krise zu führen ist.

Denn zunehmend setzt sich zumindest bei ehrlichen Analysen die Erkenntnis durch: Es gibt gar keinen schmerzfreien Ausweg mehr. Dazu ist es viel zu spät. Die Länder Europas müssen jetzt in einer viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte langen Periode der Askese die Rechnungen für die letzten 40 Jahre zahlen, in denen die Staatsschulden so sehr zugenommen haben, in denen es sich die Menschen gut gehen haben lassen.

Wer jetzt behauptet, ein funktionierendes Rezept zu haben, der lügt. Die Schuldenkatastrophe ist weder durch die Rückkehr zu den alten Währungen noch durch die Teilung des Euro in zwei Blöcke noch durch Eurobonds-Tricksereien mehr geordnet lösbar. Selbst die eine Zeitlang forcierte „Hebelung“ durch die Aufnahme von Billionen-Krediten funktioniert nicht mehr: China&Co denken aus Eigeninteresse gar nicht daran, Europa Geld zu schenken, pardon: „borgen“.

Europas Staaten stehen praktisch allesamt vor der grauslichen Alternative: Zahlungsunfähigkeit oder Entsorgung der Schulden via Megainflation. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es zur Inflation kommen, also zu einer Entschuldung der Staaten zu Lasten all jener, die etwas gespart, die auf irgendein Pensionssystem (staatlicher oder privater Natur) vertraut oder die Lebensversicherungen abgeschlossen haben. Aber auf dem Weg der Inflation ersparen sich Politik und Bürokratie den Offenbarungseid, dass die Staatsgehälter nicht bezahlt werden können. Selbst die europäische Zentralbank ist ja schon längst von jenen übernommen, die sich im Zweifel für die Inflation entscheiden. Gegen ihren eindeutigen Auftrag.

Man wird wohl schon über eines froh sein müssen: Wenn es in diesen Krisenjahren gelingt, den Rechtsstaat samt den wichtigsten Bürgerrechten (soweit diese nach den gutmenschlichen Zerstörungsaktionen noch vorhanden sind) zu retten; wenn es gelingt, den Weg in die Diktatur zu vermeiden. Die durch Deutschland ziehenden neonazistischen Mörderbanden machen freilich deutlich, wie nahe der totale Absturz schon ist.

 

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

 

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Die letzten Tage des Euro?

21. November 2011 23:42 | Autor: Andreas Tögel
Rubrik: Gastkommentar

„Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht…“ reimte Heinrich Heine vor bald 200 Jahren – als ob er die Lage Eurolands im November 2011 beschreiben wollte. Mit der Haltung Deutschlands in der Frage der „Eurorettung“ (mittlerweile geht es ja bereits um verzweifelte Rettungsversuche für mehrere bislang auf den Weg gebrachte Rettungsversuche!) steht und fällt die Gemeinschaftswährung der Union.

Wie der Finanzexperte Liam Halligan im Londoner „Telegraph“ am 15. 11. treffend feststellte, verfügt allein Deutschland über das nötige Gewicht, diese Entscheidung zu treffen. Er kommt in seiner Analyse zum – besonders für Briten und Welsche einigermaßen demütigenden Schluss: „The unavoidable truth is that Germany, practically the only large Western economy with genuine fiscal strength, is in command of the eurozone.“ Richtig erkannt! Alle anderen europäischen Akteure stehen entweder selbst am Rande der Pleite oder sie sind zu schwach.

Der dieser Tage auf Kanzlerin Merkel lastende Druck ist folglich gewaltig. Franzosen – die Hauptprofiteure der Rolle Deutschlands als Zahlmeister der EUdSSR, Briten – als Inflationierungsgroßmeister der Union und US-Amerikaner – als die hemmungslosesten Geldproduzenten weltweit, werden in ihren Anstrengungen nicht nachlassen, die Deutschen dazu zu nötigen, die Schleusen der Geldpolitik vollends zu öffnen, ihren Widerstand aufzugeben und einer grenzenlosen Ausdehnung der Geldmenge in der Eurozone zuzustimmen. Der obligate Hinweis auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts und die daraus resultierende, niemals endende Verantwortung der Deutschen, hat bisher noch nie seine Wirkung verfehlt. So wird es wohl auch diesmal sein. Deutschland darf nicht binnen hundert Jahren ein drittes Mal die Schuld für ein europäisches Verhängnis auf sich laden…

Die Entscheidung muss – in Abwesenheit eines genialen Steuermanns – zwischen Skylla und Charybdis getroffen werden: Entweder die Deutschen beharren auf einer Einhaltung der bestehenden Verträge – dann ist Italien pleite und die Währungsunion erledigt; oder sie knicken unter dem internationalen Druck ein und geben den Weg zur Hyperinflation frei.

Wie ganz und gar verkommen das bestehende Politsystem Eurolands ist, wird allein dadurch deutlich, dass es überhaupt Debatten darüber gibt, ob es in Ordnung ist, Verträge einzuhalten und der Vorsitzende der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, freches Lügen explizit zur Tugend der politischen Eliten erklärt hat.

Zu erwarten, dass es gelingen könnte, durch das Bedrucken von Papier einen Jahrzehnte lang weltweit betriebenen Verschuldungsexzess zu einem guten Ende zu bringen – und zwar ohne kollektive Wohlstandsverluste – ist illusorisch. Entweder man hält seine Finanzen in Ordnung, kauft was man auch tatsächlich bezahlen kann und behält seine finanzielle Unabhängigkeit, oder man geht auf Teufel komm raus absurd hohe Verbindlichkeiten ein, liefert sich seinen Gläubigern aus und ist irgendwann pleite.

Die Vorstellung, dass Staaten aus geheimnisvoll im Dunkeln liegenden Gründen von dieser Gesetzmäßigkeit nicht betroffen sein könnten, da sie ja – anders als private Debitoren – über das Privileg zur Geldproduktion verfügen, ist historisch vielfach widerlegt. Ergo: Entweder man fasst sich in Geduld und übt Konsumverzicht, um begehrte Güter mit seinen Ersparnissen zu bezahlen, oder man will alles sofort, nimmt Kredite auf und zahlt ab. Die Wohlfahrtsstaaten dieser Welt haben sich vor Jahrzehnten allesamt gegen die Ansparvariante entschieden. Jetzt ist Zahltag!

Was die Apologeten einer Verlängerung der Schuldenpolitik durch Einsatz der Geldpressen allzu gerne verschweigen: Auch eine Aufhebung sämtlicher die Geldproduktion derzeit noch begrenzenden Barrieren wäre nicht imstande, die aus der wirtschaftlichen Inhomogenität der Eurozone resultierenden Probleme zu lösen. Denn ebenso schnell, wie das Geld aus den Druckerpressen läuft, fließt es auch schon wieder an die produktivsten Standorte, wo es die besten Investitionsmöglichkeiten vorfindet. Strukturunterschiede sind mit monetären Mitteln nicht zu beheben.

Am Beispiel Griechenlands wird es deutlich: Nur ein Bruchteil der seitens der europäischen „Solidargemeinschaft“ dorthin transferierten Mittel bleibt tatsächlich im Lande. Der Großteil macht sich postwendend wieder auf den Weg zurück in starke und – zumindest relativ – gesunde Volkswirtschaften. Jene Sonntagsreden, in denen „Neuinvestitionen“ beschworen werden, um auf diese Weise maroden Staaten auf die Beine zu helfen, sind blanke Ironie. Kein privater Investor, der bei Verstand ist, sieht die geringste Veranlassung, in korrupten Balkanrepubliken oder in randständigen Ländern ohne ausreichend vorhandenes, gut ausgebildetes Arbeitskräfteangebot zu investieren! Griechenland und Portugal werden daher auf absehbare Zeit die Armenhäuser Europas bleiben – auch dann, wenn die EZB demnächst auf den hochriskanten Kurs der US-Notenbank FED einschwenken sollte.

Darüber hinaus trifft es nicht einmal zu, dass neu geschaffenes Geld wenigstens in den wirtschaftlich starken Ländern positive Entwicklungen anstoßen würde. Es führt vielmehr zu überzogenen Investitionen in bestimmten Sektoren – z. B. bei Immobilien. „Blasenbildungen“ sind typische Folgen inflationistischer Geldpolitik. Der anno 2000 zum Ende gekommene „Dot-Com-Boom“ oder die US-Subprimekrise des Jahres 2007 sind dafür symptomatisch.

Was wirtschaftlich und währungstechnisch nicht zusammen passt, das hätte die Eurokratie nicht unter das Joch einer gemeinsamen Währung zwingen sollen. Es liegt nun an Frau Merkel, über das Schicksal der Union zu entscheiden. Eine nicht nur für Franzosen deprimierende Vorstellung. Welchen Weg auch immer sie wählen mag – die von einer abgehobenen Politelite angestrebte, orwell´sche Gleichschaltung Europas werden wir – dem bevorstehenden Kollaps sei Dank – wohl nicht erleben. Immerhin.

http://www.telegraph.co.uk/finance/comment/liamhalligan/8886350/Germany-must-decide-if-it-wants-the-eurozone-to-survive-or-perish.html

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Plädoyer für den Euro

18. November 2011 03:42 | Autor: Klaus R. Kastner
Rubrik: Gastkommentar

Eine steigende Zahl von Bürgern scheint sich zwischenzeitlich überzeugt zu haben, dass die Einführung des Euro ein großer Fehler war (Stichwort: Gemeinschaftswährung ohne gemeinsame Fiskalpolitik). Diese Ansicht muss man nicht zwingenderweise teilen, nicht einmal dann, wenn man das heutige Chaos in Griechenland betrachtet.

Die Vorteile einer eigenen Landeswährung liegen auf der Hand: Man kann sie drucken; je mehr man davon druckt, desto mehr wird sie abwerten; und je mehr sie abwertet, desto wettbewerbsfähiger wird man international. Bei diesen Überlegungen wird allerdings fast nie berücksichtigt, dass durch diesen Prozess auch die Finanzvermögen jener, die nicht clever genug sind, sich zu schützen, weniger wert werden (sei es durch Abwertung oder durch Inflation).

Man sollte aber nicht glauben, dass eine Landeswährung der einzige Mechanismus ist, um Ungleichgewichte zwischen ungleich produktiven Wirtschaftsräumen zu vermeiden. Letztendlich ist eine Landeswährung nur das Instrument, diese Ungleichgewichte auszuschalten. Am Ende des Tages ist es der ungleiche Lebensstandard, der Produktivitätsunterschiede ausgleichen sollte.

„Ausgleichen sollte“, weil er es in der Eurozone – am Beispiel Griechenlands bestens zu beobachten – nicht getan hat: Griechenlands Lebensstandard ist trotz niedrigerer Produktivität enorm gestiegen. Das lag allerdings nicht primär am Euro!

Probleme der Banken als "Allocator"

In einer perfekten Marktwirtschaft ist der Finanzsektor der optimale „Allocator“ von finanziellen Ressourcen: Banken sehen ihre Rolle in der Transformation von Risken/Fristen, die der einzelne Sparer in dieser kompetenten Form nicht machen könnte. Wenn Banken diese Rolle nicht erfüllen (oder sie falsch erfüllen), dann kommt es zu großen Ungleichgewichten und letztendlich zu Verlusten.

In der Theorie können Banken ihr Risiko ganz genau einschätzen und handeln gemäß dieser Einschätzung unter Einsatz der Vernunft. In der Praxis stellt sich das anders dar: Je unüberschaubarer ein Kreditnehmer wird (nicht nur wegen seiner Größe, sondern auch wegen der Komplexität seines Geschäftes), desto weniger lässt sich sein Risiko von außen einschätzen. Beispiele gefällig? Kein Außenstehender kann heutzutage beurteilen, wie gut eine Großbank wirklich ist (mit Sicherheit nicht auf Basis ihrer Bilanzen). Enron konnte innerhalb von Wochen vom Börsendarling zum Pleitefall abstürzen.

Gute Banker/Investoren reagieren auf diese Unsicherheit mit Hausverstand (Warren Buffett investiert nur in Unternehmen, deren Geschäft er zu verstehen glaubt und deren Managements er persönlich vertraut). Schlechte Banker/Investoren reagieren darauf mit Herdeninstinkt („wenn alle anderen Geld geben, dann muss es wohl ein gutes Risiko sein“).

Staaten als Kreditnehmer sind ein extrem schwieriger Fall für die Bonitätsanalyse, weil sie nichts produzieren und keine Umsätze haben. Staaten leben vom Steueraufkommen ihrer Bürger und von der verantwortungsvollen Verwendung derselben. Selbst wenn die Bürger eine schier unbegrenzte Bereitschaft und Fähigkeit hätten, dem Staat ihr Einkommen/Vermögen als Steuern abzuliefern, können es Staaten trotzdem schaffen, noch mehr Geld auszugeben. Wohlgemerkt: es sind die Staatsausgaben, die Steuern verursachen und nicht die Steuerpolitik!

Bei Staaten als Kreditnehmer kommt hinzu, dass das gesetzliche Regelwerk die Banken nahezu dazu verführt hat, auf die Umsicht eines ordentlichen Kaufmannes zu verzichten! Bei allen anderen Risiken waren Banken verpflichtet, Eigenkapital gemäß ihrer Risikoeinschätzung zu hinterlegen, nicht jedoch bei Staaten. Das gesetzliche Regelwerk hat unterstellt, dass Staaten risikofrei sind.

Gestaltungsalternativen zur Fiskalpolitik

Bevor man sich also ganz überzeugt, dass der Euro als Gemeinschaftswährung ohne gemeinsame Fiskalpolitik nicht funktionieren kann, sollte man ganz genau die Gründe für die Fehlentwicklungen analysieren und sich überlegen, ob es nicht auch andere Instrumente gibt, Fehlentwicklungen zu vermeiden, ohne dass man gleich eine gemeinsame Fiskalpolitik machen oder zur Landeswährung zurückkehren muss.

Der ordentliche Teil von Staatsausgaben wird in der Regel im Inland ausgegeben. Warum sollte man nicht eine Regel andenken, dass Staatsschulden für diesen Zweck nur im Inland aufgenommen werden dürfen? Das würde vielleicht besser funktionieren als jede gesetzliche Schuldenbremse. Außerordentliche Staatsausgaben (z. B. große Infrastrukturprojekte) können für den Kapitalmarkt des einzelnen Landes zu groß sein. Hierfür könnte man sehr wohl Auslandsschulden erlauben, allerdings jeweils in einer eigenen Projektgesellschaft (unter Haftung des Staates), damit die Transparenz gewährt bleibt.

Die Wirtschaft hat Ausgaben im Ausland (z. B. Importe) und deswegen muss die Wirtschaft in der Lage sein, sich im Ausland zu finanzieren. Hier wären die Kreditgeber auch in einer besseren Lage, die einzelnen Kreditrisiken zu beurteilen. Auch Banken sollten sich im Ausland finanzieren können, weil sie im Inland die Wirtschaft finanzieren. Wenn man allerdings beim Staat ein Maastricht-Signal setzt, dass sein Defizit nicht drei Prozent überschreiten darf, dann müsste man Ähnliches bei der Wirtschaft tun. Man könnte z. B. sagen: „wenn das Leistungsbilanzdefizit drei Prozent übersteigt, dann kommen wir in die Rote Zone und müssen die Entwicklung ganz genau hinterfragen (selbst wenn die Banken unseren eigenen Banken und Firmen weiterhin viel Geld leihen würden)“.

Der Euro hat für Bürger und Unternehmen sehr, sehr viele Vorteile gebracht (auch in Griechenland!). Man sollte deswegen nicht jetzt – mitten in einer Krise, die man zur Gänze dem Euro in die Schuhe schiebt – das Kind gleich mit dem Bad ausschütten und auf den Euro verzichten wollen.

Solidarität richtig verstanden

Anders verhält es sich jedoch mit der EU als politischer Gemeinschaft. „Was nicht zusammen passt, soll man auch nicht zusammen zwingen“ lautet die herkömmliche Weisheit. Wenn unterschiedliche Kulturen innerhalb Europas nicht zusammen passen, dann sollte man sie getrennt lassen.

Das könnte aber auch der größte Fehlschluss der Geschichte werden. Eine Gemeinschaft bedeutet nicht zwingendermaßen Gleichschaltung der Kulturen. Man kann in Deutschland nicht einmal Bayern mit Hanseaten kulturell zur Gänze gleichschalten. Wie sollte dies dann zwischen Griechenland und Finnland möglich sein?

Die EU tut sich schon schwer, die Gleichschaltung bei Glühbirnen zu erreichen. Bei unterschiedlichen Kulturen wird sie das nie schaffen und man sollte dankbar dafür sein.

Die Stärke Europas liegt in der Vielfalt seiner Kulturen. Wie man diese Vielfalt unter ein gemeinsames Dach bekommt, ohne sie dabei zu zerstören, ist die eigentliche Herausforderung. Vielleicht sollte man sich in Brüssel einmal mit der Habsburg-Monarchie beschäftigen, die das ein paar Jahrhunderte lang geschafft hat. Möglicherweise könnte man davon lernen.

Eine politische Gemeinschaft braucht jedoch gewisse vergemeinschaftlichte Wertestrukturen, vor allem, was die Grundwerte einer Gesellschaft betrifft. Österreich wurde einmal verurteilt, weil eine gewisse Regierungskoalition angeblich europäische Grundwerte verletzte. Darüber könnte man endlos diskutieren.

Es kann aber keine Diskussion darüber geben, dass Solidarität ein Grundwert jeder Gemeinschaft sein muss. Ohne Solidarität kann keine Gemeinschaft existieren!

Jetzt wird im Zuge der Eurokrise von allen Seiten die europäische Solidarität ins Feld geführt und damit wird – leider – das Prinzip der Solidarität falsch verstanden.

Solidarität ist ein sogenannter „bottom-up“ Prozess: Wenn es sie „unten“ in der Gemeinschaft nicht gibt, dann kann es sie „oben“ schon gar nicht geben. Man kann gelebte Solidarität nur unter jenen EU-Mitgliedsstaaten erwarten, die auch im eigenen Staat Solidarität kennen und leben. Wenn in Deutschland drei Bundesländer über den Finanzausgleich die anderen 13 Bundesländer finanzieren, ohne dass es eine Revolution gibt, dann ist das gelebte Solidarität. Wenn in Österreich 8 Bundesländer das Bundesland Kärnten retten, ohne dass es eine Revolution gibt, dann ist das auch eine Art von Solidarität.

In der griechischen Gesellschaft ist Solidarität bestenfalls beim Gewinn einer Fußballeuropameisterschaft erkennbar. Ansonsten werden griechische Steuerzahler von Nicht-Steuerzahlern ohne mit der Wimper zu zucken über den Tisch gezogen. Parteien haben jahrzehntelang die Gemeinschaft so sehr zum eigenen Nutzen über den Tisch gezogen, dass selbst die Hochblüte des österreichischen Proporzes noch Paradebeispiel für eine zivilisierte Gesellschaft wäre. Selbst die Kirchen schrecken nicht davor zurück: Ein Athos-Kloster steht unter Anklage, mit einem zwielichtigen Immobiliendeal den Staat um rund 300 Millionen Euro über den Tisch gezogen zu haben.

Ein erheblicher Teil der griechischen Gesellschaft demonstriert am laufenden Band, dass er es noch nicht geschafft hat, der Vernunft Vorrang gegenüber Vorurteilen zu schenken. Ein erheblicher Teil dieser Wiege des Abendlandes schafft es nicht, die Werte seiner Philosophen zu leben und sich zu allererst einmal „selbst zu erkennen“. Stattdessen genießt man den Realitätsverlust und man lässt den Emotionen freien Lauf, mit dem Finger immer auf andere zu zeigen.

Ohne einen funktionierenden Rechtsstaat kann man nicht mit gesellschaftlicher Solidarität rechnen. Der Rechtsstaat besteht jedoch nicht nur aus Gesetzen, sondern – und vor allem – aus einer gesellschaftlichen Kultur, die den Rechtsstaat respektiert. Würde man in Griechenland den Rechtsstaat mehr respektieren, dann gäbe es nicht – laut dem ersten Bericht der EU Task Force – unbezahlte Steuern in Höhe von 60 Mrd. EUR, davon 30 Mrd. EUR in 165.000, seit Jahren laufenden Steuerverfahren.

Mit diesen gesellschaftlichen Eigenschaften wird es schwierig, innerhalb einer großen europäischen „Schicksalsgemeinschaft“ mit der Solidarität anderer Länder zu rechnen. Das liegt aber weniger an der mangelnden Solidarität anderer, sondern an der eigenen Unfähigkeit, Solidarität zu zeigen.

Griechenland wird und soll natürlich in der EU bleiben, aber es muss anfangen, sich ernsthaft mit seinen gelebten gesellschaftlichen Werten auseinanderzusetzen und es muss eine Veränderung herbeiführen. Der erste Bericht der EU Task Force ist ein eindrucksvolles Dokument. Wenn die EU dies erfolgreich umsetzt, dann darf man sich stolz fühlen, ein Europäer zu sein. Wenn Griechenland dabei mitmacht (was die Voraussetzung ist), dann darf Griechenland dankbar dafür sein, zur EU zu gehören. Und wenn beide erfolgreich zusammenarbeiten, dann besteht in der Tat die Chance für ein „neues Griechenland“ innerhalb von nur einer Generation!

Klaus R. Kastner

Vier Jahrzehnte Bankmanagement in sechs Ländern (Österreich, Deutschland, England, USA, Chile, Argentinien), davon 1980-87 in Chile/Argentinien als Country Manager vor Ort einer der größten amerikanischen Gläubigerbanken; Studien an Harvard und INSEAD; derzeit in Griechenland tätig.

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Die „systemische“ Krise

16. November 2011 23:42 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

Ist von der „systemischen Krise“ die Rede, so denkt jeder sogleich an die Finanzmärkte mit den Banken, die „zu groß sind um sie Pleite gehen zu lassen“, an die sich auftürmenden Risiken aus Derivatgeschäften, an Hedgefonds und ihre Spekulationen gegen ganze Staaten, an die Bailouts und Rettungsfonds, die durch ihre Auflagen die „Fahrt ins Verderben“ (Hans-Werner Sinn) noch beschleunigen, statt sie aufzuhalten, oder an die Gipfelbeschlüsse zur Lösung der Euro-Krise mit immer kürzeren Halbwertzeiten. Was gestern noch tabu war – Staatspleite, Schuldenschnitt, Bailout, Staatsschuldenfinanzierung durch die EZB, Hebelung, Austritt – wird heute zur Option und in diversen Szenarios durchgespielt.

Aus dem Theater um die Griechenlandhilfe ist inzwischen eine veritable Systemkrise der Euro-Zone entstanden. Achtzig Prozent der Deutschen oder der Österreicher lehnen laut Umfragen die Zahlungen für Griechenland ab. Jetzt wird die Notwendigkeit oder auch Zweckmäßigkeit eines Austritts aus der Währungsunion selbst von Merkel oder Sarkozy offen angesprochen. Die Nichtbeteiligung einzelner Staaten an Rettungsschirmen oder ihrer Aufstockung wird gebilligt (Slowakei). Sondervereinbarungen zur Beschränkung des Haftungsrisikos sind aushandelbar (Finnland).

Die Spaltung und Aufsplitterung der Euro-Zone vollzieht sich bereits. Die verzweifelten Versuche, sie durch immer neue Ankündigungen von „im Detail noch auszuarbeitenden Projekten“ aufzuhalten, bleiben wirkungslos. Die schleichende Übertragung von Souveränitäts- und Eingriffsrechen unter so wolkigen Vorhaben wie „Koordination der Wirtschaftspolitik“, „Wirtschaftsregierung“, „Europäisches Semester“,  „Euro plus-Pakt“, „Schuldenbremse“, „Stabilitäts- und Wachstumspakt“, „Selbstverpflichtung“, „vorbeugende Haushaltskontrolle“, „Verschärfung der Stabilitätskriterien“, „Sparauflagen“ „Strafzahlungen“, Einsetzung von „Finanzkommissären“ bei Schuldensündern, „Durchgriffsrechte“ usw. stoßen zunehmend auf Widerstand und fördern die politische Instabilität.

Regierungen zerbrechen, die Bevölkerung protestiert, Gewerkschaften legen mit Streiks das Land lahm, Parlamente werden gestürmt, Banken belagert, Schaufenster eingeschlagen, Geschäfte geplündert, ganze Stadtviertel beginnen zu brennen. Mit Knüppeln, Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen gelingt es Polizei und Schutztruppen das Versinken in Anarchie zu verhindern, doch wie lange noch? Das politische System wankt. Gerademal 13 Prozent der Bevölkerung in Österreich haben noch Vertrauen in die Problemslösungskompetenz der Politik (Presse vom 11. Nov., S 1), 82 Prozent misstrauen Politikern (Standard, 30. Nov., S. 1).

Die von Finanztechnokraten ins Spiel gebrachten „Special Purpose Vehicles“, die mit Ablaufdatum 2013 versehene „European Financial Stability Facility“ und der noch zu schaffende, permante „European Stability Mechanism“, konnten die Finanzmärkte nicht beruhigen. Mit ihrer Hilfe wird „bloß Zeit gekauft“, die grundlegenden Probleme – Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum – werden jedoch nicht behoben. Die Aufstockung des EFSF von ursprünglich 500 auf 780 Milliarden Euro erwies sich schon nach wenigen Tagen als unzureichend, die „Hebelung“ auf die von der Finanzindustrie geforderten 3 Billionen als undurchführbar. Die Öffnung der Schleusen für einen unbegrenzten Geldfluß aus der EZB zwecks Finanzierung von Staatsschulden scheint deshalb nur noch eine Frage der Zeit. Die Inflation zeigt bereits ihre Krallen.

Falsche Grundideen der EU-Integration

Alle diese Versuche oder Vehikel-Kreationen konnten den „Geburtsfehler des Euro“ (ehemaliger EG-Botschafter M. Scheich) nicht beheben. Ein einziger Maßanzug passt nicht für Dicke und Dünne, Große und Kleine, es braucht schon jeder Staat seinen eigenen, für ihn passenden Anzug, d. h. seine eigene Währung. An der Unbehebbarkeit des „Geburtsfehlers“ scheitert der Euro, denn die „Vereinigten Staaten von Europa“, die seine Voraussetzung sind, werden von allen Völkern dieses Kontinents mit überwältigenden Mehrheiten abgelehnt. Sie schrittweise und durch die Hintertür einzuführen, funktioniert nicht.

Am Geld und beim Erben sind oft genug schon die engsten Verwandtschaften zerbrochen. Aus der EU kann nie eine Haftungs-, Schulden-, Transfer- und Fiskalunion werden, das widerspricht den unaufgebbaren nationalen Interessen ihrer Mitglieder. Gegen „das Volk“ kann auf Dauer nicht regiert werden. Der Stimmenzuwachs von Rechtsparteien, die sich zum Vorrang der nationalen Interessen bekennen, spricht eine eindeutige und nicht mehr überhörbare Sprache. Der Euro spaltet nicht nur die Mitglieder innerhalb der Eurozone, er vertieft auch die schon seit langem bestehenden Risse in der Europäischen Union zwischen den Euro-Zonenmitgliedern und Nichtmitgliedern, zwischen den Mitgliedern auf dem Festland und der britischen Insel.

Das ganze System und Konzept einer europäischen politischen Union mit dem Endziel von „Vereinigten Staaten von Europa“ vor Augen, wird mehr und mehr infrage gestellt. War es eine „idée fausse“, wie sie einst die Kommunistische Internationale oder Kant mit seiner „Weltfriedensgemeinschaft“ pflegte? Letztere fand immerhin in Völkerbund und UNO in Ansätzen Verwirklichung – doch die rund 200 kriegerischen Auseinandersetzungen seit dem Ende des 2. Weltkriegs, der nun permanent gewordene „Krieg gegen den Terror“, die Verwerfungen in Afrika und Lateinamerika, das seit bald hundert Jahren glimmende Glutnest im Nahen Osten, jederzeit fähig einen Weltbrand auszulösen – verweisen die Hoffnung auf Weltfrieden ins Reich der Träume.

Der Kampf um Macht und Vormacht, um geistige und materielle Ressourcen, um Einfluss und Profit wird in unserer Welt und auch unter den Völkern Europas nie enden. Sie in einem „Europa der Vaterländer“ zusammenzuhalten, sie auf ihre Facon leben zu lassen und in Fragen des gemeinsamen Interesses zur Kooperation zu bringen, das erscheint viel richtiger und wichtiger als krampfhaft eine Währungs- und neuerdings Fiskalunion gegen den Willen der Völker durchzusetzen. Die EU sollte eine Allianz sein, „that understands and values national identity and sees the diversity of Europe’s nations as source of strength,” sprach der britische Premier David Cameron am 14. November wohl fast allen europäischen Völkern aus dem Herzen.

Die Systemkrise von EU, Euro und Banken führte bereits zu solchen Betitelungen, wie „der Euro kollabiert“, „die Europäische Union zerfällt“, „Europa schafft sich ab“, „der gemeinsame Markt wird als Bedrohung empfunden“, „Demokratie ist Ramsch“, „Chaos droht“. Der Zweifel an der Zweckmäßigkeit unseres, auf EU und Euro ausgerichteten politischen Systems wächst und füllt sogar schon die Spalten der Massenmedien.

Glaubensabfall als Wurzel allen Übels

Dieser Zweifel hängt wohl damit zusammen, dass uns die Maßstäbe der Unterscheidung abhanden gekommen sind, was denn nun eigentlich richtig oder unrichtig, wahr oder falsch, dem Gemeinwohl förderlich oder abträglich, dem Bürger zumutbar oder unzumutbar, moralisch vertretbar oder unvertretbar, gerecht oder ungerecht ist. Wegen des Vorrangs von Moral und Ethik vor Politik und Finanz ist die Wurzel unserer „systemischen Krise“ in der Erschütterung unseres Wertesystems zu suchen und zu finden.

Wenn Staatschefs Recht und Verfassung brechen, Finanzminister Steuern hinterziehen und sich an der Geldwäsche beteiligen, Innenminister Lobbyismus betreiben, Verteidigungsminister für Rüstungskäufe Provisionen scheffeln, Landeshauptleute und Bürgermeister mit Derivaten spekulieren, die Bundesbahnen öffentliche Gelder statt Waggons verschieben, Gewerkschaften ihre Streikfonds ausräumen lassen, Verbund und Länder unsere Kraftwerke verhökern, unsere Großbanken das ihnen anvertraute Volksvermögen im Ausland versenken, statt im Inland zu investieren oder zu helfen, die Auslandsschulden des Staates abzubauen, Pensionskassen Angespartes verspielen, Wohnbauförderungsfonds durch Finanzwetten Verluste von hunderten Millionen Euro einfahren, dann ist die Frage berechtigt, was in unserem Staate eigentlich noch gilt? Nur noch Korruption? Nur noch Lug und Trug? Nur noch das gebrochene Wort?

Doch abgesehen von diesen Aufregern, die dank massenmedialen Echos berechtigtes Empören auslösen und unser politisches Interesse gefangen nehmen, sollten wir uns eigentlich ernstlich fragen: Was anderes als korrupte „Strukturen der Sünde“ kann denn ein Gesellschaftssystem hervorbringen, das zu seinem Motor des Fortschritts und des Wachstums „das Verlangen nach Macht und die Gier nach Profit“ (Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis) gemacht hat?

Wie kann eine Gemeinschaft auf Dauer bestehen, die sich dem Markt unterordnet und mit dem Prinzip des freien Wettbewerbs einer halsabschneiderischen Konkurrenz den Weg bereitet, der dazu führt, den Mitbewerber im Kampf um Marktanteile aus dem Markt zu drängen und ihm seine Existenzgrundlage zu nehmen? Zerreißen da nicht alle Ligaturen, welche Familien, Nachbarschaften, Gemeinden, Genossenschaften, Standesvertretungen, Kammern und Verbände zusammenhalten? Wollen wir wirklich ein individualistisches, atomistisches Gesellschaftssystem, in welchem in einem „Krieg aller gegen alle“ jeder nur sein eigenes Glück sucht und „zum Wolf des anderen“ wird? Der Gemeinsinn verloren geht und nur noch das Recht des Stärkeren und der blanke Egoismus zählen?

Das schon von Paul VI. beklagte „fehlende Sündenbewusstsein“ als Ursache der Gesellschaftskrise der Gegenwart ist die Folge der „Aufklärung“ (enlightenment, illumination) und des atheistischen Humanismus (Henri de Lubac). Wo Gott tot ist, bleibt die Würde des Menschen auf der Strecke, der Mensch wird zum „Untier“ (Ulrich Horstmann). An die Stelle von Grund- und Freiheitsrechten – für den aus langer Erfahrung urteilenden deutschen Kanzleramtsminister und typischen Repräsentanten der politischen Klasse, Roland Pofalla (CDU), sind sie ohnehin nur „Sch…“ – traten als Produkte der Aufklärung die sechs G`s: Guillotine, Genozid, Genickschuß, Gestapo, GPU, Gulag (E. v. Kuehnelt-Leddihn). Heute wird nicht einmal das primäre Menschenrecht, das Recht auf Leben, respektiert. Der Mord an den schwächsten Gliedern unserer Gesellschaft wurde legalisiert oder straffrei gestellt. Die Abstimm-Mörder auf den Parlamentsbänken ersetzten in unserem, so hoch gelobten „demokratischen System“ die Schreibtischtäter à la Eichmann. Das „System“ verlor damit seine Legitimität (Minister T. Piffl-Percevic). 

Woran sollen wir denn eigentlich jetzt noch glauben, wenn selbst Priester und kirchliche Würdenträger sich von ihrem Herrn und Meister sowie von seinen Jüngern, Aposteln, Lehrern, Heiligen und Märtyrern distanzieren, den Ungehorsam zum Prinzip erheben und mit den antichristlichen „Fürsten dieser Welt“ gemeinsame Sache machen? Wer glaubt noch an die Frohe Botschaft von der Ankunft des Reiches Gottes auf Erden und seiner Repräsentation, d.h. wörtlich „Vergegenwärtigung“, durch die Eine, vom Nachfolger des Petrus autoritativ geleitete, Heilige, Katholische und Apostolische Kirche in dieser unseren, so säkular gewordenen Welt? Und zieht sich nicht die Kirche bereits freiwillig und systematisch aus dem öffentlichen Raum zurück, der dadurch zur Beute religionsfeindlicher und mafiotischer Kräfte in Politik und Wirtschaft wird? Glaubt sie mit erbaulichem Humangeschwätz und „pastoralem Geräusch“ (Herwig Büchele, SJ) gegen diese Kräfte aufkommen zu können?

Was wir  leichthin mit „systemischer Krise“ bezeichnen und als Krise von Finanzmärkten, Banken, Währungsunion, Europäischer Union, Politik, Demokratie, Moral, Werten und Rechten erkannten, erweist sich in einem letzten Hinblick als eine veritable Glaubenskrise, in welcher der Glaube an uns selbst und an die uns „haltenden Mächte“ und Institutionen abhandenzukommen droht. Unser Nationaldichter Franz Grillparzer hat den Finger auf die eigentliche Wunde unserer ganzen gesellschaftlichen „Systemkrise“ gelegt: „Nicht Skythen und Chasaren, die einst den Glanz getilgt der Alten Welt, bedrohen unsere Zeit, nicht fremde Völker: Aus eigenem Schoß ringt los sich der Barbar, der, wenn erst ohne Zügel, alles Große, die Kunst, die Wissenschaft, den Staat die Kirche, herabstürzt von der Höhe, die sie schützt, zur Oberfläche eigener Gemeinheit – bis alles gleich, ei ja, weil alles niedrig“ (Bruderzwist in Habsburg, dritter Aufzug).

Was tun? „Erneuern? Umkehren!“, in zwei Worten faßt Peter Handke was not tut zusammen. Es geht nicht um die Erneuerung überlebter Traditionen, sondern um „das Leben aus dem, was immer gilt“. Eines nämlich ist sicher: Wer nicht ans ewige Leben glaubt und sich daran ausrichtet, hat keine Zukunft, weder als Staat, noch als Einzelner.

Der Autor lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Sein jüngstes Buch „Der Sinn der Geschichte“, erschien 2011 im Regin-Verlag, Kiel. Das Kapitel, „Kein Gott in der EU“, behandelt ausführlich die europäische Misere. Die Vernachlässigung des nationalen Interesses wird vom Autor thematisiert in: „Die Rechte der Nation“ (L. Stocker-Verlag, Graz 2002). 

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Zu spät, zu wenig rechtsverbindlich aber immerhin

15. November 2011 00:24 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Immer wieder wurde in den vergangenen zwei Jahren das große Versäumnis beklagt, dass bei Einführung des Euro keine Regelungen für den Fall der Disziplinlosigkeit oder gar Insolvenz eines Euro-Landes geschaffen worden sind. Diese Klagen waren durchaus berechtigt – scheinen aber neuerdings zum Teil überholt. Was sogar ein wenig Hoffnung in trüben Zeiten machen kann.

Denn in Wahrheit passiert jetzt in der europäischen Realität ziemlich genau das, was eine solche Insolvenzordnung vorsehen müsste: Es wird ein Insolvenz- oder Masseverwalter eingesetzt, der ein von der Gläubigerversammlung vorgegebenes Sanierungsprogramm umzusetzen hat. Genau das hätte im Grund schon von Anfang an in den EU- und Euro-Verträgen stehen müssen.

Die EU hat in den letzten Wochen und Monaten Italien, Griechenland, Irland und Portugal ein solches Programm mehr oder weniger von außen vorgegeben. Und in Italien wie Griechenland wird darüber hinaus sogar ein von Europa erwünschter Insolvenzverwalter als Regierungschef inthronisiert. Das sind zwar in beiden Fällen nationale Persönlichkeiten, aber keiner der beiden ist durch eine demokratische Wahl oder eine gewählte Partei an die Macht gekommen, sondern auf ausdrücklichen Wunsch, um nicht zu sagen massiven Druck von außen.

Also alles in Butter? In Wahrheit nicht. Man kann nie befriedigt sein, wenn sich die Dinge außerhalb der demokratischen Verfassungen und völkerrechtlichen Verträge entwickeln, wenn sich die Macht (in diesem Fall zum Glück nicht die der Gewehre, sondern nur die der Gläubiger) als stärker erweist als das Recht.

Diese Kritik hat freilich gar nichts zu tun mit jener von gewaltaffinen Organisationen wie „Attac“ gegen die "bösen" Märkte. Denn Attac&Genossen wollen ja ein totales Chaos herbeiführen, in dem de facto niemand mehr Schulden zurückzahlt, und in dem Geld ganz nach Bedarf gedruckt wird. Das Attac-Szenario führt mit Sicherheit in die gesamteuropäische Verarmung samt bürgerkriegsähnlichen Zuständen.

Zurück zur europäischen Realität: Zweifellos wäre es besser gewesen – und wäre auch heute noch besser –, würde bei Insolvenz eines Schuldnerstaates nach einem ordentlichen, rechtlich festgelegten Insolvenzrecht vorgegangen. Selbstverständlich kann ein solches Recht aber nur funktionieren, wenn es immer auch die ökonomischen Zusammenhänge und Grundrechnungsarten berücksichtigt. Es ist daher immerhin ein Fortschritt, wenn diese ökonomischen Gesetze nun zumindest de facto auf politischem Weg und zumindest teilweise Anwendung finden.

Freilich bleibt der Weg des politischen Druckes im rechtlich ungeregelten Raum immer einer ins Ungewisse. Es ist beispielsweise recht unklar, wieweit dieser Druck im notwendigen Ausmaß dauerhaft aufrechterhalten werden kann, haben doch Italien und Griechenland die Sanierungspakete bisher immer nur teilweise, halbherzig bis gar nicht umgesetzt. Und offen bleibt auch, wie lange umgekehrt die entmachteten Bürger und Wähler diese Diktatur des Auslandes hinnehmen werden. Umso klarer ist, dass es viel besser gewesen wäre, wenn Europa schon im Winter/Frühjahr 2010 Griechenland zu ganz konkreten Maßnahmen gezwungen hätte, statt sich dort eineinhalb Jahre lang am Schmäh führen zu lassen.

Dabei ist schon damals zweifelhaft gewesen, was heute noch viel ungewisser ist: Kann die Insolvenz Griechenlands und die einiger anderer Staaten (egal, ob diese nun im Einzelfall eher einem Ausgleich oder einem Konkurs nahe sind) überhaupt noch so weit aufgefangen werden, dass diese Staaten nicht über einen Dominoeffekt noch andere mit sich reißen? Dieser Dominoeffekt droht ja immer auch bei der Pleite eines Unternehmens. Bei Ausfall von Forderungen können auch an sich gesunde Gläubiger und Lieferanten plötzlich in Konkursgefahr geraten.

Gewiss ist jedenfalls, dass diese Gefahr durch die lange Zeit der Verschleppung viel größer geworden ist. Und dafür tragen Europas Regierungschefs mit Angela Merkel an der Spitze die Hauptverantwortung. Woran die kleine Erleichterung nichts ändert, dass sie wenigstens jetzt und wenigstens mit politischem Druck das zu erreichen versuchen, was schon längst rechtlich wasserdicht geregelt gehört hätte.

 

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Jubel über die Arbeitslosenzahlen

14. November 2011 01:29 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Bisweilen stoßen meine düsteren Vorahnungen für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft der Republik auf das Gegenargument: Aber unsere Arbeitslosenzahlen zählen doch europaweit noch immer zu den niedrigsten!

Das ist auf den ersten Blick trotz des Steigens der Arbeitslosigkeit durchaus richtig. Die EU misst nach gleichen Methoden in all ihren Mitgliedsländern die Arbeitslosigkeit. Und dabei kommt Österreich sehr gut weg. Zugleich scheint Arbeitslosigkeit ein ganz zentraler Indikator für die wirtschaftliche und damit auch soziale Stabilität eines Landes zu sein.

Doch die Statistik trügt an allen Enden. So wie die Griechen bei ihren Finanz-Statistiken sind wir Europarekordler bei den Job-Statistiken. Wir verstecken unsere Arbeitslosen mindestens ebenso gut, wie es die Griechen bei ihren Schulden getan haben. Um das zu beweisen genügt etwa schon die Tatsache, dass die Österreicher im Schnitt vier Jahre früher in Pension gehen, als die übrigen Europäer es tun. Würden diese vier Jahrgänge alle im Arbeitsmarkt unterwegs sein, würde die Statistik ganz anders aussehen.

Dasselbe gilt für die langen Aufenthalte an Universitäten, die junge Menschen weit länger vom Arbeitsmarkt fern halten als notwendig und als anderswo üblich. Durch den offenen Zugang werden auf den Unis junge Menschen viele Jahre lang zu teuren Kosten geparkt, die erst dann in den Ernst des Lebens wechseln, wenn sich irgendwo ein Angebot auftun sollte. Das gilt insbesondere auch für das Doktoratsstudium nach dem Magister: Dieses wird nicht einmal von zehn Prozent der Studenten mit einer Promotion abgeschlossen.

Die P- und die G-Studien

Es klingt aber viel besser, zu sagen, dass man am Doktor arbeitet, statt sich als Arbeitssuchender deklarieren zu müssen. Ähnliches gilt auch für die Magister- und Bachelor-Studenten der vielen Leichtstudien mit dem P wie Plunder. Sie können während dieser Zeit noch einmal so richtig das Leben genießen, Familienbeihilfe und Stipendien kassieren und sich auch noch richtig wichtig vorkommen. Nur verdrängen sie dabei die Tatsache, dass Österreich nicht jedes Jahr Tausende neue Politologen, Psychologen, Publizisten, Pädagogen braucht. Wenn man etwas genauer hinschaut, müsste man übrigens auch die G-Studien von Germanistik bis Geschichte in diese Gruppe einbeziehen. Viele dieser akademischen Karrieren enden in jahrelanger Projektmitarbeit und in Werkverträgen ohne Perspektiven, bis man dann halt bereit ist, etwas ganz anderes zu arbeiten, wofür man bei Gott nicht studiert hat. Wie viele „Akademiker“ das tun, wird übrigens von keiner einzigen Statistik erforscht. Das merkt man nur an Hand vieler konkreter Lebensläufe.

Nun werden viele sagen: Es ist doch immer noch besser, wenn die Menschen Plunder-Studien belegen oder jugendlich in die Pension gehen, als am Arbeitsamt zu stehen. Das ist aber in Wahrheit gar nicht besser. Denn damit wird den Menschen ja die unverzichtbare Eigenverantwortung ausgetrieben, sich selbst für die Suche nach einer Arbeit zuständig zu fühlen. Indem sie etwa die Branche wechseln. Indem sie auch im fortgeschrittenen Alter noch eine spezifische, vom Markt nachgefragte Qualifikation erwerben. Indem sie etwa gar selbständig werden. Indem sie es etwa im zweiten Lebensabschnitt eine Gehalts- und Prestigestufe niedriger geben.

Das sei an Hand eines konkreten, wenn auch für manche kontroversiellen Modells gezeigt. Es wäre für die Volkswirtschaft wie die jungen Menschen selbst viel besser und ehrlicher, würden diese jeweils obligatorische Zugangsprüfungen ablegen müssen, bevor sie in die nächst höhere Bildungsstufe aufgenommen werden. Das würde dort überschau- und berechenbare Studentenzahlen schaffen. Das würde sofort zu viel besseren Studienbedingungen und damit höherer Qualität führen. Das würde vor allem den jungen Menschen verlorene Jahre ersparen.

Denn wenn man etwa mit 15 oder 19 keine Zulassung zur Oberstufe („Sekundarstufe 2“) oder einer Hochschule schafft, wäre es eine durchaus sinnvolle Alternative, eine Fachlehre zu machen. Nach der verdient man ja meist mehr denn als gescheiterter Politologe, man hat oft ein erfüllteres Leben, und man kann zum Unterschied vom Politologen etwas zum Wohlstand der Allgemeinheit beitragen.

Mit 24 Jahren, also nach vielen Jahren am Arbeitsamt namens Universität, geht man hingegen nicht mehr den Weg in eine solche Berufsausbildung. Dabei ist dieses Alter meist der früheste Zeitpunkt, zu dem viele erst erkennen, etwas für das Berufsleben Unbrauchbares studiert zu haben.

Aber noch immer gibt es Politiker, die stolz auf dieses System der versteckten Arbeitslosigkeit sind. Und die gleichzeitig dafür plädieren, dass wir für jene Berufe, an denen wirklich Bedarf herrscht, halt gleichzeitig Ausländer zu teuren, aber ebenfalls versteckten Kosten importieren. Die wir nur leider nicht finden.

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Wie groß sind die Goldreserven der Euroländer?

13. November 2011 15:09 | Autor: Andreas Unterberger

Goldreserven der Euroländer in Milliarden Euro – Stand September 2011

 

Staat Goldreserven

Deutschland

132

Italien

95

Frankreich

94

Niederlande

24

EZB

19

Portugal

15

Spanien

11

Österreich

11

Belgien

9

Griechenland

4

Finnland

2

Slowakei

1

Zypern

0,5

Irland

0,2

Slowenien

0,1

Luxemburg

0,1

Estland

0,01

Malta

0,01

Quelle: EZB

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Adriasand in Europas Augen

13. November 2011 02:48 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Und wieder sind alle Europäer erleichtert. Italien hat nun in allen Kammern ein Sparpaket beschlossen und bekommt demnächst einen neuen Premier. Unklar ist nur noch eine Kleinigkeit: Hält die Erleichterung zwei Tage oder gar zwei Wochen?

Denn das Paket ist nett, aber alles andere als die Rettung des Landes. Trotzdem soll man zuerst einmal festhalten, dass viele der Detailbeschlüsse des Sparpakets lobenswert und notwendig sind. Dieses Lob gilt etwa für die Erhöhung des allgemeinen Pensionseintrittsalters von 65 auf 67 Jahre. Bevor man aber vor den Italienern den Hut allzu tief zieht, sollte man auch das Kleingedruckte lesen: Denn erst 2026 soll es soweit sein. Nur keine germanische Hast.

Ansonsten finden sich in dem Paket einige weitere durchaus anerkennenswerte Dinge wie Privatisierungen von Tochterunternehmen der Gemeinden (E-Werke, Wasserwerke, Verkehrsbetriebe usw.) oder der Verkauf von staatlichen Grundstücken und Gebäuden. Ferner sollen öffentliche Arbeitgeber künftig Mitarbeiter leichter an andere Stellen versetzen dürfen. Wohlgemerkt aber: Nichts von dem ist mit dem Gesetzesbeschluss schon Realität. Es ist nur ermöglicht worden. Und am Weg zur Realität lauern noch viele italienische Konfusionen.

Der Rest des Sparpakets sind einige Steuererleichterungen etwa für Firmen, die Lehrlinge aufnehmen oder die sich an Straßenbauprojekten beteiligen. Doch halt, irgendetwas ist auch da missverstanden worden: Eigentlich vergrößern Steuererleichterungen ja zumindest aufs erste Defizite, statt sie zu verkleinern. Sie sind also vorerst das Gegenteil eines Sparpakets.

Was aber vor allem den von Italien so sehr ersehnten Investoren weiterhin die meisten Hoffnungen nehmen wird: Nicht verwirklicht wurden alle tatsächlich wirksamen, jedoch schmerzhaften Maßnahmen. Dies gilt insbesondere für den von den Gewerkschaften abgelehnten Vorschlag einer Aufhebung des landesweit geltenden Verbots, Mitarbeiter zu kündigen.

 

Womit klar ist, dass italiensche Arbeitgeber weiterhin zehnmal nachdenken werden, bevor sie auch nur einen einzigen neuen Mitarbeiter anstellen. Womit die Jugendarbeitslosigkeitszahlen weiterhin zu hoch und die Sozialversicherungs- und Lohnsteuereinnahmen weiterhin zu niedrig bleiben werden. Womit wieder bewiesen ist, dass Italien noch sehr weit weg von einer echten Wende zu neuer wirtschaftlicher Dynamik ist. Womit weiterhin das Wort „Krise“ die zentrale Überschrift Italiens bleiben wird.

PS.: An den positiven Elementen des Italienpakets sollte sich im übrigen auch Österreich ein Vorbild nehmen. Aber hierzulande erhöht man wegen des tapferen Kampfes der Feministinnen gegen das Patriarchat das Frauenpensionsalter gar erst im Jahr 2033, und dann bloß auf 65 Jahre und nicht auf 67, wie es nun immer mehr europäische Länder schon getan haben. Auch Vorschläge, Betriebe der Gemeinde Wien zu privatisieren, lösen bei der SPÖ zehnmal empörtere Emotionen aus als Berichte über Massenvergewaltigungen in städtischen Kinderheimen. In Österreich werden daher selbst so relativ harmlosen Maßnahmen wie in Italien wohl erst dann stattfinden, wenn einmal auch in Wien ein Regierungschef sitzt, der von der EU und nicht den Wählern nominiert worden ist.

 

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Fürwahr zum Heulen

10. November 2011 23:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Dank BSE weiß jedes Kind,
dass Hirn und Rückgrat schädlich sind,
so reimte ich vor Jahren –
indes auch ohne BSE
gilt diese Regel mehr denn je,
wie täglich wir erfahren.

Gewiss, es steht geschrieben fein,
die Rede sei: Ja, ja, nein, nein –
nur theoretisch eben,
und der Slowake ist schon fort,
der praktisch stand zu seinem Wort!
Ja, ja, so ist’s im Leben.

Hingegen bleiben stolz im Amt
die Phrasisäer allesamt,
die laufend Mittel preisen,
die jeweils sich nach kurzer Zeit
– und grad war’s wieder mal so weit –
als wirkungslos erweisen.

Der eine fiel zwar wirklich um
und justament vorm Gremium
der Retter der Finanzen –
die werden aber ohne ihn
genauso flott auch weiterhin
kreisum Schmiertaki tanzen!

Ist nächstens, wie man ahnen kann,
bereits die Tarantella dran?
Bringt Fado erst die Wende?
Steht noch Flamenco am Programm?
Hüpft hüftentief im Schuldenschlamm
man gar Cancan am Ende?

Na jedenfalls, man ist gewählt,
und ob nun Hirn, ob Rückgrat fehlt,
es droht gleichwohl kein Keulen –
doch klares Wort und wahre Tat,
die sind heut’ glatter Hochverrat!
Fürwahr, es ist zum Heulen…

Pannonicus

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Welche neuen Taten setzen die Piraten?

08. November 2011 01:55 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Nichts geht mehr. Diese Erkenntnis führt immer mehr Länder Europas in vorzeitige Neuwahlen. Nach diesen wird freilich auch nicht mehr gehen als heute. Anderswo häufen sich die Neugründungen von Parteien so sehr, dass niemand mehr den Überblick über die vielen Begehren, Initiativen, Gruppierungen hat, die von frustrierten Altpolitikern und von zu recht Empörten gegründet worden sind. Keine einzige davon kommt wirklich über den Mief verrauchter Hinterzimmer heraus – mit einer einzigen, völlig unerwarteten Ausnahme: Das sind die Piraten, die in einigen Ländern plötzlich an die zehn Prozent Unterstützung haben. Was sind die nun wirklich wert? Und: Muss man sich vor ihnen fürchten?

Mit einem Satz: Vieles an ihnen ist überraschend frisch, fast befreiend; etliches ist völlig unklar; und manches ist unerfreulich.

Es ist spannend, die Piraten mit den eine Generation davor gegründeten Parteien zu vergleichen. Das sind die europäischen Grünparteien, die heute alt geworden sind, jedoch die Redaktionsstuben sowie Universitätsinstitute mit massiven Mehrheiten beherrschen. Auch die 68er Bewegung schien anfangs befreiend zu wirken, wenngleich von Anfang an ihre Nähe zu Gewalttaten und zu totalitär-marxistischem Gedankengut sehr bedenklich war.

Inzwischen ist von dem frischen Wind der Grün und Alternativ-Bewegung nichts mehr zu spüren. Sie kämpfen im Gegenteil heute praktisch nur noch für eine Einschränkung der Gedanken- und Handlungsfreiheit. Sie tun dies auf eine zelotische Art und Weise, die an die mariatheresianischen Kontrollen des Kirchganges erinnert.

Alleine der grüne Sprachterror in Sachen Genderismus und Politisch Korrekten Wörtern, die man anstelle böser unkorrekter Wörter verwenden soll, stößt freiheitsliebenden (und sprachsensiblen) Menschen sauer auf. Ganze Bibliotheken lassen sich mit grünen Vorschriften füllen, was man alles nicht essen darf (vom Fleisch bis zu importiertem Obst), welche Kleidung man nicht tragen darf (vom Pelz bis zu Kunststoffen), was man alles nicht kaufen darf (von Glühlampen bis zu benzingetriebenen Autos), was man alles keinesfalls tun darf (vom Fliegen bis zum Wählen irgendwelcher Parteien, die nicht grün oder rot und daher a priori faschistisch sind), was alles zu bekämpfen ist (von jedem Straßenbau bis zu jedem Flugplatz).

Während die Grünen in den 70er und 80er Jahren das Schulsystem noch mit einigen spannenden Alternativschulprojekten bereichert haben, sind sie heute verbiesterte Anhänger einer neunjährigen zwangsweisen Einheitsschule. Während sie einst für die sexuelle „Befreiung“ – eigentlich Promiskuität – gekämpft haben, sind sie heute puritanische Exponenten eines ergrauten Radikalfeminismus, der fast den Eindruck erweckt, am liebsten alle Männer kastrieren zu wollen. Während sie in ihrer Jugend selbst des öfteren heftig mit dem Strafgesetz kollidiert haben, sind sie heute ständig als Denunzianten unterwegs, die am liebsten täglich eine Strafanzeige erstatten.

Kein Wunder, dass sich eine junge Generation gelangweilt von einer alten und fast totalitär anmutenden Bewegung abwendet. Daran kann nicht einmal das letzte Relikt etwas ändern, das an die wilden grünen Jahre erinnert, nämlich das grüne Engagement für Drogenkonsum. Am Versiechen der Grünen ändert auch ihre kurzfristige Wiederbelebung nichts, die einige Wochen lang durch die panikmachenden Schlagzeilen der Medien in Sachen Fukushima ausgelöst worden ist.

Rote oder schwarze Parteien können diese Abenddämmerung der erfolgreich durch die Institutionen marschierten und jetzt der Pensionierung entgegenjammernden Grünen nicht nutzen. Sie sind dazu selbst viel zu stark von grünem Gedankengut durchdrungen.

Profitiert haben viel stärker jene Bewegungen, die als Rechtspopulisten zusammengefasst werden. Sie können in der Jugend durch den Mut punkten, mit dem sie die Megaprobleme durch Zuwanderung und Islamismus ansprechen, die von rot-grün-linksliberal-christlichen Gutmenschen total verdrängt und geleugnet werden.

Und in jenen Ländern wie Deutschland, wo der Rechtspopulismus keine Sammelbecken gefunden hat, erfüllen die Piraten eine ähnliche Funktion. Freilich ist ihr Hauptanliegen, mit dem sie über Nacht relevant geworden sind, nicht das Ausländerthema, sondern die Computerfreiheit. Noch auffälliger ist, dass sie sich ganz an den traditionellen politischen Kanälen vorbei strukturiert haben: Weder Plakate, Broschüren noch Zeitungen, weder Demonstrationen, NGOs, Sozialpartner noch Promis haben ihr Aufblühen begleitet.

Die Piraten erfrischen noch aus weiteren Gründen: So sind sie absolut gegen den feministischen Quotenschwachsinn, der von den Grünen ausgehend über die Roten nun auch schon die Schwarzen erreicht hat. So strahlen sie mehr Humor und Lockerheit als alle anderen Parteien aus. So akzeptieren sie Mitglieder, die davor im pubertären Suchen nach möglichst provokativen Attitüden etwa auch bei neonazistischen Gruppen angestreift haben. So lassen sie viele für die alten Parteien zentrale Themen wie den Afghanistankrieg thematisch einfach links liegen. So wissen sie nicht einmal mit den Begriffen „links“ und „rechts“ etwas anzufangen.

Alleine dieser Verzicht, zu jedem Thema eine von oben bis unten durchdeklinierte Meinung zu haben, ist nicht nur jugendlich, sondern auch angenehm – und ehrlich. Wird doch bei den anderen Parteien die durchdeklinierte Meinung ohnedies nach Belieben und Wahltaktik geändert. Man denke in Österreich etwa nur an die wilden roten Wendungen in Sachen Wehrpflicht, die schwarzen in Sachen Neutralität, oder die blauen in Sachen Flat tax.

Dieser frische Wind der Piraten weht zweifellos viele junge Menschen wieder in die politische Welt zurück, die zuletzt eher zum desinteressierten Nichtwählen tendiert haben.

Sie sind natürlich eine reine Generationenpartei. Sie identifizieren sich primär nicht wie die Grünen durch nächtelange Pseudo-Basisdemokratie in verrauchten Hörsälen, sondern durch ihre elektronischen Kommunikationsformen. So wie etwa auch jede Generation ihren eigenen Musikstil entwickelt hat, entwickelt jede Generation auch politische Moden. Sie tut dies auch deshalb, um sich selbst definieren und von der Vorgängergeneration abheben zu können. Man denke nur an die 20er Jahre mit ihren roten Jugendmoden, die 30er mit ihren braunen, die Nachkriegszeit mit ihren schwarzen, die dann wieder von Rot und Grün und Rechtspopulisten abgelöst wurden.

Was freilich nicht bedeutet, dass jemals eine Generation zur Gänze irgendeinem Trend gefolgt wäre. Es geht natürlich immer nur um relative Veränderungen der Einstellung einer bestimmten Alterskohorte. Daher hat es während aller Grün- oder Piraten-Moden immer auch rot oder schwarz fühlende Jugendliche gegeben.

Klar sollte auch schon jetzt sein, dass die Piraten-Mode eines Tages wieder vorbei sein wird; dass sich die Gruppierung vielleicht phasenweise in eher rechte und eher linke Piraterie aufspalten wird; dass die Piraten wohl schon in einem Jahr wieder ganz anders aussehen werden als heute; und dass sie sehr rasch ihre Ausstrahlung verlieren werden, sobald sie irgendwo in die politische Machtbeteiligung hineingeraten sind. Auch die Piraten werden einmal erwachsen werden und draufkommen, dass politische Entscheidungen eine ernstere und mühsamere Angelegenheit sind als ein Piratenkostüm auf einem Faschingsfest.

Und natürlich ist auch ihr eigentliches Thema, die Computerfreiheit, nicht nur positiv zu sehen. Denn angesichts der überwiegend männlichen und von nächtlichem Surfen und Twittern und Facebooken blassen Burschengesichter geht man wohl nicht ganz fehl in der Annahme, dass wir hier nicht zuletzt eine Interessenvertretung jener jungen Männer haben, die möglichst ungehindert elektronische Pornographie konsumieren wollen. Das ist zwar ein altersbedingt und hormonell vielleicht erklärbares Anliegen, stellt aber keine wirkliche Bereicherung der Menschheit dar.

Dennoch ist der Kampf für Computerfreiheit ein wichtiges Signal: Hat doch in den letzten Jahren die politisch korrekte Einengung auch das Internet zu erfassen begonnen. Die Polizei sucht mit elektronischer Überwachung nach Kinderporno-Konsumenten; hochentwickelte Software screent alle Foren und Chatrooms nach bösen Worten ab, die man als rechtsradikal kriminalisieren kann.

Damit wird einer ohnedies sehr an den Rand gedrängten jungen Generation einer der letzten Fluchträume genommen, wo sie tun und denken konnte, was sie wollte. Die Jungen haben zwar nicht mehr die Kraft oder die Lust zu Demonstrationen – die künstlich geschürte Medieneuphorie über die angeblich 99 Prozent Sympathisanten der „Besetzt-die-Wallstreet“-Zeltlager ist ja nur ein später Nachklatsch des Medien-Aktionismus der Jahre nach 1968. Aber die Jungen haben sich dafür schnelle und erstaunlich effiziente Organisations-Kanäle geschaffen, mit denen sie über Nacht zu einem politischen Faktor geworden sind.

Am schmerzhaftesten sind sie für die Grünen. Erstens weil diese nun zum zweiten Mal (nach dem Rechtspopulismus, der ja auch noch blüht) ihr einstiges Abonnement auf die jungen Stimmen verloren haben. Und zweitens weil sich die Aktivität der Piraten gegen eine tragende Kerngruppe der Grünen richtet: nämlich gegen die Kunstszene, also jene Menschen, die mit meist möchtegern-progressiver Musik viel Geld machen. Die Piraten wollen aber jede Form von Raubkopien straffrei machen. Das ließe  die grüne U-Musik-Szene über Nacht verarmen .

Die Piraten haben auch die viel modernere Form der innerparteilichen Demokratie als die Grünen. Online-Entscheidungen sind schnell, objektiv und transparent. Dies gilt vor allem im Vergleich zur grünen Basisdemokratie, bei der sich immer jene Gruppe durchsetzt, die am geschlossensten halbe Nächte in verrauchten und zerredeten Hörsälen durchhält, bis sie die Mehrheit hat. Das bringt naturgemäß weder qualitativ noch quantitativ brauchbare Ergebnisse.

Die Grünen haben in Österreich sogar die Möglichkeit der Online-Wahl der Hochschülerschaft bekämpft. Was bei vielen jungen Menschen als ziemlich steinzeitlich angekommen ist.

Ganz sicher sind die Piraten jedenfalls nichts, vor dem man sich fürchten müsste. Im Vergleich mit den Grünen schon gar nicht.

Was hält nun der wertkonservativ-liberale Tagebuchschreiber selbst von den Piraten? Nun, mit Werten wie Heimat, Leistung oder Familie haben diese nicht allzu viel am Hut – sie scheinen diese Werte aber auch nicht so hasserfüllt zu bekämpfen, wie dies Rot und Grün tun. Umso mehr haben die Piraten mit dem Wort „Freiheit“ zu tun. Das lässt zumindest die liberale Hälfte meines Herzens jubeln. Auch wenn ich kein Anhänger von Urheberrechtsdiebstahl und Pornographie bin, fürchte ich mich doch mehr vor der in jeden Computer hineinspionierenden Staatsgewalt.

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Europas Realität ist stärker als Verträge

08. November 2011 00:57 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Wie oft wurde in den vergangenen zwei Jahren das große Versäumnis beklagt, dass bei Einführung des Euro keine Regelungen für den Fall der Disziplinlosigkeit oder gar Insolvenz eines Euro-Landes geschaffen worden sind. Diese Klagen waren durchaus berechtigt – scheinen aber neuerdings weitgehend überholt. Was sogar ein wenig Hoffnung in trüben Zeiten machen kann.

Denn in Wahrheit passiert jetzt in der europäischen Realität ziemlich genau das, was eine solche Insolvenzordnung vorsehen müsste: Es wird ein Insolvenz- oder Masseverwalter eingesetzt, der ein von der Gläubigerversammlung vorgegebenes Sanierungsprogramm umzusetzen hat. Nichts anderes hätte schon von Anfang an in den EU- und Euro-Verträgen stehen müssen.

Die EU hat in den letzten Wochen und Monaten Italien, Griechenland, Irland und Portugal ein solches Programm mehr oder weniger von außen vorgegeben. Und in Italien wie Griechenland wird darüber hinaus gerade ein von Europa erwünschter Insolvenzverwalter als Regierungschef inthronisiert. Das sind zwar in beiden Fällen nationale Persönlichkeiten, aber keiner der beiden ist durch eine demokratische Wahl oder eine Partei an die Macht gekommen, sondern auf ausdrücklichen Wunsch, um nicht zu sagen massiven Druck von außen. Und in Irland wie Portugal haben die Wähler gleich selbst einen Masseverwalter gewählt, der das jeweils vorgegebene Sanierungs-Programm ordentlich abspult.

Also alles in Butter? In Wahrheit nicht. Man kann man nie befriedigt, wenn sich die Dinge außerhalb der demokratischen Verfassungen und völkerrechtlichen Verträge entwickeln, wenn sich die Macht (in diesem Fall zum Glück nicht die der Gewehre, sondern nur die der Gläubiger) als stärker erweist als das Recht.

Diese Kritik hat freilich gar nichts zu tun mit jener von gewaltaffinen Organisationen wie „Attac“ gegen die bösen Märkte. Denn Attac&Genossen wollen ja ein totales Chaos herbeiführen, in dem de facto niemand mehr Schulden zurückzahlt, und in dem Geld ganz nach Bedarf gedruckt wird. DasAttac-Szenario führt mit Sicherheit in die gesamteuropäische Verarmung samt bürgerkriegsähnlichen Zuständen.

Zurück zur europäischen Realität: Natürlich wäre es besser gewesen – und wäre auch heute noch besser –, würde bei Insolvenz eines Schuldnerstaates nach einem ordentlichen, rechtlich festgelegten Insolvenzrecht vorgegangen. Selbstverständlich kann ein solches Recht nur funktionieren, wenn es immer auch die ökonomischen Zusammenhängen und Grundrechnungsarten berücksichtigt.

Es ist aber immerhin erfreulich, wenn diese ökonomischen Gesetze nun zumindest auf politischem Weg und zumindest teilweise Anwendung finden.

Freilich bleibt der Weg des politischen Druckes im rechtlich ungeregelten Raum immer einer ins Ungewisse. Es ist beispielsweise recht unklar, wieweit dieser Druck im notwendigen Ausmaß aufrechterhalten werden kann, haben doch Italien und Griechenland die Sanierungspakete noch immer nur teilweise, halbherzig bis gar nicht umgsetzt. Und offen bleibt auch, wie lange umgekehrt die entmachteten Bürger und Wähler diese Diktatur des Auslandes hinnehmen werden. Umso klarer ist, dass es viel besser gewesen wäre, wenn Europa schon im Winter/Frühjahr 2010 Griechenland zu ganz konkreten Maßnahmen gezwungen hätte, statt sich dort eineinhalb Jahre lang am Schmäh führen zu lassen.

Dabei wäre schon damals zweifelhaft gewesen, was heute noch viel ungewisser ist: Kann die Insolvenz Griechenlands und die einiger anderer Staaten (egal, ob diese nun im Einzelfall eher einem Ausgleich oder einem Konkurs nahe sind) noch so weit aufgefangen werden, dass sie nicht über einen Dominoeffekt doch noch andere mit sich reißt? Das passiert ja auch bei der Pleite eines Unternehmens, dass bei Ausfall der fälligen Zahlungen etliche an sich gesunde Gläubiger und Lieferanten plötzlich auch in Konkursgefahr geraten.

Gewiss ist eben nur, dass diese Gefahr durch die lange Zeit der Verschleppung viel größer geworden ist. Und dafür tragen Europas Regierungschefs mit Angela Merkel die Hauptverantwortung.

 

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Was aber ist damit gelöst?

07. November 2011 01:00 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Jetzt halt eine neue griechische Regierung ohne Herrn Papandreou. Und dann halt bald auch eine neue italienische Regierung ohne Herrn Berlusconi. Was aber ist damit gelöst?

Natürlich bringen neue Namen noch gar nichts außer spannend klingenden Zeitungsschlagzeilen. In beiden Ländern hat sich nämlich die Opposition, die jetzt da und dort wohl mehr mitreden wird, bisher noch viel weniger gewillt gezeigt zu sparen als die nun abgehenden Regierungschefs. Die Neubildungen von Regierungen sind daher in Wahrheit wieder einmal bloße Scheinaktionen, die aber genau der kurzsichtigen und oberflächlichen Denk- und Reaktionswelt der politisch-journalistischen Klassen entsprechen. An den eigentlichen Problemen der Länder ist damit noch gar nichts gelöst. Und es bleibt zu hoffen, dass Angela Merkel das auch erkennt (was sie natürlich schon vor zwei Jahren erkennen hätte müssen).

In Italien wird die notwendige Kursänderung wohl noch viel schwieriger als in Griechenland. Denn in Italien herrscht noch viel weniger Einsicht in die dringende Notwendigkeit zu handeln; in Rom ist die Opposition noch viel mehr zerstritten als bei den Hellenen; in Rom gibt es auch keinen klaren Oppositionsführer; dafür gibt es dort viele völlig unrealistische Parolen von Gewerkschaften und Linken, wie man ohne schmerzhafte Einschnitte wieder einmal auf italienische Art davonkommen könne.

Und vor allem glauben in Italien und im Ausland allzu viele, dass das Hauptproblem des Landes Berlusconi heißt. Was ein arger Irrtum ist – selbst wenn all die Korruptions- und Sex-Geschichten stimmen sollten, die ihm vorgehalten werden.

Denn immerhin war Berlusconi bisher der einzige italienische Nachkriegspolitiker, der das ewige römische Theater der halbjährlich wechselnden Regierungen mit ständigen Krisen beenden oder zumindest auf viele Jahre unterbrechen hat können. Er hat es auch geschafft, die Staatsverschuldung des Landes im Gegensatz zu all seinen Vorgängern seit Jahren nicht mehr signifikant ansteigen zu lassen. Was bei aller Lächerlichkeit seiner von Schönheitschirurgen geformten Erscheinung als Leistung anerkannt werden sollte.

Natürlich ist es richtig, dass Berlusconis Person längst eine Zumutung war. Natürlich ist das Halten der Staatsverschuldung längst nicht mehr ausreichend, weil die potenziellen Geldgeber inzwischen bei einem so hohen Schuldenniveau eines Staates viel misstrauischer geworden sind, als sie es früher waren. Aber ebenso richtig ist, dass ohne Berlusconi das Chaos noch viel größer werden wird, weil in Italien Politik nur als ein – wenn auch sehr emotional exekutiertes – Spiel verstanden wird, in dem die wirkliche Welt höchstens eine Nebenrolle spielen darf.

Daher wird von der italienischen Linken inhaltlich ja auch nur gegen die demütigenden Sparauflagen gewettert, die man dem stolzen Land nicht zumuten könne. Von einer echten Sanierungsbereitschaft ist da keinerlei Rede, geschweige denn von einer Schuldeinsicht in die früher von allen linken und christdemokratischen Regierungen verursachte Finanzpolitik, die ja die eigentliche Wurzel des Problems ist.

Umso widerlicher ist es, wenn auch Spitzenpolitiker der deutschen Sozialdemokraten bei Demonstrationen der italienischen Linken gegen Berlusconi auftreten und dort den Italienern nicht etwa Sparnotwendigkeiten verdeutlichen, sondern ihnen billigste Sündenbockrhetorik servieren: Schuld an dem Schlammassel seien die neoliberalen Finanzmärkte, denen der Kampf angesagt werden müsse. Sigmar Gabriel rief in Rom sogar wörtlich zum Kampf "für die Rückkehr der Demokratie und gegen die Herrschaft der Finanzmärkte" auf. Ob er das wenigstens selber glaubt, dass die demokratisch gewählten italienischen Regierungen und Parlamente nichts mit den gigantischen Schulden ihrer Länder zu tun haben, sondern irgendwelche finsteren Mächte? Ob die deutschen Steuerzahler erkennen, dass sie selbst in Wahrheit diese bösen Finanzmärkte sind? Begreifen  die Linken denn noch immer gar nichts oder ist das alles nur ein zynisch-populistisches Spiel mit der Wahrheit und den Wähleremotionen?

Eine „Rettung“ Italiens kann sich Europa im Gegensatz zu jener Griechenlands jedenfalls ganz sicher nicht mehr leisten.

Nachträgliche Ergänzung: Aber auch die Griechen sind eine einzige Provokation: Statt sanieren machen sie jetzt einmal Neuwahlen. Aber um diese durchzuführen brauchen sie dreieinhalb Monate. Und dann wahrscheinlich noch einmal so lang für eine Regierungsbildung. Derweil wollen sie wahrscheinlich wieder einmal auf Kosten der lieben Miteuropäer leben. Eine Provokation? Aber nicht doch, nur schlau, solange Resteuropa so zahnlos agiert.

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Welche Europäer sind am häufigsten im Krankenhaus?

04. November 2011 19:21 | Autor: Andreas Unterberger

Krankenhausaufnahmerate ausgewählter EU-Staaten in Prozent (2008)

 

Quelle: "Quo vadis, Austria?", Industriellenvereinigung

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Fußnote 230: Europa zurück in der Depression

04. November 2011 01:03 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

„Keine Details! welches Stück?“ lautet die vielleicht berühmteste Theateranekdote über die Frage eines steckengebliebenen Schauspielers an den Souffleur. Nicht viel anders lautet die verzweifelte Frage der europäischen Bürger an die politische Klasse.

Griechenland macht nun offenbar doch kein Referendum – das heißt aber noch lange nicht, dass klar wäre, das Land würde auch die Spar-Bedingungen der anderen Europäer auf Punkt und Beistrich erfüllen. Griechenland macht vielleicht eine große Koalition – aber darüber wird jetzt wohl wochenlang gefeilscht. Damit sind wir wieder drei Schritte zurück. Die kurzzeitige Hoffnung, dass mit einem Referendum endlich der europäische Knoten durchschlagen würde, haben sich nach 48 Stunden wieder zerschlagen. Jetzt gibt es wieder nur Weiterwursteln, keine Klarheit, weder so noch so. In diese Rückkehr in die depressive Stimmung passt auch die erste Maßnahme des neuen EZB-Chefs: Die Zinsen werden völlig überraschend gesenkt. Damit wird noch billigeres Geld den Schuldenmachern wieder ein wenig neue Luft verschaffen. Und scheinbar ganz unbeabsichtigt wird durch eine solche Maßnahme auch die Bahn  für die Inflation noch besser bereitet, mit der die Staaten ihre Schulden entsorgen können. Wundert sich eigentlich jemand, dass genau solches passiert, wenn man ausgerechnet einen Italiener zum obersten Währungshüter macht?

 

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Tücken der Buchhaltung

03. November 2011 23:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Viele Sprüche und Devisen
stammen aus der Handwerkswelt,
und natürlich zählt zu diesen
auch, dass doppelt besser hält.

Zwar kann doppeltes Verneinen
eigentlich Bejahung sein,
ohne wirklich so zu scheinen –
und pardauz, schon fällt man rein.

Aber doppelt Buch zu halten
hat sich, wie Erfahrung lehrt,
beim Verwalten und Gestalten
von Betrieben sehr bewährt.

Etwas doppelt zu verbuchen
sorgt hingegen für Verdruss,
weil man dann beim Fehlersuchen
Arbeitszeit verplempern muss.

Und verwechselt wer in der Eile
Soll und Haben gar und ganz,
wär’ durch diese Buchungszeile
doppelt falsch die Schlussbilanz!

Na, selbst manche, die verschlagen,
tun sich schwer, auch einzusehn,
dass bei Banken Spareinlagen
auf der Haben-Seite stehn.

Ist zusammen mit Aktiven
Eigenkapital im Soll,
halten sowas die Naiven
noch für positiv und toll!

Wär’ indes kein Grund zu spaßen,
denn beim Eigenkapital
wie beim AIDS-Test gleichermaßen
ist just positiv fatal.

Doch wir sehn, bei großen Zahlen
zählen kleine Nullen nicht –
grad wie wenn in freien Wahlen
scheinbar Volkes Stimme spricht.

Und so schaffen’s große Nullen,
andre immer wieder flott
mit Schimären einzulullen –
wenigst bis zum Staatsbankrott…

Pannonicus

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Wie hoch sind die Staatsquoten weltweit?

03. November 2011 18:12 | Autor: Andreas Unterberger

Staatsquoten in ausgewählten Staaten in Prozent des BIP (2009)

 

Laut jüngsten EU-Berechnungen hat Österreich mit mittlerweile 44,1 Prozent des BIP (2010) bereits Finnland und Italien überholt und weist damit die zweithöchste Steuer- und Abgabenquote unter den Euro-Mitgliedsstaaten aus (ohne Dänemark und Schweden).

Quelle: "Quo vadis, Austria?", Industriellenvereinigung

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Hurra, Europa entdeckt sein Rückgrat!

03. November 2011 01:08 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die Dinge spitzen sich nun von Tag zu Tag zu. Und das ist gut für Europa. Nach zwei Jahren des Herumeierns rund um die Schuldenkrise und der Unfähigkeit vieler  Staaten, die explodierenden Wohlfahrtsausgaben zu beschneiden, ist es jetzt erstmals offiziell: Vorerst gibt es kein Geld für die Griechen und statt dessen gleichzeitig den deutlichen Hinweis, dass das Land doch den Euro-Raum verlassen könne.

Der griechische Beschluss, über das Sparpaket ein Referendum abzuhalten, hat endlich eine klare Reaktion gebracht: Ausgesprochen wurde es durch das EU-Führungsduo Angela Merkel und Nicolas Sarkozy. Und natürlich nicht durch die diversen Herren in Brüssel, die sich „Präsident“ nennen, und schon gar nicht durch den „Europäischen Rat“ der Regierungschefs, sitzen doch dort ahnungslose Langweiler wie etwa ein Werner Faymann.

Merkel und Sarkozy haben ganz überraschend verkündet, dass die Griechen vor ihrem Referendum nicht einmal die schon fix beschlossen gewesenen acht Milliarden Euro bekommen werden (ohne die Athen übrigens nach früheren offiziellen Angaben eigentlich schon seit September pleite hätte sein sollte). Und die beiden haben überdies klar ausgesprochen, dass es für die Griechen bei der Volksabstimmung um einen Verbleib in der Euro-Zone gehe. Die inselreichen Schlaumeier hatten ja ein Referendum geplant, bei dem es nur um die Sparpakete gehen sollte, während die Euro-Mitgliedschaft unangetastet bleibt..

So nicht!, haben ihnen jetzt die beiden Europa-Chefs zugerufen. Ihr Griechen müsst entweder alle beschlossenen Sparmaßnahmen umsetzen oder wir lassen euch bankrott gehen – samt der dringenden Empfehlung, euch künftig eine eigene Währung zu suchen.

Eineinhalb Jahre haben wir auf solche – eigentlich selbstverständlichen – Sätze gewartet. Aber immerhin: Besser spät als gar nicht. Natürlich sind diese Ankündigungen deshalb gemacht worden, um Druck auf die griechischen Wähler auszuüben, die den Euro sehr wohl wollen, die keinen Staatscrash wollen, die aber auch nicht mehr weiter sparen wollen.

Dennoch erscheint es fast unvorstellbar, dass die EU-Länder nach einem Nein der Griechen zum Sparkurs wieder zurückrudern könnten und den Griechen am Ende doch wieder neues Geld geben. Fast zwei Jahre der weichen Unentschlossenheit sind wirklich genug, sie sind vor allem längst unfinanzierbar geworden.

Merkel/Sarkozy werden aber möglicherweise auch bald mit einem anderen EU-Land bald Klartext reden müssen, nämlich Italien. Denn dort wird ständig von Reformen geredet, es werden aber nie welche gemacht.

Vielleicht erwacht dieses Europa doch noch in letzter Minute und bekommt eine ernstzunehmende politische Führung – auch wenn wir uns Europa einst nicht gerade als deutsch-französisches Duumvirat vorgestellt hatten.

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Was heißt hier freiwillig?

03. November 2011 00:26 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die Börsen haben gejubelt wie selten, viele Wirtschaftsprofessoren sind hingegen skeptisch: Ein seltsamer Widerspruch prägte die Reaktionen auf den EU-Gipfel. Geben damit nicht die Börsen dem Eigenlob der Regierungschefs recht, die (wieder) die Rettung des Euro verkündet haben?

Dieser Widerspruch klärt sich leicht. Erstens agieren Börsen kurzfristig und schwanken immer heftig zwischen himmelhochjauchzend und zutodebetrübt, während seriöse Ökonomen langfristig denken. Zweitens aber zeigen die Börsen die Entwicklung der Aktienkurse. Und es ist logisch, Aktien zu kaufen, wenn man Staatsanleihen als wacklig ansieht. Irgendwo muss man ja das Geld anlegen, das derzeit – der Schuldenpolitik sei „Dank“ – noch im Übermaß herumschwappt. Langfristig werden freilich auch Aktiengesellschaften schwer leiden. Niemand kann sich ja erwarten, dass es keine unangenehmen Folgen für alle hätte, wenn nun die Rechnung für die lustigen Jahre zu zahlen ist, in denen man die Wähler durch immer üppigere Wohlfahrtssysteme auf Pump bei Laune halten konnte.

Bevor das alles den Kurzfrist-Euphorikern so richtig ins Bewusstsein kommt, könnten wir alle über etwas anderes nachdenken: Was heißt eigentlich „freiwillig“? Der „freiwillige“ Verzicht der Banken auf die Hälfte ihrer Forderungen an Griechenland ist vielmehr eine zwingende Folge der griechischen Zahlungsunfähigkeit. Jeder Banker, der etwas verschenkt, gehörte ja vor Gericht.

Warum aber müssen die Banken verzichten, die Staaten jedoch nicht? Dass Privateigentum heftig bluten muss, jedoch die Politik mit ihren vielen sinnlosen Ausgaben und ihren unproduktiven Apparaten privilegiert wird, ist brutale Gewalt. Banken und Privatanleger werden logischerweise darauf reagieren: Seit sie erlebt haben, wie mit ihnen umgegangen wird, werden sie ihr Geld nur noch sehr ungern einem Staat borgen. Auch wenn Politiker und populistische Medien sie dafür wieder als Spekulanten beschimpfen.

Daher wird auch die vielgetadelte Hebelung des EFSF noch sehr fragwürdig. Diese von den europäischen Steuerzahlern finanzierte „Fazilität“ will ja Griechenland, Italien & Co nicht direkt Geld borgen, sondern sie will damit nur Kredite bei Dritten absichern. Das jedoch nur zu einem kleinen Teil, etwa 20 Prozent; dadurch könnte das Kreditvolumen verfünffacht werden. Für den Rest haftet wieder nur der Schuldnerstaat selber. Das aber lässt heftig zweifeln, ob der Hebel greift, ob dieser EFSF irgendwo zwischen Europa und China noch genug Geldgeber findet. Wären die dann doch wirkliche Spekulanten.

Die europäischen Steuerzahler jedenfalls sind jetzt schon betrogen. Denn diese Hebelung, die man lange geheim gehalten hat, macht es viel unwahrscheinlicher, dass sie jemals ihr Geld zurückbekommen, dass ihre Haftungen nur Theorie bleiben. Das hat uns nur die Politik einzureden versucht.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

 

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Angela M. – Mythos statt Merkel

02. November 2011 00:32 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Eigentlich müsste sich Angela Merkel jetzt fürchten. Denn in Politik wie Wirtschaft ist es fast schon eine eherne Regel: Wer von den Medien in den Himmel gehoben wird, stürzt danach umso steiler ab. Die „Männer des Jahres“, die im Jahr darauf kaputt waren, sind heute jedenfalls schon Legion. Und es gibt keinen zwingenden Grund, dass dieses Risiko bei jener Frau anders sein sollte, die derzeit ringsum als die große Siegerin der jüngsten EU-Entscheidungen verkauft wird.

Dabei hat Merkel durchaus sympathische Eigenschaften. Sie denkt bedächtig nach und verkörpert nicht den Macho-Typ eines Politikers, der ständig den Eindruck erweckt, dass er mit einer einzigen Anordnung die Welt neu ordnen könnte. So haben sich zwar immer wieder vor allem romanische Politiker nach Art eines Sarkozy oder Berlusconi zu inszenieren versucht – stehen aber heute als Gescheiterte und Getriebene da.

Merkel ist auch viel zu klug, um den gegenwärtigen Medien-Hype um ihre Person allzu ernst zu nehmen. Sie weiß, wie schnell das wieder vorbei geht und dass die Medien in ihrer Oberflächlichkeit wieder einen neuen Helden durchs Dorf treiben werden. Sie weiß aber auch, dass trotz der netten Schlagzeilen der letzten Tage ihre gesamte Politik in der Schuldenkrise bei der Bevölkerung sehr unpopulär ist. Sie weiß, dass ihre Koalition so gut wie keine Chance hat, auch nur in die Nähe einer Wiederbestätigung beim nächsten Wahltag zu kommen. Sie weiß, dass vor allem die zwei kleineren Parteien in dieser Koalition angesichts verheerender Umfragen und nahender bayrischer Wahlen zunehmend schwieriger werden.

Die deutsche Bundeskanzlerin hat in den letzten Wochen eine klare Wendung gemacht: Sie agiert erkennbar großkoalitionär und sucht bei jeder großen Entscheidung den Schulterschluss mit den eigentlich oppositionellen Sozialdemokraten. Den gleichen Kurs wie die SPD zu fahren bringt ihr wenigstens in den überwiegend linken Medien Sympathien ein.

Merkel hatte in Wahrheit immer schon eine starke sozialdemokratische Prägung. Mutige liberale Reformen waren ihr nie ein Herzensanliegen (genau so wenig wie wertkonservative Themen), daher hat die schwarz-gelbe Regierung von der ersten Stunde an auch keine zusammengebracht. Die FDP hat sich als Lobby-Organisation ohne echte innere Beziehung zur Ordnungspolitik entpuppt. Und in Merkels eigener CDU hat sie praktisch alle liberalen Persönlichkeiten hinausgedrängt. Merkel hat sich lieber mit Umverteilern und Regulierern umgeben. Jüngste Beispiele dieses Kurses: Die CDU sympathisiert mit einem gesetzlichen Mindestlohn und mit gesetzlich vorgegebenen Frauenquoten in großen Aufsichtsräten. Beides sind Maßnahmen, welche die derzeit relativ gute deutsche Wettbewerbsfähigkeit langfristig gefährden.

Das massivste anti-liberale Signal waren natürlich die von Merkel mitgetragenen EU-Beschlüsse der letzten eineinhalb Jahre, Hunderte Milliarden in die diversen – in Wahrheit völlig ergebnislosen – Rettungspakete für die europäischen Schuldenstaaten zu investieren.

Aber jetzt, so werden die Verbreiter des Merkel-Mythos hier einwenden, hat sie doch zum ersten Mal in einer wichtigen Frage Nein gesagt. Und sie ist auch dabei geblieben. Sie hat die französischen Wünsche abgeschmettert, dass sich der „Rettungsschirm“ EFSF direkt bei der EZB weiteres Geld ausborgen kann.

In Wahrheit war es nicht Merkels Stärke, die diese Idee blockiert hat, sondern ihre Schwäche. Sie hat sich nämlich in bisher unbekannter Weise vom deutschen Verfassungsgericht und vom Bundestag an eine sehr kurze Leine legen lassen, die ihren Spielraum bei den – bisher regelmäßig sehr teuren – Gipfelbeschlüssen stark eingeengt hat. Merkel musste ja sogar den Gipfel unterbrechen lassen, um sich vom Bundestag ein Plazet zu holen.

Es war also in Wahrheit die kleine Gruppe der deutschen Schulden-Gegner, die der Kanzlerin zur Stärke verholfen hat – fast möchte man sagen: zu einem Rückgrat. Nur dadurch wurde es diesmal verhindert, dass der französische Präsident sie neuerlich mit seiner Mischung aus brutalem Druck und charmanter Schmeichelei zum Griff in die deutschen Kassen veranlassen konnte.

Vor allem der französische Druck hat ja Merkel in diesen eineinhalb Jahren regelmäßig dazu gebracht, bei der Verletzung der EU-Verträge und der wirtschaftlichen Vernunft mitzutun. Diese Verletzung bestand vor allem in der Durchbrechung des ("No-Bailout!"-)Verbots staatlicher Krediten an andere EU-Staaten.

Das zuvor angesprochene Leih-Rückgrat Merkels war aber nicht stark genug, um auch das durchzusetzen, was nach diesen Fehlern die einzige logische Konsequenz gewesen wäre. Wenn man schon zu feig oder schwach ist, diese Staaten den Folgen der eigenen Schuldenmacherei und der daraus folgenden Zahlungsunfähigkeit preiszugeben, dann hätte Merkel wenigstens eine rasche Änderung der EU-Verträge durchsetzen müssen (und eigentlich auch wollen): Nur dadurch wäre ja die Einsetzung eines Konkursverwalters, der in Schuldnerstaaten die Macht übernimmt, möglich gewesen. Ein solcher Konkursverwalter wäre wohl die einzige Möglichkeit, dass Griechenland, Italien & Co endlich all das an schmerzhaften Sanierungsmaßnahmen umsetzen, was deren Regierungen schon in besseren Zeiten nicht geschafft haben.

Wir haben es ja immer wieder gesehen: Die Regierungschefs solcher Staaten versprechen bei jedem Gipfel große Sparsamkeit – aber niemand hat ein Druckmittel, die Einhaltung solcher Versprechen auch zu erzwingen.

Das wird man mit Sicherheit auch am Schicksal des berühmten Geheimbriefs des italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi sehen. Dieser hatte seinen EU-Kollegen scharfe (im Detail aber bisher nicht bekannte) Spar- und Sanierungsmaßnahmen versprochen. Berlusconi hat jedoch in Wahrheit keine Chance, diese Maßnahmen auch inneritalienisch durchzubringen. Er ist auf Grund diverser Gerichtsverfahren schwer angeschlagen. Und weit und breit gibt es keinen anderen Politiker, der gegen die kampferprobten italienischen Gewerkschaften eine Sanierung zu realisieren imstande wäre.

Da klingt es lächerlich, wenn die EU nun ankündigt, die Einhaltung solcher Versprechen genau zu „kontrollieren“. Sie kann das genauso wenig wie beim Bruch aller früheren Versprechungen durch diverse Regierungschefs.

Dennoch sollte man nicht ganz verzweifeln. Denn immerhin findet in Europa doch ein Umdenken statt. Eindrucksvoller und sensationeller als die angebliche Lösung der Schuldenkrise durch die Gipfelbeschlüsse waren nämlich die Blut-und-Tränen-Interviews des französischen Präsidenten nach dem Gipfel. Denn in den letzten Jahrhunderten, ja noch bis in die letzten Wochen war es absolut unvorstellbar, dass ein französischer Präsident sagt: "Mein Job ist es, Frankreich näher an ein System heranzubringen, das funktioniert, das Deutschlands."

Dabei geht es etwa um die 35-Stunden-Woche, die von den Sozialisten einst als Waffe gegen die Arbeitslosigkeit eingeführt worden ist, die aber Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit schwer beeinträchtigt hat. Dabei geht es um die übergroße Rolle des französischen Staates in der ganzen Wirtschaft. Dabei geht es um das weitgehende Fehlen von mittelgroßen Betrieben, die in Deutschland wie Österreich den Kern der wirtschaftlichen Stärke bilden.

Der nunmehrige Kurswechsel Sarkozys ist zwar die einzige richtige Strategie. Es ist aber ein schwerer Schlag für den Nationalstolz der Franzosen, wenn die richtige Politik nur noch mit dem Qualitätssiegel „wie in Deutschland“ verkauft werden kann.

Noch weniger durchsetzen als einen Konkursverwalter für Schuldnerstaaten kann Merkel ein weiteres – eigentlich legitimes – Anliegen der Deutschen: dass sie in den diversen EU-Gremien nicht mehr diskriminiert werden. Denn vom Stimmgewicht im Rat bis zu der für die Wahl eines Abgeordneten nötigen Wählerzahl ist Deutschland viel schwächer repräsentiert, als der Zahl seiner Einwohner entsprechen würde. Vom noch viel größeren wirtschaftlichen Gewicht Deutschlands sei da gar nicht geredet.

Da aber Deutschland heute nicht mehr wegen der Verbrechen der Nazis unter Druck gesetzt werden kann, wird sich das Land in der EU immer weniger daheim fühlen, wenn es einerseits der größte Zahler ist und andererseits gleichzeitig jenes Land, dessen Bürger am wenigsten europäisches Gewicht haben.

PS.: Österreich ist zwar von der Größe seiner Vertretung in der EU her relativ privilegiert, es hat aber seit Jahren keinerlei Persönlichkeit, die in den europäischen Gremien noch irgendeine Rolle spielen würde. Es diskriminiert sich solcherart gleichsam selber. Österreich hat auch kein Parlament, in dem irgendjemand Europa-Debatten auf einem mit Deutschland auch nur annähernd vergleichbaren Niveau führen könnte. Daher wäre es eine sinnvolle Einsparung, wenn bei den nächsten Gipfeln nicht mehr Werner Faymann samt großem Tross anreist, sondern wenn daran einfach der in Brüssel residierende Botschafter teilnimmt und so wie Faymann halt immer das abnickt, was die Mehrheit will.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Finanzkrise beendet!

31. Oktober 2011 23:42 | Autor: Andreas Tögel
Rubrik: Gastkommentar

Endlich ist die Schuldenkrise beigelegt – Gott sei Dank! Zugegeben, das haben wir seit Ausbruch der griechischen Finanztragödie – die sich bei näherer Betrachtung eher als Posse von epischer Breite darstellt – von den um unser Heil besorgten, dennoch aber stets optimistischen, Führern der europäischen Politbüros schon oft gehört.

Von der „einmaligen Hilfe“, um dem Lande der Phäaken nachhaltig auf die Beine zu helfen, bis zur Konstruktion eines unbedingt erforderlichen „dauerhaften Rettungsschirms“; von der behaupteten „Unmöglichkeit eines Schuldenschnitts“ bis zum Konsens über einen fünfzig prozentigen „Haircut“ hat es nicht viel länger als ein Jahr gedauert. Die Halbwertszeit der Gültigkeit mit felsenfester Überzeugung abgegebener Absichtserklärungen ist demnach gering.

Aber man sollte auch das Positive sehen: Durch das beherzte Eingreifen unserer zu allem bereiten Nomenklatura blieb der Alten Welt – zumindest bislang – der Ausbruch unkontrollierbarer Unruhen und Bürgerkriege erspart… immerhin.

Natürlich werden notorische Kritikaster – allesamt unterbelichtete Hinterwäldler, die meisten davon zudem mutmaßlich Rechtsradikale – angesichts des jüngst beschlossenen Maßnahmenbündels einwenden, dass damit allenfalls eine Verlängerung und Ausweitung des laufenden Pyramidenspiels verbunden ist. Schließlich wird – um eine Analogie aus dem Bereich der Medizin zu bemühen – eine Wundinfektion nicht durch Erhöhung, sondern durch Senkung der Keimzahl kuriert.

Der behandelnde Arzt wird seine Bemühungen stets darauf richten, eine Ausbreitung der Entzündung zu verhindern, um Schaden vom Gesamtorganismus abzuwenden. Warum im vorliegenden Fall eines durch aus dem Ruder gelaufene Verschuldung entstandenen Debakels die weitere Aufblähung des Kreditvolumens helfen sollte, will sich auch auf den zweiten und dritten Blick nicht so recht erschließen. Und weshalb eine Kollektivierung von Risken durch Haftungsübernahmen – also die systemische Verbreitung der „Schuldinfektion“ – heilsame Effekte hinsichtlich der Therapietreue von Schuldnernationen haben sollte, das kann vermutlich nur begreifen, wem von Maynard Keynes selbst oder von einem seiner zahlreichen Epigonen das Gehirn gewaschen wurde.

Aber genau genommen darf sich der gelernte Europäer über die dräuende Entwicklung gar nicht wundern! Weshalb sollten sich die Kapos der Zentrale anders verhalten als jene in den Provinzen? Wir erleben gegenwärtig nichts weiter, als eine Übertragung der in den Nationalstaaten gepflegten Traditionen auf die europäische Ebene. Schließlich werden auch in den einzelnen Bestandteilen des zunehmend den Wohlstand und den Frieden gefährdenden Euromolochs die Tüchtigen bestraft und die Minderleister belohnt.

Zentraler Sinn und Zweck eines Wohlfahrtsstaates besteht ja genau darin, das zu tun. Auch stehen die Nationalstaaten stets zuverlässig auf Seiten der Schuldner, niemals auf jener der Gläubiger (warum wohl!?). Spätestens jetzt sind private Geldvermögen nicht mehr länger vor willkürlichen Zugriffen des Staates sicher. Den „Hebel“ dazu bildet die bevorstehende Zwangsrekapitalisierung – also eine Teilverstaatlichung – der „systemrelevanten“ Banken, womit die Möglichkeit eines Zugriffs des Leviathans auf private Ersparnisse indirekt verbunden ist.

Dass schließlich Nicolas Sarkozy, eine der umtriebigsten Figuren Eurolands, ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise – und ohne jede Veranlassung – einen brutalen Angriffskrieg auf einem fremden Kontinent anzettelt, wird nur derjenige für einen Zufall halten, der auch an die Zahnfee glaubt. Soviel zum Ammenmärchen mit dem Titel: "Die EU ist ein Friedensprojekt!"

Dass es am Ende private Gläubiger, seien es Bürger, die über Geldvermögen verfügen, oder die wenigen Nettosteuerzahler sein werden, welche die von den Sozialisten in allen Parteien eingebrockte Suppe auszulöffeln haben, liegt auf der Hand. Schulden müssen letztlich immer bezahlt werden – entweder vom seriösen Debitor (womit der Staat ausscheidet) oder eben vom geprellten Gläubiger. Ein Drittes gibt es nicht.

In Wien pflegt man den Sinnspruch „Es sind auch schon Hausherren gestorben“ – was soviel bedeutet wie: Keiner sollte sich seiner Sache allzu sicher sein. Theodor Baillet von Latour, österreichischer Kriegsminister anno 1848, ist der überraschend hingeschiedene Kronzeuge für den Wahrheitsgehalt dieses Sprichworts: Am 6. Oktober des Revolutionsjahres erfüllte sich das Schicksal dieses Mannes, als er von einem wütenden Mob, der zuvor das Kriegsministerium am Wiener Hof gestürmt hatte, kurzerhand an einer Laterne aufgeknüpft wurde. Der Begriff „laternisieren“ gehört seither zum Sprachschatz der gemeinhin als so überaus gemütlich bekannten Österreicher.

Denkbar, dass es zu einer von der politischen Klasse der EUdSSR unerwarteten europaweiten Neuauflage dieses ein wenig brachialen austriakischen Brauchtums kommt – etwa dann, wenn sich die Ersparnisse und Altersvorsorgen ganzer Generationen im Zuge einer nun immer wahrscheinlicher werdenden Hyperinflation und/oder Währungsreform in Rauch aufzulösen beginnen. Denn wenn es ums Geld geht, hört der Spaß bekanntlich schlagartig auf.

Da an stabilen Kandelabern auch heutzutage weder in Wien, noch an anderen Orten des finanzmaroden Euro-Imperiums Mangel herrscht, wären die Angehörigen der politischen Klasse gut beraten, sich angesichts der interessanten Zeiten, die die verarmenden Massen ausschließlich ihnen zu verdanken haben, nicht länger allzu sicher zu fühlen…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Griechenland: Das Gewitter geht los

31. Oktober 2011 21:23 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Das wird jetzt spannend: Die Griechen machen eine Volksabstimmung, ob ihnen die Resteuropäer in ihrer Schuldenkrise auch helfen dürfen. Die Stimmung im Land ist so verzweifelt, dass die Regierung keinen anderen Ausweg mehr weiß. Und was es noch spannender macht: Alle Umfragen deuten zumindest derzeit darauf hin, dass die Griechen in klarer Mehrheit Nein zum Rettungsschirm sagen werden. Ohne zu wissen, wozu sie damit Ja sagen.

Ein griechisches Nein würde freilich von den meisten Miteuropäern – wenn auch nicht deren Regierungen – mit Erleichterung aufgenommen werden. Dann könnte man die für Griechenland bereitgestellten Gelder zur Stabilisierung der eigenen Banken verwenden und sich den Rest doch noch sparen. Dann wäre auch für die in alter Manier herumlavierenden Italiener die Stunde der Wahrheit gekommen. Dann wäre endlich Klarheit geschaffen, dass wir keine Eurokrise, sondern eine der staatlichen Schulden haben. Dann wäre das Tabu gebrochen, dass ein europäischer Staat nicht in Insolvenz gehen könne. Dann müssten sich die helfende Miteuropäer nicht mehr ständig beschimpfen und nachsagen lassen, dass die Annahme ihrer Hilfe eigentlich eine Gnade ist.

Für die Griechen wäre das freilich weniger erfreulich. Dann würden griechische Pensionen und Beamtenbezüge zumindest zum Teil ausfallen, weil niemand mehr der Regierung Geld borgt. Dann würden die Banken gestürmt und müssten nach wenigen Stunden schließen (wenn das nicht ohnedies schon vor dem Referendumstag angesichts der Entwicklung der Umfragen passieren sollte). Dann müsste die griechische Regierung noch härtere Maßnahmen durchziehen, als sie das „Rettungspaket" von ihnen verlangt hat. Dann wäre auch endlich klar, dass man durch ständiges Protestieren, Demonstrieren und Streiken sein eigenes Los nicht wirklich verbessert, sondern nur durch Sparsamkeit und Anstrengung. Aber das wissen viele Völker offenbar immer erst im Nachhinein.

Freilich ist auch durchaus möglich, dass den Griechen in den nächsten Wochen noch – für sie – rechtzeitig klar würde, was ein Nein zum bösen Griechenland-Rettungspaket bedeutet. Dann würde nämlich niemand mehr Griechenland retten. Dann kann kein europäischer Regierungschef mehr so selbstmörderisch sein, seine eigenen Bürger noch mehr zugunsten der reformunwilligen Griechen zu belasten.

Ein Ja würde für Premier Papandreou aber – endlich – bedeuten, dass er dann auch wirklich die versprochenen Sparmaßnahmen durchziehen und wieder ein wenig Vertrauen ins Land bringen könnte.

Manches mal schürzen sich historische Entscheidungen lange so wie dunkle Wolken zu, bis es dann plötzlich in einem Gewitter zur Entladung kommt. In einem zerstörerischen – oder einem reinigenden Gewitter. In den nächsten Wochen wird Europa jedenfalls gespannt auf den Wetterbericht vom Balkan achten.

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Wie gut ist Österreichs Haushalt im EU-Vergleich tatsächlich?

30. Oktober 2011 14:34 | Autor: Andreas Unterberger

Staatsschuldenquote der EU-Mitglieder in Prozent des BIP 2007 & 2010

 

Quelle: Quo vadis Austria? Industriellenvereinigung

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Fußnote 229: Ein kleiner Rechenfehler halt

30. Oktober 2011 12:39 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Wenn das nun auch schon bei den Deutschen möglich ist: Wer soll da noch irgendein Vertrauen zu irgendeiner Angabe aus staatlichen oder europäischen Quellen haben?

Eine vom deutschen Finanzministerium kontrollierte staatliche "Bad Bank" hat sich um nicht weniger als 55,5 Milliarden Euro verrechnet. Das Erstaunliche: Der Irrtum erfolgte zugunsten des Steuerzahlers. Damit ist die deutsche Staatsverschuldung gleich um fast drei Prozent niedriger als zuletzt immer angegeben. Nur ein Vergleich, damit man sich die Größenordnung vorstellen kann: Der Rechenfehler beträgt mehr als drei Viertel des gesamten österreichischen Jahresbudgets. Gewiss kann man in dem Rechenfehler bei der HRE-Bad Bank FMS Wertmanagement (wo faule Hypothekenpapiere in Form einer sogenannten Bad Bank abgelagert worden waren) eine gute Nachricht sehen. Und derer mangelt es ja derzeit heftig. Vertrauensbildend in die staatlichen Finanzakrobaten ist das aber auch nicht - vor allem weil sich diese normalerweise immer zum Nachteil des Steuerzahlers "verrechnen". Siehe die griechischen Betrügereien oder ähnliche österreichische Tricks, mit denen man Schulden zu verstecken versucht.

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Die Euphorie eines Drogensüchtigen

29. Oktober 2011 00:40 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Habe ich in meiner ersten Reaktion zu negativ auf den EU-Gipfel mit seinen lauten Erfolgsfanfaren reagiert? Aus mehreren Gründen bleibe ich bei meiner Skepsis, auch wenn man inzwischen mehr (freilich noch lange nicht alle) Details zu den Gipfelbeschlüssen weiß. Ja, gerade deshalb bleibe ich dabei. Denn sobald sich das schwierige Kleingedruckte geklärt haben wird, wird mit großer Wahrscheinlichkeit wohl noch weniger Grund zur Euphorie da sein.

Die Gründe für Beharrlichkeit in Sachen Skepsis, trotz einiger halber Lichtblicke:

  1. Sogar der deutsche Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der aus Angela Merkels unmittelbarem Umfeld kommt, sieht die Hebelung – also wundersame Vermehrung – der Mittel der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) „mit Sorge". Durch die Hebelung sollen nämlich aus den 440 Milliarden, die den ungefragten Steuerzahlern abgepresst worden sind, gleich mindestens eine Billion Euro werden. Die 440 Milliarden werden dabei nun doch nicht, wie ursprünglich geplant, direkt als Kredite weitergegeben. Sie haften vielmehr als Ausfalls-Versicherung für Kredite, die diese Fazilität anderswo aufnehmen will. Was natürlich das Risiko eines weitgehenden Ausfalls der Gelder der Steuerzahler stark erhöht.
  2. Inzwischen hat auch schon das deutsche Bundesverfassungsgericht die EFSF-Konstruktion zumindest in einer Detailfrage gekippt. Es verbot nur wenige Tage nach dessen Inthronisierung ein neues Geheimgremium des deutschen Bundestages. Dieses sollte Beschlüsse des 440-Milliarden-Rettungsschirms und andere Rettungsmaßnahmen genehmigen. Ein solches Gremium hat die deutsche Regierung als notwendig angesehen, damit Entscheidungen vertraulich vorbereitet werden und schnell fallen können.
  3. Griechenland wird sich langfristig auch mit der als Endziel angepeilten Staatsverschuldung von 120 Prozent nicht normal refinanzieren können. Das heißt: Griechenland bleibt krank, obwohl zu seiner Genesung die Krankheitskeime über ganz Europa verstreut worden sind. Dabei sind diese 120 Prozent noch die bestmögliche Entwicklung des nächsten Jahrzehnts. Es könnte trotz Gipfelhilfe auch viel schlimmer kommen.
  4. Die Gefahr, dass die Halbierung des Werts griechischer Papiere von den internationalen Märkten auch jetzt schon als Insolvenz gewertet wird, ist weiterhin gegeben.
  5. Obwohl viele Finanz- und Notenbankexperten das scharf kritisieren, wird die Europäische Zentralbank weiterhin ungehindert Staatspapiere aufkaufen, also weiterhin zu Lasten aller Sparer Geld drucken können. Positiv ist nur, dass die EFSF nicht als Bank gilt, die direkt Geld bei der EZB besorgen kann. Damit haben sich die Deutschen wenigstens in einem Punkt durchgesetzt.
  6. Es ist eine glatte Sauerei, dass bei der Bewertung des den Banken nun vorgeschriebenen Kern-Eigenkapitals nur staatliche Partizipationsscheine, nicht aber private einberechnet werden dürfen, obwohl die genauso für die Bank haften. Dadurch gerät nun die RZB der Raiffeisengruppe ins Schleudern. Warum hat 2009 die Republik so auf die Beteiligung des privaten Sektors an den Partizipationsscheinen bestanden, wenn die jetzt nicht anerkannt werden?
  7. Ebenso eine Diskriminierung ist es, wenn private Banken auf 50 Prozent ihrer Forderungen gegen Griechenland verzichten müssen, die (not-)verstaatlichte Kommunalkredit beispielsweise nicht.
  8. Die von der Europäischen Bankenaufsicht berechneten zusätzlichen Kapitalpuffer europäischer Banken zeigen – wie schon mehrere andere Indikatoren –, dass Österreich viel schlechter dasteht als Deutschland, die Niederlande oder Finnland, mit denen wir uns gerne in einem Atemzug nennen. Österreichs Banken brauchen demzufolge 2,9 Milliarden Euro, die deutschen 5,2. Dem Größenverhältnis zwischen den beiden Ländern entsprechend dürften jedoch die Werte in Österreich nur ein Zehntel der deutschen ausmachen. In Finnland oder den Niederlanden gibt es überhaupt keinen Bedarf an zusätzlichem Geld. In Frankreich, über dessen Banken zuletzt so bedrohlich geredet worden ist, beträgt der Bedarf 8,8 Milliarden: Angesichts der Größenverhältnisse stehen damit sogar Frankreichs Banken relativ besser da als die österreichischen.
  9. Die Wahrscheinlichkeit, dass wenigstens Italien jetzt mit der Geldverschleuderung durch den hochausgebauten Wohlfahrtsstaat (an dem sowohl die einstigen Christdemokraten wie die aggressiven Gewerkschaften hauptschuld sind) Schluss macht, ist zwei Tage nach dem Gipfel nicht gerade gestiegen. Denn schon reden die Gewerkschaften von Generalstreik, um für die Beibehaltung eines absoluten Verbots von Kündigungen durch Arbeitgeber zu kämpfen – eine wettbewerbsfeindliche Regelung, die es nicht einmal im Mega-Sozialstaat Österreich gibt. Wegen dieser trüben Aussichten muss Italien nach dem „Rettungs“-Gipfel schon wieder höhere Zinsen für seine Anleihen zahlen als vorher.
  10. Gewiss ist erfreulich, dass Nicolas Sarkozy jetzt wagt, die Einführung der 35-Stunden-Woche durch die Sozialisten als eines der Krebsübel des kränkelnden Landes anzusprechen. Nur kann niemand ernsthaft glauben, dass er deren Abschaffung ein Jahr vor dem Wahltag noch durchbringt. Und dann werden die Sozialisten regieren, die vermutlich wieder Jahre brauchen werden, um zu solchen Erkenntnissen zu gelangen (so wie einst Gerhard Schröder Jahre gebraucht hat, bis er vom Kuschelsozialismus auf die Agenda 2010 umgeschaltet hat).
  11. Erfreulich ist es auch, dass die EU-Bischöfe eine erstaunlich weise Erklärung veröffentlicht haben, die klar festhält: Die Ursachen der Krise seien vor allem in Politikerentscheidungen der letzten Jahrzehnte begründet, die nur auf Kurzfristigkeit beruhten und häufig genug mit Blick auf Wahlentscheidungen getroffen wurden. In einem Satz die ganze Wahrheit. Das wird jedoch Caritas&Co nicht hindern, wieder die Lüge zu verbreiten, dass Wirtschaft, Unternehmer und Banken die Schuldigen seien.
  12. Gar nicht erfreulich ist wiederum, dass die Schaffung eines europäischen Insolvenz-Regimes für insolvente Staaten wieder ganz in den Hintergrund gerückt ist.
  13. Dass auch in Österreich noch immer nicht alle die Notwendigkeit des Sparens verstanden haben, zeigt etwa die Reaktion Karl Aigingers, des Chefs des Wiener Wirtschaftsforschungsinstituts. „Es ist zu viel über Konsolidierung gesprochen worden, und zu wenig darüber, wie man das Wachstum stärken kann.“ Damit legt er der österreichischen Politik neuerlich die Leiter für weitere Schuldenmacherei. Zwar könnte man das Wachstum auch ohne neue Schulden, nämlich durch scharfe Deregulierung und Privatisierung fördern, aber davon redet Aiginger ganz bewusst nicht. Schließlich erhält das Wifo viele Aufträge von der schuldengierigen Arbeiterkammer.
  14. Und damit es auch etwas zu lachen gibt: Werner Faymann verkauft sich und sein Verhalten beim Gipfel (wie immer: Zustimmung ohne irgendeine konstruktive eigene Meinung) nun als Rettung der Spareinlagen. Das ist natürlich noch ein Grund mehr, sich um diese zu sorgen.

Noch einmal zurück zu den eingangs erwähnten freudigen Fanfaren ob der Gipfelbeschlüsse. Die erinnern stark an die Freude eines Drogensüchtigen, wenn er neuen Stoff bekommt. Obwohl er im Grund genau weiß, dass ihm nur noch ein scharfer wie schmerzhafter Entzug helfen würde. Nicht anders ist es um die europäische Schuldenwirtschaft bestellt.

Daher sollte es niemand sonderlich ernstnehmen, wenn die Börsen kurzfristig jubeln, weil das alles, woran wir noch Jahrzehnte zahlen und leiden werden, jetzt – vielleicht – ein oder zwei Quartalsergebnisse zu verbessern vermag.

 

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Euro-Leid und Euro-Lyse

27. Oktober 2011 16:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Der Rettungsschirm, zwar aufgestockt,
ist selber in Bedrängnis –
weil im Konzept bereits verbockt
aus Panik vorm Verhängnis.

Denn das, worum es letztlich geht,
ist nicht geborgter Glitzer,
es ist vielmehr die Bonität
der Tripel-A-Besitzer.

Und steht da einer unter Druck,
kommt schnell ein A abhanden –
doch auch beim Schirm ist ruckezuck
das Tripel-A zuschanden!

Was könnte sonst der Ausweg sein,
wie raus aus Sumpf und Nebel?
Da fiel wem Archimedes ein,
der Grieche mit dem Hebel:

Der meinte einst ja klipp und klar,
er könnt’ per Hebel eben
die ganze weite Welt sogar
aus ihren Angeln heben.

Und wenn sie auszuhebeln ist,
so scheint man nun zu denken,
dann klappt es wohl, mit Hebel-List
sie wieder einzurenken!

Nur leider hat’s zu kurz gefunkt:
Der Alte sagte nämlich,
Bedingung sei ein fester Punkt,
denn ohne den wär’s dämlich.

Ob so, ob so, als Fakt besteht
bei dem, was grad im Gange:
Am kürzern Hebelarm gerät
erst recht man in die Zange!

Was also tun fürs Tripel-A
am Rande des Infarktes?
Probiert’s mal in Amerika,
dem Hort des freien Marktes:

Ihr könntet dort auf einen Streich
– statt euch das Haar zu raufen –
mit Hebel-Milliarden gleich
die A-Verkäufer kaufen!

Ihr Hebler aber macht jetzt gar
den Schirm zur „Feuermauer“ –
ihn, der verstockt verdoppelt war!
Gibt’s ärgere Kalauer?

Schafft besser ihn zur Prosektur,
den Balg, den ruinösen –
es kann doch Euro-Lyse nur
vom Übel uns erlösen!

Pannonicus

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Die Räuber gehen jetzt auch betteln

27. Oktober 2011 01:10 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Was hat nun dieser so laut betrommelte Schicksalsgipfel der EU gebracht? Natürlich nicht die in Aussicht gestellte Stabilisierung einer schwer verschuldeten Staatengemeinschaft. Die Sparankündigungen sind offensichtlich noch immer nicht ernst gemeint, wie beispielsweise ein Heinz Fischer sehr anschaulich zur gleichen Stunde in Wien bewiesen hat. Dafür ist man voll kaum noch bemäntelter räuberischer Energie den Banktresoren, also unserem Ersparten ein gutes Stück näher gekommen. Ebenfalls erhöht hat man durch eine riskante Hebel-Operation das Risiko, dass die Hilfsgelder und Garantien der Steuerzahler ganz verloren sind. Und ganz neu ist schließlich: Die EU-Chefs haben die Union in einen Verein der organisierten Bettelei verwandelt. Was nun wirklich eine neue Verfallsstufe darstellt. Tiefer geht’s wohl kaum mehr. (nachträgliche Ergänzung am Ende)

EU-Exponenten werden als wichtigstes Ergebnis dieses Gipfels in den nächsten Tagen reihenweise vor allem China, aber auch all die anderen Staaten heimsuchen, die es in den letzten Jahren durch Fleiß, Disziplin und Sparsamkeit zu etlichen Ersparnissen gebracht haben. Also durch all die Eigenschaften, die der real existierende Schulden-Sozialismus der meisten EU-Länder gar nicht so gern mag.

Ob die europäischen Bittsteller in China auch etwas Kleingeld bekommen werden? Wahrscheinlich schon – aber ganz sicher nicht ohne schmerzhafte Gegenleistungen, die wohl auch, aber nicht nur in einem totalen Boykott des Dalai Lama und einem Fallenlassen des demokratischen Taiwans bestehen werden. Schließlich regieren in Peking beinharte Machtmenschen, die nicht gerade zu einem Orden der christlichen Nächstenliebe werden wollen. Den europäischen Regierungschefs in ihrer Schuldennot sind aber Menschenrechte und Demokratie völlig wurscht.

Das, was man mit den Banken vorhat, ist klar. Man will sie unter dem scheinheiligen Vorwand erhöhter Eigenkapitalanforderungen teilverstaatlichen, damit man leichter an deren Geld herankann. Vielleicht können das die relativ starken deutschen Banken noch irgendwie abbremsen, die einst so stolzen österreichischen Banken scheinen zu schwach, zu orientierungslos und zu uneinig zu einer organisierten Verteidigung unserer Spareinlagen.

Natürlich spricht nichts gegen einen erhöhten Prozentsatz an notwendigem Eigenkapital. Das bringt zwar keinen Ertrag, aber Sicherheit. Völlig unklar und wohl nur als Schikane zu verstehen ist aber, wieso als anrechenbares Eigenkapital nicht auch sogenannte Partizipationsscheine und ähnliche Gelder angerechnet werden dürfen, die ja voll für die Einlagen haften. Und ein zweites ist noch schlimmer: Offenbar will man den Banken sogar verbieten, ihre Bilanzsumme durch Herunterfahren von Krediten und Einlagen zu reduzieren. Ein solches Verbot wäre freilich eine massive Grundrechtsverletzung, die gegen alle in den letzten Jahren viel beschworenen Menschenrechtskataloge verstoßen würde.

Dabei würde durch das Herunterfahren der Banken-Bilanzsumme das legitime Ziel einer Risikoreduktion beziehungsweise einer Erhöhung der Eigenkapitalquote voll erreicht werden. Der Anteil des sicheren Eigenkapitals wird ja automatisch größer, wenn sich die Bilanzsumme reduziert. Gerade eine solche Erhöhung der Sicherheit wollen aber die Staaten offenbar nicht. Der Grund ist klar: Denn dann würden Banken wackligen Euro-Ländern noch weniger Geld als zuletzt borgen. Sicher bekäme dann auch die Wirtschaft weniger Kredite. Aber es waren ja gerade die angeblich zu riskanten Kreditvergaben, welche den Banken als einziges vorgeworfen werden konnten. Erzwungene Kreditvergaben haben aber erstens mit einer freien Wirtschaft überhaupt nichts mehr zu tun, und sind zweitens genau das, was in Amerika die Wirtschaftskrise überhaupt ausgelöst habt ( das waren nämlich die vom Staat anbefohlenen Subprime-Hypotheken an einkommenslose Menschen).

Gleichzeitig glaubt man, die Banken gezwungen zu haben, auf 50 (oder mehr?) Prozent ihrer Forderungen an Griechenland verzichtet zu haben. Und zwar "freiwillig". Erst die nächsten Tage werden zeigen, ob dem wirklich alle Gläubiger Griechenlands freiwillig zustimmen. Und vor allem: Ob eine solche erzwungene Freiwilligkeit nicht weltweit als das bezeichnet wird, was sie ist: eine Insolvenz Griechenlands mit einer 50-prozentigen Quote. Falls die Rating-Agenturen noch einen Rest an Unabhängigkeit haben und nicht auch schon ganz von den Staaten vergewaltigt worden sind, dann müssten sie die Dinge beim Namen nennen.

Eine solche Insolvenz samt Schuldenschnitt ist zwar unumgänglich. Wenn sie aber beim Namen genannt wird, dann wäre das für Griechenland, aber indirekt auch andere Staaten noch viel schmerzhafter. Weil dann Griechenland eben als das gelten würde, was es ist: nämlich insolvent. Und damit würde auch die Fiktion kollabieren, dass europäische Staatsanleihen 100 Prozent sicher wären, "mündelsicher" sogar.

Irgendwie erinnert diese "Freiwilligkeit" an den "freiwilligen" Verzicht des 1918 gestürzten Kaisers oder an den "freiwilligen" Anschluss 1938 ans Hitler-Reich.

Wirtschaftlich ist dieser Umgang mit den Banken ein mörderisch gefährlicher Weg Richtung eines Neokommunismus, den die EU-Staaten da in ihrer Not einschlagen.

Umso schlimmer ist es, wenn der Sparwille der Staaten selbst nur in billigen Ankündigungen besteht, die aber offensichtlich nicht ernst gemeint sind. Das zeigte besonders anschaulich die Rede des Bundespräsidenten zum österreichischen Nationalfeiertag. Er forderte dort noch „Mehr soziale Gerechtigkeit“. Das, obwohl völlig klar ist, dass es nichts anderes als dieser ständige Ausbau sogenannter „sozialer Gerechtigkeit“, also schuldenfinanzierter Konsumausgaben, gewesen ist, der – auch – Österreich in eine überaus kritische Schuldensituation getrieben hat. Dennoch soll es laut Österreichs höchstrangigem Sozialdemokraten noch mehr davon geben.

Was zeigt, dass sie noch überhaupt nichts begriffen haben. Davon kann auch die billige Hetze Fischers gegen irgendwelche ungenannt gebliebenen „Finanzjongleure oder Rohstoffspekulanten“ nicht ablenken, die unverschämt viel verdienen würden. Gewiss haben vor allem in Amerika manche in manchen Jahren exorbitant gut verdient. Kluge Politik sollte daher immer solche Marktregeln setzen, dass übermäßige Profite durch mehr Wettbewerb verhindert werden (es sei denn, diesen Profiten stehen auch übermäßige Risiken gegenüber).

Wenn nun aber in Österreich die Sozialdemokraten gegen nicht näher definierte  „Finanzjongleure“ zu hetzen beginnen, dann ist das ganz sicher nur ein reines Ablenkungsmanöver: Es soll die eigenen Unterlassungen und Verschwendungen vertuschen. Denn erstens sind diese im Geld versinkenden „Jongleure“ höchstens in London, Singapur und New York zu finden und nicht in Wien; zweitens sind sie auch dort zweifellos nicht Regel-, sondern Einzelfälle, die von irgendwem aufgebauscht worden sind; und drittens: Wenn es in Österreich wirklich solche Jongleure geben sollte, dann sind die spätestens seit der Bundespräsidenten-Rede samt ihrem Geld über die Grenze und werden ganz sicher Fischers billiges – nein eigentlich: sehr teures – Populismusgerede von noch „mehr sozialer Gerechtigkeit“ nicht finanzieren. Das wird vielmehr wieder der Mittelstand tun müssen, den Fischer heuchlerisch zu schützen vorgibt.

In ganz ähnlicher Weise wird auch die europäische Politik des „Lieber Banken überfallen statt selber sparen“ nur dazu führen, dass die Banken des Euroraum rasch an Bedeutung verlieren werden – wenn sie nicht überhaupt große Geschäftsfelder ganz aus dem Euroraum hinausverlegen. Was sie hoffentlich zum Schutz unserer Spargelder tun werden.

Spätere Ergänzung: Die österreichische Finanzmarktaufsicht behauptete wenige Stunden nach dem Gipfel, dass das staatliche Partizipationskapital in den Banken sehr wohl auf die Eigenkapitalquote angerechnet würde. Das wäre eine spürbare Reduktion einer der in diesem Beitrag geäußerten Sorgen, nur steht die Aussage der FMA in Widerspruch zu dem offiziellen Wortlaut der Gipfelerklärung: "9% of the highest quality capital". Darunter ist bisher nie das zwangsverzinste, aber stimmrechtslose Partizipationsgeld verstanden worden, das der Staat den Banken vor zwei Jahren gegeben hat. Und Tatsache bleibt ebenso, dass das vor kurzem detailliert ausgearbeitetete Basel-III-Abkommen aller internationalen Notenbanken für weit geringere Eigenkapitalquoten eine Frist bis 2018 vorgesehen hatte.

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Achtung Banküberfall

26. Oktober 2011 00:46 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Vor unser aller Augen findet soeben der größte Banküberfall der Menschheitsgeschichte statt. Jedoch die Mehrheit der Bürger klatscht dazu. Wie das? Und wer ist der Täter?

Täter sind die Staaten Europas. Sie sind fast alle durch ihre sich ständig eskalierende Schuldenpolitik schwerst verschuldet, mit denen sie – beziehungsweise die jeweils regierenden Parteien – seit Jahrzehnten die Bürger bestochen haben. Und nun sehen sie wie so mancher Pleitier in einem großen Banküberfall den letzten Ausweg. Die Staaten kommen aber nicht etwa heimlich in der Nacht oder durch den Keller, sondern tagsüber durch den Haupteingang.

Auf diesen Kern lässt sich der Hintergrund der Groteske um die ständig verschobenen und vertagten EU-Gipfel bringen. Es geht dabei um nichts anderes als um die detaillierte Vorbereitung dieses Banküberfalls und um den Konflikt zwischen den einzelnen Bandenmitgliedern über die Aufteilung der Beute.

Da keiner der Staaten ernsthaft – was unweigerlich heißt: schmerzhaft – sparen will, ist die Schuldenlast der Staaten schon so erdrückend, dass immer weniger Geldbesitzer bereit sind, Staaten weiteres Geld zu borgen. Daher sollen die Banken jetzt gezwungen werden, auf mehr als die Hälfte ihrer bisherigen Forderungen an Griechenland verzichten. Und wenn sie das einmal bei Griechenland getan haben, dann werden sie in loser, aber unweigerlicher Folge auch Portugal, Italien, Spanien und bald auch Frankreich ihrer Schulden befreien müssen. Mittelfristig werden wohl sogar die Finanzminister Österreichs und Deutschlands nach einer solchen Entschuldung lechzen.

Gewiss: Der zwangsweise Verzicht auf Forderungen passiert auch in jedem Konkurs. Das ist Teil des normalen Lebens, auch wenn dadurch viele Gläubiger selbst in Konkursgefahr kommen.

Jedoch gibt es für Staaten gar kein Konkursrecht. Darauf haben die Eu-Staaten – nein, nicht vergessen, sondern vorsätzlich und damit schuldhaft verzichtet, als sie die gemeinsame Währung eingeführt haben. Die Staaten wollten und wollen unbedingt jene Konsequenz vermeiden, den ein formeller Konkurs hat: Ein Masseverwalter übernimmt an Stelle des Pleitiers das Kommando, verwertet alle Vermögensbestände, die er noch vorfindet, und teilt deren Gegenwert gerecht auf die Gläubiger auf.

Einen solchen Masseverwalter wollen die EU-Länder aber nicht akzeptieren. Lediglich Deutschland kommt jetzt – viel zu spät – darauf, dass man diesbezüglich die Verträge unbedingt ändern müsste. Die anderen wollen aber alle keine Vertragsänderung, weil das die politische und diplomatische Klasse in allzu demütigender Weise entmachten würde (oder weil man es einer Boulevardzeitung versprochen hat . . .).

Dennoch hat man einst die gemeinsame Währung eingeführt, obwohl sie ohne ein Konkursrecht extrem krisenanfällig ist. Durch den gemeinsamen Euro ist nämlich das in der Praxis meistverwendete Ventil zur Verhinderung einer Pleite weggefallen: Das war die Abwertung der nationalen Währung samt dem damit verbundenen kräftigen Schnitt durch alle Einkommen und Vermögen jenes Landes.

Ohne Möglichkeit eines Staaten-Konkurses kann man aber nach geltendem Recht auch die Banken und sonstigen Sparer und Anleger nicht zwingen, auf einen bestimmten Prozentsatz ihrer Forderungen zu verzichten. Zwar haben die Banken im Sommer zu einem Großteil freiwillig zugesagt, im Gegenzug für die Garantie ihrer restlichen Forderungen auf 21 Prozent der Forderungen gegen Griechenland zu verzichten.

Bei einem Forderungsverzicht in Höhe der nun zur Diskussion stehenden 50 bis 60 Prozent wird es aber eine sichere Konsequenz geben: Eine Reihe von Gläubigern wird das nicht akzeptieren, sondern Exekution gegen Vermögenswerte Griechenlands führen, sobald sie dieser irgendwo habhaft werden. Das kann etwa zur Beschlagnahme von Flugzeugen oder Schiffen führen. Das kann auch jedes griechische Bankkonto in der Welt treffen. Womit ein Euroland praktisch vom internationalen Wirtschaftsleben abgeschnitten wäre.

Überdies würde ein erzwungener Forderungsverzicht dazu führen, dass auch die Anleihen aller übrigen Euro-Staaten von potenziellen Geldgebern als wackelig angesehen werden. Was zumindest zu erhöhten Zinssätzen für weitere Anleihen irgendeines europäischen Staates führen würde. Einschließlich jener Deutschlands. Das versucht die EU zwar nun durch den nächsten Gewaltakt zu verhindern, indem den Rating-Agenturen die Veröffentlichung der Bewertung von europäischen Krisenstaaten verboten werden soll. Wenn mein Spiegel ein hässliches Bild zeigt, schlage ich ihn halt kaputt. Aber das wird China&Co nur erst recht zögerlich machen, weitere Kredite Richtung Europa zu vergeben.

Daraus folgt nun fast zwingend die nächste Etappe des Bankraubs: Die Staaten versuchen jetzt, die Banken direkt zu enteignen. Denn sobald die Staaten als Eigentümer die Kontrolle über die Geldinstitute haben, werden diese verstaatlichten Banken plötzlich wieder – Überraschung, Überraschung – Kredite an Griechenland&Co vergeben und „freiwillig“ auf ihre alten Forderungen verzichten. Das Ganze wird dann euphemistisch „Umschuldung“ genannt, damit ein Teil der Sparer so blöd ist, sein Geld weiter in solchen Staatsbanken zu lassen – wenn sie nicht überhaupt per Gesetz dazu gezwungen werden.

Die Enteignung der Banken wird natürlich nicht freiwillig erfolgen, sondern durch Gewalt. Man zwingt die Banken zu Kapitalerhöhungen durch Eintritt des Staats als Aktionär. Banken, die sich dagegen wehren, bekommen die vielfältigsten Daumenschrauben angesetzt. Denn die Bankräuber können blitzschnell in die Rolle des Bankenaufsehers wechseln.

So hat es schon in der Vorwoche Hausdurchsuchungen der EU-Kommission bei allen großen Banken gegeben. Dies geschah unter dem Vorwand eines bis dahin von niemandem geäußerten Vorwurfs, dass die Banken den Zinssatz des Euribor manipulieren würden. Was nach Ansicht vieler Experten technisch gar nicht möglich ist.

Gleichzeitig setzt man die Banken auch durch ständige europäische Stresstests unter Druck: Noch im Sommer haben die politisch bestellten „Experten“ erklärt, dass die europäischen Banken einen zusätzlichen Kapitalbedarf von 2,5 Milliarden haben. Jetzt ist plötzlich von 80 Milliarden Euro die Rede. Ob da noch irgendetwas glaubwürdig ist, ist der Politik längst völlig egal. Sie kämpfen um das Geld der Banken und nicht mehr um die eigene Glaubwürdigkeit.

Besonders grotesk ist der doppelte Vorwurf der Staaten an die Banken, mit denen diese auch moralisch auf die Anklagebank gesetzt werden: Die Banken hätten den Staaten erstens zu viel Geld geborgt, und die Banken würden zweitens den Staaten jetzt kein Geld mehr borgen. Zwar werden diese beiden einander zu 100 Prozent widersprechenden Vorwürfe meist nicht – wie hier – in einem Satz zusammen formuliert; in gewissem zeitlichem Abstand geniert man sich aber keineswegs, so widersprüchliche Anschuldigungen zu erheben.

Die Staaten schweigen hingegen total in Hinblick auf ihre eigene Mitschuld beziehungsweise auf jene der im Staatsbesitz befindlichen Nationalbanken: Diese haben nämlich durch die Basel-Abkommen offiziell dekretiert, dass Kredite an Staaten absolut sicher seien, daher auch nicht durch irgendwelche Bankreserven abgesichert werden müssten. Das erhebt freilich den Vorwurf der Staaten an die Banken, zu viele Kredite an Staaten vergeben zu haben, endgültig in den Bereich des Absurden.

Ein weiteres Instrument der Staaten, um den Weg zu den Banktresoren freizubekommen, sind neue Steuern: Bankensteuern, Kursgewinnsteuern, Finanztransaktionsabgaben. Das schmälert die Eigenkapitalbasis der Banken beträchtlich. Und gleichzeitig schreibt man den Banken höheres Eigenkapital vor, um sie noch weiter sturmreif zu schießen.

Überdies wird ständig auch von noch weiterem „Regulierungsbedarf“ geredet. obwohl die Banken seit langem extrem detailliert reguliert und kontrolliert sind. Die Möchtegernregulierer, also die Staaten, sind hingegen bei ihrer leichtfertigen Schuldenpolitik praktisch überhaupt nicht reguliert. Obwohl drastische Sparsamkeit der Staaten der einzige funktionierende Weg zur Sanierung wäre. Schuldenbrems-Regeln wie die Maastricht-Kriterien hat man einfach ignoriert.

Beim zweiten Objekt ihrer Begierde, dem Steuerzahler, kommen die Staaten mit weiteren Auspressaktionen derzeit schlecht voran. Davor schützt uns derzeit noch der deutsche Bundestag und das deutsche Verfassungsgericht ein wenig, die beide weitere Haftungen und Geldflüsse zugunsten der Schuldenstaaten verhindern.

Daher bleibt den Euro-Staaten nur noch der gefinkelte Plan des hier skizzierten Banküberfalls. Erstaunlich ist lediglich: Die Sparer (ob über Sparbuch, Anleihendepot, Lebens- oder Rentenversicherung) begreifen gar nicht, dass sie dessen eigentlichen Opfer sind. Sie bejubeln sogar zum Gutteil diesen Überfall, weil sie den vom staatlichen Propagandaapparat ausgestreuten Schauermärchen glauben, dass die Banken die Schuldigen an der Katastrophe seien und dass dort noch viel Geld zu holen sei.

Nur noch eine letzte Zahl, um zu zeigen, dass den Staaten dieses Aufbrechen aller Banktresore gar nicht viel helfen wird: Denn beispielsweise Österreichs Staatsverschuldung wird zu 80 Prozent von ausländischen Gläubigern gehalten. Die könnte man aber nur noch durch Einsatz des Bundesheeres berauben. Aber das steht leider derzeit fast zur Gänze als Kinderspielzeug am Heldenplatz . . .

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Auf die Größe kommt es nicht an

25. Oktober 2011 02:42 | Autor: Gudrun Kugler
Rubrik: Gastkommentar

Zumindest nicht in der Frage, wann das menschliche Leben beginnt.

Der Gerichtshof der Europäischen Union entschied am 18. Oktober, dass menschliches Leben mit der Befruchtung beginnt, und dass es rechtlich gesehen von diesem Zeitpunkt an schutzwürdig ist!

Das Urteil "Brüstle, C?34/10" besagt konkret, dass menschliche Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken oder zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung nicht Gegenstand einer Patentierung sein können. Dies bezieht sich auch auf Methoden, die eine vorhergehende Zerstörung eines menschlichen Embryos erfordern.

Ebenso ist jede Zelle, die sich in einen Embryo entwickeln kann, als menschlicher Embryo anzusehen!

Dieses für die 27 EU-Mitgliedsstaaten rechtlich verbindliche Urteil hat weitreichende Konsequenzen für den Lebensschutz. Wir dürfen uns zuerst einmal freuen… und dann dieses Urteil flächendeckend für den Schutz des Menschen in seinen ersten Tagen nützen!

Die entscheidende Stelle aus dem Urteil (Brüstle, C?34/10, 18. 10. 2011):

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

  1. Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen ist wie folgt auszulegen:
    1. Jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an, jede unbefruchtete menschliche Eizelle, in die ein Zellkern aus einer ausgereiften menschlichen Zelle transplantiert worden ist, und jede unbefruchtete menschliche Eizelle, die durch Parthenogenese zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden ist, ist ein „menschlicher Embryo“.
    2. Es ist Sache des nationalen Gerichts, im Licht der technischen Entwicklung festzustellen, ob eine Stammzelle, die von einem menschlichen Embryo im Stadium der Blastozyste gewonnen wird, einen „menschlichen Embryo“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44 darstellt.
  2. Der Ausschluss von der Patentierung nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44, der die Verwendung menschlicher Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken betrifft, bezieht sich auch auf die Verwendung zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung, und nur die Verwendung zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken, die auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen anwendbar ist, kann Gegenstand eines Patents sein.
  3. Eine Erfindung ist nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44 von der Patentierung ausgeschlossen, wenn die technische Lehre, die Gegenstand des Patentantrags ist, die vorhergehende Zerstörung menschlicher Embryonen oder deren Verwendung als Ausgangsmaterial erfordert, in welchem Stadium auch immer die Zerstörung oder die betreffende Verwendung erfolgt, selbst wenn in der Beschreibung der beanspruchten technischen Lehre die Verwendung menschlicher Embryonen nicht erwähnt wird.

Der gesamte Text des Urteils findet sich hier.

Dr. iur. Gudrun Kugler leitet das Dokumentationsarchiv der Intoleranz gegen Christen in Europa (www.IntoleranceAgainstChristians.eu) und ist Lehrbeauftragte am Internationalen Theologischen Institut in Trumau (www.iti.ac.at).

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Sitzen wir in der chinesischen Falle?

24. Oktober 2011 18:42 | Autor: Georg Vetter
Rubrik: Gastkommentar

Es scheint, als träfen sich die 17 EU-Staaten in immer kürzeren Abständen, um die von Griechenland ausgelöste Schuldenkrise zu meistern.

Die Sache ist ja auch gar nicht so einfach. Wir haben mitbekommen, dass es einen Schuldenschnitt um die 50 Prozent geben muss. Um uns eine solche Maßnahme schmackhaft zu machen und die semantischen Aversionen niedrig zu halten, muss ein Begriff aus der Körperpflege herhalten: her mit dem Haircut.

Da die Märkte die Griechenland–Pleite schon vorweg genommen haben, sind die Kurse der hellenischen Anleihen bereits in den letzten Wochen in den Keller gerasselt. Andreas Treichl erklärte erst vor ein paar Tagen, dass die ERSTE Bank diese Papiere wegen der Erwartungshaltung der Investoren verkaufen musste. Ob dies auch die Kommunalkredit – also jene verstaatlichte Bank, der man besonders viele Griechen-Anleihen nachsagt – getan hat? Oder werden wir doppelt zahlen?

Politisch lässt sich der Haircut gegen institutionelle Investoren – so diese die genannten Anleihen überhaupt noch halten – scheinbar leicht verkaufen. Banken und Millionäre machen ja sowieso die Staatsfeinde Nummer eins aus.

Eine Gruppe lassen wir allerdings völlig außer Acht: Die Chinesen. Das Reich der Mitte hat vor ein paar Jahren beschlossen, einerseits seine militärischen Kapazitäten sowohl im Weltall als auch im Westpazifik zu erhöhen, andererseits mit kapitalistischen Methoden die Weltwirtschaft zu dominieren. Schon Alan Greenspan beschreibt in seinem Buch „The age of turbulance“ die erstaunlichen Fortschritte der chinesischen Finanzindustrie, deren Akteure zu einem guten Teil in den USA ausgebildet wurden.

Teil dieser chinesischen Strategie ist es offensichtlich, unter dem Vorwand der Hilfsbereitschaft, Staatsanleihen der taumelnden PIIGS-Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien) aufzukaufen. Ganz so uneigennützig ist dies allerdings nicht. Erst letzte Woche setzte es aus China Drohgebärden, als sich der amerikanische Kongress daran machte, die eigene Volkswirtschaft vor den Chinesen in Schutz zu nehmen.

Jeder kann sich an seinen fünf Fingen ausrechnen, dass sich die führenden europäischen Politiker nicht einmal anzuklopfen trauen werden, ob man sich in China an einem Haircut beteiligen wolle. Mit anderen Worten: Die Chinesen werden wohl zum Nominale abgefunden werden, an den Kursdifferenzen und den überdurchschnittlich hohen Zinsen verdienen und sich auf den nächsten Schnitt im verschreckten Europa freuen.

Schon Sun Tzu hatte formuliert: „Der beste Weg einen Gegner zu besiegen, besteht darin, ihn davon zu überzeugen, dass er nicht gewinnen kann.“ Diese Überzeugung dürfte sich bei den europäischen Politikern derzeit breit gemacht haben. Denn jene Lösung, die dem Einfluss des libyschen Kapitals ein jähes Ende bereitete, scheidet aus.

Letztlich führt kein Weg daran vorbei, dass sich Europa von seinen Traumtänzereien verabschieden wird müssen, um in der Weltpolitik und in der Weltwirtschaft zu bestehen. Die Vollkaskomentalität des Wohlstandsstaates, dass vom Kindergarten über die Gesundheit bis zum Frieden alles gratis zu sein hat, wird in Zukunft wenig Platz haben. Mangels bedeutender Rohstoffe werden wir nur durch harte Arbeit unseren Wohlstand erhalten können. Von nachgefragter Ausbildung über marktfähige Produkte bis hin zu einem adäquaten Verteidigungsbeitrag werden wir uns schlicht und einfach anzustrengen haben.

Nur der verdient sich Freiheit, der täglich sie erobern muss.

Dr. Georg Vetter ist selbständiger Rechtsanwalt mit Schwergewicht auf Gesellschaftsrecht und Wahrnehmung von Aktionärsinteressen in Publikumsgesellschaften.

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Pensionen: Frauendiskriminierung zieht immer

24. Oktober 2011 05:42 | Autor: Viktor Pölzl
Rubrik: Gastkommentar

Im Jahr 2008 betrug die Pensionserhöhung für Niedrigbezieher unterhalb des Ausgleichszulagen-Richtsatzes, die wegen anderer Einkünfte (z.B. Ehegatte) keine Ausgleichszulage bekommen oder auf Antragstellung verzichten, 1,7 Prozent. Ausgleichszulagenbezieher („Mindestpensionisten" mit damals 747 Euro brutto inklusive Zulage) bis hin zu Pensionen von 1050 Euro brutto erhielten aber einen  Erhöhungs-Fixbetrag von 21 Euro mehr, das entspricht 2,81 bis 2 Prozent.

Der Linzer Rechtsanwalt Johannes Winkler hat jetzt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) Recht bekommen. Der EuGH folgte mit der soeben bekannt gewordenen Entscheidung der Argumentation, dass die Benachteiligung der Bezieher von Kleinstpensionen eine EU-rechtswidrige indirekte Frauendiskriminierung darstelle, da laut Statistik mehr Frauen als Männer betroffen sind.

Nun ist wieder Österreich am Zug. Viel mehr als eine Korrektur der damaligen Kleinstpensionen-Erhöhung von 1,7 auf 2 Prozent, also um 0,3 Prozent, ist aber nach Arbeiterkammer-Einschätzung nicht zu erwarten (ansonsten würden sich wieder andere aufregen), wirkt sich also kaum finanziell aus.

Interessant ist aber, dass beim EuGH wieder einmal die Behauptung von Frauendiskriminierung gezogen hat, obwohl Männer in gleicher Weise, wenn auch nicht in gleicher Zahl, betroffen sind und einige davon ebenfalls von diesem Anwalt vertreten werden.

Diskriminiert wurde ja unbestreitbar die Gruppe der Kleinstpensionisten gegenüber der Gruppe vom Bezugsniveau „Mindestpensionisten" (mit Ausgleichszulage) aufwärts, unabhängig vom Geschlecht, was aber nach österreichischem oder EU-Recht anscheinend keine Rolle spielt, solange nicht geschlechtsspezifische Diskriminierungen behauptet werden. Bei Diskriminierungen, von denen mehrheitlich oder ausschließlich Männer betroffen sind, drücken Gesetzgeber, Justiz etc. gerne ihre Augen zu.

Beispielsweise bei Unterschieden in der Pensionshöhe, die durch Abschläge wegen des unterschiedlichen gesetzlichen Pensionsantrittsalters verursacht werden: Unter gleichen Voraussetzungen kann die Pension von Männern bis zu 15 Prozent geringer ausfallen, was keine Gleichbehandlungskommission, kein Gericht, keine Kammer und keinen Politiker interessiert.

Frauen dürfen bereits mit 60 Jahren in den Ruhestand gehen (in Deutschland wurde hingegen das Antrittsalter für Frauen von einer rotgrünen Bundesregierung von 63 auf 65 Jahre erhöht), aber nach einer letztjährigen EuGH-Entscheidung nicht in diesen geschickt werden (das wäre ja wieder einmal Frauendiskriminierung), wenn sie bis zum für Männer gültigen Pensionsantrittsalter weiterarbeiten wollen.

Bei künftigen Pensionserhöhungen in Österreich wird übrigens wohl wieder eine prozentuell gleiche Erhöhung für alle herauskommen, um Anfechtungen zu vermeiden.

Viktor Pölzl ist Obmann des überparteilichen Vereins Freimann mit Sitz in Graz, der sich für Gleichberechtigung auch für Männer einsetzt.

www.freimann.at

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Europa: eine große Idee zerbricht

22. Oktober 2011 00:57 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Europa steht am Rande des Zerbrechens: Zuerst wurde der EU-Gipfel um eine Woche verschoben, dann wurde schon vor Beginn des Gipfels eine „Unterbrechung“ beschlossen. Und nur noch eines ist klar: Es herrscht totale Ratlosigkeit, wie es weitergehen soll. Peinlicher geht’s nimmer.

Dabei geht es längst um die eigentlichen Existenzfragen der Union: Zahlen die Deutschen weiter für die Misswirtschaft in anderen, vor allem südlichen Ländern, wie sie es seit Jahrzehnten schon getan haben? Ziehen noch immer die moralischen Argumente, zuerst wegen deutscher Kriegsverbrechen, dann wegen der offenbar notwendigen Dankbarkeit für die großzügige Erlaubnis der Miteuropäer, sich wiederzuvereinigen? Wird Angela Merkel unter dem Druck der Schuldenmacher, insbesondere des französischen Staatspräsidenten Sarkozy wieder einmal einbrechen, so wie sie es schon mehrmals seit Mai 2010, also seit der ersten Griechenland-„Rettung“ getan hat? Oder hält diesmal der deutsche Widerstand, weil die Berliner Politik endlich erkannt hat, dass sie mit der ständigen „Rettung“ der Schuldenmacher längst das eigene Land gefährdet?

Merkel kann aber kaum mehr nachgeben, denn sie steht mit dem Rücken zur Wand. Sie bekommt keinen zusätzlichen Hilfs-Euro mehr durch das deutsche Parlament genehmigt. Ähnliches gilt wohl auch für die Slowakei, die Niederlande und Finnland, also jene Euro-Länder, welche die gemeinsame Währung nicht als Anlass zu hemmungsloser Schuldenmacherei verstanden haben.

Für Österreich gilt das alles natürlich nicht. Dieses Land hat ja seit längerem keine eigene Außen-, Europa- oder Währungspolitik mehr. Es ist geradezu rührend, wie sich ein Werner Faymann vor Europa-Gipfeln jedesmal um jede konkrete Festlegung herumdrückt, solange er noch nicht weiß, welcher Meinung er sein soll, solange ihm niemand aufschreiben kann, was denn am Ende der Gipfelbeschluss sein wird. Erst dann hat er ja seine überaus selbstsicher vorgetragene Meinung parat.

Gescheitert scheint – hoffentlich – jedenfalls der Versuch, den mit unseren Steuermitteln befüllten europäischen Haftungsfonds EFSF zu einer Bank zu machen, die sich bei der Europäischen Zentralbank refinanzieren darf. Denn das wäre der totale Persilschein, nein: Befehl, alle Euro-Druckmaschinen auf Volldampf einzuschalten.

Noch in Diskussion ist hingegen das Modell, aus den Haftungen der Euro-Staaten eine Teilkasko-Versicherung zu machen. Diesem Modell zufolge sollten die eigentlichen Kredite zugunsten Griechenlands und seiner Schuldengenossen auf dem freien Markt aufgenommen werden, die dann zu rund 20 bis 30 Prozent eine Ausfallversicherung durch den EFSF erhalten. Damit könnte man das Rettungsvolumen verfünffachen. Also: Erst wenn ein Kredit an Griechenland teilweise oder ganz ausfällt, werden die EFSF-Gelder aus Deutschland, Österreich & Co herangezogen. Diese aber zuerst! Und dann erst die eigentlichen Gläubiger. Damit ist freilich fast sicher, dass am Ende all das EFSF-Geld weg sein wird, das die einzelnen Staaten in den letzten Wochen durch Barzahlungen und Haftungen für diesen EFSF geschaffen haben.

Ein wenig harmloser klingt ein zweites Modell: Diesem zufolge würden die EFSF-Gelder bei einem Teilausfall nur zu jenem Prozentsatz herangezogen, zu dem auch der Kredit ausfällt. Dann wäre bei einer Pleite der EFSF nicht primär, sondern nur im gleichen Prozentsatz betroffen wie die privaten Kreditgeber.

Das zweite Modell hat aber noch mehr als das erste einen Denkfehler: Es ist wohl aussichtslos, ausreichend neue Geldgeber finden zu wollen, die bereit sind, zu 70 bis 80 (oder im zweiten Modell noch mehr) Prozent selbst das Risiko eines an Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und wohl auch Frankreich vergebenen Megakreditvolumens zu tragen. Scheint doch schon jetzt klar zu sein, dass sogar die Annahme einer 50-prozentige Rückzahlungsrate im Fall Griechenlands überoptimistisch ist.

Als drittes Modell bleibt der Internationale Währungsfonds. Das ist freilich jene Institution, die in den letzten Jahrzehnten primär Entwicklungsländer mit beinharten, aber wirksamen Sparauflagen unterstützt und saniert hat. Damit ist aber die EU und die Eurozone als stolze Selbsthilfegruppe endgültig gescheitert.

Die Deutschen lassen sich freilich von den weinerlichen Stimmen der Griechen und der versammelten Linken immer weniger beeindrucken, dass man einfach zu viel von den Griechen an Einsparungen verlange. Dass es deswegen ganz verständlich sei, dass diese ihre Sparzusagen nicht ernsthaft eingehalten haben.

Um dieses Gejammer zu widerlegen, genügt es, nach Irland zu schauen: Dieses Land ist durch Bankenkrachs im Vorjahr ebenfalls in eine ebenso tiefe Krise wie Griechenland gerutscht. Es ist aber inzwischen durch ehrliches und konsequentes Sparen – und ganz ohne Streiks! – wieder auf dem Weg der Besserung. Die irische Wirtschaft wächst wieder und die Arbeitslosigkeit geht zurück.

Statt neuer Kredite sollte man also den griechischen Gewerkschaftern (und ihren Apologeten etwa im ÖGB) ein paar Tickets nach Irland finanzieren, damit sie den Erfolg eines wirklichen Sparkurses sehen können. Irland zeigt: Ein solcher Kurs ist nicht nur eine Straße nach unten, sondern ein Sanieren führt am Ende wieder hinauf!

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Rede zum Rettungsschirm

21. Oktober 2011 05:42 | Autor: Richard Sulík
Rubrik: Gastkommentar

Hier folgen Auszüge aus der Rede Richard Sulíks, Slowakischer Parlamentspräsident und Chef der liberalen Regierungspartei „Freiheit und Solidarität“ (SaS), die er am 11.10.2011 zu der, von seiner Partei abgelehnten, Ausweitung des Euro-Rettungsschirmes hielt.

Vor sechzehn Monaten, genau am 12. Juni 2010, haben die Bürger in den Parlamentswahlen, nach vier Jahren Diebstahl und Vetternwirtschaft, einer Rechtsregierung das Mandat gegeben, aus der Slowakei ein besseres Land zu machen. Wir konnten uns über die Zusammensetzung der Regierung sowie über ihre Hauptthesen einigen. Einen Monat später haben wir gemeinsam hier im Nationalrat das Regierungsprogramm verlautbart. Darin stehen folgende Sätze:

„Die Regierung der Slowakischen Republik ist eindeutig für die Beibehaltung der Souveränität der Mitgliedsstaaten im Rahmen der Wirtschafts- und Sozialpolitik…“

„Für die Slowakei ist es sehr wichtig, die Verschuldung der zukünftigen Generationen zu stoppen…”

„… wobei Teil der Änderungen auch ein klarer Mechanismus des gesteuerten Bankrotts eines Landes, das auf die Dauer eine unverantwortliche Budgetpolitik betreibt, sein muss."

Ich stelle fest, dass eine Erweiterung des Euro-Rettungsschirmes eindeutig diesen Sätzen und damit gleichzeitig der Programmerklärung der Regierung widerspricht.

Im Artikel VI Punkt 1 des Koalitionsabkommens steht:

„Sollte einer der Koalitionspartner in einer ernsten Sache sowie gegen den Willen der restlichen Koalitionsmitglieder bei einer Abstimmung die Opposition unterstützen, stellt dies eine ernste Verletzung der Rechte der restlichen Partner dar.”

Ich stelle fest, dass es in Sachen des Euro-Rettungsschirmes zu einer groben Verletzung des Koalitionsvertrages kommen wird.

Unsere Regierung ist wahrscheinlich weltweit einzigartig, da sie das Vertrauensvotum mit der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm verbinden wird, der eindeutig im Widerspruch mit der Programmerklärung der Regierung, mit dem Koalitionsvertrag und vor allem mit dem gesunden Menschenverstand ist.

Was ist eigentlich dieser Euro-Rettungsschirm, wegen dem die Regierung zu Fall gebracht werden soll?

Im August des Vorjahres hat der Nationalrat den ersten provisorischen Euro-Rettungsschirm abgesegnet. Auch mit den Stimmen des SaS. Wir haben damals vor allem aus drei Gründen zugestimmt – es sollte sich lediglich um eine temporäre, drei Jahre dauernde Maßnahme handeln, es sollten nur Staaten, keine Banken gerettet werden und schließlich sollte nur jenen Ländern ein Kredit gewährt werden, bei denen mit einer Zurückzahlung gerechnet werden kann.

Ein Jahr später gilt nichts mehr davon. Das ist ein Gebrechen der gemeinsamen Währung. Es gelten keine Vereinbarungen, keine Zusagen, man kann sich auf nichts verlassen. Der Euro-Rettungsschirm wird nicht mehr provisorisch eingeführt, es können auch Banken gerettet werden – und durch den zweiten Kredit an Griechenland wurden auch die letzten Prinzipien über Bord geworfen.

Würde der Euro-Rettungsschirm nur provisorisch gelten, so wie ursprünglich vereinbart und abgesegnet wurde, hätte man Staaten retten können. Vom ursprünglichen Volumen in der Höhe von 250 Mrd. Euro wurden 70 Mrd. Irland und Portugal zugesagt, im Topf bleiben also noch 180 Mrd. Euro. 180 Mrd. Euro, mit denen man manches Land der Eurozone retten könnte.

Die Eurozone besteht nicht aus hundert oder zweihundert Ländern, sondern aus lediglich 17, deswegen ist es einfach, die Lage einzeln zu analysieren. Dabei stellen wir fest, dass die Rettung von vier kleinen Ländern, wie Belgien, Slowenien, Malta und Zypern, sowie von zwei großen Ländern – Spanien und Italien – in Frage kommt. Für die Rettung der kleinen Länder sind jene 180 Milliarden, die sofort im ursprünglichen provisorischen Euro-Rettungsschirm zur Verfügung stehen, ausreichend. Für die Rettung der zwei großen Länder wird auch der erweiterte Rettungsschirm nicht reichen.

Deswegen frage ich, warum es notwendig ist, den Euro-Rettungsschirm zu erweitern, wenn durch die reine Erweiterung kein weiteres Land gerettet wird? Diese Frage ist vor allem für jene wichtig, die mit dem Begriff „Solidarität“ argumentieren. Zur Beantwortung dieser Frage ist es erforderlich, eine weitere wichtige Änderung – einen Wandel der Kompetenzen – ins Auge zu fassen. Diese Änderung wurde am 21. Juli stillschweigend und ohne jegliche öffentliche Diskussion vollzogen. Im Zuge der Genehmigung dieser Änderung erhält der Euro-Rettungsschirm das Recht, Staatsanleihen zu kaufen, jedem beliebigen Land einen Kredit zu gewähren und vor allem Banken auch in gesunden Ländern zu retten.

Wie aus einem Bericht des Internationalen Währungsfonds hervorgeht, fehlen den Banken 200 Mrd. Euro, und siehe da, das ist fast genau jener Betrag, um den das Volumen des Euro-Rettungsschirmes von 250 Mrd. auf 440 Mrd. Euro angehoben werden soll. Frankreich hat schon verlauten lassen, dass es seine Banken gerne mit Mitteln des EFSF retten möchte, weil sich bei einer Alleinsanierung das Rating des Landes verschlechtern könnte.

Ich stelle fest, dass durch die Erweiterung des Euro-Rettungsschirmes die Slowakei ausländische Banken retten wird.

Ich betone, dass die Slowakei ihre eigenen Banken allein, also nur mit Mitteln der slowakischen Steuerzahler, saniert hat, umso weniger verständlich ist es jetzt, wenn fremde Banken gerettet werden sollen.

Die Slowakei ist das ärmste Land der Eurozone. Wir haben auch die niedrigsten Löhne in der Eurozone. Trotzdem entwickeln wir Stolz und leben lieber bescheiden, als uns von jemandem retten zu lassen, wenn wir dadurch die Selbständigkeit und Unabhängigkeit verlieren würden, die wir durch die Entstehung der Slowakischen Republik im Jahr 1993 erlangt haben. Gleichzeitig sollen wir mit dem höchsten Anteil an öffentlichen Finanzen, also mit mehr als 35 Prozent zum EFSF, beitragen, im Unterschied zum Nachbarland Österreich, das im Vergleich mit uns nur weniger als die Hälfte dieser Quote zahlen muss. Für die Menschen bedeutet das, dass im Fall einer vollständigen Haftung jeder Bürger der Slowakei 300 Arbeitsstunden dafür leisten muss, in Deutschland reichen schon 120.

Ich stelle fest, dass die Slowakei das ärmste Land der Eurozone ist und gleichzeitig im Verhältnis zu seinen öffentlichen Finanzen am meisten zahlen muss.

Zusammenfassend steht eine Erweiterung des Euro-Rettungsschirmes also im Widerspruch mit der Programmerklärung der Regierung, stellt eine grobe Verletzung des Koalitionsvertrags dar, ist vor allem zur Rettung ausländischer Banken bestimmt, und außerdem bedeutet eine Erweiterung des Euro-Rettungsschirmes für die Slowakei die teuerste Lösung.

Leider hat keine sachliche Diskussion stattgefunden, die gesamte Argumentation beruhte auf dem Postulat „der Weltpolitik“. Ich habe um die Möglichkeit, vor den einzelnen Abgeordnetenclubs sprechen zu dürfen, gekämpft, aber unsere Partner haben das nicht gestattet. Am 1. Juli wollten wir verhindern, dass unser Finanzminister dem Griechenland-Kredit zustimmt, die Koalitionspartner haben es abgelehnt. Als wir eine Broschüre mit allen unseren Argumenten verfasst und herausgeben haben, wurden wir des Populismus bezichtigt…

Sie können sicher sein, dass wir sorgfältig alle Verträge und andere Dokumente studiert und die Argumente abgewogen haben. Wir sind zum Ergebnis gekommen, dass eine Erweiterung des Euro-Rettungsschirmes massiv die slowakischen Steuerzahler schädigen wird. Mit massiv meine ich, dass wir hier nicht über Millionen, sondern über Milliarden Euro sprechen, die so eines Tages die Slowakei für immer verlassen sollen. Diese Schäden werden vielleicht noch zwei weitere Generationen zurückzahlen müssen.

Aus diesem Grund werden wir einer Erweiterung des Euro-Rettungsschirmes nicht zustimmen. Ich weiß, dass wir damit sehr unkonform sind und habe keine Freude damit. Es geht jedoch um eine wesentliche Frage unseres Gewissens. Ich werde lieber in Brüssel für einen Exoten gehalten, als mich vor meinen eigenen Kindern schämen zu müssen. Wir kleben nicht an unseren Stühlen und brauchen auch keine vollen Tröge. Wir sind eine Partei der anständigen Leute. Das einzige, was wir verlieren können, ist unsere Ehre.

Die Verbindung des Vertrauensvotums mit der Abstimmung über die Erweiterung des Euro-Rettungsschirmes halte ich für eine Erpressung und bin darüber sehr erstaunt, da sich die Frau Premierministerin, der SaS am meisten von allen Koalitionsparteien den Rücken gestärkt hat, noch vor einem Monat bei einer gemeinsamen Tagung von Koalitionsabgeordneten mit der Regierung in ?astá-Papierni?ka folgendermaßen geäußert hat: „… ich persönlich sehe keine Möglichkeit, eine andere Sache mit dem Thema Euro-Rettungsschirm zu verknüpfen” und: „Ich werde nicht die Verantwortung für eine politische Destabilisierung oder Budget-Ablehnung übernehmen.”

Frau Premierministerin, du hast das Vertrauensvotum mit einer Sache verbunden, die der Programmerklärung der Regierung sowie dem Koalitionsvertrag widerspricht. Zudem noch mit einer Sache, die massiv der Slowakei zu Gunsten ausländischer Banken schaden wird. Deswegen frage ich dich abschließend: Bist du tatsächlich überzeugt, dass du richtig handelst?

Richard Sulík ist Slowakischer Parlamentspräsident und Chef der liberalen Regierungspartei „Freiheit und Solidarität“ (SaS).

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Das Ende der Europäischen Union

21. Oktober 2011 05:42 | Autor: Harald Rassl
Rubrik: Gastkommentar

Bemühungen, die Territorien Europas zu (ver-)einen, sind so alt wie Europa selbst. Ob Julius Cäsar, ob Karl der Grosse, ob Napoleon, sie alle hatten so etwas im Auge, wenn auch aus verschiedenen Blickwinkeln und mit verschiedenen politischen Vorstellungen.

Nach der Katastrophe der zwei Weltkriege des zwanzigsten Jahrhunderts fanden sich sendungsbewusste Männer, die in einer dauerhaften europäischen Einigung mit wirtschaftlichem Schwerpunkt den besten Weg sahen, um sicherzustellen, dass von europäischem Boden kein bewaffneter Konflikt mehr ausgehen werde. So edel diese Grundidee, und so positiv die Bemühungen waren: Es zeigt sich, dass diese „Europäische Union“ nicht der richtige Weg in ein geeintes Europa ist, sondern, im besten Falle, ein Transitorium, wenn nicht, wie schon viele Versuche vor ihr, eine Sackgasse.

Die 1957 aus der Taufe gehobene EWG entwickelte sich zur EG und schließlich EU; sie erlebte Erfolge und Stagnationsphasen, missglückte und (scheinbar) gelungene Befreiungsschläge. Eines allerdings ist sicher: Von allem Anfang an gelang jedes Krisenmanagement, jede Überwindung eines toten Punktes nur dann, wenn damit eine Flucht nach vorne verbunden war.

Die Süderweiterung

Die Tatsache, dass die damalige „Konkurrenz“ zur EWG, die EFTA, nicht gerade ein Erfolgsmodell war, spätestens ab dem Zeitpunkt, als ihr das zwar relativ kleine, aber wirtschaftlich starke Dänemark, vor allem aber das Vereinigte Königreich an die EWG abhanden gekommen waren, gab der EWG Auftrieb. Vor allem könnten damals möglicherweise schon vorher vorhandene Überlegungen internationaler sozialistischer Kreise ernste Gestalt angenommen haben, nämlich der „kapitalistischen“ EWG nicht von außen Konkurrenz zu machen, sondern sie von innen zu unterwandern.

Hervorragende Instrumente hiefür bildeten die von ihren diktatorischen Regimes befreiten Staaten Südwest- und Südosteuropas: Spanien, nach einem kurzen bürgerlichen Zwischenspiel vom Sozialisten Gonzales regiert. Portugal, unter der Herrschaft des Sozialisten Soares, letztlich Griechenland, nach dem Sturz der „Obristen" von der – zumindest damals – parakommunistischen „Pasok“ beherrscht (mit Folgen, die wir alle bis heute leidvoll zu spüren bekommen).

Die „Süderweiterung" wurde angepeilt, verhandelt und verwirklicht. Und weiter geschah, außer, dass großzügige Überweisungen nach Spanien, Portugal und Griechenland flossen, zunächst  nicht viel.

Die Neutralen werden umworben

Dringend musste daher nun ein neuer Impetus erfolgen. Neue Kandidaten wurden gefunden: Der Rest der EFTA, die neutralen Staaten Schweden, Finnland und Österreich; die Schweiz und Norwegen lehnten das scheinbar großzügige Angebot dankend ab.

Der EU-Beitritt Österreichs erfolgte sogar mit freudiger 2/3 Unterstützung durch die Bevölkerung. Objektiv gesehen war der Ausgang der damaligen Verhandlungen jämmerlich, und das für Österreich magere Ergebnis trug bereits den Keim aller Probleme in sich, die wir heute mit  Brüssel haben.

Die Osterweiterung

Im Jahre 2004 wurden zehn weitere neue Mitglieder in die Union aufgenommen, der grösste Teil von ihnen früher Satelliten- oder sogar Teilstaaten der Sowjetunion, und viele von ihnen, da man sie in den Jahren 1989 und danach im Stich gelassen hatte, wieder unter stramm sozialistischen Regierungen.

Spitzenpolitiker mehrerer neuer EU-Mitglieder hatten Probleme, ihre kommunistische Herkunft schönzureden. Ein paar solcher ehemaliger Sowjet-Kommunisten bekleideten vorübergehend sogar hohe Ämter in Brüssel. War es daher nur Zufall, dass der formelle Beitritt am ersten Mai, dem traditionellen Fest- und Aufmarschtag der Marxisten, erfolgte?

Somit war – vorerst – das politische Kalkül aufgegangen, allerdings um einen hohen Preis, nicht nur an Subventionsleistungen für die neuen Mitglieder, sondern vor allem durch die Verunsicherung der Bevölkerungen in den bisherigen Mitgliedsstaaten.

Die Sorge, dass sich, ausgehend von den „Neuen“, Kriminalität und durch Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft gewachsenes Mittelmass in die ganze Union ausbreiten könnten, fand volle Bestätigung und ließ die kritischen Stimmen immer lauter werden: Diese Osterweiterung sei zu schnell, zu ungenau, vor allem aber unproportional gewesen (fünfzehn Altmitgliedern standen zehn neue gegenüber!): Alles völlig zutreffende Bedenken; sie wurden von Kritikern, aber auch von klugen Pro-Europäern immer wieder vorgebracht, allerdings stets als Miesmacherei abqualifiziert.

Der missglückte Versuch einer nächsten Erweiterungsrunde

Was nun folgen musste, war  – wir kennen das ja schon – eine neuerliche Flucht nach vorne. Zwei Staaten, Rumänien und Bulgarien, wurden leichtsinnig, im Schnellverfahren und ohne ihren alles andere als europareifen Zustand zu berücksichtigen, in die Union aufgenommen, mit bekannten Folgen.

Im Falle Rumäniens wurde  zudem nicht bedacht (oder  bewusst  in Kauf genommen?), dass man mit seiner Aufnahme die größte Roma- und Sinti- Population Europas (nach Schätzungen – genaue Daten gibt es ja zumindest offiziell nicht – mehrere Millionen Menschen!) zu EU – Bürgern gemacht hat.

Peinliche Mängel an Europareife bestehen aber nach wie vor auch bei anderen Jung- Mitgliedern wie u. a. Tschechien, Ungarn, Slowenien und – leider – auch den Staaten des Baltikums, die durch ihr Verhalten in jüngster Zeit bewiesen haben, dass sie offenbar noch sehr viel zu lernen haben. Dafür muss das bereits wesentlich fortgeschrittenere Kroatien viel zu lange warten – warum wirklich, will offenbar keiner sagen. Und die Frage, ob es ein EU-Mitglied Türkei geben wird, könnte sich mittelfristig relativieren oder ganz erübrigen.

Der Anfang vom Ende

Das – gar nicht so unwahrscheinliche – Szenario könnte sein: Unübersichtlichkeit und Heterogenität von rund dreißig Mitgliedsstaaten bringen es so weit, dass die Union schlicht und einfach unvollziehbar wird. Die Brüsseler Bürokratie trägt redlich das Ihre dazu bei, indem sie sich mit so wichtigen Problemen wie der Normung der Autonummern, dem Verbot von Glühbirnen, der Untersuchung von chinesischem Kinderspielzeug und ähnlichen weltbewegenden Dingen beschäftigt, aber bei der Bewältigung echter Herausforderungen, wie etwa der Ende 2008 ausgebrochenen weltwirtschaftlichen Turbulenzen, jämmerlich versagt.

Besonders deutlich wird die Unfähigkeit der Union in diesen Tagen durch den dilettantischen Umgang mit der Krise um und in Griechenland (zu der es ja überhaupt nicht hätte kommen dürfen, wenn die Brüsseler Bürokraten aufmerksam genug gewesen wären). Auf das beschämend hilflose Stegreiftheater rund um den Euro, der immerhin, ob es uns gefällt oder nicht, unsere Währung ist, einzugehen würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen.

Es ist daher durchaus nicht so unwahrscheinlich, dass Kommission und Bürokratie in Brüssel zu einem – nicht mehr so fernen – Zeitpunkt so sehr mit sich selbst und Problemen von der Wichtigkeit der vorher erwähnten beschäftigt sind, dass sie gar nicht bemerken, wenn ihre Richtlinien zunächst in einzelnen, dann in immer mehr und schließlich in allen Mitgliedsstaaten nicht mehr ernst genommen werden. Wichtige Entscheidungen fallen ohnedies schon heute wieder in den Mitgliedstaaten selbst oder in bilateralen Konsultationen, jedenfalls weit an Brüssel vorbei – siehe Weltwirtschafts- und Griechenlandkrise.

Die Kommission in Brüssel wird aber natürlich weiter kommissionieren, der Europäische Gerichtshof in Luxemburg weiter judizieren, das Amt für amtliche Verlautbarungen (das gibt es tatsächlich, und es heißt auch wirklich so!) wird weiterhin amtlich verlautbaren, das Parlament wird parlieren, hoch bezahlte Beamte werden auf (auch unsere) Tobin-Steuerkosten kreuz und quer durch Europa düsen und Konferenzen und Enqueten abhalten.

Die im Gefolge des Vertrages von Lissabon erfolgte Bestellung von Mickymaus-Politikern zu den höchsten Repräsentanten der EU bestätigt den Weg Brüssels in Richtung Entenhausen: Was hat, beispielsweise, Herr van Rompuy in den letzten Wochen für eine Rolle gespielt, außer der des Haus(hof)meisters?

Und die Kommissionsmitglieder – allen voran die unselige Frau Reding – verteilen in grandioser Selbstüberschätzung Zensuren, die ihnen nicht zustehen, und zeigen auch sonst, dass sie nicht verstehen oder verstehen wollen, welch geringen Stellenwert sie eigentlich haben.

Fazit

Was bleibt, ist unendlich viel wertloses bedrucktes Papier und eine sinnlos gewordene Europa-Hauptstadt ohne Europa:  Das ehedem gemütlich-provinzielle Brüssel als sinnentleerter Themenpark, wo in hässlichen postmodernen Büropalästen die (teure) Reality-Show „Wie beschäftige ich tausende überflüssige, aber hoch bezahlte Mitarbeiter, ohne, dass sie ernsthaften Schaden anrichten“ gespielt wird: Außer Spesen nichts gewesen.

Schade um die viele Arbeit und die Unmengen von Geld, die in diese Sackgasse investiert wurden. Eine vergebene Chance. Aber zum Trost möge gereichen, dass ja auch alle früheren europäischen Einigungsversuche gescheitert sind. Und so viel klüger als in den vergangenen zweitausend Jahren waren die Menschen in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eben auch nicht. Warum hätten sie es auch sein sollen?

Harald Rassl, geboren 1943, lebt in Wien. Er war mehr als 35 Jahre in der Kreditwirtschaft tätig.

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SN-Kontroverse: Für die Griechen zahlen?

21. Oktober 2011 00:57 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Unter dem Titel “Kontroverse” gibt es in jeder Freitag-Ausgabe der Salzburger Nachrichten eine Doppelkolumne, in der Katharina Krawagna-Pfeifer und ich jeweils zum gleichen, von der SN-Redaktion vorgegebenen Thema schreiben. Und zwar ohne dass man gegenseitig die Texte vorher kennt.

Diese Woche steht die “Kontroverse” unter dem Titel:

 

Sollen wir für die Schulden der Griechen zahlen?

 

In der Folge finden Sie die beiden – unverändert wiedergegebenen – Kolumnen. Dadurch soll dieser kreativen und spannenden Idee auch hier ein Forum gegeben werden.

Wer im Glashaus sitzt...

Katharina Krawagna-Pfeifer war Innenpolitikerin der SN, Innenpolitikchefin sowie Leiterin des EU-Büros des “Standard” und SPÖ-Kommunikationschefin. Sie arbeitet jetzt als Publizistin und Kommunikationsstrategin (kkp.co.at).

Vielleicht, in nicht allzu ferner Zukunft, sind die Österreicherinnen und Österreicher froh, dass es den erweiterten europäischen Rettungsschirm gibt und andere Rettungsmaßnahmen der EU für ihre Währung. Denn nicht nur Griechenland ist ein Fall für Spekulationen aller Art. Diese Woche drohte Moody's mit einer Herabstufung Frankreichs, das die belgisch-französische Großbank Dexia retten musste. Das würde in der Folge auch Deutschland hart treffen, denn Frankreich ist nach wie vor der wichtigste Handelspartner und vor allem der politische Verbündete Deutschlands, wenn es um Fragen der europäischen Einigung geht. Deutschland wiederum ist für Österreich der wichtigste Partner. Österreich wiederum ist eng mit den osteuropäischen Ländern - ob mit oder ohne Euro ist egal - verzahnt.

Die Erste Group Bank AG ist mit 17,4 Millionen Kunden eine der größten Bankengruppen in Zentral- und Osteuropa. Daher löste die Abschreibung von rund 1,8 Milliarden Euro durch die Erste einen internationalen Schock aus. Niemand weiß, wie es mit der Volksbank AG weitergeht, die einen Verlust von einer Milliarde Euro publizierte. Die Bawag, die bereits 550 Millionen Euro Staatskapital hat, macht ebenfalls Sorgen. Die Stadt Linz klagt sie wegen eines Swap-Geschäfts zu einem Frankenkredit. Der wurde so spekulativ abgeschlossen, dass aus abzusichernden 150 Millionen Euro deutlich mehr wurden. Ganz zu schweigen von den Unsummen, die die Rettung der Hypo Alpe Adria verschlungen hat. Jene neoliberal angehauchten Chauvinisten und Nationalisten aller Couleurs in diesem Land, die zurzeit ihren Finger so gern auf Griechenland richten, sollten daher lieber ihre Ganglien aktivieren. Dabei könnte der Satz von jenen, die im Glashaus sitzen und das Steinewerfen unterlassen sollen, hilfreich sein.


Das größere, aber spätere Übel

Andreas Unterberger

 

Aus Griechenland wie Italien werden täglich heftiger werdende Streiks gemeldet. Das bedeutet: Erstens, die Menschen dort haben noch überhaupt nicht begriffen, dass die Schulden ihres Landes ihre Schulden sind und nicht etwa die Deutschlands und Österreichs. Zweitens wird durch den Arbeitsausfall das Volkseinkommen der betroffenen Länder noch mehr schrumpfen. Und drittens verschwindet dadurch die Zahlungsbereitschaft in den wenigen EU-Ländern, die noch - noch! - als kreditwürdig gelten, endgültig.

Gewiss: Ein Crash Griechenlands hätte auch für andere gewaltige Folgen, egal, ob er nun als Totalpleite, als Umschuldung, als Haircut abläuft. Kreditgeber - von China bis zu den Pensionsfonds - würden danach noch zurückhaltender sein, einem EU-Staat Kredite zu geben. Dadurch würde sich jedenfalls auch die Finanzierung der österreichischen Staatsschuld weiter verteuern. Ein Flop der griechischen Staatsanleihen würde überdies etliche Geldinstitute in anderen EU-Ländern wackeln lassen und damit auch die dortigen Einlagen und damit auch die Realwirtschaft. Die Banken müssten dann durch die Steuerzahler aufgefangen werden, soll ein Flächenbrand mit Massenarbeitslosigkeit verhindert werden.

Eine schlimme Perspektive. Aber sie ist absolut harmlos gegen das, was Deutschland oder Österreich bevorsteht, wenn jetzt Griechenland & Co. noch einige Male um Hunderte Milliarden „gerettet" werden. Denn dann werden auch die scheinbar stabilen Länder in kurzer Zeit so dastehen wie Griechenland. Und es wird niemand mehr da sein, der dann noch einen totalen Flächenbrand bis hin zum Bürgerkrieg verhindern kann. Von „Rettung" sei da gar nicht mehr geredet. Eine dramatische Perspektive. Und leider geht Europa seit den ersten „Rettungsaktionen" im Mail 2010 genau den Weg des größeren Übels - nur weil dieses erst ein wenig später eintreten wird.

 

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Die Dampfwalze

20. Oktober 2011 06:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Sie kann sich bloß langsam bewegen,
ob vor ob zurück ist egal,
und wenn was im Wege gelegen,
dann walzt sie es platt radikal.

Sie tat es zuletzt mit Slowaken:
Dort rief wer, der Kaiser ist nackt!
Worüber die meisten erschraken,
von Angst ums Ersparte gepackt.

Doch falls einer trachtet zu trotzen,
macht prompt sich die Walze ans Werk,
und jener, der’s wagte, zu motzen,
ist nur mehr ein Aktenvermerk.

Es muss eben abgestimmt werden,
bis jeglicher Widerstand bricht,
das ist – wie für Schafe in Herden –
der Parlamentarier Pflicht.

Am besten, nicht lang überlegen
und tun, was von ferne diktiert,
und spricht die Verfassung dagegen,
dann wird sie zu Recht ignoriert!

All das haben Schein-Demokraten
noch obendrein Rettung getauft –
so werden die Völker verraten,
geknebelt, verpfändet, verkauft…

Pannonicus

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Das Ende der Meinungsfreiheit: Die EU ist schuld - aber keineswegs alleine

19. Oktober 2011 00:34 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Alles Böse kommt aus der EU: Diese rasch wachsende Stimmung unter den europäischen Bürgern wird in dieser Woche auch durch das österreichische Parlament weiter verstärkt. Es dürfte – gegen den Widerstand der Opposition – die stärkste Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte beschließen, die in den letzten 60 Jahren den Österreichern angetan worden ist. Zwar laufen bis zur letzten Stunde noch Gespräche, das sogenannte Terrorismuspräventionsgesetz samt der Verschärfung des Verhetzungsparagraphen, der sich in Wahrheit als Islamisten-Unterstützungsparagraph erweist, noch abzumildern oder vorerst nur teilweise zu beschließen. Aber im Wesentlichen dürfte es dabei bleiben. Denn jeder Abgeordnete, den man darauf anspricht, zuckt bedauernd die Achseln: Wir müssen ja wegen der EU . . .

Haben sie mit dieser Ausrede recht? Nur zum Teil. In Wahrheit gibt es auch auf österreichischer Seite – wie in vielen anderen Ländern – ein großes Maß an vorsätzlicher Mitschuld an diesem Gesetz.

Inhaltlich geht es um die massive Verschärfung der sogenannten Verhetzung. Wer Angehörige bestimmter Gruppen „verächtlich zu machen versucht“, wird künftig mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft.

Damit werden reine Meinungsdelikte wie in einer Diktatur mit Haft bestraft, selbst wenn es sich um absolut wahre Aussagen handelt.

Damit kehren völlig unbestimmte Tatbestände Delikte wie „verächtlich machen“ ins Strafrecht ein.

Damit wird das Gleichbehandlungsprinzip verletzt, denn viele Gruppen darf man weiterhin verächtlich machen, weil sie nicht aufgezählt sind. Man darf etwa Unternehmer, Bauern, Priester, „Reiche“, Adelige, „Studierte“, Familien, „Kapitalisten“, Rotarier, Couleurstudenten, Lehrer oder Freimaurer verächtlich machen, nicht jedoch Gruppen, die durch „Rasse“, Hautfarbe, Sprache, Religion (einschließlich der obskursten Sekten), Weltanschauung, Staatsangehörigkeit, Abstammung, nationaler oder ethnischer Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Alter oder sexuelle Ausrichtung (das Tarnwort für Homosexuelle) definiert sind.

Damit wird die Political Correctness, die sich bisher weitgehend nur mit Lächerlichkeiten wie den „Töchtersöhnen“ befasst hat, mit den schärfsten Waffen des Staates zum Diktat.

Damit kehrt der sonst absolut verpönte Begriff der „Rasse“ in unsere Gesetzbücher ein, was besonders lustige Prozesse verspricht. Wurde doch bisher jeder Wissenschaftler oder Journalist sofort niedergemacht, wenn er dieses Unwort auch nur einmal verwendete.

Die Koalition – mit der Justizministerin als Haupttäterin – beruft sich dabei auf einen Rahmenbeschluss der EU-Justizminister vom November 2008 „zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit“.

Gilt also: Da kann man leider nichts machen – höchstens aus der EU austreten? Was freilich trotz aller Fehler in Sachen Griechenland & Co noch immer einen großen Schaden verursachen würde. Nun abgesehen davon, dass dieser Rahmenbeschluss samt dem nunmehrigen österreichischen Gesetz die Stimmung, aus der Union auszutreten, in der Tat befördern wird, ist es einfach eine Lüge zu sagen, Österreich und die anderen Mitgliedsstaaten wären da leider nur ohnmächtige Opfer der EU. Aus einer ganzen Reihe von Gründen:

  1. Jener Rahmenbeschluss konnte nur mit Einstimmigkeit in Kraft treten. Damit ist klar, dass auch Österreichs Justizministerin im November 2008 ausdrücklich zugestimmt hat. Diese Zustimmung muss auf Grund der innerösterreichischen Verfassungslage zumindest stillschweigend auch von der ÖVP gekommen sein und nicht nur von der damals noch provisorisch amtieren Justizministerin Maria Berger (die übrigens nach wie damit leben muss, dass in ihrer Zeit als Ministerin ein Strafverfahren gegen ihren Lebensgefährten von der Staatsanwaltschaft unter dubiosen Umständen eingestellt worden ist).
  2. Dieser Rahmenbeschluss wurde damals ganz bewusst von der Politik an allen öffentlichen Debatten vorbeigeschleust. Die waren damals total auf die Nachwirkungen der Wahlen konzentriert. Auch im Parlament, wo man sonst viel lächerlichere Kleinigkeiten diskutiert, ist der Beschluss damals niemandem aufgefallen. Und die meisten Medien haben sogar bis heute nicht begriffen, dass sie in hohem Ausmaß Opfer dieses Gesetzes sein werden.
  3. Solche Rahmenbeschlüsse sind laut EU-Recht keineswegs eins zu eins zu übernehmen.
  4. Jener Rahmenbeschluss von 2008 bietet ausdrücklich die Möglichkeit, auch andere als die dort genannten Gruppierungen zu schützen. Durch eine Ausdehnung auf alle gesellschaftlichen Gruppen hätte man zumindest die Verletzung des Gleichheitsprinzipes der österreichischen Verfassung verhindert.
  5. Ein EU-Rahmenbeschluss hat keineswegs die rechtliche Qualität einer EU-Richtlinie oder einer EU-Verordnung. Er ist im Gegensatz zu diesen Instrumenten auch ohne Einschaltung von EU-Kommission und EU-Parlament zustandegekommen. Er ist im Gegensatz zu diesen auch nicht rechtlich unmittelbar anwendbar.
  6. Der Text des Rahmenbeschlusses hat es auch den Staaten freigestellt, „nur Handlungen unter Strafen zu stellen, die in einer Weise begangen wurden, die geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu stören, oder die Drohungen, Beschimpfungen oder Beleidigungen darstellen“. Auch diese Einschränkung haben die Gesetzesbastler im Justizministerium nicht umgesetzt, sodass in Österreich künftig auch wahre Aussagen strafbar sein werden.
  7. Der Rahmenbeschluss hätte es Österreich auch möglich gemacht, nur eine Höchststrafe von einem Jahr statt zwei Jahren festzulegen.
  8. Die österreichische Regierung hat keine Studie gemacht, wie restriktiv oder extensiv andere EU-Staaten diesen Rahmenbeschluss umsetzen.
  9. Die Regierung hat keinerlei Versuch gemacht, eine so drastische Einschränkung der Grundrechte wenigsten nach Erlassung des Rahmenbeschlusses in einer breiten Diskussion mit Straf- und Grundrechtsexperten zuanalysieren.
  10. Der Rahmenbeschluss betont ausdrücklich „die Pflicht, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze einschließlich der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit . . . zu achten“. Im österreichischen Gesetz ist von dieser wichtigen Einschränkung aber keine Rede. Natürlich wird durch dieses Verschweigen die Verfassung nicht aufgehoben. Aber diese Nichterwähnung ist ein klares Signal, dass der Gesetzgeber die Meinungsfreiheit ganz bewusst einzuschränken versucht.
  11. Die österreichische Regierung tarnt diese Einschränkung der Grundrechte durch Aufnahme in ein Antiterrorismusgesetz, obwohl das mit Terrorbekämpfung absolut nichts zu tun hat.

All diese schweren Sünden Österreichs deuten auf einen ganz gezielten ideologischen Impetus des Justizministeriums hin, in dem linke Juristen seit Jahrzehnten den Ton angeben. Und die ÖVP, die das Ministerium heute führt, ist absolut unfähig, ihre einstige juridische Kompetenz – von einem Walter Hauser über einen Felix Ermacora bis zu einem Michael Graff – auch nur andeutungsweise wiederherzustellen. Zum zweitenmal wird das Ministerium statt dessen von einer schwachen Quotenfrau geleitet. Aber auch unter den männlichen Kollegen im ÖVP-Klub gibt es keine qualifizierten Juristen.

Mit gewisser Schadenfreude erfüllt den Beobachter die Gewissheit, dass viele der Abgeordneten der Regierungsparteien, die diesem Gesetz zustimmen, in den nächsten Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit selbst Opfer von grünen wie blauen Strafanzeigen werden. Diese Anzeigen werden ihnen eine lange Phase der Unsicherheit bescheren.

Unabhängig von all diesen nationalen Schuld-Punkten bleibt aber auch der Beschluss der EU-Justizminister als solcher ein Skandal. Reine Meinungsdelikte, ja sogar das bloße Erwähnen wahrer Fakten sollen jetzt vor den Strafrichter führen. Damit hat sehr wohl auch die EU eine gewaltige Einschränkung der Meinungsfreiheit beabsichtigt. Denn hätte sie das nicht, dann wäre der ganze Rahmenbeschluss völlig überflüssig – zumindest dort, wo er sich nicht nur gegen Taten, sondern auch gegen Worte richtet.

Wer erinnert sich noch, dass die Union einst als Hüterin der Grundfreiheiten und Gegenpol einer die Meinungsfreiheit unterdrückenden Diktatur angetreten ist?

PS.: Den ersten Satz dieses Textes "Alles Böse kommt aus der EU" hat übrigens der von mir sehr geschätzte Hugo Portisch soeben bei einer Pressekonferenz zur Vorstellung seines neuen Buches verwendet. Freilich nur, um sich von ihm zu distanzieren. Portisch ist total gegenteiliger Meinung. Für ihn kommt gleichsam alles Gute aus der EU. Bei allem Respekt für Portisch: Diese Sichtweise war wohl in den 90er Jahren noch gerechtfertigt, heute sicher nicht mehr. Und gerade eine allzu apologetische und einseitige Verteidigung der EU rückt die Union heute in ein schiefes Licht. Und nimmt all jenen, die meinen, dass Europa trotz allem noch sinnvoll ist, die Glaubwürdigkeit.

 

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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Neue Lehrpläne für islamischen Religionsunterricht

18. Oktober 2011 06:42 | Autor: Harald Fiegl
Rubrik: Gastkommentar

Wer den bisher gültigen Lehrplan aus dem Jahre 1983 mit den neuen Lehrplänen aus dem Herbst 2011 vergleicht, kann leicht zu dem Schluss gelangen, dass im islamischen Religionsunterricht in Österreich völlig unbedenkliche Glaubensinhalte vermittelt werden. „Islamische Staatsordnung“ sehen die neuen Lehrpläne nicht mehr vor. Die in allen westlichen Staaten als gesellschaftspolitische Errungenschaft gültige Trennung von Religion und Staat wird also nicht mehr in Frage gestellt. Die Scharia wird auch nicht mehr „durch die Hintertür“ vermittelt.

Bei aufmerksamer Durchsicht des circa 150 Seiten starken Konvoluts fallen allerdings neben der Unverbindlichkeit der auf westliche Leser zurecht geschnittenen Formulierungen verschiedene Mängel und Widersprüchlichkeiten auf:

Die „Islamfrage“ ist weiterhin ungelöst!

Die inhaltlichen Aussagen der Lehrpläne vermitteln den Eindruck, dass es um den Versuch geht, die Behörden und alle Nicht-Muslime von der Demokratiefähigkeit des Islam zu überzeugen. Dazu werden schlicht und einfach Tatsachen verdreht, z.B.:

Wahr ist aber vielmehr

Ein Dialog ist demnach von Haus aus völlig ausgeschlossen. Bekanntlich verläuft der von Nicht-Muslimen angestrebte Dialog seit Jahren völlig ergebnislos.

Das Ziel des Unterrichts bestehe in der Entwicklung der österreichisch-islamischen Identität (Islam der Mitte) mit verantwortungsbewusster, unvoreingenommener, toleranter  und selbstbestimmter Lebensführung in einer pluralistischen Gesellschaft.

Der Versuch, den Islam als „Demokratie-kompatibel“ darzustellen, missglückt allerdings spätestens dort, wo die Unübersetzbarkeit des Korans angesprochen wird. Ein unübersetzbarer Text ist für die österreichischen Behörden unverständlich. Ein unverständlicher Text kann naturgemäß für den Unterricht nicht zugelassen werden!

Auch der Hinweis, dass die Lehrkräfte nach eigenem Ermessen zusätzliche Inhalte bringen können, lässt vermuten, dass dort Suren einfließen dürfen, die alle Nicht-Muslime als „Ungläubige“ bezeichnen. Für „Ungläubige“ ist unverändert Diskriminierung, Verfolgung und Tötung vorgesehen.

Auch die tägliche Konfrontation mit völlig anders lautenden Formulierungen islamischer Gelehrter, die Christenverfolgungen in allen muslimischen Ländern, der völlig erstarrte Interreligiöse Dialog etc. lassen den neuen Lehrplan nur als einen weiteren Versuch einer Täuschung erscheinen. Angesichts der aktuellen Ereignisse in Ägypten geradezu ein Hohn!

Diese Täuschung passt allerdings in die schon seit Jahren vom Außenministerium betriebene Dialogkultur mit dem Konzept der Mehrfachidentität. Jahre dieser „Dialogkultur“ des Außenministeriums haben die muslimischen Bewohner Österreichs der heimischen Bevölkerung nicht näher gebracht. Das gilt gleichermaßen auf internationaler Ebene.

Diesem „von oben“ vorgegebenen Trend haben sich der Kunst- und Kulturbetrieb und die Medien voll angeschlossen. Von dem auf diesen Ebenen unkritischen Umgang mit dem Islam ist kein Beitrag zum friedlichen Zusammenleben zu erwarten.

Auffallend ist beispielsweise die beharrliche Ausblendung des islamischen Lebensmodells in den Club 2-Diskussionen zu gesellschaftspolitischen Fragen. Das ist eine sogenannte „positive Diskriminierung", d.h. der Ausschluss einer Bevölkerungsgruppe von den Entwicklungen in der Mehrheitsgesellschaft.

Macram Gassis, Bischof von El Obeid, Sudan, der auf Einladung von Kirche in Not Österreich besuchte, stellte fest, dass der Dialog zwischen Muslimen und Christen wie zwei parallel laufende Schienen, die sich bekanntlich nie berühren, verläuft. Die europäischen Intellektuellen sind wegen ihrer Unkenntnis des Islam eine große Gefahr für die Zukunft Europas. Diese Feststellung trifft auch auf kirchliche und politische Autoritäten zu.

Die Behörden müssen folglich den ganzen Glaubensinhalt des Islam offenlegen und endlich „gemeinsame Spielregeln“ des friedlichen Zusammenlebens auch von den muslimischen Bewohnern einfordern. Ein Land, ein Gesetz!

Der Staatssekretär für Integration hätte hier eine verdienstvolle Aufgabe. Ihm stünde es zu, aktiv von allen religiösen Gruppierungen die Glaubensvorstellungen zu erfassen und zu einem rechtlichen Status zu verhelfen. Die Aleviten und die liberalen Muslime sind hier ein längst fälliges Beispiel.

Ein flächendeckender Ethikunterricht wäre eine ebenso wichtige Aufgabe. Dort könnten alle säkular orientierten Mitbürger die gewünschte Wertevermittlung erhalten. Das gilt auch für säkulare Muslime.

Bis jetzt verhält sich die Öffentlichkeit wie „Biedermann als Brandstifter“ .

Vielleicht lässt sich auch sagen „Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit.“ (Marie von Ebner-Eschenbach)

Befund

Ohne Klärung der Begriffe und der Widersprüche islamischer Rechts- und Wertvorstellungen können Fragen wie Burka- und Kopftuchverbot, Bau von Minaretten und Moscheen, uneingeschränkte Religionsausübung nicht geklärt werden.

Die Gleichbehandlung aller Bürger ist durch die Tabuisierung des Islam nicht gegeben.

Im Koran heißt es z.B.

Sure 9, Vers 5: Und wenn die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Heiden, wo ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf.
 Sure 9, Vers 123: Ihr Gläubigen! Kämpft gegen diejenigen von den Ungläubigen, die euch nahe sind! Sie sollen merken, dass ihr hart sein könnt.

Da der Koran nicht in historischer Sicht gesehen werden darf und bis zum heutigen Tag die unveränderbare Grundlage muslimischen Denkens ist, muss daraus geschlossen werden, dass alle Nicht-Muslime – also die Mehrheit der Menschheit – Ziel dieser „Aufstachlung zu Gewalt und Hass“ sind.

Ist das nicht eindeutiger Rassismus im Sinne des eingangs zitierten Rahmenbeschlusses?

Ergänzende Bemerkungen

Aussagen beim  „Bürgerforum“ im ORF 2 vom 18 01 2011

Dr.Cap stelte fest: „Das politische Bekenntnis des Islam wollen wir nicht". Das entspricht der von BM Fekter – in ihrer Zeit als Innenministerin – angesprochenen „Deutungshoheit" unserer Gesetze.

Ebenso wichtig ist die Aussage von BM Fekter, dass  Religionsfreiheit ein Recht des Einzelnen (deckungsgleich mit der Definition der OSZE) und nicht die Macht von Institutionen wie ATIB mit (aus Ankara) weisungsgebundenen beamteten Imamen ist. Sie bezeichnete diese Situation als „hinterfragungswürdig".

Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien hielt im Juni in einem Offenen Brief an den Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft fest, dass ein interkonfessioneller Dialog nur dann sinnvoll ist, wenn er nicht gleichzeitig mit der Duldung antisemitischer (oder besser antijüdischer) Hetze einhergeht. In diesem Sinn hat die muslimische Seite auch eine Bringschuld hinsichtlich der Aufarbeitung antisemitischer Stellen im Koran, die auf christlicher Seite weitgehend erfolgt ist.

„200 Jahre ABGB" (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) werfen die Frage auf, wie weit der Begriff „Allgemein" noch gilt. In der islamischen Parallelwelt gelten vielfach islamische Normen und auch in unseren Gerichten greifen bereits Vorstellungen aus der Scharia Platz.

Unklare Rechtsbegriffe führen zu Rechtsunsicherheit!

De facto gibt es durch unklare Rechtsbegriffe und durch die uneingeschränkt gewährte Religionsfreiheit für den politisch-ideologischen Islam eine Inländer-Diskriminierung.

Mangels einer Klärung der Begriffe reden die Dialogpartner aneinander vorbei:

Der Dialog wird auf einen Vergleich Christentum – Islam reduziert und lässt die säkulare Gesellschaft mit ihrer Entwicklung bis heute unberücksichtigt. Z.B.:

In den Dialogen fehlen auch die Glaubensinhalte und Wertvorstellungen:

„Das Unbehagen mit der Religion – Islamophobie und andere Phänomene“ war Gegenstand einer ganztägigen Fachtagung, die das Institut für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie, gemeinsam mit der Sigmund Freud Privatuniversität und dem Institut für interkulturelle Islamforschung am 18 06 2011 veranstaltete. Ort der Veranstaltung war die Moschee am Hubertusdamm (Donauinsel). Vor etwa 80 Zuhörern referierten Vertreter des Islam und der katholischen Kirche.

Die Behandlung von Phobien – von irrationalen Ängsten – ist zweifelsohne eine Domäne von Psychiatrie und Psychotherapie.

Die Vertreter der Seelenkunde und die Vertreter der katholischen Kirchen waren sich einig, dass die Angst vor dem Islam irrational begründet sei. Die Bedrohungen des Abendlandes durch den Islam in früheren Zeiten wurden als politisch motivierte Ereignisse dargestellt. Der Islam als solcher ist friedfertig. Gefährlich seien die religionslose Gesellschaft und ihr Relativismus.

In naiver Weise wurde der positive Beitrag des Islam zur Entwicklung Europas hervorgehoben:  Brachten doch muslimische Wissenschaftler die Kenntnis des Altertums nach Europa und ohne die arabischen Zahlen könnten wir die Grundrechnungsarten nicht ausführen. Ohne arabische Astronomie keine Raumfahrt! Und ohne islamischen Halbmond kein Frühstückskipferl!

Obwohl Islamophobie quasi das Hauptthema der Veranstaltung war, wurde dieser Begriff nicht definiert. Eine Definition wäre schon deshalb wichtig gewesen, weil er auch in der EU-Diktion als Delikt vorkommt. In scheinbar logischer Konsequenz wurde auch nicht erwähnt, dass Islamophobie als anti-westlicher Kampfbegriff von Khomeini eingeführt wurde und vom türkischen Ministerpräsidenten Erdogan in ähnlicher Absicht verwendet wird.

Christophobie als Parallele zur Islamophobie ist nicht nur begrifflich unüblich, sie wurde von den katholischen Vertretern auf dem Podium auch nicht entschieden angesprochen. Die tägliche Diskriminierung, Verfolgung und sogar Tötung von Christen in islamischen Ländern fand keine Erwähnung, oder wurde als soziales Phänomen einer postkolonialen Gesellschaft erklärt. Ebenso wenig fanden Aufrufe afrikanischer katholischer Würdenträger oder anderer Christen aus Afrika und dem Orient Erwähnung.

Wieso bleibt Christophobie so unbeachtet? Ist doch muslimisches Verhalten gegenüber „Ungläubigen“ aus dem Koran leicht herauszulesen. Mit der Trennung von Islam und Islamismus wird der Kern des Problems mit dem Islam ignoriert.

Auch Kreuzzüge und Kreuzfahrer sind als Feindbild im kollektiven Gedächtnis der Muslime sehr lebendig und werden bis zu heutigen Tag in der Beurteilung des Westens verwendet.

Sind also die Ängste vor dem Islam vielleicht doch nicht unbegründet? Gibt es die Hoffnung auf einen Euroislam? Islamische Autoritäten halten den islamischen Glaubensinhalt für eine unveränderbare göttliche Wahrheit. Zeitgemäße Veränderung ist demnach denkunmöglich. Islam ist Islam! Broschüren, die in der Hubertus Moschee aufliegen, sprechen auch nur von einem Islam.

Die Logik dieser Veranstaltung lag offensichtlich in einem Schulterschluss von Katholiken mit islamischen Autoritäten gegen den gemeinsamen Feind, Säkularismus. Eine Logik, die der katholischen Kirche sicherlich sehr schaden wird.

Harald Fiegl übte langjährige berufliche Tätigkeiten in der Türkei und in anderen islamischen Ländern aus. 

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Der starke Staat als Ideal und Illusion

14. Oktober 2011 23:42 | Autor: Philip Plickert
Rubrik: Gastkommentar

Manche hat es richtig gefreut, als die Weltfinanz- und Weltwirtschaftskrise ausbrach. Endlich krache das morsche Gebäude des Kapitalismus in sich zusammen, dachten hartgesottene Linke. Auch weniger ideologisch festgelegte Zeitgenossen erkannten Endzeitsignale. Im September 2008 gab es Tage, da auch bürgerliche Politiker und Fachleute bis in die Spitzen der Zentralbanken eine Kernschmelze des Finanzsystems nicht für ausgeschlossen hielten. Drohte der Welt ein ökonomisches Tschernobyl? Es stand Spitz auf Knopf.

(Dieser ausführliche Beitrag verschafft einen gesamthaften Überblick über die wirklichen Ursachen der Finanzkrise. Der Autor Philip Plickert ist Wirtschaftsredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Der Beitrag ist Teil des Sammelbandes „Konservative Korrekturen“(edition noir, ISBN: 978-3-9502494-2-2), der einige sehr mutige Analysen und Konzepte zu einer neuen konservativen Standortbestimmung enthält.)

Doch dann trat er auf: der Staat, der Retter. Mit Notmaßnahmen wurde das System stabilisiert. Er spannte gigantische Rettungsschirme über die wankenden Banken; Bürgschaften in Billionenhöhe beruhigten die Märkte. Es gab nach der Lehman-Pleite keine unkontrollierte Kettenreaktion im Finanzsystem. Auch der rasante Einbruch der Realwirtschaft zum Jahreswechsel 2008/2009, dessen Tempo und Tiefe durchaus mit dem Anfang der Großen Depression nach 1929 vergleichbar war, verlangsamte sich zur Jahresmitte 2009. Gegen Jahresende hatten fast alle Industriestaaten die Rezession gestoppt, eine Erholung begann. Just in dieser Zeit griffen auch die ersten großen Konjunkturpakete. Die zeitliche Koinzidenz ließ auf eine Kausalität schließen: Ohne den rettenden Eingriff des Staates hätte es einen Totalabsturz gegeben.

Achtzig Jahre zuvor hatte die Große Depression einen wirtschaftspolitischen Klimawandel hin zu einer Großen Repression wirtschaftlicher und politischer Freiheit gebracht. Das Vertrauen in die Marktwirtschaft – den ungeliebten Kapitalismus – war dahin. Es traten Regime hervor, die das scheinbare Chaos der Märkte durch Interventionen und Steuerung zu überwinden trachteten. Intellektuelle schauten neidisch in die Sowjetunion, die von keiner Rezession berührt war. Nicht nur im faschistischen Italien und im NS-Deutschland, sondern auch im Amerika des „New Deal“, dem Herzland des Kapitalismus, nahm der Staat die Wirtschaft an den Zügel. Zentrale politische oder korporatistische Kontrolle ersetzte die dezentrale Koordination durch Märkte.

Diese Geschichte wiederholt sich nicht, Gott sei Dank. Doch das Vertrauen in die Marktwirtschaft ist auch heute wieder erschüttert, nicht nur unter linken und linksliberalen Intellektuellen. Unter den Ökonomen finden jene mehr Gehör, die wie Nobelpreisträger Josef Stiglitz oder Paul Krugman für mehr Regulierung und Staatseinfluss werben. Die Finanzkrise sei eine historische Zäsur, meinte Stiglitz: 1989 habe der Fall der Berliner Mauer den Kommunismus diskreditiert, nun sei 2009 eine zweite Illusion zerstört worden: der „Marktfundamentalismus“ und Neoliberalismus.

Solche historischen Parallelen sollte das bürgerliche Lager zurückweisen. Sie beruhen auf einer Legende. Nicht die Marktwirtschaft oder neoliberale Politik haben in die große Finanzkrise geführt, sondern die Verletzung zentraler Regeln der Marktwirtschaft. Vor allem das Grundprinzip der privaten Haftung wurde außer Kraft gesetzt. Da sich an den impliziten Garantien der Staaten für große Finanzinstitute nichts Grundlegendes geändert hat, bleibt eine wesentliche Krisenursache latent bestehen. Noch beunruhigender: Auch das Muster der expansiven Geldpolitik, die in Amerika die Kreditpyramide entstehen ließ, deren Zusammenbruch die Welt erschütterte, scheint sich nicht grundsätzlich zu ändern.

So unbestritten das Versagen und die moralische Schuld skrupelloser Banken und Spekulanten auch ist, so bleibt die Klage darüber doch oberflächlich und lenkt von den tieferen Ursachen der Krise ab: Dem viel beklagten Marktversagen ging, wie im Folgenden erklärt wird, ein (Geld- und Fiskal-)Politikversagen voraus. Im Ursprungsland der Krise, den Vereinigten Staaten, war über Jahre eine Mischung aus expansiver Geldpolitik, stimulierender Fiskalpolitik und fehlgeleiteter Sozialpolitik am Werke, die mit viel „billigem Geld“ die Immobilienpreisblase schuf, deren Platzen die Weltwirtschaft erschütterte. Die staatlichen Akteure, die sich in 2008/2009 als Feuerwehr betätigten, waren zuvor die Brandstifter.

In der Krise wird nun Feuer mit Feuer bekämpft. Nicht mehr tragbare private Schuldenberge werden durch neue Schuldengebirge der Staaten ersetzt und übertroffen. Mit Massen an billigem Geld, das die Zentralbanken, vor allem die amerikanischer Federal Reserve (Fed) in die Märkte presst, sollen Verluste vermieden werden. Dabei wächst die Gefahr neuer Preisblasen und Fehlallokationen, längerfristig auch das Risiko hoher Inflation.

Als Konsequenz der Krise ertönt allseits der Ruf nach einer Rückkehr des „starken Staats“, der die Finanzmärkte in die Schranken weist und „den Kapitalismus“ zähmt. Krisenökonom John Maynard Keynes, der für konjunkturstimulierende Ausgabenprogramme eintrat, erlebt ein Revival. Umfragen zeigen, dass sich die Bürger insgesamt wieder mehr staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft wünschen. Doch was sich als „starker Staat“ darstellt, der Banken rettet, Unternehmen stützt, Branchen fördert, Subventionen vergibt und die Bevölkerung durch Sozialpolitik ruhig stellt, ist in Wirklichkeit ein schwacher, ein erpressbarer, ein getriebener Staat. In seinem Buch „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“ benannte Walter Eucken vor mehr als einem halben Jahrhundert das paradoxe Phänomen: „Die Zunahme der Staatstätigkeit nach Umfang und Art verschleiert den Verlust der Autorität des Staates, der mächtig scheint, aber abhängig ist.“

Statt sich auf die Schaffung einer festen Rahmenordnung für die Wirtschaft zu beschränken, wird der Staat in den Wirtschaftsprozess hineingezogen. Der Versuch einer (pseudo-) keynesianischen Dauerstimulierung der Konjunktur, wie sie besonders Amerika seit längerem betreibt, schafft neue Risiken. Es besteht die Gefahr, dass die Konjunkturstimulierung nur Strohfeuer entfacht. Am Ende ist alles finanzpolitische Pulver verschossen. Wie in den siebziger Jahren droht verbrannte Erde.

Mit der gewaltigen Verschuldungswelle zur Bekämpfung der Krise sind einige Staaten nahe an den finanziellen Abgrund gekommen. Kenneth Rogoff, der ehemalige IWF-Chefökonom, nahm schon im März 2009 – mitten in der großen Rettungsorgie – das „Deficit Endgame“ in den Blick: „Während die Schulden steigen und die Rezession anhält, werden wir sicherlich erleben, wie eine ganze Reihe von Regierungen versucht, ihre Last durch finanzielle Repression, höhere Inflation, teilweise Zahlungsunfähigkeit oder eine Kombination aus allen dreien zu erleichtern.“ Obwohl die Rezession einer Erholung gewichen ist und die Weltwirtschaft wieder wächst, geht das „Deficit Endgame“ der Staatsfinanzen weiter.

Drei Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise hat eine dritte Welle die Staatsfinanzen erfasst. Die Vereinigten Staaten haben weiterhin zweistellige Defizitquoten. Aber nicht sie, sondern einige kleinere europäische Staaten, die mit dem Staatsbankrott kämpfen, stehen im Fokus der Finanzmärkte. Zur Stabilisierung ihrer Finanzen haben die Staaten der Euro-Währungsunion ihnen Notkredite gewährt. Wohin soll das führen? In eine gewaltige Transferunion, lautet die bittere Erkenntnis. Auf Dauer droht Europa daran Schaden zu nehmen.

Neben den akuten Schuldenproblemen gibt es weitere mittel- und langfristige Risiken für die Handlungsfähigkeit der Staaten. Die Belastungen werden in der Zukunft zunehmen. Während das Wachstumspotential abnimmt, steigen die Ansprüche an den Sozial- und Interventionsstaat. In diesem Essay wird beleuchtet, wie mittel- und längerfristig seine demographischen Grundlagen schwinden. All dies sind düstere Perspektiven, nur ein entschiedenes Gegensteuern könnte einige Fehlentwicklungen aufhalten. Doch die Politik hält sich mit Scheinlösungen, Ablenkungsmanövern und oberflächlichen, opportunistischen Korrekturen auf, sie bedient Interessengruppen, statt das Gemeinwohl durch einen stabilen ordnungspolitischen Rahmen zu fördern.

Die Phrase vom „starken Staat“ ist trügerisch. Wir sehen „big government“ am Werk, doch es überdehnt sich und droht zu scheitern. Konservative und Liberale hegen unterschiedliche Vorstellungen von den Grenzen der legitimen Staatstätigkeit. Grundsätzlich aber stimmen sie im Ziel eines handlungsfähigen, nicht überbordenden Staates überein. Die vergangenen Jahrzehnte waren vom Gegenteil geprägt: Trotz einer hohen Staatsquote ließ die Handlungsfähigkeit nach, der Staat wurde in den Wirtschaftsprozess und die Lobbyinteressen hineingezogen. Wachstumsstimulierende Subventionen und verzerrende Eingriffe in den Markt machten korrigierende Gegeneingriffe notwendig, im schlimmsten Fall wird der Staat zur „Rettung“ einzelner Akteure auf Kosten der Allgemeinheit genötigt.

Die fundamentale konservative Korrektur bestünde darin, Abschied vom Staat als Marktteilnehmer zu nehmen und den Staat wieder als glaubwürdigen Schiedsrichter über die Spielregeln eines transparenten Marktes zu etablieren. Darin zeigt sich die Autorität des Staates. Den Weg, diese Autorität wiederherzustellen, weist das geistige Erbe des frühen Neo- bzw. Ordoliberalismus, der die Soziale Marktwirtschaft in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland geprägt und zum Erfolg geführt hat. Dazu ist es notwendig, den Staat gegen die Versuchung opportunistischer Eingriffe zu immunisieren. Dies geschieht, wie am Schluss dieses Essays dargestellt, durch eine regelgebundene Wettbewerbs-, Geld- und Finanzpolitik.

Politikversagen als Ursache der Krise

Bis heute gilt die Finanzkrise vielen als „Marktversagen“. Der Beinahezusammenbruch des Systems zeige, wohin unverantwortliche Spekulation von größenwahnsinnigen und profitgierigen Bankern die Welt bringen könne. Dass es gierige, verantwortungs- und skrupellose Banker gibt, die in unentschuldbarer Weise mit dem Feuer spielen, ist offenkundig. Doch die Deutung der Krise als Folge eines reinen „Marktversagens“ greift zu kurz.

Vielmehr liegen die Gründe in einem komplexen, verhängnisvollen Zusammenspiel aus Markt- und Staatsversagen. Staatliche Geldpolitik hat das Aufblähen der Finanzblase ermöglicht, wie John B. Taylor, einer der renommiertesten Makroökonomen, gezeigt hat. Die große Krise wäre nicht entstanden ohne die Politik des „billigen Geldes“, die ein exorbitantes Kreditwachstum zugelassen hat. Dass die Kreditlawine in Amerika zu einem großen Teil über den Häusermarkt rollte, lag an der sozialpolitischen Zielsetzung, möglichst vielen Leuten zum Hauseigentum zu verhelfen. Diese beiden Faktoren sollen zunächst erklärt werden, bevor dann die mikroökonomischen Fehlanreize in den Banken untersucht werden.

Als Reaktion auf den Börsencrash nach dem Internet-Aktienboom sowie nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 senkte die amerikanische Notenbank Fed unter ihrem Vorsitzenden Alan Greenspan sturzartig den Leitzins von 6,5 auf 1 Prozent. Auf diesem tiefen Niveau blieb er lange stehen. Die Fed war besorgt, dass die Wirtschaft nicht schnell genug nach der Rezession neue Arbeitsplätze schuf („jobless recovery“), zudem gab es eine verfehlte Deflationsdebatte. Erst Mitte 2004 begann Greenspan, „der Magier“, in kleinen Schritten die Geldpolitik zaghaft zu straffen. Da befand sich die Wirtschaft aber schon in einem kräftigen Aufschwung, die Preise am Immobilienmarkt kletterten in die Höhe.

Die Normalisierung des Zinsniveaus kam viel zu spät. Schon 2002 hätte die Fed nach der Taylor-Regel die Kreditexpansion drosseln müssen. Doch die Fed blieb auf expansivem Kurs. Ihre Devise lautete damals, dass man entstehende Blasen nicht erkennen könne. Und wenn eine Blase platze, dann könne man die Scherben aufsammeln und der Wirtschaft durch abermalige Zinssenkungen neuen Schwung geben. Das war Greenspans Devise, der damit die extrem expansive Geldpolitik rechtfertigte. Die wenigen warnenden Stimmen galten als Nörgler, etwa Raghuram Rajan, der IWF-Chefökonom, der 2005 in Jackson Hole vor Risiken durch die Kreditaufblähung warnte, oder William White, Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, der schon 2003 den überexpansiven Kurs kritisierte. Beide ernteten feindselige Reaktionen, die Fed wollte allenfalls langsam die Zügel straffen. Das Potential für eine große Krise aus dem großen Kreditwachstum sah sie nicht.

Ein „asymmetrisches Muster“ der Geldpolitik – schnelle Zinssenkungen im Abschwung, zögerliche Zinserhöhungen im Aufschwung – ist schon seit den späten achtziger Jahren zu beobachten. Daraus folgt eine Welle wandernder Blasen in verschiedenen Märkten und Ländern – und letztlich ein Teufelskreis aus Geldschwemme, Euphorie, Blasen und Krisen. Die Notenbanken haben in jeder Wirtschaftskrise, beginnend mit der geplatzten Immobilienblase in Japan, immer mehr Liquidität in die Märkte gepumpt. Besonders stark war der geldpolitische Impuls der Fed nach 2001, noch verstärkt durch die gewaltigen Kapitalexporte der Chinesen nach Amerika, die das dortige Leistungsbilanzdefizit finanzierten. Die Hunderte Milliarden vagabundieren um die Welt und suchen nach Anlagemöglichkeiten. Nicht nur verzerrt der „billige Kredit“ die Preissignale an den Kapitalmärkten, er verführt auch zu übermäßigem Risiko und zu Über- bzw. Fehlinvestitionen.

Hintergrund dieser Krisenanalyse sind die Konjunkturtheorien der österreichische Ökonomen Ludwig von Mises, Joseph Schumpeter und Friedrich August von Hayek, die im Zuge der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise wieder entdeckt wurden. Sie interpretierten einen konjunkturellen Absturz als logische Folge des vorangegangenen, fehlgeleiteten Aufschwungs, der von zu billigem Geld und übertrieben positiven Erwartungen befeuert war. Die überzogenen Erwartungen können verschiedene Gründe haben, etwa einen „Hype“ um neue Produkte und Märkte („New Economy“) oder Finanzinnovationen (die Verbriefung von „Subprime“-Krediten, die den Kreditboom verstärkt hat). Die Märkte sind zunächst euphorisiert, doch kann der Herdentrieb der Anleger, den Hyman Minsky beschrieb, auch in die andere Richtung drehen und in Panik umschlagen.

Das Muster des geldpolitisch getriebenen „Boom“ und „Bust“ verläuft immer ähnlich: Im Boom wird mächtig investiert. Die Banken geben mehr und mehr Kredite aus. Der Risikoappetit der Investoren steigt, sie beginnen immer gewagtere und größere Projekte. Zugleich fühlt sich auch die Bevölkerung insgesamt reicher, sie gönnt sich mehr Konsum. Die Unternehmen machen mehr Profit, die Aktienkurse steigen. Irgendwann sind jedoch die Preise auf ein unhaltbares Niveau gestiegen. Das war am amerikanischen Immobilienmarkt 2007 der Fall. Die Euphorie der Spekulanten kann nun in Panik umschlagen. Banken verweigern neue Kredite, Unternehmen stoppen Investitionen. Am Ende steckt die ganze Wirtschaft in einer Rezession.

Eine solche Krise hat wenig mit Marktversagen zu tun; vielmehr war es eine staatlich ermunterte und verzerrte Spekulation, die schließlich platzte. Der ehemalige IWF-Chefökonom Rajan erinnert daran, dass Greenspan schon 2002 den Märkten versichert hatte, dass er nicht gegen Blasenbildung einschreiten werde. Die Fed werde aber im Fall eines Platzens einschreiten und den Übergang zur nächsten Expansion erleichtern. Dies war der berühmte Greenspan-Put – mit fatalen Folgen. Rajan schreibt dazu: „Die Logik war ... eindeutig gefährlich. Sie schürte die Flammen der Vermögenspreisaufblähung (asset price inflation), indem der Wall Street und den Banken quer durchs Land gesagt wurde, dass die Fed die Zinsen nicht anheben werde, um die Vermögenspreise zu drosseln, und dass sie, falls die Sache schrecklich schief ginge, einschreiten würde, um die Preise zu stützen.“ Das Versprechen der Rettung weckte „Moral hazard“, die Versuchung zu unverantwortlichem riskanten Handeln der Marktteilnehmer.

Während die lockere Geldpolitik die Kreditmassen schuf, die später wie Sprengstoff in den Bankbilanzen explodierten, war es eine gutmeinende Sozialpolitik, die das billige Kapital in den amerikanischen Häusermarkt lenkte. Auch hier war nicht ein unverzerrter Markt, sondern die lenkende Hand des Staates am Werke. Das sozialpolitische Ziel hieß „Wohneigentum für Jedermann“. Dazu wurde eine großzügige Hypothekenfinanzierung gewünscht und gefördert. Triebwerke waren die halbstaatlichen Immobilienfinanzierer Fannie Mae (gegründet 1936 vom linken New-Deal-Präsidenten Roosevelt) und Freddie Mac (gegründet 1968 vom linksliberalen Lyndon B. Johnson). „Fannie und Freddie“ übernahmen die Finanzierung eines Großteils der Hypotheken, die von Banken ausgegeben wurden.

Dass ein erheblicher Teil der Darlehen auch an Minderheiten und „sozial Schwache“ vergeben wurde, die sich später als „subprime“ entpuppten, geht auf den Community Reinvestment Act zurück, der 1977 vom sozial engagierten Präsidenten Carter eingeführt und danach vielfach verschärft wurde. Das Gesetz war ein typisches Produkt der Antidiskriminierungs- und Quotenpolitik. Unter Präsident Clinton wurde der CRA verschärft. Das Wohnungs- und Stadtplanungsdepartment schrieb 1995 den Banken eine Quote von 42 Prozent Hypotheken für sozial Schwache vor, nach 2000 sollten es 50 Prozent sein. Unter Bush wurde die Quote nochmals auf 56 Prozent erhöht – alles im Zeichen der „Ownership Society“, die auch aus Menschen mit wenig finanziellen Sicherheiten stolze Eigenheimbesitzer machen sollte. Im Extrem wurden sogar „Ninjas“ (no income, no assets, no job) mit Hypotheken bedacht.

Ein gewaltiger Preisboom gerade für Häuser im unteren Segment war die Folge. Die Zahlen der Hypothekengiganten Fannie und Freddie und der Federal Housing Administration (FHA), die Rajan erwähnt, machen schwindeln: 1997 wurden „Subprime“-Hypotheken für rund 85 Milliarden Dollar vergeben, bis 2003 stieg das jährliche Volumen auf 446 Milliarden Dollar und lag danach bei 300 bis 400 Milliarden Dollar neuen Krediten. Nach Schätzung von Edward Pinto, einem früheren Chief Credit Officer, hielten die Hypothekenriesen Fannie und Freddie, die FHA und andere staatliche Programme im Juni 2008 „Subprime“- oder Alt-A-Kredite für rund 2,7 Billionen Dollar. Das waren 59 Prozent aller Darlehen in dieser Kategorie. „Es ist sehr schwer, zu einer anderen Schlussfolgerung zu gelangen, als dass dieser Markt weitgehend vom Staat und von staatsbeeinflusstem Geld getrieben war“, urteilt Rajan.

Als die Medien über die „Subprime“-Krise zu berichten begannen, wurde kaum klar, was sich dahinter verbarg. Es galt auch als politisch nicht korrekt, geradewegs zu sagen, wer die „schlechten Hypotheken“ erhalten hatte. Der an der Harvard Universität lehrende schottische Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson fuhr damals nach Detroit, eine von der Krise besonders schwer getroffene Stadt, und besuchte die Stadtviertel mit den höchsten Kreditausfallrate. Eine „überproportionale Zahl von Subprime-Schuldnern gehörten ethnischen Minoritäten an“, berichtete Ferguson. „Als ich durch Detroit fuhr, begann ich mich zu fragen, ob ‚subprime’ in Wahrheit ein neuer Finanzeuphemismus für ‚schwarz’ war.“

Auch wenn es überspitzt formuliert klingt, ist doch sicher, dass die „Subprime“-Kreditschwemme im Wesentlichen aus einer staatlichen Lenkung in sozialpolitisch erwünschte Bereiche resultierte. Der Verkaufsdruck der Hypothekenvermittler, der vielfach angeprangert wurde, entstand unter dem Druck der CRA-Quoten. Der Immobilienboom endete für viele Hauseigentümer im Ruin. Die Hypotheken und andere Kreditschulden hingen wie Mühlsteine um ihren Hals, als der Wert der Immobilien zu sinken begann. Millionen Hauseigentümer wurden zahlungsunfähig. Sie entledigten sich der Last, indem sie den Hausschlüssel ihrer Bank zurückgaben. Die hatte nun faule Kredite in den Büchern, die mit unverkäuflichen Häusern besichert waren.

Und mit dem Vermögensverlust mussten die amerikanischen Bürger auch ihren Konsum reduzieren. Die schlichte Wahrheit ist, dass Amerika viele Jahre lang über seine Verhältnisse gelebt hatte: Mit der Politik des billigen Geldes, verstärkt durch die chinesischen Kapitalzuflüsse, wurde in den Vereinigten Staaten eine kreditgetriebene Investitions- und Konsumorgie gefeiert, die schon lange nicht mehr durch reale Ersparnisse gedeckt war. Von 1980 bis 2006, dem Vorabend der Finanzkrise, verdoppelte sich die private Verschuldung von 50 auf 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Sowohl die Geld- als auch die Fiskalpolitik half bei dem Spiel kräftig mit, getrieben von vage keynesianischen Ideen einer aktiven Konjunktursteuerung. 2007 war jedoch der Punkt gekommen, an dem dieses scheinbare Perpetuum Mobile nicht mehr weiterkam.

Die Krise verbreitete sich deshalb so rasend schnell um den Globus, weil die Hypothekenkredite durch Verbriefungen, vor allem ABS (Asset Backed Securities) und CDO (Collateralized Debt Obligations), weiterverkauft worden waren. Hunderttausende Hypotheken waren in diesen Wertpapieren zusammengefasst, die in mehrere Tranchen mit unterschiedlichen Renditen unterteilt waren. Da so viele Kredite in den Papieren zusammensteckten, galt das Risiko als gering, weil es breit gestreut schien. Allerdings waren die Risiken positiv korreliert, sobald der gesamte amerikanische Häusermarkt nachgab. Die Verbriefungen waren in Wirklichkeit eine Methode, die Risiken zu verschleiern und weiterzureichen. Auch dies hebelte das marktwirtschaftliche Prinzip der Haftung aus. Im Jahr 2007 begann der Markt für Verbriefungen auszutrocknen; sie verloren drastisch an Wert. Nun breitete sich der Fluch des billigen Geldes über den Globus aus, im Herbst 2008 wurde die Krise zum Flächenbrand.

In Deutschland hatten sich besonders die staatsnahen Landesbanken mit Verbriefungen eingedeckt. Nach einer Studie der Ökonomen Harald Hau und Marcel Thum machten die öffentlich-rechtlichen Banken 2007 und 2008 durchschnittlich zwei- bis dreimal so hohe Verluste wie die privaten Banken. Zudem stellten die Ökonomen auch einen eklatanten Mangel an Kompetenz in den Aufsichtsräten fest. Am schlimmsten war es in den öffentlich-rechtlichen Instituten, den Staatsbanken. Dort haben viele Aufseher kaum Banken- und Finanzerfahrung, merken die Forscher kritisch an. Diese bittere Erkenntnis sollte misstrauisch stimmen, wenn Politiker über inkompetente Banker schimpfen, die durch riskante Geschäfte hohe Verluste eingefahren haben. Politiker sind nicht die besseren Banker.

Kapitalismus und Bankensozialismus

Ohne Zweifel trägt die private Finanzwirtschaft einen großen Anteil der Schuld an dem Debakel, da sie leichtfertig auf eine gigantische Kreditpyramide setzte. Individuelle Gier und Größenwahn ergaben eine fatale Mischung. Doch von Marktversagen zu sprechen setzt voraus, den Begriff sauber zu definieren. In der Ökonomik sind drei Situationen bekannt, in denen es zu mehr oder minder schwerem Marktversagen kommen kann: bei externen Effekten, bei öffentlichen Gütern und bei asymmetrischer Information. Diesen dritten Fall, der bis zum Zusammenbruch von (Finanz-)Märkten führen kann, haben George Akerlof und Stiglitz treffend analysiert. Die Spannungen am Geldmarkt, der im Sommer 2007 stockte und im Herbst 2008 fast komplett austrocknete, war ein Beispiel dafür: Informationsasymmetrien und Intransparenz (jede Bank misstraute der anderen; jede konnte potentiell pleite sein) führte zur Lähmung des Marktgeschehens.

Der Finanzjournalist Walter Bagehot hat schon in seinem Klassiker „Lombard Street“ (1873) diese gefährliche Situation des allgemeinen Misstrauens beschrieben. Die Sorge der Sparer kann einen allgemeinen „Run“ auf die Banken auslösen, wie dies in England die Kunden von Northern Rock taten. Jeder Sparer handelt dabei individuell rational, indem er sein Geld abzieht, doch führt die Summe der Einzelhandlungen dazu, dass die Bank und die Ersparnisse untergehen. Bagehot folgerte, dass es einen „Lender of Last Resort“ geben müsse, eine oberste Instanz, die einschreite, um illiquide Banken zu stützen. Heutige Notenbanken gewähren die Liquidität meist zu sehr günstigen Zinsen. Sie stützen ganze Märkte und große Akteure, indem sie die Geldschleusen öffnen. Als 1987 der Hedge-Fonds LTCM nach einer gewagten Spekulation zusammenzubrechen drohte, hat die Fed den Markt mit Hunderten Milliarden Dollar geflutet. Das war ein starkes Signal an die Märkte. Und Greenspan wiederholte die Übung nach dem Zusammenbruch der „New Economy“.

Problematisch daran ist, dass die Märkte die Existenz einer obersten Rettungsinstanz mit ins Kalkül aufnehmen. Daraus entsteht das berüchtigte „Moral hazard“-Problem. Die ausgesprochene oder unausgesprochene Garantie verleitet zu übermäßiger Risikofreude, weil davon ausgegangen wird, dass im Falle zu hoher Verluste eine staatliche oder quasistaatliche Instanz eingreift und die strauchelnden Finanzinstitutionen auffängt. Sogenannte „systemrelevante“ Banken, die als „too big to fail“ (oder als „too connected to fail“) gelten, genießen einen impliziten Bestandsschutz. Aus Sicht der Bankmanager ist es daher rational, Spekulationen mit mehr Risiko einzugehen, die den Erwartungswert der Gewinne und individuellen Einkünfte maximiert.

Die implizite Staatsgarantie hebelt die Konkursgefahr aus, die untrennbar zur Disziplin des Marktes gehört. Es fehlt im Finanzsektor an privater Haftungsplicht, die konstitutiv für die Marktwirtschaft ist: Wer auf Gewinne spekuliert, muss auch für Verluste haften. Wer Chancen sucht, muss auch Risiken tragen. Walter Eucken, der Vordenker der neo- bzw. ordoliberalen Freiburger Schule und Gründervater der deutschen Sozialen Marktwirtschaft, formulierte in seinem Lehrbuch „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“: „Investitionen werden um so sorgfältiger gemacht, je mehr der Verantwortliche für diese Investitionen haftet.“ Und weiter schrieb Eucken: „Die Haftung wirkt insofern also prophylaktisch gegen eine Verschleuderung von Kapital und zwingt dazu, die Märkte vorsichtig abzutasten. Nur bei fehlender Haftung kommt es zu Exzessen und Zügellosigkeit.“

Genau das ist in der Krise geschehen. Da allgemein die Erwartung eines rettenden „Greenspan-Put“ vorherrschte, wurde Kapital zu sorglos eingesetzt – und letztlich verschleudert. Nur eine Verstärkung der Haftung im Finanzsektor könnte solch unverantwortliches Verhalten zügeln. Das gilt für ganze Banken, die keine Bestandsgarantie haben dürfen, wie auch für einzelne Manager, die übermäßige Risiken eingehen. Daher müssen die Banken ihre Vergütungsstrukturen ändern, die durch asymmetrische Anreize die Risikoneigung verschärft haben. Bankmanager werden durch Boni-Versprechen, die an kurzfristige Gewinne gekoppelt sind, zu hochspekulativen Geschäfte verleitet.

Als Gegenmittel empfehlen sich Vergütungsstrukturen, die den Anteil der variablen Boni verringern und Haltefristen für Aktienoptionen vorsehen. Zum Bonus muss ein Malus kommen, wenn Verluste auflaufen. Das dämpft den individuellen Risikoappetit von Bankmanagern. Finanzsystemisch sind höhere Eigenkapitalvorschriften die richtige Antwort auf die Krise. Mit dem internationalen Regulierungswerk Basel III sollen die Eigenkapitalquoten schrittweise auf 10,5 Prozent der risikogewichteten Aktiva erhöht werden. Mehr haftendes Eigenkapital bedeutet größere Sicherheitspolster, die Verluste abfedern, so dass Banken auf einer stabileren Grundlage stehen.

Das „Moral hazard“-Problem gegenüber der Gesellschaft – dem Staat – bleibt aber bestehen, solange Banken eine implizite staatliche Bestandsgarantie genießen. „Der Umgang mit systemrelevanten Instituten – die schwerste Hinterlassenschaft aus der Finanzkrise – ist weiterhin ungeklärt“, heißt es warnend im jüngsten Gutachten der deutschen „Wirtschaftsweisen“. Das Ziel der Staaten, „nie wieder in Geiselhaft durch den Finanzsektor genommen zu werden“, sei verfehlt worden. Sehr große und stark vernetzte Finanzinstitute werden deshalb systemrelevant genannt, weil von ihnen, wenn sie in Schieflage geraten, eine Gefahr für das gesamte Finanzsystem ausgeht. Es kann zu Dominoeffekten auf andere Finanzinstitute oder ganze Finanzmärkte kommen. Um das zu verhindern, werden die Systemrelevanten gestützt.

„Das Problem ist, dass die Gläubiger der systemrelevanten Finanzinstitute dies wissen, dass sie implizit eine Garantie durch den Staat genießen und dass diese wie eine Subvention wirkt“, kritisiert Beatrice Weder di Mauro, Ökonomieprofessorin in Mainz und Mitglied des Sachverständigenrats. Daraus folgen „massive Verzerrungen und Fehlanreize im Finanzsektor“.Beispielsweise können Banken einen Anreiz zu übermäßigem Wachstum sehen. Für die Volkswirtschaft – gerade in kleineren Staaten wie der Schweiz, Irland oder Island – erwachsen Risiken aus der Existenz übergroßer Banken.

Wie hoch diese Subventionen für die Großbanken sind, haben Ökonomen mit verschiedenen Methoden zu ermitteln versucht. Sie kommen auf unterschiedliche, doch stets sehr große Summen. Der Hauptwert der Garantie liegt darin, dass sich die Banken, die als „too big to fail“ (TBTF) gelten, am Kapitalmarkt günstiger finanzieren können, weil das Ausfallrisiko geringer ist. Nach Berechnungen von Dean Baker und Travis McArthur ergeben sich aus der Staatsgarantie um bis zu 0,5 Prozentpunkte geringere Zinskosten. Im untersten Rechenszenario kamen Baker und McArthur auf knapp 5 Milliarden Dollar, im obersten Szenario schätzten sie fast 35 Milliarden Dollar Subvention jährlich durch die impliziten Garantien für die amerikanischen Banken. Eine andere Studie hat anhand von Übernahmeprämien bei Fusionen, aus denen TBTF-Banken hervorgingen, den Wert der Subvention in den Vereinigten Staaten auf 14 bis 25 Milliarden Dollar geschätzt.

Kritischer gegenüber ihren Großbanken sind auch die Schweizer geworden. 2008 machten UBS und Credit Suisse Verluste von rund 30 Milliarden Franken, die UBS wurde anschließend vom Staat gestützt. Die Bilanzsummen der beiden Großbanken machten damals rund das Sechsfache des Schweizer BIP aus. Angesichts dieser Dimension wuchs in Fachkreisen und in der Öffentlichkeit die Sorge, ob ein Zusammenbruch einer Großbank nicht die ganze Volkswirtschaft der Eidgenossenschaft gefährden würde. Nationalbankchef Philipp Hildebrand sagte, man müsse nun ohne Tabus über die Zukunft der Banken reden. Auch in Großbritannien regte sich heftige Kritik. Zentralbankchef Mervyn King regte ein „Testament“ für Großbanken an, damit diese im Krisenfall rasch aufgespaltet und abgewickelt werden könnten.

Gerade liberale Ökonomen wünschen sich Reformen der Bankenregulierung, um die Marktordnung wiederherzustellen. „Die Erwartung, dass es immer eine Rettung, einen Bail-out, geben wird, muss gebrochen werden“, fordert Boris Zürcher vom liberalen Schweizer Thinktank Avenir Suisse, der eine kritische Studie über das „too big to fail“-Problem verfasst hat. Wenn die Aussicht auf Rettung schwinde, hätte dies einen disziplinierenden Effekt auf die Banker und ihre Gläubiger. Zürcher schätzt den Wert der impliziten Subventionen für UBS und CS auf 3 bis 6 Milliarden Franken im Jahr. Das sei mehr Subvention für die Banker als für die Bauern der Schweiz. Darüber hinaus resultiert ein Wohlfahrtsverlust, weil der Wettbewerb zu Lasten der kleineren und mittleren Banken verzerrt wird.

Eine von der Berner Regierung berufene „Expertenkommission zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Großunternehmen“ hat recht radikale Vorschläge gemacht: Auf mindestens 19 Prozent der risikogewichteten Aktiva sollten die Eigenkapitalquoten der Großbanken erhöht werden (das wäre fast das Doppelte der Basel III-Zielvorgaben), davon 10 Prozent hartes Eigenkapital und 9 Prozent in Form von bedingten Pflichtwandelanleihen („Contingent Convertibles“). Mit den CoCo-Bonds würden auch die Gläubiger einer Bank in die Pflicht genommen, wenn die Verluste einer Bank so hoch sind, dass die Eigenkapitalquote unter eine bestimmte Schwelle sinkt. Die Anleihebesitzer würden dann automatisch zu Aktionären und übernehmen Risiken. „Das Ziel ist, dass sich die Aktionäre und Anleihegläubiger nicht mehr darauf verlassen können, dass sie Verluste auf den Staat überwälzen können“, erklärt der St. Galler Wirtschaftsprofessor Manuel Ammann, der den Vorschlag in die Diskussion gebracht hat.

In Deutschland hat die Regulierung einen anderen Schwerpunkt gesetzt. Für Banken soll es eine wirksame Insolvenzordnung geben, so dass auch systemrelevante Banken bei Überschuldung vom Markt geräumt werden. Nach dem neuen Restrukturierungsgesetz sollen quasi-bankrotte Banken aufgespaltet und geordnet abgewickelt werden. Finanziert werden soll das aus dem Topf der Bankenabgabe, in den jährlich 1,3 Milliarden Euro fließen sollen, die vor allem die großen Institute mit mehr als 100 Milliarden Euro Bilanzsumme zahlen müssen. Die Abgabe geht in die richtige Richtung. Um aber wirklich die „Too big to fail“-Garantie auszugleichen und dem Wachstumsanreiz entgegenzuwirken, müsste sie höher sein, hat der Sachverständigenrat klargemacht. Ob das geplante Restrukturierungsregime im Ernstfall wirklich greifen würde, ist völlig ungewiss. „Die Gefahr ist, dass solche Gesetze nicht funktionieren, weil im Notfall sehr wenig Zeit und die Unsicherheit groß ist“, meint Manuel Ammann. Die systemischen Großbanken bleiben also ein Risiko für die Allgemeinheit.

Wie in den dreißiger Jahren hat die jüngste Krise das öffentliche Image der Banker ruiniert. Finanzinstitute, die 1931 in einer Kettenreaktion zusammenbrachen, nachdem sie in den zwanziger Jahren, begünstigt durch das starke Geldmengenwachstum und riskante Investments, hohe Gewinne gemacht hatten, galten als Hauptschuldige des Desasters, das in die Weltwirtschaftskrise führte. Der Schimpfnahme „Bankster“ wurde geläufig. In der aktuellen Krise richtete sich die öffentliche Wut gegen Banker, die trotz hoher Verluste noch Millionen-Boni erhielten: Sie galten als Inkorporationen eines perversen Kapitalismus. Doch mit echtem Kapitalismus – verstanden als Wirtschaftssystem, das auf privaten Eigentumsrechten und privater Haftung basiert – hat dieses Finanzsystem eben nur begrenzt zu tun. Vielmehr erinnert es an halbseitigen Sozialismus: Gewinne landen auf privaten Konten, große Verluste werden sozialisiert.

Wie hoch die Kosten durch Bankenkrise, Bankenrettung und Wirtschaftskrise letztlich ausfallen, kann nur schwer geschätzt werden. Vieles ist noch im Fluss. In Deutschland stellte der Staat im Herbst 2008 knapp 500 Milliarden Euro – die gigantische Summe entspricht rund 20 Prozent des BIP – als Garantien und Kapitalhilfen in Aussicht, doch nur ein Teil wurde in Anspruch genommen. Die Kapitalhilfen, die zwischenzeitlich 21 Milliarden ausmachten, werden zum Großteil zurückgezahlt, nur in den Landesbanken sind einige Milliarden wohl dauerhaft verloren. Der Wert der „toxischen“ Papiere, die in den „Bad Banks“ für die Münchner Hypo Real Estate und für die staatliche WestLB ausgelagert wurden, ist unsicher. Der Bund hat für die Verbindlichkeiten der beiden „Bad Banks“ im Haushaltsjahr 2010 vorsorglich Schulden von 231 Milliarden Euro verbucht, doch können sich die Kurse erholen. Einen Teil der Hilfen für quasi-insolvente Banken muss der Staat aber wohl abschreiben. In Amerika hingegen könnte die Bankenrettung sogar einen Gewinn abwerfen, wie das Finanzministerium im April 2011 verlautete.

Eine Studie der Deutsche Bank Research machte schon früh eine relativ glimpfliche Rechnung auf. Dieser zufolge waren die direkten Kosten der Finanzkrise für die Steuerzahler geringer als angenommen – in den meisten Industriestaaten unter 1 Prozent. „Überraschenderweise dürfte die Krise damit im historischen Vergleich eine der am wenigsten kostspieligen werden“, schreiben die DB-Ökonomen. Zu den direkten fiskalischen Kosten kommen jedoch noch „enorme indirekte Kosten“ der Krise, räumten sie ein. Dazu zählen Verluste an Wirtschaftsleistung, Steuerausfälle, die Kosten für Konjunkturpakete und Ausgaben der Sozialsysteme wegen der Rezession sowie künftig höhere Zinslasten durch Staatsschulden und ein gedämpftes Wachstumspotential.

Lehren aus der Krise: Marktwirtschaft statt Finanzzauber

Das bislang Gesagte erlaubt ein Zwischenfazit zur Finanzkrise. Sie hatte mehrere Ursachen, kann aber nicht als reines Marktversagen klassifiziert werden. Eine moralisierende Erklärung mit der „Gier der Banker“ greift zu kurz. Vielmehr müssen institutionelle und politische Faktoren mit ins Bild genommen werden. Die Finanzkrise entstand zu einem großen Teil aus Politikversagen: Zum einen die Geldpolitik, die mit real negativen Zinsen eine übermäßige Verschuldung der amerikanischen Haushalte und einen Boom in bestimmten Sektoren anregte, begleitet von einer Sozialpolitik, die Immobilienkredite ohne Sicherheiten förderte; zum anderen eine Bankenregulierung, die es erlaubte, mit zu wenig Eigenkapital und viel Fremdkapital übermäßige Risiken einzugehen und diese mit Verbriefungen über die ganze Welt zu verteilen.

Zwei Hauptlehren für eine marktwirtschaftliche Ordnungspolitik nach der Krise sind zu ziehen:

Die erste Lehre betrifft die Zentralbanken. Sie müssen künftig viel vorsichtiger agieren. Ein Überangebot billigen Geldes führt zu Preisblasenbildung und zur Fehllenkung von Kapital. Doch verfolgt man die Krisenpolitik der Fed unter ihrem Vorsitzenden Ben Bernanke, der ungeachtet der wirtschaftlichen Erholung weiter massenhaft Liquidität in den Markt drückt, kommen Zweifel auf, ob nicht die nächste Krise programmiert wird. Der ehemalige IWF-Chefökonom Rajan warnt vor dem „Risiko, dass wir von Blase zu Blase gehen. Ebenso sieht es Ex-BIZ-Warner William White. Nach Ansicht vieler Beobachter wird die Fed die Leitzinsen noch für lange Zeit nahe Null lassen. Die Billiggeld-Lawine wird einen Anstieg der Inflationsraten zur Folge haben. Aufhorchen lässt, dass einflussreiche Ökonomen in Amerika und aus dem IWF höhere Inflation gar nicht schlecht fänden. Schon jetzt droht die amerikanische Liquiditätsschwemme die Schwellenländer zu destabilisieren, die mit hohen Kapitalzuflüssen kämpfen. Von einer symmetrischen Geldpolitik, die sich Regeln unterwirft und strikt das Ziel der Preisstabilität verfolgt, ist nichts zu sehen. Abermals steht in Amerika die kurzfristige Konjunkturstimulierung im Vordergrund.

Die zweite Lektion betrifft die Regulierung der Banken: Wir brauchen nicht einfach mehr, sondern eine bessere Regulierung und mehr Transparenz. Vor allem muss es künftig deutlich höhere Anforderungen an das haftende Eigenkapital der Banken geben. Wer die Chance auf Gewinn haben will, muss auch bei Misserfolgen die Konsequenzen tragen. Durch geeignete Insolvenzordnungen müssen Banken der Disziplin des Marktes unterworfen werden und sich ihre Risiken in höheren Finanzierungskosten ausdrücken. Die Stärkung der privaten Haftung ist der einzige anreizkompatible Weg der Regulierung, der eine Einmischung des Staates in die Geschäfts- und Kreditpolitik der Banken vermeidet, aber ebenso künftige Erpressung durch quasi-bankrotte Banken.

Wenn diese Reformen greifen würden, ergäben sie eine ordnungspolitische Revolution: Die Ohnmacht des Staates, der sich in der Not zur Rettung gezwungen sieht, würde zur tatsächlichen Stärke, die Hilfegesuche abzulehnen und private Finanzhasardeure nicht mit Steuergeld zu stützen.

Die heute viel gescholtenen neoliberalen Ökonomen haben schon vor siebzig Jahren, als Reaktion auf die damalige Wirtschaftskrise, ganz ähnliche Gedanken formuliert. Ihr Ansatz für eine echte Wettbewerbsordnung ist unverändert aktuell. Und sie widersprechen dem populären und politisch gezeichneten Zerrbild des historischen Neoliberalismus. Keinesfalls huldigte dieser einem regellosen „Laissez-faire“; zumindest auf die frühen Neoliberalen trifft das Gegenteil zu. Sie plädierten für einen starken Staat, der Regeln für den Wettbewerb setzt und durchsetzt. Die historischen Neoliberalen suchten, nachdem in den frühen dreißiger Jahren „der Kapitalismus“ in Verruf geraten war, nach einem modifizierten wirtschaftsliberalen Ansatz.

„Der neue Liberalismus jedenfalls, der heute vertretbar ist, und den ich mit meinen Freunden vertrete, fordert einen starken Staat, einen Staat oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten, da wo er hingehört“, erklärte Alexander Rüstow, später Mitstreiter von Ludwig Erhard. Sein Vortrag 1932 vor der Ökonomenorganisation Verein für Socialpolitik gilt als die Geburtsstunde des deutschen Neoliberalismus. Er kritisierte das Ausgreifen des Staates über die Grenzen des Regelsetzens, das Eindringen in wirtschaftliche und gesellschaftliche Bereiche, die Interventionen, Subventionen und Hilfsmaßnahmen. All dies sei kein „Zeichen übermäßiger Stärke des Staates“, sondern „das genaue Gegenteil davon: nicht Staatsmacht, sondern Staatsohnmacht. Es ist Zeichen unwürdigster und jämmerlichster Schwäche.“ Der Staat werde nun von den Interessengruppen ausgenommen. „Jeder Interessent reißt sich ein Stück Staatsmacht heraus und schlachtet es für seine Zwecke aus“, warnte Rüstow.

Walter Eucken, der Kopf der Freiburger Schule, fand zur selben Zeit eine ganz ähnliche Position. Er beklagte einen Verflechtungsprozess von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, der seit dem neunzehnten Jahrhundert zu beobachten sei. Der in den Wirtschaftsablauf intervenierende post-liberale Staat rufe die politische Aktivität der betroffenen Gruppen hervor und werde in der Folge von organisierten Interessen okkupiert. Der Staat werde zur Beute der Lobbygruppen. In erster Linie richteten sich die Klagen dieser frühen Neoliberalen gegen Interventionen, die den Strukturwandel der Wirtschaft aufzuhalten versuchten; sie können aber auch auf die Strukturverzerrungen angewandt werden, die durch implizite staatliche Garantien etwa im Finanzsektor entstehen. Die Lobbymacht der Banken ist besonders stark – und ihr gegenüber erscheint der genötigte Retter Staat besonders schwach.

Ein fragwürdiges Keynes-Revival

Neben der Bankenrettung hat die staatliche Konjunkturstimulierung in der Krise ein ungekanntes Ausmaß erreicht. Im Herbst 2008, nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, fielen die Investoren zunächst in Schockstarre. Die Wirtschaftsleistung, zuvor durch kreditfinanzierten Überkonsum und Überinvestition angeregt, brach ein. Damit war jener Moment gekommen, in dem John Maynard Keynes, der britische Krisenökonom (1883 - 1946), staatliche Ausgabenprogramme empfahl. Die Unsicherheit über die Zukunft war so groß, dass ein staatlicher Impuls notwendig schien, um wieder Vertrauen zu schaffen, damit die Wirtschaft nicht ins Bodenlose fallen würde. Schon vor Keynes haben (neo-)liberale Ökonomen für besonders schwere Krisen, wenn eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale drohe, konjunkturstimulierende Maßnahmen empfohlen. Wilhelm Röpke empfahl 1930/1931 eine staatliche „Initialzündung“, um die darniederliegende Wirtschaft wieder anzukurbeln. Allerdings war für Röpke klar, dass staatliche Arbeitsbeschaffungsprogramme nur in absoluten Ausnahmezuständen gerechtfertigt seien. Doch nicht diese maßvolle, sondern die radikalere Version von Keynes wurde populär.

Als der Keynesianismus nach dem Zweiten Weltkrieg fast die ganze Volkswirtschaftslehre sowie die Wirtschaftspolitik der angelsächsischen, später auch kontinentaleuropäischen Länder erfasste, simplifizierten und vulgarisierten Keynes’ Anhänger die Lehre ganz erheblich. Aus dem Rat, in absoluten Krisen mit kreditfinanzierten Ausgabenprogrammen die Wirtschaft anzuschieben, wurde in der Praxis ein dauerhaftes „deficit spending“ und zudem eine expansive Geldpolitik, um die Arbeitslosigkeit auf ein Minimum zu drücken. Auch bürgerliche Politiker hingen dem an. Präsident Richard Nixon etwa kündigte 1971 eine „Vollbeschäftigungsfiskalpolitik“ mit den Worten an: „Ich bin jetzt ein Keynesianer“.

Doch die Praxis der staatlich induzierten Nachfragebelebung endete im Desaster der Stagflation (stagnierende Wirtschaft bei steigender Inflation): Die Wirtschaft antizipierte die zusätzlichen Staatsausgaben und erhöhte schlicht die Preise; statt mehr Wachstum war mehr Inflation die Folge. Die Arbeitslosigkeit stieg nach dem Ölpreisschock, dagegen kamen immer neue fiskalische Impulse nicht an. Die Wirtschaft stagnierte, einzig die Inflation und die Schulden stiegen. Konjunkturpolitik wirkte wie ein Rauschmittel, das in immer größeren Dosen konsumiert wird: Erst stimuliert es kurzfristig, doch langfristig macht die Einnahme süchtig und ist extrem ungesund. Nach dieser Erfahrung der siebziger Jahre schien der Keynesiamus diskreditiert.

Nun ist der Geist des Keynesianismus erneut aus der Flasche gekrochen. Zumindest unter ernsthaften Ökonomen bleibt die Effektivität der Konjunkturpakete aber stark umstritten. Das Geheimnis der keynesianischen Ökonomie, das die staatlichen Konjunkturpakete in ihren Augen so attraktiv macht, ist der erhoffte Multiplikatoreffekt: Für jeden Dollar, den der Staat zusätzlich ausgibt, soll die Wirtschaftsleistung um deutlich mehr als einen Dollar steigen, weil die Unternehmen und Arbeitnehmer, die das Geld erhalten, ihrerseits Ausgaben tätigen und weitere Geschäfte anregen. Ein Multiplikator zum Beispiel von 5 hieße, dass der Staat 1 Euro in die Volkswirtschaft reinsteckt und damit 5 Euro Wirtschaftsleistung anregt, durch zusätzlichen privaten Konsum und mehr Investitionen. Die frühen Anhänger von Keynes glaubten tatsächlich an so gewaltige Multiplikatoren.

Nach den Enttäuschungen der siebziger Jahre wurde man bescheidener. Immerhin noch einen Multiplikator von 1,6 errechneten die amerikanischen Regierungsberater Christina Romer und Jared Bernstein 2009 für das 800 Milliarden Dollar schwere Konjunkturpaket der Vereinigten Staaten. Das hieße, dass die staatlichen Ausgaben fast 1,3 Billionen Dollar Wirtschaftsleistung anregen würden. Präsident Obama sprach von mehreren Millionen Arbeitsplätzen, die mit dem Programm „geschaffen oder gesichert“ würden. Wenn aber der Ausgabenmultiplikator unter 1 läge, würde der staatliche Impuls weniger Wirtschaftsleistung anschieben als er kostet. Die ganze Aktion wäre ein eklatantes Verlustgeschäft für die Steuerzahler. Genau dies legen aber neuere Studien zur Wirkung der jüngsten Konjunkturpakete nahe.

Zur Berechnung der Wirkung der europäischen Konjunkturpakete haben die Ökonomen Volker Wieland und Tobias Cwik von der Universität Frankfurt fünf unterschiedliche makroökonomische Modelle benutzt. Es sind allesamt Modelle, die (neo-)keynesianische Eigenschaften haben, vor allem Preis- und Lohnrigiditäten. Ihr ernüchterndes Ergebnis: Vier der fünf Modelle ergaben einen Multiplikatorwerte von weniger als 1. Nur ein Modell, das erwartungsgetriebene Verhaltensänderungen von Konsumenten und Unternehmen weitgehend ausblendet, brachte einen Multiplikator knapp darüber.

Nach diesen Berechnungen erscheint es wahrscheinlich, dass die Konjunkturprogramme insgesamt mehr gekostet als gebracht haben. Die geringe konjunkturelle Wirkung liegt vor allem an den Reaktionen der privaten Haushalte und Unternehmen, die der Absicht des Ausgabenprogramms entgegenlaufen. Weil die Bürger erwarten, künftig höhere Steuern zahlen zu müssen, um die Staatsschulden zu bedienen, schränken sie ihre Konsumausgaben ein. Hinzu kommt, dass bei höheren Finanzierungskosten durch höhere Zinsen die Unternehmen weniger investieren. Staatliche Ausgaben verdrängen somit privaten Konsum und private Investitionen („crowding out“).

Fragwürdig ist auch, ob mit direkten Staatsausgaben, zum Beispiel für Infrastrukturprojekte, eine bessere und vor allem anti-zyklische Wirkung erzielt werden kann. Bauinvestitionen, Straßen und Brücken sind Investitionen, die einen längerfristigen Nutzen stiften. Allerdings haben sie den Nachteil, dass sie nur mit einer Zeitverzögerung angestoßen werden können. Nimmt man die Reaktionsfrist der Regierung hinzu, bis sie die Rezession erkennt und Bauprojekte beschließt und dann tatsächlich beginnt, ergibt sich eine kritische Verspätung von mehrere Quartalen. Sie führt dazu, dass die konjunkturpolitischen Maßnahmen oft gar nicht mehr anti-zyklisch wirken. Sie setzen nicht im Abschwung ein, sondern erst in der Erholung und wirken somit pro-zyklisch, verstärken den Konjunkturzyklus, statt ihn zu glätten.

Das lässt sich empirisch auch in der jüngsten Rezession nachweisen. Sie begann im Euro-Raum schon im Januar 2008, wie die CEPR-Statistiken in der Rückschau ergaben, was damals aber noch nicht klar war. Dass sich die Wirtschaft in der Rezession befand, wurde allgemein erst im Spätsommer 2008 erkannt. Die großen Konjunkturpakete wurden Ende 2008 und Anfang 2009 verabschiedet. Ein Großteil der damit beschlossenen Projekte wurde aber erst 2010 verwirklicht. Die Baugeräte rollten erst, als die Rezession schon geendet hatte. Insgesamt haben die elf wichtigsten europäischen Staaten Konjunkturpakete beschlossen, die fast 100 Milliarden Euro im Jahr 2009 und 80 Milliarden Euro im Jahr 2010 umfassen. Das war jeweils rund 1 Prozent des BIP. Ihre Wirkung sollte dennoch nicht überschätzt werden, wogegen die Schulden dauerhaft bleiben.

Eine besondere Vergünstigung erhielt 2009 die Autoindustrie. Um sie in der Krise zu stützen, zahlte der Staat Abwrackprämien für das Verschrotten eines Altwagens beim Kauf eines Neuwagens. In Deutschland betrug die Prämie 2500 Euro, damit wurde der Absatz von mehr als 1,7 Millionen Autos, vor allem Kleinwagen, subventioniert. Insgesamt kostete die Förderung den Steuerzahler fast 5 Milliarden Euro. Die Autoindustrie jubelte über den Stimulus, doch Ökonomen erkannten darin lediglich ein Strohfeuer. Denn viele Käufer hatten wegen der staatlichen Prämie einfach einen geplanten Autokauf vorgezogen. Nach dem Ende der Prämie fiel der Absatz entsprechend schwächer aus. Eine Studie über die amerikanische Abwrackprämie (im Volksmund„Cash for Clunkers“, das Programm kostete rund 2,9 Milliarden Dollar) hat gezeigt, dass der Effekt der Prämie nach bloß acht Monaten komplett verpufft war. Der Nettoeffekt für die Branche war also längerfristig gleich Null – der Staat und die Steuerzahler blieben aber auf zusätzlicher Verschuldung in Milliardenhöhe sitzen.

Schon während der Rezession waren die kritischen Stimmen nicht völlig verstummt, die von keynesianischer Politik keine Wunder erwarten. In Amerika protestierten 200 Ökonomen, darunter die Nobelpreisträger James Buchanan, Vernon Smith und Edward Prescott in Anzeigen gegen den Ausgabenrausch der Regierung Obama. Sie erinnerten an das Schicksal Japans: Immer mehr Staatsausgaben konnten dort das „verlorene Jahrzehnt“ in den neunziger Jahren nicht verhindern. Die japanische Regierung legte damals fast ein Dutzend Konjunkturprogramme auf, die Wirtschaft belebte sich aber nicht. Einzig die Baukonzerne profitierten, die noch die letzten Küstenstreifen mit Straßen zubetonierten und Tunnel und Brücken bauten. Japans Nettoschuldenposition verschlechterte sich von rund 20 auf 120 Prozent des BIP, die Bruttoverschuldung stieg über 200 Prozent des BIP. Noch schafft es der japanische Staat, seine gering verzinsten Anleihen im Inland, bei der staatlichen Postbank und Pensionsfonds unterzubringen. Doch schon bald wird er sich auch auf dem internationalen Kapitalmarkt finanzieren müssen. Dann wird der Schuldendienst extrem belastend.

Die große Finanz- und Wirtschaftskrise war ein Turbo für die öffentliche Schuldenzunahme. Niemals zuvor in Friedenszeiten sind die öffentlichen Schulden so rasend schnell gestiegen; Harvard-Historiker Ferguson verglich die finanziellen Auswirkungen der Krise gar mit denen eines Weltkriegs. Im Durchschnitt sind die Industrieländer nun mit rund 100 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung verschuldet: Japan hält den traurigen Rekord, die Vereinigten Staaten liegen bei rund 100 Prozent, Großbritannien und Frankreich über 85 Prozent, Italien bei fast 120 Prozent Schuldenquote. Deutschland kann sich bei 75 Prozent stabilisieren (inklusive der Bad-Bank-Schulden sind es fast 80 Prozent), Österreich knapp darunter bei 72 Prozent. Im Durchschnitt des Euro-Raums ist die Schuldenquote nach der Prognose der EU-Kommission von 66 Prozent im Jahr 2007 auf 86,5 Prozent im Jahr 2011 geklettert.

Derart hohe Schuldenstände sind Gift für künftiges Wirtschaftswachstum. Sie nähern sich dem kritischen Schwellenwert von 90 Prozent des BIP, ab dem die Wirtschaft deutlich geschwächt wird, wie Carmen Reinhart von der University of Maryland und ihr Harvard-Kollege Kenneth Rogoff empirisch ermittelt haben. Bei 90 Prozent Schuldenquote ist das Wachstum im Mittel um etwa 1 Prozentpunkt niedriger. Für Schwellenländer liegt die kritische Marke schon bei 60 Prozent. Die Volkswirtschaften schleppen dann zu große Schulden mit sich; hohe Steuern dämpfen die Investitionen, das Produktivitätswachstum schwächt sich ab. Nach einer Studie von IWF-Ökonomen bremst eine Zunahme der Staatsschuld um 10 Prozentpunkte das Wirtschaftswachstum um 0,2 Prozentpunkte, bei sehr hohen Schuldenständen nimmt der Bremseffekt überproportional zu.

Die offiziell ausgewiesenen, expliziten Schulden sind nicht die ganze Wahrheit. Hinzu kommen in allen Staaten mit umlagefinanzierten Sozialsystemen weitere, noch größere implizite Schulden. Darunter fallen alle Verpflichtungen aus den Rentenversicherungen, die Pensionszusagen an die Beamten sowie die stetig steigenden Sozial- und Gesundheitskosten, die über staatliche Versicherungen finanziert werden. In Deutschland beträgt die explizite Staatsschuld inklusive Bad-Bank-Schulden rund 2 Billionen Euro – also knapp 80 Prozent des BIP. Hinzu kommt laut Schätzung des Sachverständigenrats ein verdeckter Schuldenberg von 270 Prozent des BIP. Das wären aktuell mehr als 6 Billionen Euro. Schulden in Sozialsystemen zu verstecken, erscheint als bequemer Weg, um Kosten in die Zukunft zu verschieben.

 „Fiskalischer Kindesmissbrauch“ nennt es der amerikanische Ökonom Lawrence Kotlikoff, der als einer der Ersten auf das Problem der verdeckten Schulden hingewiesen und sogenannte Generationenbilanzen und Nachhaltigkeitslücken ausgerechnet hat. Einer schrumpfenden Zahl von künftigen Beitragszahlern stehen die wachsenden Ansprüche der Transferempfänger in einer alternden Gesellschaft gegenüber. Unterbleiben drastische Reformen der Renten-, Sozial- und Gesundheitssysteme, dann werden die impliziten Schuldenberge nach und nach als Defizite sichtbar. Was für ein Schulden-Himalaya sich auftürmen könnte, hat die Ratingagentur Standard & Poor’s in einer Studie zu quantifizieren versucht. In den meisten entwickelten Staaten würden die Schuldenquoten bis zum Jahr 2050 theoretisch auf 300 Prozent des BIP steigen – völlig untragbare Lasten. Bevor es aber soweit kommt, wären die Staaten längst finanziell zusammengebrochen.

Stimulieren um jeden Preis

Schon die „große Rettung“ des Jahres 2009 hat die meisten Staaten völlig erschöpft. Ihre Reserven sind verausgabt, ihr künftiger Handlungsspielraum gering. Nun müsste das Ruder entschlossen herumgerissen werden. Statt Stimulus ist Sparen angesagt. Auch in Vereinigten Staaten wäre eine entschlossene fiskalische Bremsung notwendig, doch sind dort die Regierung und die Opposition über diese Frage tief zerstritten. Dort hoffen einige, die Schuldenquoten durch Wachstum reduzieren zu können. Diese Hoffnung kann aber trügen. Hohe Wachstumsraten weisen die Schwellenländer auf, die von der Krise kaum berührt waren. Deutschland profitiert mit seinem großen Exportsektor vom asiatischen Aufschwung, daher das Wachstum von 3,6 Prozent im Jahr 2010. Die deutsche Erholung sowie das osteuropäische Wachstum strahlen auf Mitteleuropa ab. Österreich erreichte 2 Prozent Wachstum erreichte und lag damit deutlich über dem Euro-Durchschnitt.

Die meisten westlichen Industrieländer sowie die Volkswirtschaften der Euro-Peripherie schleppen sich aber nur mühsam aus der Krise. Sie müssen sich schmerzhaft umorientieren. Verzerrte Wirtschaftsstrukturen mit aufgeblähtem Finanzsektor oder überdimensioniertem Bausektor gibt es in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Irland sowie in Spanien. Das Potentialwachstum dieser Länder ist für absehbare Zeit gedämpft, da die Finanzsektor- und Immobilienkrisen nachwirken. Bevor die Wirtschaft wieder stärker wächst und die Arbeitslosigkeit signifikant sinken kann, müssen sie sich strukturell neu ordnen. Einige Bereiche müssen „gesundschrumpfen“. In den Jahren des kreditgetriebenen Booms sind in Amerika viele Arbeitsplätze in der Industrie abgebaut und stattdessen höher bezahlte Jobs in (Finanz-)Dienstleistungssektor geschaffen worden. Das vermeintliche Produktivitätswunder hat das nominelle BIP aufgebläht, war aber nicht nachhaltig.

Gegen den schmerzhaften Prozess der Anpassung und Rückbildung sträuben sich mächtige Interessengruppen und Wählerschaften. Wird versucht, mit immer weiteren fiskal- oder geldpolitischen Stimuli eine Rückkehr zum alten, aufgeblähten Wachstumspfad zu erzwingen, wie dies die amerikanische Regierung und Zentralbank tun, läuft die Politik ins Leere. Sie hinterlassen einen wachsenden Schuldenberg und legen die Saat für Inflation.

Damit könnte sich die Erfahrung der siebziger Jahre wiederholen, die der zypriotische Ökonom Athanasios Orphanides, heute EZB-Ratsmitglied, analysiert hat. Auch damals überschätzten einige Zentralbanker die „Output-Lücke“ und unterschätzten folglich die „natürliche“, also strukturelle Arbeitslosenquote. Sie schossen aus vollen Rohren mit billigem Geld, um die Wirtschaft nach der Ölpreiskrise anzufeuern. Die Folge war aber nicht mehr Wachstum, sondern anziehende Inflationsraten.

Angesichts der ungebremsten Liquiditätsschwemme der Fed und der hohen amerikanischen Staatsverschuldung, die schon mehr als 14 Billionen Dollar beträgt, erscheint auf längere Sicht die Position des Dollar nicht mehr gesichert. China, der Hauptgläubiger der Vereinigten Staaten, macht sich Gedanken, wie es seine Devisenreserven (fast 2 Billionen Dollar) besser diversifizieren könnte. Davon könnte der Euro profitieren, wenn die europäische Gemeinschaftswährung nicht gerade selbst eine tiefe Krise durchliefe.

Die Währungsunion in der Zerreißprobe

Das Beben der Finanzkrise hat in der dritten Welle zu extrem hohen Staatsdefiziten geführt und in Europa schonungslos die Schwachstellen der Währungsunion offengelegt. Nach gut zehn Jahren Schönwetterperiode, in der die Währungsunion trotz Regelverstößen recht gut zu funktionieren schien, ist sie in einen Sturm geraten, der sie zu zerreißen droht. Schon vor der Festschreibung der Wechselkurse 1999 und der Einführung des Euro gab es zahlreiche Warnungen: Ein gemeinsames Währungsdach für Volkswirtschaften mit unterschiedlicher Wettbewerbskraft kann zu Spannungen führen. Der Euro-Raum ist kein „optimaler Währungsraum“, denn für eine gemeinsame Währung sind die Volkswirtschaften zu heterogen, die (Arbeits-)Märkte zu inflexibel und die Faktormobilität zu gering, um exogene Schocks auszugleichen. Ein grundlegender Irrtum der europäischen Politik war, in der Währungsunion auf eine immer weitere Konvergenz der Volkswirtschaften zu hoffen. Das Gegenteil trat ein: Nach 1999 gab es keine Konvergenz zu beobachten, sondern ein Auseinanderdriften, was die Wettbewerbsfähigkeit angeht. Das zeigte sich in den Leistungsbilanzen.

Die Südeuropäer erlebten zunächst eine Sonderkonjunktur, getrieben durch den EZB-Einheitsleitzins. Für Deutschland und Österreich, die mit niedrigen Inflationsraten in die Währungsunion gingen, war der EZB-Leitzins real zu hoch. Für die Peripherie, die höhere Inflationsraten hatten, war er zu niedrig. Die realen Zinsen lagen dort über Jahre im negativen Bereich. Dies war eine ungeheure Verlockung zur Verschuldung, die Kreditvolumina wuchsen rapide. In Spanien und Irland kam es zu Baubooms, der plötzliche scheinbare Reichtum heizte den Konsum an. Insgesamt leisteten sich die Südländer, die allgemein stärkere, kampfbereite Gewerkschaften haben, übermäßig hohe Lohnzuwachsraten, die nicht von der Arbeitsproduktivität gedeckt waren. Die Lohnstückkosten in Griechenland, Portugal, Spanien, Italien und Irland stiegen gegenüber der Vor-Euro-Zeit um rund ein Drittel, in gleichem Maß sank ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit.

Daraus folgten stark steigende Leistungsbilanzdefizite in den „Piigs“-Staaten und steigende Auslandsverschuldung, die in Finanzkrisen besonders gefährlich werden kann. In Griechenland wuchs das Leistungsbilanzdefizit 2009 auf extrem hohe 14 Prozent des BIP, Portugal kam auf mehr als 10 Prozent, Spanien auf 5,5 Prozent und Italien und Irland auf mehr als 3 Prozent des BIP. Griechenland und Portugal hatten auch ihren schwerfälligen öffentlichen Dienst erheblich ausgeweitet, die Ausgaben für die vom Staat Beschäftigten verdoppelten sich in einem Jahrzehnt. In jeder Hinsicht lebten diese Länder über ihre Verhältnisse. Zunächst konnte der Überkonsum durch Kapitalzuflüsse aus dem Norden und die drastisch sinkenden Zinsen finanziert werden. Als mit der Finanzkrise die Kapitalmärkte plötzlich die Entwicklung der öffentlichen Verschuldung misstrauischer beobachteten, verlangten sie von den „Piigs“-Staaten schlagartig höhere Risikoprämien.

Konnten die südeuropäischen Länder vor dem Euro noch ihre Währungen abwerten, um ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, ist dieser Ausweg nun versperrt. Statt Wechselkursabwertung droht Zahlungsunfähigkeit – was die Gläubiger, allen voran französische und deutsche Banken, schwer getroffen hätte. Hinter den Kulissen drohten die Banken der Politik mit einer möglichen Kettenreaktion im Finanzsystem, falls die Anleihen von Griechenland oder anderen Peripherie-Staaten ausfielen. So wurde abermals eine Rettung mit Steuergeld erpresst. Eigentlich schloss der Maastricht-Vertrag einen „Bail out“ aus. Es hieß klar, dass die Teilnehmer der Währungsunion nicht für die Schulden anderer Mitglieder haften. Doch dieser Grundsatz wurde über Bord geworfen. Die solideren Mitglieder der Eurozone, allen voran Deutschland, haften nun für die Schulden der Peripherie.

Als sich die Schuldenkrise zuzuspitzen begann, hatte der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing noch eindringlich vor einer Verletzung der „No bail out“-Klausel gewarnt. Wer diesen Grundsatz aufweiche, der lege „die Axt an den stabilitätspolitischen Rahmen der Währungsunion“. Dass jeder Staat für seine eigenen Schulden und Defizite hafte, sei entscheidend für die finanzpolitische Disziplin. „Ohne das gäbe es kein Halten mehr“, warnte Issing. Im Mai 2010 gab es kein Halten mehr. Die Regierungen der Euro-Länder, die EU-Kommission und der IWF richteten eine Kreditlinie von 110 Milliarden Euro für Griechenland und dann einen Rettungsfonds mit 750 Milliarden Euro für sämtliche finanzschwachen Euro-Länder ein. 2013 soll an seine Stelle der European Stability Mechanism (ESM) treten, der sogar nominal 700 Milliarden Euro Volumen haben soll. Entsprechend der EZB-Kapitalquoten gibt Deutschland den Löwenanteil von maximal 168 Milliarden Euro Garantien und leistet von 2013 an schrittweise eine Bareinlage von fast 22 Milliarden Euro, Österreich haftet für bis zu 17,3 Milliarden Euro mit zahlt 2,2 Milliarden Euro in die unverzinste Bareinlage.

Aus der Währungsunion droht damit eine Transferunion zu werden. Die Gefahr, dass der Euro zur Haftungsgemeinschaft mutiert, haben Kritiker, etwa der Tübinger Ökonom Joachim Starbatty, von Anfang an vorausgesagt. Die Mehrheit der deutschen Wirtschaftsprofessoren stand den Plänen für eine Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWU) in den neunziger Jahren skeptisch bis ablehnend gegenüber. Doch ihre Vorbehalte wurden ignoriert. Denn der Euro war in erster Linie ein politisches, kein ökonomisches Projekt. Frankreich forderte von Deutschland die Aufgabe der D-Mark als Preis für die Wiedervereinigung. Die ökonomischen Begründungen der angeblichen Vorteilhaftigkeit einer gemeinsamen Währung wurden nachgeschoben.

Ein Damm gegen unsolide Fiskalpolitik sollte der Stabilitätspakt sein, der aber in den Jahren 2003 bis 2005 von Deutschland und Frankreich gemeinsam aufgeweicht wurde. Nun soll der Pakt zwar verschärft werden. Es bleibt aber dabei, dass es bei überhöhten Defiziten keinen Sanktionsautomatismus gibt. Der Prozess bleibt politisiert, weiterhin richten potentielle Sünder über aktuelle Sünder. Unter diesen Bedingungen wirken Sanktionsdrohungen nicht glaubwürdig. Auf die schiefe Bahn zur Vergemeinschaftung von Altschulden führte auch die Diskussion über Euro-Bonds, die von besonders integrationseifrigen Regierungen und der Kommission gefordert werden. Gemeinsame Anleihen würde den schlechten Schuldnern eine Entlastung auf Kosten der relativ guten Schuldner wie Deutschland und Österreich bringen. Dass der ESM künftig Anleihen finanzschwacher Euro-Staaten ankaufen darf, führt die Euro-Bonds durch die Hintertür ein.

Statt einer Vergemeinschaftung von Schulden empfehlen die meisten Ökonomen eine Insolvenzregel für Staaten. Griechenland, das bald 160 Prozent Schuldenquote hat, sollte eine Umschuldung gewährt werden. Damit gäbe es eine Beteiligung der Gläubiger an der Sanierung der Staatsfinanzen. Zumindest müssten EU-Hilfskredite aus Steuermitteln mit einem Schuldenmoratorium in Form einer Verlängerung der Laufzeiten verbunden werden. Die Anleger, die hochrentierende Piigs-Anleihen gekauft haben, würden dann wenigsten einen Teil der Risiken tragen, statt sie komplett auf die europäischen Steuerzahler abzuwälzen. Eine solche Regelung würde disziplinierend wirken, weil sie künftige übermäßige Schuldenmacherei bremst.

Wenn jedoch der Eindruck entsteht, dass die Steuerzahler der solideren Länder, allen voran Deutschland, die Niederlande und Österreich, die Zahlmeister der EU sind, wird die Akzeptanz der EU beschädigt. Die Euro-Verdrossenheit hat in der Krise einen Höhepunkt erreicht. Nach den Allensbach-Umfragen haben in Deutschland fast zwei Drittel der Bürger wenig oder gar kein Vertrauen mehr in die EU. Ohnehin hat sich die Mehrzahl der Bürger nur widerwillig in das Euro-Experiment gefügt, das wie vieles in der EU ein Projekt der Politik-Eliten war. Auch diese sind nun ratlos. Die Kluft zwischen Politik und Bürger wird breiter. In einer Transferunion werden sich die Nettozahler ausgenutzt und getäuscht fühlen, zumal wenn offenkundige Statistikfälschung wie in Griechenland vorliegt. Finanzielle Spannungen können zu politischen Spannungen führen. Der Euro würde dann zum Sprengsatz für Europa werden. Eine solche Entwicklung hat der amerikanische Ökonom Martin Feldstein in einem vieldiskutierten Aufsatz schon vor Beginn des EWU-Experiments prophezeit.

Im „Haus Europa” sind die Risse seit 2010 nicht mehr zu übersehen. Um ihre Unsicherheit zu überspielen, flüchtete sich die EU-Elite in eine martialische Rhetorik. Von einem „Angriffskrieg“ ominöser internationaler Spekulanten war die Rede, gegen den Frankreichs Präsident Sarkozy eine „Generalmobilmachung“ ankündigte. Er wolle „ohne Gnade die Spekulation bekämpfen“.Einige prominente und besonnene Ökonomen hatten die Courage, dem Unsinn zu widersprechen, etwa Otmar Issing, der frühere Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank. Er widersprach der „Mär von der Spekulation“ und fragte: „Ist es Spekulation zu nennen, wenn Pensionsfonds und Lebensversicherungen versuchen, griechische Anleihen abzustoßen, um Schaden von ihren Versicherten abzuwenden?“ Der Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe nennt den Verweis auf die „notorischen Spekulanten … eine Art Schadenszauber, weiß doch mittlerweile jedes Kind, dass die Probleme nicht auf Spekulation zurückzuführen sind, sondern nicht selten auf handfeste Misswirtschaft.“

Da die mitteleuropäischen Steuerzahler über die Rettungsorgie nicht begeistert waren, malten die EU-Eliten eine drohende Katastrophe an die Wand, wenn einzelne Mitglieder wegen Zahlungsschwierigkeiten die Währungsunion verlassen müssten. Auf den Wirtschaftshistoriker Plumpe wirkt diese Drohkulisse wenig überzeugend. Er erinnert daran, dass es schon die verschiedensten Währungsunionen in der Geschichte gab, die alle irgendwann auseinanderfielen. „Ihr Zerfall trat in der Regel ein, wenn die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Teilnehmerländern zu groß wurden, um eine gemeinsame Währung sinnvoll erscheinen zu lassen, oder wenn sich ein oder mehrere Teilnehmer nicht mehr an die vereinbarten Spielregeln hielten. Ihr Zerfall war bisher kaum je ein ökonomisches Desaster.“ Ein Desaster wäre es nur für die jene Europapolitiker und EU-Bürokraten, die den Euro als ökonomisches Treibmittel einer politischen Zentralisierung des Kontinents sahen. Dieses Unterfangen, das mit Euro-Krise einen herben Rückschlag erleidet, versuchen sie dennoch fortzusetzen.

Die schleichende Transformation der Währungsunion in eine Haftungsunion steht erst am Anfang. Flankierend fordert die französische Regierung seit Jahren eine „Wirtschaftsregierung“, wogegen die deutsche Kanzlerin einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ vorgeschlagen. Die Diskussion im Jahr 2010 drehte sich immer mehr um „makroökonomische Ungleichgewichte“, die es abzubauen gelte. Französische Politiker und Ökonomen plädierten für eine Art europäische Makro-Globalsteuerung, auch in Deutschland finden sich im linken Lager ein paar Fürsprecher dieser Idee. Wenn die Peripherie in den kommenden Jahren nicht wettbewerbsfähig wird, weil sie unter zu hohen Schulden leidet und zu geringe Innovationskraft hat, wird der Ruf nach Transferflüssen oder nach politischer Steuerung der Leistungsbilanzen immer lauter werden. Frankreich hat die zu geringen Lohnsteigerungen in Deutschland kritisiert. Die Forderung nach „Harmonisierung“ der Lohnpolitiken ist dabei nur der wenig kaschierte Versuch, die Produktionskosten des Konkurrenten zu erhöhen.

Die Schritte zu einer supranationalen, gemeinsamen Wirtschaftspolitik führen in jedem Fall zu mehr Vereinheitlichung. Durch mehr supranationale Vorgaben wird nicht nur die nationale demokratische Souveränität ausgehebelt. Eine zentralistische Politik nach dem Motto „one size fits all“ ist auch ökonomisch höchst fragwürdig in einem heterogenen Wirtschaftsraum.  In der Geldpolitik hat es zu Verzerrungen und Fehllenkungen geführt. Die von Frankreich propagierte „Wirtschaftsregierung“ bedeutete im Extrem eine Gleichschaltung der länderspezifischen Fiskal-, Sozial-, Tarif-, Renten- und Bildungspolitiken. Dies würde die europäische Vielfalt planieren und in eine Sackgasse führen. Europa wäre nicht mehr Europa. Denn gerade die Vielfältigkeit hat, historisch gesehen, das Entdeckungsverfahren ermöglicht, das Europa zu einer einzigartigen und führenden Region in der Welt macht. Es war dieser produktive Systemwettbewerb, der das historische „Wunder Europas“ (Eric L. Jones) ermöglicht. Durch mehr zentralistische Planierung würde Europa nicht „fit“ für den globalen Wettbewerb, wie die Befürworter einer „Wirtschaftsregierung“ versprechen, sondern sein Wachstumspotential tendenziell gemindert.

Die tickende demographische Zeitbombe im „alten Kontinent“

Die Wachstumsaussichten sind ohnehin gedämpft: Kurz- und mittelfristig wegen der Folgen der Finanz- und Schuldenkrise, die strukturelle Veränderungen erzwingt. Mittel- bis längerfristig werden die Auswirkungen des demographischen Wandels immer schärfer zutage treten. Die Bezeichnung Europas als „alter Kontinent“ bekommt einen neuen, düsteren Sinn. Mit einer überalternden Bevölkerung geht Dynamik verloren. Jeder einzelne wird natürlich die Verlängerung der Lebenserwartung als Geschenk zusätzlicher Zeit sehen. Gesamtgesellschaftlich dürften die Konsequenzen stark überalternder Bevölkerungen und einer fehlgesteuerten Zuwanderung jedoch zu existentiellen Belastungsproben führen. Schon heute gibt es in Mitteleuropa mehr 65-Jährige als unter 20-Jährige. Vor allem im Zusammenspiel mit der Verschuldung wird die Herausforderung deutlich: Immer weniger Nachkommen müssen immer größere Lasten schultern.

Mitte der sechziger Jahre erreichte die Geburtenrate mit deutlich über 2 Kindern je Frau – der sogenannten Babyboomer-Generation – einen kurzen Höhepunkt. Als die Geburtenraten dann einbrachen, wurden die Konsequenzen zunächst verdrängt, eine Debatte sollte nicht stattfinden und wurde gar diffamiert. Bevölkerungswissenschaft galt nach den NS-Missbräuchen als anrüchig. Dennoch bleibt die Demographie eine zentrale Größe, die sich nicht aus Gründen vermeintlicher „political correctness“ ignorieren lässt. Bevölkerungsentwicklungen sind träge Phänomene, doch gewinnen sie an Fahrt, wenn ein Einbruch der Geburtenrate so lange anhält. Seit fast vierzig Jahren liegt sie nun bei etwa 1,4 Kindern je Frau. Das ist rund ein Drittel weniger als das bestandserhaltende Niveau. Im Klartext heißt das: Jede nachgeborene Generation wird um ein Drittel kleiner sein als ihre Elterngeneration. Dieser Prozess führt in eine sich selbst verstärkende demographische Abwärtsspirale.

Die absoluten Zahlen verdeutlichen die epochale Verschiebung. Im letzten Jahr des Babybooms 1964 kamen in Deutschland (West und Ost) rund 1,35 Millionen Kinder zur Welt, dann sank die Geburtenzahl um mehr als ein Drittel. Vordergründig wird dies als „Pillenknick“ bezeichnet. Als tiefere Gründe erscheinen ein kultureller und ideologischer Wandel, das Forcieren neuer, emanzipierter Frauenrollenbilder, die das Muttersein in den Hintergrund drängten, sowie die zunehmende Individualisierung und Auflösung der traditionellen Familienstrukturen, deren Aufgaben zum Teil der Sozialstaat übernahm. Ökonomisch kann der Verzicht auf Nachwuchs als Reaktion auf veränderte (Opportunitäts-)kosten der Erziehung der Kinder gedeutet werden, deren „Wert“ (emotional und materiell) geringer geachtet wird. Nicht zu unterschätzen ist auch der demographische Effekt des Sozialstaats: Während die Kosten der Kindererziehung weitgehend bei den Eltern liegen, wird ihr ökonomische „Nutzen“ sozialisiert, indem sie Rentenbeiträge ins Umlagesystem zahlen, aus dem auch die Renten der Kinderlosen finanziert werden.

Den bisherigen Tiefpunkt der Geburtenzahl markiert in Deutschland das Jahr 2009, als nur noch 651.000 Kinder zur Welt kamen. Innerhalb von 45 Jahren hat sich die Basis des Nachwuchses halbiert. In Österreich lag die Geburtenzahl im Höhepunkt 1963 bei fast 135.000, heute werden weniger als 77.000 Kinder im Jahr geboren. Dies ist ein Rückgang der Geburtenzahl um mehr als 40 Prozent in nicht einmal zwei Generationen. Noch stehen die Babyboomer mehrheitlich im Erwerbsleben, doch werden sie etwa zur Mitte des Jahrzehnts ausscheiden. In den kommenden Jahrzehnten wird die Alterung in eine beschleunigte Schrumpfung der Bevölkerung übergehen. Das Ausmaß der zu erwartenden Bevölkerungsverluste nennt der bekannte Bielefelder Biograph Herwig Birg vergleichbar mit denen im Dreißigjährigen Krieg, der die Einwohnerzahl um etwa ein Drittel dezimierte und ganze Landstriche in Mitteleuropa entvölkerte.

Zum Teil füllen Einwanderer und ihre Nachkommen die demographische Lücke, doch nicht vollständig. Bis zum Jahr 2050 wird die Bevölkerungszahl der Bundesrepublik von 82 Millionen auf 68 Millionen sinken, darunter sind nach der Berechnung von Birg dann rund 19 Millionen mit Migrationshintergrund. 2100 könnte die Bevölkerungszahl der Bundesrepublik, wenn die demographischen Trends sich nicht drastisch ändern, auf 46 Millionen geschrumpft sein. Davon wären nur noch eine Minderheit von 21 Millionen ethnische Deutscher gegenüber einer Mehrheit von Zugewanderten und ihren Nachkommen.

Für Österreich ist eine noch schnellere Verschiebung der ethnischen Relationen anzunehmen. Nach der mittleren Schätzung von Statistik Austria wird die Bevölkerungszahl zwar bis 2050 von 8,4 auf 9,4 Millionen zunehmen, aber nicht wegen nennenswert steigender Geburtenzahlen, sondern als Folge einer erwarteten hohen Zuwanderung. Die autochthone österreicherische Bevölkerung schrumpft bis zur Jahrhundertmitte um 2 Millionen, ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung sinkt nach der Prognose von Vonach und Tagesen auf etwa 52 Prozent. Am stärksten sind die demographischen Verschiebungen in den Städten und in der jungen Bevölkerung. In Wien könnte der Migrantenanteil bei den unter 40-Jährigen schon zur Jahrhundertmitte auf 73 Prozent der Bevölkerung anwachsen.

Langfristige demographische Prognosen stehen unter dem Vorbehalt, dass künftige Trends sich ändern können. Doch die mittelfristige Bevölkerungsentwicklung ist unentrinnbar durch den Geburtenstreik der vergangenen vierzig Jahre determiniert. Der Kindermangel bedeutet künftigen Elternmangel. Europas Bevölkerung wird demnach in nie gekanntem Maße schrumpfen. Abgesehen davon, dass der Mangel an Nachwuchs starke Zweifel am kulturellen Überlebenswillen aufkommen lässt, verdüstert er die volkswirtschaftlichen Perspektiven. Schon in diesem Jahrzehnt, wenn die Babyboomer in Rente gehen, wird das Potential an qualifizierten und leistungsfähigen Arbeitskräften deutlich knapper. Zugleich steigt deren Belastung durch Beiträge in die Sozialsysteme und die Versorgung der zunehmenden Zahl von Älteren.

Heute kommen noch drei Erwerbstätige auf einen Rentner, in einer Generation dürften es weniger als zwei sein. Wegen der schrumpfenden Basis an Erwerbspersonen (bis 2035 in Deutschland um rund 5 Prozent, danach beschleunigt) ist mit schwächerem Wachstum zu rechnen. Das Schweizer Prognos-Institut schätzt, dass selbst im günstigsten Szenario mit einer steigenden Erwerbsbeteiligung von Frauen, Älteren und Migranten die Wachstumsrate bis 2035 im Durchschnitt nur noch 1 Prozent beträgt und zuletzt auf 0,6 Prozent sinken wird.

Der demographische Wandel, der seit einigen Jahrzehnten schleichend abläuft, ist träge und dennoch so wuchtig, dass er die bisherigen Gesellschaftsordnungen in eine Zerreißprobe führen wird. Es drohen Verteilungskonflikte: Junge gegen Ältere, Gesunde gegen Kranke, Einheimische gegen Migranten. Die finanziellen Ressourcen des Sozialstaates werden härter als je zuvor umkämpft sein. In der Demokratie, in der die Präferenzen des Median-Wählers entscheidend sind, droht eine beschleunigte Umverteilung. Die Zahl der Sozialleistungsbezieher, die ein Interesse am Ausbau der Umverteilung haben, steigt, während die Steuern und Abgaben zahlende erwerbstätige Mitte schrumpft. Schon heute gehören in Deutschland 42,4 Prozent der Wahlberechtigten zur Gruppe derer, die ihr Einkommen hauptsächlich vom Staat beziehen. Dazu zählen Rentner, Arbeitslose sowie Empfänger anderer Sozialleistungen. „Es fehlt also nicht mehr viel, bis jeder zweite Wahlberechtigte vom Staat alimentiert wird“, warnt das Institut der deutschen Wirtschaft.

Angesichts der demographischen Entwicklung ist der Zeitpunkt absehbar, an dem die Sozialleistungsbezieher die Mehrheit der Wahlberechtigten darstellen. Zwar sind Transferbezieher kein geschlossener Wählerblock, doch tendenziell eint sie ihr Interesse an einem stetigen Transferfluss. In Deutschland ist zu beobachten, dass neben den Arbeitslosen die Rentner eine zunehmende Wählergruppe der Linkspartei bilden, die sich gegen die Rentenreformen mit dem demographischen Ausgleichsfaktor und der Anpassung des Renteneintrittsalters stemmt. Als in der Rezession 2009 die Arbeitseinkommen sanken, wurden die Renten nicht entsprechend gekürzt, stattdessen beschloss die schwarz-rote Regierung eine „Rentengarantie“. Das Aufweichen der Regel erfolgte aus rein politischem Opportunismus.

Die mächtigsten Wählerbataillone sind künftig die Älteren, die Transfer- und Sozialleistungsbezieher. Dies fällt ins Gewicht, wenn über die Verteilung knapper Ressourcen, etwa für junge Familien, für Bildung oder für die Rentenempfänger, gestritten wird. FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher hat den Begriff „Methusalem-Komplott“ geprägt, der Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn warnte vor einer „Gerontokratie“. Nur die Abwanderungsdrohung der Jüngeren, der Steuer- und Abgabenzahler, kann den Zugriff des Sozialstaates auf ihre Einkommen bremsen. In den vergangenen Jahrzehnten hat der Staat die Wünsche der Wähler bedient, indem er sich zulasten kommender Generationen verschuldet hat. Während die Sozialausgabenquote des deutschen Staatshaushalts seit den siebziger Jahren stark ausgeweitet wurde und nun mehr ein Drittel des BIP beträgt, ist die Investitionsquote des Bundes unter 9 Prozent gesunken. Der Schwerpunkt der Ausgaben liegt also auf Sozialkonsum.

In der demographischen Falle erscheint der Staat, der ein umfassendes, aber nicht mehr finanzierbares soziales Sicherungsversprechen gegeben hat, nicht mehr souverän. Er hat Handlungsspielräume verloren. Er ist nicht mehr Gestalter einer sozialen Ordnung, sondern Getriebener von Interessengruppen. Um heutige Wählerinteressen zu bedienen, schmälert er Zukunftschancen. Immerhin hat Deutschland mit der Schuldenbremse einen finanzpolitischen Riegel gegen weiteres opportunistisches Schuldenmachen eingezogen. Von 2016 an muss der Bund und von 2020 an müssen die Länder mit nur noch minimaler struktureller Neuverschuldung auskommen. Solche Schuldenregeln sind der einzige Schutz der künftigen Generationen gegen eine Ausgabenpolitik zu ihren Lasten.

Die Lebenserwartung der Menschen in Mitteleuropa steigt seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Selbst nach konservativen Schätzungen könnte sie jedes Jahrzehnt um etwa weitere 2 Jahre zunehmen. Während das allein ein Grund zur Freude sein könnte, bringt das drastische Schrumpfen der jungen Generation die Gesellschaft aus der Balance. Um die politischen Kämpfe um Rentenanpassungen zu entschärfen, wäre eine Regel zur dynamischen Anpassung des Renteneintrittsalters notwendig. Die hinzukommenden Lebensjahre würden dann nach einem festen Verhältnis auf Arbeits- und Pensionszeit verteilt, etwa zwei Drittel zu ein Drittel. Analog zur Schuldenbremse wäre dies eine Selbstbindung der Politik gegen die Versuchung einer wahltaktisch motivierten, opportunistischen Rentenpolitik auf Kosten der kleiner werdenden jüngeren Generationen.

Ausländer rein – aber die richtigen

Auf dem Arbeitsmarkt wird sich schon Mitte des Jahrzehnts die Nachwuchsknappheit schmerzhaft bemerkbar machen. Die Babyboomer gehen in den Ruhestand, geburtenschwache Jahrgänge treten ins Erwerbsleben ein. Einige Branchen klagen schon heute über Fachkräftemangel. Eine stärkere Aktivierung von Älteren und Arbeitslosen kann die Knappheit lindern, doch nur zum Teil. Daher ist Zuwanderung notwendig, die aber in radikaler Weise neu zu steuern ist. Sie muss nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes ausgerichtet sein und darf zugleich die sozial-kulturelle Aufnahmefähigkeit nicht überschreiten. Skepsis ist angebracht, ob dies gelingt, denn gerade in der Einwanderungsfrage haben sich die westeuropäischen Staaten über Jahrzehnt konzeptlos und schwach gezeigt.

„Insgesamt muss hier von einem Politikversagen gesprochen werden“, urteilt der Bremer Migrationsforscher Stefan Luft. „Der demokratische Rechtsstaat ist nicht in der Lage gewesen, die sich dynamisch entwickelnde Zuwanderung – von der Gastarbeiteranwerbung über den Familiennachzug – wirkungsvoll zu begrenzen.“ Zunächst wurden vor allem Ungelernte ins Land geholt, danach ein ungesteuerter Zuzug geduldet, der zu einem erheblichen Teil in die Sozialsysteme ging. Insbesondere die Türkei, die 1961 auf ein eigenes Gastarbeiterabkommen mit Deutschland drang, hatte einen Anreiz, ihren Bevölkerungsüberschuss nach Westeuropa abzuschieben. Von 1962 bis 1973 gab es einen Nettozuzug von etwas mehr als 3 Millionen Menschen aus Südeuropa und der Türkei nach Deutschland.

Die Erwerbsquoten waren anfangs hoch, die Situation wandelte sich aber mit der Rezession Mitte der siebziger Jahre. Während die meisten Italiener, Spanier, Griechen und Jugoslawen, die arbeitslos wurden, in ihre Heimat zurückgingen, blieb der Großteil der Türken. Sie waren die einzige Ausländergruppe in Deutschland, deren Zahl trotz des Anwerbestopps von November 1973 und der steigenden Arbeitslosigkeit weiter wuchs. Die türkische Zuwanderung fand mehr und mehr über den Familiennachzug statt. In einer regelrechten Kettenwanderung siedelten halbe ostanatolische Dörfer in mitteleuropäische Großstädte um. Hinzu kam in den frühen neunziger Jahren ein anschwellender Strom von Asylbewerbern.

Der großzügige deutsche Sozialstaat wirkt dabei als „zweipoliger Zuwanderungsmagnet“, wie es der Chef des Münchner Ifo-Instituts Hans-Werner Sinn formuliert. „Mit der einen Seite stößt er die reichen Nettozahler ab, und mit der anderen zieht er die armen Kostgänger des Staates an.“ Eine Studie seines Instituts hat für Migranten im Durchschnitt knapp 2370 Euro jährlich Nettogewinn durch staatliche Leistungen errechnet. Dazu gehören Sozialhilfe, Wohngeld, Kindergeld, Mitversicherung von Angehörigen in der Krankenversicherung und die Nutzung öffentlicher Einrichtungen. Eine türkische Familie mit drei Kindern erhielt über zehn Jahren einen Nettotransfer des Sozialstaates von im Durchschnitt 118.350 Euro als „Wanderungsprämie“.Dieser Einwanderungsanreiz durch den Sozialstaat erklärt einen großen Teil der Fehlsteuerung der Migrationsströme.

„Von 1970 bis 2003 stieg die Zahl der Ausländer in Deutschland von 3 auf 7,3 Millionen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Ausländer blieb dagegen mit 1,8 Millionen konstant. Ein Großteil der Einwanderung nach Deutschland ging also am Arbeitsmarkt vorbei in das Sozialsystem“, stellt der FAZ-Herausgeber Holger Steltzner fest. Wer aber das „unkorrekte“ Tabuthema der Einwanderung in das Sozialsystem anspreche, müsse mit der Empörung der Wohlfahrtsanhänger rechnen. Inzwischen hat sich eine regelrechte Integrationsindustrie herausgebildet. Zu ihr gehört das Heer von Sozialarbeitern, Sozialverbänden und auch Kirchen, kommunalen Ausländerbeauftragten, Antidiskriminierungsstellen und multikulturellen Vereinen mit öffentlicher Förderung. Sie alle gehören zu den Stützen der Migrantenmilieus und haben versucht, Probleme mit der Sprachregulierung der „political correctness“ zu vertuschen.

Unbequeme Fakten zur Zuwanderung, die ein partielles Scheitern und hohe Kosten der Integration anzeigen, wurden viel zu lange tabuisiert. Verschweigen hilft aber nicht beim Lösen der Integrationsprobleme. Die Arbeitslosenquote von 18 Prozent der Ausländer in Deutschland übertrifft die gesamtdeutsche Quote von gut 7 Prozent um mehr als das Doppelte. In Österreich sind etwa 10 Prozent der Ausländer arbeitslos, zweieinhalbmal so viel wie unter den Einheimischen. Die Durchschnittswerte sind indes nur begrenzt aussagekräftig. Unter den westeuropäischen Ausländern ist die Arbeitslosenquote kaum höher als die der Einheimischen. Extrem hoch sind die Arbeitslosigkeit und Integrationsdefizite dagegen bei Zuwanderern aus dem arabischen und afrikanischen Raum sowie aus der Osttürkei, also aus Kulturkreisen, die dem europäischen fern stehen.

Von den in Deutschland lebenden Libanesen, die überwiegend als Asylanten kamen, beziehen ganze 90 Prozent Langzeitarbeitslosengeld (Hartz IV), wie die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen. Von den Irakern sind 65 Prozent, von den Afghanen 53 Prozent langzeitarbeitslos. Von den laut Statistik 1,65 Millionen türkischen Staatsbürgern in der Bundesrepublik beziehen immerhin 26 Prozent Hartz IV. Deutlich besser schneiden Kroaten und Serben ab, deren Hartz-IV-Quote von 8 Prozent nur wenig über dem deutschen Durchschnitt liegt. Hauptgründe für die erheblich höhere Arbeitslosigkeit sind die schlechte Qualifikation und mangelnde Sparbeherrschung. 76,5 Prozent der nicht-deutschen Arbeitslosen haben laut Statistik keine Berufsausbildung, unter den deutschen Arbeitslosen waren es 36,8 Prozent.

Unübersehbar wachsen in den Großstädten migrantische Milieus, die weder integrationsfähig noch -willig sind. Eine verfehlte multikulturalistische Duldungspolitik hat dazu beigetragen. „Die Vision einer multikulturellen Gesellschaft, in der jede Herkunftsgruppe unbeeinflusst ihre Eigenart ausleben sollte, ließ echte Integration nie zu, sondern stärkte das Leben in jenen Parallelgesellschaften, in denen sich die Unterschichten der Großstädte konzentrieren“, heißt es in einer vielbeachteten Studie des politisch neutralen Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Nach dieser Studie unterscheiden sich Migranten unterschiedlicher Herkunftsregionen signifikant nach ihren Intergrationserfolgen und -misserfolgen. Am besten schnitten die aus Osteuropa gekommenen Spätaussiedler mit deutschen Wurzeln ab, die sich relativ problemlos einfügten. Mit Abstand am schlechtesten integriert ist die Gruppe mit türkischem Hintergrund.

In keiner anderen Herkunftsgruppe finden sich mehr Menschen ohne Bildungsabschluss (30 Prozent) und weniger mit Hochschulberechtigung (14 Prozent). In keiner Gruppe war zudem die Tendenz zur Vermischung durch bi-kulturelle Ehen so gering wie bei den Türkischstämmigen, die mit 2,5 Millionen (etwa 800.000 sind eingebürgert) die größte Einwanderergruppe in Deutschland ausmachen. Nur jeder zwanzigste Türkischstämmige heiratete einen deutschen Partner. Offenbar stellt der Islam eine zusätzliche Integrationsbarriere dar. Ehepartner holen türkische Familien gerne aus dem Heimatland. Der Zustrom der „Importbräute“, wie sie die deutsch-türkische Soziologin Necla Kelek bezeichnet, erschwert es in jeder Generation neu, Anschluss an die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt zu finden. Sprach- und Bildungsmängel werden von Generation zu Generation weitergegeben.

Von Europa nach Eurabia?

Mit der etwa doppelt so hohen Geburtenrate ist absehbar, dass der Anteil der türkischen und arabischen Migrantenpopulation exponentiell steigt. In manchen großstädtischen Vierteln wird er dominierend. In den Kindergärten und Schulen im Berliner Bezirk Neukölln, wo oftmals 90 Prozent einen nicht-deutschen Hintergrund haben, müssen sich faktisch die verbliebenen wenigen deutschen Jugendlichen integrieren. Aus Sicht der verbliebenen alternden einheimischen Bevölkerung sind diese Viertel überfremdet. Die sozialen Probleme vertreiben Eltern der Mittelschicht, übrig bleibt eine weitgehend perspektivlose Unterschicht. Viele Jahre galt Kritik an der ungesteuerten Zuwanderung als unanständig oder wurde als „ausländerfeindlich“ diffamiert. Nach Jahren des Verharmlosens und Beschönigens  hat der Problemdruck indes so zugenommen, dass die Verheißung einer multikulturellen „Bereicherung“ der Alltagserfahrung immer weniger entspricht.

In dieser Situation wirkte das provokante Buch „Deutschland schafft sich ab“ des ehemaligen Berliner SPD-Finanzsenators und Bundesbankers Thilo Sarrazin wie ein Befreiungsschlag für eine offene Debatte über Migration und Integration. Die überwältigend zustimmende Reaktion aus der Bevölkerung gab es nicht für die umstrittenen erbbiologischen Thesen, sondern für den Mut, ohne Rücksicht auf „political correctness“ die Konsequenzen des demographischen Wandels, der ungesteuerten Zuwanderung und der mangelnden Integration zu diskutieren. Weitere kritische Stimmen haben sich in jüngster Zeit hervorgewagt. So nennt der amerikanische Journalist Christopher Caldwell, der mehr als ein Jahrzehnt an den Brennpunkten islamischer Migrantenmilieus recherchiert hat, die gegenwärtige demographisch-kulturelle Umwälzung eine „Revolution in Europa“, die ein soziales Pulverfass schafft.

Im Extremfall kann gescheiterte Integration zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen. Ende 2005 sind erstmals offene Unruhen in den französischen Banlieues ausgebrochen. Die betongrauen Sozialsiedlungen vieler Vorstädte, bewohnt überwiegend von nord- und schwarzafrikanischen sowie arabischen Einwanderern und ihren Kindern, sind Zonen der Perspektivlosigkeit. Die Arbeitslosenquote liegt bei 40 Prozent, viermal so hoch wie der nationale Durchschnittswert. Unter den Jugendlichen ist weit über die Mehrheit ohne Job. Im Oktober 2005 löste der Unfalltod zweier Jugendlicher wochenlange Brandtstiftungen und Kämpfe mit der Polizei aus. Im Gesamtjahr 2005 wurden knapp 30.000 Autos und 5700 Bushaltestellen angezündet. Der „Spiegel“ beschrieb die Unruhen als „Intifada vor den Toren der französischen Hauptstadt“.

Der „Aufruhr in Eurabia“ könnte ein Menetekel für die Zukunft sein. Tausende Polizisten standen zigtausend aufgebrachten arabischen und afrikanischen Jugendlichen gegenüber. Erst Notstandsmaßnahmen und Ausgangssperren stoppten die offene Gewalt, die Spannungen bestehen weiter. Von Anzeichen, dass auch in hiesigen Zuwanderervierteln brenzlig wird, berichtet die deutsche Polizeigewerkschaft. „Es gibt Straßenzüge in manchen Vierteln Berlins, Hamburgs, Duisburgs, Essens oder Kölns, in die sich Polizisten nicht mehr alleine hineintrauen“, sagt der Gewerkschaftschef Rainer Wendt. Bei Verhaftungen von türkischen oder arabischen Jungkriminellen komme es zu Zusammenrottungen. Es sei „bundesweit bekannt, dass diese Blitzmobilisierungen meist von jungen Männern mit türkischem oder arabischem Hintergrund ausgehen“ berichtet der Polizeigewerkschafter Wendt. „In solchen Vierteln wankt das staatliche Gewaltmonopol“.

Keine Zuwanderung mehr ins Sozialsystem

Über Jahre hat der Staat seine innere Schwäche durch die Zahlung von Sozialleistungen verdeckt und perspektivlose Zuwanderer auf diese Weise ruhigzustellen versucht. Das Alimentieren der Problemmilieus kann jedoch die Probleme noch verfestigen, da es den Druck zu eigener Anstrengung mindert. Wer das Abgleiten junger, geringqualifizierter Zuwanderer in Arbeits- und Perspektivlosigkeit verhindern will, muss früher und intensiver ihre Bildung fordern und fördern. Sanktionen für Integrationsverweigerer, die Kurse und Angebote nicht wahrnehmen, sollten selbstverständlich sein. Zwar haben jüngst die Regierungschefs Merkel, Sarkozy und Cameron „Multikulti“ für gescheitert erklärt, was als Wende in der Migrationsdebatte gesehen wurde, doch ist dieser Feststellung bislang wenig Konkretes gefolgt. Die deutsche „Leitkultur“-Debatte blieb weitgehend folgenlos. Allenfalls ist der Spracherwerb in den Fokus gerückt. Noch vor nicht allzu langer Zeit beklagten grüne Politiker die Anweisung zum Deutschsprechen auf dem Schulhof als „Zwangsgermanisierung“; solche Selbstverleugnungsverrenkungen sind vorbei.

Integration kann jedoch nur glücken, wenn die Umwelt im Viertel wie in der Schule noch von der Mehrheitskultur geprägt ist. Ist ein Viertel mehrheitlich von Migranten bewohnt, wird die Integration chancenlos. Die Politik schreckt dabei vor der Erkenntnis zurück, dass die Vergrößerung der zugewanderten Unterschicht zum Teil auch auf staatliche Sozialleistungen zurückzuführen ist. Gerade Geringverdienern setzen sie finanzielle Anreize zu einer höheren Reproduktion. Diese aber führt in einen Teufelskreis: Die Familien der Unterschicht haben mehr Kinder als in der Mittelschicht, die abwandert. Ihre materielle, Sprach- und Bildungsarmut wird weitergegeben. Das Problem der gering qualifizierten, oft arbeitslosen und desintegrierten Milieus verfestigt sich über die Generationen.

Der Bremer Soziologe und Demograph Gunnar Heinsohn hat in mehreren bemerkenswerten Aufsätzen an den sozialpolitischen Paradigmenwechsel der Amerikaner erinnert, der in den achtziger Jahren unter der Regierung Reagan begann und unter der Regierung von Bill Clinton vollendet wurde. Während in den kontinentaleuropäischen Wohlfahrtsstaaten ein dauerhafter Sozialhilfebezug für die Unterschicht möglich ist, hat man in den Vereinigten Staaten seit 1997 den bislang lebenslangen Anspruch auf fünf Jahre begrenzt. Sozialhilfe kann kein Lebensmodell sein, hieß Clintons Botschaft. Vorbereitet hatte diese Reform die Studie „Losing Ground“ des Politologen und Ökonomen Charles Murray. Seine brisante These: Obwohl die Ausgaben für Sozialhilfe seit den sechziger Jahren stark gestiegen waren, hatte dies die Armut nicht verringert, sondern die Zahl der Empfänger immer weiter erhöht, weil junge Frauen sich mit unehelichen Kindern auf Kosten von „Vater Staat“ durchbringen konnten. Mehr Geldangebote verlockten dazu, Kinder als Einnahmequelle zu sehen.

Daraus zog Clinton schließlich die Konsequenz für eine radikale Reform: den Übergang von „welfare“ zu „workfare“. Für körperlich gesunde Menschen gibt es nur noch fünf Jahre Sozialhilfe, da diese kein „way of life“ sein dürfe. Während die amerikanische Linke laut „Rassismus“ schrie, weil vorrangig schwarze Familien betroffen seien, und prophezeite, die Reform werde zur massenhaften Verelendung führen, trat das Gegenteil ein. Der Druck, sich auf dem Arbeitsmarkt selbst seinen Unterhalt zu verdienen, erwies sich als heilsam. Die Zahl der Neuanträge von „welfare mothers“ sank. In Deutschland hingegen wagt sich die politische Führung nicht an solche Reformen. „Während deutsche Frauen außerhalb von Hartz IV im Durchschnitt nur ein Kind haben und leistungsstarke Migrantinnen sich diesem Reproduktionsmuster nähern, vermehrt sich die vom Sozialstaat unterstützte Unterschicht stärker – mit allen Folgeproblemen“, warnt Heinsohn. „So sind in der Hartz-IV-Musterkommune Bremerhaven die Jungen in Sozialhilfe mit einem Anteil von rund 40 Prozent an der männlichen Jugend für mehr als 90 Prozent der Gewaltkriminalität verantwortlich.“

Zuwanderung ist kein Schicksal, sondern kann und muss gesteuert werden. Echte Einwanderungsländer wie Australien, Neuseeland oder Kanada machen es vor. Dort werden mit einem Punktesystem junge, intelligente und qualifizierte Zuwanderer ausgewählt. Wer Universitäts- oder Berufsausbildung sowie Sprachkenntnisse vorweisen kann, der erhält eine Einwanderungs- und Arbeitserlaubnis. Solche Zuwanderer bringen Nutzen für die Volkswirtschaft, sind leicht in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft zu integrieren und tatsächlich eine Bereicherung. Sie sollten mit offenen Armen empfangen werden. In Australien und Kanada ist diese Politik ein voller Erfolg gewesen. Ihre Zuwanderer, darunter ein hoher Anteil von Asiaten, weisen im Durchschnitt sogar ein höheres Bildungsniveau als die Einheimischen auf.

In Europa haben die Erfahrungen der ungesteuerten Zuwanderung von Geringqualifizierten die Bürger misstrauisch gemacht. Nach jahrzehntelangen Versäumnissen wäre es die richtige Konsequenz, die Migration in die Sozialsysteme zu stoppen und endlich Zuwanderer nach Bedarf und Qualifikation auszuwählen. Auch die Wirtschaft muss umzudenken. Sie hat Migranten als billige Arbeitskräfte angesehen; bei Arbeitslosigkeit oder Familiennachzug wollte sie die Kosten auf den Sozialstaat abwälzen. Gegen eine solche Zumutung muss sich ein selbstbewusster Staat verwahren. Zuwanderungsgewinne privatisieren und Zuwanderungskosten sozialisieren ist mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar.

Das Drama des überdehnten Staates

Die Herausforderungen in den kommenden Jahren sind gewaltig. Nach der Krise muss eine neue Balance zwischen Wirtschaft, Staat und Gesellschaft gefunden werden. Die Rufe nach einem starken Staat, der mehr regulieren soll, kontrastieren mit einem realen Staat, der schon jetzt extrem viel eingreift. „Ist der Staat schwach, gehen wir unter; ist der Staat stark, erdrückt er uns“, zitiert Guy Kirsch, ein in der Schweiz lehrender Ökonom und Philosoph, den Schriftsteller Paul Valéry. Die Finanzkrise hat in drastischer Weise vor Augen geführt, dass ein schwacher Staat, der keinen festen Ordnungs- und Wettbewerbsrahmen vorgibt, durch die Eigendynamik einer Spekulation, die auf öffentliche Rettung vertraut, an den Rand des Abgrunds geraten kann. Die „Gier der Banker“ konnte nur vor dem Hintergrund mangelnder Haftung ihren zerstörerischen Lauf nehmen. In ihrer dritten Phase hat sich die Finanz- zu einer Staatsschuldenkrise ausgeweitet. Sie erzwingt nun, dass der Staat sich auf seine Kernaufgaben besinnt.

Stark ist nur der schlanke Staat, nur er bleibt auf Dauer handlungsfähig. Die real existierenden Staaten indes haben sich in vielerlei Hinsicht überdehnt. Die Staatsquoten und Staatsinterventionen nehmen nach der Quantität zu, doch die wachsenden Ansprüche der Interessengruppen überfordern letztlich die Mittel des Staates. Mit trockenem Sarkasmus schrieb der Publizist Rüdiger Altmann über den hypertroph wachsenden Staat, der immer weitere Bereiche der Gesellschaft überlagert und dennoch – es war die Zeit der 1968er – an Autorität verliert: „Er gleicht einem kastrierten Kater, der an Umfang zunimmt – was ihm fehlt, ist die Potenz.“

Von einer Ordnungsinstanz ist der heutige Staat zu einer Umverteilungsinstanz verkommen, die erpressbar wird, sei es von Banken, die als „systemrelevant“ gelten, sei es von großen Konzernen, die Sonderkonditionen für Investitionen aushandeln, sei es von zahlenstarken Wählergruppen, die Subventionen oder Sozialleistungen fordern. Diese Dialektik des überdehnten und damit geschwächten Staates haben die frühen Neoliberalen, wie Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow, früh erkannt und kritisiert. Sie kritisierten die erkennbare Tendenz zur sozialstaatlichen Bevormundung und Entmündigung und forderten eine Rückverlagerung von Verantwortung auf die Individuen. Weniger Staatsabhängigkeit, weniger Steuern und mehr Freiheit sollten den Leistungswillen wecken. Ein verengter, moralisch blinder Liberalismus, der übertriebenen Individualismus und reine „Selbstverwirklichung“ propagiert, war ihnen aber fremd. Eigenständigkeit und Eigenverantwortung sahen sie stets im sozialen Kontext von Familie, Nachbarschaft, Kirche und Vereinen.

Die frühen Neoliberalen Röpke und Rüstow lehnten einen ökonomistisch verengten, moralisch blinden Blick auf die Wirtschaft ab. Stattdessen betonten sie die soziologischen, die nichtmateriellen Voraussetzungen einer funktionierenden Marktwirtschaft, die auf Werten „jenseits von Angebot und Nachfrage“ beruht. In den Familien wird jenes Human- und Sozialkapital gebildet, ohne das eine bürgerliche Gesellschaft brüchig wird. Im Gegensatz dazu hat ein hedonistischer, bindungsfeindlicher Individualismus seit 1968 die kernfamiliären Bande der Solidarität stark gelockert. Ihre Funktion übernahmen zunehmend wohlfahrtsstaatliche Strukturen. „Vater Staat“ ermöglicht und fördert die Entledigung von herkömmlichen Pflichten zur familiären Solidarität. Zugleich wird damit die Klientel, die seiner Hilfe bedarf, immer größer, bis schließlich die kollektiven Sozialsysteme, auch durch die ungesteuerte Zuwanderung, überlastet sind.

Eine nachhaltige „Kultur der Freiheit“ hat der deutsche Verfassungsrichter Udo Di Fabio zu skizzieren versucht, der in seinem gleichnamigen Buch sowohl konservative als auch liberale Vorstellungen einer eigenverantwortlichen bürgerlichen Gesellschaft vorstellt. Er plädiert für eine Überwindung der etatistischen Selbstblockade und mehr Vertrauen auf die Selbstorganisationsfähigkeit komplexer Systeme wie der menschlichen Gesellschaft. Der Bürger soll von den Fesseln des überbordenden Steuerstaates befreit werden. Gleichzeitig plädiert Di Fabio – in Abgrenzung zum bindungsfeindlichen Individualismus – für mehr Sinn für diejenigen Gemeinschaften, allen voran die Familien, ohne die individuelle Freiheit gar nicht möglich wäre.

Der Ruf nach einem „starken Staat“, der in der Wirtschaftskrise laut geworden ist, darf nicht zu eine weitere Aufblähung und Überdehnung des Staatsapparats führen. Vielmehr ist ein Rückbau des Staates notwendig, um Ressourcen für dessen Kernaufgaben freizulegen. Zum Kern eines freiheitsgerechten, ordnungspolitisch gefestigten Staates gehört es, die innere und äußere Sicherheit zu wahren, Eigentum zu schützen und Regeln für die Wirtschaft aufzustellen. Eine solche Rahmenordnung geht vom Prinzip des Wettbewerbs, der Vertragsfreiheit, aber auch der privaten Haftung aus. Finanzinstitute, die durch ihre schiere Größe im Krisenfall staatliche Hilfen erpressen können, darf es in einer Wettbewerbsordnung nicht geben. Ein wahrhaft starker Staat muss geeignete Insolvenzregeln finden, um solche Institute geordnet abzuwickeln. Und auf supranationaler Ebene dürfen die Staaten nicht zu gegenseitiger Schuldenübernahme in Europa genötigt werden; auch hierfür braucht es geeignete Insolvenzregeln mit Beteiligung der Gläubiger.

Ein wahrhaft starker Staat muss sich zudem den Wünschen von Unternehmen und Interessengruppen entgegenstellen, die Subventionen oder Konjunkturhilfen fordern. Diese gehen zu Lasten der Allgemeinheit, die durch hohe Steuern und Abgaben belastet wird. Nach Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft addierten sich alle Subvention sowie steuerlichen Vergünstigungen in Deutschland 2009 auf 164,7 Milliarden Euro. Würden sämtliche sofort kündbaren Subventionen in einem Volumen von 119 Milliarden gestrichen, könnten im Gegenzug die Steuern radikal gesenkt werden. Der Spitzensteuersatz könnte von 47,5 auf 28,5 Prozent sinken, der Eingangssteuersatz könnte von 15,8 auf 9,5 reduziert werden. Oder die freiwerdenden Mittel könnten zur Haushaltskonsolidierung eingesetzt werden. So wäre die Schuldenbremse spielend einzuhalten.

Ein Staat, der nachhaltig agiert, darf zudem die demographische Entwicklung nicht negativ beeinflussen. Dies geschieht auf mehrere Weise: Zum einen setzt die Umverteilungsmaschinerie einen Anreiz dafür, dass sich eine alimentierte Unterschicht auf Kosten des Sozialstaates vermehrt. Dies müsste wie in den Vereinigten Staaten durch eine Reform des Sozialhilfebezugs verhindert werden. Zum anderen ist der umlagefinanzierte Sozialstaat auch für die Kinderlosigkeit vieler in der Mittelschicht mitverantwortlich. Auch diese entscheiden sich aus einem ökonomischen Kalkül gegen (mehr) Kinder. Ihre Erziehung ist teuer und belastet das elterliche Haushaltsbudget, ihre späteren Rentenbeiträge werden dagegen in den großen Rententopf für alle, auch die Kinderlosen, geworfen. „Der Staat sozialisiert die Erträge dieses Humankapitals“, kritisiert Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn.

Durch diese finanzielle Umverteilung beeinflusst das Sozialsystem die demographische Entwicklung, indem es Kinderlosigkeit finanziell privilegiert. Das führt demographisch in den Abgrund. Wollte der Staat seine demographische Basis sichern, müsste er Familien mit Kindern steuerlich entlasten, etwa durch viel höhere Kinderfreibeträge oder ein Familiensplitting wie in Frankreich. Eltern mehrerer Kindern könnten höhere Renten entsprechend den Beiträgen ihrer Kinder erhalten, schlägt Sinn vor. Verfassungsrichter Udo Di Fabio nennt es die „neue soziale Frage“, warum der Fleiß und das Engagement der Mütter und Väter nicht als unentbehrliche Leistung anerkannt werden.

Die Illusion der Rundum-Versicherung in allen Lebenslagen, die der ausgedehnte Sozialstaat seit den siebziger Jahre vorgegaukelt hat, kann ein freiheitsgerechter Staat im 21. Jahrhundert nicht mehr bieten. Er muss seine knappen Mittel zukunftsgerichtet einsetzen, eben für den Nachwuchs und für dessen Bildung. Die Finanzkrise, die eine Abkehr vom Schuldenkurs erzwingt, bietet Chancen, sich von Überflüssigem zu trennen und auf das Wesentliche zu besinnen. Die ordnungspolitische Herausforderung nach der Krise besteht darin, eine neue Balance von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft zu finden, die Freiheit mit Verantwortung kombiniert.

Philip Plickert ist Wirtschaftsredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Der Beitrag ist Teil des Sammelbandes „Konservative Korrekturen“(edition noir, ISBN: 978-3-9502494-2-2), der einige sehr mutige Analysen und Konzepte zu einer neuen konservativen Standortbestimmung enthält.

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Raus aus dem Euro!

12. Oktober 2011 23:42 | Autor: Andreas Tögel
Rubrik: Gastkommentar

Im Zuge der Schuldenkrise, die Euroland fest im Griff hält, mehren sich im Heimatland Metternichs die Stimmen – vorzugsweise aus Kreisen notorischer Europaskeptiker – die einen Ausstieg aus dem Euro befürworten, um zum Schilling zurückzukehren. Das klingt, angesichts der dramatischen Situation der Gemeinschaftswährung, im ersten Moment verlockend.

Allerdings gilt es zu bedenken, dass das lastende Schuldenproblem von der Frage der Währungsunion unbedingt zu trennen ist. Die im Rahmen der entstehenden Transferunion bereits übernommenen Haftungen Österreichs wären durch einen Austritt aus der Eurozone nämlich keineswegs aus der Welt geschafft – ebensowenig wie seine massive selbst produzierte Staatsverschuldung.

Es ist keine Frage, dass in der Vergangenheit begangene Fehler zu jener zunehmend außer Kontrolle geratenden Lage geführt haben, in der sich die EU heute befindet. Ein Blick in die Vergangenheit: Dass ohne die Teilnahme der Wirtschaftslokomotive Deutschland das Projekt einer Gemeinschaftswährung gestorben wäre, noch ehe es das Licht der Welt erblickt hätte, liegt auf der Hand.

Deutschland musste in jedem Fall mit an Bord. Die Mehrheit der Deutschen war allerdings – dank ihrer zum Teil noch sehr wachen Erinnerungen an Hyperinflation und Währungsreform, die im 20 Jahrhundert zwei Mal zu einer nahezu vollständigen Entwertung ihrer Geldvermögen geführt hatten – nicht bereit, ihre harte DM zugunsten einer künstlichen Weichwährung aufzugeben. Daher wurde ihnen die Chimäre eines Gemeinschaftsgeldes verkauft, das dieselbe Qualität haben sollte wie die DM. Dass die Mehrzahl der Deutschen dennoch zu keiner Zeit bereit war, auf ihre Mark zu verzichten, war den politisch Verantwortlichen klar. Eine Volksabstimmung zu diesem Thema wurde daher wohlweislich vermieden.

Deutschland und die Stabilitätslüge

Der Euro war von seinen Anfängen an ein Projekt der Nomenklatura. Diese politische Elite hatte sich bereits damals – vor mehr als zehn Jahren – meilenweit von jener Basis entfernt, die sie vermeintlich repräsentiert. Sie traute dem dummen Volk den notwendigen „Blick für das Große, Ganze“, für die „höheren Ziele“ – und das angebliche „Friedensprojekt Euro“ niemals zu. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Selbstverständlich war die Vorstellung einer Gemeinschaftswährung, die ebenso hart sein sollte wie die DM, nicht nur gänzlich illusorisch, sondern zu keiner Zeit jemals gewünscht – insbesondere nicht von Frankreich. Dem eifersüchtig auf die wirtschaftlichen Erfolge Deutschlands schielenden Rivalen ging es vielmehr darum, den Boches ihre „Massenvernichtungswaffe DM“ aus der Hand zu schlagen.

Den Gegnern einer Europa beherrschenden deutschen Hartwährung kam dabei die Gunst der Stunde in Form der Deutschen Wiedervereinigung zur Hilfe. Die Zustimmung Frankreichs wurde – zumindest vorgeblich – an die Aufgabe der DM zugunsten eines europaweit einzuführenden Schwundgeldes gebunden. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass Frankreich – angesichts der Zustimmung der Sowjets und der USA zum Vereinigungsprojekt – über die notwendige Macht zu dessen Verhinderung verfügt hätte.

Zur Beruhigung der deutschen Öffentlichkeit konnte das in Deutschland damals maßgebliche Duo Kohl/Waigel immerhin einige Bedingungen in den Stabilitäts- und Wachstumspakt von 1992 einbringen, die sicherstellen sollten, dass die über die neue Währung wachende EZB die konservative Geldpolitik der Deutschen Bundesbank fortsetzen würde.

Wie wir heute wissen, wurden die als Stabilitätsgarantie gedachten „Maastrichtkriterien“ indessen von den allerwenigsten Mitgliedern der Eurozone je konsequent eingehalten – auch nicht von den hinter ihrer Formulierung stehenden Deutschen, die wiederholt die zulässigen Verschuldungsgrenzen von drei Prozent jährlicher Neuverschuldung, gemessen am BIP, verletzten.

Anders als etwa das linke Wiener Magazin „Profil“ im Juli analysierte, bestand der Kardinalfehler der Politbüros aber nicht etwa in der „willkürlichen Festlegung von Stabilitätskriterien“, sondern vielmehr in deren Nichtbeachtung. Denn der alte römische Rechtsgrundsatz Pacta sunt servanda gilt bis heute unverändert. Verträge nicht zu erfüllen, ist schlicht rechtswidrig.

Heute ist es, nachdem die „Maastrichtkriterien“ der kollektiven Nichtbeachtung zum Opfer gefallen waren, keine Überraschung mehr, dass auch andere innergemeinschaftliche Abmachungen, wie etwa das Verbot gegenseitiger Schuldenübernahmen oder des Ankaufs von Staatspapieren durch die EZB, beiseite geschoben werden, wenn die politische Opportunität es gerade zu gebieten scheint. Welche verheerenden Auswirkungen dieses Vorbild politischer Eliten, die ohne jedes Schuldbewusstsein routinemäßig lügen und gar nicht daran denken, Verträge auch einzuhalten, auf die Mentalität der Bürger hat, kann man sich unschwer ausmalen.

Fazit: Die Einführung des Euro war von der politischen Klasse als Vehikel zur Vorantreibung der von den europäischen Völkern mehrheitlich abgelehnten politischen Vereinigung gedacht. Das Kalkül: Ohne Nivellierung, insbesondere in sozialer und fiskalischer Hinsicht, würde die Sache nicht funktionieren. Denn eine Gemeinschaftswährung bringt es eben nun einmal mit sich, dass jenen Ländern, die zuvor ihrer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit mittels autonomer Währungspolitik gegensteuern konnten, dieses Mittel nicht mehr zur Verfügung steht.

Griechenland, Spanien, Portugal – aber auch Italien und Frankreich (das hinsichtlich seiner Wirtschaftskraft am meisten überschätzte Land innerhalb der Eurozone) sind dadurch betroffen. In dem Moment, da es zu Problemen kommt, haben die Eurozentristen sofort das Argument zur Hand, schleunigst kollektive Lenkungsmaßnahmen ergreifen zu müssen, um einen Zerfall der Union zu verhindern. Damit aber ist eine weitere, „alternativlose“, Aufgabe nationaler Souveränitätsrechte verbunden.

Deutschland – der ewige Gefangene seiner jüngeren Geschichte – ist, wie die im Zuge der Schuldenkrise getätigten Aussagen seiner politischen Führer und die in der Vorwoche erfolgte Abstimmung über die „Eurorettung“ im deutschen Bundestag belegen, nur allzu gerne bereit, sich künftig von Brüsseler Bürokraten regieren zu lassen. Oder korrekter formuliert: das Land ist mit einer politischen Klasse geschlagen, die ausschließlich darauf bedacht scheint, es allen Nachbarn recht zu machen – und darüber die Interessen des eigenen Volkes verrät (für Österreich gilt recht genau dasselbe).

Raus aus dem Euro – geht das?

Zur Frage der Möglichkeit einer Rückkehr zu nationalen Währungen: Selbstverständlich ist die von den Eurozentristen aufgestellte Gleichung Kein Euro = kein Europa purer Nonsens. Eine Gemeinschaftswährung ist keineswegs unabdingbare Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben der Völker. Allerdings muß man sich – ganz besonders als Bürger eines Kleinstaates wie Österreich – über die Konsequenzen eines solchen Schrittes im Klaren sein.

Das Beispiel der Schweiz veranschaulicht das Problem: Obwohl dieses Land in vieler Hinsicht besser dasteht als Österreich, hat man es dort kürzlich für nötig befunden, die nationale Währung de facto aufzugeben, sich dem Euro zu unterwerfen und eine fixe Wechselkursbindung (ein Euro gleich 1,20,- SFr) einzugehen. In der Schweiz fühlte man sich dem im Zuge der Euro-Schuldenkrise einsetzenden Aufwertungsdruck auf den Franken offenbar nicht länger gewachsen. Die exportorientierte Industrie befürchtete schwere Verluste, da sie zunehmend Schwierigkeiten hatte, ihre Waren auf dem Weltmarkt abzusetzen.

Auch alle starken „Aussteiger“ aus dem Euro hätten vermutlich mit diesem Problem zu kämpfen. Die Wiedereinführung einer nationalen Währung, die dann indessen erst wieder fix an den Euro gebunden würde, ergäbe aber überhaupt keinen Sinn. Ferner erscheint die Vorstellung unrealistisch, Österreich könnte aus dem Euroraum austreten, wenn nicht zumindest Deutschland zugleich denselben Schritt tun würde. Deutschland aber wird dies – siehe die eben erfolgte Abstimmung zur „Eurorettung“ im Bundestag – wohl niemals wagen und sich lieber – zum Schaden seiner Bürger – in die Rolle als ewiger Zahlmeister der Transferunion fügen.

Ob das Geld nun Euro, Mark oder Schilling heißt, ist letztlich eine reine Geschmacksfrage. Etwas viel Wesentlicheres sollte bedacht werden: Die Qualität – die Werthaltigkeit und Beständigkeit der Währung. Immerhin hat selbst der als Inbegriff von Solidität geltende Schweizer Franken seit 1945 rund neunzig Prozent seiner Kaufkraft verloren.

Denn der Franken ist – wie einst der Schilling und heute der Euro – ungedecktes „Fiat Money“. Kein realer Wert, keinerlei materielle Deckung, sondern lediglich naive Hoffnungen „garantieren“ seine Kaufkraft. Und die hängt – in der Schweiz wie im Rest der Welt – ausschließlich von der Willkür der jeweiligen Machthaber ab. Und genau das ist der, wie sich nicht erst seit gestern zeigt, langfristig unhaltbare Zustand, nicht der Name, auf den die Währung hört.

Wenn also schon über die Rückkehr zu einer soliden Währung nachgedacht wird, dann aber gründlich: Abschaffung des Teilreservesystems der Geschäftsbanken und 100-prozentige Deckung der Währung durch Edelmetall! Das ergäbe einen Sinn. Denn allein Kaufkraft und Stabilität des Geldes zählen.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Fußnote 226: Zurück zu Stalin

12. Oktober 2011 01:39 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Sieben Jahre Haft für die Vorgängerin als Regierungschefin. Der ukrainische Diktator Janukowitsch geht mit Julia Timoschenko wegen eines angeblich ungünstigen Gas-Vertrags brutaler um, als es nach der Wende all den kommunistischen Mördern und Folterern passiert ist.

Der Diktator hat beim Wegsperren seiner wichtigsten Konkurrentin ein „leuchtendes“ Vorbild: Auch Russlands Putin lässt unter lächerlichen Vorwänden den einzigen Mann in jahrzehntelanger Kettenhaft schmoren, der seinem absolutistischen Machtanspruch gefährlich werden könnte, Michail Chodorkowski. Was kann man dagegen tun? Nichts – außer die beiden Länder in hohem Bogen aus dem Europarat hinauszuwerfen, in den sie ja nur wegen ihrer einstigen, aber offensichtlich nur vorübergehenden Demokratisierung aufgenommen worden sind. Da aber fast kein Politiker den Mut und die Konsequenz dazu hat, möge man uns bitte auch die leeren Proteste aus den diversen westlichen Hauptstädten ersparen. Die sind reines Gewäsch. Gas ist nämlich wichtiger.

 

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Demokratiebefund 2011

11. Oktober 2011 23:42 | Autor: Heinrich Neisser und andere
Rubrik: Gastkommentar

Die „Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform“ hat einen umfassenden Demokratiebericht vorgestellt. Um ihn den Lesern des Tagebuchs zur Diskussion zu stellen, keineswegs aus Identifikation mit all seinen Folgerungen, wird er hier in voller Länge präsentiert.

An der Erstellung des Demokratiebefundes 2011 der Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform haben mitgewirkt: Gerd Bacher, Kurt Bergmann, Alexander Christiani, Hubert Feichtlbauer, Herwig Hösele, Michael Neider, Heinrich Neisser, Theo Öhlinger, Klaus Poier und Günter Voith.

Wir danken dem OGM-Institut, insbesondere Wolfgang Bachmayer und Karin Cvrtila für ihre Unterstützung.

Weiters danken wir David Campbell für die wissenschaftliche Beratung bei der Erstellung des empirischen Demokratiebefundes.

Die Rahmenbedingungen der österreichischen Demokratie nach 1945

Es war eine große historische Stunde, als am 27. April 1945 – wenige Tage vor dem formellen Ende der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges – die Parteiobmänner von drei politischen Parteien die Urkunde unterzeichneten, in der die Wiederherstellung des unabhängigen Österreich proklamiert wurde. Dieses Bekenntnis zum neu erstandenen Österreich machte die besondere Verantwortung der politischen Parteien für den Wiederaufbau und die Stabilität der Zweiten Republik sichtbar. ÖVP und SPÖ haben als Koalitionspartner einer Regierung in den ersten 20 Jahren der wiedererstandenen Republik eine historische Leistung vollbracht. Sie haben aber gleichzeitig auch die Erstarrung und die Innovationsunfähigkeit erkennen lassen, zu der ein Machtkartell zweier Großparteien führen kann.

Die Entwicklung der Zweiten Republik vollzog sich auf der Grundlage einer Verfassungsordnung, die im Jahr 1920 geschaffen und in zahllosen Änderungsschritten weiterentwickelt wurde, die jedoch bis heute keine substantielle Modernisierung erfuhr. Alle Versuche, eine großangelegte Verfassungs- oder Staatsreform herbeizuführen, blieben erfolglos.

Die österreichische Demokratie der Zweiten Republik gewährleistete bisher einen relativen hohen Grad an Stabilität des politischen Systems, sie verschließt sich allerdings den Herausforderungen, die die großen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen der vergangenen Jahre für Österreich gebracht haben. Die Rahmenbedingungen dieser Demokratie sind änderungs- und erneuerungsbedürftig.

Österreich ist ein Parteienstaat. Diese immer wieder artikulierte Feststellung hat demokratiepolitisch eine zweifache Relevanz. Zum einen sind politische Parteien wesentliche Träger des politischen Gestaltungswillens in einer Demokratie und haben demgemäß eine unverzichtbare Aufgabe. Zum anderen kritisiert man mit dieser Aussage die Allmacht politischer Parteien, die diese in Staat und Gesellschaft ausüben. Eine zeitgemäße Demokratiereform hat daher bei der Erneuerung der politischen Parteien als wichtige Akteure in der Demokratie deren Grenzen und Verantwortung klar zu stellen. Politik darf für Parteifunktionäre kein Selbstbedienungsladen sein, sondern muss eine auf das gesamte Wohl der Gesellschaft ausgerichtete Tätigkeit sein.

Die politische Landschaft Österreichs des Jahres 2011 entspricht nicht dem Bild einer lebendigen Demokratie. Sie ist geprägt durch eine Regierung, deren Koalitionsverständnis offensichtlich darin besteht, sich gegenseitig zu blockieren und den wichtigen zukunftsweisenden Fragen aus dem Weg zu gehen. Die politischen Parteien, deren Aufgabe es wäre, der repräsentativen Demokratie kompetentes und engagiertes Personal zur Verfügung zu stellen, haben ein System unerträglicher Mittelmäßigkeit gefördert. Die politischen Machtträger fühlen sich offensichtlich nicht mehr für verantwortungsvolle Leistungen zuständig, sondern haben in einem bisher nie gekannten Ausmaß persönlicher Bereicherung zu einem enormen Vertrauensverlust geführt. Die Bürgerschaft des Landes wendet sich von der Politik ab und resigniert. Sie ist zunehmend mit exzessiven populistischen Verhaltensweisen konfrontiert.

Auf dem Prüfstand einer demokratiepolitischen Erneuerung steht vor allem das System der repräsentativen Demokratie. Die Kernfragen sind:

Gewährleistet unser System die Auswahl geeigneter Repräsentanten? Welchen Einfluss hat die politische mündige Bürgerschaft auf die Auswahl ihrer Vertretung?

Was sind die Kriterien der Verantwortung, und zwar der politischen und der rechtlichen Verantwortung, die für die Beurteilung politischer Tätigkeit maßgeblich sind?

Alle diese Fragen führen zwangsläufig zu einer Reform des Wahlrechtes. Im Konkreten bedeutet dies die Lockerung des starren Listen-Wahlsystems, das den politischen Parteien die ausschließliche Macht gibt, zu bestimmen, wer unsere Demokratie repräsentiert. Eine Personalisierung des Wahlrechtes würde auch zu einer längst fälligen Aufwertung des Parlamentes führen, nämlich zu einer Volksvertretung, deren Mitglieder sich nicht nur als Exekutive eines Parteiwillens verstehen.

Die zunehmende Kritik an den unzureichenden Strukturen der repräsentativen Demokratie hat auch die Instrumente der unmittelbaren Demokratie, das heißt einer Politikgestaltungsmöglichkeit der Bürgerschaft auch außerhalb des Wahltages, in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt. In Österreich findet Bürgerpartizipation teilweise auf Landesebene, vor allem aber auf Gemeindeebene eine praktische Anwendung. Auf Bundesebene wird zwar die Republik als repräsentative Demokratie mit plebiszitären Komponenten beschrieben, doch ist die praktische Bedeutung dieser plebiszitären Komponenten gering. Lediglich Volksbegehren treten hin und wieder in Erscheinung (bisher insgesamt 34), Volksabstimmungen sind eine Ausnahme und Volksbefragungen, ein durchaus geeignetes Instrument eines Stimmungsbarometers in grundsatzpolitischen Fragen, wurden bisher überhaupt nicht angewendet. Ein Hauptproblem liegt offensichtlich auch darin, dass der Zustand der direkten Demokratie fest in den Händen der Repräsentanten ist. Volksabstimmungen und Volksbefragungen können nur mit Willen der Regierung bzw. des Parlamentes zum Einsatz kommen. Es wäre an der Zeit, dem Volk Initiativen zu ermöglichen, um die Instrumente der direkten Demokratie zur Anwendung zu bringen.

Partizipation besitzt aber auch zunehmend eine transnationale Ebene, das macht die Teilnahme am europäischen Integrationsprozess sichtbar. Der Fortschritt der europäischen Einigung muss von den Völkern der Mitgliedsstaaten legitimiert werden. Die im Vertrag von Lissabon vorgesehene Europäische Bürgerinitiative ist nur ein erster Schritt einer plebiszitären Demokratie der Europäischen Union. Sie muss durch europäische Volksbefragungen auf nationaler Ebene ergänzt werden.

Immer mehr Bürgerinnen und Bürger erwarten von der Politik ein Handeln, durch das die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Die österreichische Grundhaltung, Reformen von oben, das heißt von den staatlichen Institutionen und Parteien zu erwarten, ist nicht ausreichend. Es gilt vielmehr die Chancen zu nützen, die die Zivilgesellschaft zur Erneuerung des demokratischen Lebens bietet. Unsere Hoffnung sind alle Bürgerinnen und Bürger, die sich aus einer echten demokratischen Verantwortung heraus um die Zukunft Sorgen machen und bereit sind, einen aktiven Beitrag für eine lebendige, auf Fairness und Verantwortung gegründete Demokratie zu leisten.

Ziele der Initiative und des Demokratiebefundes

„Für eine lebendige Demokratie – gegen Parteienwillkür“ lautet der Titel des Manifests, mit dem die „Initiative Mehrheitswahlrecht“ im April 2008 an die Öffentlichkeit getreten ist.

Die grundlegenden Befunde unseres Manifests aus 2008 sind leider aktueller denn je: Teilweise dramatisch sinkende Wahlbeteiligungen, wachsende Protest-, Verdrossenheits- und Distanzphänomene, Ansehens- und Vertrauensverlust der Politik, mangelnde Problemlösungskapazität beschreiben den immer drängenderen Reformbedarf. Noch nie in den letzten Jahrzehnten hatte eine Bundesregierung so schlechte Umfragewerte wie die gegenwärtige „große Koalition”. Das zeigen die Ergebnisse zahlreicher repräsentativer Befragungen genauso wie die Experten-Befragung der Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform (infolge kurz IMWD genannt).

Die IMWD legt am 30.09.2011 erstmals einen Demokratiebefund vor, in dem nunmehr alljährlich über den Zustand der Demokratie und notwendige Reformschritte in Österreich berichtet werden soll. Der Befund des Jahres 2011, auch unterlegt mit Umfragedaten ergibt, dass die Parteien- und Politikerverdrossenheit bereits demokratiebedrohliche Ausmaße anzunehmen beginnt, da sich immer mehr Menschen von der Politik nichts mehr erwarten und von sich von ihr abwenden.

Die IMWD hält eine Neugestaltung des Wahlrechtes für eine Schlüsselfrage zur Verbesserung der politischen Zustände. Denn das Wahlrecht ist das fundamentale Recht der Bürgerinnen und Bürger zur der politischen Mitbestimmung.1

Eine solche Wahlrechtsreform muss mehrere Ziele im Auge haben: Es sind eine stärkere Persönlichkeitsorientierung und damit größere Mitgestaltungsmöglichkeiten für die Wahlberechtigten anzustreben, womit auch die Bindung der Mandatare an die Wähler gestärkt und ihre Abhängigkeit von Parteiapparaten verringert wird. Das Wahlrecht soll insbesondere auch bei Berücksichtigung der wünschenswerten Vielfalt der parlamentarischen Parteienlandschaft zu einer leichteren Mehrheitsbildung beitragen, um klarere Verantwortungen in der Politik zu ermöglichen und lähmende Zwangskoalitionen mit häufigen wechselseitigen Blockaden und faulen Kompromissen hintanzuhalten.

Gerade die politischen Ereignisse der letzten Jahre zeigen aber über das Wahlrecht hinausgehend auch in weiteren wesentlichen Fragen immer notwendiger werdende Reformschritte in der österreichischen Demokratie.

Daher haben wir im Mai 2010 unsere Initiative programmatisch auch vom Namen „Initiative Mehrheitswahlrecht“ auf „Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform“ erweitert und ein Programm mit 6 demokratiepolitischen Schwerpunkten für das Jahr 2010 vorgelegt:

  1. Enquetekommission für eine Wahlrechtsänderung
  2. Superwahlsonntag, um nicht durch Dauerwahlkämpfe und ängstliches Schielen auf Zwischenwahltermine die notwendige Reformarbeit zu lähmen
  3. Bürgermeisterdirektwahlen in allen 9 Bundesländern
  4. Kandidatenfindung durch stärkere Einbeziehung der Wähler (etwa Vorwahlen)
  5. Sorgfältiger Umgang mit Volksbegehren
  6. Forcierung von Elementen der direkten Demokratie

Darüber hinaus wurde als Zwischenschritt ein sehr konkreter Vorschlag für eine Personalisierung des Wahlrechtes vorgelegt.

Die Ergebnisse nach einjähriger Diskussion sind ernüchternd – nur zwei Beispiele;

Dieser Demokratiebefund wird alljährlich rund um den 1. Oktober, dem Jahrestag des Inkrafttretens der Bundesverfassung am 1. Oktober 1920, veröffentlicht werden und über Fortschritte bzw. Rückschläge, Problemstellungen und Zielvorstellungen für die Demokratie in Österreich berichten.

Auch wenn man berücksichtigt, dass das Unbehagen an der Demokratie in vielen Staaten der Welt besteht, so ist auch ein internationaler Vergleich ernüchternd.

Empirischer Demokratiebefund

Internationaler Rundblick

Weltweit gibt es verschiedene internationale Studien, die versuchen die Demokratiequalität von Staaten zu beschreiben und diese in Form eines „Demokratierankings“ zu klassifizieren. Da es jedoch kein einheitliches konzeptionelles Verständnis von Demokratie gibt, verwenden diese Studien unterschiedliche Dimensionen/Kategorien und Indikatoren, die in weiterer Folge auch zu einer unterschiedlichen Bewertung von Demokratiequalität führen können. In den folgenden Absätzen soll ein Überblick über die Ergebnisse und Untersuchungsdimensionen verschiedener Demokratiemessungen und die sich dabei ergebende Bewertung der österreichischen Demokratie gegeben werden. Die verwendeten Dimension bzw. Kategorien lassen auf ein jeweils engeres oder weiteres Demokratiekonzept schließen.

Das Democracy Ranking misst die Demokratiequalität von Staaten anhand der Kategorien „politisches System“, „Geschlechtergleichstellung“, „Wirtschaftssystem“, „Wissenssystem“, „Gesundheitssystem und “Umwelt“. Für die Bewertung der Demokratiequalität werden die Durchschnittswerte in den Kategorien ermittelt und für die Bewertung gewichtet. Bis auf die Dimension „politisches System“ (50 Prozent) werden alle Dimensionen mit je 10 Prozent gewichtet. Die Freedom House Untersuchung bezieht sich im Wesentlichen auf die Messung von Freiheit, die durch die politischen Rechte und die bürgerlichen Freiheiten in einem Staat bestimmt wird. Es werden für beide Kategorien (mit jeweils vier Unterkategorien) Punkte vergeben. Im Fall der politischen Rechte können von den befragten Experten 0 bis 40 Punkte vergeben werden. Im Hinblick auf die bürgerlichen Rechte können 0 bis 60 Punkte vergeben werden.

Die Grundlage für die Bewertung stellt eine Skala von 1 („Bestnote“) bis 7 Punkte dar. Das Polity IV Ranking bezieht die Kategorien „executive recruitment“, ‚constraints on executive authority“ und „political competition“ in seine Untersuchung mit ein. Die Demokratiequalität wird auf einer Skala von -10 (Autokratie) bis +10 (Demokratie) beschrieben. Der Vanhanen’s Index of Democracy untersucht die Demokratiequalität von Staaten anhand der Dimensionen „Wettbewerb“ und „Partizipation“. Als Demokratien bezeichnet Vanhanen politische Systeme, die in den beiden Dimensionen „Wettbewerb“ und „Partizipation“ mindestens 30 bzw. 10 Prozentpunkte erhalten. Der Democracy Index steht in direktem Bezug zur Freedom House Messung, da er Demokratie anhand der Kategorien „Wahlprozess und Pluralismus (electoral process and pluralism), Funktionieren der Regierung (functioning of government), politische Partizipation (political participation), politische Kultur (political culture) und bürgerliche Freiheiten (civil liberties)“ misst. Die Ergebnisse werden durch die Berechnung der Durchschnittswerte der erzielten Punkte in den Indikatoren und den einzelnen Kategorien ermittelt. Die Skala reicht von 0 bis 10 Punkte.

Österreich erzielt bei diesen „Demokratierankings“ im Vergleich mit China, den EU-27- Staaten, Russland und den Vereinigten Staaten von Amerika grundsätzlich immer noch gute Ergebnisse bezüglich seiner Demokratiequalität. In der Freedom House 2011 und Polity IV Messung erzielt Österreich jeweils die höchste Punktezahl. Im Democracy Index ist Österreich unter den ersten 15 Staaten zu finden. Unterschiede lassen sich vor allem im Vergleich zum Vanhanen’s Index of Democracy erkennen. Österreich liegt nach dem Vanhanen’s Index of Democracy aus dem Jahr 2000 im besseren Mittelfeld. Das schlechte Abschneiden der USA liegt vor allem an der vergleichsweise niedrigen Wahlbeteiligung der Bevölkerung. Im Democracy Ranking nimmt Österreich Platz 11 ein und bleibt damit hinter einer Reihe von europäischen Staaten zurück:

  1. Norwegen
  2. Schweden
  3. Finnland
  4. Schweiz
  5. Dänemark
  6. Neuseeland
  7. Niederlande
  8. Irland
  9. Deutschland
  10. Großbritannien
  11. Österreich

Ansehen der österreichischen Politik(er) am Tiefpunkt

Aktuelle österreichische Umfrageergebnisse der letzten Monate zeigen, dass sich die Situation in weiter verschlechtert hat. OGM hat der IMDW exklusiv Umfrage-Ergebnisse zur Verfügung und auch Spezialfragen gestellt, wonach bei 75 % der Bevölkerung das Vertrauen in die Politik in den letzten 5 Jahren gesunken ist. Es seien aber auch andere signifikante veröffentlichte Umfragebefunde aus 2011 zitiert:

IMAS Juli 2011: 49 % sind der Meinung, dass die Koalitionsregierung aus ÖVP/SPÖ ihre Aufgaben nicht gut genug gelöst hat, während nur 20 % der Meinung sind, dass alles in allen gut gemacht wurde. Eine ähnlich schlechte Beurteilung gab es in der Zeit seit 1987 nur unmittelbar nach dem EU-Beitritt im Jänner 1995 und zu Beginn der blau-schwarzen Koalition 2001.

Am 13.05.2011 wurde in einer OGM-Umfrage, die im FORMAT publiziert ist, folgende Aussage getroffen: „Zwei Drittel, nämlich 66 % der Bevölkerung glauben, dass die Regierung im Stillstand verharren wird, nur 17 % erwarten, dass noch bis 2013 Reformprojekte umgesetzt werden.“

Auf die Frage „Sind Sie verärgert über den Stillstand in Politik und Gesellschaft?“ antworteten 91,6 % einer Euro-Research-Umfrage mit „sehr verärgert“ bzw. „verärgert“, nur 8,4 % sind „nicht verärgert“, wobei mit 47,2 % der Bundesregierung die größte Schuld daran zugemessen wurde. (NEWS 21/2011)

Der Autoritätsverlust der Bundesregierung zeigt sich auch in den schlechten Sympathie- und Kompetenzwerten der Regierungsmitglieder und vor allem auch in der Frage der Kanzlerdirektwahl. Erhielten Kanzler in den 1990er-Jahren noch Werte die weit über die Parteizustimmung hinausgingen, ist dies mittlerweile weit zurückgegangen. Damit korrespondiert auch die schlechte Performance der Koalitionsparteien. Als diese nach den Nationalratswahlen 1986 eine neuerliche Zusammenarbeit eingingen, vereinigten sie noch 84,4 % der Stimmen auf sich. Bei der Nationalratswahl 2008 erreichten sie zusammen nur mehr 55,3 % der Stimmen und die Umfragen vor dem Sommer geben ihnen nur mehr knapp mehr als 50 % der Stimmen gemeinsam.

Der APA/OGM-Vertrauensindex vom Frühjahr 2011 signalisiert im Vergleich zum Frühjahr 2009 einen massiven Vertrauensverlust in die Bundespolitiker, von dem nicht einmal der Bundespräsident verschont blieb – um minus 15 % auf 55 % (Saldo aus Vertrauen – kein Vertrauen).

Peter Filzmaier stellt fest: „Zwischen März 2009 und Juni 2011 hat sich das Verhältnis jener, welche mit der Regierung zufrieden oder unzufrieden sind von circa 50:50 auf 20:80 verschlechtert – mit vier Fünftel Unzufriedenen.“ (Kleine Zeitung, 6. August 2011)

Ähnlich die Headline einer market-Umfrage: „Tiefer Absturz. Die Zufriedenheit mit der Regierung ist auf ein Rekordtief gesunken.“ (Juni 2011)

Laut Gallup in „Österreich“ (4./5. August 2011) halten 71 Prozent Politiker für korrupt, nur 15 Prozent nicht.

Expertenbefragung Demokratiebefund 2011

Für den Demokratiebefund 2011 wurden von uns im August 2011 Expertinnen und Experten aus Österreich mittels eines einheitlichen Fragebogens befragt. Unsere Einladung hierzu erging an jeweils 50 Experten aus den vier Bereichen Wissenschaft, Medien, Wirtschaft/Interessenvertretung sowie Zivilgesellschaft. Bei der Auswahl der Experten wurde auf sachliche Ausgewogenheit in Bezug auf Geschlecht sowie institutionelle und regionale Herkunft geachtet. Insgesamt haben sich 66 Experten an der Befragung beteiligt.

Alles in allem bewerten die befragten Experten die österreichische Demokratie insgesamt in einem Schulnotensystem mit einem guten „Befriedigend“: Als Mittelwert ergibt sich eine Note von 2,83. Aufgegliedert auf die verschiedenen Ebenen schneidet die Gemeindeebene (2,42) am besten ab, Länder- (2,94) und Bundesebene (2,95) liegen gleich auf, am schlechtesten wird die Demokratie auf europäischer Ebene (3,42) bewertet. Im Vergleich der Demokratie in Österreich zur Demokratie in anderen Staaten wird die Demokratie in der Schweiz (1,72), in Deutschland (2,19) und in Großbritannien (2,37) wesentlich besser beurteilt; die Demokratie in den USA (2,91), im EU-Durchschnitt (3,03), in Frankreich (3,13), in Slowenien (3,20) und in Tschechien (3,31) in etwa gleich eingeschätzt; während die Demokratie in der Slowakei (3,63), in Italien (4,22) und in Ungarn (4,38) wesentlich schlechter beurteilt wird. Der Demokratie in Russland (4,79) und China (4,83) wird ein „Nicht genügend“ attestiert. Auffallend ist, dass sich diese Einschätzung der Experten weitgehend mit dem internationalen „Democracy Ranking“ deckt.

Die wenigsten sind der Meinung, dass die Demokratie in Österreich im letzten Jahr (3 Nennungen) bzw. in den letzten 5 Jahren (5 Nennungen) in Österreich besser geworden sei; eine große Zahl sieht Verschlechterungen: im letzten Jahr (29 Nennungen) und noch deutlicher in den letzten 5 Jahren (39 Nennungen). Die überwiegende Mehrheit ist der Meinung, dass sich auf absehbare Zeit auch nur wenig daran ändern wird, mit einem leichten Überhang bei den Pessimisten: 5 (besser) zu 17 (schlechter) bei einer 1-Jahres-Prognose, 10 (besser) zu 16 (schlechter) bei der 5-Jahres-Prognose.

Hinsichtlich der drei „Staatsgewalten“ wird der Bundesregierung die schlechteste Note ausgestellt (3,80), Parlament (3,53) und Justiz (3,50) liegen annähernd gleich auf. In Bezug auf einzelne abgefragte Themenbereiche wird die österreichische Politik in Bezug auf die Bewältigung der Folgen der Wirtschaftskrise (2,37) und Geschlechtergleichstellung (2,80) am besten beurteilt. Es folgen Gesundheit und Pflege (3,14), Maßnahmen zur Vereinbarkeit Beruf und Familie (3,15), Klima- und Umweltschutz (3,17), Migration und Integration (3,36), Budget (3,48), Umgang mit Bürgerinteressen (3,55), Europa (3,70), Korruptionsbekämpfung (3,70), Stärkung der unabhängigen Justiz (3,72) und Wissenschaft und Forschung (3,91). Am schlechtesten beurteilt wird die Politik in Bezug auf Verwaltungsreform (4,56), Föderalismusreform (4,55), Reform der Landesverteidigung (4,46), Pensionsreform (4,33) und Bildung (4,02). Bei der Möglichkeit der freien Nennung von drei Themen, auf die die österreichische Politik im nächsten Jahr einen besonderen Schwerpunkt legen soll, wurde Bildung (36 Nennungen) bei weitem am häufigsten genannt, es folgen Verwaltungsreform (21 Nennungen), Budget (19 Nennungen) und Pensionsreform (17 Nennungen).

Als wichtigste Maßnahmen zur Demokratiereform in Österreich werden die Entpolitisierung des ORF (1,32), eine höhere Transparenz der Parteienfinanzierung (1,50), die Stärkung der unabhängigen Justiz (1,55) und der Ausbau der politischen Bildung (1,57) angesehen. Es folgen die Personalisierung des Wahlrechts (2,20), der Ausbau der direkten Demokratie (2,33), die Direktwahl der Bürgermeister in ganz Österreich (2,51), die Ausdehnung des Wahlrechts auf alle Personen, die bereits mehrere Jahre in Österreich leben (2,62), die terminliche Konzentration der verschiedenen Wahlen in Österreich auf einen „Superwahlsonntag“ (2,67) und die Einführung eines Mehrheitswahlrechts (2,82). Als am wenigsten wichtig wird die Stärkung des Verhältniswahlrechts (3,74), die Direktwahl der Landeshauptleute (3,14) und die Beschränkung der Funktionsperioden von Politiker (3,12) beurteilt.

Hinsichtlich von Regierungskonstellationen, die den Zustand der Demokratie in Österreich verbessern bzw. verschlechtern, werden schließlich Alleinregierungen (2,47) und „Kleine Koalitionen“ aus SPÖ oder ÖVP und einer anderen Partei (2,48) wesentlich besser beurteilt als Allparteienkoalitionen (4,14), die „Große Koalition“ aus SPÖ und ÖVP (3,76) und Drei- oder Mehrparteienkoalitionen (3,42).

Konkrete Themenbereiche des Demokratiebefundes

Föderalismusreform

Seit vielen Jahren wird über eine Reform des österreichischen Bundesstaates diskutiert. Dieses Thema stand auch im Mittelpunkt des Österreich-Konvents, doch wurde bislang kein einziger der dort dazu erarbeiteten Vorschläge verwirklicht. Spätestens seit dem EU-Beitritt ist aber klar, dass die bestehenden bundesstaatlichen Strukturen nicht mehr zeitgemäß sind. Eine höchst komplizierte und detailverliebte Aufteilung der Kompetenzen zwischen dem Bund und den Ländern behindert nicht nur die Umsetzung EU-rechtlicher Vorgaben (und hat schon zu einigen Vertragsverletzungsverfahren geführt). Sie verursacht auch kostspielige Doppelgleisigkeiten. Vor allem aber hat sie sich als schwer überwindbare Hürde dringend erforderlicher Reformen – im Bildungsbereich ebenso wie im Gesundheitswesen, in der Klimapolitik, der Energiepolitik usw. – erwiesen. Die Vertretung legitimer Länderinteressen erfolgt nicht in dem dazu verfassungsrechtlich vorgesehenen Bundesrat, sondern in der (verfassungs-)rechtlich nicht geregelten und nicht verantwortlichen Landeshauptleutekonferenz.

Im Bereich der Länder selbst haben sich Strukturen entwickelt, denen offensichtliche feudalistische Züge anhaften: eine Machtkonzentration beim Landeshauptmann, dem ein macht- und weitgehend auch funktionsloses Landesparlament gegenübersteht; ein (in der Mehrzahl der Länder auch noch verfassungsrechtlich verankerter) Regierungsproporz, der Machtstrukturen versteinert und Wahlen folgenlos macht. Soweit eine Reformbereitschaft in den Ländern vorhanden ist, wird sie durch ein enges Korsett bundesverfassungs- gesetzlicher Vorgaben behindert, die beispielsweise ein deutlich personalisiertes Landtagswahlrecht verunmöglichen. (Dass es paradoxerweise die Länder selbst sind, die einer praktischen Steuerhoheit ablehnend gegenüberstehen, belegt die Neigung zu mangelnder Verantwortlichkeit.)

Das seit langem intensiv diskutierte und bis in die kleinsten rechtlichen Details ausformulierte Konzept einer Landesverwaltungsgerichtsbarkeit, das den Einfluss der (Partei-)Politik auf den Gesetzesvollzug durch eine kompromisslose Rechtsstaatlichkeit ablösen soll, wird seit eineinhalb Jahrzehnten blockiert. Dadurch wird auch die dringend erforderliche Entlastung des Verwaltungsgerichtshofs und des Verfassungsgerichtshofs verhindert und deren Funktionsfähigkeit und damit die Rechtsstaatlichkeit zunehmend gefährdet.

Zu fordern ist daher:

  1. Eine sinnvolle und zeitgemäße Verteilung der Aufgaben zwischen dem Bund und den Ländern: Die Gesetzgebung ist weitgehend beim Bund zu konzentrieren; den Ländern könnten aber Spielräume zur Berücksichtigung regionaler Besonderheiten und zur Gewährleistung eines bürgernahen Gesetzesvollzugs in entsprechenden Ausführungsgesetzen überlassen bleiben.
  2. Eine grundlegende Reform der Zusammensetzung und der Aufgaben des Bundesrates. Eine Konzentration der Verwaltung bei den Ämtern der Landesregierung, eine Straffung der Bezirksstrukturen und auch eine Zusammenlegung von Gemeinden, letzteres allerdings nicht mit gesetzlichem Zwang, sondern auf Grund finanzieller Anreize.
  3. Eine Personalisierung des Landtagswahlrechts, das die Landtage zu echten Bürgerforen aufwertet; eine Stärkung der Kontrollbefugnisse der Landtage; insgesamt eine Erweiterung der Verfassungsautonomie der Länder im Sinn größerer Spielräume bei Wahlrechtsreformen und der Schaffung effizienter und zugleich bürgernaher Verwaltungsstrukturen.
  4. Die Abschaffung des Regierungsproporzes in den Landesregierungen.
  5. Eine zumindest ansatzweise Zusammenführung der Einnahmen-, Aufgaben- und
  6. Ausgabenverantwortlichkeit auf der Ebene der Länder und auch der Gemeinden.
  7. Die ehestbaldige Umsetzung der Landesverwaltungsgerichtsbarkeit.

Verwaltung und ihre Aufgaben

Die Verwaltung der Republik Österreich wurde in ihrer Struktur von der Monarchie übernommen und beruht im Wesentlichen noch heute darauf, statt dass längst gefragt hätte, wie man eine effiziente Verwaltung organisiert (von 0 auf 100 gedacht) für ganz andere Größen, gesellschaftliche Gruppen, demokratische Mitsprache, Wirtschafts- und Berufsstrukturen, Flexibilitäts- und Kommunikationsmöglichkeiten, Kostenstrukturen und damit Aufgabenstellungen. Nur als einige Beispiele: Verkehr, elektronische Verbindungen zwischen Behörden und zum Bürger, Umweltschutz, Familienstrukturen, Personalkosten, Wettbewerb überregional und international usw. Was sich an unbedingt notwendigen Veränderungen in der Verwaltung aufdrängte, wurde auf bestehende Behörden aufgepfropft, ohne überholte Aufgaben abzugeben – so auch nicht, als sich mit der EU-Bürokratie eine neue Ebene ergab. Die Gesetzgebung überschüttet die Verwaltung dazu noch mit tausenden Normen, ohne dass überholte eliminiert werden.

In der repräsentativen Demokratie haben sich Parteien als wesentlich für die Gesetzgebung etabliert. Es widerspricht jedoch demokratischen Grundsätzen, wenn Parteien auch andere Lebensbereiche durchdringen und sogar die Verwaltung, die parteiunabhängig agieren soll. Gruppen wie Familienväter, Sportler, Pensionisten, Gewerbetreibende usw. haben ihre Gruppeninteressen, die sich aber nicht mit (ideologischen oder Macht-) Interessen von Parteien decken. Die Durchdringung besonders der Staatsverwaltung mit Parteiinteressen ist typisch für autoritäre Regime, widerspricht aber der Demokratie und oft der Rechtsstaatlichkeit!

Internationale Verglelche zeigen klar, dass die österreichische Verwaltung im Großen und Ganzen gut funktioniert, jedoch vielfach formalistisch, schwerfällig, langsam, und vor allem enorm hohe Kosten verschlingt, die den Wirtschaftsstandort gefährden und schon demokratiebedenklich bedenklich sind. Vergleiche liefern nicht nur die Schweiz (extrem föderal) und Deutschland (ähnlich im föderalen Aufbau), sondern auch Großbritannien und Schweden (zentralistisch); diese und die meisten anderen brauchen für eine zweifellos nicht schlechtere Verwaltung nur 40-70 % am Pro-Kopf-Kosten der österreichischen. Da geht es um Größenordnungen von 10 und mehr Milliarden €. – Was sind die gravierendsten Mängel der Verwaltung?

  1. Es fehlt jede (laufende) Überprüfung, welche Aufgaben des Staates überhaupt noch zeitgemäß und nur von ihm erfüllbar sind; viele werden „gehortet“, da von Ministerm und Landeshauptleuten angefangen viele Entscheidungsträger ihren Erfolg in einem großen Teilbudget für sich statt in kostengünstiger und effektiver Leistung sehen.
  2. Die Gesetzgebung erfolgt oft anlass- und medienbedingt, ohne mögliche Wirksamkeit und ohne Überprüfung der Folgekosten nicht nur das Budget, sondern auch für Bürger und Wirtschaft.
  3. Jahrzehnte lange Erfahrungen, vielleicht auch eine Grundmentalität, führen bei vielen Amtsorganen zu Verantwortungsscheu, Rückdelegierung und Aufschiebung von Entscheidungen.
  4. Die österreichische Mentalität „Sicherheit statt Leistung“ mit entsprechendem Beharrungsvermögen ohne Blick auf die Zukunft – wie bei anderen Großinstitutionen – wirkt sich bei der Verwaltung verheerend aus.

Die am stärksten Steuer fressenden Teile der Verwaltung – Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen – erfordern bei der jetzigen Verschuldungslage die zwei Grundsatzfragen 1. Staatsaufgaben und 2. Kompetenzvereinigung anzupacken. Was soll sich der Steuerzahler denken, wenn z. B. hunderte Schulversuche zu keinem Ergebnis führen, weil Schulversuche zu Bezugszuschlägen der betroffenen Personen führen?

Zu konkreten Forderungen für eine Reform in der Verwaltung gehören:

  1. Durchforstung der Staatsaufgaben
  2. Kostenrechnung und Controlling (Soll und Soll-Ist-Überprüfung für alle Behörden, Leistungskriterien mit positiven und negativen Sanktionen
  3. Kompetenzneuordnung nach Grundsätzen der Effizienz und nicht nach Einzelinteressen
  4. Vereinheitlichung des Dienstrechts im öffentlichen Bereich, Flexibilität beim Beamteneinsatz
  5. Transparenz der Geldflüsse zwischen Gebietskörperschaften, Unternehmen im öffentlichen Bereich, Parteien, und der aller Förderungen.

In einem Staat, in dem der durchschnittliche Steuerzahler bis August jedes Jahres nur für den Transfer, sprich die Steuer, arbeitet und erst dann für sein Einkommen, ist jede weitere Verschuldung eine Gefährdung der Demokratie.

Justizpolitik

Die Justiz, das heißt, die Gerichtsbarkeit in all ihren Ausformungen ist ein – der - unverzichtbare Teil einer funktionierenden Demokratie. Der Verfassungsgerichtshof als Hüter der Gesetzeskonformität ist unbestritten und genießt zu Recht den vollen Respekt aller Staatsorgane und der Bürgerinnen und Bürger. Dies gilt auch für den Verwaltungsgerichtshof, dem aber seit Jahren die nötigen Mittel für eine rasche Erledigung seiner Arbeit vorenthalten werden. Die Gerichte des Zivil- und Strafrechtes, deren Entscheidungen naturgemäß wesentlich mehr im Blickfeld der Öffentlichkeit sind, werden in den letzten Jahren sowohl in der Politik als auch in den Medien kontroversiell diskutiert. Dies trifft insbesondere auf die Strafgerichtsbarkeit und hier wiederum im erhöhten Ausmaß auf die Staatsanwaltschaften zu.

Bei den zahlreichen Strafverfahren wegen Wirtschaftsdelikten, vor allem wenn sie einen Bezug zur Politik haben, wird Unverständnis über die lange Dauer der Verfahren geäußert.

So selbstverständlich alle Politikerinnen und Politiker bei strafrechtlichen Vorwürfen gegen Wirtschaftstreibende und Politiker darauf hinweisen, dass es in einem Rechtsstaat ausschließlich Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden und der Strafgerichte ist, diese Vorwürfe zu prüfen und letztlich von einem unabhängigen Gericht beurteilen zu lassen, so wenig ist die Politik bereit, den zuständigen Organen die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen.

Eine in den Augen der Öffentlichkeit nicht lautlos und effizient funktionierende Strafjustiz gefährdet in einem nicht zu überschätzenden Ausmaß den demokratischen Konsens. Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger Sicherheit darüber haben können, dass ihre Gerichtsbarkeit Verletzungen der Rechtsordnung verfolgen und ahnden, ist der Rechtsfrieden gewahrt.

Es ist daher unverständlich, dass die zuständigen Politikerinnen und Politiker nicht in der Lage sind, in einem Schulterschluss den Zustand herzustellen (die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen), der diesen Rechtsfrieden gewährleistet.

Korruption

Österreich ist in den letzten Jahren auf der europäischen Korruptions-Skala – trotz des hohen Lebensstandards - vom 10. auf den 15. Rang abgerutscht. Warum?

  1. Allgemeine Untertanenmentalität misstraut den Staatsorganen; „sich’s richten“ geht vor Anständigkeit; „Gefälligkeiten“ gelten als normal;
  2. Sogar politische Spitzen erscheinen zunehmend korrupt anstatt vorbildlich – von Medien geschürt, von der Öffentlichkeit mit Politikverdrossenheit quittiert;
  3. Hohe Durchdringung des Landes und damit Abhängigkeit des Bürgers von Staat und Parteien; Entscheidungsmacht und Verfügungsmacht über fremdes Geld lockt Korruption an und erfordert deshalb persönliche Anständigkeit;
  4. An der Macht sind Vertreter von Partei-, Gruppen- und Einzelinteressen (keineswegs nur offizielle „Lobbyisten“), Staat und Gesamtgesellschaft haben keine Priorität;
  5. Geringe Transparenz der öffentlichen Geldflüsse
  6. Im internationalen Vergleich schwache und löchrige Strafnormen für Korruption, vor allem Ausnahmen für Politiker und geringe Strafhöhe sind kontraproduktiv.

Die Punkte 2 - 4 sind längerfristig, die Punkte 5 und 6 sind kurzfristig zu ändern!

Medien und Bildung

Den Medien kommt in der Demokratie eine zentrale Bedeutung zu. Ihre Vielfalt und Qualität sind das Fundament des demokratischen Diskurses. Dies ist auch ein entscheidendes Element des öffentlich-rechtlichen Auftrages des Rundfunks.

Eine vitale Demokratie braucht informierte Bürger, die sich in ihre Angelegenheiten einmischen. Politische Bildung soll von der Schule beginnend die Urteilsfähigkeit des mündigen Bürgers stärken. Der Schule kommt mittlerweile noch größere Verantwortung in diesem Prozess zu, da das aktive Wahlalter auf 16 gesenkt wurde. Insbesondere sind die Medienkompetenz im Allgemeinen, der Umgang mit den neuen Medien im Besonderen zu stärken.

Eine im September 2011 veröffentlichte IMAS-Untersuchung förderte eine teilweise beängstigende Unwissenheit der österreichischen Bevölkerung über politische basics zu T age.

Generell hat bekanntlich die Kritik am österreichischen Bildungssystem und seinen Ergebnissen auch evidenzbasiert in den letzten Jahren stark zugenommen. Besonders kritisch wird die Reformresistenz gesehen, weshalb sich gerade auch in diesem fundamentalen Bereich unseres gesellschaftlichen und demokratischen Zusammenlebens beachtliche zivilgesellschaftliche Initiativen gebildet haben. Vor allem auch das vom 3. bis 10. November aufliegende Bildungsvolksbegehren ist als ein solches wichtiges Signal gegen den Stillstand zu werten.

Die echten Probleme einer zeitgemäßen Medienpolitik

Das österreichische Medienrecht ist sicher nicht perfekt. Die jüngst verstärkte Forderung nach mehr Transparenz bei Inseraten von Regierungsstellen an einige auflagenstarke Zeitungen besteht zu Recht. In manchen Fällen wird in Österreich noch über die wahren Besitzverhältnisse gerätselt, was freilich angesichts der Feigheit aller bisherigen Regierungen, demokratiegefährdende Zusammenschlüsse verlegerischer Einheiten zu verhindern, keinen großen Sinn mehr macht. Die zumindest angestrebte Bekämpfung medialer Monopole und Oligopole ist in ganz Europa – neben Populismus und Staatszensur - immer noch ein zentrales Thema der Medienpolitik, die dabei allerdings in Gefahr gerät, weltweit noch viel größere neue Herausforderungen zu unterschätzen. Dass der Österreichische Presserat nach jahrelanger Blockade zu neuem Leben erweckt werden konnte, ist erfreulich, aber er macht sich in der Öffentlichkeit viel zu wenig bemerkbar.

In Amerika hat man die jüngste Entwicklung, die auch uns nicht erspart bleiben wird, schon auf einen knappen Nenner gebracht: „Zeitungen verlieren ihre Leser, Journalisten verlieren ihre Jobs und die Presse verliert ihre Freiheit an populistische Regierungen und Medienmogule.“ Tatsache ist, dass die junge Generation immer weniger Nachrichten aus Fernsehen, Radio oder den Zeitungen bezieht und wenn überhaupt, dann nicht zu fixen Zeiten in vorgegebenen Formaten, sondern über Teletext und vor allem Internet und in immer stärkerem Maß über Twitter, You Tube und Blogging. Für den heute von allen Printmedien angestrebten Umstieg auf Online-Journalismus, der sich auch rechnet, ist noch lange nicht geschafft. Angemessen zahlen wollen Internet-Info-User ja nicht übermäßig gern.

Laut einer OECD-Studie ist zwischen 1997 und 2007 die Gesamtzahl der Journalisten in den USA von 56.000 auf 40.000 zurückgegangen; in Deutschland ist sie um 25 Prozent, in den Niederlanden um 41 und in Norwegen um 53 Prozent geschrumpft. Der mitleidlose Konkurrenzkampf drängt die Verlage zu Personalabbau und prekären Beschäftigungsverhältnissen, was den Journalisten wieder weniger Zeit für sorgfältiges Recherchieren und gewissenhafte Weiterbildung lässt. Im Verlauf einer einzigen Minute werden weltweit 320 neue Twitter-Konten eröffnet und 1500 Blog-Eintragungen gepostet.

Die neuen Kommunikationsformen haben viel Gutes gebracht: Laienreporter versorgen die Öffentlichkeit mit Nachrichten über milliardenschweren Finanzbetrug und Korruption, trommeln Hunderttausende zu Demonstrationen zusammen und zwingen Potentaten im arabischen Raum zu Rückzug und Rücktritt. Aber sie eröffnen auch anonym bleibenden Verbrechern Tür und Tor für betrügerische Unterstellungen und verlogene Vernichtungs- feldzüge, denen auch kein internationaler Gerichtshof für Menschenrechte gewachsen ist.

Den Gipfel solchen Treibens liefert das System Wikileaks, das bereits diplomatische Geheimnisse Millionen Menschen zugänglich gemacht hat. „Großartig“ finden das jene, die eine kriminelle Vertuschung von Verbrechen aufdecken möchten. „Unverantwortlich“ kontern die darüber Besorgten, dass legitime Interessen von Intim- und Staatsschutz der von keiner Rechtsinstanz kontrollierten Verbreitung von Millionen gestohlener Informationen zum Opfer fallen könnten. Wer hat Recht? Die UNESCO hat auf ihrer vorjährigen Weltkonferenz in Brisbane von den Staaten Gesetze gefordert, die für alles staatliche Handeln größtmögliche Transparenz bei gleichzeitig größtmöglichem Schutz für wirklich schützenswerte Informationen gewährleisten. Wer hat irgendeine Reaktion österreichischer Medienpolitiker darauf bemerkt? Die werden offenbar nur aktiv, wenn die Bestellung einer neuen ORF- Führung die Chance für parteipolitische Packeleien eröffnet.

ORF-Befund

Der ORF ist die öffentlich-rechtliche Radio- und Fernsehanstalt Österreichs. Er ist das wichtigste Kultur- und Informationsmedium des Landes. Er verfügt über 3 Fernsehprogrammen (ORF eins, ORF 2 , ORF III), 12 Radioprogramme (national: Ö1, Ö3 und FM4; regional: 9 Programme der Landesstudios) und ein umfangreiches Internetangebot Mit 5,2 Millionen Hörer. 3,2 Millionen Zuseher täglich, sowie mit monatlich 270 Millionen Seitenaufrufen Online, sollte er ein wesentlicher Faktor zur Weiterentwicklung der Demokratie sein.

Es galt daher zu prüfen, ob der ORF auf Grund der legistischen Rahmenbedingungen heute seine Aufgaben gegenüber der Gesellschaft unbehindert erfüllen kann.

In Kenntnis der bundesgesetzlichen Bestimmungen (sie wurden seit dem Rundfunkvolksbegehren 1966 von den jeweiligen Alleinregierungen bzw. Koalitionen gravierend verändert) und der daraus abgeleiteten politischen Praxis kommt die IMWD zu dem Schluss:

Die in der Verfassung verbriefte Unabhängigkeit des österreichischen Rundfunks und seiner Organe ist durch die derzeitigen gesetzlichen Regelungen und durch die Handlungsweisen von Regierung und Parteien nicht gewährleistet, wie das Parteiengerangel um die Bestellung der ORF-Geschäftsführung in den letzen Wochen besonders vor Augen führt. (Detaillierte Begründung siehe Anhang)

Forderung an das Parlament: Den ORF frei geben!

Angesichts der immer wiederkehrenden Versuche von Regierungen und Parteien, sowie angesichts der Tatsache, dass nach einer jüngst im „Kurier“ veröffentlichten OGM Umfrage 86% der Bevölkerung den Einfluss der Politik auf den ORF für „zu hoch“ halten, fordert die IMWD das Parlament auf, den Auftrag der Bundesverfassung endlich zu erfüllen und durch konkrete Gesetze die Unabhängigkeit des Österreichischen Rundfunks sowie seiner Organe sicherzustellen!

Dies könnte durch folgende Neuregelungen geschehen:

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Übereinstimmende Ergebnisse aller Umfragen zeigen:

Das Ansehen der Politik in Österreich ist an einem historischen Tiefpunkt angelangt. Insbesondere die Arbeit der Bundesregierung wird außerordentlich negativ bewertet. Auch die Erwartungen in die künftige Regierungspolitik zur Überwindung des gefühlten Stillstandes sind außerordentlich gering. Vor allem folgende 5 Problembereiche und gravierende Kritikpunkte wurden 2010/2011 ausgemacht.

  1. Der lähmende Stillstand in der Politik
  2. Der Verfassungsbruch in Zusammenhang mit der Erstellung des Bundesbudgets 2011, wobei festgestellt werden muss, dass nicht nur die Verfassung gebrochen wurde, sondern dass auch das Budget selbst entgegen aller Ankündigungen von großen Reformanstrengungen kaum Anhaltspunkte für Veränderungsbereitschaft der Bundesregierung gezeigt hat;
  3. Das besorgniserregende Misstrauen gegenüber der Justiz und der Politik, besonders gefördert durch gehäufte Korruptionsvorwürfe und Kritik an langen Verfahrensdauern
  4. Die den Problemstellungen Europas völlig unangemessene Kommunikation der verantwortlichen Player in Österreich zum Thema Europa, Euro und EU, die die Verdrossenheit und das Misstrauen gegenüber Europa weiter nähren, wo hingegen generell eine stärkere gemeinsame europäische Vorgangsweise (EU und Euroländer) notwendig erscheint
  5. Der unverfrorene Griff von Regierung und Parteinen nach dem ORF.

Besonders beunruhigend ist das rapide anwachsende Desinteresse an der österreichischen Politik. Beschäftigten sich laut IMAS vom September 2011 im Jahr 2000 nach eigenen Angaben noch 56 Prozent stark bzw. ziemlich stark mit Politik in Österreich, wurde 2011 der Tiefststand mit 26 Prozent erreicht.Damit einher geht ein geringes Wissen über politische Vorgänge und verfassungsrechtliche Grundlagen. Demokratie aber braucht die Zuwendung des informierten Bürgers. Lethargie, Verdrossenheit und folgenloses Lamento bei Cocktailpartys und Biertischen tragen nicht zur Vitalisierung der Demokratie in Österreich bei, sondern verstärken die Abnützungserscheinungen.

Andererseits sind teilweise auf Länder- und Gemeindeebene Initiativen zu verzeichnen, die demokratiepolitisch positiv zu bewerten sind, seien es die Reformanstrengungen in der Steiermark oder anderen Bundesländern, seien es die Initiativen in der Stadt Salzburg zur Stärkung der direkten Demokratie. Positiv sind vor allem auch eine wachsende Zahl von zivilgesellschaftlichen Initiativen und auch Aktivitäten von Qualitäts-Printmedien hervorzuheben.

Trotz aller Kritikpunkte und der immer bedrohlicher werdenden Vertrauenskrise in die Politik und die Demokratie ist festzustellen, dass die österreichische Demokratie im internationalen Vergleich dennoch immer noch relativ gut dasteht. In einem internationalen Demokratie- Ranking, das allerdings die negativen Entwicklungen des letzten Jahres noch nicht reflektiert, liegt Österreich auf Platz 11, auch im Korruptionsindex ist Österreich noch immer auf Platz 15, allerdings um mehrere Plätze in den letzten Jahren abgesunken, sowie auch beim World-Competitiveness-Index des Weltwirtschaftsforums wo Österreich auf Rang 19 liegt, aber auch gegenüber der Vorjahresbewertung um einen Platz abgesunken ist und im längerfristigen Vergleich um mehrere Plätze. In allen diesen Rankings liegen die Schweiz und die skandinavischen Länder, aber auch die Niederlande deutlich vor Österreich, auch Deutschland und Großbritannien wird eine höhere Demokratie-Qualität zugeschrieben. Dies korreliert auch mit der Eigeneinschätzung der Experten-Umfrage, die die IMWD durchgeführt hat.

Aus diesem Demokratiebefund 2011 ergeben sich eine Reihe von Forderungen, die teilweise schon in den einzelnen Subkapiteln detailliert dargestellt wurden:

  1. Ernsthafte Befassung des Parlaments und der politischen Parteien mit Fragen der Wahlrechts und Demokratiereform durch eine parlamentarische Enquetekommission;
  2. Eine ernsthafte und nachhaltige Europakommunikation der Bundesregierung, aber auch aller verantwortlichen Stellen, um das Vertrauen angesichts der schwierigen Phase in die Europäische Union und ihre Institutionen zu stärken. Appell an den Bundeskanzler resp. den Außenminister und die anderen Mitglieder der Bundesregierung jeweils nach Rückkehr von Tagungen des Europäischen Rates bzw. des Rates für allgemeine Angelegenheiten un der Fachministerräte der Bevökerung über die Medienöffentlichkeit eine offene und schonungslose Aufklärung über die aktuellen Probleme und die dazu vertreten österreichische Haltung zu geben;
  3. Initiativen zur Entpolitisierung des ORF
  4. Förderung des Reformföderalismus und von Reforminitiativen auf Gemeindeebene, insbesondere auch im Zusammenhang mit der direkten Demokratie. Dringender Appell an die Verantwortlichen in Bund und Ländern, endlich die Widerstände gegen eine sinnvolle Föderalismusreform aufzugeben und gemeinsam ohne weiteren Verzug die anstehenden Probleme im Interesse der Republik Österreich einer Lösung zuzuführen;
  5. Ausbau der politischen Bildung und Medienerziehung, wobei im schulischen und außerschulischen Bereich qualifiziertes Personal aus- und weiterzubilden und bereitzustellen ist;
  6. Initiativen zur transparenten Parteienfinanzierung
  7. Initiativen zur Offenlegung von Eigentumsverhältnissen bei österreichischen Medien und der Medienförderung seitens der öffentlichen Hand (Gebietskörperschaften sowie Unternehmen mit maßgeblichen Beteiligungen der öffentliche Hand)
  8. Eine Erleichterung des Zugangs zur direkten Demokratie, insbesondere zu Volksbegehren, durch die neuen digitalen Möglichkeiten, wodurch dem Bürger / der Bürgerin der Weg zum Gemeindeamt bzw. zur notariellen Beglaubigung bei Unterstützung von Volksbegehren erspart werden kann
  9. Stärkung aller Initiativen der Zivilgesellschaft, die gegen Stillstand und für Reform engagiert sind. In diesem Sinn bemüht sich die IMWD, verschiedenste Allianzen mit gleichgesinnten oder ähnlich gelagerten Gruppierungen zu schmieden bzw. diese auch zu unterstützen.

Es ist die feste Überzeugung der IMWD, dass insbesondere durch eine aktive Zivilgesellschaft in Zusammenwirken mit Medien jener notwendige Druck erzeugt werden kann und muss, um Stillstand und Reformmüdigkeit in Österreich zu überwinden, Vertrauen in die Politik wiederzugewinnen und einen Vitaliserungs- und Reformschub für die österreichische Demokratie zu erreichen.

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Auch das noch: Die Reichen werden immer gesünder

11. Oktober 2011 00:35 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es zählt zu den Standardklagen jedes Möchtegern-Intellektuellen in ganz Europa: Die Reichen werden immer reicher; ihre Kinder sind auch in der Schule erfolgreicher; und nun zeigen Statistiken sogar, dass die Reichen auch deutlich länger leben als ärmere Mitbürger. Die daraus resultierende Forderung: Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit müsse nun endlich auch von der EU ernsthaft bekämpft werden, wenn schon die Regierungen untätig sind.

Kein Zweifel: Die Fakten stimmen (lediglich das mit dem reicher Werden stimmt in Zeiten der Rezession nicht, da zahlen die Reichen verstärkt drauf). Aber ebensowenig Zweifel kann es in Wahrheit daran geben, dass diese Möchtegern-Intellektuellen dabei völlig falsche Kausalitäten herstellen. Die Behauptung, noch reicher zu werden, länger zu leben oder besser gebildete Kinder zu haben, das sei alles Folge des Reichtums, ist ungefähr so zwingend wie die Aussage, es würde deshalb zu regnen beginnen, weil die Menschen mit einem Regenschirm ihr Haus verlassen.

Schon die Vorstellung, dass die meisten Reichen große Vermögen über viele Generationen vererben, ist absolut falsch. Man denke nur an die Katastrophen des 20. Jahrhunderts, die nicht nur Millionen Menschen, sondern auch jeden Reichtum vernichtet haben. Binnen weniger Jahre danach haben dennoch etwa die aus der Tschechoslowakei vertriebenen Menschen in Österreich und Bayern extrem erfolgreiche Industriebetriebe aufgebaut. Sie wurden nicht reicher, weil sie schon reich waren, sondern weil sie durch Unternehmergeist, durch Disziplin, durch Fleiß, durch Mut, durch Kreativität, durch Forschergeist, durch irgendein besonders Talent etwas aufzubauen imstande waren. Manches Mal halfen sicher auch Glück und Zufälle – aber diese Faktoren alleine haben es nie geschafft, jemanden dauerhaft in Wohlstand zu versetzen (siehe etwa die vielen später wieder verarmten Lotterie-Gewinner).

Ähnliches sieht man auch an Amerikas heute Reichen. Dieses Land war seit eineinhalb Jahrhunderten kein Kriegsschauplatz, es hat kaum unter Niederlagen oder Vertreibungen gelitten. Aber dennoch dominieren auch dort die neuen Reichen. Bill Gates, Steve Jobs oder Warren Buffet haben die heutigen Mega-Vermögen selbst aufgebaut, oft vom absoluten Nullpunkt auf. Und nicht geerbt.

Von den eigenen Ahnen ererbte Reichtümer wie Schlösser sind heute hingegen vielen Familien eher eine schwere Last. Nur eine Minderheit der im 19. Jahrhundert reichen Familien zählt heute noch dazu. Reichtum ist immer seltener über die Generationen hinweg langlebig. Denn Kapitalismus ist in  Wahrheit das Gegenteil eines Feudalsystems, er führt rasch hinauf, aber auch wieder rasch hinunter.

Die Phrase „Die Reichen werden immer reicher“ ist langfristig falsch. Sie stimmt nur in jenen eher kurzen Phrasen, in denen man mit Finanzanlagen besser verdient als mit unternehmerischen Investitionen oder mit erfolgreicher Arbeit. Aber selbst dann, wenn angelegtes Geld einen echten Ertrag bringt – was es seit Jahren dank Inflation, Krisen und Kapitalertragssteuern nicht mehr tut –, fehlt den Neidargumenten jede moralische Basis: Sollen Sparen und Investieren bestraft werden, während jene, die immer sofort alles konsumieren, belohnt werden? Das ist Populismus, hat aber mit Ethik nichts zu tun.

Und wie ist das mit den Vorteilen der Reichen bei Bildung und Gesundheit?

Genau so. Jene Fähigkeiten und Eigenschaften, welche die Wahrscheinlichkeit beruflicher und unternehmerischer Erfolge erhöhen, sind auch für den Schulerfolg der eigenen Kinder wie auch die eigene Lebenserwartung gut. Die Pisa-Studie zeigt etwa, dass jeder zusätzliche Meter an Buchregalen in der elterlichen Wohnung im Schnitt zu signifikant besseren Schulergebnissen führt. Ebenso wie zu besserem Berufserfolg und damit höherem Einkommen.

Gebildete Eltern kümmern sich auch intensiver und liebevoller als bildungsferne um den eigenen Nachwuchs. Bei ihnen wird viel weniger ferngesehen, vor allem wird der Fernsehapparat nicht als Babysitter verwendet: In der statistischen „Unterschicht“ sind nach einer Studie des deutschen Allensbach-Instituts 73 Prozent Intensiv-Fernseher, sitzen also drei und mehr Stunden pro Tag vor der Kiste, in der Oberschicht hingegen nur 34 Prozent. In der Oberschicht wird statt dessen weit mehr gelesen als in der Unterschicht. Gebildete Eltern haben mit ihren Kindern bis zu deren Schulanfang drei Mal so viele Wörter gesprochen wie bildungsferne.

Sie tun das nicht, weil sie reich sind, sondern weil ihnen Sprache, Kultur, Zuwendung, aber auch Disziplin, Fleiß und Leistung wichtig sind. Weil sie diese Werte – meist – auch an ihre Kinder weitergeben wollen. Und genau diese Eigenschaften führen in einer Marktwirtschaft auch zu finanziellem Erfolg.

Sehr Ähnliches zeigt auch eine Analyse der Statistiken, denen zufolgen „Reiche“ länger leben. Wieder ist nicht der Reichtum die primäre Ursache der Gesundheit, sondern es sind vor allem bestimmte Verhaltensweisen, welche die Oberschicht länger leben lassen. Die alle von Reichtum oder Armut völlig unabhängig sind. Noch einmal die Allensbach-Studie: In der Oberschicht treibt jeder Zweite bis zu seinem 70. Geburtstag regelmäßig Sport, in der Unterschicht tun das jedoch nur 15 Prozent. Oder das Rauchen (das noch dazu Geld kostet, also eigentlich den „Reichen“ leichter fallen sollte!): In der Oberschicht rauchen von den unter 30-Jährigen 18 Prozent, in der Unterschicht 54 Prozent.

Das heißt nun nicht, dass jeder an seiner Armut oder seinem frühen Tod selber schuld ist. Das heißt auch nicht, dass es keine Fälle gibt, wo reichere Mitbürger – oder im Spätsozialismus: der Staat – verpflichtet wären zu helfen. Das heißt aber, dass es absurd und ungerecht ist, dem politischen System einen Vorwurf zu machen, weil die Reichen reicher werden, weil sie im Schnitt erfolgreichere Kinder haben, oder weil sie länger leben.

Der Großteil dessen, was zu diesen Erfolgen führt, ist vom Geld völlig unabhängig. Europäische Politiker, die dennoch ständig die Armen als Opfer der Reichen oder angeblich ungerechter gesellschaftlicher Verhältnisse darstellen, richten den größten Schaden an. Sie schüren unbegründete Neidgefühle, statt den Menschen zu vermitteln, dass diese in sehr hohem Ausmaß für das eigene Los selbst verantwortlich sind, dass sie ihr Schicksal in hohem Ausmaß durch eigenes Handeln verbessern können. Wer immer nur dem Staat, der Gesellschaft, den Reichen die Verantwortung für die Ärmeren zuschiebt, ruiniert nicht nur Staat und Gesellschaft, sondern ist in Wahrheit der größte Feind der Armen, für die er sich einzusetzen behauptet. Das hat übrigens auch die Sozialdemokratie gewusst, als Arbeiterbildungsvereine, Abstinenzlervereine, Sport- und Wandervereine im Zentrum ihrer Identität gelegen sind. Leider ist das aber schon ein paar Generationen her.

 

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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Fußnote 225: Gar keine polnischen Verhältnisse

10. Oktober 2011 00:13 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die Wiederwahl von Donald Tusk ist nicht nur für polnische Verhältnisse – wo seit der Wende noch jede Regierung bei der ersten Gelegenheit abgewählt worden ist – eine echte Sensation.

Diese Wiederwahl im sechstgrößten Land Europas ist nämlich auch ein absoluter Gegentrend zu den gesamteuropäischen Usancen. Dort wird in der nächsten Zeit mit großer Wahrscheinlichkeit alles gefeuert, was derzeit regiert. Die Linken in Spanien, die Rechten in Deutschland, Italien und Frankreich. Die mutmaßlichen Gründe des polnischen Ergebnisses sind besonders erfreulich: Der Hauptherausforderer hat in der Endphase auf antideutsche Hetze gesetzt und dadurch Stimmen verloren. Genausowenig hat ihm davor antirussische Stimmungsmache geholfen. Die Tusk-Regierung hingegen hat auf eine klassisch-liberale Wirtschaftspolitik mit Sparsamkeit und wenig Eingriffen in die Wirtschaft gesetzt. Ja: Und ganz objektiv muss man festhalten: Polen als Nicht-Euro-Land muss auch keine Milliardenlasten zugunsten der Schuldnerstaaten tragen. Daher fehlt dort der Hauptgrund des Bürgerzorns. Aber immerhin deutet manches darauf hin, dass neuerdings auch bei Angela Merkel und Nicolas Sarkozy ein Umdenken eingesetzt hat.

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Kurzanalyse Oktober 2011: Dänemark-Berlin-Österreich

07. Oktober 2011 05:42 | Autor: Herwig Hösele
Rubrik: Gastkommentar

Bei der öffentlichen Interpretation der Berliner Senatswahlen und der dänischen Nationalwahlen ist ein Phänomen völlig untergegangen: Die beiden „Wahlsieger“ – der Berliner SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit  und die dänische Sozialdemokratin Helle Thorning-Schmidt – verloren gegenüber der vorangegangenen Wahl Stimmen und Mandate. Die dänische Sozialdemokratie erzielte überhaupt ihr schlechtestes Ergebnis seit über 100 Jahren, während der bisherige Ministerpräsident Lars Rasmussen mit seiner rechtsliberalen Venstre nicht nur wiederum stärkste Partei wurde, sondern sogar zulegte. Es kommt dennoch zum Machtwechsel, weil das Mitte-Links-Bündnis über mehr Parlamentssitze verfügt als das Mitte-Rechts-Bündnis.

Ergebnisse der dänischen Parlamentswahlen (in Klammern die Veränderungen gegenüber 2007):

Liberale (Venstre)

26,7

(+0,4)

Sozialdemokraten

24,9

(-0,6)

Dänische Volkspartei

12,3

(-1,6)

Sozialliberale (Radikale Venstre)

9,5

(+4,4)

Sozialistische Volksparte

9,2

(-3,8)

Rot-grüne Einheitsliste

6,7

(+4,5)

Liberale Allianz

5,0

(+2,2)

Konservative Volkspartei

4,9

(-5,5)

In Berlin wiederum sind fünf Phänome zu betrachten:

  1. Bestätigung von Wowereit mit seinem bisher schlechtesten Wahlergebnis.
  2. Die Grünen, die nach Fukushima und der Baden-Württemberg-Wahl, die den ersten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands brachte, mit Renate Künast zunächst sogar als bürgermeisterverdächtig galten, blieben trotz Zuwächsen sogar hinter der CDU, die zulegte, zurück und wurden drittstärkste Kraft. Für eine rot-grüne Koalition, die den rot-roten Senat ablöst, reichte es immer noch.
  3. Die Wahlergebnisse im früheren Westen und Osten der ehemals geteilten Stadt divergieren stark – wie man an dem SED/PDS-Nachfolger Die Linke besonders deutlich sieht, die eine klare Ost-Partei ist.
  4. Die FDP wurde nahezu atomisiert und ist – wie bei de facto allen Regional-Wahlen seit ihrem Eintritt in die Bundesregierung – aus dem Abgeordnetenhaus geflogen. Die mangelnde Koalitionsmehrheit auf Bundesebene wird auch für Bundeskanzlerin Angela Merkel immer ungemütlicher.
  5. Der Erfolg der „Piraten“ aus dem Stand sollte allen etablierten Parteien inklusive der Grünen schwer zu denken geben. Die eigentlich kaum organisierten Piraten sind bereits im schwedischen Reichstag vertreten und erzielten auch bei der deutschen Bundestagswahl 2009 einen Achtungserfolg.

Zweitstimmen bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl 2011:

 

Berlin insgesamt

West-Berlin

Ost-Berlin

Partei

2011

2006

2011

2006

2011

2006

SPD

28,3

30,8

28,0

31,4

28,8

29,8

CDU

23,4

21,3

29,5

27,7

14,2

11,4

Grüne

17,6

13,1

20,4

14,8

13,5

10,5

Linke

11,7

13,4

4,3

4,2

22,6

28,1

Piraten

8,9

n.k.

8,1

n.k.

10,1

n.k.

NPD

2,1

2,6

1,6

1,7

2,9

4,0

FDP

1,8

7,6

2,3

9,3

1,2

4,9

Sonstige

6,2

11,1

5,9

10,9

6,6

11,4

Letzte Umfrage zur Bundestagswahl (DER SPIEGEL, KW39; in Klammern das Ergebnis 2009):

CDU/CSU

31

(33,8)

SPD

31

(23,0)

Grüne

18

(10,7)

Linke

7

(11,9)

Piraten

5

(n.k.)

FDP

4

(14,6)

Österreich

In Österreich verheißt die Umfragesituation den beiden die Koalition bildenden  Parteien SPÖ und ÖVP nichts Gutes. Die Feststellungen der letzten Analyse, dass Stillstand und Parteienstreit Wasser auf die Mühlen der allerdings selbst nicht strahlenden Opposition sind, bestätigen sich.

Umfragen Parteien Nationalratswa

Datum

Institut/Medium

SPÖ

ÖVP

FPÖ

BZÖ

GRÜNE

NRW2008

Endergebnis

29,26

25,98

17,54

10,70

10,43

6.8.11

Market/Standard

29

25

25

6

12

7.8.11

Gallup/Österreich

28

24

25

5

15

7.8.11

Karmasin/KleineZ.

29

23

26

5

13

12.8.11

Karmasin/profil

29

23

24

5

15

18.8.11

IMAS

26

25

25

5

13

21.8.11

Gallup/Österreich

27

25

25

5

13

4.9.11

Gallup/Österreich

28

24

24

5

14

5.9.11

Market/Standard

28

25

25

6

12

11.9.11

Gallup/Österreich

30

22

24

4

15

18.9.11

Gallup/Österreich

29

23

25

5

13

2.10.11

Gallup/Österreich

29

24

26

4

13

Fiktive Kanzler-Direktwahl

Datum

Institut/Medium

Faymann

Spindelegger

Strache

Glawischnig

18.4.11

Karmasin/profil

22

13

12

6

20.5.11

OGM/Kurier

24

18

16

 

18.7.11

Karmasin/profil

22

16

15

7

31.7.11

Gallup/Österreich

27

19

20

 

12.8.11

Karmasin/profil

23

16

12

7

21.8.11

Gallup/Österreich

28

19

16

 

5.9.11

Market/Standard

30

15

8

 

18.9.11

Gallup/Österreich

26

18

 

 

Anders verhält es sich in der Steiermark, wo sich SPÖ und ÖVP entschlossen, eine Reform- und Sanierungspartnerschaft ernsthaft anzugehen. Auch hier setzt es Verluste (teilweise auch bundesbedingt), allerdings werden die Oppositionsparteien deutlich in Schach gehalten.

Landtagswahl

Datum

Institut/Medium

SPÖ

ÖVP

FPÖ

GRÜNE

KPÖ

BZÖ

LTW 2010

Endergebnis

38,26

37,19

10,66

5,55

4,41

2,98

3.4.11

IMAS/Krone

34

31

14

11

7

2

April 11

OGM/Kleine Z.

33

30

18

11

6

2

18.9.11

OGM/Kleine Z.

36

31

18

8

5

2

Landeshauptmann-Direktwahl

Datum

Institut/Medium

Voves

Schützenhöfer

Kurzmann

Kogler

Klimt-W.

18.9.11

OGM/Kleine

38

19

2

2

2

Nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Unzufriedenheit mit der Bundespolitik formieren sich immer mehr zivilgesellschaftliche Initiativen.

Verwiesen sei beispielsweise auf den Demokratiebefund der Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform www.mehrheitswahl.at;

aber auch auf www.meinoe.at, www.vbbi.at, www.verwaltungsreform-jetzt.at, www.respect.at oder www.bildungsplattform.or.at/

Professor Herwig Hösele war Präsident des Bundesrates (ÖVP) und ist als Geschäftsführer der "Dreischritt GmbH" und der "public opinion GmbH" publizistisch tätig. Er erstellt vor allem politische und strategische Analysen.

Rückfragen unter h.hoesele@dreischritt.at bzw. 0664 / 18 17 481.

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Die finale StabiLizitation

06. Oktober 2011 23:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Wenn ich „Battle Group“ vernehme,
fällt mir Balkan ein sofort,
denn wohl jeder merkt mit Häme,
dass wie „Bettel“ klingt das Wort.

Und wie wirklich dort zu sehen,
hat die Schulden-Union
Battle Groups am Balkan stehen,
eingesetzt seit langem schon!

Diese sind vor allen Dingen
mit der Mission befasst,
unter einen Hut zu zwingen,
was nicht zueinander passt.

Manche Völker wollen eben
nicht wie jetzt mit Ach und Pein
in demselben Staate leben,
doch was sein muss, das muss sein!

Das verbürgen Kommissare,
Militär und Polizei
von der Wiege bis zur Bahre,
so nur sind die Menschen frei.

Was das kostet, ist kein Bettel,
allerdings auch kein Problem –
druckt man halt mehr Schuldenzettel,
das ist billig und bequem.

Wie zum Hohn hat strenge Regeln
man als “Sixpack“ nun serviert –
und schon wird mit vollen Segeln
weiter stabilizitiert!

Tja, wenn einst ich „Sixpack“ hörte,
dacht’ ich bloß ans Sechserpack,
und wenngleich das Fremdwort störte,
mir war wichtig der Geschmack.

Doch bei „Sixpack“ kommt mir künftig
nur der „Sick bag“ in den Sinn –
wie im Flugzeug immer zünftig
in der vordern Lehne drin!

Schwerer drückt indes den Magen,
was im Balkan-Einsatz steckt:
Klein-Europa sozusagen –
ist’s nicht ein Versuchsobjekt?

Wird nicht darum so beflissen
jedes Volksheer demontiert.
wird nicht darum, höchst gerissen,
Sicherheit privatisiert?

Battle Groups, bis übermorgen
ganz auf Söldner umgestellt,
sollen die dann dafür sorgen,
dass Europa nicht zerfällt?

Pannonicus

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Wenn die Ökonomen haften müssten

06. Oktober 2011 00:56 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Im alten China wurden Ärzte zur Rechenschaft gezogen, wenn ihre Ratschläge falsch oder wirkungslos waren. Dasselbe wäre heute für die Ökonomen am Platz. Was haben sie uns nur immer für falsche Ratschläge gegeben!

Das gilt etwa für die ständig falschen Inflations- und Konjunkturprognosen oder die Fehler der Rating-Agenturen.

Das gilt nun auch für die von der EU-Kommission gewünschte Finanztransaktionssteuer. Die EU-Ökonomen glauben, damit die „Spekulanten“ melken zu können, die sie anstelle der Schuldenpolitik für die nun in die nächste Etappe schlitternde Krise verantwortlich machen. Was zwar populär, aber für Europa extrem schädlich wäre.

Die Kommission erhofft sich davon 57 Milliarden Euro Einnahmen. Gleichzeitig aber gibt sie selbst zu, dass diese Steuer zugleich die Europäer ein halbes Prozent ihres BIP kosten wird. Wer glaubt, das sei wenig, sollte sich bewusst machen, dass das nicht weniger als 76 Milliarden Euro sind.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Der Schaden für Europa ist um fast 20 Milliarden größer als der „Nutzen“ (wenn man schon bereit sein sollte, weiteres Geld für die ausgabenwütige Politik als Nutzen anzusehen). Dieses Plus an Steuern ist überdies reine Utopie. Denn ein Großteil der Finanztransaktionen wird dann halt nicht mehr stattfinden, zumindest nicht in Europa, sondern in Singapur, Hongkong oder New York. Auch in Schweden glaubte man auch an eine neue Goldader in Form dieser Steuer. Doch ließ deren Einführung die Finanztransaktionen in Wahrheit auf drei Prozent fallen.

Ein anderer Sündenbock für die Krise waren bei linken Ökonomen die Leerverkäufe, also der Verkauf von Aktien, die man noch gar nicht hat. Dieses zweifellos riskante Instrument wurde gerne als eine Hauptursache der Krise geoutet. Spanien wie Italien haben es deshalb verboten. Seltsam, seltsam: Denn auch ohne diese Leerverkäufe geht die Krise dort munterer denn je weiter.

Aber jedesmal sind Öffentlichkeit, Politik und Medien erneut bereit, auch den absurdesten ökonomischen Verschwörungstheorien zu glauben. Das zeigte sich auch, als ein verschuldeter Hochstapler als Börsehändler auftrat und von der BBC eilfertig interviewt wurde. Um dort als seriös zu gelten, genügt es bei den meisten Medien offenbar schon zu sagen: „Goldman Sachs regiert die Welt“.

Auch der SPÖ-„Ökonom“ Jan Krainer gehört in diese unseriöse Kategorie. Ihm zufolge seien die nun schon 21,5 Milliarden Haftungen Österreichs für die Schuldenstaaten billiger als deren Insolvenz. Diese beweisfrei aufgestellte Behauptung würde aber nicht einmal dann stimmen, wenn es bei diesem Betrag bliebe, der schon heute immerhin mehr als 2600 Euro pro österreichischem Kopf ausmacht. Er wird sich aber mit Sicherheit noch vervielfachen, da man den alten Schulden ständig weiteres Geld nachwerfen muss, seit man einmal damit begonnen hat.

Aber Politiker werden ja genauso wenig zur Haftung herangezogen wie Ökonomen.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

 

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Die Krise der EU

05. Oktober 2011 19:10 | Autor: Manfred Scheich
Rubrik: Gastkommentar

Das ist in der Folge ausnahmsweise ein englischer Text. Er wird hier entgegen den Usancen des Tagebuchs veröffentlicht, weil er von dem diplomatischen Schlüsselspieler des österreichischen EU-Beitritts stammt und in Österreich noch nirgendwo veröffentlicht worden ist. Manfred Scheich hatte rund um den Beitritt sowohl als zuständiger Sektionsleiter wie auch als Botschafter in Brüssel eine entscheidende Rolle gespielt, Österreich trotz aller Einwände wegen seiner Neutralität in die Gemeinschaft zu bringen. Umso gravierender ist seine heutige kritische Sicht auf den Zustand der EU.

Der Beitrag trägt den Original-Titel:
The European Union in Crisis? - New Challenges Within Changing Parameters 

The process of European integration, started very soon after the end of the Second World War, has been an undeniable political and economic success for which the adjective « historical » is for once fully applicable. After almost sixty years of its gradual development we are fully justified to say that the European project, embodied in the European Union, its objectives and institutions, has no desirable alternative.

Why, then, does the European Union seem to be in a serious crisis, reflected these days in the troubles about and around the structure and the functioning of the Monetary Union?

We have to recognize that fundamental political parameters have changed since the time of the Union’s founding, but we also have to admit to ourselves that the integration process has reached a stage, where the Union runs the risk of what is called « overreaching », i.e. it has extended integration into new areas without creating the necessary political and structural pre-conditions. This does not only endanger the functioning of the Union, but it may also put in question past accomplishments and weaken the confidence and committment of the Union’s citizens to the European project as such.

The present difficult situation of the Union, its undeniable crisis of identity, confidence and functioning can be ascribed to three main factors :

The two elements which served as forceful political catalysts in the creation of the European Community have practically vanished. They were the living memory of the two European World.

 Wars and their consequences and the acutely felt political and military threat from the counter system of Communism. The threat has disappeared and the overwhelming majority of today’s European citizens has no personal memory of the great wars during the first half of the 20th Century. With the disappearance of these catalyst forces the integration process has, however, largely lost its emotional basis, which during the first decades of the existence of the European Community had led to a situation where policies and steps decided in Brussels and which were understood to serve Western European unity almost automatically met with the acceptance by the vast majority of the population. Nowadays the Brussels developments and decisions have to be justified merely with rational arguments – and we agree, I think, that selling political decisions affecting established national interests and traditions with a rational appeal only is difficult.

Moreover, the European Community or Union has since its creation increased its membership from 6 to very soon 28 Members, i.e. by almost five times. It goes without saying that with each new member the internal heterogeneity of any community is inescapably increased or, in other words, its internal cohesion weakened – its cohesion in terms of cultural and political traditions, historical experience, level of economic development and concrete national interests. A high degree of internal cohesion is, however, of particular significance for a multinational construct, consisting of souvereign states like the European Union. The increased heterogeneity of the Union renders its functioning, i.e. its ability to decide and act efficiently more difficult and cumbersome and the risk of centrifugal forces taking over becomes greater. To counteract the situation, a strengthening of the supranational nature and structures of the Union would have been necessary. This, however, was not, or at least not adequately, done. 

Finally, a third element explains the actual difficulties confronting the European  Union : with the Maastrich Treaty of 1993 the Union has passed beyond the stage which one might call « negative integration », i.e. the abolition of obstacles to full market integration, realised by the four freedoms of the Internal Market, and has advanced the integration process into new and strategic fields of national policy making. A « Common Foreign  -, Security-, and Defense Policy » and the creation of a « Economic and Monetary Union » became treaty objectives. Thus, the integration process has gained a new dimension and has moved onto different playing grounds with new political challenges as far as the national interests and political outlooks of Member States are concerned.

In this last context I should like to draw your attention to a specific phenomenon which makes itself increasingly felt – a growing dominance by the big Member States. This can be considered as an objective consequence of the ambitions of the Maastrich Treaty, since in fields like a Common Foreign and Security Policy and an Economic and Monetary Union, volume and weight become decisive factors in policy making. The actual developments in the Euro or debt crisis are a good example.

I have pointed to three elements which illustrate the deep changes in the political parameters since the creation of the EU and help to explain the challenges and difficulties with which the Union is actually confronted : the disappearance of the catalyst forces which marked the first decades of its existence, the consecutive enlargements leading to an ever increasing heterogeneity and the advance of the integration process into new strategic fields of policy making.

Now, would there have been a way to cope better with the new challenges ? In theory, yes, had we complemented and accompanied the consecutive enlargements (above all the so-called Eastern enlargements, which practically doubled the membership) as well as the new ventures of the CFSP and EMU with a veritable strengthening of the supranational nature of the Union.

Not that one did not know, not that one did not try. But one has to admit that the pertinent efforts largely failed. Negotiators were aware during the negotiations leading to the Amsterdam Treaty that an institutional « deepening » should be a pre-condition for the forthcoming Eastern enlargement.   However, the political will and courage to realise an institutional break-through were lacking. The same held true in the case of the later Treaties of Nice and Lisbon. Certain progress had been made ; e.g. some extension of quality majority voting, but certainly not enough to meet the challenge. One may even say that on balance it was the intergovernmental dimension of the Union which had been strengthened.   It is not surprising that the call – if not the necessity – for steps of a supranational or federal character reappear in the context of the Euro crisis – think of the debate about an « Economic Government », an « Economic Finance Minister », etc. 

Whether the pressure arising from the crisis will be strong enough to make Governments overcome their unwillingness or hesitancy vis-à-vis transfers of more national competences to Union institutions remains to be seen.

Before this background we have to ask ourselves the question whether the Union in implementing the ambitious projects of the Maastrich Treaty has not overreached itself, given the political and institutional limits.

Let us look at the Monetary Union and the debt crisis. There is no doubt that the introduction of the Euro has rightly been considered as a crowning step in integration.   One cannot doubt its practical advantages for business and the common citizen. However, the second part of the project, i.e. the Economic Union, comprising a common fiscal policy together with the necessary institutions was left in abeyance. About ten years after the introduction of the Euro the system is now in an existential crisis.

Why ? The monetary system itself has been construed with a two-fold birth deficiency. It has bound together in the corset of a common currency a number of sovereign states among which deep divergencies exist in terms of economic « culture » and, above all, economic capabilities and performance. This has, secondly, been done without providing the contractual as well as institutional basis for a common economic governance to secure the appropriate common macro-economic, in particular fiscal policies.

The responsible political actors thought or hoped, that by simply setting a budget deficit criterion of 3% coupled with a sanction mechanism which in itself was economically doubtful and proved ineffective, as well as establishing the « no bailing-out rule », one could control the situation and everything would be in order. 

When the day of reckoning came the inefficiency of this construction came dramatically to light. The bailing-out rule was simply ignored, a rule which was, in particular for Germany, but also for other so-called stability countries, the key condition for accepting the common currency. I dare say that if at the time of the Euro introduction and in the light of the then prevailing conditions and assumptions, the present developments had been foreseen, the common currency might not have seen the light of day or had been differently construed from the start. There were, at the time serious warnings by many economists, but they were simply dismissed.

Now we have to cope with the consequences and do our best to save and consolidate the Common Currency. Whether the measures agreed upon up to now will prove sufficient remains to be seen. Doubts are justified. The lesson to be drawn, however, is to avoid in future to embark on ambitious integration projects without providing the necessary political and institutional basis.

We observe similar phenomena and deficits in two other fields of integration and cooperation, though with less dramatic and obvious consequences as in the monetary sector.   The Union is about to build a world-wide and costly EU diplomatic service without having developed a comprehensive Common Foreign and Security Policy which would in fact deserve the adjective « common » and on which one could base common action. CFSP is still an aspiration, a positive and noble aspiration, but not yet a reality. One must hope that those are right who pretend that the sheer existence of this diplomatic service will serve as catalyst and stimulus for the gradual creation of a veritable, comprehensive Common Policy.

Another example might serve to illustrate consequences of not providing the necessary basis for common policies and actions. The Internal Market foresees the establishment of free movement of persons across the Union’s internal borders. However, logic tells us that an internally borderless Union demands common asylum and migration policies, since the free movement is not only a blessing for EU citizens, but also for legal and illegal migrants entering the territory of the Union.   The consequences of the lack of the above-mentioned common rules could lately be observed in the relations between Italy and France as well as between Denmark and Germany. They threaten to undermine the Schengen Rules and thus one of the most important achievements of integration.

All the above examples show the risks which the implementaion of integration policies and steps can have if they are not underpinned by a common agenda and a firm political will of all Member States, by a full awareness of the political and practical consequences, and if they are not based on the necessary institutional structures. The examples also explain the present crisis and difficulties the Union faces. Failing to draw the necessary lessons from past mistakes could lead to a further weakening of the confidence and committment of the European citizens to the European Project as such, and thus, in the long run, threaten its very political legitimacy.

My presentation must not be construed as pessimistic in outlook, but rather as an explanation of the present state of the European Union and the internal challenges it faces. The European project which, I repeat, has no desirable political alternative, and is too valuable not to be under permanent critical scrutiny. This is the only way to correct mistakes, consolidate the achievements, and preserve and strengthen the basis for future development.

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Die Bürger als Bürgen und die Kärntner als Griechen

04. Oktober 2011 01:00 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Feigheit und Orientierungslosigkeit der europäischen Politiker sind die Hauptursachen, weshalb die Schuldenkrise zu einem Schrecken ohne Ende ausartet. Die Politik verwirrt die Bürger Europas zugleich auch bewusst mit ständig neuen technischen Konstruktionen und Ideen: Ausdrücke wie Bailout, EFSF, EMS, Luxemburger Zweckgesellschaft, Troika, Hebeln, Haircut schwirren durch die Medien und Politikeraussagen. Dabei können keine drei Prozent der Wähler und höchstens zehn Prozent der darüber abstimmenden Abgeordneten mit diesen Ausdrücken wirklich etwas anfangen.

Es geht jedoch immer um dasselbe: um die exzessive Schuldenmacherei der Politik, um deren Unwillen und Unfähigkeit, damit Schluss zu machen, und damit zwangsläufig um ständig neue Gelder für die Schuldenstaaten.

Dieser Unwille und diese Unfähigkeit der europäischen Politik und Diplomatie haben schon bei Gründung des Euro einen besonders schweren Fehler ausgelöst:  Sie haben in ihrer Ignoranz auf funktionierende Regeln für den Fall der Insolvenz eines Staates verzichtet. Das aber wurde mit der Einführung des Euro zur Katastrophe. Daran hätte freilich in einer interdependenten und globalen Welt und besonders in einer Union auch schon vorher großer Bedarf gestanden. Der gleiche Bedarf besteht im übrigen auch in Hinblick auf die Insolvenz großer Banken, die ja angeblich „too big to fail“ seien.

Freilich hat man einen solchen Insolvenzmechanismus auch innerösterreichisch nicht zustandegebracht. Es gibt ihn zwar für Gemeinden, aber nicht für Bundesländer. Es ist – auch wenn das keine einzige Partei thematisiert – ein unglaublicher Skandal, dass die Kärntner Landesregierung heimlich, still und leise Haftungen von fast 20 Milliarden Euro für eine einzige Bank eingegangen ist, und dass dann in der Stunde der Not der gesamtösterreichische Steuerzahler dafür gerade stehen musste. Genauer gesagt: Er ist von der Bundesregierung dazu gezwungen worden.

Um sich die Größenordnungen in Erinnerung zu rufen: Kärntens gesamtes Budget weist Einnahmen von weniger als zwei Milliarden auf. Das ist also genau ein Zehntel der Haftungen für die Hypo Alpen-Adria! Das Land könnte allein diesen Haftungen (zu denen ja auch noch die „normalen“ Schulden kommen!) nur dann nachkommen, wenn es zehn Jahre lang keinen einzigen Beamten, Straßenarbeiter oder Krankenhausbediensteten zahlen würde, wenn es so lange weder Gas- noch Stromrechnungen begleicht, wenn es keine einzige Schule renoviert , wenn es keinerlei Sozialhilfe auszahlt, wenn es die Politiker sowieso leer ausgehen lässt, und wenn auch sonst alle Ausgaben gestrichen werden.

Gegen dieses Kärnten nehmen sich in der Relation sogar die Griechen als Meister der Haushaltsdisziplin aus.

Der einzige Unterschied: Während der griechische Ministerpräsident wenigstens die Schuld auf Vorgängerregierungen schieben kann (sofern er seine einstige Beteiligung als Minister an einer solchen Vorgängerregierung ignoriert), ist in Kärnten abgesehen vom Unfallselbstmord des Jörg Haider die schuldige Regierungsmannschaft unverändert im Amt geblieben. Ja, die Kärntner zeigen nicht einmal eine Spur von Schuldbewusstsein, sondern sie schieben Gott und der Welt die Schuld für ihr eigenes Handeln zu. Und den Restösterreichern die finanziellen Konsequenzen.

Jeden Firmengeschäftsführer würde ein solches Verhalten als vorsätzliche Krida vor den Strafrichter bringen. Die Politik ist jedoch immun dagegen, weil sie immer den Bürger zum Bürgen für die politisch entstandenen Bürden machen kann.

Was die Kärntner zwar nicht entlastet, sondern den Beobachter noch zusätzlich besorgt macht: Möglicherweise haben auch andere Bundesländer in ähnlichen Dimensionen hasardiert. Nur weiß man es dort (noch) nicht, weil es ja nicht einmal ein Register gibt, in dem jede Haftung einer öffentlichen Körperschaft kundgemacht ist. Auch bei den Kärntner hat man die Dimensionen der Haftungen ja erst nach dem Crash der Bank erfahren – und da nur zitzerlweise.

Zurück nach Europa: Auch dort wird bis heute kein ernsthafter Mechanismus aufgebaut, wie eine Staatsinsolvenz abgewickelt werden könnte.

Weil sie keinen solchen Mechanismus gebaut haben, haben die EU-Politiker heute sogar teilweise recht, wenn sie davon reden, dass eine Insolvenz Griechenlands ein teures Chaos anrichten würde. Daher findet sich – allen Warnungen vieler Experten zum Trotz – so wie dieser Tage in Deutschland und Österreich letztlich immer eine Mehrheit, die dann doch wieder den Großschuldenstaaten neues Geld zukommen lässt. Und die Sprüche, dass das nun wirklich die allerletzte Hilfe gewesen sei, glauben ja nicht einmal mehr die Parlamentsstenografen.

Was die europäischen Entscheidungsträger freilich ignorieren: Durch diese Hunderten Milliarden Euro ist das Ende mit Schrecken nicht abgewendet worden. Dabei belasten sie schon heute jeden Deutschen, Niederländer und Österreicher vom Baby bis zum Greis über Nacht mit Tausenden Euro zusätzlicher Schulden pro Kopf. Der scheinbar abgewendete Schrecken wird am Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit noch viel größer werden. Denn dann droht nicht nur Griechenland & Co die Insolvenz, sondern auch Deutschland und Österreich. Mitgegangen, mitgefangen.

Aber die Politik in ihrer Feigheit will das Chaos einer Pleite in einem der Euro-Länder möglichst hinausschieben. Zumindest über die nächsten Wahlen. Und Wahlen gibt es ja ständig irgendwo. Sie handelt dabei ähnlich wie dumme Aktionäre, die nur auf die Quartalsergebnisse eines Unternehmens schauen und nicht auf dessen  langfristigen Perspektiven. Oder wie ein Patient, der eine sicher schmerzhafte und riskante, aber notwendige Operation so lange hinausschiebt, bis es zu spät ist.

Die Politik handelt dabei entweder zynisch oder ahnungslos. Oder sie klammert sich irgendwie an die gesundbeterische Hoffnung, dass eine solche Pleite durch das viele Geld doch noch abgewendet werden könnte. Und dass dann – irgendwann – Griechenland, Irland, Portugal, Italien ihre Schulden zurückzahlen können.

Das erscheint aber schon aus folgendem Grund extrem unwahrscheinlich: Während Irland wirklich schon mit großer Effizienz spart, produzieren die anderen Schuldenländer trotz teilweise durchaus versuchter Sparmaßnahmen bis heute noch immer ein Primärdefizit. Das heißt: Sie verschulden sich auch dann noch ständig weiter, wenn man einmal – theoretisch – alle Zinsen, Annuitäten und Rückzahlungen alter Schulden außer acht lässt.

Wie kann man es da eigentlich von den viel ärmeren Bürgern der Slowakei verlangen,  gewaltige Summen für viel reichere Länder spenden zu müssen?

Glauben wir einmal für einen Moment den deutschen, österreichischen und niederländischen Politikern ihre Beteuerungen, dass die Griechen schon zurückzahlen werden. Wenn man ernsthaft daran glaubt, dann müsste man jedoch unbedingt auch den zweiten Schritt setzen.

Dieser wäre eine befristete Entmündigung von Regierungen und Parlamenten der Schuldenstaaten. Das bedeutet: Bevor ein Euro fließt, müsste eine Schuldenkommission der Gläubiger im betroffenen Land die Macht übertragen bekommen. Diese müsste über alle eher unwohl "wohlerworbenen" Rechte hinweg Beamte abbauen, Gehälter kürzen und Gesetze eliminieren können, die davon abhalten, dass jemand in Griechenland investiert und Jobs  schafft.

Das wäre gewiss eine Rosskur, aber sie wäre die einzige wirksame Hilfe, wenn man schon keine Insolvenzordnung hat. Die von Populisten und Linken daraufhin zu erwartenden Proteste müssten hingegen ignoriert werden. Nach 1945 haben in Mitteleuropa die Menschen auch nicht dadurch den Wiederaufstieg geschafft,dass sie gegen den Lebensstandard nahe dem Nullpunkt demonstriert oder gar unter Anleitung der Gewerkschaften gestreikt hätten. Die Gewerkschaften sind ja durch ihre überzogenen Lohnforderungen während des letzten Jahrzehnts von Griechenland bis Portugal die Hauptschuldigen an der Katastrophe geworden.

Natürlich werden die europäischen Regierungen zu feig sein, um diese Rosskur wirklich ernsthaft zu versuchen. Denn eine solche befristete Entmündigung kann natürlich auch in anderen Ländern passieren, wenn diese Schulden machen. Und dieses Risiko will natürlich kein Politiker eingehen. Dabei wäre es etwa auch für Österreich ein gewaltiger Segen, würde ein solcher Sparkommissar bisweilen eingreifen.

PS.: In Deutschland wird über all diese Fragen auf politischer, juristischer wie auch wirtschaftswissenschaftlicher Ebene wenigstens auf höchstem Niveau diskutiert. In Österreich hingegen nirgendwo.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Wie entwickelten sich die Lohnstückkosten in Europa?

30. September 2011 13:24 | Autor: Andreas Unterberger

Abweichung der Entwicklung der Lohnstückkosten vom Durchscnitt der Euro-Zone 2000-2008 und ab 2008 in Prozent

 

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Wollt Ihr den totalen Plan?

29. September 2011 03:42 | Autor: Andreas Tögel
Rubrik: Gastkommentar

In der Präambel des Entwurfs für den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) heißt es unter Punkt 3: „Die strenge Einhaltung des Rahmenwerks der Europäischen Union, der integrierten makroökonomischen Überwachung, insbesondere des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, des Regelwerks für makroökonomische Ungleichgewichte und der EU-Regeln zur wirtschaftspolitischen Steuerung sollen der erste Schutzwall gegen Vertrauenskrisen bleiben, die die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt berühren.“

Die Schlagzeile im Wirtschaftsteil der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 24. 9. 2011 lautete: „Kostspieliger Kampf der EZB gegen den Kontrollverlust.“ Die Balkenlettern im „Economist“ der Wiener „Presse“ vom 28. 9. 2011 melden: „EU droht Banken mit Enteignung“.

Überwachung, Steuerung, Sorge um Kontrollverlust, geplante Enteignung. Das sind die Phänomene, die gegenwärtig auf der Agenda der politischen Eliten Eurolands ganz oben stehen – allesamt Elemente einer sowjetischen Planwirtschaft. Die zitierten Begriffe gemahnen eher an das „Kommunistische Manifest“, als an die gedankliche Basis einer Union freiheitlich verfasster Gesellschaften. Wie viel tiefer kann die EU, deren Vorläufer als eine den Wohlstand der Nationen mehrende Freihandelszone begonnen hat, noch sinken?

Die im Zuge der „Eurorettung“ von den dafür verantwortlichen Ökonomen und Politikern gezeigte Inkompetenz spottet jeder Beschreibung. Die Nachrichten, die seit Offenbarwerden der elenden finanziellen Lage Griechenlands verbreitet wurden, bilden eine erhellende Dokumentation der Orientierungslosigkeit der maßgeblichen Akteure, sowie der von ihnen betriebenen Desinformation der Öffentlichkeit.

Ein Vergleich der bei Ausbruch der griechischen Finanztragödie getätigten Aussagen mit dem aktuellen Stand der Dinge macht sicher: Hier paart sich vollständiger Mangel an Einsicht in die der Krise zugrundeliegenden Ursachen mit dem Fehlen jeglicher Moral. Macht und Verantwortung voneinander zu entkoppeln, wie der Ausschluss jeder Haftung für persönlich schuldhaftes Fehlverhalten, hat unschöne Folgen. Dass nicht die für Verschuldungsexzesse politisch Verantwortlichen in den Schuldnerländern – und die für allzu sorglose Kreditvergaben Zuständigen in den Geberländern – zur zivil- und strafrechtlichen Verantwortung gezogen, sondern stattdessen unbeteiligte Steuerzahler enteignet werden, ist ein Signal, wie es verheerender nicht sein könnte.

Unschuldige für die Verfehlungen Dritter zu bestrafen, ist einer zivilisierten Gesellschaft unwürdig. Wer ernsthaft meint, mit einer derart zynischen Politik dem „Friedensprojekt Euro“ einen guten Dienst zu erweisen, hat nichts begriffen.

Wer nun fragt, wie es möglich ist, dass als Konsequenz des erwiesenen Scheiterns der Planungsbürokratien eine weitere Ausdehnung ihrer Entscheidungsbefugnisse – bis hin zur Enteignung redlich erworbenen privaten Vermögens – auf den Weg gebracht werden kann, ohne dass sich ein Sturm der Entrüstung erhebt; wer fragt, wieso die Herolde der Systemmedien, die sich ansonsten über jeden noch so unbedeutenden „Skandal“ wochenlang zu entrüsten pflegen, der anmaßenden, abgehobenen und katastrophal in die Irre führenden Finanzpolitik der Eurokratie kaum eine kritischen Bemerkung widmen; der sollte nicht aus dem Blick verlieren, dass die Politik auf der Ebene der einzelnen Wohlfahrtsstaaten nicht anders läuft.

Auch hier ist keine Rede vom Zusammenhang zwischen Rechten und Pflichten, Macht und Verantwortung. Kein „politisch Verantwortlicher“ haftet je persönlich für seine Fehler. Kein die Zukunft der Jungen durch exzessive Verschuldung verbauender „Sozialexperte“ steht je für die Folgen der von ihm betriebenen gewaltsamen Umverteilung von den Produktiven zu den Unproduktiven vor dem Kadi. Im Gegenteil: der Konsum – also der den Wohlstand mindernde Kapitalverzehr – wird geradezu als Tugend gepriesen – quer durch alle Parteien.

Das dem medizinischen Vokabular entlehnte Wort von einer möglichen „Ansteckung“ anderer Staaten durch die griechische Krankheit ist in aller Munde. Allerdings stellt die strikte Quarantäne des Kranken gewöhnlich die erste Maßnahme zur Unterbindung einer Infektion Dritter dar! Schließlich ist dem Patienten nicht damit gedient, wenn am Ende auch seine Pfleger dahinsiechen. Im Falle Griechenlands indessen soll das nicht gelten – man nimmt den Patienten besonders innig zur Brust – was prompt zum befürchteten Ergebnis der kollektiven Ansteckung führen wird. Anstatt das gefährliche Leiden durch Isolation des Betroffenen an der Ausbreitung zu hindern, wird die gesamte Eurozone planmäßig infiziert – durch einen „Rettungsschirm“, der in Wahrheit eher einer Bazillenschleuder gleichkommt.

Mittlerweile wurde immerhin ein Tabu gebrochen: Der bis vor wenigen Wochen von den Politbonzen ausgeschlossene „Haircut“ (eine euphemistische Bezeichnung für die teilweise oder vollständige Enteignung der Gläubiger Griechenlands), wird hinter gut gepolsterten Türen vorbereitet. Weshalb nicht der kürzlich von außerhalb der Nomenklatura eingebrachte Vorschlag eines Abtauschs neuer Kredite gegen Sicherheiten eingehend geprüft wird, ist schleierhaft.

Jeder Private hätte so vorzugehen – und es ist nicht einsehbar, weshalb das erprobte Muster nicht auch im Falle maroder Staaten funktionieren sollte. Über genügend attraktive – und entsprechend werthaltige „Assets“ – z. B. Eilande, Kulturgüter und Transportmittel, verfügt die Heimat des listigen Odysseus ja. Weshalb diese (oder die Rechte zu deren kommerzieller Nutzung) nicht als Faustpfand an die Gläubiger übertragen? Das wäre ein Weg, den zu beschreiten möglich wäre, ohne bestehende Eigentumsrechte zu verletzen, wie das bei einem „Haircut“ der Fall wäre.

Indessen sind die „Eurokraten“ viel zu sehr von ihrem Genie und der Realisierbarkeit ihrer Vorstellungen von einer zentral gelenkten Planwirtschaft überzeugt, um auch nur irgendeinem alternativen Gedanken ernsthaft näherzutreten. Hayeks 1944 gezeichneter „Weg zur Knechtschaft“ mutet unserer Tage an wie eine hochaktuelle Momentaufnahme.

http://www.n-tv.de/wirtschaft/kolumnen/Bloss-nicht-verkaufen-article3726876.html

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Unter die EU-Finanzdiktatur mit neuem „Anschluss“

27. September 2011 16:42 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

Unter dem harmlosen Titel „Zahlungsbilanzstabilisierungsgesetz“ findet mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP am 30. September der neue „Anschluss“ an eine Diktatur und die tiefgreifendste Änderung unserer Wirtschaftsverfassung statt, die überhaupt denkbar ist. Und das ohne Volksabstimmung und ohne Zustimmung der für eine Verfassungsänderung erforderlichen Zweidrittel-Mehrheit im Parlament. Eine Schande für unsere Demokratie!

Das ZaBiStaG verwandelt das Finanzministerium jetzt in eine Art Bank. Es darf Darlehen zu marktüblichen Zinssätzen in Höhe von zehn Milliarden Euro an andere Staaten vergeben, und das im Vorgriff auf den Haushalt. Außerdem wird das Finanzministerium zur Übernahme von Haftungen in Höhe von 15 Milliarden Euro ermächtigt. Beides ohne die banküblichen Sicherstellungen (wie etwa Finnland) zu verlangen. Durch dieses „Ermächtigungsgesetz“ nach faschistischem Diktaturmuster braucht es für die einzelnen Rettungsaktionen nicht einmal mehr die einfache Zustimmung des Parlaments. Das Haushaltsrecht, das Königsrecht des Parlaments, wird ausgehebelt.

Aber das ist längst nicht alles. Das ganze ZaBiStaG dient der Durchsetzung der Beschlüsse vom 21. Juli in Brüssel, die nicht mehr und nicht weniger zum Ziel haben, als die EU in eine Schulden-,  Haftungs-, Transfer- und Fiskalunion umzuwandeln. Auf hinterhältigste Weise wird genau das jetzt eingeführt, was bei der Gründung der Europäischen Währungsunion ausgeschlossen wurde.

Die Maastricht-Kriterien, welche die Stabilität des Euro sichern sollten, wurden gebrochen, und das schon bei seiner Einführung. Weder die Schulden- noch die Defizitgrenzen (sechzig bzw. drei Prozent) wurden eingehalten.

Defizite von 35 Prozent (Irland) wurden nicht mit Strafsanktionen belegt, sondern mit Krediten noch belohnt! In einer Nacht- und Nebelaktion wurde Anfang Mai 2010 die No-Bailout-Klausel, welche die Haftung- oder Schuldenübernahme ausschloss, weggewischt. Das für die Europäische Zentralbank bestehende Verbot der Finanzierung von Staatsdefiziten wurde trickreich umgangen. Die EZB stellt heute grenzenlos alle gewünschten Geldmengen zur Verfügung, die zur Staatsfinanzierung gebraucht werden.

Die Regelung für die ELA (Emergency Liquidity Assistance), ursprünglich für die ganz kurzfristige Behebung von Kreditklemmen gedacht, wird heute zur laufenden Finanzierung von Staatsausgaben und zur Staatsschuldenabdeckung in ungeahnten Höhen missbraucht (von Griechenland mit gleich 30 Milliarden!). Durch das Target 2-System, ursprünglich für den Zahlungsausgleich zwischen den Notenbanken vorgesehen, geschieht bereits die Vorwegnahme einer Transferunion. Deutschland hat an die 340 Mrd. Euro auf diese Weise „transferiert“ und die Geldmenge mit Unterstützung der EZB ausgeweitet. Die Importstaaten können ihre Importe mit Fiat-Money bezahlen!

Durch die am 21. Juli erfolgten Beschlüsse erhält der EFSF jetzt mehr “Flexibilität“, d. h. die bislang geltenden Bindung an strikte Programme, welche die Rückzahlung der Rettungskredite sicherstellen sollten, haben keine Bedeutung mehr.. Ponzi-Leverage-Schemata zur Aufblähung des EFSF, weit über die beschlossenen 780 Milliarden Euro hinaus, werden bereits vorbereitet. Wer nicht haushalten kann und überschuldet ist (Beispiel Griechenland), kriegt noch mehr Geld. Man wirft gutes Geld dem schlechten nach.

Auf die Schuldentragfähigkeit wird nicht mehr geachtet. Man verlässt sich auf die Witzgutachten der Troika von EZB, IWF und EU, jenen Parteien also, die unter allen Umständen den Zusammenbruch des Euro-Systems vermeiden wollen, weil sie sonst selbst Pleite anmelden müssten. Staatliche Schuldner, denen das Zahlen nicht möglich ist, brauchen erst in 30 Jahren ans Rückzahlen zu denken, wenn die Kapitalien durch die Inflation entwertet sind. Vereinbarte Zinsen werden ermäßigt oder und auf Jahrzehnte gestundet. Banken, die sich verspekuliert haben, bekommen neues Kapital vom EFSF. Schließlich darf man Banken nicht Pleite gehen lassen!

Wenn der Steuersäckel zu viele Löcher hat, wird er aus der unerschöpflichen EU-Quelle vorsorglich gespeist, damit ja keine unpopulären Maßnahmen getroffen werden müssen, welche ja die herrschenden Korruptionsparteien und damit die Demokratie gefährden könnten. Der Markt wird außer Kraft gesetzt. Dank der Garantien von Triple-A-Staaten kann sich der EFSF zu niedrigen Zinsen finanzieren und die Gelder an die PIIGS  zu wenig höheren Zinsen weiterreichen. Pleitestaaten zahlen dann etwa die gleichen Zinsen wie die Staaten mit Triple-A. Bei letzteren schnellen allerdings die Zinsen durch die Zusatzbelastungen in die Höhe. S&P steht bereits in den Startlöchern und wird demnächst sogar Deutschland und natürlich auch Österreich herabstufen. Ist es gleich Irrsinn, so hat das Ganze doch Methode!

Was aufregt, sind nicht einmal die einzelnen Maßnahmen, über die man diskutieren kann, ob sie für Österreich günstig oder nachteilig sind. Die Diskussion wird nicht einmal in Ansätzen seriös geführt. Das tumbe Volk wird sediert. Man begnügt sich mit Talkmaster-Shows zur Volksverdummung nach dem Muster Jauch-Merkel.

Aber auch das ist nicht das schlimmste. Wirklich übel wird einem von der Art und Weise, wie die grundlegenden Änderungen unserer Verfassung am Volk vorbeigeschmuggelt werden, obwohl hoch und heilig eine Volksabstimmung bei Änderung des Lissabon-Vertrags von Faymann und Co. vor  der Wahl versprochen wurde. 72 Prozent wünschen sich eine Volksabstimmung zur Griechenlandhilfe und zum „Rettungsschirm“, doch das wird ignoriert. Unsere politische Klasse regiert gegen das Volk.

Ist denn, so müssen wir uns jetzt fragen, unser ganzes politisches System nur mehr auf Lug und Trug aufgebaut? Ist es das, was wir gegen die faschistische Diktatur eingetauscht haben? Eine Demokratie, der Korruption und Betrug inhärent sind? Es wäre zum Verzweifeln. Der 30. September wird als Lostag in die Geschichte eingehen.

Dr. Friedrich Romig lehrte politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Er war  Europabeauftragter der Diözese St. Pölten  unter Bischof Krenn. Sein jüngstes Buch „Der Sinn der Geschichte“ ist 2011 im Regin-Verlag, Kiel erschienen.

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Noch ist Griechenland nicht verloren

27. September 2011 00:33 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die Überschrift mag angesichts der nun wohl unmittelbar bevorstehenden Pleite Griechenlands samt drastischem Schuldenschnitt überraschen. Aber gerade am Tiefpunkt kann es in Wahrheit nur noch aufwärts gehen. Vorerst noch unbemerkt von der ausländischen Öffentlichkeit, gibt es in Griechenland erste – erste! – Spuren einer Besserung. Denn so schlimm die Schulden und die längst unvermeidliche Staatspleite mit ihren gesamteuropäischen Folgen auch sind, so mies die griechischen Betrügereien auch sind: Das noch viel größere zentrale Problem des Landes ist die Mentalität der Menschen.

Diese Mentalität hat das Land ins Unglück gestürzt, und Schulden wie Pleite sind nur die Folge. Aber nun gibt es doch eine Reihe von Hinweisen, dass zumindest bei einem wachsender Teil der Griechen ein erstes Umdenken stattfindet. Sie spüren, dass der Weg der letzten Jahrzehnte an ein Ende angekommen ist.

Dieser Weg war vor allem einer der erfolgreichen Erpressung. Der Westen hat in den Jahren des Kalten Krieges auf Grund der aus Griechenland kommenden Signale immer wieder fürchten müssen, dass die Hellenen in den Kommunismus abgleiten oder zumindest die Nato verlassen und in einen antiwestlichen Neutralismus wechseln. Immerhin gab es in dem Land nach dem Weltkrieg einen blutigen Bürgerkrieg zwischen kommunistischen und prowestlichen Kräften.

Durch diese Erpressung haben die Griechen nicht nur die Aufnahme in die EU erzwungen. Sie haben auch zuerst den Amerikanern und dann den EU-Europäern viel Geld abgepresst. Sie haben dadurch auch ihre militärische Hochrüstung gegen die türkische Bedrohung im Konflikt um die Ägäis-Inseln sicherstellen können. Lassen wir dahingestellt, wie viel davon eine echte und wie viel eine übertriebene Bedrohung war. Tatsache ist jedenfalls, dass die Türken mit ihrer Invasion auf Zypern gezeigt haben, dass sie eine imperialistische Macht sind. Tatsache ist aber auch, dass die türkischen Einwohner Zyperns davor vielfältige Diskriminierung durch die dortigen (und von Athen unterstützten) Griechen erfahren hatten.

Erpressung war aber auch ein beliebtes innenpolitisches Machtinstrument. Mit regelmäßigen Streiks haben sich die Griechen wirtschaftlich nicht finanzierbare Lohnhöhen und soziale Ansprüche erkämpft, und versuchen all das heute noch so zu verteidigen. Knapp vor dem offenen Ausbruch der Schuldenkrise war Athen aber auch monatelang von Straßenunruhen linksradikaler Studenten lahmgelegt, denen die (damals konservative) Regierung und die Polizei unter dem Druck der linken Medien nach einem Todesfall nie energisch entgegenzutreten wagten.

Gleichzeitig haben es die Griechen nie verstanden, eine Industrie aufzubauen. Ausländische Investoren haben nicht nur die hohen Löhne und die vielfältigen sozialen Ansprüche griechischer Arbeitnehmer gescheut, sondern sich überdies immer als eher unerwünscht empfunden.

Das mag wohl auch mit griechischen Überlegenheitsgefühlen gegenüber allen Ausländern zu tun haben. Schließlich war das Land vor zweieinhalbtausend Jahren in der Philosophie, in der Mathematik, in der Architektur, in der bildenden Kunst, in der Dichtkunst, in der Entwicklung von Demokratie auf einem so hohen Stand, den andere Regionen Europas damals nicht einmal annähernd hatten, den diese zum Teil auch Jahrtausende später nicht erreichten. In mancherlei Hinsicht konnten sich die Griechen zu Recht als die Väter Europas ansehen – nicht nur in Hinblick auf die Wurzeln des Wortes Europa.

Diese unglaubliche Leistung der damaligen Griechen wurde aber für die späteren zum Ballast. Die Grundlage war weggefallen, aber das Überlegenheitsgefühl ist geblieben. Es äußerte sich etwa im hohlen Prunk des oströmischen Reiches, welches das römische um ein rundes Jahrtausend mehr schlecht als recht überlebte, bevor es von dem islamisch-osmanischen Vorstoß hinweggefegt wurde. Das nationale Überlegenheitsgefühl äußerte sich auch in der orthodoxen Religion, die in jedem Land mit ziemlichem Nationalismus verbunden ist, der im Fall Griechenlands noch durch den Ehrenvorrang der griechischen Orthodoxie übertroffen wird.

Die Geschichtsbücher sind voll von Beispielen, wie Nationen, die mehr oder weniger lang eine globale Führungsrolle hatten, nachher umso länger und tiefer abgestürzt sind. Portugal, Spanien, Rom sind die klassischen Beispiele. Aber auch Frankreich, Großbritannien und Russland haben bis heute Riesenprobleme beim Abstieg vom Gipfel der globalen Macht.

Dieses kollektivpsychologische Problem tritt naturgemäß bei Ländern nicht auf, die nie groß waren und die auch nie das gefährliche Glück eines Rohstoffreichtumes hatten: Finnland, Singapur, die Schweiz, Hongkong, Südkorea sind Länder, wo es den Menschen im Schnitt heute viel besser geht als im Rest der Welt. Auf diesem Weg sind heute auch Chinesen, Vietnamesen und noch etliche andere Länder unterwegs. Sie alle haben aus der Geschichte gelernt, dass nur der eigene Fleiß, die eigene Leistung dauerhaft entscheidend sind, und dass ihnen heute die globalisierte Weltwirtschaft auch die Chance bietet, die Früchte von Fleiß und Leistung zu konsumieren. Diese beiden Vokabel heißen auf Latein nicht ganz zufällig „industria“.

Zurück nach Griechenland: Die eigenen Unternehmer des Landes haben immer die Seefahrt, den Tourismus und Handel als interessanter empfunden denn die Industrie. Aber ganz ohne industrielle Wertschöpfung kann eine Wirtschaft nicht funktionieren. Vor allem wenn sie zusätzlich geplagt wird durch Nepotismus und Korruption, durch Steuerhinterziehung und Überbürokratisierung.

Vielleicht bin ich überoptimistisch, wenn ich die Signale einer ersten leichten Besserung zu sehen vermeine. Aber es gibt jedenfalls etliche Anzeichen, dass sich die Griechen nun erstmals intensiv und ehrlich um ausländische Investoren bemühen. Dass auch die Privatisierung nun endlich ernsthaft angegangen wird.

Das alles ist gewiss keine Entschuldigung für die griechischen Sünden. Und auch nicht für die vielen Fehler der Miteuropäer im Umgang mit dem Land, im sinnlosen wie teuren Hinauszögern der griechischen Pleite. Aber bei aller Tristesse sollten wir uns doch bewusst machen, dass ein so steiler Absturz auch die Grundlage für eine sehr gute nachfolgende Entwicklung sein kann.

Denken wir nur an Finnland: Das Land hat Anfang der 90er Jahre einen noch viel steileren Absturz erlebt als Griechenland derzeit. Das im BIP gemessene Volkseinkommen der Finnen schrumpfte damals um gewaltige 20 Prozent (Ursache war der Zusammenbruch der Sowjetunion, des bis dahin weitaus wichtigsten Handelspartners der Finnen). Aber genau dieser Schock hat die Finnen stärker gemacht. So wie das bei den Deutschen und Österreichern der Schock des absoluten Nullpunkts des Jahres 1945 nach drei Jahrzehnten voller Kriege, Not und Verbrechen getan hat.

Freilich lehrt die Geschichte auch, dass die Heilwirkung einer starken Krise nicht ewig anhält. Aber von dieser Sorge sind die Griechen ja vorerst noch wirklich sehr weit entfernt.

PS.: Dieser - vielleicht verzweifelt anmutende - Versuch, in der griechischen Krise auch so etwas wie eine positive Katharsis zu sehen, ändert nichts an der Notwendigkeit, die Pleite eindlich auch als solche zu bezeichnen. Und den Druck der internationalen Geldgeber aufrechtzuerhalten, dass die griechischen Spar- und Reform-Ankündigungen auch verlässliche Realität werden.

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Palästina: der Staat, der keiner ist

24. September 2011 01:01 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Nicht nur die österreichische, sondern auch die globale Politik ist voller sinnloser Scheinaktionen. Eine solche in Reinkultur ist wohl der palästinensische Antrag auf Anerkennung als Staat durch eine Aufnahme in die UNO. Aber ist diese Anerkennung nicht in Wahrheit längst fällig und ist es nicht bloß die Abhängigkeit der amerikanischen Politiker von jüdischen Wählern, die jetzt Barack Obama ein Veto dagegen einlegen lässt?

Zwar muss man diese doppelte Frage mit einem klaren Ja beantworten. Aber dennoch ist es in hohem Ausmaß auch Schuld der Palästinenser selbst, dass diese Anerkennung nicht stattfindet.

Schon die völkerrechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung eines Staates sind nicht wirklich gegeben. Denn dazu gehört ein klar definiertes Staatsgebiet und eine eindeutig erkennbare Staatsgewalt. Beides ist aber im Fall der Palästinenser nicht klar erkennbar, um es vorsichtig auszudrücken.

Was ist etwa mit dem von der Hamas besetzten Gazastreifen, der in keiner Weise unter der Kontrolle des nun bei der UNO aufgetretenen Palästinenserpräsidenten steht? Wo verläuft die Grenze des Palästinenserstaates zu Israel? Gehört auch Jerusalem dazu? Und hat nicht an jedem Punkt dieses Möchtegern-Staates der Palästinenser die israelische Armee auch weiterhin die Kontrolle, also die Staatsgewalt?

Nichts davon ist so geklärt, dass Palästina als Staat angesehen werden könnte.

Ganz unabhängig von den rechtlichen Fragen: Wer meint, dass der Nahe Osten einfach zu der Lage des Jahres 1967 zurückkehren kann, der irrt gewaltig. Ein halbes Jahrhundert lässt sich nicht einfach mit einer UNO-Abstimmung zurückrollen.

Gewiss muss man den Israelis den schweren Vorwurf machen, dass sie durch die vielen Siedlungen am Jordan-Westufer und durch vielfachen Landraub an palästinensischen Bauern jede Lösung noch viel schwerer gemacht haben.

Aber ebenso schwer wiegt der Vorwurf an die Palästinenser, dass sie in den letzten Jahrzehnten alle Chancen verstreichen haben lassen, bei schon sehr weit gediehenen Verhandlungen fast alles zu bekommen, was sie wollen. Aber die jeweiligen Führungen der Palästinenser, etwa auch der legendäre Jassir Arafat waren niemals wirklich kompromissfähig. Dazu kommt, dass der von Hamas kontrollierte Teil des nach Anerkennung strebenden Palästina nach wie vor nicht auf kriegerische Akte und das Ziel einer Vernichtung Israels verzichtet.  Niemand aber kann ausschließen, dass heute oder morgen diese Hamas im ganzen Palästinastaat die Macht bekommt.

Man muss den Israelis auch zugute halten, dass nicht sie es waren, welche mehrfach einen Aggressionskrieg begonnen haben. Sie wurden überfallen – haben aber zum Leidwesen der Araber alle Kriege gewonnen. Jetzt ist es schon mehr als einfältig, ja fast präpotent, wenn die Palästinenser so tun, als wären sie die Opfer, denen gefälligst jeder Wunsch zu erfüllen sei.

Dazu kommt, dass die Palästinenser auch in den Jahren seit 1967 nie in ihrer Gesamtheit gezeigt haben, dass sie sich zu einer friedlichen und gewaltfreien Nachbarschaft bekennen. Wer Frieden will und einen selbstangezettelten Krieg verloren hat, der sollte schon auch selber kompromissbereit sein.

Landkarte wie die Geschichte der letzten Jahrzehnte wie die aggressive arabisch-islamische Rhetorik insbesondere der letzten Monate lassen es als durchaus klug und berechtigt erkennen, dass die Israelis einen Friedensvertrag an sehr konkrete Sicherheitsregeln knüpfen wollen. Sie folgen damit ihrer obersten staatlichen Existenzregel: Die Araber können so viele Kriege verlieren, wie sie wollen, Israel keinen einzigen, weil es danach kein Israel mehr gibt.

Jerusalem, die lange geteilte, aber längst wieder voll zusammengewachsene Stadt, ist bei allen Friedensbemühungen sicherlich das Hauptproblem. Dabei ist in Wahrheit völlig klar: Nur eine Neutralisierung unter internationaler Teilnahme kann eine gute Lösung für die Stadt bedeuten. Sie ist nicht nur zwei Völkern, sondern auch allzu vielen Religionen heilig.

Warum aber hat Palästinenserpräsident Abbas trotz aller erkennbarer Aussichtslosigkeit den Schritt nach vorne gemacht? Das Motiv ist klar: Er musste zweifellos endlich Tatkraft zeigen, da er sonst bald von der radikalen Hamas hinweggefegt worden wäre. Die palästinensischen Wähler sind nämlich seiner korrupten Gefolgschaft ohnedies schon ziemlich überdrüssig. Außerdem haben die diversen nordafrikanischen Umstürze des letzten Jahres die Erwartungshaltung der arabisch-islamischen Massen radikalisiert. Eine gewisse Mitschuld hat aber auch US-Präsident Obama. Er hat lange durch allzu blauäugige Signale bei den Arabern den Eindruck erweckt, dass Israel den wichtigsten Verbündeten verloren hat.

Vieles deutet jedenfalls darauf hin, dass Mahmud Abbas einen schweren Fehler begangen hat. Dennoch gibt es auch eine kleine dialektische Chance, dass aus diesem Fehler doch noch etwas Sinnvolles entstehen könnte: Wenn Abbas sich durch seinen Vorstoß innerpalästinensisch freispielen, zum anerkannten Führer werden könnte – dann hätte er vielleicht auch mehr Spielraum zu Kompromissen als heute.

PS: Ein schmerzhaftes Randphänomen der Palästina-Story ist, dass die EU wieder einmal zu keiner klaren und kraftvollen Linie imstande ist. Das ist übrigens auch Österreich nicht. Dieses hat als einzige 'Linie', dass es für die EU-Linie ist. Die gibt es aber leider nicht. Und zu deren Findung kann das Land angesichts der außenpolitischen Schwäche aller drei nach New York gejetteten Führungsmänner auch absolut nichts beitragen.

 

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Auf zum Sieg der Lemminge!

22. September 2011 05:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Das Parlament gehört gehört,
entschieden höchste Richter –
wohl wissend, so ein Sprüchlein stört
kein Rettungsschirmgelichter.

Beim Abgang Starks, so stark der schien,
war auch man kaum betreten
und ließ ihn seiner Wege ziehn,
den Untergangspropheten.

Doch lästig war der Widerstand
vonseiten dieser Finnen:
Fürs Bare wollten sie ein Pfand –
ein Zeichen, dass die spinnen.

Ja, ein Slowake meinte dann,
dass eine Schuldenkrise
man nicht durch Schulden lösen kann –
welch Häresie, welch miese!

Ein nationaler Einzelgang
ist aber klar zu ächten,
weil hinderlich dem Rettungsdrang
der Guten und Gerechten.

Und wird’s vielleicht mal wirklich eng,
gibt’s ohnedies Chinesen,
die weltweit schon seit Onkel Deng
stets hilfsbereit gewesen!

Am Ende wagt es keiner mehr,
sich an die Stirn zu tippen,
und so marschiert das Lemmingheer
zum Endsieg Richtung Klippen.

Dort werden höflich ihrerseits
die Leerer aller Kassen
– wie abzusehen ist bereits –
den andern Vortritt lassen…

Pannonicus

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Die Lust an der Macht als Antrieb Europas

20. September 2011 00:36 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die Stimmung in vielen europäischen Ländern weht der Europäischen Union immer stärker ins Gesicht. Spricht man hingegen mit europäischen Beamten, Diplomaten oder Politikern, dann gehen diese sofort in den Gegenangriff auf die Kritiker. Eigene Fehler sieht man höchstens im schlechten Marketing. Dabei übersehen sie völlig die zwei zentralen Fehlentwicklungen im Europa der letzten 15 Jahre – diese haben interessanterweise bald nach dem österreichischen Beitritt angefangen.

Der eine Kardinalfehler ist in den letzten Monaten schon oft diskutiert worden: Es war die völlig falsche Reaktion auf die Schuldenkrise, in der man wie im Kommunismus glaubt, es sei richtig, jede Insolvenz zu verhindern, jedenfalls bei Staaten, aber auch bei großen Autokonzernen und Banken. Diesem Fehler sind schon bei der Gründung des Euro und in seinen ersten Jahren viele andere vorausgegangen: mehr als 60 ungeahndete Verletzungen des Stabilitätspaktes, Aufnahme ungeeigneter Länder in den Euro-Raum, Fehlen eines Insolvenzrechts für Staaten, die ungerechtfertigte Bevorzugung von Staatsanleihen durch die Basler Abkommen. Das alles ist mittlerweile – außerhalb der EU-Gremien – ja fast schon Allgemeinwissen.

Die zweite katastrophale Fehlentwicklung der Union lässt sich mit „schädliche sozialtechnokratische Überregulierung“ überschreiben. Sie wird jedoch in den Medien erstaunlich wenig diskutiert.  

Ihr Kern: Während die Entwicklung und Verteidigung des europäischen Binnenmarktes eine der stolzesten Leistungen der europäischen Nachkriegspolitik gewesen ist und bleiben sollte, hat man seit den 90er Jahren unter schwachsinnigen Schlagwörtern wie „Europa der Bürger“ begonnen, diese Bürger mit immer mehr Regeln einzuengen. Die Grünen, die einst den sinnvollen und positiven ökonomischen Teil der EU heftig bekämpft hatten, sind in einem Strategiewechsel (If you can't beat them, join them) proeuropäisch geworden. Und sie haben es postwendend mit großem Erfolg geschafft, die Union zu unterwandern und mit Hilfe der Sozialdemokraten zu ihrem Instrument zu machen. Wobei aber weder Konservative noch Liberale ernsthaft versucht haben, dem entgegenzutreten. Die Rechtspopulisten wieder sind zu keiner differenzierenden Analyse imstande und untereinander so zerstritten, dass sie erst recht kein Gegengewicht bilden.

Die Liste der überregulierenden Untaten der EU reicht vom Rauchverbot über die CO2-Absurditäten bis zum Glühbirnendebakel. Auch die Migrantenlobby hat es mittlerweile verstanden, die Union zu instrumentalisieren. Das ohnedies von Zuwanderern über jedes verträgliche Ausmaß hinaus überschwemmte Deutschland wird nun durch ein Vertragsverletzungsverfahren gezwungen, die Zuwanderungsschranken noch mehr zu öffnen: Brüssel verlangt weitere Erleichterungen beim Zuzug auch weiter entfernter Verwandter oder beim Zuzug homosexueller Lebenspartner. Die linksliberale Kommissarin Palmström will überhaupt den Staaten die Kompetenz zur Regulierung der Zuwanderung nehmen, und zwar ganz offensichtlich, um die Tore als Endergebnis noch weiter zu öffnen.

Lauter grandiose Ideen, um die Union bei den Bürgern noch unpopulärer zu machen. Und sie tragen zugleich grandios dazu bei, das Ego von EU-Beamten und Politikern noch mehr aufzublasen.

Ähnlich kontraproduktiv war gegenüber Österreich das vom EU-Gerichtshof ausgesprochene Verbot, Studenten aus Deutschland hierzulande genauso zu behandeln, wie sie in Deutschland behandelt werden. Österreich hatte bis dahin eine funktionierende Handhabe gegen Flüchtlinge vor dem deutschen Numerus clausus. Dieser vergibt ja die limitierten Studienplätze streng nach den Abiturnoten und der Qualität der Schulen in den einzelnen Bundesländer (was bei den fast wertlosen Abschlüsse von Gesamtschulländern einen anderen für die Zulassung notwendigen Notenschnitt ergibt als etwa in Bayern mit seinen guten und strengen Schulen).

Bis zum EuGH-Urteil konnte keiner jener Maturanten nach Österreich flüchten, der in Deutschland nicht gut genug war, um Medizin oder ein anderes dort limitiertes Studium zu ergreifen. Das ist ein logisches und gerechtes Prinzip, das Österreich nicht nur vor einem unfinanzierbaren quantitativen Ansturm geschützt hat, sondern auch in qualitativer Hinsicht vor dem Import einer negativen Auslese der deutschen Studienanfänger mit schlechten Schulnoten.

Der EU-Gerichtshof sah das anders und erklärte die Anwendung des Numerus clausus für europarechtswidrig – allerdings nur die Anwendung in Österreich, nicht jene in Deutschland. Dementsprechend ist auf vielen österreichischen Unis Deutschdeutsch fast schon die dominierende Sprache.

Auch jene Beschränkungen durch ein kompliziertes Ausländer-Quotensystem, die Österreich dann später doch einzuführen gewagt hat, können jederzeit durch ein neuerliches Urteil dieses Gerichts gekippt werden. Zwar hat die EU-Kommission zugesagt, dass sie befristet diese Quoten tolerieren wird. Aber ganz unabhängig von der Kommission kann jeder Deutsche die Republik klagen, der wegen dieser Quote nicht in Österreich studieren darf, – und er hat gute Chancen zu gewinnen. Denn der Gerichtshof ist vorsichtig ausgedrückt sehr selbstbewusst.

Nur der Vollständigkeit halber: Die Schweizer können natürlich weiterhin für jeden deutschen Studenten den Numerus clausus anwenden.

Worte wie Freiheit, Subsidiarität, Vielfalt sind in der EU in den letzten Jahren nur noch für die Sonntagsreden gut. Während der Woche ist aber der Machtrausch zu verführerisch, wenn man die Möglichkeit hat, das Leben von 500 Millionen Menschen viel enger zu regulieren, als es die Nationalstaaten bisher geschafft haben. Machtrausch und Überregulierungswahn müssen freilich am Ende immer schief gehen, auch wenn die Absichten noch so edel und rein gewesen sein mögen. Und das ist sehr schade angesichts der ursprünglich großen und friedenstiftenden Leistung, einen gesamteuropäischen Binnenmarkt zu schaffen.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Rätsel gelöst

16. September 2011 20:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Viele blitzgescheite Leute
– oder etwa dumme auch? –
folgen fast fanatisch heute
einem kuriosen Brauch.

Nämlich alles abzukürzen –
in der Überzeugung meist,
Sprache solcherart zu würzen,
zu bereichern, wie es heißt.

Einer steht bei solchem Motto
aber jeweils da verdutzt –
der Normalverbraucher Otto,
selber auf O.N. gestutzt!

Grade hört er allerorten
ESM – und was das sei
in Normalverbraucherworten,
rätselt deshalb er dabei.

Also mal am Stammtisch fragen –
nun, das E führt bald zum Schluss,
dass es sich in unsern Tagen
um den Euro drehen muss.

Mit SM ist’s nicht so simpel –
hat’s mit Handy was zu tun?
Dient’s vielleicht zum Fang der Gimpel?
Ist dagegen wer immun?

Einer kann SM erklären
und sogar noch haargenau,
schaut er ja in allen Ehren
irgendein Bezahl-TV!

Nun kapiert man in dem Kreise
diesen ESM fürwahr –
und in lapidarer Weise
wird die eigne Rolle klar:

Trotz notorisch leerer Kassen
zahlen wir in dem Verein,
um missbrauchen uns zu lassen
und beschimpfen obendrein!

Nationaler Masochismus
– schließt am Heimweg Otto scharf –
ist wohl auch der einzge Ismus,
welcher national sein darf…

Pannonicus 

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Endspiel um Griechenland

13. September 2011 23:42 | Autor: Klaus R. Kastner
Rubrik: Gastkommentar

Das Endspiel hat begonnen. Selbst wenn Griechenland die Auszahlung der nächsten Tranche aus Paket I schafft und selbst wenn Paket II bewilligt wird, kann es die Vorgaben von EU und IWF auf Dauer nicht erfüllen, weil seine Wirtschaft darnieder liegt und weil noch keinerlei Maßnahmen erkennbar sind (weder seitens Griechenlands noch seitens der EU), wie man die Wirtschaft wieder in Gang bringen möchte.

Es fehlt ein industriepolitischer Entwicklungsplan, wie man eine Volkswirtschaft von einer verkrusteten und korrupten Freunderlwirtschaft in eine wertschöpfende Marktwirtschaft „drehen“ kann. Das ist kein Projekt für ein paar Monate oder zwei bis drei Jahre; das ist ein Generationenprojekt und muss entsprechend langfristig angelegt werden.

Volkswirtschaftler haben errechnet, dass Griechenland seit Einführung des Euro gegenüber Deutschland um circa vierzig Prozent teurer geworden ist. Die internationale Kaufkraft des griechischen Euro ist jedoch dieselbe geblieben wie jene des deutschen Euro. Somit hat Griechenland Produkte und Dienstleistungen in dramatischen Dimensionen im Ausland gekauft, statt sie selbst herzustellen. Die griechische Wirtschaft hatte ihr Geschäftsmodell schon vor Beginn der Finanzkrise verloren: Mit achtzig Prozent Dienstleistungen wurde sie eine Zombie-Wirtschaft, wo man sich gegenseitig Souvlaki zu erhöhten Preisen verkaufte und mit Geld, das man sich im Ausland borgte, bezahlte.

Von 2001-10 importierte Griechenland 446 Mrd. EUR und exportierte nur 146 Mrd. EUR. Trotz Rezession (sinkende Importe; sogar steigende Exporte) decken Exporte nach wie vor nur 40-45 Prozent der Importe (in den USA sind es 78 Prozent in Italien sogar 93 Prozent). Das Leistungsbilanzdefizit summierte sich in diesem Zeitraum auf 199 Mrd. EUR! Dieser Luxus der Wirtschaft wurde mit den Spareinlagen anderer Länder finanziert.

Von 2001-10 sind Griechenlands Auslandsschulden von 121 Mrd. EUR auf 409 Mrd. EUR gestiegen; das ist eine Netto-Erhöhung um 288 Mrd. EUR! Ganz wesentlich ist aber, dass die Auslandsschulden des Privatsektors (212 Mrd. EUR) höher sind als jene des Staates (187 Mrd. EUR). Selbst wenn man Griechenland alle seine Staatsschulden erlassen würde und wenn der Haushalt ausgeglichen werden könnte, wäre das Problem der Wirtschaft nicht gelöst.

Die griechische Wirtschaft „verbrennt“ Geld. Als Leistungsbilanzdefizit werden heuer mindestens 25 Mrd. EUR aus dem Bankensektor abfließen. Dazu kommt noch die Kapitalflucht von weiteren 25 Mrd. EUR (inoffizielle Schätzung). Bisher hat die EZB dieses „Loch“ im Bankensektor gefüllt. Man führe sich vor Augen, dass die EZB Steuerzahlergeld nach Griechenland schickt, damit wohlhabende Griechen ihr eigenes Geld – ganz legal via Bankkonten – ins Ausland überweisen können und damit die Wirtschaft massiv importieren kann, statt Produkte selbst herzustellen! Wie lange wird die EZB das noch machen können? – Derzeit hat sie bereits geschätzte 100 Mrd. EUR an den griechischen Bankensektor verliehen!

Griechenland ist zwar kein Fass ohne Boden, jedoch ein Fass mit drei großen Löchern: Haushaltsdefizit, Leistungsbilanzdefizit und Kapitalflucht. Beim Haushaltsdefizit wurden bereits (an und für sich sehr beeindruckende) Maßnahmen umgesetzt, aber viel ist noch zu tun. Solange man aber nicht das Leistungsbilanzdefizit und die Kapitalflucht in den Griff bekommt, hat Griechenland keine Chance.

Ein industriepolitischer Entwicklungsplan muss darauf abstellen, dass das Leistungsbilanzdefizit reduziert und dass die Kapitalflucht gestoppt wird. Von Exporten ist keine rasante Steigerung zu erwarten, weil Griechenland (noch) nicht sehr viel zum Exportieren hat. Auch die Einkünfte aus dem Tourismus wird man nicht rasant steigern könnten, weil sie bereits hoch sind und weil Griechenland – objektiv betrachtet – auch hier nicht wirklich wettbewerbsfähig ist (der griechische Tourismus lebt vom Kult).

Somit verbleiben als letzte Stellschrauben nur mehr Importe und Kapitalflucht, diese beiden stellen jedoch ganz große Stellschrauben dar. Importe müssen drastisch eingedämmt und soweit wie möglich mit Inlandsproduktionen substituiert werden. Und die offizielle Kapitalflucht via Bankkonten muss ganz einfach gestoppt werden.

Zurück zur Drachme?

Würde Griechenland Euroland verlassen und zur Drachme zurückkehren, dann würde all dies von selbst geschehen und zwar rasch: die neue Drachme würde 30-40 Prozent abwerten (mindestens!) und die Importe (und zwar alle Importe!) würden analog teurer werden. Kapitalflucht via Bankkonten gäbe es keine, weil dem Bankensektor die notwendigen Devisen fehlen würden. Ein Euro-Austritt – noch dazu ein ungeordneter – wäre jedoch im jetzigen Chaos wohl das größte von allen Übeln. Außerdem würden die Finanzvermögen der Griechen über Nacht um 30-40 Prozent entwertet werden. Bye, bye sozialer Friede!

Wenn ein Euro-Austritt das größte von allen Übeln ist und wenn Griechenland es mit der jetzigen Euro-Struktur nicht schaffen kann, dann muss Griechenland mit dem Euro – zumindest vorübergehend – eine Situation simulieren, als wäre es zur Drachme zurückgekehrt!

Vorübergehende Maßnahmen: Sonderabgaben auf Importe, die die Importe insgesamt um 30-40 Prozent verteuern (allerdings gestaffelt nach Priorität; z. B. null Prozent für lebenswichtige Güter und 100 Prozent für Luxusgüter); selektive Freihandelszonen, wo international wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit neue Produktionen für die Importsubstitution aufgebaut werden können; und Kapitalkontrollen.

Damit würde man EU-Verträge verletzen (freier Güter-/Kapitalverkehr), aber Verträge kann man – vor allem vorübergehend – ändern. Ein Notstand erfordert Notstandsgesetze. Es ist für die EU allemal vorteilhafter, vorübergehende Ausnahmeregeln zu bewilligen, damit sich Griechenland in eine wertschöpfende Wirtschaft entwickeln kann, statt Steuerzahlergeld nach Griechenland zu schicken, um eine Zombie-Wirtschaft am Leben zu erhalten.

Ein neues Investitionsgesetz im Verfassungsrang muss gemacht werden, das dem Investor alle jene international wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen zusichert, die er sich wünscht. Die EU sollte dieses Gesetz garantieren, damit die Investoren kein politisches Risiko tragen müssen.

Der Investor findet ein wirtschaftliches Nirwana vor: er kann wettbewerbsfähig produzieren und er hat bereits einen Absatzmarkt. Und Sicherheit hat er auch.

Vermögende Griechen verfügen über Hunderte Mrd. EUR auf Bankkonten im Ausland. Das neue Investitionsgesetz muss darauf zielen, dass zumindest ein Teil dieser Gelder freiwillig nach Griechenland für Investitionen fließt. Griechen sind gute Geschäftsleute und erkennen Geschäftsmöglichkeiten rasch. Warum sollten vermögende Griechen in der Schweiz zwei Prozent verdienen wollen, wenn sie mit Investitionen in Griechenland bei gleicher Sicherheit ein Vielfaches davon verdienen könnten?

Warum selektive Freihandelszonen und nicht gleich das ganze Land? Weil man die ganze Wirtschaft eines Landes nicht auf einmal von A-Z umstrukturieren kann; das ergäbe eine Revolution. Stattdessen muss man hoffen, dass die Freihandelszonen gut funktionieren und dass im Zuge der Jahre die dortigen Rahmenbedingungen auf den Rest der Wirtschaft abfärben.

Oberste Priorität müsste sein, dass die Geschäftsgebarung in diesen Freihandelszonen absolut korrekt ist. Sollte sich auch dort das „griechische Wesen“ durchsetzen (Steuerhinterziehung, Korruption), dann müsste man das Projekt von Anfang an als gescheitert betrachten. Begleitmaßnahmen (anerkannte Wirtschaftsprüfer; möglicherweise sogar EU-Inspektionen) müssten gewährleisten, dass das griechische Wesen nicht Einzug halten kann.

Das große Risiko bei Importkontrollen ist, dass dieser Schutz vom Inlandshersteller missbraucht wird. Angenommen, eine importierte Zahnpastatube kostet einen Euro und die neuen Rahmenbedingungen in den Freihandelszonen ermöglichen es dem Investor, zu diesem Preis profitabel zu wirtschaften. Nehmen wir weiter an, dass die Sonderabgaben für importierte Zahnpastatuben vorübergehend mit 100 Prozent festgelegt werden, damit der Investor sein Geschäft aufbauen kann. Somit würde die importierte Zahnpastatube zwei Euro kosten. Die Gefahr ist, dass der gewitzte griechische Unternehmer dann seine Zahnpastatube um 1,99 EUR verkauft.

So kann das nicht funktionieren! Die Freihandelszonen haben zum Ziel, dass in Griechenland eine nachhaltige Inlandswertschöpfung aufgebaut werden kann. Sie sind nicht dazu da, dass ein gewitzter Unternehmer wettbewerbsfähig produzieren und zum doppelten Preis verkaufen kann. Die Benchmark muss immer der internationale Preis sein.

All das klingt stark nach Planwirtschaft, ist es aber nicht. Es hängt von der Gestaltung des Investitionsgesetzes ab, dass es keine Planwirtschaft wird. Wenn das Gesetz dem Investor ein interessantes Verhältnis Risiko/Ertrag gewährleistet, dann wird der Investor von selbst kommen.

Vorbilder in Lateinamerika

Chile hatte Ende der 1970er Jahre gezeigt, dass ein gutes Investitionsgesetz eine vormalige kommunistische Planwirtschaft in kürzester Zeit zum „Darling“ von internationalen Investoren „drehen“ kann. Warum sollte das Griechenland nicht auch gelingen? Argentinien hat in den letzten Jahrzehnten mehrere Stabilitätspläne gemacht, die dann auch jeweils eine Zeit lang funktionierten. Auslandsvermögen kamen immer rasch ins Land zurück und beschleunigten die Erholung. Beim Auftauchen der ersten Wolken am Wirtschaftshimmel verflüchtigten sie sich wieder. Der „Trick“, den Griechenland schaffen muss, ist, dass die Auslandsvermögen der Griechen nachhaltig im Land bleiben.

Die Regierung muss dafür sorgen, dass zahlreiche Investitionsmöglichkeiten – mit Business Plänen – ausgeschrieben werden. Wenn von geschickter PR-Arbeit begleitet, könnte es sogar gelingen, dass ein „Run“ auf diese Investitionsmöglichkeiten entsteht (nach dem Motto: „treten wir ein, bevor die Türe wieder zugemacht wird“).

Das griechische Staatsschuldenproblem wurde hier bewusst nicht angesprochen, weil es im Vergleich das einfachere Problem ist. Das Staatsschuldenproblem kann man mit ein paar Hundert Leuten in einem Konferenzsaal lösen (solange sich alle einigen). Einen industriepolitischen Entwicklungsplan zu erarbeiten und erfolgreich umzusetzen, das erfordert die besten Köpfe nicht nur Griechenlands, sondern von ganz Europa.

Wenn es aber einmal einen industriepolitischen Entwicklungsplan gibt, dann ist das Staatsschuldenproblem wesentlich einfacher zu lösen, weil die Geldgeber die Hoffnung haben dürfen, dass es doch wieder Licht am Ende des Tunnels geben könnte.

Klaus R. Kastner

Vier Jahrzehnte Bankmanagement in sechs Ländern (Österreich, Deutschland, England, USA, Chile, Argentinien), davon 1980-87 in Chile/Argentinien als Country Manager vor Ort einer der größten amerikanischen Gläubigerbanken; Studien an Harvard und INSEAD; derzeit in Griechenland tätig.

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Wie man den Euro noch retten könnte

13. September 2011 00:53 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Dass nun schon der zweite führende Mann in der Europäischen Zentralbank seinen Posten hingeschmissen hat, ist wohl mehr als geeignet, Panik und Furcht um unser Geld und um Europa zu entfachen. Die diversen politischen Beschwichtigungsversuche verlieren endgültig ihre Glaubwürdigkeit, ebenso wie die hinterhältige Strategie, jeden Kritiker der EZB-Politik entweder als hoffnungslosen Hinterwäldler oder gar als Rechtsradikalen zu denunzieren.

Seit eineinhalb Jahren druckt die EZB de facto ungedeckt Geld, um das konkursreife Griechenland zu retten. Sie lässt sich auch jetzt nicht von einer Fortsetzung dieser Praxis abbringen, obwohl alle nach Athen entsandten internationalen Inspektoren einig sind, dass die Griechen ihre Sanierungspolitik nur halbherzig betreiben und null Aussicht auf Sanierung besteht. Es wird weder ausreichend gespart noch zügig privatisiert.

Der Euro entpuppt sich immer mehr als Konstruktion, mit deren Hilfe vor allem die Mittelmeerstaaten ihre Schuldenwirtschaft über ein Jahrzehnt lang völlig ungestraft fortsetzen konnten. Und auch jetzt bleibt die Strafe aus, obwohl die Gläubiger jedes Vertrauen in die Zahlungskraft jener Staaten zu verlieren beginnen. Selbst wenn derzeit Portugal und Griechenland im Zentrum stehen, ist der Hauptschuldige Frankreich. Denn nur Paris war immer wieder imstande, die (sich vor der Nazikeule fürchtenden) Deutschen auf diesen halsbrecherischen Kurs zu zwingen. Und niemand anderer als die Franzosen stellen sowohl den EZB- wie auch den IWF-Präsidenten, haben aber selbst eine mehr als ungesunde Finanzpolitik.

Die beiden deutschen Rücktritte aus der EZB sind nun ein wichtiges Signal, dass in Deutschland ein Umdenken auf breiter Front eingesetzt hat. Gewiss erfolgt das eineinhalb Jahre zu spät und ist etliche Hunderte sinnlos eingesetzte Milliarden teurer, als hätte man gleich den Griechen ein konsequentes Nein gesagt. Aber immer gilt: Besser spät als gar nicht.

Angela Merkel und Wolfgang Schäuble waren bei Ausbruch der Schuldenkrise ganz offenbar überrascht und überfordert, aber Schritt für Schritt haben sie sich den Realitäten und einem besseren Verständnis für ökonomische Zusammenhänge angenähert. Freilich müssen sie unbedingt noch etliche Schritte auf diesem Weg gehen. Der deutsche Bundespräsident Wulff etwa hat die beiden mit seiner überdeutlichen Absage an weitere Schulden jedenfalls schon weit überholt.

Auch in einigen anderen Staaten, die noch(!) die AAA-Kreditwürdigkeit haben, hat der Blick in das europäische Fass ohne Boden scharfe Abwehrreaktionen ausgelöst. Das gilt für die Niederlande und Finnland (auch unter dem Druck erfolgreicher Rechtsparteien). Das gilt nicht für Luxemburg (das ob seiner eigenen Kleinheit und seines Reichtums immer auf der sicheren Seite ist).

Und das gilt auch nicht für Österreich. Hier ist das Fehlen jeder kritischen Debatte der europäischen Schuldendiskussion geradezu erschütternd. Jetzt rächt es sich, dass Österreich ein ökonomisches Leichtgewicht wie Ewald Nowotny in die Nationalbank gehievt hat, dass Bundes- wie Vizekanzler ökonomisch ahnungslos sind. Und dass auch die Finanzministerin keineswegs eine Finanz- oder Makro-Ökonomin ist; sie ist zwar ein politisches Schwergewicht, aber bis vor wenigen Monaten mit ganz anderen Themen befasst gewesen. Sie muss sich erst komplett einarbeiten und versuchen, wenigstens ihre Partei schrittweise umzupolen.

Die EZB hat schon das Wichtigste verspielt, was eine Währung braucht, nämlich Vertrauen. Die Hauptschuld liegt aber bei der Politik zum Zeitpunkt der Euro-Einführung. Erstens hat man in sträflicher EU-Euphorie auch Staaten aufgenommen, die schon bei der Geburtsstunde die festgesetzten Kriterien meilenweit verfehlt haben. Zweitens hat man keinen Durchgriffs-Mechanismus einer europäischen Wirtschaftsregierung gegen Schuldensünder entwickelt. Statt dessen hat man – drittens – die Sünderländer mit zu Richtern über sich selbst gemacht. Und viertens hat man überhaupt auf das Allerwichtigste vergessen, nämlich die Vorgangsweise zu regeln, wenn ein Staat insolvent ist (auch wenn man objektiverweise hinzufügen muss, ein solches Konkursrecht fehlt auch in Österreich gegenüber überschuldeten Bundesländern).

Der Katzenjammer ist groß und die Wahrscheinlichkeit eines zweiten Höhepunkts der großen Weltwirtschaftskrise wächst. Der sich in allen Konjunkturkurven als Tiefpunkt darstellen wird. Niemand weiß,  ob das drohende „W“ dieser Kurve jemals auch seinen letzten Aufwärtsstrich erreichen wird, oder ob die Kurve am zweiten Tiefpunkt hängen bleibt.

Was aber jetzt tun? Es hat wenig Sinn – so verlockend der Gedanke auch für viele sein mag –, jetzt den Euro-Raum zu zertrümmern. Das wäre fast genauso schädlich wie das unbekümmerte weitere Durchfüttern der diversen europäischen Schuldenmacher.

Weiteres Durchfüttern im Gegenzug für vage Versprechungen würde – im Gegensatz zu manchen oberflächlichen Berechnungen, die in den letzten Tagen abgedruckt wurden, – zwar kurzfristig tatsächlich den Schmerz lindern, aber langfristig am teuersten kommen. Denn dann schlägt das Phänomen des Moral hazard am heftigsten zu: Viele Regierungen (die ja auch Wahlen gewinnen wollen!) würden weiter Schulden machen, um ja nicht allzuviel Bürgerzorn auf sich zu ziehen; sie wissen ja, dass sie letztlich immer gerettet werden. Wer Griechenland rettet, hat dann kein Argument mehr, andere Verschwender nicht zu retten.

Die logischste Lösung wäre zweifellos, Griechenland pleite gehen zu lassen, also zumindest ab jetzt, alle weiteren Hilfszahlungen einzustellen. Das würde natürlich etliche Gläubiger der Hellenen mitreißen. Das wäre gewiss auch ein Schock, weil ja niemand weiß, wann der dadurch ausgelöste Dominoeffekt wieder aufhört. Es wäre aber immer noch billiger, manche Gläubiger als ganz Griechenland zu retten. Aber auch eine Gläubigerrettung macht nur dann einen Sinn, wenn die Rettungskandidaten an sich gesund sind. Dabei wären aber jedenfalls auch sie einem kräftigen Haarschnitt zu unterziehen, also keinesfalls zur Gänze zu retten. Das ist schon aus pädagogischen Gründen notwendig, damit künftig niemand mehr leichtfertig schuldenfrohen Staaten Geld borgt.

Als Alternative zum Absturz in einen solchen Bankrott kann man den Griechen aber auch die Einsetzung einer europäischen Schuldenkommission vorschlagen. Diese müsste befristet sowohl Regierungs- wie auch volle Gesetzgebungskompetenz über Griechenland bekommen. Eine solche Kommission darf dann ohne Zustimmung des griechischen Parlaments Gehälter kürzen, die Bürokratie abbauen, das Sozialsystem beschneiden, deregulieren und privatisieren. Dafür würden sich im Gegenzug die Europäer bereit erklären, weiter zu zahlen.

Das klingt hart, ist aber in der Staatengeschichte immer wieder vorgekommen. Das ist genau dasselbe, was ein Masseverwalter in einem Konkurs auch großer Unternehmen tun kann und muss. Natürlich geht das rechtlich nur, wenn vorher das griechische Parlament seiner eigenen befristeten Totalentmachtung zustimmt. Das setzt wiederum eine glaubwürdige Ankündigung der Resteuropäer in voller Ge- und Entschlossenheit voraus: Ohne Zustimmung zu einer bevollmächtigten Schuldenkommission wird kein einziger Euro mehr aus dem restlichen Europa nach Griechenland fließen. Nur dann ist eine solche – befristete – Zustimmung des Parlaments denkbar.

Natürlich wäre alles viel einfacher, wäre eine solche Konstruktion schon bei Schaffung des Euro vereinbart worden. Aber allzu lange über vergossene Milch zu jammern, bringt sie doch nicht zurück in die Flasche. Und vielleicht entsteht solcherart zumindest ex post die einst aus bequemer Realitätsverdrängung heraus „vergessene“ europäische Konkursordnung.

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Erhöht endlich die Steuern! Oder Was?

06. September 2011 00:17 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Mich stören Reiche, die ihre Einkommen an Steuern und Abgaben vorbeischwindeln können, zutiefst und emotional. Ich habe auch kein unmittelbares Eigeninteresse, ein strikter Gegner einer klassischen Vermögenssteuer zu sein – nirgendwo scheint mich das zu treffen, was da in Österreich und Europa angesichts der explodierenden Staatsschulden an neuen Steuerideen derzeit ausgekocht wird. Warum bin ich dann aber trotzdem (mit einer ebenso winzigen wie unrealistischen Ausnahme) strikt gegen höhere Steuern welcher Art immer, also auch der Vermögenssteuer?

Mit einem Satz: weil Vernunft, Gerechtigkeit und Staatsräson dagegen sprechen. Das sei an Hand von zwölf Argumenten konkretisiert.

Erstens sind Abgabenquoten in den meisten Euro-Staaten von weit über 40 Prozent viel mehr als das, was ein Staat jemals in der Geschichte den Menschen von all ihren erarbeiteten Leistungen wieder abgenommen hat. Bei den eigentlichen Leistungsträgern kommt man sogar auf fast zwei Drittel: Zur 50- (oder bei Lohnbeziehern 43–)prozentigen Einkommensteuer greifen da nämlich ja auch noch bei jeder Verwendung des verbliebenen Geldes neuerlich die gierigen Finger des Staatsmolochs zu. Gleichgültig ob er seine Zugriffe nun als Mehrwertsteuer, Tabaksteuer oder etwa Mineralölsteuer getarnt hat.

Bei diesen gewaltigen Summen kann kein noch so frommer Christ sagen, dass die Besserverdiener nicht so neidig sein sollen. Galt doch historisch sogar der Zehent – also die Ablieferung eines Zehntels der Erträge – den Christen als Obergrenze eines gerade noch tolerierbaren Zugriffs. Es ist daher moralisch mehr als legitim zu sagen: Nichts geht mehr, es reicht.

Zweitens ist allein dieses Tagebuch voll mit Hunderten Beispielen, wie Politiker mit diesem Geld sinnlos, ja schädlich um sich werfen. Nur einige österreichische Beispiele: Diese reichen vom fast weltweit niedrigsten Pensionsalter über die provozierend hohen Bezüge der Wiener Gemeindebeamten, über Europas einzige fast komplett unentgeltliche und zutrittsoffene Universitätenszene, über die dem Steuerzahler unvergleichlich teuer kommenden Bundesbahnen bis zur Rolle Österreichs als Rekordsubventionsgeber. Über diese Subventionen finanzieren sich Wirtschaft, Bauern und Kulturbetrieb, aber auch eine neue Parasitenschicht von Tausenden Vereinen mit angeblich sozialen, ökologischen, feministischen, kulturellen und sonstigen oft sehr nebulosen Zielen, bei denen aber das Geld vor allem in den Taschen der eigenen Mitarbeiter verschwindet. Diese reden dann  jedoch sofort von „neoliberaler Kälte“, wenn ihnen auch nur einmal beim Selbstbedienungsladen Staat Nein gesagt wird.

Wer hier mit Moral oder Gerechtigkeit argumentiert, deretwegen da noch mehr Geld hinausgeschmissen werden soll, ist entweder ein ahnungsloser Landpfarrer oder ein zynischer Lügner, der ein ungerechtes System durch den Ruf „Mehr Gerechtigkeit“ zu seinem eigenen Nutzen noch ungerechter machen will.

Drittens und noch gravierender ist die Tatsache, dass Steuererhöhungen am Ende meist weniger Geld in die Kassen bringen. Bei einigem Nachdenken wird der Grund auch völlig klar: Je weniger dem Einzelnen und seiner Familie von legal verdientem Geld bleibt, umso mehr rentiert sich legale Steuervermeidung (etwa indem man Finanztransaktionen wieder wie einst bar abwickelt oder im Ausland stattfinden lässt, etwa wenn Börse-, Banken- und Transaktionssteuern den Weg zur heimischen Bank verteuern); umso mehr wird man auch illegale Steuerflucht-Methoden anwenden (Pfusch, Rechnungsmanipulationen usw.); umso seltener hat man angesichts der zuvor skizzierten Verschwendung Gewissensbisse; und umso öfter wird man die Hände demotiviert in den Schoß legen und Aufträge mit dem Argument ablehnen: „Das interessiert mich nicht, ich habe keine Lust, für die Steuer zu arbeiten“.

Liberale Ökonomen haben schon in der Ära Ronald Reagans intensiv nachgewiesen, dass höhere Steuern weniger Erträge bringen (Laffer-Kurve). Das zeigt auch eine neue Studie der deutschen Zollfahndung, also einer gewiss nicht prinzipiell staatsfeindlichen Einrichtung, die unlängst im „Spiegel“ zu lesen war: Sie verglich den legalen deutschen Zigarettenabsatz zwischen 2003 und 2010: Dieser sank von 133 auf 87 Milliarden Stück. Denn gleichzeitig haben ständige Zigarettenverteuerungen den Schmuggel und die illegale (damit übrigens auch besonders gesundheitsschädliche) Produktion zunehmend interessanter für Raucher wie Gauner gemacht. Der Staat verlor trotz der ständigen Abgabenerhöhungen rund 300 Millionen Euro an Einnahmen.

Viertens zeigt die Geschichte der Vermögenssteuer in Österreich, dass sie einst in ganz überwiegendem Ausmaß von Unternehmen bezahlt worden ist. Das „Vermögen“ eines Unternehmens ist aber meist lebenswichtig für die Krisenfestigkeit von Betrieben und für die Finanzierung künftiger Investitionen und Arbeitsplätze. Sobald es jedoch einem persönlichen Konsum zugeführt wird, muss es ohnedies versteuert werden. Nimmt man jedoch alle Betriebsvermögen von der Steuerpflicht aus, dann ist es für vermögende Menschen sehr leicht, Privatvermögen in Betrieben zu verstecken, dann werden halt Villen an die eigene Firma verkauft und nur zurückgemietet (liegt doch ohnedies oft eine betriebsbedingte Hypothek auf der Villa).

Fünftens treffen Vermögenssteuern prinzipiell nur Vermögen, die schon versteuert worden sind. Das heißt dann oft, dass Einnahmen zum drittenmal versteuert werden müssen: Zuerst Einkommensteuer (bzw. Körperschafts- plus Kapitalertragssteuer), dann Vermögenssteuer, und drittens – wenn dann Gelder aus dem Vermögen ausgegeben werden – Mehrwertsteuer&Co.

Sechstens: Jede Vermögenssteuer ist eine Vermögensvertreibungsaktion, die daher jede Ertragsschätzung zur Makulatur macht. Gelder sind binnen einer Zehntelsekunde ins Ausland transferiert, ehe noch die erste Steuer vorgeschrieben werden kann; viele andere Vermögenswerte werden zumindest nicht mehr neu im Land der Steuerpflicht angeschafft. Vermögen, das im Inland angelegt ist, brächte aber auch ohne Steuer hier einen Nutzen: weil andere Steuerpflichten ausgelöst werden, weil Kapital ja investiert werden muss. Deswegen hat es sich ja für Österreich auch sehr positiv ausgewirkt, als nach Abschaffung der Vermögenssteuer und durch das Stiftungsrecht viel Geld ins Land geflossen ist.

Siebentens: Natürlich weiß auch ich, dass es viele Vermögen dubioser Herkunft gibt. Und natürlich habe ich Null Sympathien für solche Vermögen, die entweder aus direkt kriminellen Aktivitäten stammen oder durch ein Geflecht komplizierter und undurchsichtiger grenzüberschreitender Aktivitäten entstanden sind. Nur hat mir bisher noch niemand erklären können, wie eine neue Steuer diese Vermögen plötzlich in sichtbare und besteuerbare Gelder verwandeln kann, nachdem man ihrer bisher nicht habhaft geworden ist, weil es international zum Zweck der totalen Verwirrung vielfach verschoben worden ist.

Achtens gilt all das Gesagte auch für die in manchen linken Kreisen zuletzt besonders vehement geforderte Erbschaftssteuer. Für die Erben ist das zwar ein arbeits- und steuerloser Einkommenserwerb (wenn man von den Anstrengungen mancher Erbschleicher absieht). Für die meisten Erblasser ist die Verfügung über das in ihrer Aktivzeit angesparte Geld aber ein ganz entscheidender Aspekt. Denn die Zuwendung der erarbeiteten Geldes an die eigene Familie ist für viele ja der Hauptgrund, weshalb sie sich überhaupt anstrengen.
Auch familienlose Erblasser werden sich zu Lebzeiten genauso mit Tricks und Umgehungskonstruktionen gegen den Zugriff des Staates wehren. Auch für sie ist es eine zentrale Lebensentscheidung, ob sie ihr Geld der Kirche, dem Tierschutzverein oder der Erforschung des Kapitalismus widmen. Aus Sparbüchern werden daher heimlich weitergegebene Goldmünzen; je nach Steuerdetails wird schon zu Lebzeiten viel geschenkt; große Besitztümer werden in kleine, steuerfreie Brocken zerteilt; es gibt einen Grund mehr, in einem für sicher gehaltenen Ausland etwas anzulegen; und manche werden ihr Geld auch verjubeln, wenn sie ohnedies nicht mehr darüber verfügen können.

Neuntens – und das ist irgendwie noch beruhigend – gibt es auch ein gravierendes verfassungsrechtliches Hindernis gegen jede Art von Vermögens-, Schenkungs- und Erbschaftssteuer: Der Verfassungsgerichtshof sagt zu Recht, dass bei all diesen Steuern Grundstücke genauso wie Geld und Schmuck und andere Sachwerte zu behandeln sind. Das heißt: Auch die nach einigen Vorschlägen steuerfreien Schmuckstücke müssen besteuert werden. Das heißt ebenso: Eine Bevorzugung von Bauern und Häuslbauern durch die künstlich niedrig gehaltenen Einheitswerte, wie sie früher üblich war, ist ungerecht. Da aber bisher jede Partei geglaubt hat, die nächsten Wahlen zu verlieren, wenn sie die Grundsteuern erhöht, sind all diese Steuererhöhungsprojekte vorerst nur blödes Herumgerede oder wahltaktische Hetze gegen die „Reichen“. Solche Hetze kann eines Tages aber auch zu großen Verbrechen führen, wie es einst etwa der millionenfache Mord der Sowjets an den angeblich reichen „Kulaken“ (also grundbesitzenden Bauern) gewesen ist.

Zehntens wird in Bälde der vorerst von den Vermögenssteuerplänen scheinbar ausgenommene Mittelstand ebenfalls getroffen werden. Das geschieht ganz einfach auf dem Weg der ohnedies derzeit rasch zunehmenden Inflation. Genauso haben wir es ja auch bei der Einkommensteuer erlebt: Dort trifft der einst nur für wenige Reiche geltende Höchstsatz inzwischen längst in breiter Front den Mittelstand. Daher werden sehr bald die Eigentumswohnung plus Wochenendhäuschen plus Auto plus ein paar Schmuckstücke und einem Vorsorge-Konto auf der Bank eine alljährliche saftige Vermögenssteuer auslösen.

Elftens: Die irgend etwas Besitzenden, also die angeblich Reichen sind in aller Regel der dynamischste Teil der Gesellschaft, deren Aktivitäten meist dem ganzen Land nützen. Mit Sozialhilfe-, Grundeinkommen- und Ausgleichszulagen-Beziehern ist hingegen meist kein Staat zu machen. Mit ihnen ist nur eines möglich: nämlich Wahlen zu gewinnen.

Zwölftens: Von all den diskutierten Steuerideen brächte nur eine einzige wirklich Geld ein, nämlich eine höhere Steuer auf Grund und Boden, also etwas, was niemand davontragen kann. Eine solche Steuererhöhung wäre zwar auch kein positiver Beitrag zum Wirtschaftsstandort, hätte aber wenigstens ökologisch und raumplanerisch halbwegs einen Sinn, wenn man etwa nur verbaute („versiegelte“) Quadratmeter besteuert. Denn eines Tages wird Europa nur noch aus Beton – und aus vielen Steuern und Schulden bestehen. Nur genau diese Häuslbauer-Steuer will die Politik nicht, weil sie am Wahltag selbstmörderisch wäre.

Aber selbst wenn sich die Politik letztlich dem populistischen Diktat der Grundeinkommensbezieher unterwirft, wird die Vermögenssteuer außer Ärger nichts bringen. Daher bleibt den Staaten (also auch den Bundesländern, Provinzen und Gemeinden, dem Pensions- und Gesundheitssystem) am Ende doch nur eine Alternative: wirklich Sparen oder ein Crash auf dem Weg der Inflation.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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Außer Kontrolle

03. September 2011 00:42 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Das kommt davon, wenn man unabhängige Experten um ihre Meinung fragt. Seit wann aber tut denn eine Regierung so etwas? In Österreich werden ja auch immer nur solche Experten beauftragt, die in irgendeiner Weise von den jeweiligen Regierungsparteien abhängig oder beeinflussbar sind.

Aber hier ist von Griechenland die Rede und der Aufregung, die entstanden ist, als eine von der Athener Regierung selbst eingesetzte Haushaltskontrollkommission ihren Bericht abgeliefert hat. Die in diesem Fall wirklich unabhängigen Experten sind nämlich zu dem Schluss gekommen, dass die Entwicklung der griechischen Schulden „außer Kontrolle“ geraten ist. Und dass auch die Wirkungen des erst im Juli beschlossenen zweiten Rettungspakets der anderen Euro-Länder „zum großen Teil“ verpuffen würden.

Das „außer Kontrolle“ hat hier ganz augenscheinlich eine doppelte Bedeutung. Nicht nur die griechischen Schulden, sondern auch die Ergebnisse dieser Kommission sind offensichtlich außer Kontrolle geraten.

Entlarvend war daher auch die Reaktion des griechischen Finanzministers: Diese unabhängigen Experten verfügen halt nicht über die „Verantwortung“ internationaler Organisationen. Daher habe ihr Bericht nicht die gleiche Qualität wie die Berichte solcher Staatenvereine. Auch diese Unterscheidung kann man durchaus wörtlich nehmen, freilich anders, als der Finanzminister das gesagt hat.

Denn nichts könnte deutlicher den Wert der Studien und Stellungnahmen von EU, EZB, IWF und anderen Staatenvereinen qualifizieren als das Lob des griechischen Finanzministers, dass diese halt die Verantwortung pflegen. Was logischerweise heißt, die Wahrheit hat dabei zurückzutreten. Ziemlich degoutant. Die höchst verantwortungslose Konsequenz solcher „qualitätsvoller“ Berichte: Wir werfen dem schon verlorenen Geld immer weiter gutes nach. Solange uns halt noch wer etwas borgt . . .

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Sieben magere Jahre - und die Rezepte, um sie fetter zu machen

29. August 2011 01:34 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es tut wohl, seine geistige Festplatte in Sachen Finanz- und Schuldenkrise durch die weltweit besten Wirtschaftsexperten mit neuem Wissen und neuen Zusammenhängen aufladen zu lassen. Zugleich aber kann das auch deprimieren. Das ist meine persönliche Bilanz nach einer Woche mit 17 Wirtschaftsnobelpreisträgern und Hunderten internationalen Ökonomen. Zu etlichen dieser Erkenntnisse an ruhigeren Tagen mehr – beispielsweise jenem, warum Österreich auch in den nächsten Jahren wohl keinen Nobelpreis bekommen wird. Heute aber zur zentralen, alles dominierenden Frage: Wie kann man die Finanz- und Schuldenkrise in den Griff bekommen. Ja, kann man das überhaupt noch?

Die Analysen der Nobel-Laureaten im deutschen Inselstädtchen Lindau heben sich jedenfalls in ihrer Klarheit wohltuend von dem ab, was man tagtäglich hierzulande von Politik und sogenannten Wirtschaftsexperten zu hören bekommt. Das gilt auch dann, wenn sie untereinander nicht in jedem Aspekt einer Meinung sind. Und ebenso dann, wenn diese Analysen zu eher deprimierenden Ausblicken führen.

Denn abgesehen von einer nicht sonderlich ernst zu nehmenden populistischen Ausnahme gab es keinen einzigen unter den versammelten Experten, der vorgeben würde, er hätte ein alleinseligmachendes Rezept, wie man die aktuelle Krise leicht beenden beziehungsweise (je nach Sichtweise) die nächste Krise verhindern könnte.

Denn erstens sind Krisen immer unvermeidlich. Und zweitens haben allzu viele Fehler der letzten Jahre alle schnellen und leichten Lösungen vermauert.

Die Instrumente funktionieren nicht mehr

Am brutalsten brachte das der OECD-Chefökonom William White auf den Punkt: „Die Wirtschaft ist geschwächt und wir haben alle wirtschaftspolitischen Instrumente erschöpft. Sowohl bei den öffentlichen Haushalten wie auch bei der Währungspolitik. Sämtliche Zentralbank-Instrumente werden nicht mehr funktionieren.“ Kurz, trocken und hoffnungslos.

Dennoch bekommt man von anderen Diskutanten Etliches an Empfehlungen zu hören. Der amerikanische Nobelpreisträger Roger Myerson etwa empfiehlt genau das, was viele Sparer am meisten fürchten, und was schon jetzt – freilich uneingestanden – den Kurs etlicher Zentralbanken zu prägen scheint: „Die Zentralbanken sollten auf ein dreiprozentiges Preisband abzielen.“

Auch wenn er das I-Wort nicht in den Mund nimmt, weckt Myerson mit solchen Tipps die Sorge vor einem Inflationsschub, der – ebenfalls unausgesprochen – die Schuldenlast der Staaten reduzieren könnte. Denn bisher gilt eine Inflationsrate von höchstens(!) zwei Prozent als Maxime etwa der Europäischen Zentralbank.

Ganz anders als Myerson hingegen sein Kollege und Landsmann Myron Scholes: Dieser empfiehlt dringend, dass sich Regierungen und Zentralbanken nicht in die Wirtschaft einmischen sollten. Das heißt freilich nicht, nichts zu tun. Von den Staaten verlangt Scholes vielmehr strenge Schuldendisziplin und von den Banken, dass sie deutlich transparenter werden müssen. Niemand wisse ja bei einer Bank: „Was ist sie wirklich wert?“

Scholes meint mit mehr Transparenz vor allem eine Änderung der Bilanzierungsregeln. Seine Vorstellungen zielen dabei freilich genau in die Gegenrichtung dessen, was sich etwa in Österreichs Finanzwelt so manche wünschen: Denen geht nämlich schon die in den letzten Jahren unter internationalem Druck gestiegene Transparenz viel zu weit; sie wollen am liebsten wieder das alte österreichische Handelsgesetzbuch alleine in Kraft haben.

Dieses hatte mit dem Anschaffungsprinzip beispielsweise dazu geführt, dass in jeder Bilanz viele versteckte Reserven stecken, die nur Insidern bekannt sind. (So hat einst beim stürmischen Kauf der Creditanstalt zweifellos der Generaldirektor der meistbietenden Bank Austria am besten unter allen Kaufinteressenten gewusst, was die österreichische Traditionsbank wirklich wert ist.)

Bessere Bilanzierungsregeln stehen auch im Rezeptbuch von William Sharpe, einem weiteren Laureaten. Er meint damit insbesondere die Staaten: „Bei der Bilanzierungsehrlichkeit sind ja die Regierungen besonders schlecht.“ Ein weiteres Sharpe-Rezept, das freilich auch er selbst nicht für alleinseligmachend hält: Man könnte versuchen, allzu große Banken aufzuspalten.

Der Ruf nach mehr Bewertungswahrheit hängt auch eng mit einer weiteren Empfehlung zusammen, die sowohl von Scholes wie auch von Myerson und vom Chef des deutschen Max-Planck-Instituts für kollektive Güter, Martin Hellwig, gegeben wird: „Wir brauchen endlich intensive internationale Bemühungen um Insolvenz-Regeln.“

Denn auch heute gibt es noch keine klaren Regeln, was passiert, wenn große multinational tätige Finanzinstitute und insbesondere ganze Staaten bankrott gehen. Nach Ansicht vieler Regierungen sind diese „too big to fail“ und werden fast immer um teures Geld "gerettet".. Dabei ist ein ordentliches Insolvenzrecht die wichtigste Sanitätspolizei jeder Marktwirtschaft; der Kommunismus ist unter anderem daran zugrunde gegangen, dass dort kein Unternehmen, keine Organisation in Konkurs gehen konnte, wodurch marode Schuldenproduzenten jahrzehntelang weiterexistieren konnten.

Für den optimistischen Teil der Überlegungen wäre eigentlich funktionsbedingt Wolfgang Schäuble, der deutsche Finanzminister, zuständig. Freilich rutschten auch ihm einige erstaunlich ehrliche Sätze heraus, die zeigen, was der mächtigste Mann des europäischen Währungsraums wirklich denkt: „Uns stehen wohl noch sieben schlechte Jahre bevor.“ Und: „Die Europäische Währungsunion wird keinen Erfolg haben, wenn einige Länder ihre Möglichkeiten missbrauchen.“ Und: „Risiko und Verantwortung müssen wieder mehr zusammengehen.“

Schäubles Forderung: Die Defizitstaaten – das sind freilich in Wahrheit alle Euro-Länder – müssten ihre „unhaltbaren“ Defizite reduzieren und rasche Strukturreformen setzen. Dabei hob er ganz besonders die Notwendigkeit einer größeren Flexibilität der Arbeitsmärkte hervor (was vor allem die leichtere Kündbarkeit von Mitarbeitern bedeutet; denn nur, wenn man auch leicht wieder einen Mitarbeiter abbauen kann, werden Arbeitgeber solche in größerem Umfang aufnehmen).

In Hinblick auf die Finanzmärkte klingt Schäuble freilich recht widersprüchlich. Einerseits fordert er wie viele andere mehr Regulierung für die Finanzmärkte. Andererseits musste der Politiker Schäuble aber selbst zugeben: „Die Märkte sagen den Regierungen Dinge, die diese nicht gerne hören; sie sind daher notwendig.“

Jeder weitere Wunsch nach noch weiteren Regulierungen löst die Sorge aus, dass die Regierungen die Märkte in eine ganz bestimmte Richtung regulieren werden: nämlich so, dass diese den Regierungen nicht mehr so oft die von Schäuble noch gelobten unangenehme Dinge sagen können. Schließlich sind die Regierungen ja selbst die undiszipliniertesten Schuldenmacher.

Die Tendenz der Regierungen, Kritiker zu knebeln, sieht man ja etwa schon an ihrer Kampagne gegen die Ratingagenturen, seit diese gewagt haben, die Kreditwürdigkeit einzelner Staaten in Frage zu stellen. Diese Tendenz sieht man auch an den sogenannten Basler Abkommen, die den Banken völlig verzerrende Eigenkapital-Regeln auferlegen: nämlich zugunsten der Staaten. Es ist durch Basel für jede Bank viel angenehmer und billiger, einem Staat Kredite zu geben als einem Unternehmen. Denn einen Kredit an Staaten und Länder müssen Banken nicht mit den sonst üblichen dicken und daher teuren Eigenkapitalpölstern absichern (die ja keine Zinsen abwerfen). Nicht zuletzt deshalb hatten auch unseriöse Staaten bis vor kurzem immer noch Kredit bekommen.

Zurück zu den Empfehlungen der Nobelpreisträger selbst: Weitgehend Konsens herrscht darüber, dass die Banken jedenfalls mehr Eigenkapital halten müssen. Das wird diese automatisch kleiner und risikobewusster machen.

Das wird aber auch die Kredite knapper machen. Myerson fürchtet außerdeem, dass höhere Eigenkapitalpflichten der Banken die Versuchung weiter erhöhen wird, Geschäfte in sogenannte Schattenbanken auszulagern. Das bedeutet, dass riskantere Finanzgeschäfte über solche Firmen abgewickelt würden, die gar keine Banken sind, und die daher viel weniger kontrolliert und reguliert werden.

William Sharpe setzt noch aus einem anderen Grund nicht allzu viel Hoffnung auf strengere Regulierungen der Finanzwelt: „Smarte Leute wissen immer, wie Regeln zu umgehen sind.“ Was auch ein Experte aus der wirklichen Finanzwelt im Privatgespräch bestätigt: Schon heute werden international Finanzierungskonstruktionen angeboten, welche die noch gar nicht geltenden Vereinbarungen über höhere Eigenkapital-Pflichten ganz legal zu umgehen versuchen.

Einen interessanten Therapie-Akzent setzt ein weiterer Preisträger, nämlich Edmund Phelps: Entscheidend sei, kleineren und mittleren Unternehmen und auch kleinere Banken ausreichend Mittel zukommen zu lassen.

Manche werden nun fragen, wo in dieser Aufzählung die Empfehlungen von Joseph Stiglitz bleiben. Ist dieser doch der meist publizierende unter den Nobelpreisträgern, und auch durch seine Pointensicherheit sehr bekannt. Der gute Mann hat sich jedoch in Lindau als Populist im Nobelpelz entpuppt. Sein Rezept für die Schuldenkrise: Die Deutschen (und damit natürlich auch Österreicher und Niederländer) hätten ohnedies noch genug Geld, um durch weitere Hilfsaktionen für Griechenland & Co die Dinge in den Griff zu bekommen. Stiglitz ist daher gegen das Verlangen, dass Länder wie Griechenland viel sparsamer sein müssten. Er gibt sogar der – inhaltlich in Wahrheit total diffusen – spanischen Protestbewegung taxfrei „recht“.

Besonders negativ fiel Stiglitz dadurch auf, dass er von einer "ganz anderen Welt" schwärmte, „die möglich sei“. Ohne dass er diese freilich näher zu beschreiben versuchte. Solche gut klingenden, aber hohlen Phrasen erinnern jedenfalls intensiv an die Taktiken totalitärer Verführer der letzten hundert Jahre. Auch die haben immer jungen Menschen eine ganz andere Welt versprochen.

Fünf zentrale Strategien gegen die Krise

Welche Ratschläge würde der Autor selbst nach einer Woche intensiver Gehirnwäsche durch eineinhalb Dutzend der spannendsten Ökonomen der Welt zu geben versuchen? (Freilich fragen Österreichs Politiker ohnedies nirgendwo um Rat, wissen sie doch selbst nicht einmal darüber Bescheid, was sie alles nicht wissen):

Denn über allem steht das Zitat von Myron Scholes: „Wir wissen nicht, wann die nächste Krise kommt.“ Aber sie kommt. Oder hat vielleicht sogar schon begonnen.

 

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Eurobonds: das wahrscheinliche Szenario

27. August 2011 00:07 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Kommen die Eurobonds? Darüber debattiert derzeit die ganze Finanzwelt. Ich wage fünf Prophezeiungen:

Erstens, die Eurobonds werden – in der nächsten Krisenetappe – kommen.
Zweitens, sie werden den Zinsen-Druck auf die größten Problemländer mildern.
Drittens, diese Milderung wird nur einige Monate wirksam sein, auch deshalb, weil viele Regierungen ihre Sparversprechungen nicht einhalten.
Viertens, unter den enorm steigenden Zinsen für die Eurobonds werden sehr rasch die (scheinbar noch) stabilen Länder so leiden, dass es dort zu politischen Explosionen kommt, die den Euroraum sprengen werden.
Und fünftens wird es nur mit Mühe gelingen, die EU – in einem deutlich geschwächten Zustand – über dieses Euro-Ende hinaus am Leben zu erhalten.

Da ich kein Hellseher bin, kann es gewiss auch anders kommen. Aber diese Entwicklung hat eine hohe Wahrscheinlichkeit für sich.

Denn in den nächsten ein oder zwei Jahren wird sich wohl die – kurzfristig sogar richtige – Überzeugung durchsetzen, dass die Eurobonds billiger kommen als Direktzahlungen und die Haftung für jeden neuen Kredit der PIIGS-Staaten (und wohl noch einiger anderer).

Sehr bald werden aber die Anleger entdecken, dass die große Sparsamkeit neuerlich nur eine leere Versprechung war, dass trotz „Euro-Wirtschaftsregierung“ die bisherige Politik weitergeht. Die Argumente für ein Anhalten der Schuldenpolitik stehen nämlich schon auf Abruf bereit: „Man darf die Konjunktur nicht abwürgen“, „Zuerst muss man ins Wachstum investieren, dann erst kann man an Schuldenabbau denken“, „Die Sparpolitik trifft gerade die Ärmsten“, „Die . . . -Regierung findet leider keine Mehrheit im Parlament für die Sparmaßnahmen“, „Die Oberstgerichte verbieten die Kürzung wohlerworbener Rechte“, „Es drohen soziale Unruhen; da muss man mit Geld gegensteuern“.

Diese Argumente sind altbekannt und haben ja gerade die Schuldenkrise ausgelöst. Sie haben nur in einem recht: dass Widerstand der Straße, der Parlamente, der Gerichte durchaus wahrscheinlich ist.

Deren Widerstand wird sich aber nicht nur gegen die Sparmaßnahmen richten, sondern noch viel stärker gegen die neuerliche aufgezwungene Umverteilung von den Deutschen, den Skandinaviern, den Niederländern, den Österreichern zu den verschwendungsfrohen Südländern. Denn schon in den letzten Jahrzehnten sind ja ergebnislos Billionen Richtung Süden geflossen: Nicht nur durch die Rettungspakete der letzten 18 Monate, sondern auch durch die gewaltigen Kohäsions- und Strukturprogramme der EU, die ja schon längst eine Transferunion ist. Dazu kommen beispielsweise noch die gewaltigen Mittel, welche die Norditaliener für den Mezzogiorno zahlen müssen. Daher droht ja auch schon Italien das Zerbrechen. So wie der EU und dem Euroland.

Ab irgendeinem Zeitpunkt machen die Menschen eben nicht mehr mit, wenn sie unter dem Titel „Solidarität“ ausgeraubt und verhöhnt werden.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

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Die Moral und Europas Schuldenpolitik

25. August 2011 00:36 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Ich hatte schon überlegt, den Saal zu verlassen. Hatte ich doch in meinem Leben schon allzu viele Politikerreden gehört, die meist immer auf den gleichen Nenner zu bringen waren: mit großem Tamtam inszeniert, aber inhaltlich langweilig, nichtssagend, alle heiklen Punkte auslassend oder mit Floskeln übergehend. Dann bleibe ich da im deutschen Lindau bei einer großen Konferenz von 17 Wirtschafts-Nobelpreisträgern halt doch sitzen und es kommt zur unvermeidlichen Begrüßungsrede von Christian Wulff, dem deutschen Bundespräsidenten.

Und ich kam ordentlich ins Staunen. Der Mann spricht in einer Art und Weise Klartext, die ich von einem heimischen Staatsoberhaupt noch nie gehört habe, und die ich in den letzten Jahren auch von keinem österreichischen Regierungsmitglied gehört habe. So sehr ich sie mir auch gewünscht hätte.

Der Wulff-Auftritt geht Hand in Hand mit einem Erwachen auch etlicher anderer deutscher Spitzenpolitiker, die voll Schock erkennen, wie falsch ihre Reaktionen auf die Banken- und Schuldenkrise in den letzten zwei Jahren waren, und die nun offenbar einen Richtungswechsel vornehmen, dass die Reifen nur so quietschen. In Österreich gibt es hingegen nicht einmal den Ansatz einer kritischen Debatte der Regierung zur Schuldenkrise, wie sie neben Deutschland auch schon in den anderen (Noch-)Triple-A-Ländern Niederlande und Finnland intensivst stattfindet. (Lediglich Luxemburg gibt sich noch den alten Träumen hin).

Wer sollte sie aber bei uns auch führen? Bundespräsident, Bundeskanzler wie Vizekanzler, aber auch alle drei Oppositionschefs sind wirtschaftlich ahnungslos. Lediglich in Kabinett und Beamtenschaft des Finanzministeriums scheint es noch ein paar Resthirne zu geben.

Was hat Wulff denn hier in Lindau so alles gesagt? Unkommentiert in der Folge einfach der Wortlaut einiger der für österreichische Ohren so ungewohnt klingenden Zitate. Fast alle drehen sich um die europäische Schuldenkrise und die von den Wackelländern wie auch von der politischen Linken verlangte weitere Megahilfe in Form weiterer Kredite, Garantien und sogar Eurobonds:

In Österreich müsste man eigentlich nur den Namen Deutschland durch den des eigenen Landes ersetzen und könnte die Rede problemlos übernehmen. Bevor das aber ein Politiker schafft, müsste einiges mehr geschehen:

Die ÖVP müsste begreifen, dass das tägliche Mantra „Europa, Europa, Europa“ längst kein sinnvolles Konzept mehr ist; die Opposition müsste endlich damit aufhören, wöchentlich neue populistische Ideen für weitere teure Geldverschleuderungen zu präsentieren; und die SPÖ müsste sich endlich von ihrem Schuldenfetischismus und den diesbezüglichen Einflüsterern aus der Arbeiterkammer trennen.

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Die Justamentler

24. August 2011 23:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Selbst wenn’s manche gern verdrängen,
ganz im Geist der neuen Zeit:
Öl mit Wasser zu vermengen
ist und bleibt nicht sehr gescheit.

Denn was separat von Nutzen,
taugt dann als Kompositum
nicht einmal zum Zähneputzen
und Motoren bringt es um.

Auch entmischen sich die beiden
– eins sinkt runter, eins steigt rauf –
lenkt ja heimlich und bescheiden
die Physik der Dinge Lauf.

Außer bei konstantem Schütteln
sind drum bald die zwei getrennt,
dran kann kein Minister rütteln
und erst recht kein Parlament!

Besser kann indes man schwätzen
in der Eurokraten-Zunft,
fernab von Naturgesetzen
und von praktischer Vernunft:

Keck sagt eine dieser Flöten,
zu der Euro-Rettung sei
gar ein „Quantensprung“ vonnöten –
Richtung Euro-Einheitsbrei.

Na, von Quanten hat, was wetten,
dieser Knabe keinen Tau,
aber seht, beim flotten Retten
sind jetzt Finnen extra schlau:

Wollen Bares von den Griechen,
ist den meisten doch bewusst,
Rettung all der Euro-Siechen
bringt am Ende nur Verlust.

Und zum Glätten böser Wogen
gibt es wieder mal spontan,
gleichsam aus dem Hut gezogen,
einen Ähndschie-Sarko-Plan!

Laufend treibt’s halt solche Blüten,
wenn man Wirklichkeit verdrängt
und berauscht von Euro-Mythen
krampfhaft Öl und Wasser mengt…

Pannonicus

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EU-Wirtschaftsregierung löst keine Probleme

18. August 2011 17:42 | Autor: Barbara Kolm
Rubrik: Gastkommentar

Die Überschuldung ist struktureller Natur und hat ihre Ursachen in den nicht mehr finanzierbaren Sozialsystemen.

Eine gemeinsame EU-Wirtschaftsregierung ist genau der falsche Weg, Stabilität in Europa herzustellen. Die europäischen Spitzenpolitiker scheuen sich offensichtlich, das Problem der Staatsverschuldung aktiv anzugehen und versuchen durch Schaffung zusätzlicher Staatsapparate, der Krise Herr zu werden. Vielmehr ist es höchst an der Zeit die steigende Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen und Staatsseitig wieder mehr einzunehmen als auszugeben.

Staatsverschuldung ist nichts anderes als die Umverteilung von unten nach oben, sie resultiert aus politischen Entscheidungen, die unter bestimmten Regeln getroffen werden. Dabei setzen die Regeln des politischen Wettbewerbs Anreize, defizitfinanzierte Privilegien zu vergeben. Dennoch konnten bislang weder nationalstaatliche noch europäische Regelungen eine politische Anreizverschiebung bewirken.

Als Folge hat die Staatsverschuldung in den meisten europäischen Staaten fast kontinuierlich zugenommen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat diese Tendenz verstärkt und zu neuen Schuldenhöchstständen geführt. Die hohe Staatsverschuldung mit der Krise zu begründen ist ungerechtfertigt. Dies wird deutlich, wenn man die Entwicklung der Schuldenstände respektive Ausgaben pro Kopf der vergangenen Jahrzehnte analysiert.

Die Überschuldung ist struktureller Natur und hat ihre Ursachen in den nicht mehr finanzierbaren Sozialsystemen, aber auch im steigenden Mangel der Wettbewerbsfähigkeit der Einzelstaaten. Die zukünftigen Generationen bekommen neben der Schuldenlast auch ein defizitäres Sozialversicherungssystem vererbt.

Theoretisch müssen Schulden zurückgezahlt werden, womit sich keine Manövriermasse für die nächsten Generationen ergibt. Um einer möglichen Zahlungsunfähigkeit zu entgehen, erfolgt vermehrt politischer Druck auf die Zentralbank, ihre Geldpolitik an die Finanzpolitik anzupassen. Das „Bail-out“ Griechenlands sowie die in den letzten Monaten unternommenen Schritte der Europäischen Zentralbank zeugen davon.

Allerdings stellen diese Vorgänge keine langfristig tragfähigen Auswege aus der Schuldenfalle dar. Nicht die Schaffung eines zusätzlichen Staatsapparates, wie eine EU Zentral- oder Wirtschaftsregierung, schafft Stabilität, vielmehr müssen Ausgabensenkungen und Reformen im Sozialversicherungssystem stattfinden sowie eine effektive, institutionelle Schuldenbeschränkung konstituiert werden.

Barbara Kolm ist Ökonomin, Generalsekretärin des Hayek-Instituts und Direktorin des Austrian Economic Center.

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Wie raus aus dem Euro?

18. August 2011 15:42 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

Die beste Gelegenheit die Europäische Währungsunion zu verlassen, bestünde jetzt darin, die notwendige parlamentarische Verabschiedung der neuen, am 21.Juli 2011 vorgeschlagenen Änderungen der Bestimmungen über die EFSF (Europaen Financial Stability Facility) zu verweigern; ferner darin, der Absicht, die EFSF ab 2013 durch den ESM (European Stability Mechanism) zu ersetzen, eine Abfuhr zu erteilen, sowie die grundlegende Änderung des Lissabon-Vertrags durch die Einfügung einer Bail-out-Klausel als Bruch der europäischen „Verfassung“ nicht zu akzeptieren.

Worin die als allererstes anstehenden Änderungen der EFSF-Vereinbarungen bestehen und weshalb sie unzumutbar sind, wurde im Gastkommentar „Der Tanz auf dem Vulkan“ (http://www.andreas-unterberger.at/2011/07/der-tanz-auf-dem-vulkan/) geschildert.

Falls unsere Volksvertreter nicht als Volksverräter gelten wollen, werden sie alle EU-Vorschläge und ihnen entspechenden Regierungsvorlagen ablehnen, die Österreich in eine Transfer-, Haftungs-, Schulden- und Fiskalunion hineinzwingen würden. Der volkswirtschaftliche Schaden, der aus einer Zustimmung zu einer solchen „Unionisierung“ resultieren würde, übersteigt bei weitem den Nutzen des Souveränitätsverlustes. Darüber sind sich heute praktisch alle ernstzunehmenden Volkswirte einig. Allein die Verluste aus Transfers und für die zu erwartende Erhöhung der Zinsen auf die Staatsschuld infolge Bonitätsverlustes werden für Österreich auf fünf Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

Der Austritt aus der Währungsunion ist weit weniger kompliziert als ihn die Horrorszenarien in den EU-nahen Massenmedien ausmalen. Währungsunionen sind, das wissen wir aus der Geschichte, immer wieder zerbrochen (meist nach Kriegen). Für die letzten dreißig Jahre gibt es auch genügend Beispiele für eine geordnete und friedliche Auflösung. Ein gutes und lehrreiches Anschauungsmaterial bietet die Auflösung der tschechisch-slowakischen Währungsunion im Jahr 1992/93.

Beispiel Tschechoslowakei

Nachdem durch Volksabstimmungen in der Tschechoslowakei im Jahr 1992 beschlossen worden war, sich zu trennen, entstanden aus dem bis dahin einheitlichen Staatsgebilde mit Wirkung von 1. Januar 1993 an mit der Tschechei und der Slowakei zwei neue, souveräne Staaten. Sie bildeten eine Währungsunion unter Beibehaltung der bisherigen Währung, der tschechischen Krone. Diese Währungsunion hielt allerdings nur 6 Wochen. Am 8. Februar 1993 wurde zwischen beiden Staaten vereinbart, sie zu beenden.

Der Grund für die Auflösung war naheliegend. Solange Tschechien und die Slowakei einen einzigen Staat bildeten, bestand zwischen ihnen eine Transferunion, durch die das Bruttosozialprodukt des slowakischen Gebietes durch Zuschüsse in Höhe von vier bis acht Prozent aus tschechischen Provinzen gestützt wurde. Nach der Trennung in zwei Staaten bestand seitens der Tschechen kein Interesse mehr an solch einseitigen Subventionen und an der Aufrechterhaltung einer Währungsunion.  Beide Staaten bildeten an sich ja auch keinen einigermaßen homogenen Wirtschaftsraum. Die Anpassungsprobleme der Slowakei auf dem Industrie- und Bergbausektor waren außerordentlich groß und erforderten wirtschafts- und währungspolitisch freie Hand.

Um jedes Chaos zu vermeiden, wurde am 19. Januar 1993 die Auflösung der Währungsunion im Detail ausgehandelt, der Beschluss zur Auflösung am 3. Februar öffentlich bekannt gemacht und am 8. Februar durchgeführt. Tschechische Kronen wurden durch die slowakische Krone im Verhältnis 1:1 ersetzt. Vorübergehend wurde der Kapitalverkehr zwischen beiden Ländern unterbrochen. Abhebungen von den Bankkonten wurden beschränkt, ebenso die Umwandlung der einen in die andere Währung.

Um den Güter- und Zahlungsverkehr ungestört aufrecht zu erhalten, wurde eine Clearing-Stelle eingerichtet. Die Bandbreite, um die beide Währungen zum ECU  (European Currency Unit) schwanken konnten, wurde auf fünf Prozent (in beiden Richtungen) begrenzt. Alle Zahlungen für Güter, Dienstleistungen und Kapitaltransfers wurden zum vereinbarten Clearingkurs abgerechnet. Für Forderungen, die vor dem Februar 1993 entstanden waren, erfolgte die Umrechnung zum festen Kurs von 1:1. Das Clearingsystem wurde von beiden Regierungen garantiert und von ihren Notenbanken bis 1995 aufrecht erhalten.

Jede Regierung räumte der anderen eine Kreditfazilität ein, um Defizite in der Zahlungsbilanz auszugleichen. Soweit diese Fazilität nicht ausreichte, mussten Differenzen in konvertiblen Währungen (Dollar, D-Mark) ausgeglichen werden. Die Vereinbarungen blieben in Kraft, bis schließlich beide Währungen konvertibel wurden und auf den Finanzmärkten gehandelt werden konnten.

Die Auflösung ging relativ reibungslos vonstatten. Sie wurde durch die Orientierung an einer Ankerwährung (ECU) erleichtert. Der Verkehr von Kapital, Gütern und Dienstleistungen zwischen beiden Ländern war nur kurz beeinträchtigt. Sehr bald überschritt er das alte Niveau.

Wie das Beispiel zeigt, ist es ausschließlich der politische Wille, von dem es abhängt, eine Währungsunion aufzulösen. Ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten, etwa beim Export, sind bei abgestimmter Währungspolitik nicht zu erwarten. Es gibt in der EU auch keine rechtlichen Hindernisse, die ein souveränes Mitglied am Verlassen der Währungsunion hindern könnten. Kein souveräner Staat kann gezwungen werden, der Veränderung von internationalen Verträgen zuzustimmen, wenn eine solche Zustimmung seinen Interessen widerspricht.

Konstruktionsfehler der Währungsunion

Die  Europäische Währungsunion, das gestehen heute praktisch alle anerkannten Fachleute ein, ist gescheitert. Von der Gründung bis heute leidet sie an unbehebbaren Konstruktionsfehlern. Das gibt jetzt sogar der deutsche Finanzminister, Wolfgang Schäuble, zu (siehe dazu den Gastkommentar „Der Tanz auf dem Vulkan“: http://www.andreas-unterberger.at/2011/07/der-tanz-auf-dem-vulkan/).

Die politische Union, welche die Voraussetzung für die Währungsunion gewesen wäre, ist nicht zustande gekommen, sie wird von den Völkern mit Recht strikt abgelehnt. Die Mitglieder der Europäischen Union sind wirtschaftlich, politisch, kulturell und sozial viel zu verschieden, um sie über einen Kamm scheren zu können. Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Lohnstückkosten klaffen auseinander und lassen sich ohne Gewaltmaßnahmen – erforderlich wären einschneidende Kürzungen der Löhne und Sozialausgaben in den PIIG-Staaten – politisch nicht durchsetzen.

Die jetzt vorgeschlagenen Regelungen sind nichts anderes als „ein Weg ins Verderben“ (Hans-Werner Sinn). Auf komplexe Anforderungen, das hat kürzlich der Systemanalytiker John L. Casti vom Internationalen Institut für Systemanalyse in Laxenburg (im STANDARD vom 8. August 2011, S. 19: „Die EU in der Komplexitätsfalle“) überzeugend ausgeführt, können kleine staatliche Einheiten wesentlich schneller und differenzierter antworten als große. Wenn sich die Probleme häufen, vertrauen große Einheiten auf den Ausbau ihrer Bürokratie bis zu dem Punkt, an dem alle Ressourcen aufgebraucht sind, „nur um ihre gegenwärtige Struktur zu erhalten“.

Wären die Problemländer, so führt er aus, „nicht in der Eurozone, hätten sie viele Optionen zur Verfügung um eine Zeit wirtschaftlicher Veränderung zu bewältigen. Sie könnten zum Beispiel ihre eigenen Währungsprobleme regeln“ und müssten sich nicht „dem Diktat der Europäischen Zentralbank fügen“. In der Tat haben das die meisten Staaten unseres Kontinents, die nicht in der Währungsunion sind, bewiesen.

Ganz zu schweigen von jenen, die es vorzogen, nicht der Europäischen Union beizutreten. Gutes Geld dem schlechten nachzuwerfen, führt nach Casti unweigerlich „zum Zusammenbruch des Euro“. „Die einzig offene Frage“ ist für Casti, „ob sich die EU – analog zum Euro – schließlich selbst als Experiment erweisen wird, das zwar gut gemeint, im Endeffekt (aber) ein Fehlschlag war“.

Fürs erste jedenfalls ist Österreich gut beraten, wenn es seine Zustimmung zu den anstehenden Vertragsänderungen verweigert und im Übrigen die Entwicklung der EU zu einer politischen Transfer-, Haftungs-, Schulden- und Fiskalunion, zu der ja nun auch Deutschland seinen Widerstand aufgegeben hat, mit allem gebotenen Nachdruck ablehnt.  Diese Ablehnung hindert die restlichen Länder der Eurozone nicht, die Brüsseler Beschlüsse durchzusetzen.

Solange nicht Länder die Ratifikation verweigern, deren Haftungsquote fünf Prozent in Summe übersteigt, steht der Durchsetzung nichts in Wege. Österreich braucht also nicht das Odium auf sich zu nehmen, eine Entwicklung zu blockieren, welche die politische Führung der anderen Länder für zweckmäßig hält, die jedoch von der österreichischen Bevölkerung abgelehnt werden wird, sollte es zu der von Bundeskanzler Faymann hoch und heilig versprochenen Volksabstimmung bei grundlegenden Vertragsänderungen kommen. Dass solche „grundlegenden Vertragsänderungen“ jetzt vorliegen, welche den Charakter des Lissabon-Vertrages allein schon durch die Einfügung  einer Bailout-Klausel entscheidend ändern, darüber besteht kein Zweifel.

Der Autor lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Sein jüngstes Buch, „Der Sinn der Geschichte“ (Regin-Verlag, Kiel 2011), setzt sich eingehend mit Fragen der Europäischen Union auseinander.

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Deutsch-französische Placebo-Verteilung

17. August 2011 01:04 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Da sage noch einer, dieses Europa sei langweilig. Es ist ganz im Gegenteil sogar mitten im August für große Lacherfolge gut. Für mehr taugt die „Euro-Wirtschaftsregierung“ freilich nicht, die da nun von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy angekündigt worden ist.

Hinter diesem hochtrabenden Titel verbirgt sich nämlich nicht mehr als eine zweimal pro Jahr stattfindende Zusammenkunft der europäischen Staats- und Regierungschefs. Also jener Gruppe, die ohnedies jetzt schon rund vier Mal pro Jahr tagt. Also jener Gruppe, deren Angehörige selbst die Hauptverantwortlichen für die Schuldenkrisen in fast allen europäischen Ländern sind. Was soll sich da irgendein Europäer von zwei weiteren Treffen dieser Schuldenkaiser erwarten?

Schon gar nicht gibt der nominierte Vorsitzende irgendeinen Anlass zur Hoffnung. Denn dieser ist der schon bisher durch die totale Absenz jeder Führungs- oder Durchschlagskraft beliebte EU-Ratspräsident Herman van Rompuy. Er hat noch nie einem der Regierungschefs mit einem kritischen Wort nahezutreten gewagt. Da ist er natürlich perfekt als neuer Finanzaufseher geeignet.

Glauben Deutschlands und Frankreichs Chefs wirklich in vollem Ernst, mit solchen Potemkinschen Dörfern den Zweiflern wieder ihren Glauben an den Euro zurückgeben zu können? Glauben sie wirklich, dass man mit solchen Mätzchen die Sparer dazu bewegen kann, wieder den europäischen Regierungen ihre Altersvorsorge anzuvertrauen?

Ach ja, fast hätt ich‘s vergessen: Eine Schuldenbremse soll auch kommen. An dieser ist nur noch das winzige Detail offen, wie sie denn eigentlich funktionieren soll: So schlecht wie in den USA oder so unwirksam wie in Deutschland? Nach dem bisherigen Planungsstand soll halt jede Regierung selbst irgendwie eine irgendwie konstruierte Art Bremse beschließen und diese dann irgendwie einhalten. So wie dieselben Regierungen ja schon bisher irgendwie alle europäischen Beschlüsse in Richtung auf Sparsamkeit umgesetzt haben. Oder irgendwie auch nicht.

Dafür haben Merkel und Sarkozy wieder einmal eine neue Steuer angekündigt. Was uns natürlich endgültig von der Führungskraft des Duos Merkel-Sarkozy überzeugt.

Warum so destruktiv, Herr Unterberger? Hauptsache, die Richtung stimmt.

Sie stimmt natürlich nicht. Seit Europa angefangen hat, bankrotte Staaten zu retten, statt den von der Marktwirtschaft vorgesehenen normalen Konkurs-Mechanismus in Kraft treten zu lassen (den übrigens noch jedes betroffene Land im Rückblick recht gut überlebt hat), gleichen die Bemühungen der europäischen Staatschefs nur noch dem verzweifelten Umsichschlagen eines Ertrinkenden. Denn seit nicht mehr nur drei europäische Kleinstaaten das Vertrauen der Gläubiger verloren haben, sondern zunehmend auch drei ganz große Länder – Spanien, Italien und Schritt für Schritt auch Frankreich –, müsste selbst ein Blinder sehen, dass der Weg absolut falsch war.

Es gibt freilich auch keinen sicheren Weg mehr zurück. Man tut sich halt schwer, den Spaniern zu verwehren, was man Griechen, Portugiesen und Iren geradezu aufgedrängt hat. Aber Europa hat nach der Verschwendung vieler Hunderter Milliarden einfach nicht das Geld, um auch die Großen zu „retten“.

Die Schuldenlasten auf Europa – ja, auch jene auf Deutschland und Österreich (auch wenn die es noch gar nicht begriffen haben) – können nur noch durch zwei Methoden abgebaut werden: entweder durch eine starke Inflation oder durch die Zahlungsunfähigkeit. Ausbaden müssen wir es so und so alle. Samt den damit unweigerlich verbundenen sozialen und politischen Unruhen, die ja schon allenthalben begonnen haben.

Warum kann nicht doch eine Schuldenbremse funktionieren? Wir Europäer wissen das halt, weil wir schon so unsere Erfahrungen haben. Weil ja schon die Sanktionen wegen Verletzung der – viel konkreteren! – Maastricht-Kriterien jedes Mal prompt unterblieben sind, sobald sie fällig gewesen wären. Weil wir in einer Demokratie mit starken Zentrifugalkräften leben. Weil ja schon die Republik Österreich (trotz einer besseren verfassungsrechtlichen Ausstattung!) landesintern mit allen Plänen einer effektiven Schuldenbremse gegenüber Ländern und Gemeinden gescheitert ist.

Wie bitte soll da ein Gremium der – an der Krise selbst hauptschuldigen! – Regierungschefs ohne jede politische oder juristische Macht gegenüber einzelnen Staaten plötzlich eine wirksame Schuldenbremse exekutieren können?

Der ganze Plan ist unwirksamer als ein Placebo.

PS: Einen frappierenden Kontrapunkt zu all dem Schwachsinn liefert Belgien. Es hat noch immer weitgehend das Vertrauen der Kreditgeber, obwohl es eine höhere Schuldenquote als etwa Portugal hat! Hängt das vielleicht gar damit zusammen, dass Belgien nun schon seit über 14 Monaten keine Regierung hat? Beweist das vielleicht gar, dass die Anleger zunehmend schon mehr Vertrauen in solche Länder haben, in denen Regierungen nicht mehr ständig neue schuldenfinanzierte „soziale Errungenschaften“ unters Volk streuen können?

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A, A, A…

14. August 2011 15:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

A, A, A, das dicke End’ ist nah,
Tripel-A ist schon vergangen,
doch wir werden mitgehangen,
A, A, A, da hilft auch kein Blabla.

E, E, E, zuviel an Abführtee,
mehr und mehr ist abzuschreiben,
weil wohl nimmer einzutreiben,
E, E, E, o wei und jemine.

I, I, I, es blüht die Perfidie,
Rettungsschirme und Pakete,
gutes Geld für faule Knete,
I, I, I, sind stets ein Schuss ins Knie.

O, O, O, denn gleich bei Waterloo
thronend in den Tintenburgen,
werken Pleite-Dramaturgen,
O, O, O, nur Leerverkauf macht froh.

U, U, U, wir sehn belämmert zu,
laufend wird uns was versprochen
und im Handumdrehn gebrochen,
U, U, U, gemolken wird die Kuh.

W, W, W, verschenkt sind Heu und Klee,
aber mit getürkten Daten
wird uns zu Geduld geraten,
W, W, W, bald kommt die Frühlingsfee.

X, X, X, sind lauter alte Tricks,
unser Gold ist längst verschwunden,
in Fort Knox wird’s nie gefunden,
X, X, X, wir lernen eben nix.

Z, Z, Z, gepfändet Tisch und Bett,
weiter gehn wir brav zu Wahlen,
werden ewig weiterzahlen,
Z, Z, Z, denn wir sind lieb und nett…

Pannonicus

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Die hektischen Retter hecheln weiter

08. August 2011 12:29 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Der befürchtete schwarze Montag an den Aktienmärkten fiel also nur grau aus. Jetzt will man darin ein Verdienst der seltsamen Sonntagsaktivität der EU sehen, die sich offensichtlich hat einreden lassen, dass die Anleger Entschlossenheit und rasche Entscheidungen von der Politik erwarten. Hauptsache, irgend eine Entscheidung? Würden diese ominösen Märkte nicht eher durch die richtigen Entscheidungen beruhigt? Diese Frage darf man offensichtlich gar nicht mehr stellen.

Also gab es entschlossen mahnende Worte von Merkel und Sarkozy an Spanien und Italien, die eine folgenschwere Verlautbarung der EZB flankierten: Man werde umgehend italienische und spanische Staatsanleihen zu kaufen beginnen. Und das tut sie nun. Als ob das nicht erst recht in die Katastrophe führte.
Wenigstens einer scherte aus dem Jubel über so viel Pseudo-Entschlossenheit aus: Der Bayer Horst Seehofer sagte lapidar, was da passiert. Das ist eine Vergemeinschaftung der Schulden an den Parlamenten vorbei, wetterte er, denn das sei eben nichts anderes als die Unterstützung der Schuldenmacherei der PIIGS, so lange bis auch die Netto-Zahler, allen voran die Deutschen, zusammenbrechen. Es erheben sich auch Forderungen nach einer parlamentarischen Behandlung dieser zweifelhaften Rettungsaktionen – in Deutschland, nicht bei uns.
Und im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen durften – anders als bei uns - renommierte Wirtschaftswissenschafter sogar sagen, dass es falsch sei, den Märkten hinterherzulaufen. Ruhe walten lassen und richtig handeln, heiße vielmehr die Devise.
Es gibt nur eine richtige Entscheidung und die müsste wirklich rasch getroffen werden: Nicht die Schulden sind zu vergemeinschaften, sondern die Anstrengungen, dass jeder EU-Staat den eigenen Haushalt in Ordnung bringt. Aber davon sind wir weit entfernt. Uns legt man zu den eigenen Schuldenmilliarden lieber auch noch die Schulden anderer auf die Schultern. Und regiert selbst weiter auf Pump. Aus Feigheit vor dem Wähler, bei dem man sicher zu sein glaubt, dass er weder die Gefahr einschätzen kann, die ihm aus der „Rettung“ der PIIGS zuwächst, noch dass ihm die Verschuldung des eigenen Staates überhaupt bewusst ist – solange man ihm nichts von dem wegnimmt, was er ohnehin selbst bezahlt. Und so retten und retten wir, bis uns keiner mehr retten kann.

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Bananen- statt Rechtsstaat

08. August 2011 00:24 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Erhard Busek hat den Rücktritt der Justizministerin gefordert. Damit sollen die Konsequenzen aus dem Fall des in Wien auf wenige Stunden festsitzenden KGB-Täters Michail Golowatow gezogen werden. Nur: Der Rücktritt der Ministerin wäre zwar berechtigt – aber der Krankheitsherd sitzt viel tiefer und ein Ministerwechsel wäre nur eine Symptomkur.

Die zentrale Krankheit hat drei Aspekte: Erstens schwache Justizministerinnen in Serie; zweitens eine völlig fehlgelaufene Reform der Strafprozessordnung; und drittens eine abgehobene Bürokratie sowie eine linkslastige Staatsanwaltschaft, welche sich mengenweise Kompetenzen arrogiert hat, die in einem sauberen Rechtsstaat nur unabhängigen Richtern zustehen dürften.

All diese Probleme haben sich im Fall Golowatow paradigmatisch niedergeschlagen. Die österreichischen Behörden haben dabei so gehandelt, wie wenn das Jahr 1955 noch nicht vorbei wäre, geschweige denn die Wende 1989/90. Auch vor 1955 sind Funktionäre der Sowjetunion in Österreich über allen Gesetzen gestanden. Wenn ein pflichtgetreuer österreichischer Polizist dennoch einen Sowjet festgenommen hat, haben ein paar Anrufe genügt, und der Agent der Besatzungsmacht ging frei. Einziger Unterschied: Damals wäre der Polizist nachher postwendend in Sibirien gelandet. Heute bleibt ihm das erspart.

Die Fakten sind eindeutig und klar: Golowatow wurde vom EU-Partner Litauen mit einem europäischen Haftbefehl gesucht, weil er als KGB-Agent an Gewalttaten am Ende der sowjetischen Herrschaft im Baltikum beteiligt gewesen sein soll. Er wurde in Wien festgenommen und nach heftigen Interventionen des russischen Botschafters nach wenigen Stunden wieder freigelassen. Bekannt ist etwa, dass dieser um 2:30 Uhr in der Nacht mit dem leitenden Oberstaatsanwalt telephoniert hat. Bei welcher Festnahme gelingt das einem Vertreter des Festgenommenen sonst? Oder wäre ein russischer Staatsanwalt für einen österreichischen Diplomaten umgehend erreichbar? Das gelingt dort nicht einmal zu Bürozeiten.

Schon die Schnelligkeit der Freilassung ist ein Skandal und führt die gesamte EU-Zusammenarbeit im Bereich der Justiz ad absurdum. Denn in ähnlichen Fällen dauert die Prüfung eines solchen Haftbefehls und einer eventuellen Auslieferung monatelang. Wie etwa zuletzt beim ehemaligen kroatischen Regierungschef Sanader. Hängt das gar damit zusammen, dass Sanader ein Mitte-Rechts-Politiker ist?

Es ist jedenfalls lächerlich, wenn die Justizministerin nun beteuert, dass man von Litauen zweimal eine Konkretisierung des Haftbefehls verlangt hat, die nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Wie bitte, soll das denn in diesen wenigen Stunden möglich gewesen sein, dass man Litauen zweimal eine Frist setzt? Hat man auch im Fall kroatischer oder bosnischer Häftlinge der die Auslieferung begehrenden ausländischen Regierung eine in Minuten bemessene Frist zur Äußerung gesetzt?

Es ist lächerlich, wenn das Justizministerium nun Litauen kritisiert, weil es die Dokumente gegen den KGB-Mann nicht auf deutsch parat hatte. Konnten die Litauer wissen, in welchem EU-Land der Mann erwischt wird?

Es ist lächerlich, wenn Justizministerin Karl nun von der Unabhängigkeit der Justiz schwadroniert. Denn in diese Entscheidung war kein einziger unabhängiger Richter, sondern nur weisungsgebundene Staatsanwälte und Beamte involviert.

Es ist lächerlich, wenn die Justizministerin davon redet, dass der russische Botschafter nicht interveniert hätte. War er doch sogar persönlich auf der Polizeistation anwesend.

Es ist lächerlich, wenn das Justizministerium nun davon redet, dass der europäische Haftbefehl nicht anzuwenden sei, weil Golowatow seine Tat vor der Einführung dieses Instituts begangen hat: Hieße das umgekehrt, dass man einen der wenigen noch gesuchten NS-Täter laufen ließe, weil es zur Zeit seiner Verbrechen ja auch noch keinen europäischen Haftbefehl gegeben hat?

Es ist skandalös, wenn leitende Oberstaatsanwälte um 2:30 Uhr bei Promi-Fällen erreichbar sind, normale Verdächtige oder nicht-linke Promis jedoch oft Jahre auf Entscheidungen warten müssen.

Offen ist lediglich eines: Kam die nächtliche Entscheidung nur von einem Oberstaatsanwalt und einem Sektionschef, oder war darin auch die Justizministerin aktiv involviert? Hat das Außenministerium Druck ausgeübt? War der Außenminister selber nächtlich aktiv geworden? Selten war ein Fall so reif für einen Untersuchungsausschuss. Denn hier kann niemand mehr in ein laufendes Verfahren eingreifen – aber natürlich wird es einen solchen Ausschuss nicht geben. Dazu sind Akteure beider Couleurs offensichtlich schon viel zu tief verwickelt.

Am Rande stellt man sich voll Verzweiflung noch eine ganz andere Frage: Ein solches Land, das sich unter russischem Druck nicht einmal traut, ein paar Tage lang gravierende Vorwürfe gegen einen möglichen Mörder zu prüfen, will die berühmte Erdgaspipeline Nabucco bauen, die an Russland vorbei gegen dessen Willen Erdgas nach Europa bringen soll, das nicht auf russischen Befehl abgedreht werden kann? Da lachen doch die Hühner! Moskau schnipst mit den Fingern und Wien geht ein.

Das Desinteresse der Staatsanwaltschaft – deren Rolle bisher als einzige aktenkundig erscheint, die aber nicht die einzige gewesen sein muss – an einem 14-fachen Mörder gleicht dem Desinteresse an der Frage, ob es im Fall Kampusch einen zweiten (oder noch mehrere) Täter gegeben hat. Erst jetzt sind von einem unabhängigen Richter alle diesbezüglichen Vorwürfe geprüft worden. Und ausgerechnet dort haben sich die zwei hauptverantwortlichen Oberstaatsanwälte geweigert, persönlich auszusagen, und nur recht lapidare schriftliche Stellungnahmen geschickt.

Was aber tut die Ministerin angesichts dieses Verhaltens zweier ihr weisungsmäßig unterstehender Amtsträger? Wieder einmal gar nichts.

Komplettes Desinteresse zeigt die Staatsanwaltschaft allem Anschein nach auch an der Tatsache, dass aus ihren Akten ständig Details gegen politisch der Linken missliebige Personen an die Medien gespielt werden. Musterbeispiel ist die Causa Grasser. Hier spielt sich vor unser aller Augen ein laufender Amtsmissbrauch ab – der unabhängig davon feststeht, ob letztlich doch noch ein valider Beweis gegen Grasser auftauchen sollte.

Seltsames Desinteresse der Staatsanwaltschaft gab es auch an einem der Mitdrahtzieher in der Causa Libro. Von allen Verdächtigen wurde nur gegen einen einzigen im letzten Moment doch keine Anklage eingebracht – ausgerechnet gegen jenen Mann, der in einem Naheverhältnis zu einem einst mächtigen SPÖ-Minister steht.

Dieses Desinteresse steht in absurdem Gegensatz zum zelotischen Eifer, mit dem die Staatsanwaltschaft zuletzt etwa christliche Aktivisten wegen „Stalking“ vor Gericht gebracht hat, weil diese auf abtreibungswillige Frauen eingeredet und solcherart die Geschäfte eines Abtreibungsarztes gestört haben. Wenn das Stalking ist, was diese Aktivisten getan haben, dann erheben sich nämlich viele weitere Fragen: Warum werden dann eigentlich nicht auch andere Aktivisten als Stalker vor Gericht gebracht und verurteilt, etwa die „Tierschützer“, die Besucher von Pelzgeschäften bedrängen? Oder die immer aggressiver werdenden Bettler vor jedem Supermarkt? Oder die linken Demonstranten, die fast jede FPÖ-Veranstaltung zu stören versuchen?

Immer wieder ist es die Staatsanwaltschaft, die der Justiz den Makel einer totalen Einäugigkeit verleiht. Die durch eine geschickte Besetzungspolitik der letzten Jahrzehnte fast komplett sozialdemokratisch geleitet wird. Und die durch die neue Strafprozessordnung (die von einem der jetzt im Zentrum stehenden Oberstaatsanwälte formuliert worden ist) eine unglaubliche Akkumulierung der Macht erreicht hat. Seit es keine Untersuchungsrichter mehr gibt, entscheiden die Staatsanwälte ganz alleine, was erhoben wird und ob Anklage eingebracht wird oder nicht. Oder ob sie aus eigenem Gutdünken auf dem Weg der Diversion ganz an jedem Richter vorbei selbstherrliche Quasi-Urteile fällen. Und, ach ja, fast hätt ich‘s vergessen, die darüber thronende Ministerin könnte auch noch mitreden, deren Kompetenz die Staatsanwälte freilich auch noch beschneiden wollen.

Allerdings muss man zugeben: Die ständigen Kurzzeitministerinnen sind hilflos gegenüber diesem mächtigen Apparat, der noch dazu ganz offensichtlich engst mit den Beamten des Ministeriums verbunden ist. Was soll eine Arbeitsrechtlerin diesem Filz auch an eigener Kompetenz entgegensetzen können? Anfangs habe ich zwar gehofft, dass Beatrix Karl gegenüber Claudia Bandion-Ortner eine Verbesserung verkörpern würde. Aber diese Hoffnung hat sich rasch zerstreut.

Und außerdem ist guter Rat teuer: Denn es finden sich weit und breit keine wirklich qualifizierten Kandidaten für das schwierige Amt.

Daher nehme ich Buseks Forderung erst dann wirklich ernst, wenn er uns auch einen geeigneten Nachfolger verrät. Der sich etwa so wie Herr Töchterle im Wissenschaftsministerium als großer Glücksgriff in einer schwierigen Aufgabe erweisen könnte.

 

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Die Panik oder: Wann ist irgendwann?

06. August 2011 00:50 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Trau niemandem mehr. Der globale Kurssturz an den Börsen war zwar im Zeitpunkt nicht vorherzusagen gewesen. Das ist bei solchen, einer Massenpanik gleichenden Entwicklungen nie der Fall. Aber dass wir im letzten Jahr nur ein kurzes „Zwischenhoch“ erlebt haben, das war bei einiger Nüchternheit von Anfang an klar. Dieser Begriff ist daher auch in diesem Tagebuch im letzten Jahr mehr als ein halbes Dutzend Male verwendet worden. Dennoch ist es nicht wirklich logisch, dass jetzt ausgerechnet Aktien so rapide an Wert verloren haben.

Das ist letztlich nur noch psychologisch erklärbar. Denn Aktien verkörpern immerhin Sachwerte, während Staatsanleihen nur noch auf dem naiven Glauben aufbauen, dass die Regierungen den gigantischen Schuldenberg jemals abbauen können. Dieses noch immer vielerorts vorhandene Vertrauen in Staatspapiere gleicht in Wahrheit der Einstellung eines Lotteriespielers, der im Vertrauen auf eine winzige Chance wöchentlich dem Finanzministerium freiwillig große Beträge abliefert. Denn auch außerhalb der PIIGS-Länder haben die Staatsschulden unbewältigbare Dimensionen angenommen.

Natürlich lassen sich die Börsewerte nicht ganz von den Anleihewerten abkoppeln. Denn die Staaten in ihrer Verzweiflung sind zu allem imstande, also auch dazu, dass sie hemmungslos auf all unsere Sachwerte greifen. Projekte wie eine Kursgewinnsteuer sind da nur ein erster Schritt gewesen. Der nächste sind die von linken Parteien schon vehement geforderten „Vermögenssteuern“, die in Wahrheit wieder ganz überwiegend Unternehmen treffen, die aber die einzige Quelle eines eventuellen Wachstums, von Jobs und Wohlstand sein können. Und bald werden sie auch wieder verstaatlichen und enteignen wollen. So wie die Sowjets einst die Kulaken gejagt haben, also die freien Bauern.

Dass man dem Staat alles zutrauen kann, zeigt sich etwa in Italien. Dort veranstaltete eine süditalienische(!) Staatsanwaltschaft vor wenigen Stunden in Mailand Razzien bei einer Ratingagentur. Diese hätte „unbegründet und unvorsichtig“ gehandelt. Das wagen die Schergen eines Landes zu sagen, das die zweithöchste Verschuldung der Welt hat! Das wagen Beamte aus Apulien von sich zu geben, die seit Jahrhundert sehr gut mit der Mafia und von nordeuropäischem Geld leben!

Es gilt ganz offensichtlich die Devise: Niemand darf mehr die volle Wahrheit sagen! Zertrümmert alle Spiegel, damit niemand mehr sieht, wie hässlich wir Schuldenmachergesellschaften geworden sind.

Aber nicht nur Süditaliener, sondern auch viele Politiker sind mit solchen Dolchstoßlegenden immer sehr rasch bei der Hand (und die ihnen hörigen Journalisten sowieso). Wenn die Menschen massenweise das Vertrauen in den von der Politik angerichtet Scherbenhaufen verlieren, dann sind entweder die Ratingagenturen oder die Banken, die Spekulanten oder die „Profiteure“ (neuester O-Ton SPÖ-Staatssekretär Schieder) schuld, aber niemals jene, die jahrzehntelangen Stimmenkauf mit immer mehr Verschuldung betrieben, also von fremdem Geld „profitiert“ haben. Und niemals jene Wähler, die jene gewählt haben, die am lautesten und am meisten versprochen haben.

Sie alle taten das immer im Glauben, die Rechnung müsse irgendwann viel später ein anderer zahlen. Jetzt ist halt die Stunde „Irgendwann“ gekommen. Und der andere sind wir.

Auch wenn rückwirkende Gesetze jede Rechtsstaatlichkeit verletzen, so bekommt man derzeit fast Verständnis für das ungarische Vorhaben, die exzessiven Schuldenmacher aus der sozialistischen Regierungsperiode strafrechtlich zu verfolgen (nachdem die ungarischen Wähler sie schon mit nassen Fetzen davongejagt haben). Ungarn ist ja jenes Ostland, das schon am weitesten in den südlichen und westlichen Schuldenschlendrian verfallen ist.

Was aber tun? Sicher das Gegenteil von dem, was die Regierungen vermutlich jetzt wieder tun werden: nämlich dem verlorenen Geld noch viel gutes Geld nachzuwerfen, und immer neue Schuldpapiere in Umlauf zu setzen, damit vielleicht doch einmal eine Inflation alle Schulden (und halt auch Ersparnisse) auffrisst.

Wir müssen in Wahrheit die Dauerkrise wie das Jahr 1945 ansehen. Das ist eine Stunde null, wo der Wohlfahrtsstaat drastisch beschnitten werden muss; wo „wohlerworbene Rechte“ intensivst hinterfragt werden müssen, ob sie durch irgendeine echte Leistung oder nur auf dem Papier entstanden sind; wo die Staaten alle protektionistischen Regeln und alle bürokratischen Schikanen abschaffen müssen; und wo die Staaten nur noch auf das Notwendige und Machbare reduziert werden. Wir dürfen vor allem keinem Politiker mehr glauben, der mit irgendwelchen rasch geschnürten Rettungspaketen Abhilfe verspricht.

Der Glaube ist freilich gering, dass Europa zu einer solchen Rosskur bereit ist. Statt dessen wird es im Schlamm einer Dauerkrise steckenbleiben. Und es wird, so wie es die Griechen schon seit mehr als 2000 Jahren tun, von der einstigen Größe nur noch träumen, aber in keiner Weise mehr zu neuer Kraftanstrengung imstande sein. Oder es wird so wie Argentinien auf einen Standard nahe der Dritten Welt absinken – obwohl das Land in der Zwischenkriegszeit eines der wohlhabendsten Länder der Welt gewesen ist.

 

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Kollateraler Nutzen

05. August 2011 01:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Selbst wenn manche es bestreiten,
hat – das zeigt sich wieder klar –
wirklich jedes Ding zwei Seiten,
eine Schreckenstat sogar.

Diese hilft ja zu verdrängen,
dass die Pleite weiter sprießt
und man unter Gipfelzwängen
neuen Volksbetrug beschließt.

Flotte Schuldzuweisungsspiele
machen gleichfalls viele froh,
und wohl näher ihrem Ziele
sind jetzt Erdogan und Co.

Denn es klagt die Neo-Stasi
Christentum und Bürgersmann
– die extreme Mitte quasi –
prompt als Tatkomplizen an!

Ausgeblendet beim Gezeter
wird, weil sichtlich kein Problem,
dass auch schwul war dieser Täter,
Logenbruder außerdem.

Jedenfalls von großem Nutzen
ist die Sache insgesamt,
um Rivalen zu beschmutzen,
die man fürchtet und verdammt.

Trommeln kann man wieder rühren
für Kontrolle und Zensur,
demokratisch hinzuführen
zur totalen Diktatur.

Folglich gilt’s noch auszuweiten
alles, was Konflikte nährt,
um dann rettend einzuschreiten –
denn Rassist ist, wer sich wehrt…

Pannonicus

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Sage und Wirklichkeit

30. Juli 2011 16:20 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Er war ob eines Betts bekannt,
wie mühlos nachzulesen,
denn auf dem Bett, nach ihm benannt,
ist’s kein Plaisir gewesen.

Zwar freundlich lud er jeden Gast,
doch ging der dann zu Bette,
hat dessen Länge nie gepaßt,
darauf stand jede Wette!

Den Hausherrn hat die Differenz
indes nicht ruhen lassen,
für ihn war stets die Konsequenz,
den Gast ans Bett zu passen:

Mit einem Beile, wird erwähnt,
verkürzte er die Langen
und Kurze hat er langgedehnt,
brutal und unbefangen!

Drum ist’s nicht bloß von Relevanz,
mit wem ins Bett wir gehen,
sogar in wessen Bett kann ganz
fatal sein, wie zu sehen.

Und wenn wer so besessen scheint,
schier alles zu normieren,
liegt’s nah, dass er was andres meint –
auch das gilt’s zu kapieren!

Prokrustes nämlich hatte dick
es hinter beiden Ohren
und nützte den Zwei-Betten-Trick –
wer reinfiel, war verloren.

Ob in dem großen Bett gestreckt,
ob kurzgehackt im kleinen,
sind letztlich alle sie verreckt
beim Schindwerk, dem gemeinen.

Nur seht, wie’s heut’ in ihrem Reich
Prokrustesjünger treiben:
Sie machen gleichfalls alle gleich,
dass selbst sie gleicher bleiben!

Doch Brüssel ist nicht Attika –
denn wenn wir noch so schäumen,
es ist nun mal kein Theseus da,
um endlich aufzuräumen…

Pannonicus

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Fußnote 211: Mörderische Hilfe

28. Juli 2011 02:49 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Ein neuer Beweis, dass zu viele Hilfe ein Volk und ein Land nur krank macht.

Dieser Beweis besteht in einer neuen EU-Statistik, die auflistet, wieviel Geld die Landwirte jedes Mitgliedslandes pro Hektar bekommen. Da liegt ausgerechnet – Griechenland mit 575 Euro einsam an der Spitze (während die beiden nächstplatzierten Förderungsoptimierer nur noch zwischen 414 und 434 Euro bekommen). Die österreichischen Bauern liegen übrigens mit 224 Euro pro Hektar in der schlechteren Hälfte, dabei leben ja auch sie zu nicht weniger als zwei Dritteln von den Steuern anderer Menschen. Das sind unglaubliche Zahlen (hinter denen Experten übrigens auch wieder massiven Betrug durch die Griechen sehen). Griechenland ist mit den Milliarden aus Struktur- und Kohäsionsfonds ohnedies schon seit Jahrzehnten in der Spitzengruppe der Abkassierer. Mit der wir jetzt schon wieder „solidarisch“ sein müssen, wie uns die Politik belehrt. Noch wichtiger als der Zorn ist aber die Erkenntnis, dass die Abhängigkeit eines Landes von ausländischer Hilfe dieses Land jeder Leistung, jeder Eigenverantwortung total entwöhnt. Und dass es auch für das Land weit besser gewesen wäre, es hätte keine Hilfe bekommen.

 

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Der Tanz auf dem Vulkan

27. Juli 2011 22:31 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

Die Beschlüsse der Brüsseler EURO-Chaostruppe vom 21. Juli 2011 liegen nun auf dem Tisch.

Wer nicht haushalten kann und überschuldet ist, bekommt noch mehr Geld. Wem das Zahlen nicht möglich ist, der braucht erst in 30 Jahren ans Rückzahlen zu denken, wenn die Kapitalien durch die Inflation entwertet sind. Vereinbarte Zinsen werden ermäßigt oder auf Jahrzehnte gestundet.

Banken, die sich verspekuliert haben, bekommen neues Kapital vom „Stabilitätsfonds“ der EU. Wenn der Steuersäckel zu viele Löcher hat, wird er aus der unerschöpflichen EU-Quelle vorsorglich gespeist. Der Markt wird außer Kraft gesetzt. Geld entsteht aus dem Nichts. Die Chaoten lassen heute die Puppen tanzen. „Nach uns die Sintflut“ ist ihre Devise.  

Der Teufel in Person des Hedgefondsmanagers amüsiert sich königlich über Sarkozy, Merkel, Juncker und die Adabeis in der Chaostruppe. So zu lügen wie die, traut sich nicht einmal er. „Private“ an der Griechenlandrettung beteiligen? Na sicher, am Profit! Unser Hedgefondsteufel hat am 19. Juli noch schnell Bankaktien gekauft und nach zwei bis drei Tagen verkauft – mit 10-15 Prozent Gewinn. Der Wert der Banken ist dank der Beschlüsse  gleich um einige Milliarden Euro gestiegen.

Jetzt garantiert die EU den Banken auch noch ihre aufgekauften Anleihen überschuldeter Staaten zu 100 Prozent. Die Cleveren der Finanzbranche haben schnell vor dem Gipfel griechische Anleihen zu Diskontpreisen gekauft, die sie ein paar Tage später ebenfalls mit 15 Prozent Gewinn abgestoßen haben. Jetzt kommen die Banker und ihre Hedgefondsteufelchen in den Steueroasen mit dem Geldzählen kaum noch nach. 

Die EU hat ihnen zu einer Gewinnmaschine verholfen, einer Art Perpetuum mobile. Banken kaufen gutverzinsliche Staatsanleihen, die sie bei der EZB als Collateral hinterlegen, um flüssige Mittel zu niedrigeren Zinsen zu bekommen, die sie wieder zum Kauf von höherverzinslichen Staatsanleihen verwenden, die sie als Collateral bei der EZB hinterlegen, um flüssige Mittel zu niedrigeren Zinsen zu  bekommen … usw. Wunderbare Geldvermehrung im Kreislauf, risikofrei. Was will man mehr als Banker? Kommerzielle Kreditvergaben an noch so aussichtsreiche Unternehmungen samt mühevollen Kreditprüfungen kann man sich ersparen. 

„Der EURO ist stabil“, „wir sorgen für Stabilität“, behauptet unsere Chaostruppe und sorgt für die Bocksprünge auf den Finanzmärkten. Jedes Mal, wenn sie sich trifft, verursacht sie Schockwellen, welche die Spekulanten ausnützen. Jetzt ist sie dabei, einen „Stabilitätsmechanismus“ (ESM) einzurichten, der auf Dauer, genauso wie sein befristeter Vorgänger (EGSF), Instabilität hervorbringt. Vor jedem Beschluss herrscht das große Zittern.

„Was wir da machen, kostet den Steuerzahler nicht einen Cent“. Stimmt, es kostet ihn nur seinen Wohlstand und seine Zukunft sowie die seiner Kinder und Kindeskinder. Entweder wird kaputtgespart oder kaputtinflationiert. Geschehen wird wohl beides. 

Die Ersparnisse auf dem Sparbuch werden jeden Tag weniger wert. Die „kalte Enteignung“ braucht keine Steuern, das Aufblasen des Geldvolumens genügt. Die Kaufkraft von Löhnen und Sozialleistungen schmilzt, die Mieten steigen, die prekären Lebensverhältnisse nehmen zu. Die Preise der Güter des täglichen Bedarfs steigen rapid. Mit sieben Prozent liegt ihr Index doppelt so hoch wie der für die ganze EU ausgewiesene Verbraucherpreisindex. Für Mehl zahlen wir 70 Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Semmel wird zum Luxus (+ 30 Prozent). Das Heizen unserer Wohnung wird zum Problem (+ 17 Prozent), Ausfahrten mit unserem Auto unterlassen wir besser (Diesel + 36 Prozent) 

Die EURO-Währung „währt“ nicht mehr. Als Weichwährung macht sie dem Dollar Konkurrenz, der jetzt abzustürzen droht. Der Goldpreis ist seit Einführung des EURO um zehn Prozent p.a. gestiegen. Gegen den Schweizer Franken hat der EURO 30 Prozent verloren, dabei wurde die Schweiz von der Finanzkrise noch schwerer gebeutelt als der EURO-Raum. Für die Importe an Energie, Rohstoffen und Nahrungsmitteln müssen wir jetzt um 30 Prozent mehr zahlen als die Schweiz. Nicht erfreulich für ein Importland, wie wir es sind.

Die Staatsquote am Bruttosozialprodukt nimmt kontinuierlich zu, die Leistungen des Staates werden immer weniger, er „lagert sie aus“. Statt dass der Staat sie bezahlt, müssen wir unser Portemonnaie öffnen auf Kosten unseres Lebenstandards. Trotzdem steigt das Budgetdefizit in – noch vor wenigen Jahren, da der eine oder andere Tag noch „gut begann“ – unvorstellbare Höhen. In Wahrheit sind wir pleite. Wir sind ein Schuldner, der sich bei bester Bonität nur noch über Wasser hält, indem er noch mehr Schulden macht.

Früher oder später führt das zum Crash. Der Gang ins Casino hat leider auch nichts genützt: Die Cross Border Leasing-Geschäfte, die Veranlagungen in „strukturierte Produkte“, die „Swaps“, sie gingen fast alle in die Hose. Bund, Länder, Gemeinden, ÖBB, Donaukraftwerke haben große Teile des Vermögens der Bürger verspielt, Pensions- und Wohnbauförderungsfonds Milliarden und Abermilliarden verloren. Und damit wiederum ein Stück Zukunft und Rücklagen für schlechtere Zeiten.

Und jetzt also noch die verrückten Beschlüsse von Brüssel. Von ihnen sagt nun selbst der Präsident der Deutschen Bundesbank – Schönredner Novotny, schreib es dir hinter die Ohren! – dass sie „die Grundlagen der auf fiskalischer Eigenverantwortung beruhenden Währungsunion schwächen. Indem umfangreiche zusätzliche Risiken auf die Hilfe leistenden Länder und deren Steuerzahler verlagert werden, hat der Euro-Raum einen großen Schritt hin zu einer Vergemeinschaftung von Risiken im Falle unsolider Staatsfinanzen und gesamtwirtschaftlicher Fehlentwicklungen gemacht. Künftig wird es noch schwieriger, die Anreize für solide Finanzpolitik aufrechtzuerhalten”.

Jetzt geht es mit Riesenschritten auf die Fiskal-, Schulden-, Haftungs- und Transferunion mit EU-Wirtschaftsregierung  und schließlich politische Union zu, die niemand wollte. Hilfsteufelchen   Claude Juncker leistete ganze Arbeit: "Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt“. Und wenn es Geschrei gibt, „müssen wir halt lügen“.

Bürger und Parlamente werden nicht mehr gefragt. „Ist auch nicht nötig“, sagt unser Bundeskanzler im Duo mit der Finanzministerin. Gesetz und Recht zählen nicht, die Verfassung wird außer Kraft gesetzt, der Lisssabon-Vertrag mit „Ratsbeschluss“ grundlegend verändert, die „No-Bailout“-Klausel einfach aufgehoben, der einst als „Katastrophenhilfe“ eingerichtete „Stabilitätsfonds“ (EFSF/ESM) zum Geldesel-Streck-dich aufgemöbelt. Ein ganz eindeutiger Rechtsbruch. Doch Klagen sind nutzlos, längst wurde unsere Justiz in lebensentscheidenden Fragen „zur Hure der Politik“. 

Was also tun? FPÖ und BZÖ sind bei Ausweitung der Griechenlandhilfe und den weiteren Haftungsübernahmen machtlos, die einfache Mehrheit  der Österreichischen Verräter-Parteien (ÖVP/SPÖ) genügt vorerst, doch wenn es nach Faymann und seiner Finanzministerin geht, kommt das nicht einmal ins Parlament. Der Dauerrettungsschirm ESM – der letzte Atemzug vor dem Tod des österreichischen Souveräns – bedarf der Verfassungsmehrheit. Trotz Opposition von FPÖ und BZÖ wird sie erreicht, denn die Grünen, so ließ Herr Kogler durchblicken (Der Standard, 23./24. Juli, S. 11) werden nach den bereits gesetzten „Schritten in die Richtige Richtung“ zustimmen. Sie waren billig zu haben. 

In Scribes „Tanz auf dem Vulkan“ genügten ein paar Couplets, um vor dem Schafott zu retten und den König zu stürzen. Wir dürfen das aufgestaute Missfallen durch Eintrag in Andreas Unterbergs Tagebuch ablassen  – „das Ventil der Machtlosen.“ Stürzen wird das niemanden.

Friedrich Romig 

Der Autor lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Sein jüngstes Buch „Der Sinn der Geschichte“ erschien im Juni 2011 im Regin-Verlag, Kiel.

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Der nächste Schritt in die Bankrott-Solidargemeinschaft

22. Juli 2011 11:46 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Und schon wieder haben sie Griechenland gerettet. Und die ganze Euro-Zone gleich dazu. Die Selbst-Bejubelung der EU-Größen ist kaum zu ertragen. Sie haben sich also mühsam darauf geeinigt, nach den ersten 110 noch weitere 109 Milliarden zu verbrennen, die den Steuerzahlern in den ordentlicher wirtschaftenden Mitgliedsstaaten eher über kurz als über lang zur Last gelegt werden. Und auch Banken dürfen „ganz freiwillig“ mitzahlen – wer an diese Freiwilligkeit glaubt, wird selig. Und die griechischen Rückzahlungs-Konditionen wurden auch noch gemildert. Wenn das der Weisheit letzter Schluss ist, dann sollte Andreas Treichl seine Einschätzung der Wirtschaftskompetenz der (mitbeteiligten) österreichischen Politiker („zu blöd, zu feig, zu inkompetent“) auf den EU-Raum ausdehnen.

Man muss gar nicht erst auf das Kleingedruckte warten, das ja erst ausgehandelt wird, um die Wahrheit über diesen weiteren Sündenfall der EU-Politiker herauszufinden. Es reicht, dem griechischen Patienten zuzuhören.
Premier Giorgos Papandreou selbst sagt es klipp und klar: Was da auf unsere Kosten beschlossen wurde, ist nur „eine Atempause für Griechenland und die Euro-Zone“. In Zahlen gegossen: Durch die unzähligen Milliarden der Griechenlandhilfe wird das kranke Land seinen Schuldenstand bis Ende 2014 um ganze 26 Milliarden Euro verringern können. Selbst wenn das stimmt: Da die griechische Staatsschuld derzeit bei 350 Milliarden liegt, wird den Europäern vor lauter notwendigen Atempausen bald einmal die Luft ausgehen – und der Staatsbankrott Griechenlands trotzdem nicht abzuwenden sein. Und die Steuerzahler in anderen EU-Ländern müssen dafür bluten.
Es ist eine Bankrott-Solidargemeinschaft aus der EU geworden. Die unfähige EU-Spitze wird das Ihre dazu tun, dass Euro-Land bald abgebrannt sein wird.
Einmal mehr ist das Fazit des Gipfels: Wir, die Steuerzahler, zahlen und wir zahlen drauf, aber weder die Griechenland-Krise noch die Schulden-Krise mancher EU-Staaten sind auch nur im Mindesten abgewendet.
Es kann aber auch gar nichts anderes dabei herauskommen, wenn die EU-Politik in flatternder Nervosität gegen alles verstößt, was ihr als Inhalt der eigenen Verträge heilig sein sollte (dass es keine Solidarhaftung gibt, dass die EZB Mitgliedsstaaten nicht finanzieren darf...). Und sie kann schon gar nichts Grundlegendes ausrichten, wenn sie sich selbst ununterbrochen ein Denkverbot auferlegt – das da heißt: Der Euro darf nicht in Frage gestellt werden. Man darf ihn offensichtlich, wie wir in dieser Griechenlandkrise lernen, nur selbst zerstören.
Teure Ho-Ruck-Aktionen machen keine brillante Wirtschaftspolitik.
Die Europäische Union ist nur in den Augen ihrer eigenen Akteure ein wirtschaftlicher Global Player. Sie ist panikanfällig im Anlassfall und zu zögerlich bei grundsätzlichen Entscheidungen.
Ein gutes Beispiel für Letzteres ist die Gründung einer Europäischen Rating-Agentur. Seit Jahr und Tag wird ihre Notwendigkeit beschworen, wird sie (angeblich?) vorbereitet.
De facto sind wir aber immer noch die Sklaven der amerikanischen Rating-Agenturen und ihrer nicht nachvollziehbaren Einschätzungen. Die Herrschaften von „Standard and Poor’s“ (oder doch „Poor standard“?) und Moody’s (heißt wohl nicht zu Unrecht: „launenhaft“) richten in Europa oft konsequenzlos großen Schaden an. Auch wir haben das schon erlebt: Ihre unrichtige Einschätzung, dass Österreich ein Bankrott-Kandidat sei, hat der Republik höhere Kreditzinsen beschert – als sich herausstellte, dass es sich um eine Fehleinschätzung handelte, mussten nicht die Rating-Herrschaften dafür haften, sondern wir Steuerbürger mehr bezahlen. Diese Herren mussten die Gipfelgewaltigen bei ihrem aktuellen Griechenlandpaket auch beschwören, damit sie die neuen Hilfsmaßnahmen nicht als einen Zahlungsausfall werten.
Die messen aber ohnehin mit einem anti-europäischen Maß: Während sie für Europäer ständig Schuldenabbau predigen, verlangen sie für die immens hoch verschuldeten USA plötzlich eine Anhebung der Schuldengrenze.
Eine eigene Europäische Rating-Agentur wäre also dringend notwendig. Doch sie ist immer noch nicht in den Startlöchern, so viel auch darüber geredet wird.
Die Chinesen sind da anders: Die fackeln nicht lange mit Worten und Plänen, die haben ihre eigene Rating-Agentur einfach gegründet. Und ihre scharfe Warnung ist für die bankrottgefährdeten Amerikaner jetzt besonders unangenehm, ist doch China der größte Gläubiger der USA.
So macht man das, wenn man eine Wirtschaftsmacht ist und nicht nur sein will wie die großen Häuptlinge der EU.

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Wie die Gewerkschaft den Binnenmarkt zerstört

20. Juli 2011 00:29 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Am Schluss will es meistens niemand gewesen sein. Doch diesmal sind die Täter bekannt: Gewerkschaften, Arbeiterkammer und EU-Bürokratie sind die Haupttäter, die EU-Gesetzgeber (Parlament, Regierungen und Kommission) wie auch die österreichische Finanzbürokratie sind Nebentäter. Es geht um einen geradezu unglaublichen weiteren Zuwachs an bürokratischen Exzessen. Dieser wurde durch das europäische Entsenderecht und die angebliche Dienstleistungs-„Freiheit“ ausgelöst.

Diese hat zehnmal mehr Bürokratie ausgelöst, als vorher für den gleichen Vorgang in der angeblichen Dienstleistungs-Unfreiheit notwendig gewesen ist. Wenn es überhaupt eine bürokratische Regelung dafür gab.

Der Sachverhalt, den mir ein Tagebuch-Leser vorgelegt hat, ist klar: Er betreibt ein Software-Entwicklungs-Unternehmen in Wien und hat einen deutschen Kunden an der Angel. Ein Mitarbeiter dieses Kunden macht kurz in Wien Station, um die Kooperation zu besprechen. Und man trifft sich am Wiener Flughafen zu einer Besprechung, ehe der Deutsche wieder abreist.

Was aber eröffnet der angereiste Gesprächspartner als erstes: Er müsse für die österreichische Finanz ein zweiseitiges Formular ausfüllen, so wie seit Jahresbeginn jeder in dienstlichem Zusammenhang nach Österreich kommende EU-Bürger. Selbst wenn die Anreise nur einem halbstündigen Gespräch dient. Der penible Deutsche hatte das Formular gleich mit.

Geht es noch absurder? Warum lässt man die Gewerkschaften den einzigen wirklichen Sinn der EU so zynisch ruinieren, nämlich den, einen gemeinsamen Markt herzustellen? Glaubt irgendein Politiker, solche Bürokratie-Exzesse wären sinnvoll oder gar populär?

Das Motiv der Gewerkschaft ist angeblich die Verhinderung von Lohndumping, also von zu billigem Arbeiten durch EU-Ausländer in Österreich. Nun: Diejenigen, die solches vorhaben, werden sich ganz gewiss auch durch solche Fragebogenschikanen nicht aufhalten lassen.

Dieses seit Jänner vorgeschriebene Formular der österreichischen Finanz (ZKO 3) ist nur als reine Schikane zu bezeichnen – auch in weniger lächerlichen Fällen als bei jenem Gespräch mit einem deutschen Kunden. Denn das Formular macht beispielsweise keinen Unterschied, ob da ein Auftraggeber oder ein Auftragnehmer anreist. Denn auf diesem Formular sind für jede einzelne „Entsendung“ nicht weniger als 48 Rubriken auszufüllen. Für viele davon braucht man schon einen eigenen Rechtsberater, um zu erkennen, was oder wer da eigentlich gemeint sein soll. Oder weiß der werte Leser beispielsweise, wer im konkreten Beispiel das sein soll: „Beauftragte Person (Weisungsberechtigt gegenüber der entsandten Arbeitnehmerin/dem entsandten Arbeitnehmer)“? Wer ist da zugleich „beauftragt“ und „weisungsberechtigt“?

Das einzige, was diese kranke Bürokratie offenbar noch zusammenbringt, ist die krampfhafte Vergenderung aller Formulare. Dadurch werden diese freilich noch viel unverständlicher, wohl auch für die Formular-Verfasser.

Sosehr man aber die Bürokratie tadeln muss: Die Hauptschuld bleibt bei den Gewerkschaften – den österreichischen an der Spitze! –, die solches durchgesetzt haben. Sie haben der europäischen Idee eines gemeinsamen Marktes zur Förderung von Frieden und Wohlstand viel mehr Schaden angetan, als es die oft getadelten Europaskeptiker je geschafft haben.

Diese aber können sich ins Fäustchen lachen. Das antieuropäische Geschäft besorgen andere, die Gewerkschaften und die diesen willfährigen Politiker und Bürokratien. Die Ernte wird natürlich bei den Europagegnern landen.

Mir bleiben da nur noch zwei Fragen: War nicht Österreich so stolz darauf, in seiner Präsidentschaft die den ganzen Unsinn auslösende Dienstleistungsrichtlinie durchgebracht zu haben? Wundert es wen, wenn es sich dieser Deutsche künftig zehnmal überlegen wird, wieder einen Auftrag nach Österreich zu vergeben, wenn das mit so viel Schikanen erschwert wird?

PS: Und wenn jetzt manche meinen, nur ein Deutscher kann das alles so penibel ernst nehmen, dann haben sie vielleicht recht. Aber was ist das für ein Staat, was für ein Europa, das ständig Regeln ausspeit, die niemand mehr ernst nehmen kann und will? Und wo, wie in einer Negativ-Lotterie, halt bisweilen manche Übeltäter erwischt und bestraft werden, und die anderen munter weitertun. Denn anders als rechtswidrig kann man da gar nicht weitertun.

 

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10 Erklärungen zur europäischen Finanzkrise

17. Juli 2011 00:51 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Heute einmal der Versuch, die Analyse der europäischen Schuldenkrise in zehn markanten Punkten zusammenzufassen.

1.    Die europäische Finanzkrise war seit vielen Jahren vorhersehbar gewesen. Nur der genaue Zeitpunkt des Ausbrechens einer solchen Krise ist letztlich immer überraschend.

2.    Der zentrale politische Fehler des Euro und der EU: Die eigenen Regeln und Ankündigungen wurden nicht ernst genommen. Das passierte zum ersten Mal schon bei der Aufnahme von Staaten in den Euro, welche die laut verkündeten Kriterien nicht erfüllt haben. Der dadurch eingetretene Glaubwürdigkeitsverlust ist weder in der Politik und ganz besonders nicht in der Finanzwelt wiedergutzumachen.

3.    Wir haben keine Euro-Krise, sondern primär eine schwere Schuldenkrise zahlreicher Staaten, die auch ohne Euro schlagend geworden wäre. Sie wird nur von den Regierungen und Notenbanken gerne als Euro-Krise ausgegeben, um von der eigenen Schuld daran abzulenken.

4.    Es war ein historischer Fehler der EU-Staaten wie Österreich, im Mai 2010 den Märkten in den Arm zu fallen, als sie endgültig das Vertrauen in Griechenland verloren haben, auch wenn sich Griechenland seither durchaus angestrengt hat. Die griechischen Maßnahmen sind für viele Griechen einschneidend, aber dennoch unzureichend, um die Verschuldungskrise zu lösen.

5.    Diese schweren Fehler sind nicht mehr rückgängig zu machen. Jede heute mögliche Lösung kann nur noch unter schmerzhaften Folgen für ganz Europa erzielt werden.

6.    Die EU ist in einer tiefen inneren Struktur- und Sinnkrise, die durch die Schuldenkrise nur völlig überdeckt wird. Im Laufe der Jahrzehnte haben sich Konstruktionsfehler und faule Kompromisse in der EU zusammen mit den Folgen des unstillbaren Machtdrangs der Brüsseler Bürokratie so angehäuft, dass man auch erstmals einen Zerfall der Union für möglich halten muss.

7.    Die beste Überlebensstrategie für Europa wäre, die EU auf die Verteidigung eines guten und funktionierenden Binnenmarktes zu reduzieren und alle Versuche zurückzunehmen, ein supranationaler Einheitsstaat zu werden.

8.    Eine EU-Wirtschaftsregierung hätte die gleiche Wirkung wie ein Kartell zur Beendigung des Wettbewerbs: Die Steuern würden gewaltig nach oben gehen. Die Kosten müssten Konsumenten und Steuerzahler zahlen.

9.    Die versprochene positive Wirkung einer solchen Wirtschaftsregierung, nämlich strengere Budgetdisziplin, wird hingegen ausbleiben. Sind doch die meisten Staaten nicht einmal imstande, Gemeinden und Regionen am exzessiven Schuldenmachen zu hindern.

10.   Durch den Abbau des inneren Wettbewerbs und die Außerkraftsetzung der No-Bailout-Klausel wie auch durch die schwere Schuldenlast  ist Europa noch weniger für den Wettbewerb mit asiatischen und anderen Schwellenländern gerüstet als in den letzten Jahren.

 

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Man kann die Justiz bisweilen auch loben

14. Juli 2011 01:43 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Österreichs Justiz leitet gegen den kasachischen Ex-Botschafter Rakhat Alijew ein Strafverfahren ein. Das ist gut und richtig so.

Denn die Vorwürfe gegen ihn sind gravierend. Noch mehr Lob verdient die Justiz aber auch dafür, dass sie dem skandalösen Druck standgehalten hat, den Kasachstan und seine bezahlten Agenten – insbesondere ein sehr SPÖ-naher Anwalt – ausgeübt haben, dass Alijew an jenes wenig rechtsstaatliche Land ausgeliefert wird. Kasachstan war ja nie wirklich an einer Anklage in Österreich, sondern nur an einer Auslieferung des Mannes interessiert. Immerhin ist Alijew der Ex-Schwiegersohn des dortigen Diktators und die Vermutung ist stark, dass hier in Wahrheit ein brutaler Machtkampf in der Herrscherfamilie nach altsowjetischer wie altislamischer Sitte stattfindet, in dem es niemandem gut ansteht, Partei zu ergreifen. Ebenso wie es auch gut möglich ist, dass der Schwiegersohn tatsächlich ein Mörder ist. Umso spannender wird es, wenn die vom kasachischen Regime entsandten angeblichen Tatzeugen in einem Kreuzverhör Rede und Antwort stehen müssen.

PS: Besonders beschämend ist, dass neben der SPÖ auch die EU-Kommission versucht hat, sich in diesen Kriminalfall einzuschalten und Druck auf die österreichische Justiz auszuüben. Denn das steht ihr in keiner Weise zu. Das zeigt aber die unerträglich werdende Präpotenz der Brüsseler Bürokratie, die sich nicht nur über die nationale Souveränität, sondern auch über die klassische Gewaltentrennung total erhaben dünkt.

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Otto von Habsburg ist tot – das Prinzip besteht fort!

13. Juli 2011 19:59 | Autor: Johannes Auer
Rubrik: Gastkommentar

Am 4. Juli ist seine kaiserlich-königliche Hoheit Otto von Habsburg friedlich entschlafen, ein Tag, der die versammelte Presselandschaft zu den unterschiedlichsten Schlagzeilen verleitete. Ein Nachruf jagte und jagt den anderen, es scheint, als befänden sich die Medien in einer Mischung aus Anerkennung und Nostalgie, aber auch von republikanischer Verachtung gefangen für jenen Mann, der wie kaum ein anderer für das überzeitliche Prinzip des Legitimismus stand und steht.

Ein Fehlurteil findet man immer wieder: die Monarchie, so der O-Ton, sei nun, mit dem Tod des „letzten Monarchen“, endgültig Geschichte. Österreichs glorreiche Vergangenheit sei nun, da seine Hoheit in der Kapuzinergruft seine letzte Ruhestätte findet, restlos abgeschlossen. Dieses Fehlurteil verkennt Aufgabe und Bedeutung des Legitimismus, sie verkennt die Sendung und die Berufung des Hauses Habsburg und Seiner Hoheit Otto von Österreich. Und gerade dieser Sendung sei dieser Nachruf gewidmet.

Gordon Brook-Shepherd, einer der fähigsten und treuesten Biographen des Seligen Kaiser Karl, schrieb in seinem Werk „Um Krone und Reich“ folgendes über den Seligen: „Karl musste die Vernichtung seines Reiches im Kriege und die Auflösung des Staates im Inneren erleben; den Verlust einer Krone, die seine Ahnen durch sechseinhalb Jahrhunderte getragen hatten und die er selbst ebenso als eine Gabe Gottes wie als ein Vermächtnis seiner Vorfahren schätzte;“

Dieser Satz könnte ebenso auch auf Seine Hoheit Otto von Habsburg geschrieben sein und er drückt den Kern des Legitimismus aus. Da wäre zunächst die schlichte Tatsache, dass Krone und Reich nicht zur Befriedigung der Egoismen der Herrscher errichtet wurden, sondern vielmehr von Gott geduldete legitime Einrichtungen darstellen, die letztendlich unabhängig von Personen und Charakteren einzig eine überzeitliche Wahrheit verkörpern. So weiß sich der Kaiser nicht der „Masse“ verpflichtet, sondern vielmehr dem göttlichen Auftrag, dem christlichen Glauben und dem Dienst am Heilswerk Gottes. Dies erfordert Tugenden, die nur von tugendhaften Monarchen erfüllt werden können und die der verstorbene Erzherzog zutiefst verinnerlichte und lebte.

Seine k. u. k. Hoheit Otto von Habsburg ist daher nicht nur ein „Mensch“, der Großes geleistet hat, der sich für die Einigung Europas stark gemacht hat, der christliche Werte in die Politik trug, der stets danach trachtete in Demut, Einfachheit und Glaubensstärke jene kaiserlichen Tugenden zu verkörpern, die ihm sein seliger Vater und seine Mutter vorlebten. Seine Hoheit ist viel mehr Symbol einer unumstößlichen Ordnung, die sich freilich nicht an den schnelllebigen Zeitgeist anlehnt, sondern die in Jahrhunderten, Jahrtausenden und in der Kategorie der christlichen Ewigkeit zu messen ist.

Eine kritische Aufarbeitung der Ereignisse, die zur „Abdankung“ führten, und die daraus zu ziehenden Konsequenzen, müssen und werden zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.  Die Ordnung, die seine k. u. k. Hoheit verkörperte, eine Ordnung, die nationale Egoismen ebenso ausschließt wie sozialistische Gleichmacherei, sie behält Gültigkeit, unabhängig davon, ob sie auf Erden verwirklicht ist, oder nicht. Diese Ordnung, das traditionelle Reich, ist es, an der der Legitimist festhält.

Und dieses überethnische Reich ist es auch, welches nicht nur Frieden und Stabilität in Mitteleuropa garantierte, welches für religiöse Toleranz, aber keineswegs für modernistische Vermischerei stand. Dietrich von Hildebrand drückte dies in der Zeitschrift „Der christliche Ständestaat“ so aus: „In Österreich schließt der Legitimismus aber nicht nur das Bekenntnis zur Monarchie ein, wie in England, Frankreich oder Spanien, er ist nicht nur ein Bekenntnis zu einer bestimmten Staatsform, sondern auch ein Bekenntnis zu einem weltanschaulichen, kulturellen und politischen Programm. Denn Habsburg ist nicht nur das legitime Herrscherhaus in Österreich, wie die Bourbons in Spanien oder die Wittelsbacher in Bayern, sondern es ist die Verkörperung der österreichischen Idee und der Sendung Österreichs.“

Wenn die sterblichen Überreste Seiner Hoheit am 16. Juli in der Kapuzinergruft zur letzten Ruhe gebettet werden, dann mag der Erzherzog hier auf Erden verstummen, das Prinzip, für das er lebte, welches er verkörperte und welches er bewahrte, es wird fortbestehen. Das Schlusswort soll Dietrich von Hildebrand gehören, dessen Worte, obwohl bereits 1936 verfasst, von zeitloser Gültigkeit bleiben: „Und wenn dies alles unsere Herzen mit Dank gegen Gott erfüllt, der uns in dieser schweren, furchtbaren Zeit diesen wahren Habsburger schenkte, so lässt es unsere Herzen, neben der unbedingten Ergebenheit gegen den legitimen Herrscher, auch in Verehrung und Liebe zu Kaiser Otto erglühen.“

Johannes Auer ist Publizist. Seine Haupt Forschungs- und Publikationsschwerpunkte sind das Verhältnis von Religion und Staat. Auer forscht ebenso intensiv auf dem Feld  des „Traditionalismus“.

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Ein Kartenhaus stürzt ein: Silvio ist Europas letzte Hoffnung

11. Juli 2011 00:44 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Und jetzt Italien. Das einzig Überraschende daran ist, dass Italien nun doch vor Spanien das Vertrauen der internationalen Geldanleger verliert. Eigentlich hatte lange vieles auf eine umgekehrte Reihenfolge hingedeutet. Das ändert nichts daran, dass die Italien-Panik die finale Katastrophe für Europa einläuten könnte. Besonders spannend ist der Ausbruch der italienischen Krise aber auch in Hinblick auf die Person Silvio Berlusconis.

Denn der italienische Ministerpräsident mit dem Hang zu jungen Mädchen hatte erwiesenermaßen sehr lange eine sehr positive Funktion, die freilich von den meisten Medien nicht erkannt worden ist oder aber bewusst verschwiegen wird. Er hat dem Land nämlich jahrelang das überlebensnotwendige Vertrauen der Gläubiger verschafft. Immerhin hat Italien ja seit langem die zweithöchste Verschuldungsquote in der EU – und dennoch hat es als einziges der PIIGS-Länder während der Krisenjahre keinen Verlust seiner Ratings hinnehmen müssen.

Da das Verhalten der Märkte oft mehr durch Psychologie als durch die reinen Zahlen erklärt wird, hat Berlusconis Machismos mehr Vertrauen ausgestrahlt als sanfte Intellektuelle, fade Apparatschiks, verbissene Ideologen, fromme Priestertypen oder realitätsfremde Idealisten. Alles hatten wir ja in Italien zur Genüge.

Berlusconi hat Italien zum ersten Mal über Jahre hinweg eine stabile Regierung samt arbeitsfähiger Parlamentsmehrheit verschafft. Er hat auch den weiteren Zuwachs der Staatsschuld im Widerspruch zur italienischen Tradition in den letzten Jahren eingebremst. Und er hat für eine wirtschaftsfreundliche Gesetzgebung gesorgt. Vor allem aber wissen alle, dass ohne Berlusconi dem Land wieder das übliche Chaos rasch wechselnder und total entscheidungsunfähiger Regierungen droht. Die erotischen Vorlieben Berlusconis waren zwar den Medien wichtig, den Gläubigern aber völlig wurscht – ebenso wie sie das beim Chef des Internationalen Währungsfonds waren.

Jetzt aber scheinen die Gläubiger noch vor den oft als böswillige Panikmacher gescholtenen Rating-Agenturen das Vertrauen in Italien zu verlieren. Die Zinsen, die Italien fürs Geldausborgen zahlen muss, schießen seit Freitag in die Höhe; die Kurse für italienische Bankaktien hingegen seit einiger Zeit in die Tiefe.

Und wieder hängt die Entwicklung eng mit Berlusconi zusammen. Die Anleger sehen, dass Berlusconi an reformerischer Gestaltungsmacht stark abgebaut hat. Sie rechnen damit, dass il presidente nicht mehr lange amtieren wird. Die von seinen Gegnern angestrengte Prozessflut treibt ihn in die Enge, die Umfragen verschlechtern sich, und in den letzten Tagen hat Berlusconi sogar selbst erstmals angekündigt, bei den nächsten Wahlen nicht mehr zu kandidieren.

Dass Berlusconis nahes Ende die Investoren verschreckt, kann noch als Kompliment für ihn verstanden werden. Aber in den letzten Tagen hat er auch selbst einen schweren Fehler begangen. Er hat nämlich öffentlich Kritik an seinem Finanzminister Tremonti geübt. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da Tremonti ein auch in den eigenen Reihen unbeliebtes Sparpaket durchzuboxen versucht. Da ist in Berlusconi angesichts seiner eigenen bedrängten Lage offenbar der alte Populist durchgebrochen. Daraufhin riss jedoch den Märkten der Geduldsfaden.

Italiens letzte Hoffnung: Die dramatischen Stunden dieses Wochenendes waren nur eine Drohgebärde der Märkte mit der Botschaft: „Tremontis Sparpaket muss zur Gänze realisiert werden“.

Falls die Märkte aber mehr im Sinn haben als reine Drohgebärden, oder falls Tremonti scheitert, dann steht nicht nur Italien, sondern auch Europa lichterloh in Flammen. Dann war Griechenland nur ein schwaches Vorspiel zu dem, was jetzt auf uns zukommt. Angesichts der Größenverhältnisse sind die unfassbaren 1,5 Billionen durchaus realistisch, die schon kolportiert werden. Es geht also nicht mehr nur um Mill., und nicht mehr nur um Mrd., sondern gleich um Bill. So wie zuletzt in der Inflation der 20er Jahre. Nur der Verdeutlichung halber: Zwischen jeder dieser Abkürzungen steht der Faktor 1000.

Wenn sich Italiens Situation aber weiter verschlechtert, werden zwar all jene recht behalten haben, die vor der Griechenland-Hilfe als einem katastrophalen Präjudiz gewarnt haben. Das wird aber auch ihnen nichts mehr nützen. Opfer werden alle Europäer. Sie können zwar die Faymanns und Merkels und Sarkozys aus dem Amt jagen (und hoffentlich den besonders üblen Herrn Juncker mit dazu). Das Unglück ist aber nicht mehr zu verhindern. Und kommt offenbar noch rascher als ohnedies befürchtet auf uns zu.

Alles deutet darauf hin, dass es nun zu einer offenen Feldschlacht zwischen Notenbanken und Regierungen kommen wird; dass die Europäer in ihrer verzweifelten Flucht den Goldpreis noch weiter in die Höhe treiben werden; dass die Investitionen rasch wieder versiegen werden; dass auch viele andere Staaten Europas und Nordamerikas ihre Anleihen kaum noch verkaufen werden können; und dass überdies gleichzeitig der skurrile und vertrauensbeschädigende Plan rasch wieder entsorgt werden muss, die privaten Gläubiger Griechenlands halb zu enteignen, ohne dass das aber als Insolvenz gewertet werden sollte.

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Lieber Herr Schäuble!

10. Juli 2011 20:08 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

Vorbemerkung: Wolfgang Schäuble, seines Zeichens Finanzminister Deutschlands, hat in einem geradezu emphatischen „Eingangsvortrag“ vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Rettungsaktionen für Griechenland, Irland und Portugal verteidigt, die von 50 Klägern als Rechtsbruch angesehen werden. Der Gerichtshof, das lässt sich heute schon sagen, wird den Klagen – wenn er sich denn überhaupt als zuständig erklärt – nicht stattgeben. Noch immer hat sich die Justiz in entscheidenden Fragen der Politik gebeugt.

Wir wollen deshalb auch gar nicht auf juristische Fragen, etwa den Bruch des Bailout-Verbots, eingehen. Was uns zu diesem Brief veranlasst, ist die tiefe Enttäuschung über einen Mann, der in unseren Augen Vorbild auch für unsere österreichischen Politiker hätte sein können, brachte er  in den Staat doch so etwas wie „sittliche Substanz“ ein, ohne die kein Staat existieren kann. Nach dem Auftritt Schäubles vor dem Richtersenat müssen wir uns fragen, wie es denn dieser Mann, den wir für grundehrlich gehalten haben,  mit seinem Gewissen vereinbaren kann, eine Politik zu vertreten, die den Bürger hintergeht, ihn hereinlegt, täuscht und auf nichts anderem aufbaut als auf Lug und Trug.

Dem österreichischen Leser bleibt es überlassen, wie er die Situation in seinem Lande beurteilt und  welche Schlüsse er zieht. Argumente, wie sie Herr Schäuble vorbringt, sind in ähnlicher Weise ja auch hier zu hören.

Lieber Herr Schäuble,

Sie stellen gleich eingangs Ihrer Ausführung vor dem Bundesverfassungsgericht die Frage, ob eine Währungsunion ohne politische Union funktionieren kann. Wie können Sie diese Frage stellen, die doch schon hunderte Male beantwortet wurde, nämlich mit einem klaren Nein? Warum sagen Sie den Richtern nicht klipp und klar, dass die Europäische Währungsunion nach einem falschen Konstruktionsprinzip errichtet wurde und schon deshalb, wenn nicht heute, so doch morgen, zum Scheitern verdammt ist?

Sie verweisen auf den „Grundgedanken“, die wirtschaftliche der politischen Union vorausgehen zu lassen. Sie bemerken gar nicht, dass Sie damit den Gründungsvätern unterstellen, Marxisten gewesen und Marxens Lehre von Unterbau (Ökonomie) und Überbau (Staat, Union) gefolgt zu sein. Wenn die Union nichts anderes ist als der Reflex ökonomischer Interessen, der Klassenherrschaft und Ausbeutung, dann hätten Sie als christlicher Politiker vor den Richtern Ihre Abscheu vor einem solchen Gebilde zum Ausdruck bringen müssen. Eine auf marxistischen „Grundgedanken“ beruhende Union wollen die freiheitsbewussten Bürger der Bundesrepublik sicher nicht. 

Als „Erfolgsgeschichte“ haben Sie die hinterlistige Vorgehensweise bezeichnet, „durch begrenzte Einzelermächtigung schrittweise handlungsfähige Institutionen der Union aufzubauen“ und die Staaten ihrer  Souveränität zu entkleiden. Sie machen vor dem Gericht nicht deutlich, dass das gegen den Willen der Bürger geschah, wie das die Abstimmungen über die EU-Verfassung, dort wo sie abgehalten wurden, gezeigt haben.

Mit Recht heben Sie hervor, dass „niemand einen europäischen Superstaat will.“ Aber an der schleichenden Auflösung des eigenen Staates wollen Sie festhalten. Missachten Sie hier nicht den Willen des Volkes? Glauben Sie, das Volk habe ein „falsches Bewusstsein“, Sie und Ihre Freunde aber das richtige? Wollen Sie sich wirklich der Übertölpelungstaktik des Euro-Gruppenvorsitzenden Juncker anschließen? Begehen Sie hier nicht Demokratieverrat?

Fälschlich behaupten Sie, die europäischen Länder seien zu klein um in einer „globalisierten Welt“ ihre Interessen wahrzunehmen und ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Zeigen nicht die Schweiz oder Norwegen, aber auch jene EU-Mitglieder genau das Gegenteil, die nicht Mitglieder der Währungsunion sind? Fast alle von ihnen haben die Krise besser bewältigt als die Mitglieder der Währungsunion. Gerade Sie sollten wissen, dass Größe kein Erfolgsmerkmal ist und Quantität nicht automatisch in Qualität umschlägt. Europa verdankt seine Größe der Vielfalt, nicht der Einheit und Uniformierung.

Sie heben hervor, dass die Übertragung der Geldpolitik auf die europäische Ebene (EZB) unter Beibehaltung der Fiskalpolitik in der nationalen Kompetenz zur Schuldenkrise geführt hat, weil die paktierten Stabilitätskriterien nicht eingehalten wurden. Sie verschweigen, dass von vorneherein niemand an die Einhaltung dachte und der Stabilitätspakt schon bei der Gründung der Währungsunion gebrochen wurde.

Er war ja nur zur Beruhigung und Täuschung der deutschen Bürger gedacht, die an der Deutschen Mark hingen. Und mit Recht halten sie fest, dass nach der Ablehnung von automatischen Sanktionen auch in Zukunft nicht mit der Einhaltung der „verschärften“ Stabilitätsvorschriften zu rechnen ist. Hätten Sie da nicht den Richtern reinen Wein einschenken müssen? Und halten Sie es für vertretbar zu verschweigen, dass die EZB ihre Regeln gebrochen hat und heute auf  einem Paket von uneinbringlichen Forderungen sitzt, für die wiederum Deutschland eintreten muss, will sie den Konkurs der EZB vermeiden?

Profitabilität der Währungsunion

Sie behaupten, Deutschland habe von der Währungsunion am meisten profitiert. Für diese Behauptung haben Sie keinen Beweis erbracht. Deutschlands Exporte in Länder, die nicht der Währungsunion angehören, sind stärker gestiegen als jene in die Euroländer. Was sie „Profit“ nennen, hat in Wahrheit zu schweren Verzerrungen in den Außenbilanzen geführt. Die Währungsunion hat die Übertragung von Volksvermögen  ins Ausland erleichtert und das ging dort zu einem guten Teil  zusammen mit inländischen Arbeitsplätzen verloren.

Um sich über die Profitabilität zu informieren, hätte ein Gespräch mit Ihrem Präsidenten des Wirtschaftsforschungsinstituts Hans-Werner Sinn genügt. Es gibt keinen Beweis dafür, dass der Gemeinsame Markt für Deutschland von Vorteil war. Großmärkte sind von Vorteil für Großbetriebe. Kleinbetriebe, Nahversorgungsbetriebe, viele Betriebe des deutschen Mittelstands sind verschwunden. Prekäre Dienstverhältnisse, Arbeitslosigkeit etc. haben erschreckende Ausmaße erreicht. Sie haben, Herr Schäuble, mit ihrer Behauptung der Profitabilität der Währungsunion für Deutschland die Richter schlichtweg belogen.

Der EURO, so meinen Sie, sei „beeindruckend stabil.“ Davon kann keine Rede sein, denn dann wäre es nicht zu „Blasen“, Bankenpleiten, oder Überschuldungen von Staaten gekommen. Die Inflationsrate bei Gütern des täglichen Bedarfs, Nahrungsmitteln, Restaurantpreisen, Serviceleistungen, Grundstücken, Immobilien, Mieten, Aktienkursen, Rohstoffen, Energie, Treibstoffe,  werthaltigen Metallen wie Gold und Silber liegt bei sieben bis zehn Prozent jährlich. Der Außenwert des EURO hat gegen eine relativ stabile Währung wie dem Schweizer Franken dreißig Prozent an Wert verloren! Nein, von Stabilität kann keine Rede sein.

Wiederum mit Recht erwähnen Sie, dass die Währungsunion die Zinsspreads für Staaten, die über ihre Verhältnisse lebten, nicht ausreichend reflektiert hat. Aber eben an dieser „Fehlentwicklung“ ist die Währungsunion mit ihrem gemeinsamen Finanzmarkt schuld. Ihre Pflicht wäre es gewesen, die Richter auf diesen unbehebbaren Konstruktionsfehler der Währungsunion aufmerksam zu machen.

Stattdessen treten Sie dafür ein, die Reaktionen der Finanzmärkte auch in Zukunft zu unterlaufen, sei es durch die Griechenlandhilfe, die Schaffung eines Finanzstabiltätsfonds oder die Nutzung des European Financial Stability Mechanism (60 Milliarden EURO), an dem auch Nicht-EURO-Mitglieder beteiligt sind. Wie können Sie für „Marktwirtschaft“ eintreten, Sie aber gleichzeitig auszuschalten versuchen? Wie können Sie das den Richtern erklären? Halten Sie die für dumm?

Den Schluss Ihrer Ausführungen bilden die üblichen Stehsätze über „Solidarität“, „Stabilität“, „Demokratie“ und „Frieden“. Staaten kennen keine „Solidarität“, sondern Interessen. „Stabilität“ ist im Kapitalismus längst ersetzt durch „creative destruction“. Die „Demokratie“ wird durch die „Vertiefung“ der EU ausgehebelt, denn Demokratie gibt es nur auf nationaler Ebene (Vaclav Klaus). Und der „Frieden“ wird in Europa bewahrt nicht durch die Union, sondern durch die NATO. Der EURO aber spaltet Europa, verbaut der Jugend ihre Zukunft, führt zu politischer Instabilität und Straßenkämpfen.

Lieber Herr Schäuble, versuchen Sie doch nicht den Richtern wie der ganzen Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen und sie in die Irre zu führen. Reden Sie Wahrheit! Die Beteiligung Deutschlands an den Rettungsfonds ist nicht im Interesse Deutschlands. Die horrenden Beiträge und Haftungen gefährden Deutschlands Wohlstand. Wären sie ehrlich, müssten sie das den Richtern sagen.

Der Eingangsvortrag Schäubles ist abrufbar unter:

http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_1270/DE/Presse/Reden-und-Interviews/20110705-Rede-M-BVerfG.html?__nnn=true

Univ.-Dozent Dr. Friedrich Romig lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen.

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Zurück zum Plastiksackerl

07. Juli 2011 00:18 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Zuerst die gute Nachricht: Ganz im Westen und im Norden regiert noch die wirtschaftliche Vernunft. Im Rest Europas ist sie jedoch dahingeschmolzen. Anders ist es nicht zu erklären, dass jetzt auch die EU-Kommission eine Finanztransaktionssteuer vorschlägt, samt einer saftigen Erhöhung ihres Ausgabenrahmens. Und dass sie damit vielerorts auf Zustimmung stößt.

Besonders erstaunt, dass sogar der Chef der europäischen Liberalen, der Belgier Guy Verhofstadt, diese neue Steuer lobt. Der Liberalismus ist offensichtlich schon ganz schön weit herumgekommen, wenn sein oberster Repräsentant in der EU eine Steuererhöhung „einen fantastischen Vorschlag“ nennt. Dass die selbsternannten liberalen Parteien mit Liberalismus nicht mehr viel zu tun haben, sieht man freilich auch am orientierungslosen Zerfall der deutschen FDP. In Österreich haben wir sicherheitshalber gar keine liberale Partei, daher brauchen wir uns gar nicht erst den Kopf zu zerbrechen, was am Jubel über neue Steuern noch liberal sein soll.

Dass die Wiener Regierung unreflektiert für eine Transaktionssteuer ist, wissen wir ohnedies schon lange. Blöd ist nur, dass jetzt die EU selbst jene Steuer kassieren will, auf die Rot und Schwarz schon gelauert haben.

Umgekehrt kommt vielleicht auch die EU mit ihrer Geldgier – die den Finanzrahmen 2014 bis 2020  aufbessern soll – zu spät. Denn Italien hat soeben in seiner Finanznot beschlossen, diese Steuer im Alleingang einzuführen. Und begreift nicht, wie sehr sich damit einer der ältesten Finanzplätze Europas selbst schadet.

Man muss jetzt jedenfalls ganz auf die eine solche Steuer strikt ablehnenden Skandinavier und Briten hoffen, damit der Unfug nicht europaweit Wirklichkeit wird. Aber derzeit wird ja in Europa offenbar jeder Unfug Wirklichkeit. Bevor die EU auf die vielen Geldverschwendungsprojekte verzichtet, lassen sich ihre Machthaber nur das einfallen, was Politikern immer einfällt: Steuern, Steuern, Steuern. Die EU-Kommission will einfach mehr Geld zum Ausgeben haben.

Und warum ist das ein Unfug? Weil die Lasten auf der europäischen Wirtschaft diese immer weniger wettbewerbsfähig machen; weil immer mehr Investitionen abwandern; weil die europäischen Länder ohnedies schon die höchsten Steuerquoten der Welt zu tragen haben; weil bis auf seltene Ausnahmen die Politik mit Geld viel schlechter umgeht als Bürger oder Wirtschaft; weil der Finanztransaktionssteuer wegen künftig viel Geld, Zeit und Gehirnschmalz unproduktiv für komplizierte Konstruktionen verschwendet werden wird, um die neue Steuer zu umgehen; weil nichts so schnell aus Europa weg ist wie Kapital; weil Finanzzentren wie Singapur oder Hongkong nur darauf warten, europäische Vermögen aufzunehmen; weil dadurch unweigerlich jede noch so harmlose Banküberweisung mit einer zusätzlichen Mittelstands-Steuer belastet wird.

Oder sollen die Menschen ihren Obolus künftig wieder im Plastiksackerl beim Finanzamt, beim Hausverwalter, beim Stromlieferanten abgeben?

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

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Die Zukunft des Euro

05. Juli 2011 00:35 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Als ich Mitte der 90er Jahre einen Halbtag an einem spannenden Seminar mit Milton Friedman teilnehmen durfte, schrumpfte der Mann in meinen Augen vom großen Mythos auf seine physische Größe zusammen. Die bekanntlich sehr gering war. Mir war klar: Der Nobelpreisträger wollte originell sein. Was immer am leichtesten geht, wenn man der großen Mehrheit der Ökonomen widerspricht.

Denn Friedman warnte die Europäer heftig vor der Einführung des Euro. Das klang nicht nur originell, sondern auch nach typischer Interessenpolitik einer Großmacht: Die USA bangten um die Rolle des Dollar als Weltreservewährung, die ihnen viele Dividenden bringt.

Seit dem Vorjahr baut sich mein Milton-Friedman-Mythos aber langsam wieder auf. Friedman hatte wohl nicht mit seiner gänzlichen Ablehnung des Euro recht, aber dennoch war seine Kritik richtig: So wie der Euro eingeführt wurde, war es ein schwerer Fehler!

Kurz darauf konnte ich in einem Hintergrund-Gespräch mit einem Euro-freundlichen Finanzminister eines großen (nicht deutschsprachigen) EU-Landes die Friedman-Thesen durchdiskutieren: Was ist, wenn Euro-Länder trotz der Maastricht-Kriterien undiszipliniert sind, wenn sie den Forderungen der Gewerkschaften ständig nachgeben, wenn sie große Defizite produzieren, wenn sie Gehälter und Preise schneller steigen lassen als andere Länder beziehungsweise schneller, als der Produktivitätszuwachs erlaubt? Ein solches Land kann ja im Euro-Raum die eigene Währung nicht abwerten. Damit fehlt die wichtigste Gegenmaßnahme, durch die früher die „Erfolge“ der Gewerkschaften regelmäßig wieder wertlos geworden sind.

Die Antwort jenes Finanzministers war richtig und logisch: „Den bestrafen die Märkte.“

Wenn Griechenland für Anleihen 23 Prozent Zinsen zahlen muss und Deutschland nur 1,6 Prozent, dann ist der Unterschied die Strafe der Märkte (auch wenn sich deren Höhe tagtäglich ändert).

Die Frage ist nur: Ist es richtig, dass auch die Europäische Zentralbank, die EU und die sich solidarisch erklärenden Euro-Staaten jetzt gemeinsam mit den Griechen diese Strafen zahlen? Sind wir da nicht genau in der Situation des in der Literatur oft beschriebenen Verschwenders, der immer Besserung schwört, wenn er den reichen Onkel anpumpt? Und der alle Schwüre vergisst, sobald er das Geld hat . . .

Erfolge und Misserfolge der Griechen 

Was haben die Strafen nun konkret in Griechenland bewirkt? Da stehen etliche Erfolge auch vielen Misserfolgen gegenüber.

Die Erfolge:

Unabhängig von der disziplinierenden Wirkung von Strafen kommt auch aus einer anderen Ecke ein Hoffnungsstrahl: Den Griechen dürfte im Sommer 2011 ein Tourismus-Boom bevorstehen: Die Buchungen sind trotz der Abschreckung durch Fähren- und Fluglotsenstreiks stark gestiegen. Dieser Boom ist Folge der noch viel größeren Skepsis der Touristen gegenüber Ägypten und Tunesien.

Positiv ist prinzipiell auch, dass die Miteuropäer diesmal schon Monate vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit Griechenlands Maßnahmen zu diskutieren begonnen haben. Sie tun sich freilich dennoch mit der Antwort schwer. Denn die übereilte und falsche Husch-Pfusch-Aktion des Mai 2010, als Griechenland 110 Milliarden Hilfe zugebilligt worden sind, erweist sich immer mehr als katastrophaler Fehler mit langfristigen Folgen. Und diese können nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Den Erfolgen stehen viele Negativa gegenüber:

Neben diesen Enttäuschungen sollte man auch die gefährlichen und noch viel wichtigeren psychologischen Wirkungen einer neuen Griechenland-Hilfe auf andere Euro-Staaten nicht ignorieren. Diesen wird ein ganz falsches Signal gesendet: „Es gibt immer einen, der Euch herauspaukt.“ Das ist in einem Europa, welches das Prinzip Eigenverantwortung ohnedies weitgehend verlernt hat, sehr gefährlich.

Noch schlimmer aber ist, dass die EZB als Hüterin der Stabilität umgefallen ist. Sie hat mit Taschenspielertricks die eigenen Regeln und den eigenen Auftrag umgangen und steht nun mit einem Tresor voller wertloser griechischer Staatspapiere da. Auch wenn die genaue Summe geheimgehalten wird, ist klar, dass die EZB bald Bedarf an Kapitalerhöhungen haben wird. Die Zentralbank wurde als Mülldeponie missbraucht. Und sie ließ es sich gefallen.

Keine Euro-Krise, sondern eine Schuldenkrise

Rund um den Mai 2010 gab es fast keinen Politiker, der die Hilfsaktion für Griechenland nicht damit begründet hätte, dass man damit den Euro rette. Das war aber die Unwahrheit. Es gab und gibt keine Euro-Krise, sondern eine schwere Schuldenkrise vieler Staaten (in und außerhalb der EU). Diese Krise wäre auch ohne Euro schlagend geworden. Das Wort Euro-Krise haben nur die Spin-Doctoren der Politik zur Ablenkung von der politisch verursachten Schuldenkrise erfunden. Die Euro-Gegner hingegen wollen durch dieselbe Wortwahl etwas ganz anderes bewirken, nämlich gleich den Euro zu killen.

Viele Industrieländer bekommen heute aber in Wahrheit die Rechnung dafür serviert, weil sie verleitet von populistischen Politikern massiv über ihre Verhältnisse gelebt haben. Das trifft – mit nationalen Unterschieden – in den meisten Ländern sowohl die staatliche wie auch die private Verschuldung.

Diese Schuldenkrise muss zu dramatischen Folgen führen, deren Details freilich noch offen sind. Am wahrscheinlichsten ist eine signifikante Intensivierung der Inflation. Durch eine Inflation können viele europäische Staaten ihre Schulden am leichtesten in den Griff bekommen. Das gilt tendenziell auch für die derzeitigen Vorzugsschüler Deutschland, Niederlande und Österreich.

Die Einführung des Euro ist hingegen trotz der Schuldenkrise vieler Länder ein großer Erfolg: Sie hat vor allem den Industrie-orientierten Ländern eine starke Verbesserung der Handelsbilanz ermöglicht. Die Importländer können ihnen nicht mehr durch ständige Abwertungen den Markt rauben. Exporteure sparen ferner teure Transaktionskosten, etwa die Absicherung gegen Währungsschwankungen.

Aber dennoch ist klar: Rund um die Einführung des Euro sind katastrophale Fehler begangen worden, die heute seine Erfolge überschatten. Der zentrale politische Fehler war, dass die eigenen Regeln nicht ernst genommen worden sind. Man hat dadurch auch viele solcher Länder in den Euro-Raum aufgenommen, welche die Bedingungen nicht erfüllen.

Es hat zwangsläufig negative Beispielsfolgen, wenn Politiker die selbst gesetzten Regeln ignorieren. Wer einmal lax bei den Regeln ist, wird meistens nie mehr ernst genommen.

Die wichtigsten Regelbrüche:

-         Die laut propagierten Stabilitätskriterien wurden in Wahrheit ignoriert. Es wurden von Anfang an Staaten aufgenommen, welche die Maastricht-Kriterien nicht einmal annähernd erfüllten. Dennoch hat damals die EU-Kommission dem Rat Land für Land „empfohlen“, die Kriterien „für eingehalten zu erklären“. Obwohl sie eindeutig nicht erfüllt waren.

-         Man hat ebenfalls auf Konsequenzen verzichtet, als später die beiden Schwergewichte Deutschland und Frankreich gegen diese Kriterien verstießen. Was vielen anderen erst recht Mut zur Sünde machte.

-         Im Mai 2010 wurde die No-Bailout-Klausel brutal verletzt. Der Artikel 125 des EU-Vertrages verbietet es ja ausdrücklich, dass die EU oder Mitgliedsländer für die Schulden eines anderen Mitgliedslandes einstehen.

-         Man hat auch seither die eigene Glaubwürdigkeit weiter demoliert: Die Zeitungsarchive sind voll der Ankündigungen, dass Griechenland, Irland, Portugal keine Hilfe benötigen – bis es wenige Tage später immer ganz anders war.

-         Man hat Griechenland nach dem Mai 2010 viel zu lang scharfen Druck in Richtung auf echte Reformen erspart.

Dafür wurde an einer anderen EU-Regel festgehalten: nämlich an der Notwendigkeit einer nationalen Kofinanzierung, wenn ein Land EU-Förderungen in Anspruch nehmen will. Die Griechen haben aber kein eigenes Geld mehr für diese Kofinanzierung und dadurch für sie reservierte Milliarden aus dem EU-Budget verloren. Das ist zwar eine an sich sinnvolle Regel – sofern man akzeptiert, dass die EU eine Transferunion ist, in der Länder und Regionen vor allem im Süden des Kontinents seit Jahrzehnten von Zuschüssen anderer leben und dadurch der Selbstverantwortung total entwöhnt worden sind. Aber im Falle Griechenlands zeigt die Kofinanzierungsregel, dass sie jedenfalls nicht immer sinnvoll ist.

Wie auch immer die Causa Griechenland weitergeht: Es gibt große Gefahren für die Stabilität auch vieler anderer europäischer Staaten. Es gibt aber keine unmittelbare Gefahr eines Zerfalls des Euro. Die nach einem Zahlungsausfall Griechenlands erwarteten wilden Kursausschläge der Währung werden sich binnen kurzem wieder stabilisieren. Der Euro wird erst dann zerfallen, wenn die EU als Ganzes zerfällt. Was freilich – aus ganz anderen Gründen – nicht mehr so unwahrscheinlich ist wie vor zehn Jahren.

Viel größer ist aber jetzt schon die Gefahr, dass Staaten ihre riesigen Schuldenlasten nur noch durch Inflationierung loswerden können. Sie wollen das auch insgeheim. Denn es ist praktisch, wenn man edle Ziele wie Euro-Rettung und Solidarität vorschieben sowie den Handel und „Spekulanten“ als Schuldige geißeln kann, statt sich selbst zur Verantwortung für die eigene Schuldenwirtschaft bekennen zu müssen.

(Dieser Text erscheint in einer ausführlichen Version in „Der Hauptstadtbrief“ einem in Berlin erscheinenden Dienst für Top-Entscheidungsträger.)

 

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Die Griechen kassieren, die Banken bekommen Garantien: von wem nur, von wem?

29. Juni 2011 16:09 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die Griechen haben dem Sparpaket zugestimmt. Das schmerzt sie, aber es wird das Land dennoch nicht sanieren. Es macht nur den Weg für weitere verschwendete Hilfsmilliarden frei. Die Griechenland-Hilfe belastet jedoch den europäischen Steuerzahler insgeheim noch mehr als offiziell bekannt.

Das Sparpaket wird dennoch die griechischen Gewerkschaften – die Hauptschuldigen an der griechischen Krise – noch aggressiver machen. Und die radikale Linke ist immer für jede Form der Gewalttätigkeit gut. Aber das ist jetzt nur noch eine Randfrage.

Viel seltsamer ist, dass in den letzten Tagen durch die europäische Politik ein Klima geschaffen worden ist, als ob der Rest Europas dankbar sein müsse, den Griechen durch einen weiteren dreistelligen Milliardenbetrag helfen zu dürfen. Irgend etwas scheint da verquer zu laufen.

Noch Seltsameres spielt sich um die freiwillige Beteiligung der westlichen Banken an der Hilfsaktion ab, die praktisch parallel finalisiert wird. Dabei  ist nun klar geworden, warum die Banken entgegen bisherigen Annahmen wohl wirklich freiwillig zustimmen werden: Denn ihnen werden nun längerfristige Garantien Dritter dafür geboten, dass sie die griechischen Anleihen am Fälligkeitstag nicht einkassieren. Im Falle einer Umschuldung oder eines Konkurses hätten die Banken hingegen einen guten Teil ihrer Forderungen an Griechenland abschreiben müssen.

Alles wunderbar? Nicht ganz. Denn das eigentliche Opfer ist wieder einmal nicht gefragt worden. Dieses Opfer ist niemand anderer als der europäische Steuerzahler, der über verschachtelte Zwischenkonstruktionen nun auch für die bisher privaten Forderungen an Griechenland haften soll. Er hat es nur noch nicht mitbekommen. Denn die nächste Etappe des Großbetrugs wird wieder einmal sehr geschickt getarnt.

Wenn das wirklich stimmt, was da aus den Geheimverhandlungen so durchsickert, dann wird einem wirklich übel. Für den Normaleuropäer ist es nämlich völlig wurscht, ob er am Ende auf dem Weg direkter Kredite seines Staates, oder über die Europäische Zentralbank, oder über den Währungsfonds, oder eben jetzt über die Haftungen für Forderungen der Banken zur Kassa gebeten wird. Man weiß auch wieder einmal, was man von großspurigen Ankündigungen von Faymann & Co halten darf, dass nämlich auch die privaten Gläubiger zur Kassa gebeten werden. Zur Kassa vielleicht schon – aber nur wenn ihnen der Steuerzahler auch dafür haftet. Der einzige, der ihm dabei hilft, ist der Sparer, dessen Sparguthaben entwertet werden.

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Europa schafft sich ab

28. Juni 2011 19:50 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

Altabt Gregor Graf Henckel von Donnersmarck toppt noch Thilo Sarrazin: Nicht nur Deutschland schafft sich ab, sondern „ganz Europa ist im Begriff sich abzuschaffen“, gibt er uns in einem Interview zu verstehen, das zu Ostern in der „Jungen Freiheit“ (Berlin vom 22. 04., Nr. 17/2011, S. 3) erschienen ist. Schon aus demographischen Gründen wird es „in zweihundert Jahren keine Europäer in unserem Sinne mehr geben“. Wir haben keine Lust mehr auf Zukunft, wir scheuen uns Bindungen einzugehen, wir setzen Freiheit mit Bindungslosigkeit gleich und Wohlstand mit Freiheit.

Wir haben uns „quasi in einen Suizid gestürzt“, lassen unsere Ehen vor die Hunde gehen, töten unsere Kinder noch im Mutterleib oder verhüten, dass sie überhaupt entstehen. Europa hat sich einer „verhängnisvollen säkularen Weltanschauung“ verschrieben, „die sich aus einer pervertierten Aufklärung entwickelt hat“. Wir unterwerfen uns dem Diktat eines säkularisierten Relativismus, „der sich in Europa breitmacht und die eigentliche Gefahr unserer Zeit ist“. Wir können uns kaum noch vorstellen, wie wir uns daraus befreien können. „Jetzt stehen wir am Abgrund.“

Gerade in diesen Tagen erleben wir, wie der Abgrund sich auftut und die Europäische Union zu verschlingen droht. Wer nach Griechenland blickt, das Mutterland europäischer Kultur und Demokratie, sieht eine kleine Welt, in der die große ihre Probe für den Zusammenbruch hält. Wir leben in einem „Europa, das die Lüge heiligt“, titelte die Süddeutsche Zeitung (28/29. Mai 2011) im Hinblick auf die verzweifelten Rettungsaktionen für Griechenland und für die „Euro-Stabilität“. Die leidenschaftliche Rede, mit der der griechische Regierungschef Papandreou im griechischen Parlament um Vertrauen warb, bestand aus lauter leeren Versprechungen, Widersprüchen und Beschuldigungen. Sein Aufruf zum „nationalem Schulterschluss“ stieß bei der Opposition auf taube Ohren und spaltete das Volk.

Vor dem Parlament wurde demonstriert, die Polizei musste Tränengas versprühen und mit Gummigeschossen gegen die Menge vorgehen. Eine bessere Zukunft durch Kaputtsparen, Beamtenentlassungen, Kürzung von Sozialleistungen, Pensionen, Gehältern und Löhnen, Erhöhung von Steuern und Verscherbelung von Staatseigentum – damit die Demokratie in Griechenland retten zu wollen, das wurde im Parlament zur Lachnummer und führte vor dem Parlament zu Wutausbrüchen.

Folgen der letzten Griechenland-Episode

Höhnische Kommentare folgten schon nach Minuten. Sich von EU, EZB und IWF vorschreiben lassen, was in Griechenland zu geschehen hat – das soll Demokratie sein? Das glauben doch wohl nur Verrückte. Und im deutschen Nachrichtensender NTV war zu hören: Griechenland wird seine Schulden nie zurückzahlen, die Währungsunion verhindert das. Und wörtlich: “It is a perversion to separate the money system from the state“, meinte eine in London wohlbekannte Sozialökonomin im Interview kurz nach Papandreous Rede. England wird sich, so versicherte der britische Premier, an der verunglückten Rettungsaktion der EU wieder nicht beteiligen und auch verhindern, dass Griechenland mit den geplanten Aufstockungen und Umschuldungen unter den alten oder den neuen EU-Rettungsschirm (EFSF oder ESM) flüchten kann.

Im Spiegel der Vorwoche (Nr. 25 vom 20.6.) konnte man bereits den „Nachruf auf eine gemeinsame Währung“ lesen. In der PRESSE (Spectrum)  schrieb Stephan Schulmeister über das „Endspiel um den Euro“. Trotz polemischer, ideologisch bedingter Ausfälle gegen Ratingagenturen, „Alchemiebanken“, Credit Default Swap-Spekulationen und trotz der falschen Unterstellung von US-Interessen an der Zerstörung des EURO-Währungssystems lieferte er eine viel zitierte Analyse.

Der EURO, so meint er, sei  nur zu retten durch einen „Europäischen Währungsfonds“ nach Muster des IWF, Begebung von Eurobonds, für die alle Mitgliedsländer haften, und eine EZB, die „Geld aus dem Nichts“ in unbeschränktem Ausmaß schaffe und damit die Banken mit frischem Geld für die Staatseinleihen versorgen könne. Ein Ponzischema auf EU-Ebene ist sein Rezept. So ausgeschlossen ist es nicht, dass in Panik geratene Politiker diesen Gifttrank schlürfen, der sie Zeit gewinnen lässt und ihrer Verantwortung enthebt.

Schulmeister gehört mit Aiginger und Schratzenthaler zu der in Fachkreisen so genannten „Linken Bande“ des Wifo. Zusammen mit dem berüchtigten Brüsseler ORF-Sprecher, Raimund Löw aus der Gruppe Revolutionärer Marxisten und Trotzkisten, wünschen sie sich die Umwandlung der Europäischen Union in eine Transfer-, Haftungs- , Schulden-, Fiskal- und Sozialunion, geleitet von den „Hohen Kommissaren“, die wie einst der Oberste Sowjet mit einer Art Wirtschaftsregierung die Brüsseler „Gospläne“ durchsetzen. In einer konzertierten Aktion bietet der ORF diesen Traumtänzern eine Bühne, von der aus sie ihren abstrusen bürger-, eigentums- und staatsinteressen-feindlichen Marxismus langsam und unterschwellig unter die Leute bringen und gleichzeitig FPÖ und BZÖ vorführen können, und sei es auch nur mit der Frage nach der Ehrenbürgerschaft Hitlers in Amstetten.

Die Sünden der EZB

Unsere auch in der ÖVP vorhandenen Linken erhalten Unterstützung durch den im Abgang befindlichen Präsidenten Jean-Claude Trichet, dem es ja nicht nur gelang durch Bruch aller Regeln seine EZB in eine konkursreife Bad Bank für Schrottanleihen zu verwandeln, sondern der sich jetzt auch noch erkühnt, einen „europäischen Finanzminister“ zu fordern, der aus der EU einen Geldverschiebebahnhof machen würde.

Ihm sprang jüngst der wenig rühmliche frühere Präsident der Europäischen Entwicklungsbank, Jacques Attali, bei, der eine eigene EU-Steuer als „europäische Wertschöpfungsabgabe“ zur Bedienung der zu begebenden europäischen Anleihen forderte und außerdem vorschlug, die Fristen für die Rückzahlung der griechischen, portugiesischen und irischen Schulden auf einen Zeitraum von 20 Jahren zu erstrecken. Immerhin ist er so ehrlich, die in Währungsfragen ahnungslosen Politiker darauf aufmerksam zu machen, dass „Griechenland seine Schulden nie zurückzahlen wird“ und „keine Gemeinschaftswährung sich dauerhaft und ohne einen dominanten Staat“ bzw. ohne eine Form von Zentralregierung (wie in den USA) etablieren kann (vgl. Der Standard, 21. Juni 2011, S. 39).

Die Dinge sind auf Schiene, der deutsche Finanzminister Schäuble lässt sich von Herrn Ackermann, Chef der Deutsche Bank, vorschreiben, was er zur Rettung des EURO zu tun hat und wie er sich in Brüssel verhalten soll. Trichet hat im Mai an griechische Banken nochmals Rekordsummen ausbezahlt und deren Obligo auf 97 Milliarden EURO erhöht. Trichet wird jetzt durch Herrn Mario Draghi aus Italien ersetzt, der bei Goldmann & Sachs lernte, wie man die Brüsseler austrickst.

Für Tricks findet er in der EU ein weites Betätigungsfeld. Italienische „systemische“ Banken haben sich mit Staatsanleihen übernommen und dürften an den Stresstests scheitern. In Mailand wurde ihre Notierung am Freitag (24. 06) zeitweise ausgesetzt, ihnen und dem italienischen Staat droht die Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit.

Das alles wird jetzt noch ergänzt durch die am Fronleichnamstag verkündete und von der Öffentlichkeit kaum bemerkte Übernahme der Garantien für die Beiträge des IWF durch die EURO-Mitgliedsländer, die am alten und neuen Griechenlandrettungspaket mitmachen. Ohne deren Haftung, so verlangt es der IWF, werden weitere Tranchen schon vereinbarter Kredite nicht ausbezahlt, geschweige denn wird sich der IWF an irgendwelchen Aufstockungen beteiligen.

Wiederum trifft das ganz besonders Deutschland, aber auch Österreich, die, so scheint es Absicht, an den Haftungsübernahmen ersticken sollen. Ihnen werden jetzt Horrorszenarien vorgespielt, die angeblich eintreten werden, wenn sie die Pleitestaaten nicht mehr unterstützen sollten. Rücksichtslos sind sie der Erpressung durch die PIIG-Staaten, die EU, die EZB und den IWF ausgeliefert. Die Chance, sich der Erpressung zu entziehen ist gleich null, mögen FPÖ und BZÖ auch Zeter und Mordrio schreien oder in Deutschland ein paar Kollegen des Michael Kohlhaas, die noch nicht begriffen haben, dass die Justiz die Hure der Politik ist, sich beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe beklagen.

„Germany must perish“ und Österreich muss kuschen. Wien und Berlin werden regiert von Brüssel, Brüssel von Washington und Washington von der Wallstreet. Über die Abschaffung Europas kann man jetzt nur mehr räsonieren. Macht nichts, meint unser Gewährsmann Henckel von Donnersmarck: „Die Welt wird auch ohne Europa weiterbestehen“.

Univ.-Dozent Dr. Friedrich Romig lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen.

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Europa beschädigt sich selbst – und nicht die Rating-Agenturen

28. Juni 2011 00:35 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Der Europäische Rat am Wochenende ist ohne sonderliche Entscheidungen zu Ende gegangen. Die neuerliche Griechenland-Hilfe ist zwar wieder ein Stück näher gerückt, aber die konkrete Schmutzarbeit für diese Geldverbrennungsaktion müssen noch die Finanzminister erledigen – und das griechische Parlament. Dazu waren sich die Regierungschefs zu gut. Im Schatten des Gipfels ist die EU aber an einer scheinbar anderen Front in einen weiteren überflüssigen Krieg gezogen, den sie aber am Ende ebensowenig gewinnen kann wie den Kampf um eine schmerzfreie Sanierung Griechenlands.

Sie hat nämlich den Rating-Agenturen den Fehdehandschuh hingeworfen. Das ist fast ein rührendes Unterfangen, wären die Folgen nicht so katastrophal.

Zugeben muss man freilich, dass die von den europäischen Spin-Doctoren dazu verbreitete Story gut klingt: Die bösen amerikanischen Agenturen schaden bewusst Europa, indem sie europäische Schulden als zunehmend wacklig bewerten. Wären nicht diese Agenturen, bekämen die Griechen viel billiger Geld geliehen und Europa hätte keine Sorgen. Daher müsse jetzt an die Stelle der drei Amerikaner eine europäische Agentur treten.

Soweit die europäische Märchenstunde.

Das einzige, was wahr daran ist: Die Agenturen sind vor der Finanzkrise tatsächlich ziemlich falsch gelegen. Sie haben Schuldnern, die kurz darauf – der Insolvenz nahe – teuer gerettet werden mussten, zu gute Noten gegeben. Dafür wurden sie zu Recht viel gescholten. Sie waren auch lange in Sachen Griechenland &Co viel zu optimistisch, weil auch sie den Euro ein wenig für eine Wunderdroge hielten, die jedes Problem wegspült.

Angesichts dieser bösen Erfahrungen schauen sich die nervös gewordenen Agenturen nun umso genauer und kritischer alle Großschuldner an. Das hat vielen Schuldnern Probleme mit ihren Ratings verschafft.

Ein Rating ist nichts anderes als eine subjektive Schätzung von Experten, wie kreditwürdig jemand ist, also wie wahrscheinlich es ist, dass ein Gläubiger sein Geld samt allen Zinsen voll und pünktlich zurückbekommt. Da es dabei immer um die Zukunft geht, werden Irrtümer stets möglich sein. Man muss aber schon mehr als blind sein, um zu glauben, dass Europas und Griechenlands Probleme von den Agenturen verursacht und nicht selbstverschuldet sind.

Inzwischen schauen sich nämlich alle Geldverleiher auch selbst sehr genau und ständig die volkswirtschaftlichen Daten jedes einzelnen Landes an. Das Ergebnis dieser Kontrolle ist etwa im Falle Griechenlands eindeutig: Staatsverschuldung wie die Höhe der Defizite machen es total unwahrscheinlich, dass die Griechen ihre Schulden jemals voll begleichen können. Dass also jetzt nichts anderes als Konkursverschleppung passiert. Das wissen die Geldverleiher und Analysten von Banken oder Versicherungen selbst genauso wie die Agenturen.

Es ist nur ein weiterer selbstbeschädigender Akt der EU, wenn sie dennoch anstelle mutiger Gewissenserforschung und Ehrlichkeit jetzt den Spiegel attackiert, der halt ein sehr hässliches Bild von der Stabilität vieler Staaten zeigt. Das macht primär die EU unglaubwürdig, und nicht die Agenturen.

Denn es gibt keinen einzigen Beweis, dass die Agenturen aus bösem Willen oder gar mit krimineller Energie falsche Gutachten erstellt hätten. Sonst hätte man die Verantwortlichen längst anklagen können. Die Agenturen waren nur lange viel zu gutgläubig gewesen. Sie hatten Euro-Staaten irrtümlicherweise zu lange für unsinkbare Schiffe gehalten.

Die drei dominierenden Rating-Agenturen sind jedoch keineswegs amerikanische Agenten, wie nun oft behauptet wird. Das zeigt sich daran, dass eine von ihnen eigentlich britisch ist. Das zeigt sich besonders an der Tatsache, dass sie neuerdings auch eine Verschlechterung des US-amerikanischen Ratings ankündigen. Was in Washington logischerweise wenig Begeisterung auslöst, aber in der Sache genauso legitim ist wie die schlechten Noten für Athen.

Natürlich spricht nichts dagegen, dass an die Seite der großen Drei auch eine europäische Rating-Agentur tritt. Nur: Der Aufbau einer solchen Agentur braucht erstens viele Jahre, hilft also in der akuten Krise gar nichts. Und zweitens braucht jede Bewertungs-Agentur viererlei: Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen und viel Knowhow.

Ist schon das Knowhow schwierig zu erwerben, so ist es angesichts dieser Vorgeschichte für eine europäische Agentur fast unmöglich, Vertrauen zu bekommen. Die Vorgänge der letzten Tage lassen nur noch Narren eine solche Neuschöpfung für glaubwürdig halten.

Wer bitte soll sonst einer neuen Agentur Glauben schenken, die auf massiven Wunsch von Regierungen und EU-Behörden geschaffen wird? Wer soll einer Agentur glauben, die von den zu Bewertenden selbst initiiert worden ist? Was heißt es, wenn sich ein deutsches Bundesland sogar direkt an der Europa-Agentur beteiligen soll? Wer wird auf Grund solcher Ratschläge sein Geld leichtfertig investieren? Ja, noch viel stärker: Muss nicht jeder vor dem Strafrichter landen, der auf Grund solcher Ratschläge fremdes Geld verborgt?

Kleiner Einschub: Der Wunsch, dass sich die Kritisierten selbst die Zensuren schreiben oder dass sie diese zumindest beeinflussen können, ist weit verbreitet. Das ist bei Schülern wie bei Angeklagten der Fall. Das gibt es ebenso in der Kulturwelt. So hat das Wiener Staatsopernballett vor Jahren eine von mir geleitete Zeitung wegen schlechter Rezensionen sogar geklagt. Es ist damit natürlich fürchterlich eingegangen. Aber selbst wenn die Richter der Klage Recht gegeben hätten, werden Kritiken, die den Wünschen der Kritisierten entsprechen, seltsamerweise von den Lesern wenig geschätzt. Und die sind für eine Zeitung noch wichtiger als ein Richter. Zumindest waren sie das in der Vergangenheit. Neuerdings sind ja dort die Inserenten und „Kooperationspartner“ viel wichtiger, die sich mit genügend Bargeld sehr freundliche Berichte über ihre Veranstaltungen kaufen können. Oder über ihre Firmen. Oder ihre Partei.

Der primäre Adressat von Urteilen der Rating-Agenturen sind die Geldanleger. Sobald diese auch nur den kleinsten Verdacht hegen, dass ein Ratgeber vom Objekt der Beurteilung beeinflusst oder gar abhängig ist, werden professionelle Anleger keine Sekunde mehr auf dessen Einschätzungen hören.

Daran ändert das Wissen nichts, dass jede Agentur notgedrungen nur fehlerhaft arbeitet. Denn über die Zukunft kann eben nicht Exaktes gesagt werden. Aber solange die drei Agenturen von den Anlegern als unabhängig eingeschätzt werden, wird ihnen mehr Vertrauen entgegengebracht als einer europäischen. Daher kann sich Europa das Geld für eine eigene Agentur gleich ersparen.

Das Image der noch gar nicht geborenen Euro-Agentur ist nämlich schon vor ihrer Geburtsstunde extrem schlecht. Haben sich doch die EU-Europäer sogar zu massiven Drohungen gegen die etablierten Agenturen verstiegen. Den Agenturen wurde der Entzug der Lizenz in Aussicht gestellt, wenn sie sich nicht den EU-Spielregeln unterwerfen. Diese Drohungen waren ein weiterer katastrophaler Fehler der EU.

Diese Drohungen werden chinesische, indische und andere neureiche Asiaten, aber auch amerikanische Pensionsfonds sowie Schweizer Lebensversicherungen dreimal nachdenken lassen, bevor sie irgendwem in Europa wieder Geld leihen. Die Genannten haben zwar alle viel Geld zu investieren, sie sind deswegen aber nicht schwachsinnig. Selbst die europäischen Sparer werden um EU-Staatsanleihen einen immer weiteren Bogen machen, wenn es keine Gutachten unabhängiger Agenturen über diese Papiere mehr geben darf, sondern nur noch die aus dem europäischen Eigenbau.

Die Rating-Agenturen haben einfach recht mit ihrem Urteil über Griechenland. Sie haben auch recht mit ihrem Urteil über den Druck der EU-Regierungen, welche die Banken neuerdings zwingen wollen, „freiwillig“ die Kreditlinien für Griechenland über den vereinbarten Zeitpunkt hinaus zu verlängern. Die EU-Regierungen begreifen in ihrer Verzweiflung nicht, dass „freiwillig“ anderswo wirklich noch als „freiwillig“ verstanden wird. Und dass von Regierungen angeordnete Freiwilligkeit anderswo als Zwang verstanden wird. Nur weil Faymann, Fekter &Co jetzt dauern von Freiwilligkeit reden, wird dennoch niemand freiwillig Geld spenden.

Die Linie der Rating-Agenturen ist klar: Wenn geschuldetes Geld nicht zum vereinbarten Datum zurückgezahlt wird, ist das ein Zahlungsausfall. Denn kein Gläubiger verzichtet normalerweise freiwillig auf sein Recht – es sei denn, er ist unter Druck, oder er bekommt eine andersgeartete Gegenleistung. Aber die Banken wissen genau: In der nächsten großen Wirtschaftsturbulenz – einige Monate oder Jahre später – werden sie für das, was die Regierungen jetzt von ihnen wollen, von denselben Regierungen wieder Spekulanten genannt werden.

Natürlich ist klar, dass ein solcher Zahlungsausfall Griechenlands Folgewirkungen hat. Sehr unangenehme sogar. Alle Banken, die griechische Papiere in nennenswertem Umfang besitzen, werden schlagartig selbst an Kreditwürdigkeit verlieren, das gilt insbesondere für die Europäische Zentralbank. Aber auch alle anderen europäischen Staaten werden ab dann von internationalen Geldverleihern sehr kritisch beäugt werden; denn jetzt weiß der internationale Markt, dass ein Euro-Land sehr wohl eingehen kann. Kreditausfallsversicherungen werden schlagend, was auch für manche Versicherungen lebensgefährlich ist. Was weitere Dominosteine umfallen lassen wird.

Das alles passiert aber erst recht dann, wenn die EU die drei großen Agenturen aus Europa hinauswerfen sollte. Dann handelt sie genauso wie Diktatoren, die internationale Wahlbeobachter hinauswerfen, um nur ja keine Zeugen ihrer Wahlmanipulationen im Land zu haben.

Faktum ist: Europa verschlechtert durch seine schweren Fehler seine eigene Kreditwürdigkeit massiv. Das wird bei den nächsten Jahren wohl auch alle Regierungen hinwegfegen, die da mittun.

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Welche Schulden haben die EU-Staaten untereinander?

27. Juni 2011 22:34 | Autor: Andreas Unterberger

Schulden, Ansprüche der Nationalbanken gegeneinander

 

Links oben: Summe der Ansprüche der Nationalbanken ausgewählter Euroländer zueinander in Milliarden.

Rechts unten: Staatsschulden und Schulden der Nationalbank; dunkelrot: Staatsschulden, hellrot: Schulden der Zentralbank, orange: noch nicht ausgezahltes Rettungspaket

Quelle: Financial times

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Fischlers sinnloser Kampf

26. Juni 2011 16:23 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Franz Fischler wird also nicht Chef der FAO, der UNO-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung, sondern ein Brasilianer. Das spricht zwar nicht grundsätzlich gegen Fischler, aber sehr gegen die EU. Und für die Naivität aller jener, die ihn aufgestellt haben.

Denn es war mehr als naiv zu glauben, dass irgendein Kandidat aus der EU ausgerechnet den Bereich Landwirtschaft im globalen UNO-System übernehmen kann. Bilden die Europäer in der UNO ja nur eine kleine Minderheit. Die EU-Landwirtschaftspolitik mit ihren hohen, wettbewerbsverzerrenden Subventionen ist in der ganzen Welt, vor allem der Dritten verhasst. Noch mehr als bei den geduldigen europäischen Steuerzahlern.

Und Fischler steht nun einmal als Symbol sehr direkt für diese Landwirtschaftspolitik, hat er doch die letzte Reform zu verantworten gehabt. Diese ging zwar prinzipiell in die richtige Richtung, war aber angesichts der europäischen Machtverhältnisse viel zu zaghaft. Notgedrugen, denn insbesondere Frankreich würde eher aus der EU ausscheren, als eine Beschneidung seiner Bauern hinzunehmen.

Wenn das durchschnittliche Einkommen eines österreichischen Bauern zu zwei Drittel aus (überwiegend europäischen) Steuergeldern kommt, wenn die EU mehr als 42 Prozent für direkte und getarnte Agrarausgaben aufwendet, dann ist das Ergebnis klar: Vor allem die Bauern der Dritten Welt werden dadurch in Grund und Boden konkurriert. Müssten die EU-Agrarpreise hingegen ohne Subventionen auskommen, dann würde das den schmerzhaften Strukturwandel in Europa noch einmal beschleunigen.

Dann würden sich aber die armen Länder in Übersee – ohne teure Entwicklungshilfe! – landwirtschaftlich und sozial viel besser entwickeln können. Ihre Bauern wären auch ohne Großtechnik auf Grund der niedrigen Löhne und des meist günstigen Klimas konkurrenzfähig. Sie müssten nicht in so großer Zahl die Dörfer verlassen und könnten ihr eigenes Land ohne Importe aus Europa ernähren. Ja, sie könnten sogar exportieren.

Die europäische Agrarpolitik scheint sich aber trotz aller Geldknappheit jeder Änderung zu entziehen. Wer aber glaubt, dass die Nichteuropäer diesen Egoismus unserer Bauern auch noch durch ein Avancement für einen der prominentesten EU-Agrarier belohnen würden, der muss schon ziemlich ahnungslos durch die Welt gehen.

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Der Kehrreim vorm Kehraus

25. Juni 2011 17:43 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Im Jahre, als der Euro kam,
da schien der Dollar gar nicht lahm,
ja er begann zu steigen –
beim Euro herrschte Schweigen.

Bald kamen, was man nicht verschwieg,
die Jahre, als der Euro stieg –
doch statt dafür zu danken,
wies mancher auf den Franken:

Der Dollar war gefallen bloß!
Na, trotzdem blieb der Jubel groß
bei allen Eurokraten
ob eigner Ruhmestaten.

Ein Weilchen später brach, o Graus,
die Hypotheken-Krise aus –
es folgten Hilfspakete
mit nicht vorhandner Knete.

Der Dollar hat sich, scheint’s, erholt,
gar viele fühlten sich verkohlt
und fragten drum beklommen:
Wie kann denn so was kommen?

Man hatte Schulden exportiert,
und mächtig davon profitiert,
dass andre sich verschluckten
an Trick-Finanzprodukten! 

Auf Dauer zwar hat’s nichts genützt,
dass alle Welt den Dollar stützt –
nur ist’s zum Steinerweichen:
Der Euro wankt desgleichen.

Der ist ja selber ein Konstrukt,
an dem der Bürger sich verschluckt –
an was denn sonst soll’s liegen:
Der Franken ist gestiegen!

Doch man verharrt beim miesen Spiel
mit der Karott’ am langen Stiel
für Iren, Portugiesen
und Griechen, tief in Krisen.

Evángelos, der dicke Mann,
ob der jetzt Wunder wirken kann
und Frohe Botschaft bringen?
Schön wär’s, nur wird’s misslingen.

So wird halt weiter garantiert –
auf Pump und munter suggeriert,
dass alles sich verbessert,
wenn bloß man Geld verwässert.

Was hat man da uns eingebrockt!
Die Zukunft wird frivol verzockt,
und keiner wird gescheiter –
der Franken, der steigt weiter …

Pannonicus 

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Wo unser Geld ohne jede ordentliche Kontrolle ausgegeben wird

22. Juni 2011 00:54 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die regelmäßigen Berichte des österreichischen Rechnungshofs liefern der Öffentlichkeit viele kritische Fakten über Politik wie Verwaltung. Dementsprechend fürchten auch alle Parteien den Rechnungshof. In der EU findet man hingegen keine solchen Berichte, obwohl es auch dort einen solchen Rechnungshof gibt. Die Begründungen, die man in der EU ganz offen für diese seltsame Untätigkeit zu hören bekommt, sind mehr als bestürzend.

Der EU-Rechnungshof fühlt sich mehr als PR-Organ der Union denn als kritischer Vertreter der Steuerzahler. Obwohl er mit rund 1000 Mann nicht gerade dünn besetzt ist. Und obwohl in der EU mit Sicherheit nicht weniger Geld verschwendet wird als in Österreich. Im Gegenteil. Ganz offen hört man in europäischen Rechnungshofkreisen jedoch die Argumentation: „Wenn wir zu kritisch berichten, würden Vorurteile in der Öffentlichkeit entstehen und die hilfsbedürftigen Länder würden keine Hilfe mehr bekommen.“

Der Europäische Rechnungshof hat damit so ziemlich die gegenteilige Grundmotivation zu jener des österreichischen. Dieser fühlt sich primär als unabhängiger Advokat der Steuerzahler, ganz ohne Rücksicht auf die Opfer seiner (meistens zutreffenden, bisweilen naturgemäß auch übers Ziel schießenden oder erbsenzählerischen) Berichte. In Österreich wird man freilich für einen kritischen Bericht über Österreich auch nicht gleich zum „Österreich-Feind“ erklärt – während EU-Beamte, -Politiker und auch -Journalisten immer sehr rasch mit der dummen Bezeichnung „Europafeind“ für Kritiker bei der Hand sind.

Der Europäische Rechnungshof denkt und handelt ganz auf dieser Linie. Er will durch Berichte über den Missbrauch europäischer Gelder keine Wellen schlagen. Er will vor allem nicht Anlass für eine europäische Finanzdiskussion werden.

Damit erreicht er freilich genau das Gegenteil. Der Missbrauch von europäischen Steuergeldern nimmt auf dem Weg zur Gerüchtebörse regelmäßig besonders dramatische Dimensionen an. Ohne penible Kontrolle wird das Image der EU als gewaltige Maschine zur Geldverschwendung noch viel größer, als diese wahrscheinlich – hoffentlich? – in Wirklichkeit ist. Das gilt zumindest für das Bild der EU in jenen fünf der 27 EU-Länder, die echte Nettozahler der Union sind. Bei den anderen scheint es hingegen eine verbreitete kollektive Überzeugung zu geben, dass man Gaunereien im nationalen Interesse eher decken als aufdecken sollte.

Die Dinge, die dadurch unionsintern viel zu wenig kritisch hinterfragt werden, reichen dann von völlig sinnlosen Autobahnen, über die pro Minute nur zwei Autos fahren, bis zu einer Unzahl nicht vorhandener, aber heftig geförderter Olivenbäume. Das Grundproblem aller EU-Finanzströme: Das Geld fließt aus Brüssel, die konkrete Abwicklung und Kontrolle liegt hingegen bei den Nationalstaaten, die sich instinktiv mehr über jeden zusätzlichen EU-Scheck für einen Landsmann freuen, als sich über betrügerische Mitbürger zu ärgern. Insbesondere in der Landwirtschaft und bei der Verwendung der Kohäsions- und Strukturhilfen gäbe es daher ein großes Feld an Einsparungsmöglichkeiten zu beackern.

Zumindest der neue Österreicher im (27-köpfigen) Präsidium des EU-Rechnungshofs, Harald Wögerbauer, zeigt sich nun wild entschlossen, diesen Missstand zu bekämpfen. Er will dem Rechnungshof wenigstens ein paar Zähne einsetzen.

So hat er jetzt einen Antrag ans EU-Parlament durchgesetzt, dass der Rechnungshof künftig die Verwendung der europäischen Milliardenhilfen für die Schuldnerländer kontrollieren können soll. Für den geplanten „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM) ist nämlich bisher keinerlei Kontrolle durch den Rechnungshof vorgesehen. So wie auch schon die erste Etappe der kollektiven Griechenland-Hilfe als formal rein bilaterales Instrument keiner EU-Rechnungshof-Kontrolle unterlegen ist. Die nationalen Rechnungshöfe der Spenderländer können aber im Alleingang kaum effektiv kontrollieren, was mit den Geldern ihrer Steuerzahler in Griechenland wirklich geschieht.

Auch die in den letzten Monaten abgeschickten Hilfspakete für Irland und Portugal sind nur zu einem kleinen Teil durch den Rechnungshof kontrollierbar, zum größeren lediglich durch private Wirtschaftsprüfer, die nach Wögerbauers Sicht durchaus gemischte Interessen haben könnten.

Man darf vermuten, dass dieser Kontrollmangel durchaus in der Intention der europäischen Regierungschefs liegt. Diese können ja im Grund gar keine Intention haben, dass ihre kollektiven Husch-Pfusch-Geldverschwendungs-Konstruktionen noch durch weitere Institutionen kontrolliert und mit kritischen Berichten begleitet werden. Außer durch die unvermeidlichen, aber zum Glück der Politik großteils ohnedies EU-begeisterten Medien.

Aber auch dort, wo der EU-Rechnungshof kontrolliert, also beim immerhin 142 Milliarden Euro umfassenden Budget der Union selber, ist er eine mehr als harmlose Schoßkatze und kein gestrenger Wachhund. Denn der Großteil der Rechnungshof-Prüfer – so noch einmal Wögerbauer – prüft „nur die Zuverlässigkeit, aber nicht die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit. Aber nur mit Prüfung dieser Punkte kann man etwas verbessern.“

Die Zuverlässigkeitsprüfung ähnelt mehr der Tätigkeit eines Notars oder Oberbuchhalters. Da wird nur die ordnungsgemäße Verbuchung und Rechtmäßigkeit (also die Rechtsgrundlage) einer Zahlung überprüft. Und wenn es dabei Fehler gibt, wird skurrilerweise dem Parlament lediglich mitgeteilt, ob der Fehler unter oder über zwei beziehungsweise fünf Prozent gelegen ist. Und als Verursacher wird nur ganz grob der Bereich genannt, etwa „Entwicklungshilfe“ oder „Landwirtschaft“. Solcher Tadel tut nun wirklich niemandem weh. Geschweige denn, dass dadurch etwas verbessert werden könnte.

PS: Wögerbauer hat in Luxemburg, wo der Rechnungshof seit 1977 sitzt, noch einen weiteren Kampf an einer Nebenfront aufgenommen: Er hat durchgesetzt, dass erstmals seit 2004 beim Rechnungshof Deutsch statt Französisch als zweite Sprache neben Englisch verwendet wird. Womit er sich einige Feinde gemacht hat.

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Wie ernsthaft ist Spindeleggers Erwachen?

21. Juni 2011 00:10 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Das hätte ich Michael Spindelegger so deutlich gar nicht zugetraut. Denn der neue Vormann der Volkspartei findet gleich in zwei politischen Kernfragen überraschend klare Worte, die eine signifikante Kursabkehr von der Linie seines Vorgängers bedeuten. Das gilt sowohl für die Griechenland-Krise wie auch für die Versuche der extremen Linken zwischen Grün und ORF, wieder einmal eine künstliche Nazi-Debatte zu lancieren.

Das wichtigere ist natürlich die Griechenland-Politik. Da hat Spindelegger den Griechen mitgeteilt, dass es nichts mehr zu verhandeln gibt, sondern dass Athen die Vorgaben zu erfüllen hat: „Man kann jetzt nicht durch einen neuen politischen Dialog sagen: Jetzt verhandeln wir vielleicht doch noch über Sonderkonditionen. Die Dinge liegen am Tisch.“ Abgesehen von grammatikalischen Feinheiten, dass die Dinge hoffentlich auf dem Tisch liegen und nicht „an“ diesem, unterscheidet sich dieser Satz doch stark vom Gerede Josef Prölls, dass die Griechenland-Hilfe alternativlos wäre.

Hingegen unterscheidet sich Spindelegger mit dem Versuch, Härte zu zeigen, nicht allzusehr von der allgemein verschärften Tonlage der Europäer, vor allem der Deutschen. Lediglich die Gewerkschaften und die EZB, in die Österreich Geistesriesen wie Ewald Nowotny oder Gertrude Tumpel-Gugerell entsandt hat, plädieren weiterhin ungebremst für weitere Griechenland-Milliarden. Was freilich logisch ist, hat die EZB doch im letzten Jahr fahrlässigerweise den Banken – vor allem den französischen – griechische Staatspapiere für mindestens 40 Milliarden abgekauft, die sie nun ohne neue Milliardenhilfe abwerten müsste. Und die Gewerkschaften glauben ja sowieso immer an den Weihnachtsmann, der am Schluss alles zahlt.

Freilich kennt niemand wirklich die genauen Konditionen, die von Griechenland verlangt werden, auf Komma und Beistrich. Daher sind Spindeleggers Drohungen eher nicht so ganz ernst zu nehmen, weil es letztlich immer im Ermessen Resteuropas bleibt, ob man die Konditionen für erfüllt erklären wird. Und man wird natürlich.

Viel gravierender an den nunmehrigen Spindelegger-Kommentaren zu Griechenland ist der Bezug zum Euro. Denn der Außenminister sagt erstmals, dass der Euro durch die Griechenland-Krise nicht in Gefahr ist. Und das ist nun wirklich ein gewaltiger Qualitätssprung: Wir erinnern uns noch alle, wie im Mai 2010 die 110 Milliarden, die über Nacht für Griechenland gespendet worden sind, zur dringend notwendigen und alternativlosen „Euro-Rettung“ mutiert sind.

Nun ist auch in der österreichischen Regierung – oder zumindest beim schwarzen Parteichef – das angekommen, was schon im Vorjahr völlig klar war: Der Euro wäre bei einem Konkurs Griechenlands mit anschließender Schulden-Restrukturierung nicht in Gefahr. Wohl würden die Kurse ein paar Tage lang in wildem Zickzack ausschlagen. Aber in Wahrheit wird sich der Umrechnungskurs bald wieder beruhigen. Und ein niedriger Euro wäre sowieso vorteilhaft.

Man sollte sich an diese überaus lobenswerte Erkenntnis Spindeleggers freilich auch dann erinnern, wenn in einigen Wochen wieder von „alternativloser Euro-Rettungsaktion“ die Rede sein wird.

„Wiener Initiative“: ein dummes Gerede

Das derzeit laut rauschende Gerede von einer neuen „Wiener Initiative“ sollte man hingegen rasch vergessen. Denn das, was private Finanzinstitute 2009 unter dieser Bezeichnung als Osteuropa-Hilfe gemacht haben, lässt sich mit der Causa Griechenland in keiner Weise vergleichen. Osteuropa hatte damals im Zuge der plötzlich ausgebrochenen globalen Hysterie Liquiditätsprobleme und brauchte akut frisches Geld beziehungsweise Gläubigerschutz. Und diesen bekam es durch eine Konsensaktion der Banken, die freiwillig ihre Kredite verlängerten..

Osteuropa war damals keineswegs insolvent. Ganz im Gegenteil: Die volkswirtschaftlichen Daten waren und sind besser als in Österreich – zumindest die der nördlichen Reformstaaten. Daher war es eine weise Investition, europäische Schuldner in einer kurzfristigen Krise nicht fallenzulassen. Und die damals großzügigen Banken verdienen im Osten wieder sehr gut.

In Griechenland ist die Lage hingegen viel schlechter als damals in Osteuropa. Es glaubt kein seriöser Mensch mehr an eine Erholungsfähigkeit des Landes. Griechenland ist finanziell nach manchen Statistiken sogar das am wenigsten kreditwürdige Land der Welt.

Daher ist es absurd zu erwarten, dass auch nur eine einzige Bank der Welt wirklich freiwillig den Griechen Geld spenden wird, wie das nun die Finanzminister vollmundig erwarten. Denn dieses Geld müssten sie ja den Sparern, den Kreditnehmern, den Bankaktionären stehlen. Was diese gar nicht gern sehen. Außerdem würden sich dadurch einige Banken selbst in Gefahr bringen. Beides wird kein Bankvorstand lange überleben.

Wird jedoch Druck auf die Banken ausgeübt (etwa: „Wenn ihr nicht freiwillig spendet, dann werden wir euch mit Kontrollen und Vorschriften in Grund und Boden schikanieren“), dann ist das nicht freiwillig, sondern nur eine spezielle Form eines griechischen Konkurses, mit allen Konsequenzen. Diese werden insbesondere die EZB und die nationalen Finanzminister treffen, deren Kreditwürdigkeit in der Folge ebenfalls bezweifelt würde.

Das ewige Loch Hitler

Noch einmal zurück zum Staunen über Spindelegger: Nachrichten vom schottischen Ungeheuer von Loch Ness sind bekanntlich geradezu spannend gegen die ewigen Nazidebatten der extremen Linken. Sie versucht regelmäßig, Österreich oder nicht genehmen österreichischen Politikern über das Ausland einen braunen Anstrich zu verleihen. Vor allem ORF und die Grünen spielen sich da ständig die Bälle zu. Und die SPÖ versucht munter mitzumachen.

In der Vergangenheit haben bisweilen auch einige schwarze Politiker das öde Spiel mitgemacht. Spindelegger wagt aber auch diesbezüglich erstaunlich klare Worte: Man solle „nicht versuchen, über internationale Medien Österreich wirklich in seinem Ansehen zu schaden.“ Die Linken werden es natürlich weiterhin tun, leben sie doch ganz in der Vergangenheit (siehe die Probleme, die die SPÖ heute noch mit den Habsburgern hat). Aber es tut gut, wenn zumindest der Vizekanzler der Republik da neuerdings klare Worte findet.

Jetzt bleibt nur das Rätseln: Erwacht die ÖVP unter Spindelegger wirklich noch einmal? Oder wird sie gleich wieder wegschlummern?

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SN-Kontroverse: Pleite gehen lassen?

17. Juni 2011 08:21 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Unter dem Titel “Kontroverse” gibt es in jeder Freitag-Ausgabe der Salzburger Nachrichten eine Doppelkolumne, in der Katharina Krawagna-Pfeifer und ich jeweils zum gleichen, von der SN-Redaktion vorgegebenen Thema schreiben. Und zwar ohne dass man gegenseitig die Texte vorher kennt.

Diese Woche steht die “Kontroverse” unter dem Titel:

 

Soll die EU Griechenland pleite gehen lassen?

 

In der Folge finden Sie die beiden – unverändert wiedergegebenen – Kolumnen. Dadurch soll dieser kreativen und spannenden Idee auch hier ein Forum gegeben werden.

Pleite zieht alle mit

Katharina Krawagna-Pfeifer war Innenpolitikerin der SN, Innenpolitikchefin sowie Leiterin des EU-Büros des “Standard” und SPÖ-Kommunikationschefin. Sie arbeitet jetzt als Publizistin und Kommunikationsstrategin (kkp.co.at).

Lass Griechenland doch pleite gehen." Immer lauter tönt der martialische Ruf angesichts der Schuldenkrise im Süden. Etliche sehen darin gar die „gerechte" Strafe für die jahrzehntelange Misswirtschaft der Hellenen. Das Denken der Rachsüchtigen ist allerdings ziemlich kurzsichtig und bedeutet eine massive Verdrängung der Realität.

Denn die Folgen einer Staatspleite sind schrecklich: Banken werden von Kunden gestürmt, die ihre Konten plündern. In den Geschäften kommt es zu Hamsterkäufen. Die Geschäftsregale bleiben leer, der Einzelhandel hat kein Geld mehr. Auf den Straßen versammelt sich das Volk und demonstriert gegen die Regierung. Die Proteste schlagen in Gewalt um, die Regierung wird gestürzt, es herrscht Anarchie. Der Schwarzmarkt verdrängt die Marktwirtschaft.

Die internationalen Konsequenzen einer Staatspleite sind nicht abschätzbar. Ein bankrotter Staat kann seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Seine Anleihen werden abgewertet und Umschichtungen an den Finanzmärkten sind nötig. International kommt es zum Dominoeffekt. Andere Kernländer der EU, allen voran Spanien, Portugal, Irland und Italien könnten ebenfalls in die Staatspleite schlittern. Der Euro verlöre stark an Wert, auch in den stabilen Ländern der Europäischen Union würden die Zinsen steigen; eine tiefgreifenden Währungskrise unvermeidbar. Die Staaten müssten wieder Rettungspakete für die Banken und extreme Sparpakete mit harten sozialen Einschnitten verabschieden.

Im Vergleich zur globalen Wirtschaftskrise nach der Pleite der US-Bank Lehman wären die Folgen einer Staatspleite Griechenlands ein wirtschaftspolitischer Tsunami. Weitere finanzielle Hilfen für das krisengeschüttelte Griechenland sind daher unausweichlich, falls Europa sich selbst nicht destabilisieren will.


Konkursverschleppung

Andreas Unterberger

Die EU kann Griechenland gar nicht pleite gehen lassen. Denn das ist es schon längst. Jetzt geht's nur noch darum, endlich auch offen zuzugeben, dass Griechenland niemals all seine Schulden zahlen kann. Werden die Staaten Europas wie im Mai 2010 noch einmal Beihilfe zur Konkursverschleppung leisten? Im normalen Leben landet man damit vor dem Strafrichter.
Klar ist freilich auch: Das offene Eingeständnis der griechischen Pleite kommt heuer schon viel teurer als im vergangenen Jahr. Aber jedes weitere Jahr wird's noch teurer.

Inzwischen sind neben diversen Staatshaushalten schon etliche Nationalbanken, vor allem die Europäische Zentralbank bedroht, die nun den Großteil der griechischen Anleihen halten. Da ist es hochgradige Realitätsverweigerung, wenn sich die Finanzministerin brüstet, dass die Griechenland-Hilfe „keinen Cent" gekostet habe. In Wahrheit sind europaweit als Folge der Schuldenkrise schon unvorstellbare 1500 Milliarden Euro an Haftungen angelaufen. Und Europa ist gerade dabei, diesem teilweise schon verlorenen Geld weitere 120 Milliarden nachzuwerfen.

Nur Scharlatane können behaupten, es gäbe heute noch einen Ausweg aus der europaweiten Schuldenkrise, der nicht entweder die Sparer über eine Inflation oder die Steuerzahler über Steuererhöhungen heftig trifft. Die SPÖ macht dazu ja schon eifrig Vorschläge.

Für die Sozialisten in allen Parteien und vor allem die Gewerkschaften ist Griechenland die große ideologische Katastrophe. Denn dort zeigt sich, wohin gewerkschaftlich erkämpfte Lohnzuwächse und soziale Zuckerln führen, die mehr als den echten Produktivitätszuwachs ausmachen. Alle anderen aber, an der Spitze Angela Merkel, müssen sich fragen, warum sie den insolventen Griechen (und all ihren Gläubigern) die Mauer gemacht haben. Und jetzt offenbar weiter machen.

 

 

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Sei’s drum!

16. Juni 2011 21:39 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Gemutmaßte Gurken
sind doch keine Schurken
– so scheint es zur Zeit –
und samt den Iberern,
den Schuldenvermehrern,
vom Vorwurf befreit.

Ja, was man berichtet,
ist manchmal erdichtet,
denn wenn es pressiert
und drum man sich sputet
wird das, was vermutet,
als Fakt publiziert.

Trotz Reizüberflutung
wär’ Unschuldsvermutung
zwar vorher nicht schlecht,
von Klagegesängen
bleibt trotzdem was hängen –
zuweilen zu Recht!

Dann wurde geschlossen,
auf keimende Sprossen,
auf deutsche sogar –
weshalb was zu reimen
zu Risken in Keimen,
noch einfacher war:

Es brauchen Erreger
halt meist Überträger,
denn selbst sind sie lahm,
auch Dinkel und Bohne
sind folglich nicht ohne –
ist das nicht infam?

Und macht’s nicht psychotisch,
was teils symbiotisch,
teils parasitär
in Mägen und Därmen
sich tummelt in Schwärmen
wie Plankton im Meer?

Doch gleichfalls daneben,
das hat sich ergeben,
ist Sprossenverdacht,
der Biokost-Mahnern
und mehr noch Veganern
Frustrierung gebracht.

Viel Zeit ging verloren,
und wir sind als Toren
so klug wie bisher –
es ist das Mutieren,
wie wohl wir kapieren,
halt recht arbiträr!

Nach solchen Rankünen
keimt sicher bei Grünen
und Roten der Schluss,
dass mangels Erklärung
man auch die Ernährung
verstaatlichen muss.

Doch ich kann nur schließen:
Geht Braten genießen
und grübelt nicht bang –
die Welt voll Neurosen,
die steht laut Prognosen
ja eh nimmer lang!

Pannonicus

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Stresstests als Opium für das Finanzvolk

16. Juni 2011 01:15 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Sie werden das große Thema der nächsten Wochen: die europäischen Stresstests für große Banken. Zuerst werden Gerüchte durchsickern, welches Institut den Test bestanden hat und vor allem welches das wahrscheinlich nicht hat. Dann werden sich manche Gerüchte verfestigen, manche wieder in Luft, in bloße Gerüche auflösen. Bei jedem neuen Informationsbrocken werden die Kurse reagieren. Und schließlich wird man nach Vorliegen des Ergebnisses rundum mit Beschwichtigungen, Ankündigungen oder Eigenlob um sich werfen, je nach Ergebnis.

So weit, so schon einmal dagewesen. Wir erleben wieder einmal ein großes Selbsttäuschungsmanöver der Politik beziehungsweise einen Trick zur Besänftigung der nach Sicherheit gierenden Anleger und Einleger. Denn die Stresstests vertiefen den Irrglauben, es gäbe im Wirtschafts- oder gar Geldleben irgendwo eine klare Grenzlinie zwischen hie sicher, da spekulativ. Man erinnere sich nur daran, dass Lehman Brothers, die im September 2008 so laut kollabiert und dadurch zum Auslöser (freilich nicht zur Ursache) der Finanzkrise geworden sind, deutlich bessere Eigenkapitalquoten hatten als viele Banken, die den Stresstest problemlos meistern werden.

Die Stresstests sind also eher Opium fürs Finanzvolk. Sie sind aber noch aus einem zweiten Grund problematisch: Denn sie vermehren die schon vorhandene große Vielzahl von Prüfern und Kontrolloren für Geldinstitute. Um nur die wichtigsten aufzuzählen: da gibt es die nationalen und nun auch die europäischen Finanzmarktaufseher, da gibt es die Nationalbanken, die EZB, die nationalen Finanzministerien, in manchen Fällen auch die Rechnungshöfe, die EU-Kommission, die OECD, die Aufsichtsräte jeder Bank, die Rating-Agenturen, die Bilanz-Wirtschaftsprüfer, die Analysten, die bankinternen Risiko-Management-Abteilungen, die Vorstände. Da gibt es Basel 1,2 und bald 3. Irgendwie fühlen sich auch die Medien als Inspektoren. Und – ach ja, dann gibt es noch die Eigentümer, meist Aktionäre, die in Hauptversammlungen Fragen stellen dürfen.

Manche werden meinen: Ist doch gut, doppelt hält besser, und mehrfach noch besserer. Das stimmt aber nicht, so wie es auch sprachlich kein „besserer“ gibt. Denn es ist immer dasselbe: Je mehr Kontrollen es gibt, umso häufiger entwickelt sich eines der beiden folgenden Szenarien: Entweder die Kontrollore intrigieren gegeneinander, wie etwa bei uns eine Zeitlang Nationalbank und Finanzmarktaufsicht. Oder jeder verlässt sich auf den anderen, schreibt vom anderen ab, macht genau dasselbe, was der andere schon gerechnet hat.

Das Ergebnis sind ständig steigende unproduktive Kosten (für Anleger, Kreditnehmer, Aktionäre) bei gleich guten oder schlechteren Ergebnissen, als wenn es nur einen, aber dafür wirklich voll Verantwortlichen gäbe. Denn kein einziger aus der langen Liste haftet uns künftig persönlich und automatisch mit Haus und Hof, dass es keinen neuen Fall Madoff (oder Hypo Alpe-Adria) gibt.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

 

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Götterdämmerung für Berlusconi: Die guten und die schlechten Nachrichten

15. Juni 2011 00:09 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Alle Welt kommentiert das klare Ergebnis der italienischen Referenden als schwere Niederlage für Silvio Berlusconi. Ringsum wird aber vergessen, was das Referendum für Italien und Europa sonst noch bedeutet.

Die gute Nachricht ist sicher: Auch im Macho-Land Italien sind den Menschen endlich die unerquicklichen und dubiosen Affären ihres Ministerpräsidenten mit jungen Mädchen und sein sonstiger schlechter Umgang mit Recht und Ordnung zu viel. Im Sinne der Rechtsstaatlichkeit und Sauberkeit sind die Ohrfeigen für Berlusconi und sein damit wohl eingeleiteter baldiger Abstieg nur zu begrüßen. Dass es ein Abgang wird, ist ja kaum mehr zu bezweifeln. Denn es haben nun sogar schon Minister der eigenen Regierung an der Wahlurne deklariertermaßen gegen die vorgegebene Linie gestimmt.

Die gleichsam wertneutrale Nachricht: Wer auch immer derzeit in Europa regiert, muss mit einer kräftigen Abwendung der Wähler rechnen. Das zeigt sich nun auch in Italien. Und das ist in Demokratien auch etwas ganz Normales.

Dem stehen freilich auch viele schlechte Nachrichten gegenüber, die interessanterweise von den meisten Medien ignoriert werden:

Erstens hat Berlusconi dem seit Jahrzehnten bis über beide Ohren verschuldeten Italien eine früher unbekannte Periode der Stabilität gebracht, die gemeinsam mit ihm unaufhaltbar zu Ende geht. Italien war immerhin das einzige der PIIGS-Krisenländer, das in den letzten Jahren trotz Krise und Schuldenbergs keine Verschlechterung seines Kredit-Ratings hinnehmen musste. Die Neuverschuldung Italiens wurde durch eine beinharte – und logischerweise unpopuläre – Sparpolitik in relativ überschaubaren Grenzen gehalten (Wirtschaftswachstum hat Italien freilich so wie alle südeuropäischen Länder kein nennenswertes geschafft). Mit Sicherheit werden Geldverleiher nun Italien viel kritischer beurteilen.

Zweitens ist besorgniserregend, dass sich weit und breit keine alternative Regierungsbasis mit einiger Stabilität abzeichnet. Die Linke ist ein wirrer und zerstrittener Haufen, den nur die Gegnerschaft zu Berlusconi geeinigt hat. Und noch viel weniger gibt es eine neue charismatische Führungspersönlichkeit. Italien wird statt dessen wohl zur schlechten alten Zeit ständig wechselnder Koalitionen ohne jede politische Führungskraft zurückkehren.

Und drittens haben sich die Italiener bei den Referenden in zwei Punkten auf eine Politik festgelegt, die dem Land weiteren wirtschaftlichen Schaden zufügt: auf einen Atomausstieg und auf das Verbot der Privatisierung von öffentlichen Unternehmen wie der Wasserversorgung.

Natürlich ist es das Recht der Italiener, sich solche Gesetze zu geben. Aber ebenso natürlich ist klar, dass dadurch die Sanierung Italiens noch weiter ins Reich des Unmöglichen rückt.

Nur zur Erinnerung: Es gibt keine einzige seriöse Berechnung, die behaupten würde, der Verzicht auf Atomkraft nütze einer Volkswirtschaft. Und die Privatisierung von Wasserversorgung und Ähnlichem wird – gerade in diesen Tagen! – intensiv von den Griechen gefordert, damit diese Einrichtungen erstens effizienter werden und damit Griechenland zweitens durch den Verkaufspreis einen Beitrag zu seiner eigenen Sanierung leistet.

Und noch eine zweite Erinnerung: Italien hat mit 119 Prozent BIP-Anteil die zweithöchste Staatsverschuldung in der EU (nach Griechenland), steht also in entscheidender Hinsicht schlechter da als Portugal oder Irland, die schon in die europäische Notaufnahme eingeliefert werden mussten.

Alle jene, die jetzt über den Ausgang des Referendums jubeln, sollten sich fest anschnallen ob all dem, was demnächst auch die Italiener dem Kontinent an teuren Freuden bescheren werden. Die Rechnung müssen freilich auch alle anderen zahlen, die jetzt schon keineswegs jubeln. Hauptsache, man zahlt die Wasserrechnung nicht an eine Privatfirma und Berlusconi ist weg.

 

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Ausgerechnet dort, wo die EU goldrichtig liegt, ist sie zu schüchtern

14. Juni 2011 00:09 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Schade, dass ausgerechnet die besten, wichtigsten und klügsten Aussagen der EU-Kommission nur in Form zarter Empfehlungen daherkommen. Die EU ist ja bei anderen, viel problematischeren Themen durchaus mit voller Härte der rechtlichen Verbindlichkeit von Verordnungen, Richtlinien oder Gerichtserkenntnissen unterwegs. Das reicht vom Glühbirnenverbot über die Rechte der deutschen Medizinstudenten in Österreich bis zur Umsetzung von Basel 3. (Mit einer nachträglichen Ergänzung am Ende)

Die jüngsten Empfehlungen der EU an Österreich haben jedoch leider keine rechtliche Qualität. Sondern sie haben nur die Qualität der Vernunft. Sie werden daher von der Regierung so unbeachtet bleiben, wie sie auch von den meisten Medien weitgehend ignoriert worden sind. Was – im Interesse Österreichs! – sehr traurig ist. Dabei sind die Empfehlungen aus Brüssel ohnedies schon viel zu schwach gegenüber dem, was wirklich nottäte. Und möglich ist.

Die EU rät der Republik völlig zu Recht, die Budgetkonsolidierung zu verstärken. Die jährlichen Einsparungen sollten der Kommission zufolge in den nächsten zwei Jahren jeweils ein dreiviertel Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen. In der österreichischen Budgetplanung ist jedoch nicht einmal ein halb so schnelles Tempo vorgesehen.

Brüssel sieht sogar das von der Wiener Regierung selbst gesetzte Ziel gefährdet, das Defizit von 4,6 Prozent des BIP (im Jahr 2010) auf 2,4 Prozent im Jahr 2014 zu reduzieren. Die Maßnahmen zur Reduktion des „übermäßigen Defizits“ Österreichs seien „zu unspezifisch“. 

Ins Allgemeinverständliche übersetzt heißt das: Die Regierung produziert nur heiße Luft und wird wahrscheinlich nicht einmal die eigenen ohnedies völlig unzureichenden Einsparvorhaben schaffen. Die groß propagierte Antisteuerhinterziehungs-Kampagne wird nach Überzeugung Brüssels ebenfalls nicht den gewünschten Erfolg bringen. Was ähnliche Kampagnen ja auch in anderen Ländern nicht geschafft haben.

Gleichzeitig kritisiert die Kommission die hohe Abgabenquote in Österreich (das ist im wesentlichen der Anteil unserer Einkommen, den uns Steuern plus Pflichtversicherungen gleich wieder wegnehmen). Diese Abgabenquote zählt zu den höchsten in der ganzen EU, bestätigt die Kommission. Zugleich haben die sehr hohen Sozialversicherungsabgaben auch einen negativen Effekt auf die Beschäftigung im Niedriglohnbereich. Sie machen Arbeit unqualifizierter Arbeiter zu teuer.

Diese Erkenntnisse sind zwar an sich nicht neu. Aber dennoch wünsche ich mir, dass die sonst so freigiebige EU auch in diesem Zusammenhang einmal ein bisschen Geld in die Hand nimmt und diese Erkenntnisse und Empfehlungen landauf, landab plakatiert. Denn ganz offensichtlich denkt die österreichische Politik nicht daran, den als „Einladung“ umschriebenen Ratschlägen der EU nachzukommen. Die Regierung beschloss zuletzt sogar wieder lauter neue Ausgaben. Und Bundeskanzler wie Bundespräsident haben nur wenige Stunden nach Bekanntwerden der europäischen Empfehlungen sogar ungeniert schon wieder nach weiteren Steuererhöhungen gerufen.

Natürlich sollen diese laut der ewig gleichen Rhetorik der Politik wie immer nur die „Reichen“ treffen. Und nie wird zugegeben, dass eine solche Unterscheidung nicht funktionieren kann. Erstens wachsen auch die Nicht-so-Reichen auf Grund der Inflation oder ihres beruflichen Aufstiegs immer rasch in jene Einkommensbereiche beziehungsweise „Vermögen“ hinein, die kurz davor noch als Reservat der „Reichen“ gegolten haben. Zweitens vertreibt man damit immer extrem rasch alle jene Menschen aus dem Land, die wirklich Geld haben. Und die anderen Arbeit geben könnten.

Steuererhöhungen leeren die Kassen und Börsen

Ein neues dramatisches Beispiel für die negativen Konsequenzen von Steuererhöhungen ist die seit heuer geltende Ausdehnung der Kursgewinnsteuer (man muss der Neuregelung zufolge nun Kursgewinne immer versteuern, früher war das nur während des ersten Jahres nach Aktienkauf notwendig). Diese Steuerausdehnung war zwar damals auch von einem vermeintlichen Wirtschaftsspezialisten wie dem Spitzenmanager Claus Raidl gefordert worden. In der wirklichen Welt hat diese Steuererhöhung aber eine Katastrophe für den Finanzplatz Wien ausgelöst.

Im vergangen Monat, also im Mai 2011, hat sich nämlich das Handelsvolumen an der Wiener Börse um 42 – in Worten: zweiundvierzig! – Prozent reduziert. Das lässt befürchten, dass die Steuererhöhung am Schluss ein Minus in der Staatskasse auslösen wird. Was ja wohl nicht ganz der Zweck der Übung war. Ganz besonders schnell haben sich ausgerechnet die österreichischen Anleger von ihrer Börse abgewendet. Sie trauen dieser Regierung alles Üble zu. Das alles demoliert nebstbei natürlich auch die langfristige Überlebenschance der Börse.

Der von der Politik total ignorierte Kollaps der Börse bedeutet logischerweise auch, dass künftig weniger Investitionskapital für österreichische Betriebe zur Verfügung steht. Und dass derzeit schon viel Geld über die Landesgrenzen hinausfließt. Wenns nicht anders gegangen ist, halt im Koffer.

Nicht mit Zahlen belegbar, aber in gewichtigen Einzelfällen nachweisbar ist auch eine weitere massiv negative Wirkung der Steuerpolitik der letzten zwei Jahre: Sowohl die Verschlechterung der Stiftungsbesteuerung wie das Gerede über weitere Steuerattacken auf Stiftungen und Banken vertreiben Kapital aus Österreich. Man sollte sich für die Zukunft auch bewusst sein: Selbst die großen Banken sind nicht dauerhaft gezwungen, in Österreich zu bleiben, sind sie doch längst schon internationale Akteure. Und Bratislava oder Prag sind wunderschöne Städte mit einer sich rasch verbessernden Infrastruktur.

Mit Sicherheit die gleiche negative Wirkung, wie sie schon die Kursgewinnsteuer hatte, würde auch eine Einführung der von allen österreichischen Politikern geforderten europaweiten Finanztransaktionssteuer haben. Derzeit scheitert diese ja zum Glück noch am Widerstand klügerer Regierungen wie etwa der britischen. Diese Finanztransaktionssteuer (die jede simple Geldüberweisung verteuert) würde nämlich massiv Investoren und Geldgeschäfte aus dem EU-Raum vertreiben. Und außerdem würden viele komplizierte Umgehungskonstruktionen zur Vermeidung der Steuer entstehen, die nur Steuerberatern etwas nützen.

Die goldenen Worte der EU-Kommission haben nur einen Fehler (abgesehen davon, dass sie sowieso von der Regierung ignoriert werden): Sie sind noch viel zu wenig ambitioniert. Denn es gibt in Wahrheit im gegenwärtigen Konjunkturboom keinerlei Grund, überhaupt ein Defizit zu machen. In Wahrheit sollte und müsste Österreich heuer oder spätestens im kommenden Jahr sein Defizit komplett abbauen. Die Schulden werden ja sowieso gewaltig bleiben. Ein solcher Defizitabbau würde halt eine Einsparungsanstrengung von 2 bis 3 Prozent des BIP bedeuten und nicht nur von 0,75 Prozent (EU-Empfehlung) oder 0,35 Prozent (das erwähnte Ziel der Regierung).

Ein solches Sparprogramm wäre gewiss nicht schmerzfrei oder gar populär. Nur ein physisch schon schwer angeschlagener Hannes Androsch kann behaupten, der Staat könne 20 bis 30 Milliarden einsparen, „ohne dass Leistungen gekürzt werden müssen“. Selbstverständlich müssen viele überflüssige oder luxuriöse Leistungen, Subventionen und Programme radikal gekürzt werden. Was immer laute Schmerzensschreie der derzeitigen Nutznießer auslösen wird. Aber andererseits sind die 2 bis 3 Prozent Einsparung nur die Hälfte der 5 Prozent Einsparung, die Griechenland in den letzten zwölf Monaten geschafft hat – obwohl das Land ringsum ob seiner viel zu geringen Einsparbereitschaft getadelt wird.

Es ist wohl so: Ein EU-Land, das zu Konjunkturzeiten nicht einmal einen Bruchteil der griechischen Anstrengungen auf sich zu nehmen bereit ist, wird selbst einmal ein Griechenland werden.

PS. Bestürzend ist auch der Vergleich mit Italien, einem weiteren notorischen Krisenkandidaten: Italien hat sich in seiner Budgetplanung fest vorgenommen, 2014 ein Nulldefizit zu haben. Österreich hingegen will in jenem Jahr noch immer ein Defizit von 2,4 Prozent produzieren. Und wenn eine neue Krise kommt, wird man dieses Ziel halt leider, leider auch nicht erreichen.

PPS. Nur zur technischen Information: Das oft zitierte BIP Österreichs wird heuer über 290 Milliarden Euro ausmachen.

(Nachträgliche Ergänzung: Wenige Tage danach fordert jetzt auch der Währungsfonds Österreich zu den gleichen Maßnahmen wie die EU auf: Schulden sollten "ehrgeiziger" abgebaut werden. Dabei solle sich Österreich vor allem auf Pensionen, Gesundheitsvorsorge und Subventionen konzentrieren, etwa durch eine schnellere Reform der Hacklerregelung. Bei den Subventionen wird insbesondere auf die ÖBB und die Wohnbauförderung verwiesen. Alles altbekannt - aber immer wichtig!)

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

 

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Die Bilderberger bilden unsern Werner

12. Juni 2011 00:33 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Super: Werner Faymann nimmt am Treffen der Bilderberg-Gruppe teil. Das werden zwar viele kritisieren. Ich finde es aber absolut gut und richtig. Wirklich.

Denn der Mann ist ja angesichts der Uneinigkeit der nichtlinken Parteien Bundeskanzler der Republik. Und er sitzt als einziger Österreicher im mächtigsten Gremium des Kontinents, dem Europäischen Rat, wo er aber noch kein einziges Mal einen relevanten Beitrag geleistet hat. Da ist es zweifellos überaus hilfreich, wenn er wenigstens ein bisschen seinen Horizont erweitert.

Denn Österreich hatte in seiner ganzen Geschichte noch nie einen geistig so engen und kleinkarierten Bundeskanzler wie Faymann. Die „Höhepunkte“ seines bisherigen Lebens, bevor er durch untergriffige Winkelzüge ins Kanzleramt kam: kein Studium, nur Versorgungsposten der Partei, Mieterververeinigung, Rathaus, Kronenzeitung: Das ist Gemeindebau-Mief aus der untersten Lade, der geistig kaum über die Wiener Stadtgrenze, geschweige denn die Republiksgrenzen hinauszublicken imstande ist.

Und dass die Treffen der Bilderberger „geheim“, also ohne Öffentlichkeit ablaufen, kann nur gut sein. Dann besteht wenigstens eine kleine Chance, dass Faymann während des ganzen Treffens nicht nur darüber nachdenkt, welche gespreizten Hohlsätze er nachher einem servilen ORF-Mikrophonhalter sagen soll. Dann hört er vielleicht ein paar gescheiten Leuten ein wenig zu. Dann kriegt er vielleicht ein bisschen besser mit, wie es so in der Welt zugeht.

Ein mindestens genauso wichtiger Nutzen eines solchen Gesprächstreffens: In nichtöffentlichen Veranstaltungen reden alle Referenten deutlich offener und ehrlicher und kritischer als sonst. Natürlich tun das nur jene, die nicht nur reden, sondern auch etwas zu sagen haben, was selbst hinter verschlossenen Türen keineswegs garantiert ist. Jedoch: Hinter all dem gleich eine Weltverschwörung zu wittern, zeugt aber eher von einer kräftigen Paranoia der Witterer als von einer Ahnung, wie Weltverschwörungen wirklich ablaufen. Nämlich sicher nicht bei Großtreffen mit veröffentlichter Teilnehmerliste.

PS: Ich weiß natürlich, dass die Bilderberger Gästeliste eher linkslastig ist. Aber das ist noch immer besser als bloß ewig Rudas, Kräuter und Ostermayer um sich zu haben.

PPS: Um gleich allen Unterstellungen entgegenzutreten: Nein, ich habe nie an einem Bilderberg-Treffen teilgenommen. Ich habe nur oft genug den Qualitäts-Unterschied zwischen vertraulichen und medienöffentlichen Begegnungen erlebt. Und ich habe oft genug die Absurdität von Verschwörungstheorien erlebt.

 

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Die tödliche Unsicherheit

09. Juni 2011 00:03 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

An den Turbulenzen auf den Finanzmärkten ist ein Aspekt besonders schlimm – und den Akteuren zuwenig bewusst: die absolute Ungewissheit der bevorstehenden politischen Entscheidungen. Dabei braucht jedes wirtschaftliche Handeln sichere Rahmenbedingungen dringender als alles andere.

Investitionen wie Kreditaufnahmen sind nur dann rational möglich, wenn das Verhalten von Staaten und Notenbanken vorhersehbar ist. Und das ist es in Europa keineswegs. Bekanntestes Beispiel für falsche Behauptungen von Notenbanken, Regierungen und EU-Instanzen sind die regelmäßigen Beteuerungen, dass Griechenland/Irland/Portugal/(und wieder)Griechenland keine Sonderhilfe benötigen. Was dann wenige Wochen später jeweils anders war. Wer soll da heute noch den fast bis auf den Buchstaben gleichlautenden Beteuerungen in Hinblick auf Spanien und Italien glauben?

Das führt Banken wie Versicherungen in ein unlösbares Dilemma. Sie stehen nämlich vor der Frage: Soll und darf man das Geld der Anleger, Sparer und Lebensversicherten nun in einem der genannten Länder anlegen oder nicht? Legen sie dort im Vertrauen auf die Aussagen der Politik und Notenbanken Geld an, aber eines jener Länder wird dann doch fallengelassen (oder gar mehrere), dann sind manche Finanzinstitute selber in Lebensgefahr. Zumindest werden sie in jedem Fall erneut als böse Spekulanten an den Pranger gestellt, die in Junk-Papiere investiert hätten.

Legen sie hingegen in den Wackelländern – zu denen Skeptiker übrigens auch schon Frankreich rechnen – nicht an, dann hat das zwei andere Folgen: Makroökonomisch könnten dadurch diese Länder erst recht ins Schleudern kommen, wenn sie kein Geld mehr bekommen. Überstehen die Krisenländer aber ihre Solvenzprobleme, dann haben sich die vorsichtigen Banken und Versicherungen selbst schwer und ohne Nutzen geschädigt. Sie verlieren dramatische Marktanteile, weil sie zum Unterschied von der Konkurrenz ihren Kunden nicht die hohen Zinserträge südeuropäischer Anleihen verschafft haben. Banken, die Anlegern wegen ihrer vorsichtigen Veranlagung niedrige Zinsen zahlen, Lebensversicherungen, die deswegen geringe Gewinnbeteiligungen erzielen, haben bald keine Kunden mehr.

Dabei ist derzeit sehr viel Geld zu veranlagen. Viele Fonds und insbesondere Versicherungen sind überdies rechtlich verpflichtet, einen Teil nur in Staatspapieren zu veranlagen. Deutschland aber legt gar nicht so viele Anleihen auf, wie es als derzeit relativ sicherster Platz Europas könnte. Was den Deutschen wieder sehr niedrige Zinssätze ermöglicht. Was wiederum manche Anleger zu spekulativen Papieren greifen lässt.

Das alles ist eine tödliche Spirale. Und sie würde nur gebrochen, könnte man den Aussagen von Finanzministern, Regierungs- und Notenbankchefs wieder vertrauen. Was man aber nur noch als Coniunctivus Irrealis sagen kann.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

 

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Die Brandstifter als Feuerlöscher

07. Juni 2011 00:18 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Hurra, das Pyramidenspiel ist um eine weitere Runde verlängert worden! Große Gewinne locken! Und dabei ist die neue Runde viel billiger als die erste (noch)! Jeder gewinnt! Zumindest jeder, der am Schluss keinen Schwarzen Peter im Blatt – Pardon, griechische Anleihen auf seinem Depot-Konto hat.

Der Milliarden-Geldfluss nach Griechenland hat in Wahrheit längst alle Pyramidenspiele übertroffen. Das sind jene Betrügereien, bei der jeder Mitspieler zehn Euro an einen früheren Spieler zahlen und selbst zehn weitere Spieler finden muss, die ebenfalls an einen früheren Mitspieler (einer Spielebene später) jeweils zehn Euro überweisen müssen, und von denen dann jeder ebenfalls zehn weitere Mitspieler finden muss. Immer unter dem Versprechen, irgendwann einmal selbst Gelder überwiesen zu bekommen.

Das geht so weiter, bis – ja, bis das Spiel kollabiert, weil niemand mehr bereit ist, sich auf einen solchen Schwachsinn einzulassen. An diesem Schwachsinn haben die allerersten in der Kette aber inzwischen sehr gut verdient. Die anderen sind jedoch die Blöden. Solche betrügerischen Spiele sind daher in fast allen Ländern zu Recht verboten.

Zu Recht verboten ist in der EU auch all das, was Europas Regierungen und Zentralbanken seit 13 Monaten tun: Sie werfen gutes Geld dem von schuldenmacherischen Regierungen schon verbrannten schlechten Geld nach. Und müssen nun immer weiter Geld nachwerfen. Nur damit das Spiel nicht platzt. Was es natürlich eines Tage sehr wohl tun wird.

Die EU und ihre Mitglieder haben rund ums Geld in den letzten eineinhalb Jahrzehnten mit großer Brutalität alle Regeln gebrochen, die sie davor selbst auf Verlangen vor allem deutscher Ökonomen und Wähler aufgestellt haben. Die Deutschen waren ja nur unter strengen Stabilitätsauflagen bereit, die D-Mark gegen den Euro herzugeben.

Dennoch hat die EU Länder in den Euro-Raum aufgenommen, die an keinem einzigen Tag die als eigentlich unabdingbare Kriterien festgelegten Aufnahmebedingungen („Maastricht-Kriterien“) erfüllt haben. Das hat übrigens auch für Österreich gegolten, mit Ausnahme des Jahres 2007. Seit dem letzten Jahr wird auch noch die eiserne No-Bailout-Regel gebrochen, die rechtsverbindlich festhält, dass weder die EU noch die Europäische Zentralbank noch andere Euro-Staaten einem leichtfertigen Schuldenstaat durch Kredite helfen dürfen. Selbstverständlich hat dann auch noch Griechenland seine Zusagen gebrochen, die es im Vorjahr abgegeben hat, um an die europäischen Gelder heranzukommen. Mit den schon im Vorjahr vereinbarten Privatisierungen wurde bisher keine Sekunde lang ernst gemacht. Jetzt wird halt wieder alles Mögliche versprochen, weil das Land wieder Geld braucht.

Wie wird das alles enden? Genau mit dem, was alle jene als völlig ausgeschlossen bezeichnen, die einst monatelang völlig ausgeschlossen haben, dass Griechenland, dass Irland, dass Portugal Hilfe der anderen EU-Länder benötigen – bis dann halt plötzlich doch die Hilfsmilliarden gerollt sind: Die Krise kann nur mit einer gewaschenen Inflation enden. Anders können die riesigen Mengen an Schulden gar nicht begleichen werden. Wenn hingegen das Geld nichts mehr wert ist, werden auch die Schulden nichts mehr wert sein. Dann sind alle Schuldner fein raus. Die Sparer, Anleger und Gläubiger halt ein bisschen weniger. Aber die kann man ja eh immer leicht als böse Kapitalisten denunzieren.

Diesen Kern der Dinge sollte man nie aus den Augen verlieren – auch wenn Politik und Notenbanker uns mit einem Strudel von komplizierten Erklärungen und finanztechnischen Konstruktionen Sand in unsere Sehorgane streuen wollen. In den letzten Tagen haben sie das mit zwei weiteren Konstruktionen getan, die an sich köstlich wären, wären sie nicht in Wahrheit so infam.

Erstens: Die Regierungen wollen nun private Schuldner zwingen, sich „freiwillig“ – echt: Sie reden von freiwillig! – an der nächsten Etappe der Griechenland-Hilfe zu beteiligen. Und zweitens: In bestehende Verträge über Staatskredite sollen nachträglich rückwirkende Klauseln eingebaut werden, etwa des Inhalts, dass die Rückzahlung der Kredite weit nach hinten verschoben wird. Wenn ein privater Schuldner solches versucht, verliert er jeden Prozess. Wenn es Staaten tun, dann lassen sie sich als Retter feiern. Und die von begnadeter Kurzsichtigkeit geschlagenen Aktienmärkte feiern mit.

Oder sind die Akteure auf den Aktienmärkten gar nicht so kurzsichtig? Eigentlich ist die dortige Reaktion ja nur logisch. Denn wenn jeder angesichts der sich nähernden Inflation sein Bargeld möglichst rasch loswerden und in Gold, Eigentumswohnungen oder eben Aktien eintauschen will, dann treibt das eben die Kurse auf den Aktienmärkten zwingend nach oben. So werden insbesondere schon wieder abenteuerliche Summen für Internet-Firmen bezahlt – so wie wenn der Dot.com-Crash des Jahres 2000 nie passiert wäre (also der vorletzte Finanzkollaps).

Warum wird Griechenland – dessen Bürger ohnedies nur Resteuropa wild beschimpfen – nicht seinem Schicksal überlassen? Da geben uns Regierungen und Notenbanken neben Solidaritäts-Gerede eine einhellige Antwort: Dann würden auch viele westeuropäischen Banken krachen. Sagen sie.

Diese Antwort ist nur absolut falsch. Wahr ist vielmehr: Erstens würden die meisten nicht krachen, weil sie längst vorgesorgt haben; zweitens wäre ein Crash oder ein Crash in der harmloseren Form einer Umschuldung noch billiger als die unendlich eskalierenden Griechenland/Portugal/Irland-Hilfen, auch wenn dann der Steuerzahler einige Kreditinstitute retten muss (was er freilich nur unter heftiger Beteiligung auch der Eigentümer dieser Banken und unter sofortigem Jobverlust für deren Manager tun sollte).

Regierungen und Notenbanken sind aber sehr erfolgreich mit dieser Schuldzuschiebung. Denn sie haben zwar eine schlechte Finanzpolitik, aber die weitaus besten PR-Apparate. Sie haben vor allem jedes Interesse, die Schuld auf andere zu schieben.

Denn in Wahrheit sind sie selber die Hauptursache der Finanzkrise:

Erstens verhalten sich viele andere Regierungen Europas fast ebenso verschwenderisch wie die griechische. Wenn auf jeden Österreicher rund 25.000 Euro an Staatsschulden entfallen und auf jeden Griechen 29.000, ist der Unterschied nur noch marginal . Daher fürchten sich die Regierungen davor, dass die Bürger bei einem Crash in Griechenland plötzlich erkennen könnten, welchen Rattenfängern sie selbst auf den Leim gegangen sind.

Zweitens sind längst die Notenbanken, insbesondere die EZB heute die größten Besitzer griechischer und anderer stinkender Staatspapiere, die sie bei einem Crash Athens sofort abschreiben müssten. Bei einer Entsorgung der Schulden auf dem Inflationsweg hingegen könnte man dann immer dem bösen Handel, den Benzinfirmen und irgendwelchen düsteren Spekulanten die Schuld an den rasch explodierenden Preisen geben.

Und drittens hätte eine Entwertung der griechischen Anleihen auch für die Anleihen aller anderen Länder sofort gewaltige Folgen: Deren Zinsen würden rapide in die Höhe schnallen. Denn damit wäre über Nacht die Fiktion beendet, dass Staatspapiere risikolos und sicher seien. Damit müsste auch die absurde Fiktion der diversen Basel-Abkommen ein Ende finden, dass eine Bank kein oder fast kein Eigenkapital als Sicherstellung bunkern muss, wenn sie einem Staat Geld borgt. Dann wüsste das nicht nur Andreas Treichl, sondern auch jeder andere Geldverleiher, bei dem ein Finanzminister anklopfen sollte.

Mit anderen Worten: Die tollen Feuerlöscher des Finanzbrandes sind selbst die ärgsten Brandstifter gewesen.

Ihnen steht aber eine über ökonomische Grundzusammenhänge total ahnungslose Öffentlichkeit gegenüber. Um nur ein aktuelles Beispiel dafür zu nennen: Ein Moderator der ORF-Zeit-im-Bild erklärte uns dieser Tage die Lage in Portgual, das mitten in seiner eigenen Schuldenkrise wählte, so: „Die Konservativen wollen sparen, aber dann gibt’s kein Geld.“ Na, wenn das so ist: Dann sparen wir nicht, dann geben wir das Geld halt – weiterhin –  wie Heu aus und haben immer genug davon. Warum fragen die nicht den ORF?

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Im Zeichen der Krise

06. Juni 2011 18:39 | Autor: Andreas Tögel
Rubrik: Gastkommentar

Am 26. Mai startete im südwesttürkischen Bodrum die sechste Konferenz der von Hans-Hermann Hoppe gegründeten Gesellschaft „Property and Freedom Society“. Wie auch in den vergangenen Jahren wurden prominente Wissenschafter und Autoren des libertären Lagers aufgeboten, deren am ersten Tag der Veranstaltung gehaltene Vorträge den aktuellen Problemen des Weltwirtschafts- und Finanzsystems gewidmet waren.

Hoppe stellte sein Eröffnungsreferat als Gastgeber unter den Titel "Politik, Geld und Bankwesen – alles was Sie wissen müssen in 30 Minuten". Er begann mit der Definition des Staates, der sich einerseits als „monopolistischer Rechtssetzer innerhalb eines gegebenen Territoriums mit dem Privileg, Steuern zu erheben“ darstellt und andererseits als „Letztentscheider in Streitfällen – auch in solchen, in die er selbst verwickelt ist.“

Diese einzigartige Stellung des Staates im Verhältnis zum Bürger führt notwendigerweise auch zu Konsequenzen für das Geld- und Bankenwesen. Die Möglichkeit des Staates, seine Kompetenzen durch Zugriff auf das Eigentum der Bürger nahezu unbegrenzt zu erweitern (erkennbar u. a. an einer permanent wachsenden Steuer- und Staatsquote) haben im Lauf der Zeit durch eine Reihe geldpolitisch folgenschwerer Maßnahmen zugenommen.

Die Maximierung der Staatseinnahmen findet ihre Grenzen in mit steigenden Tarifen zunehmenden Steuerwiderständen (Stichwort: Laffer-Kurve). Ab Überschreitung einer bestimmten Höhe der Abgabenlast erodieren die Staatseinnahmen – als Folge von Steuerflucht und -Hinterziehung oder einfach bedingt durch eine Produktionseinschränkung durch die Steuerpflichtigen. Der Staat weicht daher zunächst auf das Mittel der Verschuldung aus und bedient sich hierfür der Geschäftsbanken.

Dies führt naturgemäß zu seiner Abhängigkeit von diesen Geldgebern und limitiert weiterhin seinen finanziellen Spielraum. Dieser wird zunächst durch das den Geschäftsbanken gewährte Privileg zur Teilreservehaltung ausgeweitet (die vorhandene Geldmenge kann dadurch, bedingt durch die damit verbundene Möglichkeit zur massiv erweiterten Kreditvergabe – abhängig von der vorgeschriebenen Mindestreserve – willkürlich ausgeweitet werden).

Schließlich entledigt sich der Staat seiner Abhängigkeit von den Geschäftsbanken durch die Schaffung einer staatlich beherrschten, mit dem Privileg zur (Papier-) Geldproduktion ausgestatteten Notenbank als „ultimativer Kreditgeber“. Den vorerst letzten Schritt bildet die Lösung des (Papier-)Geldes von jeglicher Warenbasis („Deckung“), sowie die Einführung von Zahlkraftgesetzen, die inhärent wertloses Papier zum alleinig zulässigen Zahlungsmittel erklären.

Dieser letzte Schritt wäre in einem System konkurrierender Währungsanbieter völlig undenkbar, da jedermann werthaltiges Geld dem wertlosen vorzöge und die Annahme des letzteren verweigerte. Das Währungsmonopol des Staates – verbunden mit der weidlich genutzten Möglichkeit, die Geldmenge hemmungslos zu erhöhen – führt zur sukzessiven Enteignung der Bürger durch den Staat.

Grund dafür ist der Cantillon-Effekt (benannt nach dem Ökonomen Richard Cantillon), der die Geldschöpfung zum Umverteilungsvehikel macht. Die staatlich gesteuerte Inflationierung der Währung hat den Effekt einer unsichtbaren Steuer.

Nutznießer sind der Staat, dessen Büttel und das Bankensystem; Geschädigte alle übrigen – insbesondere die Bezieher fester Einkommen, die mit der sinkenden Kaufkraft ihrer Barschaft konfrontiert sind. Die beiden (gleichermaßen kriminellen) staatlich initiierten Methoden

haben unterschiedliche Konsequenzen. Letztere sind die langfristig gefährlicheren, da sie maßgeblich für die Ausbildung von Konjunkturzyklen verantwortlich sind. Durch die Schaffung der Illusion von real vorhandenen Mitteln (Ersparnissen) wird eine künstliche Konjunktur erzeugt, die nach Offenbarwerden der mangelnden Finanzierungsbasis in Form einer Rezession korrigiert wird.

Hoppe benutzt ein Robinson-und-Freitag-Gleichnis zur anschaulichen Illustration des Geschehens: Robinson gewährt Freitag in Form von Fischen, die er selbst nicht konsumiert, ein Darlehen. Dieses versetzt den Debitor in die Lage, einige Tage nicht der Nahrungsbeschaffung widmen zu müssen, sondern für die Produktion eines Netzes einzusetzen. Danach ist er mit dessen Hilfe imstande, sowohl das Darlehen nebst Zinsen an Robinson zurückzuzahlen, als auch seine eigene Produktion zu erhöhen.

Der für beide Seiten entstandene Nutzen ist offensichtlich. Erhält Freitag – mangels ersparter Fische – anstelle derselben lediglich einen Zettel mit der Aufschrift „Fische“, wird der Unsinn dieser Aktion augenblicklich klar. Freitag kann sein „Projekt Netzbau“ unter diesen Umständen nicht umsetzen, da Robinson in Wahrheit über keine Ersparnisse an Fischen verfügt.

In großen, komplexen Ökonomien unterscheiden sich die Zusammenhänge zwar keineswegs grundsätzlich von den oben beschriebenen, die in einer einfachen Tauschwirtschaft herrschen, sie sind aber keineswegs so offensichtlich und daher für die breite Masse nicht zu durchschauen. Indessen führt kein Weg an der Einsicht vorbei, dass die Produktion von Papiergeld bei unverändert bleibendem Kapitalstock unter keinen Umständen zu einer Erhöhung des Wohlstands, sondern lediglich zu einer Preisinflation und zu einer von der Produktion losgelösten Umverteilung von unten nach oben führt.

Das folgende, vom in Breslau Volkswirtschaft lehrenden Mateusz Machaj gehaltene Referat trug den Titel "Wie man die Zentralbank kritisiert" und widmete sich den Angriffspunkten zur Kritik an der Funktion von Zentralbanken. Demnach lassen sich zwei Ansätze unterscheiden:

Einmal einen grundsätzlichen:

und zum anderen einen funktionalen:

Der erste Ansatz ist jener der Austrian Economy. Ein Zentralbanksystem entspricht einer zentral geplanten, sozialistischen Wirtschaftsordnung. Machaj spricht in diesem Zusammenhang von einer „Schumpeterisierung der Kapitalmärkte“. Auf diesem kommt es zu einer Verdrängung privater Geldhalter durch den staatlichen Geldproduzenten. Stark verkürzt zusammengefaßt: Die Probleme des Sozialismus folgten aus der verstaatlichten Kontrolle der Produktionsmittel. Die Probleme unserer Tage folgen aus der verstaatlichten Produktion und Kontrolle des Geldes.

Der zweite Ansatz der Kritik ist fokussiert auf die Zinspolitik der Zentralbank. Wurde die „Taylor-Rule“ korrekt angewendet (z. B. die Zinsen entsprechend den politischen Zielvorgaben gesetzt) oder nicht? Das Problem besteht hierbei in konkurrierenden Zielvorgaben (Preisstabilität vs. Vollbeschäftigung) einerseits und in der Treffsicherheit der ergriffenen geldpolitischen Entscheidungen andererseits. Wie die aktuelle Krise zeigt, liegen die Probleme häufig zu tief, als dass sie durch monetäre Maßnahmen behoben werden könnten.

Das von Philipp Bagus, Ökonom an der Universität Madrid, gehaltene Referat trug den Titel "Die (US-Notenbank) FED und die EZB: Banksterism im Vergleich."

Die Organisation, wie auch das den beiden Zentralbanken zur Verfügung stehende Instrumentarium unterscheiden sich nur unwesentlich. Auf beiden Seiten des Atlantiks erfolgt die Geldschöpfung in einem Zusammenspiel von Staat, Noten- und Geschäftsbanken. Die Geschäftsbanken kaufen vom Staat begebene Anleihen an und deponieren diese gegen zu verzinsendes Bargeld bei der Zentralbank. Die Zentralbank führt die entstehenden Überschüsse an den Staat ab.

Das Maß für den Vergleich des inflationistischen Treibens der Zentralbanken bildet die Geldmengenentwicklung. Dabei schneidet die FED noch schlechter ab als die EZB. Die Ausweitung des Defizits in den USA verlief seit Ausbruch der Finanzkrise deutlich dramatischer als in der Eurozone. Während sich die Staatsschuld in den USA nahezu vervierfachte (auf 2,7 Billionen Dollar), stieg diese im Euroraum „nur“ von 1,3 auf 1,9 Billionen.

Die von der EZB vorgenommene, direkte Monetisierung belief sich auf ein Zehntel des Wertes der FED. Die inhärent stärker inflationistische Politik der FED ist an den Zinssätzen abzulesen: Die EZB hält bei derzeit 1,25 Prozent, während die FED faktisch bei Null liegt. Das darf insofern nicht verwundern, als der Chef des FED-Systems, Bernanke, absolut davon überzeugt ist, dass die „Große Depression“ im Gefolge des 1929er-Börsenkrachs durch eine falsche – aus seiner Sicht nämlich zu wenig inflationistische – Geldpolitik ausgelöst wurde.

Die Unterschiede zwischen EZB und FED sind gradueller, nicht aber grundsätzlicher Natur. Die gegenwärtige Eurokrise ist das Ergebnis eines Streits zwischen den unter das Joch einer gemeinsamen Währung gespannten, nationalen Regierungen um die „Verteilung der Beute“.

Fazit: Ben Bernanke gewinnt das Rennen um den Titel des schlimmsten Banksters klar vor Jean-Claude Trichet …

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Spanisch

06. Juni 2011 13:25 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Spanisch war mal eine Grippe,
spanisch hieß auch ein Insekt –
freilich hat die Pharma-Sippe
längst, was besser hilft, entdeckt.

Hinderlich sind Reiter aber,
die als spanisch uns bekannt,
und geradezu makaber
waren Stiefel, so benannt!

Ziemlich spanisch vorgekommen
ist’s mir drum von Anfang an,
als die Nachricht ich vernommen –
wie man wohl verstehen kann:

Just gekrümmte Bio-Gurken
sollen schuld am Unheil sein!
Welchen abgefeimten Schurken
fiel denn sowas Krummes ein?

Will vielleicht mit Schmutz-Tiraden
wer der Bio-Industrie
und dem Bio-Handel schaden,
die rentabel sind wie nie?

Doch dann kommt’s mir, dass es Wahlen
kürzlich gab im Herkunftsland
und dem Durchfall, dem fatalen,
nicht der Zufall Pate stand.

Durchgefallen ist ja übel
Zapateros Spaßpartei –
und indes ich weiter grübel,
krieg’ auch Brechreiz ich dabei:

Trotz der hohen Subventionen
sind so viele arbeitslos –
umverteilen statt entlohnen,
darin ist Europa groß!

Und wer werkt in Gurkenbeeten?
Afrikaner ohne Zahl
gibt’s fürs Pflanzen, Pflücken, Jäten –
immigriert meist illegal!

Und dann wird’s noch samt den Keimen
durch den Kontinent gekarrt –
drauf kann wieder nur ich reimen,
dass uns Brüssel schamlos narrt!

Pannonicus

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Bürgerliche Trauer um die gedemütigten Sozialisten

05. Juni 2011 22:09 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Wird es in Europa bald gar keine Sozialisten als Regierungschefs geben – bis auf ein kleines Dorf hinter den sieben Bergen namens Österreich? Darauf deutet nach dem Sonntag viel hin. Aber es ist in Wahrheit alles andere als ein Grund zur Freude für Nichtsozialisten.

In Portugal wurden am Sonntag die Sozialisten mit Donner und Krach abgewählt. Und in Slowenien erlitt die Linksregierung bei mehreren Referenden eine so schwere Niederlage, dass dort jetzt Neuwahlen unvermeidlich erscheinen.

Aber warum soll das für bürgerliche Menschen kein Grund der Freude sein? Die Antwort ist einfach: Die Sozialisten haben in beiden Ländern – wie auch schon anderswo – Niederlagen erlitten, weil sie endlich einige Schritte Richtung Vernunft gehen wollten. In Slowenien etwa ging die wichtigste, von den Gewerkschaften erzwungene Referendumsfrage um eine Hinaufsetzung des Pensionsalters. Diese wird von den Gewerkschaften – die das eigentliche Erzübel der europäischen Gesellschaft geworden sind – strikt abgelehnt. Ähnlich ist auch in Portugal die Linksregierung an der Ablehnung von Sparmaßnahmen gescheitert.

Dieses Nein zu rettenden Maßnahmen aber ist eine echte Katastrophe. Wenn die Menschen nicht einmal so relativ schmerzarme Maßnahmen wie eine Hinaufsetzung des Pensionsalters akzeptieren, dann steuert ganz Europa dem Abgrund zu. Wenn Mäßigung und Vernunft erst unter dem Kuratel des Internationalen Währungsfonds eine Chance bekommen, dann führen Europas Bürger auch die Demokratie ad absurdum.

Hauptschuldige Totengräber der Demokratie wie auch unserer Chance auf künftigen Wohlstand sind die Gewerkschaften – und all jene Journalisten, die den dumpfen Massenprotesten zwischen Athen und Madrid zujubeln, obwohl die ins absolute Nichts führen. Alle Politiker als Diebe zu beschimpfen ist zwar vielleicht eine gute Psychotherapie, aber keine politische Alternative. Zu allem nur Nein zu sagen und nur immer weiter Schulden machen wollen, ist es schon gar nicht.

Und dass die österreichische Gewerkschaft um keinen Deut besser ist, sondern genauso verantwortungslos wie die ausländischen Kollegen, hat deren Chef am Sonntag im Fernsehen wieder des Langen und Breiten darlegen können. Wenn der ÖGB-Chef an Steuererhöhungen denkt, gerät er in Exstase wie Nachbars Hund beim Anblick einer Stelze.

 

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Europa ohne Strom

31. Mai 2011 01:58 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die japanische Atomkatastrophe verändert Europas Zukunft mindestens genauso, wie es die Finanzkatastrophen einiger südeuropäischer Länder tun. Viele Deutsche und Österreicher freuen sich, dass als Folge der japanischen Katastrophe der Atomkraft offenbar keine Zukunft mehr bevorsteht. Deutschland hat schon acht Kraftwerke abgestellt. Und auch die nüchternen Schweizer wollen keine neuen AKW mehr bauen. Freilich werden die vorhandenen dort noch ein paar Jahrzehnte bespielt und der Nicht-Neu-Bauen-Wollen-Beschluss kann jederzeit revidiert werden, wie es etwa schon die Schweden einmal getan haben.

Die Freude über die Anti-Atom-Stimmung ist durchaus nachvollziehbar, auch wenn in Japan bisher trotz Tausender medialer Schreckensberichte kein einziges Todesopfer als Folge atomarer Strahlung bekannt geworden ist. Aber ebenso muss man darauf hinweisen, dass der Schaden in Japan doch deutlich größer ist als anfangs angenommen/befürchtet/erhofft.

Nukleare Strahlung ist etwas langfristig Unheimliches, und daher fürchten sich viele Menschen nachvollziehbarerweise vor ihr viel mehr als vor sonstigen Bedrohungen. Allerdings ist es Tatsache, dass andere Bedrohungen deutlich mehr Todesopfer gefordert haben als alle atomaren Schreckensszenarien. Und sie tun es täglich weiter: vom Straßenverkehr bis zu den vermeidbaren Krankheiten. Dennoch werden diese Bedrohungen von vielen Menschen nonchalant ignoriert, wie sie täglich durch ihren Lebensstil beweisen. Ebenso ignorieren sie die großen Opferzahlen anderer Methoden der Stromerzeugung.

Aber in demokratischen Gesellschaften sind natürlich die Ängste der Bürger ein relevantes Faktum. Und zwar unabhängig davon, ob sie von bestimmten Feinden der europäischen Gesellschaftsform aus ideologischen Gründen geschürt werden oder ob die Ängste objektiv in dieser Dimension berechtigt sind. Im deutschen Sprachraum ist die Atomangst jedenfalls Tatsache, auch wenn man sich anderswo über die „deutsche Angst“ lustig macht, die bezeichnenderweise für Engländer und Amerikaner ein deutsches Fremdwort geworden ist.

Diese Angst muss zweifellos auch die EU berücksichtigen, etwa bei ihren neuen AKW-Stresstests. Sie hat nun beschlossen, dass bei den Tests auch die Folgen eines Flugzeugabsturzes einzukalkulieren sind. Skurril bleibt freilich, dass ein ebensolcher Flugzeugabsturz auf eine der vielen großen Staumauern von Wasserkraftwerken in keinem europäischen Stress-Test erfasst wird. Dabei hätte ein dadurch ausgelöster Staumauer-Bruch ebenfalls verheerende Folgen.

Unabhängig davon kann man den europäischen – und zuletzt insbesondere den deutschen – Verantwortlichen einen großen Vorwurf nicht ersparen: Niemand macht die Menschen auf die gewaltigen Kosten und Risiken der neuen Atom- und Energiepolitik aufmerksam. Eines dieser Risiken ist die seit der deutschen Reaktor-Stilllegung stark gestiegene Gefahr großflächiger und langdauernder Stromausfälle. Dieser Gefahr steht in schizophrenem Gegensatz zu den zuletzt so beliebten Träumen von stromgetriebenen Autos.

Die Stromknappheit wird wohl erst im Winter wirklich spürbar werden. Bei den Preisen tut sie das schon jetzt. Die Stromverteuerungen, die vor allem wegen der kostspieligen Förderung von Windkraftwerken, von Bioenergie- und Solaranlagen entstanden sind,  haben bereits in den vergangenen Jahren deutlich mehr ausgemacht als die durchschnittlichen Pensionserhöhungen (von jenen Pensionisten, die ohnedies keine Erhöhungen mehr bekommen, sei hier gar nicht geredet). Und sie werden im kommenden Jahr noch viel schlimmer sein, wenn sich die Reaktorschließungen europaweit auswirken werden. Strom wird ja überwiegend mit langfristigen Terminverträgen verkauft.

Noch viel drastischer als auf die Konsumenten wirken sich die Stromverteuerungen auf die Arbeitsplätze aus. So haben spanische Ökonomen einen engen Zusammenhang zwischen der in Spanien besonders intensiven und teuren Alternativ-Förderung und der dortigen Arbeitslosigkeit mit Europarekord-Dimensionen nachgewiesen.

Aber das ist noch harmlos gegen das, was Europas Wirtschaft künftig bevorsteht. So hat Voest-Chef Eder schon angekündigt, dass die Stahlindustrie nur noch außerhalb Europas investieren wird. Und Klaus Kleinfeld, der Chef des globalen Aluminium-Konzerns Alcoa, hat angesichts der Stilllegung der Hälfte der deutschen Atomkraftwerke erklärt, dass der Konzern keine neuen Produktionsstätten in Deutschland aufbauen werde. „Die Industrie wird nur dahin gehen, wo sie verlässliche Rahmenbedingungen vorfindet.“

Ohne Industrie aber verarmt Europa dramatisch. Darüber können keine grünen Träume hinwegtäuschen.

Natürlich kann sich Europa, können sich europäische Staaten für diesen Weg entscheiden, wenn ihn die Mehrheit so will. Aber eines kann man von den politischen Führungen schon verlangen: Sie sollten den Menschen auch mit völliger Klarheit die Konsequenzen klarmachen. Es gibt in der Wirtschaftspolitik genausowenig wie anderswo irgendeinen Vorteil zum Nulltarif (also etwa die Befreiung von der Sorge vor Atomunfällen oder gar von der mythischen Gefahr einer angeblich vom Menschen ausgelösten globalen Erwärmung). There is no free lunch, heißt es in der pointierenden englischen Sprache.

Vorbereiten müsste man in einer fairen Information die Menschen auch auf die sonstigen Folgen von langanhaltenden Stromausfällen, bei denen auch keine Generatoren mehr helfen. Solche langen Ausfälle sind etwa für Tausende Patienten in Intensivstationen lebensbedrohend oder für die noch größere Zahl jener, deren Leben von regelmäßigen Dialysen abhängt. Die Bevölkerung kann bei einem Ausfall des Stroms weder über Fernsehen und Radio noch über Telefon und Internet informiert werden.

In die Analyse der Folgen von Stromausfällen gehört genauso die Versorgung mit Trinkwasser, die ohne Pumpen und Aufbereitungsanlagen vielerorts nicht funktionieren kann. Kläranlagen sind so wie Verkehrsampeln von elektrischer Energieversorgung abhängig. In den stromlosen Kühlanlagen der Supermärkte würden die Lebensmittel verfaulen. Und auch die Gewächshäuser brauchen Strom für die Durchlüftung.

Gewiss: Der atomare Kollaps in Japan ist eine Katastrophe. Man ist aber deswegen noch kein bezahlter Atomlobbyist, wenn man sich noch mehr vor den Folgen eines Zusammenbruchs der europäischen Stromversorgung fürchtet. Denn wenn dieser einmal eintritt, können seine vielen Ursachen nicht mehr binnen weniger Wochen behoben werden. Und selbst die utopischsten Alternativ-Szenarien kalkulieren die flächendeckende Versorgung mit Windmühlen und Solarpaneelen in Jahrzehnten. Ganz abgesehen davon, dass diese in Wahrheit weder finanzierbar noch technisch möglich ist.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Willkommen, liebe Spanierinnen!

25. Mai 2011 01:47 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Wie krank dieses Europa durch seine wohlfahrtsstaatliche Degeneration schon geworden ist, zeigt der gleichzeitige Blick auf Spanien und Griechenland einerseits, sowie Deutschland und Österreich andererseits. Genauer gesagt auf das, was zwischen diesen Ländern nicht stattfindet.

Es gibt nämlich keine Massenmigration von Süd nach Nord. Dabei sind in Spanien 45 Prozent der Jugendlichen arbeitslos. Dabei wandern nach Österreich alljährlich 105.000 Menschen auf der Flucht vor Armut und Arbeitslosigkeit in ihrer Heimat ein – aber es sind kaum Spanier, Portugiesen, Griechen oder Iren darunter.

Auf diese erstaunliche Diskrepanz machte mich nun eine Diskussion im Karl-Kummer-Institut aufmerksam. Diese Nichtmigration innerhalb der EU widerspricht den ständigen Beteuerungen, wie wichtig doch die Freiheit der Arbeitsmärkte in der EU als Ausgleichsmechanismus bei sozialen Disparitäten sei (vor der sich die Arbeiterkammer so fürchtet). Diese Nichtmigration widerspricht auch der historischen Tradition dieser Völker: Nord- wie Südamerika wären recht menschenleer, wenn nicht junge Spanier, Portugiesen, Iren und auch Griechen zu Millionen dorthin ausgewandert wären, als sie daheim keine gute Zukunft gesehen haben.

Die jungen Südeuropäer wandern jedoch heute nicht mehr. Sie demonstrieren zwar tagsüber lustvoll gegen ihre Arbeitslosigkeit und begeilen sich an den Berichten der Journalisten, die sich wieder an der Hoffnung auf eine turbulente Revolution mit vielen bunten Bildern und linker Wirr-Rhetorik begeilen. Aber am Abend gehen die jungen Damen und Herren zurück ins gemütliche Hotel Mama zu Paella und Rioja. Und die Journalisten sitzen sowieso jeden Abend in den noblen Lokalen.

Keiner jener jugendlichen Arbeitslosen aus Südeuropa denkt daran, wirklich etwas an der eigenen Lage zu ändern (am ehesten tun das noch die Iren). Denn das soziale Netz in allen westlichen EU-Staaten ist längst so dicht, dass es sich auch ohne Arbeit ganz offensichtlich sehr gut leben lässt. In mancherlei Hinsicht sogar besser.

Aber auch Länder wie Österreich denken nicht daran, die meist gut ausgebildeten Miteuropäer gezielt anzuwerben. Dabei haben diese formal meist eine sehr gute Ausbildung – auch wenn natürlich klar ist, dass diese auf Grund der in den Krisenländern obligaten Gesamtschulpflicht lange nicht so gut ist, wie sie klingt. Aber trotzdem sind die durchschnittlichen Schulabsolventen aus jenen Länder noch immer um Welten besser ausgebildet als etwa die jungen Türkinnen, die Österreich nach wie vor massenweise auf Grund der angeblich so humanen Familienzusammenführung hereinlässt, obwohl die meisten von ihnen hier nur als Gebärmaschinen ihrer Cousins möglichst hohe Familienbeihilfe lukrieren sollen.

Politisch korrekte Menschen werden in ihrer Schlichtheit die Aufforderung natürlich sofort empört zurückweisen, dass die jungen Meeresanrainer Europas so wie ihre Vorfahren initiativ werden sollen. Genauso, wie es etwa die Sozialdemokraten immer empört abgelehnt haben, dass Wasserwerke oder Flughäfen privatisiert werden. Das aber muss nun in Griechenland geschehen. Und mit Sicherheit werden die Airports genauso wie die Wasserleitungen in absehbarer Zeit besser funktionieren – und zwar zu deutlich geringeren Kosten.

Ich jedenfalls würde die jungen Iren und Portugiesen mit Freude hier willkommen heißen. Und die Spanierinnen sowieso.

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Zurück ins Jahr 1945

24. Mai 2011 00:08 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Das Problem mit Griechenland, Portugal & Co lässt sich auf zwei Sätze konzentrieren. Erstens: Solange es einen Ausweg zu geben scheint, werden viele Regierungen nicht ernsthaft mit der Sanierung beginnen. Zweitens: Die nötige Ernsthaftigkeit besteht in einem Gesinnungswandel der gesamten Bevölkerung, der vom Forderungs- und Wohlfahrtsstaat abgeht und eine gemeinsame Kraftanstrengung startet, die der Energie der Wiederaufbaujahre nach 1945 gleicht.

Je früher und stärker dieser Gesinnungswandel eintritt, umso weniger ist er auch mit dem äußeren Elend jener Jahre, mit Hunger und Not verbunden. Ich finde jedenfalls in keiner Aufzeichnung aus dem Jahr 1945 Berichte über Demonstrationen und Streiks, mit denen die Bevölkerung irgendwo geglaubt hätte, ihr arges Los verbessern zu können (Erst 1950 haben etwa in Österreich die Kommunisten das versucht, sie wurden aber von den sozialdemokratischen Arbeitern in die Schranken gewiesen). Ich finde auch nirgendwo in jener Zeit das selbsttäuschende Argument, dass ja jemand anderer schuld an der Krise sei, weshalb man selber nicht sparen müsse. Obwohl das damals viel richtiger war als heute. Stattdessen hat jeder – auch ohne staatliche Subventionen – angepackt, wo auch immer Not am Mann (und damals ganz besonders: an der Frau) war.

Von dieser Gesinnung sind vor allem die Südeuropäer heute weit entfernt. Der spanische Ministerpräsident Zapatero etwa hat vor den Wahlen vom vergangenen Sonntag ganz offiziell angekündigt (er „garantierte“ das sogar), dass es keine weiteren Einsparungen mehr geben wird. Er hat sich zu dieser wahnwitzigen Zusage hinreißen lassen, weil ein paar Tausend Studenten dagegen protestiert haben.

In Portugal wiederum fand das Sparpaket der Regierung keine parlamentarische Mehrheit. Und in Griechenland vertreiben ständige Streiks insbesondere bei Fähren und im Luftverkehr viele Touristen, sodass der Fremdenverkehr als wichtigster Wirtschaftszweig ein zehnprozentiges Minus hinnehmen musste.

Dabei wären viele Nord- und Westeuropäer prinzipiell durchaus bereit, aus Solidarität jetzt sogar ganz bewusst nach Griechenland zu kommen. Sie haben aber verständlicherweise keinerlei Lust, während des Urlaubs tagelang in Luft- und Seehäfen herumzuhängen.

Der Streik der griechischen Luftlotsen erinnert übrigens an Amerikas Ronald Reagan, der einst streikende Fluglotsen gefeuert und durch Armeeangehörige ersetzt hat. Das war in der Folge für den sozialen und wirtschaftlichen Frieden der USA sehr dienlich – bis dann Bush und Obama die große Schuldenkrise ausgelöst haben.

Schuld an dieser Malaise in Südeuropa sind aber auch die falschen und verwirrenden Signale aus den anderen Ländern Europas. Denn die diversen Hilfspakete haben zwar einen kurzfristig harten und in seinen Konsequenzen schwer abschätzbaren Schock vermieden, sie haben aber den Einwohnern der bankrotten Länder eine völlig falsche Botschaft vermittelt: Man müsse zwar jetzt so tun, als ob man ein bisschen spart und heftig darüber wehklagen, aber wirklich wehtun dürfe und werde das Sparen nicht, gibt es doch die reichen Onkel in Deutschland und Umgebung. Die müsse man nur ein wenig unter Druck setzen, dann zahlen sie schon weiter.

Daher glauben die Griechen auch nicht wirklich den Drohungen Angela Merkels, dass erst die üppigen Urlaubs- und Frühpensionsregeln in Südeuropa abgeschafft werden müssen, bevor es neues deutsches Geld gibt. Denn ganz offensichtlich denken viele Menschen im Süden: Wer einmal umgefallen ist, so wie die Deutschen im Frühjahr 2010, der wird auch ein zweites Mal umfallen.

Freilich steht Merkel heute daheim unter einem stark gewachsenen Druck: Die schlechten Wahlergebnisse und Umfragewerte der Regierungsparteien haben ihr eine deutliche Botschaft geschickt, wie unbeliebt die Griechenland-Hilfe ist. Vor allem drohen schon Dutzende Koalitionsabgeordnete mit einem Nein, wenn es bald um weitere Griechenland-Milliarden gehen soll. Ganz abgesehen von der Gefahr, dass diese Hilfen demnächst vom deutschen Verfassungsgericht als Rechtsbruch gegeißelt werden könnten.

Peinlich ist jedenfalls das Verhalten der Gewerkschaften: Denn diese haben sowohl auf österreichischer wie europäischer Ebene gegen „exzessive Sparvorgaben“ für Griechenland zu protestieren begonnen. Glauben sie damit wirklich, ihre zahlenden Mitglieder hinter sich zu haben? Das wäre mehr als erstaunlich. Wie kann man vom „Totsparen“ Griechenlands reden, wenn dort die im letzten Jahrzehnt erzielten Gehaltszuwächse der Beamten jene in Deutschland übertreffen?

Aber die Gewerkschaften kämpfen natürlich gar nicht so sehr für die Griechen, sondern verzweifelt um ihren eigenen Existenzsinn: Wenn einmal klar wird, dass viele der von ihnen erkämpften „Errungenschaften“ absolut unfinanzierbar sind und auch in Ländern wie Deutschland oder Österreich zurückgeschraubt werden müssen, dann werden auch die Gewerkschaften für ihre Mitglieder zu unnötigem Ballast. Daher sind sie gegen jede konsequente Politik gegen Griechenland.

Dabei gibt es in Europa durchaus Beispiele für gelungene Sanierungen, ohne dass Not und Elend ausgebrochen ist. Musterbeispiel sind die nordischen Länder wie Finnland, Dänemark oder Schweden, die alle in den letzten zwei Jahrzehnten auf Grund der Kosten für ihren viel zu teuren Wohlfahrtsstaat in Wirtschaftskrisen geraten waren. Sie haben jedoch alle drei mit großem Erfolg Sozialleistungen abgebaut und ihre Länder wieder auf gesunde Beine gestellt. Seither wird allerdings Schweden von Gewerkschaftsseite nicht mehr wie in den Jahrzehnten vorher als Musterland propagiert, sondern total ignoriert. Dafür ist dort die bürgerliche Regierung triumphal wiedergewählt worden, während anderswo die Regierungsmehrheiten zerbröckeln.

Nur ein paar Fakten aus Schweden: Dort gehen die Menschen heute im Schnitt um vier Jahre später in Pension als in Österreich – und zwar nicht nur auf dem Papier. Schweden hat die Schulden auf den niedrigsten Stand seit 35 Jahren gesenkt; diese werden im kommenden Jahr nur noch 27 Prozent des BIP betragen – Österreich hingegen hat seine Schuldenquote, also den Anteil der Staatsschulden am BIP, gleichzeitig versechsfacht! Schwedens Wirtschaft wuchs trotzdem im Vorjahr mit 5,5 Prozent so stark wie noch nie seit 40 Jahren. Was die bei Politikern beliebte Mär widerlegt, man müsse für das Wirtschaftswachstum und die Arbeitsplätze Schulden machen: Schulden sind in Wahrheit der Tod jedes langfristigen Wachstums. Schweden wird heuer auch einen saftigen Budgetüberschuss schaffen.

Ein anderes Beispiel ist Belgien. Das schaffte es, zwischen 1993 und 2007 seine Staatsverschuldung von brandgefährlichen 135 auf (freilich noch immer zu hohe) 84 Prozent zu drücken; es brachte auch mehrmals einen Budgetüberschuss zusammen. Zusätzliche Steuereinnahmen wurden strikt für die Schuldentilgung gebunden und nicht zur Befriedigung neuer Ausgabenideen. Bei der Budgetplanung wurde auch die wachsende Überalterung einkalkuliert. Unabhängige Institutionen überwachten die Einhaltung der Sparziele. Marode Staatsbetriebe wie die Sabena wurden verkauft.

Freilich ist Belgien auch ein Beweis, dass Sparanstrengungen rasch wieder verebben können: Denn in den letzten Jahren hat die Ausgabendisziplin stark nachgelassen. Und die Verschuldung nähert sich wieder der 100-Prozent-Grenze. Die Belgier leisten sich freilich zweierlei Luxus: Erstens haben sie seit über einem Jahr keine handlungsfähige Regierung. Und zweitens finden sie über die grundlegende Frage jedes Staates keinen Konsens, ob die zwei tragenden Nationalitäten, also Flamen und Wallonen, überhaupt noch in einem gemeinsamen Staat bleiben werden.

Die Beispiele zeigen: Sanierungen sind durchaus möglich. Es braucht aber immer erst eine Krise, dann einen langen und mutigen Atem und vor allem den Konsens zwischen Politik und Bürgern. So wie es auch in Mitteleuropa nach 1945 auf noch unvergleichlich niedrigerem Niveau der Fall war.

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Das Prinzip Hoffnung: Schuldenkrise aussitzen!

23. Mai 2011 19:34 | Autor: Andreas Tögel
Rubrik: Gastkommentar

Irgendwie wird sich die Lage schon wieder einrenken – so scheinen viele mit der Bewältigung der europäischen Schuldenkrise befasste Politbürokraten zu glauben. Ein konsistenter Plan, der einen Zeithorizont von wenigen Monaten übersteigt, ist bei bestem Willen nicht zu erkennen. Bereits verbranntem Geld weiteres hinterher zu werfen und das Beste zu hoffen, geht klar am Kern des Problems vorbei.

Kein Überschuldungsproblem kann dadurch gelöst werden, dass man dem dubiosen Schuldner weitere Verbindlichkeiten aufhalst. Der dieser Tage häufig bemühte Begriff „Solidarität“ ist in diesem Zusammenhang daher unangebracht. Wer es mit einem Drogensüchtigen gut meint, wird ihm kein weiteres Kokain besorgen. Und strukturelle Probleme einer Volkswirtschaft können eben nicht monetär gelöst werden, wie viele Anhänger keynesianischer oder monetaristischer Wirtschaftstheorien nach wie vor behaupten.

Auch eine Volkswirtschaft kann, wie ein privater Haushalt oder ein Unternehmen, auf Dauer nicht bestehen, wenn sie laufend über ihre Verhältnisse lebt und beharrlich mehr ausgibt als sie einnimmt. An dieser Tatsache führen auch Steuerhoheit und Gewaltmonopol des Staates nicht vorbei. Selbst vom Konzept des nachfrageinduzierten Wachstums mittels Staatsverschuldung überzeugte Theoretiker kommen nicht um eine Antwort auf die Frage herum, woher die dafür erforderlichen Mittel kommen sollen, oder wem man sie – mit welcher Begründung – abzunehmen und wie und wann man sie zurückzuzahlen gedenkt.

Die Vorstellung, der Staat werde in wirtschaftlich guten Zeiten jene Schulden wieder abbauen, die er zur Kompensation des Nachfrageausfalls in der Krise aufgenommen hat (so die naive, reine Lehre von Maynard Keynes), erweist sich als eine durch die Geschichte widerlegte Illusion. Keine an ihrer Wiederwahl interessierte Regierung einer Massendemokratie mit allgemeinem Wahlrecht kann vor ihre Wähler treten und ungestraft ein striktes Sparprogramm ankündigen.

Die jahrzehntelange Pflege des gefährlichen Wahnbilds, der Staat könne – kostenlos – das Paradies auf Erden schaffen, macht es zum politischen Selbstmordkommando, das Unvermeidliche anzupacken. Die Streiks in Griechenland und in Spanien (dort steigt man eben wild entschlossen gegen die Jugendarbeitslosigkeit auf die Barrikaden) sind eindrucksvolle Belege für die weithin herrschende Ignoranz. Über mittels Streiks geschaffene – produktive – Arbeitsplätze wurde bislang noch nichts bekannt …

Vor dem Beginn einer erfolgversprechenden Therapie ist es notwendig, eine valide Diagnose zu stellen. Und die bedarf zunächst einer eingehenden Anamnese. Das verhält sich in der Ökonomie nicht anders als in der Medizin. Die heute zur „Heilung“ der Schuldenkrise debattierten Konzepte laufen jedoch allesamt auf eine Symptombehandlung unter völliger Ausblendung der Frage nach deren Ursachen hinaus. Die Gewährung weiterer Kredite, ein (teilweiser) Schuldenerlaß oder eine Erstreckung von Rückzahlungsfristen entsprechen der Verabreichung von Schmerz- und Beruhigungsmitteln an einen moribunden Patienten (und dessen Verwandte). Sie ändern aber nichts an der bestehenden Grunderkrankung.

Am Beispiel Griechenlands, so scheint es, werden derzeit jene Probleme offenbar, mit denen im Grunde die gesamte westliche Welt konfrontiert ist.

Die aus Sambia stammende, gegen die Hauptsromökonomie schwimmende Volkswirtin Dambisa Moyo, die bereits für die Weltbank und Goldman Sachs tätig war, hat diese Gründe in ihrem 2010 publizierten, viel diskutierten Buch mit dem vielsagenden Titel „How the West Was Lost“ zusammengefasst.

Nach Moyos Überzeugung ist der Westen im Begriff, seine fünf Jahrhunderte lang gehaltene Position als technologischer Vorreiter und Wohlstandsgenerator an Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien zu verlieren. Seit den frühen Sechzigerjahren (bald nach dem Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre) hätten massive Fehlallokationen – sowohl im Hinblick auf das eingesetzte Kapital, wie auch was die besten Köpfe betrifft – den allmählichen Niedergang der alten und neuen Welt eingeleitet:

Fragt man fünf Ökonomen nach deren Konzepten zur Bewältigung der griechischen Tragödie, erhält man fünf verschiedene Antworten (wäre Lord Keynes noch am Leben und einer der fünf Befragten, wären es wohl sechs …). Es wird vermutlich auf einen für Gläubiger wie Schuldner schmerzhaften Einsatz verschiedener Folterinstrumente – insbesondere auf die radikale Kürzung von Staatsausgaben (und zwar nicht nur in Griechenland!) – hinauslaufen.

Mit der Beilegung der Krise Griechenlands wird unser „strategisches“ Problem indessen nicht gelöst sein. Die westliche Welt wird um eine fundamentale Kurskorrektur nicht herumkommen, will sie nicht langfristig zur verlängerten Werkbank oder zum Disneyland des aufstrebenden Fernen Ostens verkommen. Exzessiver Konsum auf Pump bildet keine Basis für den Aufbau von Kapital und die nachhaltige Entwicklung des Wohlstands einer Gesellschaft.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Von Spanien nach Bremen und zurück

23. Mai 2011 12:13 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Zwei ganz klare Wahlergebnisse, zwei sehr ähnliche Ausgangspositionen – und zwei sehr unterschiedliche Reaktionen der Wähler darauf. Das kleinste deutsche Bundesland und das große iberische EU-Land haben am Wochenende auf linke Misswirtschaft zwei sehr unterschiedliche Antworten gegeben.

Warum hat die Linke in Spanien ein historisches Debakel erlitten? Und warum haben in Bremen die Linksparteien trotz Rückschlägen für die knallrote „Linke“ dazugewonnen?

Ein großer Teil der Antwort auf die zweite Frage liegt in dem zerschlissenen Bild der Berliner Regierungskoalition. Angela Merkel ist führungsschwach, fährt in der Atomfrage wie auch bei der Milliardenhilfe für Griechen und Portugiesen wie auch bei der Antwort auf die islamische Herausforderung im eigenen Land einen vor allem Unsicherheit ausstrahlenden Zickzack-Kurs. Die FDP hat sich nach linksliberal entwickelt, wo außer den Journalisten längst niemand mehr steht (und sie liegt in Bremen nun schon hinter den rechtsbürgerlichen „Bürgern in Wut“). Die CSU wiederum ist vor allem rauflustig (und in der Atomfrage innerlich schwer zerstritten). Daher bekommt die deutsche Regierung nun ständig Ohrfeigen, obwohl das Land zum ersten Mal seit 20 Jahren wirtschaftlich wieder als relativer Kraftprotz dasteht.

In Bremen selbst haben Rot und Grün zwar nichts herzuzeigen, sie müssen aber den Wählern nicht – so wie die spanischen Sozialisten – die Zeche für ihre Misswirtschaft vorlegen. Denn das Armenhaus Westdeutschlands ist in den allgemeindeutschen Wohlstand sicher eingebettet und wird von den bisher rechts regierten, also blühenden südlichen Bundesländern regelmäßig durchgefüttert. Dabei ist Bremen – vor allem dank Gesamtschule – in allen deutschen Bildungsstatistiken jammervolles Schlusslicht. Dabei kann sich dort seit längerem ein islamischer Verbrecherclan wie einst die Banden in Chicago austoben. Dabei bietet Bremen in Sachen Arbeitslosigkeit mit 12 Prozent ein besonders trauriges Bild.

Die Spanier waren ebenfalls seit Jahrzehnten das Durchfüttern gewöhnt. Sie haben sehr gut von den Milliarden-Geldern der EU gelebt. Und niemand in Brüssel hat so richtig mitgekriegt oder zugeben wollen, dass damit in Spanien genau das passiert, was die Entwicklungshilfe in der Dritten Welt anrichtet: Die Empfänger haben verlernt, dass sie nur durch eigene Anstrengung vorankommen können, sie sind immer mehr in sozialen Hospitalismus verfallen, der jede Verantwortung für das eigene Los auf Dritte schiebt. Das Land hat angesichts des europäischen Geldsegens wie wild unnötige Autobahnen gebaut und all seine einst schönen Küsten zubetoniert, es hat zugleich reihenweise rote und grüne Luftschlösser erbaut. Diese reichen von Europas höchster Alternativenergieförderung über viel zu hohe und geschützte Gehälter bis zu gesellschaftspolitischen Veränderungen zugunsten von Schwulen & Co, die immer mehr Spanier empören.

Ein besonders schmerzhaftes Produkt der falschen Wirtschaftspolitik ist die hohe Arbeitslosigkeit. Spanien ist ein besonders krasses Exempel dafür, dass die teuren Alternativenergien viele Industrien zum Zusperren zwingen, dass gewerkschaftliche „Erfolge“ zum Schutz der Arbeitnehmer nur die Arbeitslosigkeit erhöhen, dass bei solchen Rahmenbedingungen immer weniger Arbeitgeber neue Jobs anbieten. Das trifft natürlich vor allem die – überdies als Opfer der Gesamtschule schlecht ausgebildeten – Jungen mit einer unvorstellbar hohen Jugendarbeitslosigkeit von nunmehr schon 45 Prozent.

In Spanien ist aber seit dem Vorjahr Schluss mit lustig. Während die Bremer noch durchgefüttert werden, halten es Geldanleger für zunehmend riskant, Geld nach Spanien zu tragen. Die Zinssätze steigen, die Ratings fallen. Das hat die Regierung gezwungen, erste Sparmaßnahmen einzuleiten, auch wenn das Land noch nicht formell um – über die normalen EU-Subventionen hinausgehenden – Hilfen angesucht hat. Was aber allen politischen Beteuerungen zum Trotz mit Sicherheit heuer noch erfolgen wird.

Spaniens Sozialisten sind daher von den Wählern aus der Macht gejagt worden, diesmal bei regionalen Wahlen, demnächst wohl auch aus dem Parlament. Die Medien freilich befassen sich nicht mit dem Scheitern des realen spanischen Sozialismus, sie bejubeln statt dessen den Aktionismus Zehntausender junger Demonstranten, die in ihrer subjektiv verständlichen Verzweiflung gegen alles und jedes auf die Straße gegangen sind.

Die Begeisterung der Medien treibt die Demonstranten nun in immer schärferen Selbstzweck-Revolutionismus. Aber niemand sagt ihnen, dass ihre Aktionen zwar lustig, aber in keiner Weise eine Therapie für die spanischen Leiden sind. Denn schon hat die Regierung auf jede weitere Reform verzichtet. Schon überlegen sich Arbeitgeber wie Geldverleiher, ob es noch einen Sinn hat, in jenes Land auch nur einen einzigen weiteren Euro zu investieren. Geht der Demo-Spass noch ein paar Wochen weiter, dann haben zwar die Medien noch viele nette Reportagen zu schreiben – der spanische Tourismus wird hingegen viele leere Zimmer abzuschreiben haben.

 

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In welche Schulen gehen die Europäer zwischen 14 und 18?

22. Mai 2011 15:20 | Autor: Andreas Unterberger

Ausrichtung der Bildungsgänge in der Sekundarstufe II (also die 14- bis 18-Jährigen) im internationalen Vergleich in Prozent 2008

 

Staat Allgemein bildend Berufsvorbereitend Berufsbildend
Ungarn

75,6

10,5

13,9

Portugal

69,3

8,5

22,2

Griechenland

69,1

0,0

30,9

Ver. Königreich

68,6

0,0

31,4

Irland

66,1

31,8

2,1

Spanien

56,2

0,0

43,8

Frankreich

55,8

0,0

44,2

Polen

53,8

0,0

46,2

Dänemark

52,0

0,0

48,0

EU-19 Durchschnitt

47,3

5,0

47,9

Schweden

43,2

1,0

55,7

Deutschland

42,5

0,0

57,5

Italien

40,6

32,7

26,7

Luxemburg

37,9

0,0

62,1

Niederlande

32,9

0,0

67,1

Finnland

32,1

0,0

67,9

Slowakei

27,7

0,0

72,3

Belgien

27,1

0,0

72,9

Tschechien

25,8

0,0

74,2

Österreich

22,9

6,3

70,8

Quelle: OECD

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Welcher Staat gibt wie viel für Bildung aus?

22. Mai 2011 15:08 | Autor: Andreas Unterberger

Bildungsausgaben in Prozent des BIP im internationalen Vergleich 2007

 

Staat Elementarbereich Primar- bis Postsekundarbereich Tertiärbereich Gesamt
Dänemark

1,1

4,3

1,7

7,1

Schweden

0,6

4,1

1,6

6,3

Belgien

0,7

4,1

1,3

6,1

Frankreich

0,7

3,9

1,4

6,0

Ver. Königreich

0,3

4,2

1,3

5,8

Finnland

0,4

3,6

1,6

5,6

Portugal

0,5

3,5

1,6

5,6

Niederlande

0,4

3,7

1,5

5,6

Österreich

0,5

3,6

1,3

5,4

EU-19 Durchschnitt

0,6

3,5

1,3

5,3

Polen

0,6

3,4

1,3

5,3

Ungarn

0,9

3,2

0,9

4,9

Spanien

0,7

2,9

1,1

4,8

Deutschland

0,6

3,0

1,1

4,7

Irland

0,0

3,5

1,2

4,7

Tschechien

0,6

2,8

1,2

4,6

Italien

0,5

3,1

0,9

4,5

Slowakei

0,5

2,5

0,9

4,0

Quelle: OECD

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Wo beteiligen sich viele Menschen am lebenslangen Lernen?

22. Mai 2011 14:15 | Autor: Andreas Unterberger

Beteiligung der 25- bis 64-jährigen am lebenslangen Lernen im internationalen Vergleich 2009 in Prozent

 

 

Staat Anteil
Dänemark

31,6

Schweden

22,2

Finnland

22,1

Ver. Königreich

20,1

Niederlande

17,0

Österreich

13,8

Luxemburg

13,4

EU-Ziel 2010

12,5

EU-19 Durchschnitt

11,1

Spanien

10,4

Deutschland

7,8

Tschechien

6,8

Belgien

6,8

Portugal

6,5

Irland

6,3

Frankreich

6,0

Italien

6,0

Polen

4,7

Griechenland

3,3

Slowakei

2,8

Ungarn

2,7

Quelle: Eurostat

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Wo haben die meisten Menschen nur einen Pflichtschulabschluss?

22. Mai 2011 14:05 | Autor: Andreas Unterberger

Bevölkerung mit bloßer Pflichtschulausbildung im internationalen Vergleich 2008 in Prozent

 

 

Staat nur Pflichtschule
Portugal

71,8

Spanien

48,8

Italien

46,0

Griechenland

36,2

Irland

30,5

Belgien

30,4

Frankreich

30,0

EU-19 Durchschnitt

27,9

Niederlande

26,7

Luxemburg

25,5

Dänemark

23,4

Ungarn

20,3

Finnland

18,9

Österreich

17,4

Schweden

15,0

Deutschland

14,7

Polen

12,9

Ver. Königreich

12,8

Slowakei

10,1

Tschechien

8,9

Quelle: OECD

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Wie viele Schüler kommen auf einen Lehrer?

22. Mai 2011 13:51 | Autor: Andreas Unterberger

Betreuungsverhältnis im Sekundarbereich I (10 bis 14) 2008 im internationalen Vergleich

 

Staat Schüler/Lehrer
Niederlande

15,8

Ver. Königreich

15,0

Deutschland

15,0

Frankreich

14,6

Slowakei

14,5

Polen

12,9

Irland

12,8

Tschechien

11,8

EU-19 Durchschnitt

11,5

Schweden

11,4

Ungarn

10,9

Finnland

10,6

Spanien

10,3

Dänemark

10,1

Österreich

9,9

Italien

9,7

Luxemburg

9,1

Belgien

8,1

Portugal

8,1

Quelle: OECD

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Wie viele Schüler kommen auf einen Lehrer - Volksschule

22. Mai 2011 13:41 | Autor: Andreas Unterberger

Betreuungsverhältnis im Primarbereich im internationalen Vergleich: Zahl der Schüler pro Lehrperson 2009

 

Staat

Schüler/Lehrer

Ver. Königreich

20,2

Frankreich

19,9

Slowakei

18,6

Tschechien

18,1

Deutschland

18,0

Irland

17,8

Niederlande

15,8

EU-19 Durchschnitt

14,6

Finnland

14,4

Spanien

13,1

Österreich

12,9

Belgien

12,6

Schweden

12,2

Luxemburg

12,1

Portugal

11,3

Italien

10,6

Ungarn

10,6

Polen

10,5

Quelle: OECD

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Kein Grund zur Solidarität mit Griechenland

19. Mai 2011 00:50 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Eine Frage taucht seit dem Vorjahr immer wieder auf: Wie gehen Staaten eigentlich bankrott? Dafür gibt es keine Insolvenzgesetze, sondern nur Erfahrungen, Usancen – und jede Menge Politik. Es ist rechtlich völlig offen, ob man mit einem überschuldeten Land sanft oder brutal umspringt.

Lediglich eines scheint – freilich gar nicht so lange – vorbei: Die Zeit, da man nicht bezahlte Schulden eines Staates mit Waffengewalt eintreibt. „Bis zur Drago-Porter Konvention 1907 war der Einsatz von Waffengewalt zur Eintreibung von Schulden völkerrechtlich durchaus legitim. Mit dieser Konvention wurde Waffengewalt höchstens noch als Ultima ratio anerkannt, falls sich der Schuldnerstaat weigerte, eine Schiedsverfahren als friedliches Mittel zur Streitbeilegung durchzuführen.“ So beantwortete zumindest der österreichische Völkerrechtsexperte Michael Waibel diese Frage.

Offen bleibt, wie ein geprellter Gläubiger heute Exekution gegen einen fremden Staat führen kann – etwa auf Schiffe und Flugzeuge oder gar durch Taschenpfändung eines anreisenden Ministers. Das alles wird jedoch nicht viel bringen.

Die wirtschaftlichen Druckmittel sind die wirksameren. Ein bankrotter Staat ist gut beraten, sich mit den Gläubigern zusammenzusetzen und über seine Konkursquote zu verhandeln. Tut er das nicht, dann wird er sich auf viele Jahre nirgendwo mehr ins wirtschaftliche Geschehen einschalten können. Dann werden selbst normale Handelswaren nur noch gegen Vorauskasse geliefert werden. Und neue Kredite gibt es sowieso keine.

Jedenfalls aber dürfte es Griechenland im Konkursfall nicht mehr so leicht gelingen wie im letzten Jahr, sich vor der Einhaltung von Zusagen zu drücken. So ist die griechische Regierung etwa mit den versprochenen Privatisierungen und Deregulierungen weit im Rückstand. Dabei würden diese nicht nur Geld in die Kassa bringen, sondern auch die Wirtschaft wieder ankurbeln. Es gibt auch keinen wirklichen Grund, warum nicht die eine oder andere Insel an einen Investor verkauft werden könnte – privatrechtlich natürlich, nicht staatsrechtlich.

Gewiss wird auf die Gläubiger jede Menge politischen und psychologischen Drucks ausgeübt werden, dass man mit den armen Hellenen doch nicht so umspringen könne. So hat dieser Tage schon ein ORF-Journalist die kühne Behauptung aufgestellt, der griechische Generalstreik zeige, dass die Grenze des Zumutbaren erreicht sei.

Dabei zeigen die Streiks genau das Gegenteil. Die Griechen haben noch immer nicht den Ernst der Lage erkannt. Sie vertreiben mit den ständigen Ausfällen im Flug- und Fährverkehr sogar ihre wichtigste Einnahmequelle: die Touristen. Und auch die Gehaltsbremsen bei den öffentlichen Bediensteten erregen kein Mitleid: Denn deren Gehälter sind seit Einführung des Euro real wie nominell weit steiler gestiegen als in Deutschland oder Österreich. All das ist absolut kein Grund zu der von der Politik geforderten „Solidarität“ mit Griechenland.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

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Österreichische Ortstafeln auf Korfu?

18. Mai 2011 20:15 | Autor: Christoph Bösch
Rubrik: Gastkommentar

Auch "arme" Länder wie Griechenland, Portugal oder Irland sind in vieler Hinsicht reich. Und das könnte jetzt ganz Europa zugute kommen …

Ein böses Gerücht kursiert: Höchste EU-Kreise basteln angeblich an einem ganz neuartigen Lösungsansatz für die sich verschärfende Schuldenkrise. Umverteilung und Transfers zwischen verschiedenen EU-Staaten sollen nicht weiter eine Einbahnstraße bleiben … Es sollen vielmehr handfeste Gegenleistungen erbracht werden – heißt es. Besonders ins Gerede gekommen sind dabei die griechischen Inseln.

Es wäre daher vielleicht höchste Zeit, dass der Bundespräsident – vielleicht gemeinsam mit der streitbaren Finanzministerin – zum Beispiel einmal den Anspruch auf Korfu erhebt – sonst besteht noch die Gefahr, dass es uns jemand wegschnappt – und das wäre doch schade … (Immerhin liegt es nicht zu weit weg – und auch Kaiserin Sissi soll es ja dort schon recht gut gefallen haben.)

Weiters wäre dann auch noch an eine Fact-Finding-Mission nach Irland, Portugal usw. zu denken. Potentielle Ziele: Kunstschätze, Fußballer, Bodenschätze etc. Wer zu spät kommt … Ganz uneigennützig – denn auch die Deutschen und die wenigen anderen Nettozahler werden ja wohl auf ein paar „Sicherheiten" Wert legen.

Deutschland wird vielleicht nicht gleich die Akropolis fordern (die würde ja auch besser zu den Briten passen – sie haben ja immerhin schon das Inventar!) – muss aber sicher vorrangig bedient werden.

Die griechische Regierung könnte andererseits, am besten gleich zusammen mit dem Orakel von Delphi, nach Brüssel wechseln: Das Orakel braucht die EU zweifelsohne – und Belgien wiederum eine Regierung (welcher die Griechen wohl ohnedies nicht allzu lange nachweinen dürften!)

Auf den Olymp werden sicher die Franzosen spitzen. Olympia hingegen, könnte – ausnahmsweise außerhalb der EU – an die Schweiz gehen. (Denn die hat schließlich noch immer genug Geld.)

Und ganz böse Zungen behaupten, dass die Türken an Rhodos interessiert sein könnten – denn sie gehören zwar auch nicht zur EU, aber Geld scheinen sie vergleichsweise noch zu haben …

Die Skandinavier sind zwar etwas weit vom Schuss – dafür aber ziemlich zahlungskräftig. Und wie verhandlungsfähig sie sind, wird sich ja dann zeigen.

Jedenfalls sollte heuer eigentlich kaum ein Österreicher ohne ein paar Ortstafeln im Gepäck auf Urlaub gehen – das könnte sogar aus Budgetmitteln finanziert werden. So wäre unser aller Steuergeld zumindest potenziell einmal gewinnbringend investiert.

Die Idee mit mehrsprachigen Ortstafeln durch Europa zu fahren, ließe sich überdies, gerade jetzt im Sommer – und dem Zeitgeist entsprechend – perfekt als Kunstprojekt tarnen! Aber wenn sie einmal stehen … Und die Grünen können ja auch grüne Tafeln aufstellen, mit der Aufschrift: „Gesponsert von Euren grünen Freunden aus Österreich“ – also ganz un-imperialistisch. (Allerdings dürften die Grünen wohl eher für Kreta plädieren – denn das mythische Labyrinth könnte ihnen sicher wichtige Inspirationen für ihr Wiener Verkehrskonzept liefern!)

PS: Die Idee bunter Ortstafeln ließe sich übrigens auch auf Österreich übertragen: Damit auch hier jeder gleich sieht, wem das Land gehört, könnten die Ortstafeln jeweils die Farbe der Partei des gerade amtierenden Bürgermeisters tragen.

Christoph Bösch, M.A. ist Publizist in Wien und Gründer der Initiative "Mehr Wahlrecht".

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Schuldenkrise: Vorboten einer Rückkehr der Vernunft

17. Mai 2011 00:29 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

In den vergangenen Monaten, Wochen und Tagen sind unüberschaubar viele widersprüchliche Aussagen, „Geheiminformationen“ und Einschätzungen zur Lage der europäischen Großschuldenländer auf die Bürger eingeprasselt. Fast könnte man glauben, hinter diesem verwirrenden Trommelfeuer steckt Strategie. Diese könnte etwa so lauten: Wir verwirren die Europäer so lange, bis sie am Schluss gar nicht mehr mitkriegen, was dann wirklich geschieht. Bis sie gottergeben und kritiklos jeden Beschluss hinnehmen.

Ein Ziel hat man jedenfalls mit dieser Strategie schon erreicht: Kaum jemand spricht noch davon, was für ein schwerer Fehler es war, in den vergangenen Monaten Hunderte Milliarden Euro Richtung Griechenland, Irland und Portugal versickern zu lassen.

Das heißt nun freilich nicht, dass es irgendeinen schmerzfreien Weg aus dem Schlamassel heraus gibt oder gegeben hätte. Die einzigen strategischen Alternativen bestanden zwischen viel Realitäts-Verdrängung und weniger Verdrängung, zwischen einem großen Schaden und einem geringen Schaden.

Eine der wirksamsten Lügen, die uns im Vorjahr aufgetischt worden sind, war jene von der Bedrohung des Euro. Die Wahrheit ist: Dieser war nie bedroht. Denn selbst wenn er um einige Cent im Wert gegenüber dem Dollar fallen würde, bekäme er damit nur ein Austauschverhältnis, das er schon des öfteren hatte – ohne dass jemand von einer Bedrohung der Währung gesprochen hätte.

Ein niedrigerer Euro-Kurs würde sogar die Exporte erleichtern. Er würde allerdings Öl- und andere Importe verteuern. Das würde aber wiederum die EZB zu einer weiteren Zinserhöhung veranlassen. Was wiederum den Euro-Kurs stärken würde.

Den Euro sollte man also als Argument vergessen. Ebenso vergessen sollte man das Gerede, dass etwa die Griechen bald aus dem Euro-Raum ausscheiden werden. Das werden sie nie und nimmer. Weil dann müssten sie mit ihrer rasch schwach werdenden Währung ihre alten Dollar- und Euro-Kredite bedienen. Dass freilich von allem Anfang an die Aufnahme der Griechen oder Portugiesen in den Euro-Raum ein schwerer Fehler war, das wissen heute alle. Und das müssen diese beiden ebenso wie die anderen Euro-Länder heute bitter büßen.

Nur: Man kann erstens die Geschichte nicht mehr rückgängig machen. Und zweitens war nicht nur im Falle Griechenlands die Aufnahme in den Euro ein schwerer Fehler. Denn auch etliche andere Länder haben vom ersten Tag an die sogenannten Stabilitätskriterien grob verletzt. Das sind nicht nur die heute an der internationalen Herz-Lungen-Maschine hängenden Patienten. Das sind etwa auch Belgien und Italien.

Zu Belgien beispielsweise habe ich in einem EU-Dokument aus 1998 den bezeichnenden Satz gefunden: „Die Kommission empfiehlt dem Rat, die Entscheidung über das Bestehen eines übermäßigen Defizits in Belgien aufzuheben. Folgt der Rat dieser Entscheidung, so gilt das Kriterium, das die Finanzlage der öffentlichen Hand betrifft, in Belgien als erfüllt.“

Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Belgien hat nicht etwa die Kriterien erfüllt – sein Schuldenstand lag über 120 Prozent des BIP anstelle der als Höchstgrenze vorgeschriebenen 60 Prozent! – sondern Rat und Kommission haben politisch einfach beschlossen, das Kriterium als erfüllt anzusehen. Obwohl das Kriterium nie geändert worden ist. Man wollte ja glaubwürdig bleiben – und wurde natürlich das Gegenteil.

Entsprechend gering war die Ernsthaftigkeit fast aller EU-Staaten in Sachen Gelddisziplin. Österreich etwa hat erst am Ende der Sparperiode Schüssel-Grasser, also lange nach Euro-Einführung seine Schulden auf die vorgeschriebenen 60 Prozent drücken können – es nähert sich aber inzwischen schon schnell sogar den 80 Prozent!

Mit der Aufnahme von Belgien&Co war jedenfalls vom ersten Tag an klar, dass die Euro-Regeln nicht so ernst gemeint sind. Was man als vorsätzliche Anstiftung zu vielen danach folgenden Vergehen gegen die europäische Finanzdisziplin interpretieren kann.

Die Euro-Regeln hat man jedenfalls auch von oberster Stelle mindestens noch einmal brutal verletzt: Indem man sich im Vorjahr über die ausdrückliche „No-Bailout“-Regel hinweggesetzt hat. Diese verbietet es ja sowohl den EU-Institutionen wie auch den anderen Euro-Ländern ausdrücklich, einem verschuldeten Staat mit Krediten beiseitezustehen. Das tut man seit dem Vorjahr aber dennoch in kaum getarnter Form und in beängstigend großen Dimensionen.

Auch ein Zerfall des Euro in die Gegenrichtung ist politisch übrigens absolut undenkbar, also ein Ausscheiden von Deutschen, Österreichern und Niederländern. Das wäre zwar technisch eine Spur leichter, das würde aber dennoch den weitestgehenden Zerfall der EU bedeuten. Diese Verantwortung nimmt zu Recht keine Regierung auf sich.

Was aber jetzt tun? Irgendetwas muss ja geschehen. Denn wider alle offiziellen Beteuerungen ist es absolut undenkbar, dass insbesondere Griechenland all seine Verpflichtungen einhalten kann. Diese Beteuerungen sind lediglich ein Lügenvorhang, hinter dem verzweifelt an Lösungen gebastelt wird. Und diese Lösung wird wohl in einer Mischung bestehen.

Erstens wird dem schlechten (also schon abzuschreibenden) Geld noch einmal gutes, frisches Geld nachgeworfen werden. Das wird wahrscheinlich genausowenig zurückbezahlt werden. Zweitens wird es aber endlich auch zu dem kommen, was schon im Vorjahr geschehen hätte müssen. Nämlich zu einer Umschuldung Griechenlands, also zu einer Abschreibung beziehungsweise Entwertung eines Teils der alten Forderungen an die Griechen.

Da werden beispielsweise die Rückzahlungsdaten einzelner Anleihen nach hinten erstreckt werden. Das schädigt natürlich die Gläubiger schädigt. Man wird es halt elegant auf Anraten einer teuren PR-Agentur „weiche Umschuldung“ oder so ähnlich nennen.

Das ist aber trotzdem zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung. Endlich – nach einem Jahr voller schlimmer Patzer und Lügen. Je mehr der Umgang mit (nicht nur kurzfristig zahlungsunfähigen, sondern auch nachhaltig) überschuldeten Staaten dem Umgang mit überschuldeten Firmen ähnelt, umso größer ist die Chance auf eine Rückkehr der wirtschaftlichen Vernunft.

Deren Eckstein ist nun einmal die Insolvenz eines Bankrotteurs. Wer dieser Konsequenz ausweichen will, verstrickt sich nur immer tiefer in eine Schuldenwirbel.

Freilich haben jene auch recht, die auf die Konsequenzen einer solchen Umschuldung, also eines teilweisen Forderungsverzichts, hinweisen. Dennoch ist die Umschuldung richtig und notwendig.

Was sind denn diese Konsequenzen? Erstens werden natürlich alle Gläubiger leiden. Das sind etwa Lebensversicherungen, Banken, Pensionsfonds, Sparer im Westen. Die müssen viel Geld abschreiben. Es käme aber immer noch billiger, solchen Anlegern zu helfen – natürlich nur teilweise! –, statt immer weiter Geld ins griechische Loch zu schütten.

Zweitens würden die anderen Euro-Staaten auch direkte Folgen sparen: Jeder einzelne von ihnen könnte, wenn er nicht extrem sparsam ist, von Geldgebern künftig viel kritischer angeschaut werden. Plötzlich wird klar, dass auch EU-Länder zahlungsunfähig werden können. Das bedeutet die Gefahr höherer Zinsen und damit noch mehr Druck auf die Staatsfinanzen der bisher scheinbar noch ungefährdeten Länder.

Aber das ist ein absolut unverzichtbarer Preis für die Einkehr der Vernunft! Denn es ist absurd, dass derzeit Kredite, die man einzelnen Staaten gibt, nach nationalen wie internationalen Regeln als absolut sicher gelten, dass Banken Staatsanleihen kaufen können und dafür im Gegensatz zu Krediten selbst an bombensichere Unternehmen keine Eigenkapital in der Bilanz rückstellen müssen.

Wenn diese Bevorzugung der Staaten einmal gefallen ist, werden Gläubiger künftig vorsprechende Finanzminister viel weniger freigiebig behandeln. Das aber wieder würde in allen Ländern den Druck in Richtung auf geordnete Staatsfinanzen erhöhen.

Und nichts wäre gesünder als ein solcher Druck. Auch im Interesse unserer Kinder. Denn auch Österreich oder Deutschland stehen ja lediglich deshalb als scheinbare Felsen in der Brandung da, weil sie relativ stabiler sind als Griechenland oder Portugal. Vor 40 Jahren wären nämlich Deutschland wie Österreich mit ihren heutigen Schuldenquoten rettungslos in eine jahrelange Krise gestürzt.

Wir lernen: Vieles ist relativ, aber Schulden sind absolut schlecht. 

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Die Pleite-Dementierer

13. Mai 2011 19:54 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Unschwer läßt sich explizieren,
dass das Wörtchen „dementieren“
was zu tun hat mit „Demenz“:
Nicht nur sagen’s Philologen,
auch die Euro-Demagogen
liefern dafür Evidenz.

Denn selbst wider bessres Wissen
dementieren sie beflissen,
was für alle evident,
und das heißt, bei ihrem Walten
über Milliarden halten
sie die Bürger für dement!

Falls sie selbst nichts wissen aber,
wäre es erst recht makaber,
denn dann hätten eklatant
die Verteiler der Kredite
kognitive Defizite -
kurz, was als Demenz bekannt.

Nun, die erste Variante
ist in Politik Konstante:
Man versucht dem kleinen Mann
einzutrichtern noch und nöcher,
dass sogar die schwarzen Löcher
man mit Bürgschaft stopfen kann.

Also dementiert man munter,
spielt die Krisenzeichen runter,
gibt sich stets als Optimist
und man hofft, das große Zahlen
kommt erst nach den nächsten Wahlen,
wenn man weg vom Fenster ist!

Mit dem Geld von Tante Frieda
wäre so was einfach Krida,
doch in dem Fall ist der Lohn
anders als im Alltagsleben:
Defraudanten kriegen eben
die Ministerpension …

Pannonicus 

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SN-Kontroverse: EU-Grenzkontrollen

13. Mai 2011 00:41 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Unter dem Titel “Kontroverse” gibt es in jeder Freitag-Ausgabe der Salzburger Nachrichten eine Doppelkolumne, in der Katharina Krawagna-Pfeifer und ich jeweils zum gleichen, von der SN-Redaktion vorgegebenen Thema schreiben. Und zwar ohne dass man gegenseitig die Texte vorher kennt.

Diese Woche steht die “Kontroverse” unter dem Titel:

Soll es wieder Grenzkontrollen im EU-Raum geben?

 

In der Folge finden Sie die beiden – unverändert wiedergegebenen – Kolumnen. Dadurch soll dieser kreativen und spannenden Idee auch hier ein Forum gegeben werden.

"Angst fressen Menschenrechte"

Katharina Krawagna-Pfeifer war Innenpolitikerin der SN, Innenpolitikchefin sowie Leiterin des EU-Büros des “Standard” und SPÖ-Kommunikationschefin. Sie arbeitet jetzt als Publizistin und Kommunikationsstrategin (kkp.co.at).

Herrgott, noch mal Europa! Dies könnte man in Anlehnung an einen Essay von Hans Magnus Enzensberger im Zusammenhang mit der Debatte um die Wiedereinführung der Personengrenzkontrollen in der EU rufen. Oder anderes formuliert: Schengenland wird abgebrannt, weil nationalistische Hetzer Menschrechte, Grundrechte und das System des europäischen Rechtsstaats aushebeln wollen. Weil sie Angst haben: Vor anderen Menschen, vor anderen Nationen, vor Andersgläubigen, vor anders Aussehenden, vor anders Denkenden. Diese europäischen Fundamentalisten führen gerne die Werte Offenheit, Toleranz, Demokratie, Liberalismus im Mund; aber nur wenn es ihresgleichen in den Kram passt. Daher sind die Revolutionäre, die im arabischen Raum ihr Leben selbst in die Hand genommen haben und für Freiheit und ein besseres Leben kämpfen Sündenböcke der EU. Die vorwiegend jungen Leute, die nicht im Mittelmeer ersoffen oder verdurstet sind, werden hin- und hergeschoben wie heiße Kartoffeln. Eine der Höhepunkt ging wieder einmal vom Berlusconi-Staat aus, der Flüchtlinge und Asylsuchen mit Touristenvisa ausstattete, um sie auf vermeintlich elegantem Weg „abschieben" zu können. Sarkozy-Land machte daraufhin die Grenzen dicht und nun diskutiert die EU die Aufhebung von Schengen.
Nicht dazu gesagt wird, dass Schengen auch ein Sicherheitssystem (SIS) ist. Dieses sieht vor:

1.) Die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verfolgung von Straftaten 2.) Die grenzüberschreitende polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit. 3.) Die Ausschreibung einer Einreiseverweigerung und die Verhängung von Aufenthaltsverboten im gesamten Schengenraum.

Die EU hat also genügend Instrumente, um sich vor unerwünschten Personen zu schützen. „Angst fressen Menschenrechte" sollte nicht ihre Handlungsmaxime werden.


Blaue Augen machen blind

Andreas Unterberger

 Das Ende der Grenzkontrollen war für die Europäer eines der schönsten und sichtbarsten Zeichen ihrer Einheit. Heute aber bleibt wohl nichts anderes übrig, als wieder einen Schritt zurück zu gehen. Denn die EU hat voll Blauäugigkeit zu viele Probleme ungelöst gelassen. Diplomaten, Juristen, EU-Abgeordnete und -Beamte haben sich begeistert nur auf die Nettigkeiten der europäischen Einheit konzentriert, die problematischen Seiten und Aufgaben jedoch ignoriert. Und das bedroht nun das ganze europäische Gebäude und den dadurch erzielten Wohlstands- und Sicherheitsgewinn.

Es ist verantwortungslos, europaweite Grenzkontrollen abzuschaffen, wenn ein Land ungestraft illegalen Immigranten europaweit gültige Touristenvisa ausstellen kann. Es ist verantwortungslos, dass alle Pensionisten bei (echter oder erfolgreich vorgetäuschter) Übersiedlung in ein Land wie Österreich monatlich die hohe Ausgleichszulage von 793 Euro kassieren können, während in manchen EU-Ländern ein Gutteil der Pensionen nur zwischen 100 und 200 Euro ausmacht. Es ist verantwortungslos, dass nun gerade der Europäische Gerichtshof diese europaweiten Pensionsrechte zugunsten homosexueller Paare noch weiter einbetoniert hat. Es ist verantwortungslos, dass das am besten ausgebaute - und angesichts der nationalsozialistischen und kommunistischen Totalitarismen notwendig gewesene - Asylrechts-System der Geschichte keine signifikanten Einschränkungen vornimmt, obwohl es heute zu weit mehr als 90 Prozent von Migranten aus ärmeren Weltregionen in das europäische Wohlfahrtssystem verwendet wird, für die es nie gedacht war. Es ist verantwortungslos, die Grenzen unkontrolliert zu öffnen, ohne dass Europa vorher eine Lösung für seine eigenen regionalen Probleme wie etwa die Millionen Roma und Sinti zwischen der Slowakei und Rumänien entwickelt hat.

 

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Stell dir vor, es geht das Licht aus

10. Mai 2011 00:57 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Europas Staaten sind heute von vier Herausforderungen existenziell bedroht, die alle bei der Gründung der europäischen Gemeinschaften unbekannt oder zumindest völlig irrelevant gewesen sind. Erstens die Finanzkrise; zweitens die demographische Krise samt ihren Migrations-Konsequenzen; drittens die Überdehnung der meisten Wohlfahrts-Systeme; und viertens die Energiekrise.

Fast alle diese Krisen (mit Ausnahme des seit rund 1968 stattfindenden Gebärstreiks der Europäer) lassen sich auf populistisches Verhalten der Regierungen und auf ihre Unfähigkeit zurückführen, langfristig notwendige Entscheidungen durchzuziehen. Das gilt ganz besonders auch bei der aktuellsten Krise, jener der Energieversorgung – obwohl diese Krise den Europäern viel weniger bewusst ist als die anderen. Woran die Tatsache nichts ändert, dass die erste europäische Gemeinschaft eine für Kohle und Stahl gewesen ist.

Alle Statistiken zeigen: Das Wirtschaftswachstum ist ganz eng mit der Zunahme des Energieverbrauchs verbunden. Daran können nur völlig realitätsfremde universitäre Theoretiker vorbeigehen. Noch weltfremder sind die Aussagen, dass wir ja gar kein Wirtschaftswachstum bräuchten. Was wirklich los ist, wenn die Wirtschaft nicht wächst, hat man ja in den 18 Monaten nach dem September 2008 sehen können. Da haben besonders die Kritiker des „Wachstumsfetischismus“ am heftigsten aufgeschrien.

Keine Demokratie steht einen Wachstums-Stopp dauerhaft durch. Aber auch Diktaturen nicht: Denn jede seriöse Analyse zeigt, dass die jüngsten Serienrevolutionen in der arabischen Welt vor allem wirtschaftliche Gründe hatten, also Nachfolgen der großen Krise waren.

Europa mit leistbarer Energie zu versorgen ist daher eine der größten und unverzichtbaren Herausforderungen der nächsten Jahre. Die Vorzeichen eines Gelingens stehen jedoch rundum auf Sturm.  Die derzeit zu beobachtenden und schon heftig kritisierten Preiserhöhungen von Treibstoffen und Strom sind da nur ein sanftes Vorlüfterl.

  1. Seit Fukushima ist die in den letzten Jahren weltweit wiederbelebte Atomenergie in der Öffentlichkeit – vor allem, aber nicht nur der deutschsprachigen Länder – massiv diskreditiert. Auch wenn in Fukushima bisher offenbar kein Todesopfer zu verzeichnen ist, auch wenn das japanische Atomkraftwerk „nur“ durch den Tsunami und nicht durch das Rekord-Erdbeben zu Schaden gekommen ist, so sind doch die deutlich erhöhte Radioaktivität rund um das AKW und vor allem die intensiven weltweiten Berichte darüber nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Diese Berichte haben in einer sehr chaotischen Informationslage immer die allerschlimmsten Möglichkeiten und Hypothesen herausgearbeitet. Lediglich sehr harte Regierungen wie die chinesische können in dieser Situation noch neue Atomkraftwerke bauen.
    Schon das Herunterfahren einiger alter deutscher Atomkraftwerke hat zu schlimmen Auswirkungen geführt: Die Service-Revisionen aller anderen Kraftwerke werden seither verschoben, die französischen Exporteure von Atomstrom verdienen sich goldene Nasen, und sämtliche Reservekraftwerke mit Gas und Strom sind hochgefahren worden.
  2. Die Versorgung mit Öl ist zumindest kurzfristig schwer bedroht. Die Konflikte im Nahen Osten haben manche Lieferwege jetzt schon gesperrt. Der Reichtum, den Öl für die Förderländer bedeutet, hat aber auch darüber hinaus erstaunliche destabilisierende Folgen. Es ist kein Zufall, dass es in keinem Ölland bis auf Norwegen stabile demokratische Strukturen gibt. Von Russland über Nigeria bis Venezuela wird wohl in allen künftigen Geschichtsbüchern vom Unheil zu berichten sein, den der Ölsegen den dortigen Gesellschaften zugefügt hat. Jeder Goldrausch der bisherigen Geschichte hat ja in der Tat das soziale Netzwerk einer Gesellschaft und die kollektive Leistungsbereitschaft, aber auch die innere Disziplin schwer beschädigt.
  3. Wie sieht es mit der Kohle aus? Hier reichen die Vorräte zwar jedenfalls noch einige hundert Jahre. Kohle ist aber mit Sicherheit – ganz unabhängig von allen Global-Warming-Theorien – eine umweltbelastende Quelle der Energiegewinnung. Der österreichische Bundeskanzler hat sich bei seinem jüngsten Chinabesuch sowohl für einen Verzicht auf Nuklearstrom wie auch Kohlestrom ausgesprochen. Was dort zwar auf kein Verständnis stößt, aber bezeichnend für die in Europa dominierende Einstellung ist.
  4. Die noch größere Bedrohung unserer wirtschaftlichen Zukunft ist aber die seit einigen Jahren kursierende Angst vor einer globalen Erwärmung. Wohl wächst die Zahl der Zweifler an jener These, wohl sind schon heute viele der in den 80er und 90er Jahren gemachten Global-Warming-Prophezeiungen als unrichtig entlarvt. Der Kampf gegen eine vermeintlich menschengemachte globale Erwärmung ist aber ein Eckstein jeder europäischen Politik geworden. Europa nimmt als einziger Kontinent viel Geld in die Hand, um technisch völlig unzureichende Energiequellen wie Windmühlen und Solarpaneele zu fördern und um den globalen Emissionshandel zu finanieren. Es hat dabei zwar nur recht magere Ergebnisse erzielt, den Arbeitsplatz-Standort Europa jedoch durch die hohen Kosten schon deutlich beeinträchtigt.
    Würde Europa übrigens in seinem teuren Kampf gegen die befürchtete Erwärmung wirklich die beabsichtigte starke Reduktion von Öl und Gas gelingen, dann hätte das vor allem ein automatisches Ergebnis: Benzin, Kerosin und Diesel würden auf den Weltmärkten wieder billiger. Das aber würde wiederum jeden Druck auf andere Kontinente, sparsamer mit diesen Produkten umzugehen, automatisch ins Gegenteil verkehren. Damit ist jedenfalls der europäische Kampf zwar keineswegs gratis, aber sicher umsonst und vergeblich.
  5. Sonnen- und Windenergie wiederum sind nach wie vor so teuer und unverlässlich, dass sie höchstens im Märchenbuch und in Politikerreden imstande sind, die Energielücke zu schließen. Ganz abgesehen davon, dass mit Sicherheit die durch die Windmühlen und die neuen langen Stromleitungen entstehende Landschaftsverschandelung bald am Widerspruch der Menschen enden wird.
  6. Wasserkraft ist kaum noch ausbaubar. Sobald ein Projekt spruchreif wird, entsteht sofort heftiger regionaler wie internationaler Protest. Motto: „Überall, doch nicht hier bei uns.“
  7. Und schließlich haben wir auch noch ein kleines Problem mit derv von der Agrarwirtschaft forcierten Bioenergie. Wenn riesige Agrarflächen nicht mehr mit Essbarem, sondern mit Fahrbarem (also Biosprit-Gewächsen) bepflanzt werden, dann wird die durch Überbevölkerung, steigenden Lebensstandard und Energiepreise ohnedies schon überbeanspruchte Lebensmittelproduktion noch viel mehr leiden.

Da ist für Europa guter Rat teuer. Nur wenige Empfehlungen lassen sich mit Sicherheit geben. Die eine ist, dass jeder europäische Alleingang sinnlos und absurd ist; dazu ist Europa längst schon zu unbedeutend und wirtschaftlich schwach. Der zweite ist, dass man der Wissenschaft alle Freiheiten geben muss, an Antworten auf das Energieproblem zu forschen. Der dritte ist: Mehr Ehrlichkeit in der Kommunikation mit dem Bürger; denn solange diesem nicht klar ist, dass der Strom eben nicht nur aus der Steckdose kommt, sondern auch aus einem dieser unerwünschten Kratfwerke, kann es keine vernünftige Energiepolitik geben; am Schluss wird sowieso nur jener Politiker respektiert, der sich auch mutig zeigt und nicht nur ein Fähnchen im Wind der gerade aktuellen Medienaufregung ist. Der vierte ist: Je mehr sich staatliche Eingriffe gegen die Marktmechanismen richten, umso stärker werden diese an unerwarteter Stelle wieder wirksam.

All das gilt natürlich in gleicher Weise für die EU-Institutionen wie auch die Staaten.

PS.: Und wovor fürchte ich mich persönlich? Am meisten vor der drohenden großen sozialen Explosion als Folge von Schuldenwirtschaft und Energiemangel; weniger vor der Verhässlichung Europas durch Windkraftwerke; noch weniger vor einer verantwortungsbewussten Nutzung der Atomenergie; und überhaupt nicht vor einer Globalen Erwärmung.

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Grünparteien in Europa

08. Mai 2011 17:57 | Autor: Andreas Unterberger

Stimmenanteil von Grünparteien bei den letzten Wahlen in Prozent
In Klammer Datum der Wahl

 

 

Staat Stimmanteil
Lettland

19,7 (2010)*

Luxemburg

11,7 (2009)

Deutschland

10,7 (2009)

Österreich

10,4 (2008)

Belgien

9,2 (2010)

Finnland

7,3 (2011)*

Schweden

7,3 (2010)

Niederlande

6,7 (2010)

Estland

3,8 (2011)

Frankreich

3,2 (2007)

* Grüne an der Regierung beteiligt (in Finnland noch aufgrund des Wahlergebnisses von 2007)

Quelle: Eurostat

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Zwischen Lampedusa und Schengen

03. Mai 2011 01:07 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Europa ist, noch immer und trotz all seiner Krisen, sehr attraktiv für Zuwanderer. Auch relativ schlecht bezahlte Arbeitsplätze bringen hier mehr Geld, als der Großteil der Menschen außerhalb der Industriestaaten verdient. Jedes EU-Land – vor allem jedes im Westen und Norden – hat zugleich einen so hoch entwickelten Standard an sozialen Wohlfahrtsleistungen für alle, die sich nicht selbst anstrengen können oder auch wollen, dass man in anderen Kontinenten davon nur träumen kann. Und Europa hat drittens eine Offenheit und Freizügigkeit gegenüber Asylwerbern, die es nirgendwo anders gibt, und die es nie zuvor in der Geschichte gegeben hat.

Diese Kombination ist für Hunderte Millionen in der Dritten Welt absolut attraktiv. Sie sind daher an Wegen interessiert, ihr restliches Leben in diesem Europa verbringen zu können.  Wer das leugnet, ist ein Träumer und kennt die Dritte Welt nur aus dem Lesebuch oder von noblen Urlaubs-Klubs.

Unter diesen Hunderten Millionen befinden sich aber leider nur sehr wenige, die zu den von immer mehr EU-Staaten benötigten gut ausgebildeten Arbeitskräften zählen. Ob das nun Facharbeiter oder Techniker sind, ob Krankenschwestern oder Forscher. Wer für einen nachgefragten Beruf qualifiziert ist, hat zum Teil auch in der eigenen Heimat gute Chancen, und jedenfalls in den USA, dem für Leistungswillige ob ihrer niedrigen Steuern attraktivsten Land. Ganz abgesehen davon ist es eigentlich zutiefst unmoralisch, sich von den ärmeren Ländern der Dritten Welt jahrelang die künftigen qualifizierten Arbeitskräfte ausbilden zu lassen.

Was aber tun mit der eigentlichen Masse von Immigranten ohne Qualifikation, die Europa nicht braucht, die hier nur das Heer der Wohlfahrtsempfänger vermehren? Vornehmlich diese drängen aber durch immer wieder neu entdeckte Schlupflöcher in die EU. Dennoch fehlt es europaweit an Antworten, was mit diesen Immigranten zu tun sei.

Das jüngste – sehr große – Schlupfloch für sie ist das Mittelmeer. Seit etwa in Tunesien anarchische Zustände herrschen, wird das Meer täglich von neuen Menschenmassen auf wackeligen, aber teuer bezahlten Schlepperbooten durchquert. Zieldestinationen sind die EU-Mittelmeerinseln, vor allem Lampedusa und Malta.

Diese in ganz Europa unerwünschten Menschenmassen haben nun zu heftigen innereuropäischen Konflikten geführt. Diese toben insbesondere zwischen Italien, das sie möglichst rasch weiter haben will, und Frankreich, das von den meisten Tunesiern schon der Sprache wegen angestrebt wird. Die beiden starken und in der Selbstinszenierung sehr eigenwilligen Männer an der Spitze jener zwei Staaten scheinen sich nun nach Wochen des Streits aber auf einen Kompromiss geeinigt zu haben: Sie verlangen gemeinsam eine Änderung des Schengen-Vertrags; dieser stellt zwischen einem Gutteil der EU-Staaten sowie einigen anderen hochentwickelten Ländern den grenzkontrollfreien Reiseverkehr her. Sarkozy und Berlusconi wollen nun, dass die Mitgliedsstaaten wieder leichter Grenzkontrollen gegenüber einem anderen Schengen-Staat einführen können.

Dieser Kompromiss ist ein Erfolg Sarkozys. Italien hat sich dafür offensichtlich dessen Zustimmung für die Nominierung eines Italieners an der Spitze der Europäischen Zentralbank eingehandelt.

Die französisch-italienischen Schengenpläne sind freilich von der EU-Kommission gar nicht gerne gehört worden. Denn damit würden wieder Kompetenzen von Brüssel an die einzelnen Staaten zurückströmen. Die Kommission will statt dessen noch mehr Rechte für sich selber.

So will sie künftig das Recht, Asylwerber auf alle EU-Staaten aufzuteilen. Derzeit gilt ja das Prinzip, dass jener Staat, der als erster von einem Asylwerber betreten worden ist, auch sämtliche Asylverfahren durchführen muss. Dieses Prinzip hat früher Österreich benachteiligt, als es noch an der EU-Außengrenze lag. Heute nützt es Österreich hingegen, weil es von lauter EU-Staaten (sowie Schweiz und Liechtenstein) umgeben ist.

Die Kommission hat nur ein Pech: Die Mehrheit der Staaten und der europäischen Bürger sehnt sich immer weniger nach einem zentralistischen Dirigismus, sondern nach der oft – wenn auch meist nur theoretisch – beschworene Subsidiarität. Diese bedeutet das Prinzip, das eher die kleinere Einheit Dinge regeln soll, etwa der Staat und nicht die Kommission.

Wie auch immer dieser Streit ausgeht: Das Grundproblem ist damit keineswegs gelöst. In Wahrheit geht es um eine sehr unangenehme Notwendigkeit: Es geht darum zuzugeben, dass manche der hochentwickelten humanitären Standards des heutigen Europa nicht dauerhaft aufrechterhalten werden können.

Dazu zählt das unfinanzierbare Wohlfahrtssystem, das von immer mehr Leistungsunwilligen (und eben auch Armutsmigranten) missbraucht wird, ob es nun um den viel zu frühen Pensionseintritt oder um das sogenannte Grundeinkommen geht. Dazu zählt aber auch das überaus hochentwickelte Asylsystem.

Wenn aber ein solches System zu 80 und 90 Prozent von Menschen nachgefragt wird, für die es ursprünglich nicht gedacht gewesen ist, dann muss die Konstruktion geändert werden. Wobei wir gar nicht das Thema anschneiden wollen, dass auch jene, denen Asyl gewährt wird, oft von einer sehr großzügigen, einer „humanen“ Judikatur profitieren.

Aber reden wir nur von der großen Mehrheit der Abgewiesenen: Bei einem solchen Missverhältnis zwischen Asylgewährung und Ablehnung sind jahrelange Verfahren bis hin zu den Höchstgerichten eine gefährliche Fehlentwicklung. In Wahrheit wissen diese angeblichen Flüchtlinge ja auch selbst sehr genau, dass sie keinen echten Asylgrund haben – also Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen. Sie wollen nur einige Jahre lang die Chance nutzen, etwa durch Heirat, selbst durch Eingehen schwuler Partnerschaften (die als „Familien“ geschützt werden!) oder durch rechtzeitiges Untertauchen auf Dauer im – noch immer – goldenen Europa leben zu können.

Was den Handlungsbedarf besonders groß macht: Viele jener Menschen, deren Asylantrag abgewiesen wurde, werden danach dennoch nicht abgeschoben. Sei es, weil ihr Heimatland nicht eruiert werden kann, sei es weil ihnen in der Heimat die Todesstrafe droht (etwa weil sie in Europa als Drogendealer erwischt worden sind).

Dieses Problem ist nun durch eine neue Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch dramatisch verschärft worden. Dieser EGMR ist zwar keine EU-Institution, sondern eine aller Europaratsländer; dort stimmen daher auch Richter aus Aserbebaidschan&Co gleichberechtigt mit, die natürlich jedes Interesse an einer weitgehenden Aufnahme von Auswanderern aus ihren unter Arbeitslosigkeit leidenden Ländern im Westen haben. Der EGMR hat daher jetzt prompt ein italienisches Gesetz als menschenrechtswidrig aufgehoben, das den Verbleib eines Ausländers in Italien trotz einer Ausreise-Anordnung als Strafdelikt behandelt. Damit ist auch der bisher letzte Damm gegen die Immigrantenflut kaputt gemacht worden.

Was aber tun? Europa hat in Wahrheit nur zwei Möglichkeiten: Entweder es kapituliert vor dem Ansturm von Zuwanderungswilligen und gibt sich freiwillig auf. Oder es ändert die internationale Flüchtlingskonvention und die allzu weitgehenden Rechte des EGMR. Beides sind aber Spielebenen außerhalb des EU-Rechtsrahmens, was ein Handeln doppelt schwer macht. Eine dritte Möglichkeit gibt es aber nicht. Das wissen sicher auch Sarkozy und Berlusconi, wagen es aber (noch?) nicht zu sagen, obwohl sie derzeit die sicher mutigsten und daher umstrittensten Politiker Europas sind.

Es wäre aber dringend Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen, bevor die „Wahren Europäer“ viel mehr an Europa kaputt machen können als das, was wirklich reformbedürftig ist.

 

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Der Dieselpreis als europäisches Exempel

27. April 2011 00:26 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es ist ein grundvernünftiger Vorschlag der EU-Kommission – und stößt doch zu Recht auf Widerstand, an dem er auch mit gewisser Wahrscheinlichkeit zerbrechen dürfte. Das klingt ziemlich widersprüchlich. Aber was ist nicht widersprüchlich, wenn es um unser liebstes Gut, also das Auto, geht? Oder im Konkreten um den Preis auf Diesel-Treibstoff?

Die Kommission will, dass die Mitgliedsstaaten die Steuerbelastung von Diesel jener des Benzins angleichen. Dabei soll die Steuer nicht mehr nach der Litermenge, sondern nach dem CO2-Ausstoß und dem Energiegehalt gemessen werden. Das ist eindeutig gerechter und logisch.

Noch aus einem weiteren Grund würde diese Angleichung einen Sinn haben: Fast alle EU-Länder müssen seit einigen Jahren Diesel importieren, während ihre Raffinerien gleichzeitig normales Benzin exportieren. Der Grund: Wegen des lange niedrigeren Dieselpreises haben sich zu viele Autofahrer ein Diesel-getriebenes Fahrzeug angeschafft. Der technisch mögliche Mix eines Raffinerie-Ausstoßes kann diese Nachfrage aber nicht mehr ausreichend decken.

Dennoch sprechen viele Faktoren gegen den Vorschlag der EU-Kommission. Der erste ist die Tatsache, dass sich alle Autokäufer, die sich wegen des niedrigen Dieselpreises ein Dieselfahrzeug angeschafft haben, gefoppt fühlen würden. Deren Ärger wird sich kaum eine Regierung durch Zustimmung zum EU-Plan zuziehen wollen.

Zweitens hat die EU schon durch die Einführung des E10-Benzins viel Unmut erregt, der europaweite Wellen schlägt. Die Hauptschuld daran liegt freilich an der deutschen Regierung. Diese hat das E10 viel schlechter kommuniziert als etwa die französische: Paris hat bei Einführung von E10 (also von Benzin mit zehnprozentigem Biokraftstoff aus der Landwirtschaft) jedem Autofahrer einen Brief geschrieben. Darin wurde jedem mitgeteilt, ob sein Fahrzeug E10-tauglich ist oder nicht. Was in Frankreich zu einer völlig glatten Einführung des Biosprits führte. Diesen Brief und Kosten von rund zehn Millionen Euro haben sich die Deutschen hingegen erspart. Was übrigens eine lustige Umkehrung der Vorurteile in Sachen Ordnungsliebe ist, die man den Deutschen und Franzosen entgegenbringt.

In Frankreich jedenfalls ging die Umstellung auf E10 völlig problemlos vor sich, in Deutschland hingegen brachen Panik und Boykott aus. Seither zögern auch andere Staaten wie Österreich mit der Umstellung. Dadurch sind nun auch alle anderen Maßnahmen rund um die diversen Autoantriebs-Säfte ins Zwielicht geraten.

Drittens hängt der Widerstand gegen eine höhere Dieselsteuer auch mit der wachsenden Ablehnung der Global-Warming-Doktrin durch viele Europäer zusammen. Da sich deren Prophezeiungen seit längerem als unrichtig erweisen, erregt es zunehmend Ärger, wenn den Bürgern und Steuerzahlern ständig noch mehr Geld unter dem Vorwand der Reduktion des CO2-Ausstoßes aus der Tasche gezogen wird. Würden die Stromkonsumenten sehen, welch großer Teil ihrer Stromrechnung schon heute der Förderung unrentabler Alternativenergien dient, wäre der Zorn noch viel größer.

Und natürlich wird auch die Dieselpreis-Verteuerung mit dem Global-Warming-Argument begründet. Dafür solle die Steuerlast auf den in der Herstellung teureren Bioenergien reduziert werden, heißt es in Brüssel.

Das aber glauben viertens immer weniger Europäer. Sie haben seit Jahrzehnten durch Beobachtung ihrer eigenen Regierungen gelernt: Steuererhöhungen werden fast nie durch Steuersenkungen in anderen Bereichen kompensiert. Dazu ist die Ausgabenlust der Politik viel zu groß. Dazu ist die Schuldenlast auf sämtlichen Budgets viel zu drückend. Also trauen sie auch nicht der versprochenen Kompensation (ganz abgesehen davon, dass das nur einem ganz anderen Teil der Autofahrer nutzen würde).

Und fünftens wächst ganz allgemein europaweit der Widerstand gegen die Regulierungswut der EU. So wichtig und vorteilhaft europäische Vereinheitlichungen auch sind, wo es um die Herstellung eines Binnenmarktes für Güter und Dienstleistungen geht, so überflüssig war es, auch noch vieles andere zwanghaft zu vereinheitlichen – ohne Rücksicht auf nationale Kulturen und Traditionen. Das reicht vom Nichtrauchen bis zu schikanösen Gleichbehandlungsvorschriften bei Anstellungen oder Wohnungsvermietungen.

Alles in allem sollten Besitzer von Dieselautos vorerst nicht gleich in Depressionen verfallen. Die Steuererhöhung liegt zumindest noch in etlicher Ferne. Was nichts daran ändert, dass Dieselfahrer ohnedies schon seit einiger Zeit einen absolut wie relativ höher gewordenen Preis an der Tankstelle zahlen müssen. Das hängt nicht nur mit den Turbulenzen in Nordafrika und an den internationalen Ölmärkten zusammen, sondern auch mit den Kosten des Imports der Mangelware Dieseltreibstoff.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Mephistophelisches

21. April 2011 23:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Selbst wo nicht Begriffe fehlen,
ist das Leben oft verzwackt –
Schuld zum Beispiel kann zwar quälen,
auch wenn als Begriff abstrakt.

In der Mehrzahl wird hinwieder
Schuld auf einen Schlag konkret,
wenigst wenn es fromm und bieder
um die kleinen Schulden geht.

Ist ja hier für Kreditoren
das Inkasso kein Problem,
und geht wirklich was verloren,
kommt’s von andern rein bequem.

Andrerseits die besten Karten
hat, wer Riesenschulden macht,
denn da müssen Geber warten,
die das vorher nicht bedacht.

Und indes zuviel sie wagten,
fällt’s, weil aktuell, mir ein:
Ad calendas graecas sagten
Römer für Sankt Nimmerlein.

Jedenfalls die größten Pleiten
– was man weiß, nur stets vergisst –
macht der Staat seit alten Zeiten –
ohne dass wer schuld dran ist!

Schulden sind dann weiter Faktum
und – nicht minder kurios –
als Begriff zugleich Abstraktum,
weil ganz unbegreiflich groß!

Doch dass Schuldner nimmer dulden,
stellt sich trefflich ein das Wort,
sie in Unschuld umzuschulden –
Schulden sind, o Wunder, fort.

Und indem man andre rettet,
legt man uns, die solcherart
liegen, wie man gern uns bettet,
nämlich ungefedert hart!

Ach wie heilig einst sie schworen,
sei ja bloß ’ne Garantie –
ein Placebo für die Ohren,
grau wie alle Theorie…

Pannonicus

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Brüssel greift nach unseren Kleinkindern

20. April 2011 20:03 | Autor: Peter Pitzinger
Rubrik: Gastkommentar

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat die Europäische Kommission einen Aktionsplan bekannt gegeben, der „Kindern einen besseren Start ins Leben“ ermöglichen soll. Das Dokument trägt den sperrigen Titel: „Frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung: Der bestmögliche Start für alle unsere Kinder in die Welt von morgen.“

Für das Wachstum Europas ist die Verbesserung der Qualität und Wirksamkeit der Bildungssysteme ausschlaggebend. „Die frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung bildet dabei das Fundament für erfolgreiches lebenslanges Lernen, soziale Integration, persönliche Entwicklung und spätere Beschäftigungsfähigkeit.“ Wir sehen schon in den ersten Sätzen des Dokuments, dass natürlich nicht die Betreuung und Erziehung in der Familie damit gemeint ist und weiters, dass, wie bei fast allen familienpolitischen Bemühungen der EU, die Frage der „Beschäftigungsfähigkeit“ im Vordergrund steht. Damit ist einerseits gemeint, dass die jungen Menschen verfügbare und leistungsorientierte Arbeitnehmer werden und auch, dass die Mütter, ohne die „Last“ der innerfamiliären Betreuung und Erziehung, der Wirtschaft und Industrie als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.

Als wichtiges Ziel ist auch angeführt, dass möglichst frühe Bildung bessere Ergebnisse bei internationalen Tests wie PISA nach sich zieht. Für die Statistik-gläubige EU sicherlich ein Wert für sich. Frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung (in institutionellen Einrichtungen) „ermöglicht es Eltern, familiäre und berufliche Aufgaben besser zu vereinen“ und damit wird ihre „Beschäftigungsfähigkeit gesteigert“.

Besonders wird in dem Dokument betont, dass die frühkindliche Betreuung außerhalb der Familie besonders für Kinder mit Migrationshintergrund (eigens werden Kinder der Volksgruppe der Roma genannt) und Kinder aus armen Familien von Vorteil ist.

In einem solchen Dokument darf natürlich nicht der Hinweis auf ein neuzeitliches Dogma fehlen, nämlich die so genannten „Barcelona-Ziele“. Nach diesem Beschluss aus dem Jahr 2002 sollen bis zum Jahr 2010 mindestens 90 Prozent der Kinder zwischen drei und sechs Jahren und mindestens 33 Prozent der Kinder unter drei Jahren in regulären Ganztagsplätzen außerfamiliär betreut werden. Ziel dieses damaligen Beschlusses war es, dass „mehr Eltern und insbesondere die Mütter dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen können“. Wie immer wird dieser Beschluss aber unvollständig zitiert, denn in dessen tatsächlichem Wortlaut steht eindeutig, dass sich dieser Ausbau „nach Maßgabe der Nachfrage von Kinderbetreuungseinrichtungen“ und nach den einzelstaatlichen Vorgaben richten soll.

EU will Inhalte bestimmen

Nun soll nicht nur die Quantität der Kinderbetreuung forciert werden, sondern auch die Qualität. An sich ein lobenswertes Ziel, wenn man an die Realität der derzeit kinderfeindlichen Betreuungsschlüssel für Kleinkinder denkt. Das Problem liegt allerdings in der Zuständigkeit. Die EU ist – Gott sei Dank – nicht für alles zuständig.

Viele Punkte des vorliegenden Dokumentes liegen in den Verantwortungsbereichen der einzelnen Mitgliedsstaaten, in Österreich z.B. in der Verantwortung der Bundesländer, die nach der Bundesverfassung für die Kinderbetreuung zuständig sind. Es ist völlig inakzeptabel, dass die EU nun Ausbildungsformen, Zugangserfordernisse für Mitarbeiter und die Lehrinhalte der Ausbildungsinstitute (inklusive Schwerpunkte in emotionaler und sozialer Hinsicht) bestimmen will. Die EU will sogar Maßnahmen ergreifen, damit im Sinne des Gender-Mainstreamings mehr Männer die Kleinkinder betreuen.

Der Ausschuss der Regionen, in dem unter anderem die österreichischen Bundesländer aktiv sind, hat bereits reagiert. Das Land Vorarlberg hat aufgezeigt, dass viele der Vorschläge der EU-Kommission gegen das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 des EU-Vertrags von Lissabon) verstoßen. Es ist zu hoffen, dass sich die Bundesländer nun auch gegen die Bildungsministerin durchsetzen können, denn der nächste Schritt soll im Mai 2011 die Absegnung des Kommissions-Aktionsplans durch die EU-Bildungsminister sein.

Dr. Peter Pitzinger ist fünffacher Familienvater, Jurist im öffentlichen Dienst, ehrenamtlich Vizepräsident des Österreichischen Familienbundes und Kuratoriums-Mitglied des Österreichischen Institutes für Familienforschung.

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Stell dir vor, es geht der EU ein Licht auf

19. April 2011 01:55 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Wenn die Dinge einmal schlecht laufen, dann geht meistens gleich alles schief. Das passiert jetzt der EU mit den Energiesparlampen, einer zwangsweisen Einführung, welche die Union bei ihren Untertanen an nicht gerade beliebter gemacht hat.

Nun gibt es sogar erstmals Hinweise, dass diese Lampen krebserregende Dämpfe ausstoßen. Das haben zumindest Recherchen des NDR ergeben. Lampen aller Erzeuger stoßen demzufolge Phenol aus, eine wahrscheinlich krebserregenden Substanz, aber auch andere giftige Stoffe. Die Erzeuger weisen hingegen darauf hin, dass die Grenzwerte nicht überschritten würden. Was freilich eine Verteidigung ist, die man in letzter Zeit relativ oft zu hören bekommt.

Nun, ich bin kein Chemiker, um die Gefahr seriös bewerten zu können. Ich sehe aber jedenfalls mit gewisser Schadenfreude das Schicksal der Energiesparlampen. Denn sie sind zum Symbol des Drüberfahrens der Union über die Bürger geworden. Die Union reguliert und reguliert - was natürlich immer auf Kosten der Freiheit geht. Der Zwang wurde von Anfang an europaweit abgelehnt. Dann kamen auch noch die Hinweise auf Quecksilber dazu, das beim Zerbrechen einer Sparbirne austritt. Dann kamen vor allem die Klagen der Konsumenten, dass viele Sparlampen sehr lange brauchen, bis sie auch das tun, weswegen man sie eigentlich einschaltet: nämlich zu leuchten.

Das Phenol wird den Lampen nun wohl ganz das Licht ausblasen. Das passiert unabhängig davon, ob die EU die Lampenpflicht formell aufhebt. Die Konsumenten werden die Sparlampen aber jedenfalls zu Tode boykottieren. So wie sie gerade in Deutschland den E10-Biosprit aus dem Markt hinaus boykottieren. Die Europäer tun solches mit zunehmender Lust. Was auch immer die EU tut und dekretiert, es wird immer öfter mit Vehemenz bekämpft.

In diesem Kampf hat es schon etliche amüsante Partisanen-Tricks gegeben. Zuerst hat sich der Handel auf Jahre hinaus mit den Lampen eingedeckt. Es war ja nur deren Erzeugung verboten worden, nicht der Verkauf. Dann kamen findige Köpfe auf die Idee, statt „Leuchtmittel“ kleine Heizgeräte zu erzeugen und verkaufen, die man in Lampenfassungen schrauben kann und die verblüffenderweise haargenauso ausschauen wie eine gute alte Glühbirne. Aber Heizgeräte sind ja nicht vom EU-Bannstrahl betroffen. Vor einer solchen Maßnahme scheut man in Brüssel noch zurück. Vielleicht erinnern sich manche dort noch an den rumänischen Kommunisten Ceausescu. Dieser hatte sich einen so tollen Palast gebaut, dass dem Staat das letzte Geld ausging, sodass er den Bürgern verbieten musste, wärmer als 14 Grad zu heizen. Was dann im Sturz des Diktators endete.

Einen solchen halten die Eurokraten auch in ihrem eigenen Fall für nicht mehr ganz ausgeschlossen. Strömen doch in einem Land nach dem anderen die Wähler zu heftig antieuropäischen Parteien. Wie zuletzt in Finnland.

Viele dieser Schlappen hat die EU eingefahren, weil sie allzu sehr auf die grünen Panikmacher statt auf die Bürger gesetzt hat, weil sie vor allem die Schreckensmär von der Globalen Erwärmung zum europäischen Credo erhoben hat. Köstlich ist freilich, dass neben den Glühlampenproduzenten und der Agrarindustrie vor allem die Atomindustrie von der Erwärmungs-Story profitiert hat.

Seit dem japanischen Atomunfall – der übrigens zum Bedauern der Grünen noch immer ohne Todesopfer abgelaufen sein dürfte – sind die Grünen aber längst wieder von den Erwärmungsschrecken zu den Atomschrecken zurückgewechselt. Man kann daher davon ausgehen, dass auch das Thema Globale Erwärmung samt E10 und Energiesparlampen von der EU und den Medien rasch wieder in die hinteren Regale geschoben wird. Glaubwürdiger werden sie dadurch jedenfalls beide nicht. Aber wer sein Hirn bei den Grünen abgibt . . .

 

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Zwischen Migranten und Flüchtlingen: Europa in der Klemme

19. April 2011 00:26 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Manche sehen die EU schon an dem neuen Zwist zerbrechen, oder zumindest Schengen, den Raum ohne Grenzkontrollen. Die einen fürchten einen solchen Totalschaden, andere erhoffen ihn sogar. Der Anlass ist die tiefe Uneinigkeit der Europäer über den Umgang mit den Zehntausenden Afrikanern, die derzeit auf wackligen Schiffen in die EU tuckern.

Aus Tunesien sind binnen weniger Wochen schon 20.000 Menschen gekommen; und neuerdings werden auch von Libyen Tausende Tschad-Bürger Richtung Europa geschleust – als Rache Gaddafis für die europäischen Luftangriffe.

Es ist keine Frage, dass die Differenzen zwischen Italien auf der einen Seite und den Franzosen (vor allem), den Deutschen und den Österreichern auf der anderen Seite ernst und tiefgehend sind. Dennoch wird die EU an ihnen noch nicht gleich zerbrechen. Sie zeigen aber eines sehr deutlich: Manche EU-Projekte wie etwa die Schengen-Kontrollfreiheit waren bisher reine Schönwetterprogramme; sie haben nun die erste ernste Krise zu bestehen – oder werden scheitern.

Der Sachverhalt ist klar: Seit dem Umsturz in Tunesien nützen viele den Zusammenbruch des dortigen Regimes, um ins – relative – Paradies Europa zu übersiedeln. Dabei steuern sie vor allem Frankreich als Endziel an, dessen Sprache fast alle Tunesier sprechen, wo sehr viele auch Verwandte haben.

Das ist keine Flucht, auch wenn das in Europa manche so darzustellen versuchen. Das ist vielmehr eine typische Massenmigration, deren Vorläufer in der Geschichte als Völkerwanderung bezeichnet worden sind. Es bräuchte schon sehr große Naivität oder absurde Argumentationen, um diese Boots-Passagiere als Flüchtlinge vor einer Verfolgung darzustellen: Da stürzt ein Diktator und es bricht die Demokratie aus – und plötzlich wollen alle davonrennen, statt sich der neuen Freiheit zu freuen.

Aus der subjektiven Warte jedes Einzelnen in den zerbrechlichen Booten auf dem Mittelmeer ist das zwar auch keine Flucht vor Verfolgung, aber dennoch logisch. Erstens wollten viele von ihnen schon seit langem nach Europa, hatten aber ohne europäisches Einreisevisum unter den strengen Augen der tunesischen Polizei keine Chance, das Land zu verlassen. Zweitens wissen oder spüren sie: Der Wechsel von der Diktatur zur Demokratie schafft noch keinen einzigen Arbeitsplatz. Im Gegenteil: In Zeiten der politischen Unsicherheit und eines noch unklaren Ziels des Übergangs zögern viele Investoren. Sie geben nur dann Geld aus und stellen Menschen an, wenn sie das unter stabilen und absehbaren Rahmenbedingungen können. Nur schöne Worte sind ihnen auf etliche Zeit ein wenig zu wenig.

Gründe für eine Flucht vor politischer Verfolgung hat in Tunesien derzeit niemand – bis auf die Funktionäre des gestürzten Regimes. Die aber will ohnedies niemand aufnehmen, obwohl sie die einzigen wären, auf die die Genfer Flüchtlingskonvention zutrifft.

Daher hat Italien folgerichtig nach einigen Tagen damit aufgehört, für jeden dieser Tunesier ein Asylverfahren einzuleiten. Außerdem hatte man bald die – für Italien nicht ganz neue – rettende Idee: Es gibt einen sehr einfachen Weg, die ungeladenen Gäste wieder loszuwerden: Man lässt sie frei und gibt sich mit gutem Grund der Hoffnung hin, dass sie bald verschwunden sein werden. Weil das Ziel insbesondere der Tunesier vor allem Frankreich und die Benelux-Staaten sind. Dieses erwünschte Weiterwandern erleichtern nun findige italienische Bürokraten mit einem neuen Trick: Sie stellen den Tunesiern dreimonatige Touristen-Visa aus, die für den ganzen Schengen-Raum gelten.

Was man in Frankreich wieder nicht so gerne sieht. Denn es ist ein klarer Missbrauch der Schengen-Regeln. Eigentlich wäre Italien verpflichtet, für die Tunesier ein Asylverfahren einzuleiten oder sie gleich wieder abzuschieben.

Nur: Das mit dem Abschieben geht nicht so einfach. Dazu müsste man die Tunesier zuerst in Massenlagern internieren – fast hätte ich gesagt: konzentrieren. Dann müsste man sie gegen oft erbitterten körperlichen Widerstand nach Tunesien zurückschaffen. Und drittens müsste man auch Tunesien überzeugen, sie wieder aufzunehmen. Dort aber ist man insgeheim froh, die überzähligen Esser, für die man ohnedies keine Jobs hat, wieder loszuwerden und legt daher einer Rückkehr der Ausgewanderten jede Menge Widerstand in den Weg, offen oder versteckt.

Jetzt ist guter Rat teuer. Die salbungsvolle Forderung der arg blauäugigen EU-Kommissarin Cecilia Malmström aus Schweden „Mehr Solidarität mit Italien“ löst kein einziges Problem – auch wenn sich merkwürdigerweise die deutsche Opposition und die FDP dieser Forderung angeschlossen haben.  Malmström&Co verstehen darunter eine Aufteilung der Tunesier auf alle EU-Staaten. Dies aber würde den neuen Einwanderungspfad aus Afrika Richtung Europa nur noch verbreitern und einbetonieren.

Auch in der Brüsseler EU-Kommission sollte man wissen: Wenn das einmal mit den Tunesiern so funktioniert, dann warten hinter Hunderttausenden migrationswilligen Arabern noch viele Millionen Schwarzafrikaner, die seit langem auf die Möglichkeit einer Einwanderung nach Europa hoffen. Sie hatten ja schon einmal über Libyen einen solchen Weg gefunden, bevor Italiens Berlusconi den libyschen Diktator Gaddafi bestochen hat, damit dieser den Migrationsstrom wieder unterbindet. Jetzt aber hat der Luftkrieg jede Chance auf eine Kooperation mit Gaddafi zerstört.

Die Erkenntnis ist bitter, aber notwendig: Wenn Europa jetzt nicht imstande ist, Härte zu zeigen, dann hat es – als einzige Region der Welt – endgültig die Kontrolle über seine Grenzen und über die Zuwanderungsströme aufgegeben. Dann waren all die Migrations-Probleme und -Konflikte der letzten Jahre nur ein mildes Vorspiel auf das, was Europa noch bevorsteht. Dann brauchen Sozialdemokraten, Christdemokraten und Linksliberale nicht mehr lange über ihre eigene parteipolitische Zukunft nachzudenken, sondern sollten gleich an Geert Wilders und Freunde übergeben.

Die Europäer haben ja schon einmal den schweren Fehler begangen, im Falle Griechenlands von ihren Regeln abzugehen, dass immer das erste aufgesuchte Land für Abwicklung der Verfahren zuständig ist. Weil die Griechen – die zuletzt als einfachstes Einfallstor nach Europa galten – den Ansturm nicht mehr bewältigt haben, wurde einfach ein Weiterwandern der über Griechenland nach Europa Einwandernden beschlossen. Was natürlich nur eine Einladung war, es noch intensiver zu versuchen.

Übrigens stimmt auch das Argument nicht, dass Europa die Afrikaner für seinen Arbeitsmarkt brauche. Alle Arbeitsmarkt-Daten sagen das Gegenteil: Europa braucht zwar Arbeitskräfte, aber nur qualifizierte, was der Großteil der illegalen Immigranten nicht ist; sogar die legalen Zuwanderer aus islamischen und afrikanischen Ländern gehen bezeichnenderweise zu einem weit geringeren Anteil einer Erwerbstätigkeit nach als etwa die Durchschnittsösterreicher; die Zuwanderer aus jenen Regionen leben statt dessen zu einem deutlich höheren Prozentsatz von Sozialhilfe und anderen Wohlfahrtsleistungen als die europäischen Eingeborenen.

Europa und die Italiener als Erstbetroffene werden daher keine andere Alternative haben, als massiven Druck auf Tunesien auszuüben, als Auffanglager für die Migrations-Suchenden zu schaffen, und als jetzt den (leichtfertig begonnenen) Krieg gegen Gaddafi nun mit der raschen Vertreibung Gaddafis zu beenden. Die unvermeidliche Kritik von der Kirche bis zur Linken an dieser scheinbar inhumanen Politik wird die Aufgabe gewiss nicht leichter machen. Die einzige Alternative wäre aber die Selbstaufgabe Europas.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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Im Auslegen seid frisch und munter

18. April 2011 00:24 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es bleibt einem immer wieder der Mund ob der Frechheit offen, mit der oft Rechtsbrecher ihre Untat als gut und richtig verkaufen. Aktuellstes Beispiel ist Ernst Strasser, der den Verkauf von politischem Einfluss als kriminalistischen Aufdeckungsversuch darzustellen versucht. In den Dimensionen aber noch viel gravierender und skrupelloser ist das Vorgehen der Europäischen Zentralbank. Auch diese erfindet die skurrilsten Begründungen zur Rechtfertigung ihres offenkundigen Rechtsbruchs bei der Verschiebung von Milliarden an die europäischen Schuldenstaaten.

Die EZB kauft ja seit dem Vorjahr Anleihen der bankrotten EU-Staaten auf, um diese vor der formellen Zahlungsunfähigkeit zu retten. Das ist eindeutig verboten. Auch die Österreicherin im EZB-Direktorium, Gertrude Tumpel-Gugerell, gibt zu, dass sich die EZB nicht an Staatsfinanzierungen beteiligen darf. Die Sozialdemokratin verteidigt das Vorgehen der EZB aber dennoch und zwar ganz ohne schlechtes Gewissen: Die Zentralbank, so sagt sie jetzt wieder in einem Interview, kaufe ja keine Neuemissionen von Anleihen jener Staaten, sondern nur von älteren Anleihen. In der Finanzsprache nennt man das den Sekundärmarkt. Und dort ist eine neue Anleihe halt sofort eine alte, wenn nur eine Sekunde lang jemand anderer sie besessen hat.

Tumpel – die ja am heimischen Herd einen der größten österreichischen Schulden-Liebhaber, nämlich den Chef der Arbeiterkammer, sitzen hat – wörtlich:  „Beim Kauf von Neuemissionen fließt Geld direkt in den öffentlichen Haushalt. Im Gegensatz dazu bedeutet ein Kauf am Sekundärmarkt, dass der Staat in der Vergangenheit bereits einen Käufer für seine Schuldtitel gefunden hatte. Es fließt also kein Geld von der Zentralbank an den öffentlichen Haushalt, sondern an andere Marktteilnehmer.“

Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Denn diese Argumentation ist der Zwillingsbruder der Hehlerei. Man lässt einfach einen (gut bezahlten) Dritten tun, was man selber nicht darf. Der Dritte hat dabei jedoch Null Risiko, denn die EZB gibt ihm eine Abnahmegarantie für die von ihm gekauften Staatsanleihen. Dieser Dritte würde sonst höchstwahrscheinlich einen so riskanten Ankauf unterlassen. Das ist eine miese Umgehungskonstruktion. Kein Gericht der Welt würde es etwa einem Steuerbetrüger durchgehen lassen, wenn der ähnliche Tricks versucht. Denn für normale Bürger gilt immer die wirtschaftliche Betrachtungsweise, sie kommen mit einer sophistischen Argumentation nicht durch.

Diese erinnert auch heftig an Goethes Faust: „Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr's nicht aus, so legt was unter.“

Dabei geht es keineswegs nur um juristische Erbsenzählerei, sondern um einen fundamentalen Rechtsbruch. Dieser reduziert das ohnedies schon angeschlagene Vertrauen in die Rechtstreue und Rechtssicherheit in Europa auf ein jämmerliches Minimum. Denn offenbar gibt es im Bananenkontinent Europa Institutionen, die über allem Recht stehen, die sich vor niemandem rechtfertigen müssen.

Dieser Zynismus unterscheidet Europa etwa stark von den USA. Dort muss die Regierung tatsächlich den Laden zusperren, wenn ihr der Kongress, also die Vertretung der Steuerzahler, die notwendigen Gelder verweigert. Dort steht also auch der Präsident nicht über dem Gesetz. Dort sind keine Umgehungsgeschäfte möglich.

In Europa hingegen sind Betrug und Rechtsbruch Teil eines sich hochmütig über alle Regeln hinwegsetzenden Systems geworden. Und kein Europäischer Gerichtshof, kein deutsches Bundesverfassungsgericht (das sonst noch am mutigsten ist) kann oder will offenbar dagegen etwas unternehmen.

Abgesehen davon, dass die Hoffnung der EZB, am Ende würden ohnedies alle Anleihen beglichen, mehr als trügerisch ist, sendet das jedenfalls auch ein katastrophales Beispiel an die Bürger aus, wie unnötig doch Rechtstreue ist. Moral ist nur noch eine Forderung an die Bürger, nie an die Mächtigen.

Zugleich ist der Anleihenkauf natürlich auch ökonomisch mehr als fragwürdig: Diese Hilfe für die Bankrott-Staaten wiegt weitere Schuldnerstaaten in trügerische Sicherheit, sich nicht anstrengen zu müssen. Es gibt ja ohnedies immer einen netten großen Bruder, der sie rettet. Nur hat der große Bruder selber halt keinen großen Bruder mehr.

Auch wenn es manche überraschen mag: Das Verbot einer Kreditvergabe der EZB an Staaten war wohldurchdacht. Es soll, genauer: es sollte die Staaten zu mehr Eigenverantwortung zwingen. Aber das halten Tumpel&Co halt für überflüssig. Weil dann ja die Staaten die Illusionswelt von Gewerkschaften und Arbeiterkammern nicht mehr finanzieren könnten.

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Verwirrfahrten

16. April 2011 03:21 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Manche Seefahrt ist nicht lustig
und nicht wie im Liede schön,
sondern ausgesprochen frustig,
ja geradezu obszön.

Denn nicht alle überleben,
und der Schlepper, der das weiß,
der kassiert im voraus eben
seinen überhohen Preis.

Wer geschleppt wird solcherweise,
steigt ins Boot als Emigrant,
wird zum Flüchtling auf der Reise
und kommt an als Asylant!

Doch die wundersame Wandlung
ist Etappe nur, nicht Ziel,
weiter nämlich geht die Handlung
wie beim Pyramidenspiel:

Prompt erhebt sich ein Gewinsel:
Viel zu viele sind schon da!
Selber schuld, denn eure Insel
liegt zu nah an Afrika!

Aber Silvio, dem frommen,
kam die rettende Idee:
Er bringt alle, die gekommen,
auf das Festland stantepe.

Da auch dort die Leute maulen
und da Lager nicht human,
stellt er, um nicht zu vergraulen,
einfach Visa aus spontan!

Daß jetzt anderswo man quengelt,
ist Theaterdonner bloß,
denn Europa ist verschengelt,
führungs-, hirn- und grenzenlos.

Doch es predigen die Guten,
denen das zu danken ist,
uns, die laufend dafür bluten:
Wer sich wehrt, ist ein Rassist!

Größten Anspruch hat auf Bleibe,
wer für andersrum optiert,
und ich wett’, indes ich’s schreibe,
drunten hat man’s längst kapiert …

Pannonicus

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Zu Tode alimentiert

12. April 2011 00:39 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Jetzt gibt es also auch für Portugal europäisches Geld. 80 Milliarden oder so sollen es sein. Und wie auch bei anderen Schuldnerstaaten wird man wohl noch auf den einen oder anderen Grund kommen, weshalb es am Ende noch ein bisserl mehr sein darf. Überall knirschen die Staatsbürger der Zahlernationen mit den Zähnen, weil sie das alles nun zahlen müssen – und weil sie nur geringe Chancen haben, jemals ihr Geld wiederzusehen. Aber es wird ihnen nichts nutzen. Den amtierenden Regierungsparteien wird es freilich massiv schaden.

Viele kritisieren, dass der europäische Rettungsschirm für Portugal einen allzu bequemen Ausweg bietet, dem Staatskonkurs und der dann nötigen Umschuldung – also einer teilweisen Schuldenstreichung unter dem Diktat der Gläubiger – zu entkommen. Andere wieder meinen, dass Portugal nun beim Eintritt unter den Rettungsschirm ohnedies viel härtere Bedingungen diktiert bekommen wird, als sie das vom portugiesischen Parlament abgelehnte Sparpaket enthalten hat. Offen bleibt freilich, wie viel von diesen Bedingungen nur auf dem Papier stehen werden.

In Wahrheit ist es aber gar nicht die wichtigste Frage, ob nun der Rest Europas für Portugal via Rettungsschirm zahlt oder dadurch, dass bei einem Staatsbankrott die im Rest Europas beheimateten Gläubiger in Probleme geraten und Geld verlieren. Diese Gläubiger haben fast alle einen bekannten Namen: Lebensversicherungen, Pensionsfonds, Banken, Sparer. Manche meinen nun, das seien ja ohnedies alles „Spekulanten“, die ruhig bluten sollen. Was freilich eine kühne Behauptung ist, außer man bezeichnet schon die Erwartung als Spekulation, dass ein Schuldner seine Schulden auch zurückzahlen sollte.

Letztlich aber ist es klar, dass es immer die sparsameren Europäer treffen wird. Wobei der Konkurs aus zwei Gründen vorzuziehen wäre: Erstens weil in diesem Fall immer ein mehr oder weniger großer Teil der Gläubiger im Schuldnerland selber daheim ist; und zweitens, weil das derzeit nicht gegebene Risiko eines solchen Staatsbankrottes Anleger gegenüber leichtfertigen Staaten viel vorsichtiger machen würde. Deshalb sind im Gegensatz zu den Steuerzahlern alle Regierungen ja massive Gegner einer solchen Umschuldung. Denn wenn erstmals ein EU-Staat auch offiziell bankrott geht, würden sich andere Regierungen nur noch viel schwerer durch neue Anleihen verschulden können. Was Politiker jedoch nicht so sehr lieben. Denn ohne die Möglichkeit, sich scheinbar problemlos immer mehr zu finanzieren, fürchten sie, rasch an Popularität zu verlieren.

Sie fürchten das vielleicht gar nicht zu Unrecht. Haben sie doch in den meisten Ländern die Menschen immer mehr an die Einstellung gewöhnt: Brot und Spiele gibt es gratis und jedes Jahr mehr. Da werden die Menschen zweifellos protestieren, wenn ihnen eines Tages die Wahrheit zugemutet wird. Und je mehr von der Politik in den letzten Jahren und Jahrzehnten gelogen worden ist, umso mehr werden die Menschen protestieren.

Der Rettungsschirm hat daher durchaus auch für Regierungen wie jene in Deutschland und Österreich eine rettende Funktion, obwohl sie viele Milliarden auf den Tisch Europas legen müssen. Diese rettende Funktion gibt es freilich nur sehr befristet. Aber mit ihrer Hilfe können sie wenigstens für sich selbst die Stunde der Wahrheit noch ein wenig hinausschieben. Auch wenn diese dann umso brutaler sein wird. Jedoch trifft das dann wohl erst die nächste oder übernächste Regierung.

So erhoffen es zumindest die heutigen Regierungschefs. Worin ich mir freilich nicht so sicher wäre. Denn so manche Experten meinen, dass etwa Österreich auf Grund seiner gegenwärtigen Schuldenpolitik schon 2012 eine Herabstufung seiner Kreditwürdigkeit hinnehmen wird müssen. Das bedeutet deutlich höhere Zinslasten nicht nur schon für diese Regierung, sondern auch für österreichische Unternehmen. Das bedeutet dann in der Folge das Ausbleiben von Investitionen und die Abwanderung von Betrieben.

Zu Recht werden all diese Aspekte nun europaweit heftig diskutiert. Was aber interessanterweise überhaupt nicht diskutiert wird, wäre eigentlich viel wichtiger, spannender und für die Zukunft lehrreicher. Das ist nämlich die Frage: Was hat die Krisenländer überhaupt in die Zahlungsunfähigkeit geführt, beziehungsweise an deren Rand?

Und da gibt es über alle geographischen und politischen Unterschiede hinweg eine Gemeinsamkeit unter allen PIIGS-Staaten, also Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien: Sie alle lassen sich seit Jahrzehnten von den restlichen EU-Ländern alimentieren. Sie alle haben viel mehr EU-Geld abgecasht, als es den Osteuropäern gelungen ist – obwohl die zum Großteil wirklich arm sind, ärmer jedenfalls als die PIIGS. Das Geld ist auf vielfältige Weise geflossen, vor allem über Kohäsions- und Strukturfonds.

Europa müsste endlich die zentrale Lektion erkennen, die viel wichtiger ist als alle Argumente rund um den Rettungsschirm: Man wollte helfen, hat in Wahrheit aber geschadet. Man hat den Menschen und Regierungen generationenlang vermittelt, dass sie jemand anderer alimentiert. Dadurch haben jene Nationen aber die zentrale Grundlage jeder Volkswirtschaft verlernt: nämlich das Bewusstsein der Eigenverantwortung.

Wenn man immer jemand anderen findet, der einem Geld zuschießt, dann wird man halt wie ein junger Mensch nie wirklich lebenstüchtig werden. Wozu sich anstrengen, wozu lernen, wozu sich in einem Beruf durchbeißen, wenn man eh immer die Oma anpumpen kann? Das führt dann sogar dazu, dass die liebe Oma aus Brüssel sogar Dinge finanziert, auf die selbsthaltungsfähige Nationen in der Regel verzichten. Etwa auf Autobahnen, die von kaum jemandem genutzt werden, wie jene auf der Iberischen Halbinsel.

Warum hat die EU das aber überhaupt getan? Aus mehreren Motiven: Erstens weil überzeugte Anhänger einer antiautoritären Erziehung die skizzierten Folgen gar nicht begreifen; zweitens weil Politiker fast genetisch zwingend Unsinn anstellen, wenn sie über Geld verfügen; drittens weil die Politik fälschlicherweise geglaubt hat, durch Geldspritzen den Wohlstandsabstand zwischen den „reichen“ und „armen“ Europäern ausgleichen zu können, während sie diesen in Wahrheit einzementiert; viertens, weil exportorientierte Länder wie Deutschland sich dadurch Abnehmer ihrer Industrieprodukte züchten  wollten; fünftens weil es den Nehmerländern immer wieder geglückt ist, den Geberländern schlechtes Gewissen wegen angeblicher Unsolidarität einzujagen.

Sechstens aber, weil die Nehmerländer die anderen Mitgliedsstaaten oft genug erpresst haben: damit sie in die EU kommen (es sind ja bis auf Italien lauter Spätberufene); damit sie in die Währungsunion kommen; damit sie weiter alimentiert werden. Die bei den Erpressungen verwendeten Drohungen hatten unterschiedliche Inhalte. Am Anfang hieß die Erpressung etwa Nato. Also: Wenn ihr uns nicht in die EU nehmt und alimentiert, dann treten wir aus der Nato aus. Diese direkte oder indirekte Drohung aus Athen, aus Madrid, aus Lissabon war für die Westeuropäer in den Jahrzehnten der Ost-West-Konfrontation sehr bedrohlich. Sie war aber auch glaubwürdig, weil dort nach den Jahren der Diktaturen sehr linke Regierungen amtierten.

Viele andere Drohungen nutzten etwa das Vetorecht jedes einzelnen EU-Mitgliedsstaates aus. So war etwa rund um die Osterweiterung zu hören: Wenn wir nicht mehr Geld bekommen, dann legen wir ein Veto gegen jedes neue Mitglied ein.

Aus all dem kann man zwei Lehren ziehen: Erstens, es lohnt sich nie, einer Erpressung nachzugeben. Zweitens: Je mehr ich ein Land alimentiere, umso weniger wird es selbsterhaltungsfähig. Das zeigt sich im übrigen auch in der Entwicklungshilfe – aber das ist eine andere Geschichte.

(Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.)

 

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30 Milliarden verpulvert

10. April 2011 16:32 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

30 Milliarden Euro, astronomische 420 Milliarden in guten, alten Schillingen, haben Faymann/Pröll für Österreich gegenüber Brüssel an Verpflichtungen für die vorgebliche, doch nie funktionierende „Rettung“ von Pleitestaaten übernommen. 21 Milliarden Euro muss Österreich in den Europäischen Stabilitäts-Mechanismus (ESM) einzahlen, oder an Garantien übernehmen.

Außerhalb des ESM überweist Österreich 2,3 Milliarden Euro an die Griechen als Kredit. Ursprünglich sollte dieser, wie Pröll uns hoch und heilig versicherte, ein gutes Geschäft sein und nach drei Jahren zurückgezahlt werden. Jetzt wurde er still und leise auf sieben Jahre verlängert. In Wahrheit wird dieser Kredit nie zurückgezahlt, sondern immer wieder erneuert und herumgeschoben werden. Die Verschuldung Griechenlands erhöht sich laufend, die zugesagten Sparpläne werden nicht eingehalten. Trotzdem fließen die Gelder weiter und verschwinden in einem schwarzen Loch.

Für rund 80 Milliarden Euro hat die europäische Zentralbank (EZB) statutenwidrig Staatsanleihen zahlungsunfähiger Staaten aufgekauft. Würde sie diese Staatsanleihen zu Marktpreisen bewerten, wäre die EZB überschuldet. Vorsorglich hat sie ihr Kapital Ende 2010 verdoppelt. Die Kapitaleinlagen und die der EZB gewährten Kredite der österreichischen Nationalbank wird Österreich allerdings nur beim Salzamt einklagen können. Auch sie werden, das lässt sich heute schon absehen, nie zurückgezahlt werden.

Außerdem zog Österreich bei der Kapitalerhöhung des internationalen Währungsfonds (IWF) und den „New Arrangements to Borrow“  im Ausmaß von rund sechs Milliarden Euro mit. Auch diese Gelder kommen nie zurück. Die IWF- Kredite für Griechenland, Irland und demnächst Portugal werden mehr früher als später wohl vom ESM übernommen, denn die Amerikaner, die im IWF das Sagen haben, denken nicht daran, sich an der „Rettung“ von europäischen Pleitestaaten dauerhaft zu beteiligen.

Und jetzt redet man schon davon, dass der noch gar nicht existente ESM von 500 Mrd. Euro auf das Doppelte aufgestockt werden muss, damit unter Umständen auch Spanien, Italien, Frankreich, Belgien etc. noch Platz haben! Und wenn sie unter den Rettungsschirm „schlüpfen“ wird Österreich auch noch deren Garantiequoten am ESM anteilsmäßig mit den anderen Triple-A-Staaten übernehmen müssen.

Anfang April wurde Portugal unter Verletzung des geltenden Lissabon-Vertrags Bailout-Hilfe von voraussichtlich rund 80 Milliarden Euro zugesagt, obwohl das portugiesische Parlament die Sparprogramme, welche die Voraussetzungen für die Hilfe sind, vor kurzem  abgelehnt hat und die Regierung zurückgetreten ist! Jede objektive Schulden-Tragfähigkeitsanalyse müsste zu dem Schluss kommen, dass Portugal nicht kreditwürdig ist.

Trotzdem ist für EU-Kommissionspräsident Barroso „alles schon geklärt“. Er hat recht. Geld entsteht ja aus dem Nichts. Das weiß inzwischen sogar Barack Obama. „Die Banken schaffen sich ihr Geld aus dem Nichts, während normale Menschen, um zu Geld zu kommen, schwer dafür arbeiten müssen“, lässt er im Interview vernehmen. Banken und Politiker haben vergessen, dass auch das Geld und die Kredite „aus dem Nichts“ durch die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des Kreditnehmers gedeckt sein müssen, sonst können sie nicht bedient werden und sind weg.

Griechenland, Irland oder Portugal werden mangels Wettbewerbsfähigkeit ihre ESM-Kredite nie bedienen, geschweige denn zurückzahlen können, denn sie dienen ja nur dem Konsum. Deshalb hält der Präsident des  deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, es für unverantwortlich, „gutes Geld dem schlechten nachzuwerfen“ und durch die sicher schlagend werdenden Haftungen, Umschuldungen und „Haircuts“ Wohlstand und Renten der Deutschen zu gefährden. Selbst er spricht jetzt wegen der einseitigen, von Deutschland verlangten Tribute, von einem neuen „Versailles ohne Krieg“. (Süddeutsche Zeitung vom 1. 4. 2011).

Volkswirtschaftlich bedeutet jeder Kredit, den wir anderen Ländern gewähren, eine Anweisung auf unser Sozialprodukt, das uns entzogen wird. In der Ukraine, Rumänien, Island, Zypern und am Balkan haben österreichische Banken durch leichtsinnige „Geschäfte“ inzwischen Milliarden versenkt und so den Wohlstand unsers Landes vermindert.

Allein die durch ihre Verluste eintretenden Steuerausfälle sind horrend und belasten uns Bürger, denn wir müssen die Steuerausfälle ja wettmachen. Und jetzt will Faymann, dass ausgerechnet Österreich bei den kommenden „Tributzahlungen“ mitmacht. Er hat am 24. März in Brüssel der Umwandlung der EU in eine Haftungs-, Transfer-, Fiskal- und Wirtschaftsunion mit „Wirtschaftsregierung“ unter Aufgabe der Reste der österreichischen Souveränität zugestimmt. Ohne – wie er in der Kronen Zeitung versprochen hatte – vorher das Volk zu befragen.

Zusammen mit Pröll will er das Volk ersetzen durch die vereinten roten, schwarzen und grünen Abnicker im Parlament. Und das Parlament will er durch eine Art „Ermächtigungsgesetz“ dann auch noch ausschalten. Entscheiden über Bailout-Kredite und „Anpassungen“ wird nach dem ersten Abnicken in Zukunft nämlich nur noch der Verwaltungsrat des ESM, in dem der österreichische Gesetzgeber nicht vertreten ist.

Wie war das doch? „Demokratie der Weg, Sozialismus das Ziel!“ Brüssel ist eine Etappe weiter auf dem Weg in die Neue Weltordnung des Internationalsozialismus. Trotz Stéphane Hessels Aufforderung wird sich kaum ein Bürger „empören“. Die meisten lassen sich widerstandslos in immer prekärere Verhältnisse zwingen oder die Steuergarotte um den Hals legen. Statt sich zu empören, stecken sie lieber „ihr Köpferl in Sand“, wie das Arik Brauer einst beobachtete und ihnen vorsang.

Univ.-Dozent Dr. Friedrich Romig lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen.

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Die Zugrunderetter

09. April 2011 23:59 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Rettungsbojen, Rettungsringe,
Rettungsleinen, Rettungsboot,
alle diesen guten Dinge
bringen Rettung in der Not.

Doch wenn einem ganzen Lande
Wasser bis zum Halse steht,
was heut’ weder Schuld noch Schande,
gibt’s zur Rettung ein „Paket“.

Freilich, wenn die Weisen „schnüren“,
was geschnürt wen retten soll,
schreiben sie, was wir dann spüren,
höchstens klein ins Protokoll.

Aber bei Metaphern eben
sind sie kreativ und firm,
und so gibt’s, um Trost zu geben,
obendrein den „Rettungsschirm“.

Dieser mag plausibler scheinen,
denn ist wer im freien Fall,
zieht er einfach an den Leinen,
und der Fallschirm füllt sich prall.

Allerdings mit solchen Thesen
hätten glatt wir uns verrannt:
Wie dazu wir nämlich lesen,
wird der Schutzschirm „aufgespannt“!

Ah, man denkt wohl, wie vom Regen
einer in die Traufe tritt –
klar, dann ist ein Schirm ein Segen,
auf gut Deutsch gesagt, ein Hit.

Da der Schutzschirm aber Zocken
eher fördert, statt wen schützt,
zagt man nicht, ihn „aufzustocken“,
dass vielleicht er trotzdem nützt.

Aufgestockt auch noch „verdoppeln“
will den Rettungsschirm man gar,
sozusagen dreifach moppeln,
grad als wär’s für immerdar.

Überspannt verbockt man’s weiter,
schützt und schirmt und stützt verstockt
und macht just die Räuberleiter
jenen, die das Geld verzockt!

Pannonicus

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Der Geruch der Lobbyisten

05. April 2011 00:44 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

„Ein Lobbyist hat einen besonderen Geruch“: So formulierte es Ernst Strasser in den heimlich mitgeschnittenen Anbahnungsgesprächen mit einem vorgeblichen Auftraggeber. Da kann man bloß sagen: Hätten Lobbyisten nur einen solchen Geruch! Dann bräuchte man lediglich einen Schnüffelhund anzusetzen und schon wüsste man, dass da einer lobbyiert.

Oder meinte der Lobbyist und Ex-EU-Abgeordnete damit gar, dass er den Lobbyisten-Gestank durch das feine Parfum eines gewählten EU-Mandatars zu übertünchen imstande sei? Dann hat er sich getäuscht. Oder zu wenig des Parfums angebracht.

Freilich: Je länger man über Lobbyismus debattiert und nachdenkt, umso unklarer wird die Grenze zwischen Gestank und Wohlgeruch. Denn ist nicht jeder EU-Abgeordneter ein Lobbyist, der nicht die Interessen von 500 Millionen EU-Bürgern oder zumindest 8 Millionen Österreichern gemeinsam im Auge hat, sondern nur bestimmte Gruppeninteressen vertritt?

Niemand kann objektiv zwischen guten und schlechten Interessen entscheiden. Wer es tut, der irrt – oder ist selbst ein Lobbyist. Denn absolut jedes Einzelinteresse droht auf Kosten eines Dritten zu gehen. Wenn sich etwa ein Abgeordneter vor allem für die Interessen von Bauern einsetzt – was ja manche ganz offen tun –, dann hat das in aller Regel negative Folgen für alle anderen Bürger. Sie müssen höhere Preise für Agrarprodukte zahlen. Sie müssen neuerdings für den von der EU nicht zuletzt auf Drängen der Bauern-Lobbyisten gepushten Biosprit mehr zahlen. Und sie müssen vor allem für all die Subventionen höhere Steuern zahlen, von denen Europas Bauern heute in viel höherem Ausmaß leben als vom Erlös ihrer Produkte.

Genauso schädlich für die Allgemeinheit und insbesondere die Zukunft eines Landes sind Arbeitnehmervertreter und Gewerkschafter als Gesetzgeber. Sie sind beispielsweise hauptschuld, dass unsere Pensionssysteme binnen weniger Jahre in die Unfinanzierbarkeit hineintreiben. Denn diese Arbeitnehmervertreter haben es bisher meist mit Erfolg verhindert, dass das Pensionsantrittsalter erhöht wird, obwohl die Lebenserwartung alljährlich um drei Monate ansteigt.

Das kann man durch alle Berufsgruppen durchdeklinieren. Wären dann etwa am Ende nur noch der Objektivität verpflichtete Wissenschaftler gute Abgeordnete? Nun, auch da habe ich so meine Zweifel.

Tatsache ist, dass auch bei diesen seltsame Verhaltensweisen auffallen. Sobald sie sich etwa zu Budgetfragen äußern, sind sie zwar (zu Recht) für Sparsamkeit und Schuldenreduktion. Nur wollen sie dabei immer mit Konsequenz einen Bereich ausgenommen sehen: die Wissenschaft. Wer aber profitiert von höheren Ausgaben für diese? Es sind natürlich die Wissenschaftler. In Wahrheit könnte man auch bei Wissenschaftsausgaben reihenweise nachdenken, ob sie überall sinnvoll sind. Was aber politisierende Wissenschaftler nie ansprechen. So sind beispielsweise praktisch alle politologischen und publizistischen Forschungsarbeiten (halt ein Bereich, wo ich mich ganz gut auskenne) keinen einzigen Steuer-Euro wert.

Und kaum besser ist es, wenn man sich sehr spezifischen lokalen Interessen verpflichtet. So ist es durchaus problematisch, wenn etwa ein gesamt-österreichischer Minister auffallend oft jemanden aus seinem Heimatbundesland und besonders oft jemanden aus einem Nachbardorf für wichtige Funktionen nominiert.

Auf diesen Hinweis „Eigentlich sind fast alle Lobbyisten“ werden nun manche entgegnen: Aber böse sei es jedenfalls, wenn Geld fließt. Das ist aber ebenfalls bei näherem Hinsehen eine sehr fließende Abgrenzung. Dann sind natürlich nicht nur die 100.000 Euro, die Strasser als Honorar verlangt, böse. Dann muss es auch jeder Gehalt sein, der einem Politiker aus seinem Hauptberuf zufließt. Das gilt dann ganz besonders, wenn der Politiker bei einer Institution tätig ist, welche die Interessenvertretung geradezu als Hauptzweck hat, etwa eine Kammer oder Gewerkschaft. Die haben ihn natürlich vor allem deshalb auf ihrer Gehaltsliste, damit er ihre Interessen und nicht die der restlichen Wähler vertritt.

Aber selbst, wenn kein Geld fließt, gibt es oft geldeswertige Abhängigkeiten. Diese bestehen am häufigsten in der Notwendigkeit, auch beim nächsten Mal an eine wählbare Stelle platziert zu werden. Wer aber nicht ordentlich Gewerkschafts- oder Bauern-Interessen vertreten hat, der wird halt nicht mehr an wählbare Stelle platziert werden.

Das führt uns zum Schluss: Den wirklich 100prozentig sauberen, vollkommen unabhängigen, nur dem jeweiligen Gesamtwohl verpflichteten Abgeordneten gibt es so gut wie nicht. Es gibt nur unterschiedliche Grade der Abhängigkeit. Das sollte man sich und allen Mitbürgern klarmachen, bevor man unerfüllbare Illusionen wachruft. Denn solche Illusionen sind die beste Grundlage dafür, dass die Bürger eines Tages der Demokratie abschwören und sich einem starken Mann, einer starken Einheitspartei ausliefern. Die dann freilich nur noch ihre ganz eigenen Interessen verfolgen und schon gar nicht die irgendwelcher Bürger.

Zumindest ein hilfreicher Schritt zur Reduktion solcher Abhängigkeiten könnte es sein, wenn diese in aller Transparenz stattfinden. Wenn also jeder Gehalt, jede s Honorar, ja sogar jede Vereinsmitgliedschaft eines Politikers bis hinunter zum Bürgermeister aufgelistet werden müssen. Dann weiß der Wähler wenigstens ungefähr, welche Netzwerke er da mitwählt.

Freilich: Die privaten Netzwerke und Freundschaften wird man nie wirklich erfahren können. Denn deren Offenlegung wäre zweifellos absolut unzumutbar. Auch ein Politiker muss das Recht haben, sich zum Kartenspiel oder auch für nächtliche Vergnügungen mit wem auch immer zu treffen, ohne dass er das öffentlich kommunizieren muss. Aber keine Frage: Dabei wird zweifellos nicht immer nur über private Dinge gesprochen werden. Irgendwo bleibt immer ein Bereich, wo es auf den persönlichen Charakter ankommt. Wo man ungebührliche Dinge vermeiden sollte, auch wenn die Dinge noch nicht öffentlich zum Skandal geworden sind. Etwa wenn eine Ministerin einen satten sechsstelligen Auftrag an eine ihr privat sehr, sehr nahestehende Unternehmerin vergibt.

Und noch in einem zweiten Bereich ist eine solche Transparenz unmöglich: nämlich bei allen Berufen mit einem Berufsgeheimnis. Dazu zählen etwa die Rechtsanwälte, Steuerberater oder Ärzte. Diese dürfen nicht einmal den Namen ihres Mandanten oder Klienten öffentlich kommunizieren, geschweige denn die Geschäfte, die sie mit ihnen machen. Dabei waren aber solche Freiberufler geradezu die typischen Berufe von Abgeordneten in den ersten Jahrzehnten der Demokratie.

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Sie lügen und betrügen auch bei der Schuldenstatistik

31. März 2011 16:10 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

„De facto kein Cent mehr an Schulden“; es gebe nur eine „Verschiebung der Zurechnung“: Mit dieser miesen Argumentation will Doris Bures darüber hinwegschwindeln, dass die Republik – und vor allem die von Bures und davor Werner Faymann zu verantwortenden ÖBB – schon wieder beim Lügen und Betrügen erwischt worden sind. Was nun EU-amtlich ist.

Die Politik arbeitet immer mit dem gleichen Schmäh: Wochenlang wurden alle einschlägigen Informationen zuerst mit dem Argument dementiert, dass noch gar nichts fix sei. Also dass noch gar nicht klar sei, ob die EU-Statistiker den Schuldenstand der Republik viel höher berechnen, als diese selber es getan hat. Dass also Österreich keineswegs mit den Betrügern aus Griechenland zu vergleichen sei.

Nun ist es doch passiert. Nun hat sich – Überraschung, Überraschung – doch herausgestellt, dass es am Schluss niemand anderer als der Steuerzahler ist, der die vor allem von der Gewerkschaft verschuldeten ÖBB-Schulden zu zahlen haben wird. Dabei waren wir doch so überzeugt, dass es der Weihnachtsmann sein wird.

Der Gesamt-Schuldenstand von Bund und Ländern am Jahresende wird nunmehr von der EU nicht mehr mit 68,9, sondern plötzlich mit 72,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angegeben. Und das Budget des Vorjahres hat nicht mehr 3,6, sondern 4,6 Prozent Defizit ergeben. Gleichzeitig weiß die ganze EU, nur nicht die österreichische Regierung, dass in den nächsten Jahren weitere Neuberechnungen noch weitere dramatische Verschlechterungen des Schuldenstandes ergeben werden. In den – weniger politisch beeinflussbaren – Daten der OECD finden sich diese schon längst. Dazu kommt noch die noch gar nicht einberechnete Kleinigkeit von zehn Milliarden Euro an Haftungen für die einst von einer Claudia Schmied geleitete Kommunalkredit.

Diese Zahlen müssten Österreich längst schon in den Schuldturm bringen, gäbe es nicht einige Länder, die es noch wilder getrieben haben. Womit nicht nur die schon am Finanztropf der deutschen und österreichischen Steuerzahler hängenden Länder gemeint sind. Bezeichnend ist etwa auch das sich selbst noch für stabil haltende Frankreich: Dort jubelt man sogar, weil das staatliche Defizit im Vorjahr „nur“ bei 7 Prozent gelegen ist. Da kann man sich offenbar schon rasch wieder einen neuen kleinen Krieg leisten.

In Österreich sind es die ÖBB, die nicht weniger als die Hälfte der neu „zugerechneten“ Schulden der Republik zu verantworten haben. Bei der Bahn werden Schulden gemacht, als würden alte Dampflokomotiven mit neuen Euro-Noten angeheizt werden. Dabei würden die vielen Redemanuskripte der diversen ÖBB-Manager reichen, in denen immer wieder Besserung versprochen worden ist.

Die neuen Zahlen sind alles andere als Kleinigkeiten und sollten eigentlich eine Schockwelle durchs Land schicken. Dennoch beharrt die Regierung auf dem Bau von Koralm- und Brennertunnel. Dennoch weigert sich die SPÖ, die Hacklerregelung abzuschaffen oder die Studiengebühren wiedereinzuführen. Dennoch leisten wir uns neun Landeshauptleute, die zum Teil Hof halten, als wäre hierzulande gerade der Goldrausch ausgebrochen. Die unsinnige Dinge wie überdimensionierte Straßen, wie die Luxusgehälter der Wiener Rathaus-Beamten, wie die Flut niederösterreichischer Sommerfestivals, wie überflüssige Spitäler finanzieren. Natürlich finanzieren sie das nicht selber, sondern sie tun es mit unserem Geld, aber ohne uns zu fragen.

 

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Der Club Berlakovich und die Apokalypse

29. März 2011 10:21 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

In der gegenwärtigen Atomaufregung gibt es trotz allem bisweilen Grund zu einem erheiterten Auflachen. Zumindest in Österreich.

Da sagt der Wirtschaftsminister (zu Recht und erstaunlich unpopulistisch), dass das Land sich in der Atompolitik nicht allzusehr „die Schuhe aufblasen“ solle. Dieser offenbar im Mühlviertel übliche Spruch bedeutet die realistische Erkenntnis, dass sich der allergrößte Teil der EU-Länder nicht gerade von Österreich seine Energiepolitik vorschreiben lassen wird. Das hindert freilich den Landwirtschaftsminister nicht, wenige Tage später zu einem großen Bündnis der europäischen Atomgegnerstaaten zu blasen.

Die Liste jener fünf Staaten, die er dabei hoffnungsvoll als künftige Waffenbrüder aufzählt, ist ja nun wirklich eindrucksvoll: Zwei davon sind Zypern und Malta, also völlig bedeutungslose, aber kräftig EU-Hilfe kassierende Mittelmeerinseln. Und die anderen drei sind: Griechenland, Irland und Portugal. Diese drei Länder haben wir doch in ganz anderem Zusammenhang zuletzt ständig gehört und gelesen? Ob das auch einem Berlakovich auffällt?

Diese Armada der Bankrotteure und Inselzwerge ist ungefähr so eindrucksvoll, wie wenn die Freiwilligen Feuerwehren aus Berlakovichs Burgenland jetzt der Nato den Krieg erklären würden. Aber wahrscheinlich bin ich ein bezahlter Atomlobbyist, wenn mich dieser „Club Berlakovich“ nicht ganz davon überzeugen kann, dass AKW-losigkeit wirtschaftlich für Europa eine sehr sinnvolle Strategie ist. Übrigens auch für Österreich nicht, konsumiert das Land doch mindestens sechs Prozent seines Stroms aus Atomkraftwerken. Der nun übrigens sehr knapp werden wird, weil auch Deutschland den Strom aus seinen plötzlich stillgelegten Kraftwerken durch Import von französischem Atomstrom ersetzen muss.

Einen atomkraftwerksfreien Staat eines anderen Typus hat der wackere Minister hingegen bei seiner Aufzählung vergessen: nämlich Dänemark. Das wäre ja auch ein aufschlussreiches Beispiel für ein entwickeltes Land ohne Nuklearenergie: Denn in Dänemark zahlen die Haushalte um ein volles Drittel mehr für die Kilowattstunde als die Österreicher. Obwohl diese jetzt schon laut Eurostat den sechsthöchsten Strompreis unter den 27 EU-Staaten haben.

Daher sollte man bei aller täglichen Panikmache aus den Medien, die etwa in der vom ORF und der Fellner-Zeitung (jedoch keinem einzigen Wissenschaftler) über Österreich gesichteten Atomwolke gegipfelt ist, doch auch ein bisschen davon reden, welche Alternativen für die anderen EU-Staaten ein konsequenter Anti-Atom-Kurs bedeutet. Entweder den raschen griechischen Weg in den Bankrott oder den arbeitsplatzvernichtenden Weg eines exorbitant hohen Strompreises.

Wobei die Dänen freilich durch andere wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen ihre Stabilität trotzdem absichern können. Nur bestehen diese in einem so kapitalistischen und rechten Kurs, dass er Grün&Co (also allen fünf österreichischen Parteien) wohl auch nicht so recht gefallen wird: In Dänemark können beispielsweise Arbeitgeber jederzeit und ohne Beschränkungen kündigen; Dänemark hat auch die höchsten Hürden gegen Zuwanderung aufgebaut. Das entlastet den dänischen Sozialstaat im Vergleich zu Deutschland oder Österreich massiv, da ja Zuwanderer in viel höherem Ausmaß die Wohlfahrtskassen belasten als Inländer.

Fast so skurril wie jener „Club Berlakovich“ ist aber auch das, was sich in den vergangenen Wochen in Österreich abgespielt hat: Da waren binnen kurzem sowohl Geigerzähler wie auch die (keineswegs ungefährlichen) Jodtabletten ausverkauft. Das war natürlich eine Folge der Rund-um-die Uhr-Panik der Medien.

Dieser Panik sind fast nirgendwo die relativierenden Fakten gegenübergestellt worden. Dazu hätte etwa die Tatsache gehört, dass nach dem Unfall im viel näher gelegenen Tschernobyl bis heute kein einziger gesundheitlicher Schadensfall in Österreich nachweisbar ist. Obwohl damals die Aufregung ebenso groß war, obwohl damals ein Gesundheitsminister wegen angeblicher Sorglosigkeit zurücktreten musste, obwohl damals ein (mir persönlich gut bekannter) SPÖ-Spitzenpolitiker seine Wohnung zwei Jahre lang nur noch in Socken betreten hat, um nur ja keinen verstrahlten Staub hineinzutragen, und seinen Milchbedarf nur mit kanadischem Trockenmilchpulver gedeckt hat.

Man hätte auch an andere Panikfälle erinnern können, die uns wochen- oder monatelang beschäftigt hatten, die heute aber wieder völlig vergessen sind: Etwa an die Vogelgrippen-Panik mit der höchsten Alarmstufe oder an die BSE-Krise. Während dieser hat ein Jahr lang fast niemand mehr Rindfleisch gekauft; während dieser sind in Deutschland sowie Österreich Zehntausende Rinder abgeschlachtet worden. Das alles wegen des vagen Verdachts, dass in Großbritannien einige Menschen an einer von Rindern übertragenen Krankheit verstorben sind.

Ich ließe mir ja all diese Paniken, Ängste und Vorsichtsmaßnahmen einreden, wenn die gleichen Menschen mit gleicher Intensität auf das Rauchen und Autofahren verzichten und ihr Übergewicht bekämpfen würden. Immerhin sterben daran alljährlich Millionen Menschen, also mehr als in den kühnsten Greenpeace-Phantasien an Atomunfällen sterben könnten. Aber diese Gefahren sind viel zu groß, viel zu offensichtlich und viel zu wenig unheimlich, als dass wir uns vor ihnen fürchten würden, und als die quoten- und auflagengeilen Medien für die tägliche Apokalypse nutzen könnten.

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30 Mal das japanische Erdbeben

29. März 2011 00:45 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels haben sich zwar schon seit Tagen und Wochen abgezeichnet. Sie sind aber dennoch bedrückend. Denn sie bedeuten, auf den Punkt gebracht: Wenn all die Haftungen schlagend werden, welche die noch stabilen Länder Europas nun eingehen, wenn auch von dem nunmehr bar aufzubringenden Geld nichts zurückfließt, was viele Experten prophezeien, dann wird das Österreich und Deutschland in eine ganz schwere Wirtschaftskrise stürzen. Gegen die dann ausbrechende Krise wird sich die letzte der Jahre 2008/09 geradezu harmlos ausnehmen.

Um nur die Zahlen für Österreich zu nennen: Das Land muss nicht weniger als 17,3 Milliarden an Haftungen für den sogenannten Euro-Stabilisierungsfonds übernehmen. Dazu kommen weitere 2,2 Milliarden Euro an Bargeld. Denn offenbar halten die Finanzmärkte nicht einmal mehr die gemeinsame Haftung selbst der stärksten europäischen Länder für glaubwürdig, sie wollen statt dessen lieber zunehmend Bares sehen. Die Geldgeber wissen nämlich, auch diese „stärksten“ Europäer sind alle selbst nur im Vergleich zu den meistverschuldeten Staaten stark. Unter objektiven Gesichtspunkten müssten auch sie als schwer krank gelten.

Insgesamt geht es um einen 700-Milliarden-Euro-Fonds. Zum Vergleich der Größenordnungen: Die Folgen des japanischen Erdbebens und Tsunamis für alle Versicherungen werden derzeit auf 20 bis 25 Milliarden geschätzt. Mit anderen Worten: Europa geht Risiken für rund 30 Mega-Katastrophen ein.

Skurrilerweise hat die EU zugleich beschlossen, dass die zur Finanzierung (zumindest) des Bargelds notwendigen neuen Schulden nicht auf die Schuldenquote der einzelnen Länder angerechnet werden. Das wird die Glaubwürdigkeit der diversen europäischen Statistiken wieder einmal ungemein erhöhen – so wie das ja schon die Betrügereien Griechenlands geschafft haben. Die Märkte – das sind alle jene, die den EU-Staaten weiteres Geld borgen sollen, – werden offenbar für eine Ansammlung von Dummköpfen gehalten. Was sie aber nicht sind.

Daher werden die Österreicher, die Deutschen und alle anderen künftig für die Finanzierung ihrer Staatsdefizite deutlich höhere Zinsen zahlen müssen. Denn sie liegen ja in Sachen Schuldenmacherei nur um wenige Jahre hinter den Griechen. Die Kosten dieser höheren Zinsen kommen jedenfalls noch zu den Kosten der Haftungen und Kreditaufnahmen hinzu.

Bis auf ganz wenige Ausnahmen gehen alle internationalen Analysen davon aus, dass Griechen und Iren (und in Zukunft auch die Portugiesen und Spanier) niemals die Kredite zurückzahlen werden, die sie jetzt auf Grund der Haftung der Miteuropäer jetzt wieder aufnehmen können.

In den Stunden seit dem Gipfel werden wir mit einer Flut von Propaganda eingedeckt, dass es parallel zu diesen unpopulären Haftungen und Krediten ja auch positive Beschlüsse gäbe. So drohen den Defizitsündern künftig harte Strafen. So werde die Sozial-, Wirtschafts- und Haushaltspolitik viel enger abgestimmt werden.

Beides kostet den gelernten Europäer aber nur einen Lacher. Diese politische Abstimmung ist eine fromme Absichtserklärung ohne jede Konsequenz, wenn sie nicht stattfindet. So hat der österreichische Bundeskanzler typischerweise sofort die Forderung von Angela Merkel abgelehnt, dass das Pensionsalter (die Schuldenlasten durch das Pensionssystem wachsen ja am raschesten) automatisch angehoben werden muss, oder dass zu hohe Lohnsteigerungen (die für den Standort Europa schädlich sind) verboten werden. Mit dem Njet Werner Faymanns und einiger anderer ist bereits klar bewiesen, was von diesen Absichtserklärungen zu halten ist.

Noch unglaubwürdiger sind die angekündigten Strafen für Defizitsünder. Denn so wie bisher werden die Strafen erst fällig, wenn die Minister der Mitgliedsländer zugestimmt haben. Und diese Minister haben schon in der Vergangenheit immer gegen Strafen gestimmt. Eine Schulden-Krähe kratzt bekanntlich der anderen kein Auge aus. Sonst hätten ja schon fast alle EU-Länder längst Strafen zahlen müssen und in Zukunft müssten sie erst recht alle zahlen. Sind doch die Kriterien gleich streng geblieben, aber inzwischen noch viel realitätsferner geworden: drei Prozent maximale Neuverschuldung, 60 Prozent maximale Gesamtverschuldung.

Außerdem: Wenn es einem Land finanziell schlecht geht, dann erhöht eine Geldstrafe ja nur die Finanzprobleme dieses Staates. Sie ist daher nicht wirklich sehr logisch. Vor allem aber ist es unlogisch, wenn man durch Haftungen und Kredite diesem Schuldenland Geld zuschiebt, das man ihm gleichzeitig über solche Strafen wieder abzunehmen droht. Irgendwer muss da die Menschen für sehr dumm halten. Nein, nicht irgendwer, sondern die europäischen Regierungschefs sind es, die vor uns diese Luftburg aufgebaut haben. Die sie aber als eine funktionierende europäische Architektur bezeichnen.

Wie ernst es den Schuldenländern mit dem Sparen ist, sieht man nach dem Scheitern des portugiesischen Sparpakets etwa auch ganz aktuell an Spanien: Dort haben die Mitarbeiter der Flughäfen in den vergangenen Stunden mit Streik gedroht, und prompt haben sie von der Regierung eine Garantie bekommen, dass ihre Tarifverträge nicht angetastet werden, und dass es auch keine Entlassungen gibt, selbst wenn die Flughäfen aus Geldnot verkauft werden sollten. Was die spanische Politik offenbar nicht begreift: Erstens, wer sich einmal erpressen lässt, wird noch viel öfter erpresst. Zweitens, Spanien wird natürlich nun bei einem Verkauf der Flughäfen deutlich weniger Geld bekommen. Denn jeder Käufer zieht diese teuren Garantien vom Kaufpreis ab. Das ist nur ein kleines von vielen Beispielen, dass die politische Klasse Europas noch immer nichts verstanden hat.

Hätten die Regierungschefs die angekündigten Strafen für die Defizitsünder ernst genommen, dann hätten sie diese ja auch gleich der natürlichen Strafe überlassen können. Dann ist es auch absolut unverständlich, warum die Regierungschefs solche gewaltigen Risiken eingehen, nur um die Sünderländer vor der gleichsam automatischen Strafe bewahren. Denn die Marktwirtschaft hat ja längst klare Konsequenzen entwickelt, wenn jemand seine Schulden nicht mehr bezahlen kann: nämlich Konkurs, Ausgleich, Umschuldung.

Das sind gewiss auch für deren Gläubiger unangenehme  Konsequenzen. Sie sind aber tausend Mal klüger und besser als der nun in Europa angesagte Schrecken ohne Ende, der noch viel mehr Opfer fordern wird als eine solche Umschuldung.

Was würde denn bei einer so gefürchteten Umschuldung, einem „Haircut“ eines Landes nun wirklich passieren? Dem Euro würde trotz aller Schreckensmeldungen nichts passieren; das Land müsste sich mit den Gläubigern an einen Tisch setzen und einen genauen Plan einer Umschuldung aushandeln, der meist in Fristerstreckungen und einem teilweisen Forderungsverzicht besteht; das wiederum würde etliche Banken und Fonds in den Gläubigerländern treffen – aber die haben in den letzten Jahren ohnedies schon durch hohe Zinsen viel von dem verborgten Geld zurückbekommen; außerdem wäre selbst eine eventuelle neue Bankenhilfe weit billiger als der 700-Milliarden-Fonds; die Regierungen der Schuldnerländer bekämen eine sehr gute Argumentationsbasis gegenüber den Gewerkschaften, und könnten all die angeblich wohlerworbenen Rechte und Privilegien in Frage stellen, die unsere Zukunft bedrohen.

Das wichtigste an einem solchen Staatsbankrott (oder mehreren) wäre die Vorwirkung auf andere Staaten. Denn dann müssten alle sofort viel sparsamer agieren. Dann würde sich jeder Gläubiger seine Kreditnehmer viel genauer anschauen. Dann müssten Banken auch Kredite an Staaten als Risikopapiere behandeln und zum Unterschied von heute so wie jeden anderen Kredit mit Eigenkapital unterlegen. Dann würden auch die Menschen spüren, dass die Lage weiterhin, trotz Zwischenkonjunktur, eine ernste ist.

Aber die europäischen Regierungschefs haben diesen konsequenten Weg vermieden. Sie gleichen einem an Lungenkrebs Erkrankten, der weiter raucht – oder an die Heilung durch eine Diät glaubt, aber auf die (vielleicht) lebensrettende Operation oder Chemotherapie verzichtet. Sie sind damit kurzfristig Unangenehmem ausgewichen, haben aber langfristig ein umso größeres Risiko eingegangen.

Freilich: Noch ist der Beschluss der Regierungschefs rechtlich nicht Realität. Vorher muss es noch eine – scheinbar kleine – Änderung der EU-Verträge geben. Denn bisher ist ja ein Bailout, also die Übernahme der Schulden eines anderen EU-Landes, europarechtlich verboten. Das dürfte auch der deutsche Bundesgerichtshof in Karlsruhe vermutlich bald der Berliner Regierung klarmachen.

Diese Vertragsänderung muss daher noch durch die Parlamente. Sie braucht etwa in Österreich sogar eine Zweidrittelmehrheit. Daher darf man gespannt sein, ob diese Änderung in allen EU-Ländern wirklich zustandekommt. Welche Oppositionspartei wird in Österreich die Hand zum 30fachen Erdbeben reichen? Am ehesten stehen die Grünen im Verdachtsverhältnis. Aber auch sie werden sich die Zustimmung teuer abkaufen lassen.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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Angela - Home alone

28. März 2011 09:36 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Wie kann die deutsche Regierung nach diesem vernichtenden Ergebnis bei zwei Landtags- und etlichen Kommunalwahlen noch weiterarbeiten? Wenn CDU/CSU und FDP trotz heftigen Gegenwinds das noch wollen, wird es sicher nicht helfen, die Schuld auf die regionalen Häuptlinge zu schieben oder gar sich zu freuen, dass „nur“ die Grünen“ – diese jedoch erdrutschartig –, nicht jedoch die SPD gewonnen haben. Das wird wohl nur dann gehen, wenn man sowohl bei der CDU wie bei der FPD plötzlich wieder klar erkennen kann, wofür diese Parteien stehen. Ja, dass sie überhaupt noch für etwas stehen. Dass die Regierung an der Spitze des größten europäischen Landes doch noch Führungskraft hat.

Und das hat die Regierung Angela Merkels bisher in keiner Weise geschafft. Gewiss können Deutschlands Schwarze und Gelbe klagen, dass binnen wenigen Wochen zwei GAUs passiert sind, die nicht wirklich beeinflussbar waren. Weder der japanische Atomunfall noch die (wenn auch unter kräftiger Mitwirkung linker Uni-Netzwerke erfolgte) Demontage des Ministers Guttenberg waren von den Parteiführungen ausgelöst worden. Aber schlecht reagiert haben sie in jedem Fall. Das trifft auch auf die Migrations-, Finanz- und Nahostkrise zu.

Merkel und ihr Partner Westerwelle erwecken in keinem Deutschen mehr den Eindruck, klar für einen Kurs zu stehen. Sie strahlen Unsicherheit aus, man merkt bei jeder Maßnahme, dass sie nur auf die Umfragen schielen und nicht von irgendwelchen klaren liberal oder konservativ geprägten Überzeugungen ausgehen. Das kann man Thema für Thema durchdeklinieren.

  1. Atomunfall: Die Regierung ließ sich von der Panikwelle mitreißen und signalisierte mit ihrem über Nacht verhängten Moratorium eigenhändig einer durch die Medien ohnedies schwer verunsicherten Bevölkerung, dass CDU und FDP mit ihrem vor wenigen Monaten erneuertem Bekenntnis zur Atomkraft einen Fehler begangen hätten. Sie gewannen dadurch jedoch keinen der Verängstigten zurück – dies umso weniger, als der FDP-Wirtschaftsminister in einer die letzte Glaubwürdigkeit zertrümmernden Rede das Moratorium als bloße Wahlkampftaktik geoutet hat. Was ohnedies die meisten vermutet hatten. Gleichzeitig hat die Regierung dem weniger verängstigten Teil Deutschlands aber auch keine Antwort gegeben, wie das Land seine Energiezukunft lösen wird, ohne den Standort zusätzlich massiv zu belasten. Denn acht Atomkraftwerke zusperren und dafür halt jede Menge französischen Atomstroms importieren, ist noch keine wirklich überzeugende Ansage.
  2. Guttenberg-Rücktritt: Das Video, das Merkels triumphierendes Lächeln zeigt, als sie auf ihrem Handy die Nachricht vom Rücktritt des plagiierenden, aber ungemein beliebten CSU-Ministers erhielt, war für viele schockierend. Hatte sie doch stets ihre Loyalität zu Guttenberg beschworen.
  3. Libyen-Krise: Es haben zwar viele verstanden, dass die Regierung keine deutschen Flugzeuge nach Libyen entsendet, aber dass sich die deutsche Diplomatie im Sicherheitsrat den Russen und Chinesen statt den Franzosen, Briten und Amerikanern anschloss, ließ in vielen Deutschen die Frage hochkommen: Wozu eine rechte Regierung wählen, wenn sie dann ohnedies eine linke, neutralistische Politik verfolgt?
  4. Noch viel vernichtender war der EU-Gipfel unmittelbar vor den deutschen Landtagswahlen. Merkel ist – wie zu erwarten war – mit dem groß angekündigten Versuch gescheitert, den schuldenlustigen Südeuropäern ein wirksames Korsett anzulegen. Sie hat aber dennoch zugestimmt, dass Deutschland mit der größten zusätzlichen Schuldenlast beschwert wird, die je eine Regierung zu verantworten hatte. Alle Deutschen, die nur einigermaßen Verständnis von finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenhängen haben, konnten und können darüber nur entsetzt sein. Der Eindruck ist umso verheerender, als vom EU-Gipfel knapp vor der Wahl doch noch ein „Erfolg“ Merkels gemeldet worden war: Deutschland muss seine Zahlungen in den europäischen „Stabilisierungs“-Fonds nicht zur Gänze im Wahljahr für den nächsten Bundestag, sondern kann sie auf Raten zahlen. Sodass sich schnell noch vor der Wahl eine Steuersenkung ausgeht. Mit anderen Worten: Merkel hat dort nicht für die Interessen Deutschlands, sondern in erkennbarer Weise für jene ihrer Parteitaktik gekämpft.
  5. Und auch beim letzten Punkt, weshalb Menschen normalerweise eher eine Partei rechts der Mitte als eine linke wählen, haben CDU und FDP versagt (lediglich die CSU hat die Hand noch ein wenig am Puls der Wähler): Nämlich bei der wachsenden Sorge vor Überfremdung und einer rapide zunehmenden islamischen Bevölkerung. Merkel hat die kluge und seriöse, aber auch schmerzhaft ehrliche Analyse des SPD-Dissidenten Thilo Sarrazin scharf verurteilt (ohne sie gelesen zu haben). Der CDU-Bundespräsident hat den Islam als Teil Deutschlands bezeichnet. Und die FDP-Justizministerin versucht in diesen Fragen überhaupt die SPD links zu überholen.

In allen fünf Punkten bleibt die Antwort offen: Warum soll man dann noch eine dieser beiden Parteien wählen? Da man keine Antwort mehr auf diese Fragen bekommt, geht man lieber gleich zu den Grünen, die wenigstens den Eindruck vermitteln, Überzeugungen zu haben. Was umso alternativloser war, da es zum Unterschied von anderen Ländern rechts von den deutschen Regierungsparteien keine brauchbaren Alternativen gibt.

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Die stillen Helfer

27. März 2011 03:02 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Fünfzehntausend Lobbyisten
sind in Brüssel stets aktiv,
werken hart wie Maschinisten,
denn sonst geht Europa schief.

Gleichsam seelische Berater
sind sie der Beamtenschaft,
sozusagen Lobbyater,
und das zehrt an Geist und Kraft.

Jeder dieser Lobby-Knaben
muß – im Durchschnitt kalkuliert –
täglich zwei Beamte laben,
dass die Mühe sich rentiert.

Da es in Gourmet-Lokalen
aber mangelt an Diät,
fällt’s nicht schwer, sich auszumalen,
wie’s da um Gesundheit steht!

Überstunden gibt’s desgleichen,
ist doch manchmal grünes Licht
nur im Rotlicht zu erreichen –
Dienstzeitregeln gelten nicht.

Sonnenklar, das ist kein Hobby,
und drum scheint es angebracht,
dass sich die Gewerkschafts-Lobby
endlich an die Arbeit macht:

Landesgruppen soll man gründen
für den Lobbyistenstand,
und natürlich muss das münden
im Europa-Dachverband.

Lobby-Kollektivverträge
bürgen dann im Endeffekt
auch für die Beamtenpflege,
die Europa ja bezweckt!

Pannonicus

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Die Täter sind bekannt - und auch noch stolz auf ihre Tat

25. März 2011 01:14 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Sie haben zwar wohlweislich bis nach Mitternacht gewartet, bis sie den blamablen Beschluss veröffentlicht haben. Aber dennoch werden die Beschlüsse dieses EU-Gipfels nicht untergehen. Man sollte man sich die Namen der Täter gut merken. Denn es kommt nach diesen Beschlüssen mit absoluter Sicherheit der Tag, an dem ganz Europa im Schuldenstrudel ertrinken wird.

Man weiß nur das Datum noch nicht genau. Und man weiß nicht, ob an dem Tag, da ganz Europa zahlungsunfähig geworden sein wird, einfach wieder ein – diesmal freilich völlig ungedeckter – Papier-Schilling gedruckt wird; oder ob Anleihen und andere Schuldscheine halt für wertlos erklärt werden; und in welchem Ausmaß das Ganze von massenweisem Vermögens- und Arbeitsplatzverlust begleitet sein wird. Wodurch in aller Regel auch Demonstrationen, Unruhen und manchmal auch Kriege ausgelöst werden.

Die nächtens verkündeten EU-Beschlüsse heißen: 17 Euroländer stellen 700 Milliarden zur Verfügung, um Griechen, Iren, (höchstwahrscheinlich) Portugiesen und wohl noch ein paar andere Schuldenländer ein paar Monate vor dem Konkurs zu retten. Davon müssen – erstmals! – sogar 80 Milliarden in bar fließen. Der Rest sind „nur“ Garantien, von denen man so tut, als müsste man sie nicht ernst nehmen. Mit anderen Worten: Im Glauben, die Passagiere eines sinkenden Bootes dadurch zu retten, steigen Österreich, Deutsche und andere auch noch in das gleiche Boot.

Dabei sind sie ja selbst alles andere als sicher unterwegs. Sie haben sich die jüngste Konjunkturkrise viel Geld kosten lassen. Sie verletzen hinten und vorne alle selbst definierten Stabilitätsziele. Und sie haben alle paar Wochen neue – angeblich völlig unabdingbare – Gründe, um noch mehr Geld auszugeben.

Da lassen sie sich vom Boulevard in eine lachhafte Atompanik hineintreiben (die Fellner-Zeitung titelte jetzt sogar schon „Atomwolke über Österreich“), von der vor allem Windmühlbauer profitieren. Das wird etwa die deutschen Steuerzahler weitere Milliarden kosten, sollten wirklich acht Atomkraftwerke endgültig vom Netz genommen werden.

Wenige Tage später wird ein Krieg gegen Libyen begonnen, der Europa wirtschaftlich viel kostet, und die unmittelbar kriegführenden Länder noch viel mehr. Der Krieg wird begonnen, obwohl es kein klares Kriegsziel gibt, obwohl die libyschen Aufständischen (denen man helfen will) ein völlig chaotisches Häuflein sind, das offenbar nur mit Gewehren in die Luft ballern und „Allah akbar“ rufen kann. Diese Aufständischen stellen aber ganz offensichtlich keinerlei militärische Bedrohung für Muamar Gaddafi dar. Aber die naiven Europäer glauben, dass mit diesem Haufen in Libyen Rechtsstaat und Demokratie ausbrechen werden. Und bei uns wahrscheinlich Freibier für alle . . .

Der Name, den sich die Österreicher jedenfalls gut merken sollten, heißt natürlich Werner Faymann. Er trägt in österreichischer Perspektive die Hauptverantwortung für diese absurden Beschlüsse, auch wenn die seit vielen Monaten ohne geistige Führung dahintorkelnde ÖVP nicht aus der Mitschuld entlassen werden kann.

Faymann hat nicht einmal versucht, sich auch nur eine Sekunde dem Wahnsinn entgegenzustellen. Statt dessen hat er in den letzten Tagen wie ein Sancho Pansa zum Kampf gegen Atomkraftwerke gerufen. Ja, Faymann hat sich sogar gegen den verzweifelten Versuch Angela Merkels quergelegt, den Europäern zwingende Disziplin bei Lohn- und anderen teuren Forderungen aufzuerlegen. Das wäre aber die letzte Chance gewesen, den geschlossenen Gang des Kontinents zum Konkursrichter noch abzuwenden.

Faymann hat in einer einzigen Nacht - ähnlich wie an dem unrühmlichen 24. September 2008 - mehr als zwei Milliarden Bares beim Fenster hinausgeworfen. Von den noch viel größeren Haftungen gar nicht zu reden. Aber Faymann redet vom Atom.

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Vorsicht Europa! - Rette sich wer kann

24. März 2011 01:15 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Das ist ein mehr als ironischer Kommentar der Weltgeschichte zum EU-Gipfel. Während die europäischen Regierungschefs mit einem Federstrich eine weitere schwere Verschuldung Europas in Rekorddimensionen beschließen, tritt in Portugal die Regierung zurück. Denn sie hat im Parlament keine Mehrheit für das vorgeschlagene – und in Wahrheit noch immer unzureichende – Sparpaket gefunden. Was mit Sicherheit heißt: In Kürze wird sich auch Portugal unter den von den anderen Europäern aufgespannten Rettungsschirm flüchten.

Damit findet eine weitere unheilvolle Fortsetzung des im vergangenen Jahr eingeschlagenen unheilvollen Weges statt: Die – relativ – sparsamen Völker Europas müssen für die üppige Ausgabenfreudigkeit ihrer schuldenlüsternen Unions-Genossen an den Ufern des Mittelmeers und Atlantik so heftig und so lange blechen, bis auch sie konkursreif sind.

Man kann natürlich sagen: Aus dem Fehler der Milliardenhilfen für Griechen und Iren folgen zwangsläufig die Hilfen für die Portugiesen, und wohl bald auch der Spanier und möglicherweise auch der Italiener (deren Kreditwürdigkeit mit Sicherheit dann kollabieren wird, wenn die Linke den Sturz von Silvio Berlusconi geschafft hat).

Nur: Niemand kann erklären, worin der Zwang wirklich besteht. Wir hören nur ständig unrichtige Pseudo-Argumente.

Einmal heißt es: Würden die Schulden-Länder nicht „gerettet“, dann würde das dem Euro schaden. Ein reiner Schwachsinn. Denn das Schlimmste, was dem Euro passieren könnte, wäre ein Sinken seines Kurses gegenüber dem Dollar. Worüber sich Europas Exporteure aber nur freuen könnten. Dann wieder wird irgendwelchen düsteren Spekulanten die Schuld gegeben, deretwegen sich die Regierungen leider, leider so schwer verschulden müssen. Auch das ist absoluter Unsinn. Die Schulden sind wegen der hemmungslosen Ausgabenlust der Politik vor und erst recht in der Krise entstanden, weil sich kein Politiker traut, mit den Menschen Klartext zu reden. Das Geld, das weltweit den Banken geborgt worden ist (was ja auch recht fragwürdig war), ist hingegen großteils schon wieder zurückgeflossen. Lediglich staatsnahe Banken sind längerfristig ein Problem: in Deutschland die Landesbanken, in Österreich die Hypo Alpen-Adria oder die Kommunalkredit (mit den prominenten Hauptdarstellern Jörg Haider und Claudia Schmied).

Dann wieder heißt es: Ohne eine solche „Rettung“ der Big-Spender-Nationen wären die Banken in anderen Ländern gefährdet. Jedoch: Durch diese „Rettung“ werden die Banken geradezu verleitet, auch weiterhin schlechten Schuldnern Kredite zu geben. Damit wird eines der wichtigsten Grundprinzipien einer Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt, nämlich: Jeder muss seine eigenen Risiken tragen. Und für normale Spareinlagen haftet sowieso jeder Staat, wenn Banken wirklich kollabieren sollten.

Von den verlogenen moralistischen Argumenten, man müsse doch in einem gemeinsamen Europa solidarisch sein, wollen wir gar nicht reden. Denn die Schuldner-Staaten wurden nicht schuldlos wie Japan von einem Erdbeben und einem Tsunami heimgesucht (das jede Solidarität verdienen würde), sondern sie haben wie Raimunds Verschwender jahre-, jahrzehntelang über ihre Verhältnisse gelebt. Den Portugiesen sind die von der eigenen Regierung vorgeschlagenen Sparmaßnahmen zu tiefgreifend – und zwangsläufig müssen Österreicher und andere Europäer tief in die eigeneTasche greifen.  

Um nur eine anschauliche Zahl zu nennen: In Irland sind die Gehälter in den letzten zehn Jahren um 110 Prozent gestiegen, in Österreich im gleichen Zeitraum nur um 30 Prozent. Die irischen Arbeitnehmer beziehen heute noch im wesentlichen ihre Gehälter weiter – und die österreichischen haften mit gewaltigen Summen dafür.

Was aber tut der österreichische Bundeskanzler an diesem Tag? Er reist vorzeitig vor dem EU-Gipfel zum EU-Kommissionspräsident und macht Druck, dass – die europäischen Staaten auf die Kernkraft verzichten. Was sie niemals tun werden, sind doch die größten Staaten Europas zu 23 bis 70 Prozent von der Atomenergie abhängig. Wovon sie sich weder von einem Faymann noch von manipulativen Greenpeace-Hetzfilmen im ORF abhalten lassen.

Wen wundert es da eigentlich, dass Europa immer unpopulärer wird, dass quer durch den Kontinent eine Welle der Demokratiemüdigkeit rast, und dass die Menschen ihr Geld lieber heute als morgen in Gold und Eigentumswohnungen verwandeln? Es rettet sich halt jeder wie er kann.

 

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Über Nacht ein neuer Krieg

22. März 2011 00:04 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die EU ist über Nacht in einen neuen Krieg geraten. Sie hat diesen aber weder ausgerufen noch geplant noch wurde er ihr erklärt. Und dennoch kann die neueste Intervention in Libyen bald zum großen Problem Europas werden. Zunehmend wird es fraglich, ob überhaupt noch jemand den Überblick hat, wo überall europäische Soldaten in mehr oder weniger gefährlichen Konflikten engagiert sind. Kosovo, Bosnien, Afghanistan, Golan-Höhen, Zypern, Libyen, Piratenjagd vor Somalia: Das ist ganz schön viel für eine Union, die massiv abgerüstet und geglaubt hat, nach Ende des Ost-West-Konflikts eine dicke Friedensdividende kassieren zu können.

Gewiss: Die in den letzten Tagen begonnene Luft-Intervention in Libyen könnte binnen weniger Tage erfolgreich beendet sein. Denn die Luftschläge gegen die Flugzeuge, Panzer und Militäranlagen Muamar Gaddafis könnten der Revolution trotz deren schlechter Rüstung nun wieder die Oberhand verschaffen.

„Könnte“ heißt freilich, dass auch eine ganz andere Entwicklung möglich ist. Dass die europäischen Staaten – und die in ihrem Kielwasser kämpfenden Einheiten aus den USA, Kanada und einigen wenigen arabischen Staaten – möglicherweise in ein langes und übles Kuddelmuddel mit völlig unklarem Ausgang hineingezogen werden könnten.

Ist Libyen das wert? Sicher nicht. Die Intervention einiger europäischer Staaten in Libyen ist ja ursprünglich auch alles andere als zwingend gewesen.

Europas Regierungen, aber auch Bürger haben sich keineswegs nach militärischen Abenteuern am Südufer des Mittelmeers gesehnt. Nur krankhafte Verschwörungstheoretiker können solches ernsthaft behaupten. Die europäischen Regierungen hatten sich mit den arabischen Diktatoren irgendwie arrangiert; vor allem die Sozialdemokraten, aber auch Silvio Berlusconi hatten sich zum Teil mit ihnen sogar befreundet. Diese Diktatoren hatten einem labilen Raum in der Tat ein Stück Stabilität gebracht. Sie waren Verbündete gegen den Terrorismus, sie verhinderten eine Massenemigration von Schwarzafrikanern nach Europa und ließen islamistischen Radikalen keinen Spielraum.

Das in Amateur-Analysen vielzitierte Öl spielt in Wahrheit überhaupt keine Rolle. Das muss nämlich jede libysche Regierung an den Westen verkaufen, weil sie das Geld braucht. Egal wie sehr sie den Westen hassen mag.

Heute jedoch ist alles anders. Heute ist die Intervention in der Tat unvermeidlich geworden. Wie das?

Plötzlich waren in einer Art Kettenreaktion aus primär ökonomischen Anlässen in zahlreichen arabischen Ländern Unruhen und Revolutionen ausgebrochen. Während Regierungen und Bürger Europas die Dinge aus der Distanz und voll skeptischer Unsicherheit betrachteten, übernahm in der EU eine andere Macht das Ruder: die Medien. Diese wurden von einem Fieber der Revolutionsgeilheit gepackt; sie  glaubten, die Massen auf den Straßen brächten nun Tunesien, Ägypten und Libyen über Nacht einen Rechtsstaat und die Demokratie.

Die Medien dürften sich damit wahrscheinlich genauso getäuscht haben wie einst bei ihrem Jubel über die Revolutionen in Kuba oder in Iran. Was die meisten Journalisten in ihrem Wunschträumen einfach nicht begreifen: Rechtsstaat und Demokratie können nicht durch die Straße allein begründet werden, sie brauchen zusätzlich tiefe bürgergesellschaftliche, zivilisatorische, kulturelle und ökonomische Wurzeln. Nur blinde Optimisten können solche tragfähige Wurzeln in den arabischen Ländern sehen.

Das hinderte die Medien nicht, die europäische Politik immer mehr zur Parteinahme für die diversen Revolutionäre zu zwingen. Sie hatten dabei großen Erfolg – und niemand erinnerte sich daran, wie sehr die selben Medien einst auch die amerikanische Intervention im Irak zuerst gefordert, dann bejubelt und schließlich verdammt hatten.

Die europäischen Regierungen setzten mit ihrem Einstellungswechsel in Tunesien und Ägypten auf das richtige Pferd. Sie brachen auch alle Brücken und Kontakte zu Gaddafi ab. Sie taten dies unter dem Druck der heimischen Medien – noch bevor diese von der Revolutionshysterie zur Atomhysterie gewechselt waren – und im Glauben, dass auch die libysche Opposition knapp vor dem Sieg stehe.

Das aber war ein Irrglaube: Gaddafi heuerte Söldner an und motivierte den verbliebenen Kern seiner Armee. Die daraufhin einen Siegeszug durch die schon befreiten Städte begann.

Nun war Europa total im Dilemma. Die alte Politik einer friedlichen Koexistenz mit dem manischen Selbstdarsteller Gaddafi war nicht mehr möglich. Gleichzeitig hat man sich selbst zum Hauptfeind das exaltierten Libyers gemacht. Das verheißt für die Zukunft nichts Gutes. Hat doch Gaddafi schon einmal eine Periode terroristischer Aktivität hinter sich. Hat er doch schon einmal schwarzafrikanische Migranten massenweise nach Europa durchgeschleust, wo man sie nur zum Teil wieder loswurde.

Während sogar die USA zögerten, und alle anderen Mächte von China bis Russland – wo ja Moral sowieso keine politische Kategorie ist – überhaupt taktierten, musste Europa nunmehr handeln. Die Südgrenzen der Union sind einfach zu exponiert, als dass man dieses Risiko einer Rache Gaddafis eingehen hätte können. Dieser Meinung war man zumindest in London und Paris, wo eine Renaissance alter Großmachtpolitik stattzufinden scheint. Frankreichs Sarkozy glaubt überdies angesichts schlechter Umfragewerte und einer nahenden Wahl sein einstiges Image als starker Mann wiederbeleben zu müssen. Er machte zum ersten Mal seit langem Frankreich wieder zu einem relevanten weltpolitischen Akteur. Und auch die Opposition wagt es vorerst nicht, ihn dabei zu kritisieren.

Freilich: Das größte Land Europas zog nicht mit. Denn in Deutschland glaubt eine Rechtsregierung, dass eine Intervention in Libyen zu gefährlich sei. Und außerdem bei den eigenen Wählern unpopulär, die gerade  jetzt in etlichen Bundesländern wählen müssen.

Damit ist Angela Merkel endgültig in die Kategorie der ewigen Zauderer abgestiegen. Sie hat die anderen konservativ-christdemokratisch geführten Länder Europas im Stich gelassen. Und sie hat der EU einen schweren Schaden zugefügt. Denn die Union konnte sich in Sachen Libyen nicht einigen. Womit sie außenpolitisch so wenig existent ist wie in den letzten 50 Jahren – einer neuen Verfassung zum Trotz.

Merkel hat zwar begriffen, dass es ursprünglich ein Fehler war, sich allzu sehr in den libyschen Konflikt einzumischen. Sie hat aber nicht mehr begriffen, dass es nun - nachdem man sich eingemischt hatte - ein noch größerer Fehler wäre, den von Revanchegelüsten vollen Gaddafi weiter an der Macht zu lassen. Und sie hat ebensowenig begriffen, dass Gaddafis Rache alle Länder Europas treffen würde. Dass also jetzt seine Beseitigung ein europäisches Überlebensinteresse geworden ist. Egal wie falsch es ursprünglich gewesen sein mag, sich in die inneren Angelegenheiten Libyens einzumischen.

Aber auch die französische Kalkulation enthält einen Denkfehler: Denn so unbeliebt Gaddafi im arabischen Raum ist, so wahrscheinlich ist es doch, dass am Schluss wieder die Europäer als die Bösen dastehen. Das sieht man schon an der Reaktion der Arabischen Liga: Zuerst verlangte sie das militärische Eingreifen der Europäer. Kaum gab es die ersten Toten, wird schon wieder Kritik an den Europäern geübt.

Auf solche Bundesgenossen sollte man besser nicht bauen . . .

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Antreten zur Generalwäsche

20. März 2011 17:18 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Spät, aber doch hat die ÖVP-Führung erkannt, dass die Funktion eines Lobbyisten mit der eines Abgeordneten unvereinbar ist. Das ist freilich auch dann der Fall, wenn ein Lobbyist nicht so plump in eine Falle torkelt wie der EU-Gruppenchef der ÖVP, Ernst Strasser. Wir sollten aber darüber hinaus über Korruption in der Politik sehr grundsätzlich diskutieren. Denn wenn wir die Demokratie noch retten wollen, dann braucht es eine Generalwäsche, die wieder ein Stück mehr Sauberkeit herstellt.

Es ist ja schon diskutierenswert, weshalb ein Mann, der nicht nur einfacher Abgeordneter, sondern auch Delegationsleiter seiner Partei im EU-Parlament ist, überhaupt einen Nebenberuf braucht (der von den nun bekanntgewordenen Umsätzen her sogar der eigentliche Hauptberuf Strassers gewesen sein dürfte).

Jedoch: Bei einem generellen Berufsverbot für Abgeordnete (europäische wie nationale) entsteht sofort die Frage, wer dann überhaupt noch in die Politik geht. Niemand kann es nämlich wünschen, dass dann – neben ganz reichen Menschen – fast nur noch Beamte Politiker werden, weil diese als einzige Gruppe ein garantiertes Rückkehrrecht in ihren Beruf haben (oder sogar schon während der Mandatszeit pro forma als Teilzeit-Beamte weiterarbeiten und kassieren). Das würde die Weltfremdheit der Gesetzesbeschlüsse und die unerträgliche Überreglementierung des produktiven Teils der Menschheit durch eine präpotente Klasse an privilegierten Mandarinen nur noch mehr erhöhen.

Im Prinzip wäre eine proportionale Vertretung aller Interessen im Parlament ein durchaus spannendes Ideal. Nur gibt es leider kaum Mechanismen, diese herzustellen. Denn selbst die zuletzt vielzitierte Frauenquote brächte nicht mehr Gerechtigkeit, sondern in Wahrheit nur noch mehr Verzerrung zugunsten einer sehr spezifischen Minderheit unter den Frauen. Ist doch die politisch-feministische Aktivistinnenklasse alles andere als repräsentativ für ihr Geschlecht. Die primär für die eigenen Interessen (siehe Aufsichtsratsposten, siehe Förderungen für feministisch-politische Vereinchen usw.) kämpfenden Politikerinnen sind zum Beispiel viel öfter kinderlos, als es Frauen im Durchschnitt sind. Was aber die Perspektiven total ändert.

Aber auch jenseits der Geschlechterfrage sind die repräsentativen Parlamente keineswegs repräsentativ. In diesen sind nämlich neben den Beamten vor allem Kammermitarbeiter und -funktionäre massiv übervertreten. Es gibt weit mehr Bauernfunktionäre und Gewerkschafter in den diversen Parlamenten als normale Angestellte und kleine Unternehmer. Daher hat im Parlament auch nie eine Initiative eine Chance, bei der die Privilegien von Kammern und Gewerkschaften angegriffen würden. Etwa die Pflichtmitgliedschaften, etwa die skandalöse Geheimhaltung des Abzugs der mehr als saftigen Arbeiterkammer-Pflichtbeiträge von jedem Lohn (nur damit die Menschen glauben, die Leistungen der fürstlich bezahlten Arbeiterkämmerer wären gratis).

Milizparlament als Lösung?

Im Grund gibt es nur zwei Modelle, die diesen strukturellen Missstand der repräsentativen Systeme beheben oder zumindest mildern. Das eine ist die direkte Demokratie, mit der die Bürger die Macht wieder an sich reißen. Das andere wären nicht gewählte, sondern durch einen Zufallsgenerator bestellte Milizparlamente.

Das zweite Modell wäre zwar hoch repräsentativ – ist aber nirgendwo ausgeprobt worden. Wohl nicht grundlos.

Denn es öffnet viele unbeantwortete Fragen: Was ist, wenn ein solcherart durch Los bestellter Abgeordneter um keinen Preis die Aufgabe übernehmen will? Wie kann man sicherstellen, dass sich da nicht erst recht viele kleine Leute als korrumpierbar erweisen, wenn sie plötzlich die Macht eines Gesetzgebers haben? Wo findet dann die politische Diskussion im Vorfeld statt, die derzeit von vielen Vereinen und Organisationen geleistet wird? Wird dann etwa die Willensbildung noch mehr durch die extrem einseitigen Hetzkampagnen in Kronenzeitung und ORF beeinflusst werden?

Das heißt: Wenn wir uns nicht einem in der Regel erst recht raffgierigen Diktator samt seiner Entourage ausliefern wollen, wird es wohl niemals eine ganz korruptionsfreie Politik geben.

Dennoch ist der Kampf gegen die Korruption keineswegs sinnlos. Denn es gibt ja Länder mit einem sehr schlimmen Ausmaß an Korruption (etwa im Südosten Europas) und solche mit einem sehr geringen Ausmaß (etwa jene im Norden). Also muss schon der Unterschied das Engagement wert sein.

Österreich befindet sich aber sicher auf einem absteigenden Pfad. Das beweist nicht nur der Fall Ernst Strasser, das beweist nicht nur die skandalöse Verankerung der Sozialpartner in der Bundesverfassung, sondern auch die seit dem Wechsel Werner Faymanns in die Regierung unglaublich angewachsene Bestechung von Zeitungen aus Steuergeldern. Mit diesem Modell liegt Österreich ja weltweit in einem negativen Spitzenfeld. Und die Behebung dieser Korruptionsmühle durch eine gerade geplante Gesetzesnovelle ist ja nur ein Scherz, um nicht zu sagen, eine Einbetonierung dieser Korrumpierungsmethode.

Österreich sollte auch noch etwas weiteres ernsthaft diskutieren: nämlich die Berufsperspektiven von Abgeordneten nach der Mandatszeit. Denn da gibt es für Nicht-Beamte kaum andere interessante Möglichkeiten als die Tätigkeit eines Lobbyisten, wie sie nicht nur Strasser nach seiner Ministerzeit (und dann durch das Versagen der ÖVP-Führung auch während seiner Abgeordnetenzeit) ausgeübt hat, sondern etwa auch die ehemaligen sozialdemokratischen Regierungschefs Gusenbauer und Schröder. Die ziehen dann heftig hinter den Kulissen die Drähte.

Das Drängen der Ex-Politiker in die Berater/Lobbyisten-Karriere hängt freilich auch damit zusammen, dass sich zwei wichtige Bereiche, in denen sie eine große Bereicherung wären, durch formalistische, aber inhaltliche bedeutungslose Qualifikationshürden komplett abgemauert und in geschützte Werkstätten verwandelt haben: die Diplomatie und die Wissenschaft. Es gibt keinen Zweifel, dass die meisten Ex-Abgeordneten bessere Botschafter und bessere Professoren wären als das dort heute überwiegend dominierende graue Mittelmaß.

Um etwa im Bereich der Linken zu bleiben: Um wieviel mehr könnte ein Alfred Gusenbauer jungen Politologiestudenten beibringen als eine Eva Kreisky, deren einzige auffallende Leistung vor ein paar Jahrzehnten die Eheschließung mit dem Sohn eines damals amtierenden Bundeskanzlers gewesen ist!

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No Leadership

17. März 2011 12:21 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Selten hat sich Josef Pröll so für eine Personalbesetzung exponiert wie einst für den Transfer von Ernst Strasser an die Spitze der ÖVP-Europaparlamentsgruppe. Das fällt ihm nun schwer auf den Kopf.

Zum einen werfen ihm viele ÖVP-Wähler vor, dass er nach der EU-Wahl das massive Vorzugsstimmenvotum für Othmar Karas einfach ignoriert hat. Das lastet so mancher Pröll bis heute als zynische Missachtung des Wählerwillens an. Dabei kann man die Aversion des ÖVP-Obmanns gegen Karas ja noch irgendwie nachvollziehen, da sich dieser immer wieder als für den Parteichef unlenkbares Geschoß erweist und viel stärker europäisch als österreichisch denkt.

Was man manchmal loben kann: Wie etwa die Karas-Kritik an der „oberflächlichen“ neuen Sicherheitsdoktrin. Wie etwa sein mutiges Wort von der „Neutralitätslüge“. Wie etwa seine Kritik an der Bankensteuer und den unehrlichen Regierungsbehauptungen, dass diese nicht die Konsumenten träfe.

Vieles kann man an Karas aber auch oft gar nicht nachvollziehen: Etwa seine Unterstützung für Eurobonds, also die gemeinsame Haftung aller Euro-Länder auch für griechische und andere Wackel-Anleihen. Etwa seinen Kampf gegen eine Begrenzung des EU-Budgets. Etwa seinen Einsatz für eigene EU-Steuern. Etwa seine Befürwortung eines neuen Integrations-Staatssekretariats.

Noch viel schwerer nachzuvollziehen war und ist aber Prölls Einsatz für Ernst Strasser. Denn dieser ist zwar unter Pröll parteiloyal (was er unter Schüssel nicht war). Aber Strasser hatte und hat einen extrem problematischen Hauptberuf, den er auch bei der Rückkehr in die Politik nicht aufzugeben gewillt war. Wer als Berater für meist nicht bekanntgegebene große kommerzielle und politische Klienten arbeitet, sollte in keiner Weise als Gesetzgeber arbeiten dürfen. Denn die Grenze zum verbotenen Lobbyismus ist dann überhaupt nicht mehr erkennbar.

Die Nominierung Strassers war daher eine politische Zeitbombe. Die nun vorzeitig explodiert ist. Gewiss mag man es als Pech ansehen, wenn ein Abgeordneter von getarnten journalistischen Provokateuren angebohrt wird. Aber wer sich in seinem Beruf Geld anbieten lässt, um eine Gesetzesnovelle im Parlament einzubringen, und wer den gewünschten Text auch noch an Parteifreunde weiterreicht, statt sofort Behörden und Polizei zu verständigen, der ist nicht mehr tragbar. Und sollte sofort zurücktreten. Dies umso mehr, als der sonst so eloquente Strasser nicht einmal eine halbwegs glaubwürdige Begründung für sein Verhalten formulieren kann.

Damit steht natürlich auch wieder die Frage von verbotener Einflussnahme auf die Politik im Zentrum. Sind die Mittel, die auf vielfältigen Wegen aus Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund zum Nutzen der SPÖ fließen, nicht genauso unkorrekt? Sind es nicht genauso alle Hilfen etwa der Industriellenvereinigung zugunsten der ÖVP? Sind nicht die vielen Gewerkschafter, Interessenvertreter und Kammerfunktionäre im Parlament in der gleichen Rolle wie Lobbyist Strasser? Was ist mit den Mitteln, die offensichtlich die Kärntner Freiheitlichen über diverse Werbeagenturen lukriert haben? Was ist mit den zahlreichen Grünen, die nun in der Gemeinde Wien versorgt werden und deretwegen etwa im Krankenanstaltenverbund 55-jährige Familienväter einfach auf die Straße gesetzt werden? Was ist mit dem tiefen Griff der Regierungsparteien, vor allem der SPÖ, in die Steuerkasse, um sich Medien wohlgesonnen zu erhalten (und der auch durch eine nun beschlossene Scheinreform nicht gestoppt wird!)?

Dass ähnliche Probleme fast jedes andere Land der Welt plagen, mögen die einen als Trost, die anderen als doppelten Grund zur Depression ansehen. Am ehesten sauber scheinen da noch die Schweiz (wo die direkte Demokratie die Parteien weitgehend entmachtet) und Skandinavien (wo die Verfassungen eine viel höhere Transparenz jedes staatlichen Handelns erzwingen).

Für Josef Pröll kann das aber sicher kein Trost sein. Denn er hat es in jedem Fall höchstpersönlich zu verantworten, dass er einen in jedem Fall einschlägig besonders riskanten Mann an die Spitze der EU-Liste transferiert hat. „Culpa in eligendo“ würden das Juristen und Lateiner nennen. „No Leadership“ heißt das in der Sprache der Briten und Managementexperten.

 

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Europa zwischen allen Stühlen

15. März 2011 00:52 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die EU hat sich blamiert. Denn es hätte ganz sicher keinen eigenen europäischen Sondergipfel gebraucht, nur um mitzuteilen, dass Muammar Gaddafi nicht mehr der Ansprechpartner der EU ist. Das war er nämlich schon seit Wochen für kein einziges EU-Land mehr.

Die Staats- und Regierungschefs wollten am Wochenende mit solchen bedeutungslosen „Beschlüssen“ nur übertünchen, dass sich die EU nicht über eventuelle militärische Interventionen einigen kann. Und dass Europa auch sonst nach wie vor keine eigene Außenpolitik hat, sondern dass es 27 verschiedene Außenpolitiken gibt, die nur in banalen Selbstverständlichkeiten deckungsgleich sind. Gleichzeitig haben aber alle Bürger Europas noch die Sprüche im Ohr, dass es durch den Lissabonner Vertrag nun endlich zu einer solchen, lange vermissten Außenpolitik kommen werde.

Gewiss: Auch kein anderes Land der Welt hat in diesen Stunden eine klare Linie zu Libyen. Das hat ja nicht einmal das kleine EU-Land Österreich intern: Einmal spricht sich der Außenminister öffentlich für eine Intervention unter Beteiligung von 200 österreichischen Soldaten aus – wenn auch unter der eher unrealistischen Voraussetzung, dass UNO, Arabische Liga und Afrikanische Union dem zuvor zustimmen. Tags darauf lehnt hingegen der Bundeskanzler jede militärische Reaktion auf Libyen ab. Österreich also als ein Europa im Kleinen.

Die Briten und die Franzosen sind nämlich für die Verhängung einer Flugverbotszone; die Deutschen und die Mehrheit der kleineren Länder sind hingegen strikt dagegen.

In Wahrheit fehlt der EU in der Frage Libyen zweierlei: Erstens eine klare Führung, die ohne auf einen Konsens von 27 jeweils auf die eigene Heimat schielenden Politikern warten zu müssen, Entscheidungen treffen könnte. Zweitens eine andere auch nicht ganz unwichtige Kleinigkeit: Die EU-Spitzen würden gerne wissen, wie das Ringen im Libyen am Ende ausgeht. Dann könnte man sich jetzt schon richtig verhalten und sich an die Seite des Siegers stellen. Aber Prophezeiungen sind halt schwer, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.

Die man aber ärgerlicherweise nicht kennt. Immerhin prophezeit der CIA-Chef, dass Gaddafi den Bürgerkrieg gewinnen wird – während das Weiße Haus in Washington dem eigenen Geheimdienst widerspricht. Immerhin halten sich außerhalb der EU die meisten Länder – Russland, China, Araber und Afrikaner – auffallend bedeckt. Denn sie wissen das ja auch nicht.

Die europäischen Politiker haben sich – ohne Vorstellungen zu haben, wie es weitergehen soll – unter dem Druck ihrer Öffentlichkeit jedenfalls schon am weitesten vorgewagt. Was Europa im Falle eines Gaddafi-Sieges wohl teuer bezahlen wird müssen. Deswegen hätte die harte Linie der Briten und Franzosen eine gewisse Logik, jetzt um jeden Preis einen Verbleib Gaddafis zu verhindern. Wenn schon, denn schon.

Nur: Dazu müssten die beiden auch militärisch den Alleingang wagen, denn UNO und Co werden einer Intervention wohl nie zustimmen. Und auch nur so etwas harmlos klingendes wie eine Flugverbotszone ist ohne heftige Kampfaktionen nicht durchsetzbar.Das werden aber auch Briten und Franzosen nie wagen. Dazu sind sie wohl auch militärisch nicht in der Lage. 

Wenn nun die Aufständischen ohne ausländische Unterstützung unterliegen sollten, dann steht die EU mehrfach blamiert da. Ihre gemeinsame Außenpolitik ist als lächerlicher Papiertiger entlarvt. Sie hat ganz überflüssigerweise durch den Sondergipfel die weltweite Aufmerksamkeit auf sich und ihr Nichthandeln gezogen. Sie wird daher nicht einmal bei einem Sieg der Rebellion sonderliches Gewicht als Partner haben können.

Und wenn Gaddafi siegen sollte, dann werden erst recht alle Aggressionen Libyens auf Europa gerichtet sein. Dann wird er seinerseits Europa nicht mehr als Ansprechpartner ansehen. Dann wird er mit großer Lust Heerscharen von schwarzafrikanischen Migranten ins Land lassen, um sie dann auf Booten nach Norden zu senden, was die EU zusätzlich destabilisieren wird.

Man sollte Konfrontationen halt nur dann beginnen, wenn man auch halbwegs sicher sein kann, sie am Ende auch zu gewinnen.

 

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Die Verneuerbarer

12. März 2011 17:58 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

„E“ wie „Euro“ - welch ein Omen
doch E10 im Namen trägt!
Wird bei Klimaschutz-Phantomen
sowas gar nicht überlegt?

Aber endlich dämmert’s vielen:
Undank ist der Umwelt Lohn,
und E10-Mäzen zu spielen
bringt nur Kosten, Spott und Hohn!

Oder hab’ ich’s mißverstanden?
Habt auch ihr schon was geahnt,
und es war in Euro-Landen
a priori so geplant?

Klar! – Denn wenn wir’s übersetzen
aus dem Funktionärs-Latein,
wird’s zu neuen Arbeitsplätzen,
eher teuren obendrein:

Anfangs all das Debattieren,
Expertisen hin und her,
selektives Kalkulieren,
Reisen, Dinner und noch mehr.

Dann ist manches umzustellen
bei Erzeugung und Vertrieb,
ferner in diversen Fällen
auch am Auto, allen lieb.

Geht des neuen Treibstoffs wegen
das Vehikel früher drauf,
kommt’s der Werkstatt recht gelegen
oder gar dem Neuverkauf.

Und das alles bringt daneben
heimlich mehr an Steuern rein,
ohne Sätze anzuheben -
kann das bloßer Zufall sein?

Weiters steigt ja allerorten
durch den Biosprit der Preis
sämtlicher Getreidesorten
und von Zucker, Öl und Mais.

Drum heißt’s Hilfsprogramme starten,
für die Dritte Welt zumal,
und auf den Nobelpreis warten -
also einfach genial!

Pannonicus

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Fußnote 180: Die EU wird zur Fußnote der Geschichte

12. März 2011 00:25 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Jetzt gibts den "Pakt für den Euro". Die Märkte erzittern beeindruckt und werden, sobald sie den Pakt durchgelesen haben, das Geld kübelweise zu den alten Niedrigzinsen nach Griechenland, Spanien, Portugal und Irland tragen.

Nach einem Nullpapier zu Libyen machen sich die  europäischen Regierungschefs mit diesem Pakt endgültig lächerlich. Denn er erreicht das Gegenteil von der beabsichtigten Stärkung der Glaubwürdigkeit der eigenen Währung. Europa ist nur noch bei Frauenquoten, Rauchverboten, Windmühlen, Abtreibungsförderung und Schwulenehen präsent. Hingegen hat der Gipfel alles, was die EU-Mitglieder wirklich zu Sparsamkeit und Verantwortungsbewusstsein zwingen würde, in Unverbindlichkeit verschwinden lassen. Da unterschreibt ein Herrn Faymann folgenden Satz: "Die Euro-Länder sollen das Pensionseintrittsalter an die demografische Entwicklung anpassen." Dabei hat seine Partei schon eine ganze Regierung daran scheitern lassen, weil sie nicht daran denkt, das zu tun. Da könnte ja die den Kern der SPÖ bildende Abcashgeneration und deren Zentralorgan, die Krone, unzufrieden sein. Daher wird Faymann mit Garantie alles verhindern, was dem von ihm selbst unterschriebenen "sollen" entsprechen würde. Ignoriert er doch auch alle Experten, die dasselbe sagen. Ähnliches gilt auch für die restlichen Punkte dieses Pakts. Nirgendwo haben sich die Euro-Länder über das Wünschen und Sollen hinaus zu irgendetwas wirklich Greifbarem verpflichtet. Angela Merkel, die mehr als ein zahnloses Gebrabbel wollte, ist an der Mehrheit der Big Spender gescheitert und wird daher bei den nächsten deutschen Regionalwahlen wohl die Zeche zahlen müssen. Denn die Deutschen spüren: Sie müssen also jetzt weiter in ein Fass ohne Boden hinein zahlen. Europa ist wirklich nur noch eine Fußnote wert (auch wenn ich mich in den nächsten Tagen noch einmal mit dem ganzen Scheitern in Sachen Libyen befassen möchte).

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Der Fasching geht weiter

08. März 2011 06:25 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Sooft man die täglichen Bemerkungen aus der Spitze von Politik oder Wissenschaft hört, stellt sich die immer gleiche Frage: Haben sie ein intellektuelles oder ein charakterliches Problem? Also: Sind sie primär feig oder dumm? Oder glauben sie an den ewigen Fasching?

Da wagt es Sozialminister Hundstorfer doch tatsächlich zu sagen: Eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters über 65 Jahre hinaus sei „der falsche Zugang“. Zwar erhöht ein europäischer Staat nach dem anderen das Pensionsalter, aber Hundstorfer weiß es halt besser. Und er begründet diese Behauptung, wie wenn er von einem anderen Stern käme, mit der Arbeitslosigkeit. Als ob nicht in vielen Fällen ganz gezielt die Arbeitslosigkeit als Vorstufe für einen frühen Pensionsantritt gewählt wird. Als ob nicht von den Lehrern angefangen längst schon in vielen qualifizierten Bereichen ein wachsender Mangel eingesetzt hätte. Als ob sich in den Arbeitslosenzahlen nicht in hohem Ausmaß Arbeitsunwillige oder Arbeitsunfähige verbergen. Als ob es heute noch in irgendeiner Weise verantwortungsvoll wäre, Politik auf Zuruf der Gewerkschaft zu machen. Als ob nicht Österreichs sogar um weitere fünf Jahre niedriges Frauenpensionsalter heute schon ein unternationales Unikum wäre (auch wenn darüber nie und in der unfassbaren Gehirnwäsche eines Weltfrauentages schon gar nicht geredet wird).

Ähnlich ist offenbar der neue Rektor der Universität Wien willens, Politik auf Zuruf der Hochschülerschaft zu machen. Wagt er es doch glatt zu sagen: „Wir haben nicht zu viele Studenten.“ Solchen Schwachsinn hat man zuletzt nur noch von der ÖH gehört. Statt sich dieser Frage zu stellen, fordert Heinz Engl gleich eine Vervierfachung der Budgetzuschüsse – ausgerechnet – für jeden Publizistik-Studenten von 2000 auf 7000 bis 8000 Euro. Die Universität Wien wird nun wohl endgültig abzuschreiben sein, glaubte man doch, dass schon mit seinem Vorgänger, der die Audimax-Besetzern in ihrem Rechtsbruch noch mit privaten Spenden bestärkt hat, der absolute Tiefpunkt erreicht war.

Aber auch die Lehrergewerkschaft an den berufsbildenden Schulen lässt die gleiche Frage aufkommen. Fordert sie doch eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Was naturgemäß nur noch als Provokation empfunden werden kann. Woran auch die gegenläufigen Provokationen der zuständigen Ministerin nichts ändern. Woran auch der Umstand nichts ändert, dass Ministerium und Stadt- bzw. Landesschulräte die Lehrer ständig durch bürokratische Dummheiten und überflüssige Gutmenschaktionen mit zusätzlicher Arbeit eindecken.

Zusätzliche Arbeit für uns alle denkt sich auch gerade der EU-Energiekommissar Günther Oettinger aus: Er will, dass die Energieversorger den Strom nicht mehr einmal pro Jahr, sondern monatlich abrechnen. Wie auch immer das organisiert werden soll: Es schafft sinnlose Bürokratie. Aber wieder wird ein EU-Mensch behaupten, dass er etwas für die Konsumenten getan habe. Was auch immer die davon haben sollen, außer überflüssige Arbeit.

Wer glaubt, dass die Dummheit mit dem Faschingsende ein Ende findet, dürfte sich also gewaltig täuschen.

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Ein weltfremder Gerichtshof

08. März 2011 00:05 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Solche Entscheidungen wie die jüngste des Europäischen Gerichtshof tragen massiv dazu bei, das Ansehen der EU zu zerstören. Man darf dabei sogar vermuten, dass der EuGH bei seinem Urteil durchaus populistisch sein wollte: Er hat nämlich verboten, dass Versicherungen für Männer und Frauen unterschiedliche Tarife haben.

Das klingt nicht nur populär, sondern auch gerecht. Warum sollen Frauen denn für private Rentenversicherungen deutlich höhere Beiträge zahlen als Männer, für Ablebensversicherungen oder Kfz-Schadensversicherungen hingegen viel niedrigere? In Wahrheit aber ist nur und genau diese Unterscheidung gerecht. Denn Frauen haben deutlich niedrigere Unfallzahlen und eine deutlich höhere Lebenserwartung. Diese Unterschiede in den Versicherungsprämien abzubilden ist genauso gerecht wie die höheren Versicherungstarife für unfallfreudige Fahrer (beiderlei Geschlechts).

Jede Versicherungsmathematik muss nämlich alle signifikanten Fakten einberechnen: Wenn man einer Frau beispielsweise eine lebenslange Rente ab ihrem 60. Geburtstag verkauft, dann wird sie diese im Schnitt mehr als fünf Jahre länger konsumieren als ein Mann, dem dieselbe Rente versprochen wird. Versicherungen müssen aber darauf aufpassen, nicht bankrott zu gehen. Daher haben sie logischerweise für die Frauen deutlich höhere Beiträge zu dieser Rentenversicherung verlangt als für Männer.

Die staatliche Pensionsversicherung muss sich hingegen nicht vor dem Bankrott fürchten. Sie verlangt daher gleichviel von Männern und Frauen, sie lässt Frauen sogar früher als die Männer in Pension gehen. Nur von einem verlangt sie angesichts solcher Absurditäten nicht gleich viel: nämlich vom Steuerzahler, dem sie alljährlich immer noch tiefer in die Tasche greift.

Jetzt haben offenbar naive Richter geglaubt, man könne auch bei den privaten Renten-Versicherungen dasselbe tun. Irgendwer werde es auch dort schon zahlen. In der Tat gibt es diesen Irgendwer: Mehr zahlen müssen bei Rentenversicherungen künftig die Männer, bei Ablebens- und Kfz-Versicherungen die Frauen.

Wer ans Gegenteil geglaubt hat, also dass durch dieses Urteil Versicherungen billiger würden, versteht nichts von Logik und Mathematik. Denn: Versicherungen müssen tendenziell immer das schlimmste Risiko einkalkulieren. Und mit Sicherheit werden künftig viele Männer ihren Lebensabend über andere Wege abzusichern versuchen als über Lebensversicherungen (die ja ohnedies seit Wegfall der Steuerbegünstigung nicht mehr sehr attraktiv sind und in Zeiten wachsender Inflationsängste schon gar nicht). Noch herrscht ja zumindest in diesem Bereich Vertragsfreiheit. Also müssen die Versicherungen mit einem wachsenden Anteil an langlebigen Frauen rechnen.

Wie kommen solche realitätsfremden Urteile zustande? Nun das hängt nicht zuletzt mit der Zusammensetzung des Gerichtshofs zusammen. Dieser wird nämlich von den Regierungen (Parteien) besetzt und nicht etwa von unabhängigen (richterlichen) Personalkommissionen wie bei den meisten normalen Gerichten. Dabei ist der in Luxemburg residierende EuGH viel wichtiger als jeder österreichische Gerichtshof.

Viele Europaexperten sehen den EuGH sogar im Vergleich zur Europäische Kommission als bedeutender an, auch wenn seine Mitglieder keine Pressekonferenzen oder Vorträge geben oder im EU-Parlament auftreten. Vielleicht hat er sich gerade deshalb als Machtzentrum entwickeln können. Der EuGH hat ja etwa im Gegensatz zu den EU-Verträgen die österreichischen Universitäten gezwungen, in Massen deutsche  Studenten aufzunehmen, obwohl diese daheim nicht für ein Studium qualifiziert waren.

Nur die Politik hat die Bedeutung des EuGH noch nicht begriffen. Unter den Politikern gibt es regelmäßig einen viel intensiveren Wettlauf um den Posten eines EU-Kommissars als um den eines europäischen Richters.

Daher ist es auch bezeichnend, dass die Regierung den österreichischen Sitz beim EuGH mit einer Frau besetzt hat, die davor keinen einzigen Tag ihres Lebens als Richterin gearbeitet hat. Dasselbe gilt übrigens auch für das zweite wichtige internationale Gericht, nämlich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg (der trotz des Namens nichts mit der EU zu tun hat, sondern dem Europarat untersteht).

Die Politik begreift nicht, dass ihr längst die diversen Oberstgerichte das Handeln abgenommen haben, weil Regierungen und Parlamente immer entscheidungsunfähiger werden. Und die EU begreift nicht, wie sehr ein wenig durchdachter Populismus von Gerichtshof  oder (was noch häufiger ist) Kommission am Ende des Tages die Wertschätzung der Europäer für die EU ruiniert. Und dazu wird nun auch dieses neue Urteil massiv beitragen – spätestens dann, wenn die Versicherungen ihre Kunden über die höheren Prämien informieren. Und über deren Ursachen.

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Drei Volksverdummungs-Begehren

07. März 2011 00:14 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Ein Instrument der halb-direkten Demokratie wird endgültig kaputt gemacht. Gleich dreimal zeigen Volksbegehren, dass dieser Weg, sich zu artikulieren, nur noch von rechtlich Ahnungslosen, radikalen Außenseitern und politischen Rattenfängern benutzt wird. Das gilt für das Anti-Euratom-Begehren genauso wie für die Anti-Kirchen oder Pro-Einheitsschul-Initiative.

Von Bürger- und Verantwortungssinn getragene Begehren sind hingegen ausgestorben. Wie es etwa einst jenes zur Reform von Rundfunk und Fernsehens gewesen ist, wo in den 60er Jahren ein totaler Zugriff der Parteien zu einer unerträglich miesen Programmqualität geführt hatte (diese war abgesehen von technischen Unterschieden ungefähr so schlecht, wie sie heute wieder ist).

Hauptschuld am Verfall des Instruments Volksbegehren sind die Parteien, die mit Ausnahme des Rundfunk-Begehrens alle anderen Initiativen entweder ignoriert oder als bloßes Instrument eigener parteipolitischer Agitation benutzt haben. Jörg Haider hat als Oppositions-Führer regelmäßig Volksbegehren zum Start von Zwischenwahlkämpfen gestartet. Die SPÖ macht das jetzt sogar als Regierungspartei durch das Androsch-Begehren. Solche Parteibegehren sind rechtlich eine Absurdität: Denn um einen Antrag im Parlament einzubringen – und mehr bedeutet ja ein Volksbegehren nicht – braucht es lediglich die Unterschrift von ein paar Abgeordneten. Parlamentsparteien können also ohne große Kosten für die Verwaltung rechtlich haargenau Dasselbe erreichen wie ein Volksbegehren.

Das Instrument Volksbegehren ist nur noch dann zu retten, wenn der Verfassungsgesetzgeber (also mindestens drei Parteien) endlich auch den zweiten Schritt setzen: Jedes Volksbegehren, das bestimmte rechtliche Qualifikationen erfüllt, müsste ab einer bestimmten Unterschriftenzahl zwingend einer bindenden Volksabstimmung unterzogen werden. Sonst ist das Instrument endgültig tot. Das zeigt auch der inhaltliche Blick auf jede einzelne der aktuellen Initiativen.

Raus aus Euratom

Dieses Begehren verlangt einen Austritt aus dem Euratom-Vertrag. Über diesen Vertrag reguliert und kontrolliert Europa die friedliche Nutzung der Kernenergie, insbesondere in Hinblick auf die Sicherheitsstandards und Forschung. Ohne diesen Vertrag könnte jedes Land tun und lassen, was es will. Aber nicht nur deshalb wäre ein Austritt aus Euratom auch für Österreich selbstbeschädigend. Denn dieser Vertrag ist längst so sehr mit der gesamten Union verschmolzen, dass ein Austritt aus Euratom zwingend einen Austritt aus der gesamten EU zur Folge hätte.

Offen ist nur, ob die Initiatoren das nicht begreifen, oder ob sie es wissen und bewusst verschweigen. Ein bewusstes Verschweigen wäre dann logisch, wenn der Austritt aus der EU ohnedies das wahre Ziel der Volksbegehrer ist. Ein solches Ziel müssen sie aber verschweigen, weil ein Austritt aus der EU – bei aller mehr als legitimen Kritik an bestimmten Entwicklungen – in Österreich noch nie eine Mehrheit hinter sich gehabt hat. Denn selbst emotional geprägte EU-Kritiker spüren irgendwie, dass das katastrophale Folgen für Arbeitsplätze, Ersparnisse und die dann notgedrungen wieder eigene Landeswährung hätte.

Beim Thema Atom kommt noch ein weiterer Aspekt dazu: Österreich hat ein Atomsperrgesetz, das den Bau von Atomkraftwerken verbietet. Es importiert aber schon seit Jahren regelmäßig Atomstrom aus dem Ausland, weil der heimische Energiebedarf gar nicht anders zu decken wäre. Daher ist der Anti-Atom-Aktionismus im Grund reine Demagogie.

Dazu kommt, dass der (bis auf Zeiten der schweren Rezession) stetig wachsende Strombedarf in Zukunft noch mehr nuklear erzeugte Energie brauchen wird. Denn das Gerede von Alternativenergien wird mit Sicherheit nicht den künftigen Bedarf decken können. Ist doch dessen Deckung ohnedies schon durch die politischen Unsicherheiten der Öl- und Gas-Versorgung bedroht. Ganz abgesehen davon, dass Solar- und Wind-Energie noch auf absehbare Zeit sehr teuer sein werden und gewaltige Zuschüsse von Stromkonsumenten und Steuerzahlern verschlingen.

Das müssten eigentlich auch die Grünen als Haupt-Unterstützer des Begehrens genau wissen. Aber die Grünen wollen offenbar auch in Zukunft immer dabei sein, wenn es Unsinn anzurichten gibt. Allerdings hat sich auch eine Reihe von Landtagen dem Euratom-Begehren angeschlossen – was zeigt, dass die Provinz-Populisten weder von den rechtlichen Rahmenbedingungen noch von der wirklichen Meinung der Bürger eine Ahnung haben. Denn nach allen bekannten Daten findet diese Initiative besonders wenig Unterstützung.

Das Androsch-Volksbegehren

Die von allen linken Medien am stärksten betrommelte Initiative ist jene von Hannes Androsch. Ihr Text ist freilich nur eine langatmige Ansammlung der folgenden drei Elemente, die hier schon ausführlich analysiert worden sind:

Das Wesen des Androsch-Begehrens als reine SPÖ-Gesamtschulinitiative wird auch längst rundum durchschaut, weshalb Androsch auch keinerlei angesehene Unterstützer gefunden hat. Nur eine Organisation scheint das nicht zu durchschauen: die Industriellenvereinigung (IV). Sie unterstützt das Begehren mit der bemerkenswerten Begründung, dass im Text nicht das Wort Gesamtschule vorkomme.

Natürlich sind die Damen und Herrn am Schwarzenbergplatz nicht so blöd, wie man auf Grund solcher Aussagen glauben müsste. Aber sie haben die Crux aller Organisationen mit freiwilliger Mitgliedschaft: Die Industriellenvereinigung ist erpressbar. Einige SPÖ-geleitete Betriebe (sowie etwa ein Wiener Elektronikunternehmer, der ausgerechnet auf das Heide-Schmidt-LIF gesetzt hat) drohten dem IV-internen Vernehmen nach mit Austritt, falls Androsch nicht unterstützt würde. Die IV-Führung und die bürgerlich orientierten Firmen waren hingegen zu lendenlahm, um dieser Erpressung einen Gegendruck entgegenzusetzen. Etwa indem sie ihrerseits austreten, weil die IV Gesamtschul-Initiativen finanziert, während sie kein Geld für bürgerliche Initiativen hat.

Antikirchenvolksbegehren

In mehr als einem Dutzend Punkten glaubten die Initiatoren des Antikirchenvolksbegehrens, Privilegien der Kirche entdeckt zu haben. In Wahrheit kulminiert in ihrem Text ohne jedes Fachwissen der blanke Hass auf die Kirche. Um nur einige Beispiele zu nennen:

Vor allem aber: Der geistige, kulturelle, zivilisatorische Beitrag der Kirche zum gegenwärtigen Österreich und Europa ist – trotz aller Verfehlungen von Kirchenexponenten – hundert Mal bedeutender und positiver als der aller Freidenkervereine und erpresserischer Opferverbände zusammen.

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SN-Kontroverse: Ist Frauentag notwendig?

04. März 2011 00:34 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Unter dem Titel “Kontroverse” gibt es in jeder Freitag-Ausgabe der Salzburger Nachrichten eine Doppelkolumne, in der Katharina Krawagna-Pfeifer und ich jeweils zum gleichen, von der SN-Redaktion vorgegebenen Thema schreiben. Und zwar ohne dass man gegenseitig die Texte vorher kennt.

Diese Woche steht die “Kontroverse” unter dem Titel:

Zum 8. März: Ist der internationale Frauentag (noch) notwendig?

In der Folge finden Sie die beiden – unverändert wiedergegebenen – Kolumnen. Dadurch soll dieser kreativen und spannenden Idee auch hier ein Forum gegeben werden.

So lange wie nötig

Katharina Krawagna-Pfeifer war Innenpolitikerin der SN, Innenpolitikchefin sowie Leiterin des EU-Büros des “Standard” und SPÖ-Kommunikationschefin. Sie arbeitet jetzt als Publizistin und Kommunikationsstrategin (kkp.co.at).

 

So lange sexuelle Übergriffe in bewaffneten Konflikten von der UNO als „Privatangelegenheit" und nicht als Menschenrechtsverletzungen behandelt und als „außergewöhnliche Vorkommnisse" an die nationale Gerichtsbarkeit delegiert werden.

So lange Zwangsprostitution nicht als Sklaverei geächtet und häusliche Gewalt nicht als Folter gewertet wird. So lange Zwangsheirat, Ehrenmorde, gezielte Abtreibungen an weiblichen Föten, Infantizid an weiblichen Säuglingen, weibliche Genitalverstümmelung in vielen Ländern der Welt selbstverständliche Praxis sind. So lange Mädchen das Recht auf Schulbildung verweigert wird. So lange Arbeit und Armut weiblich sind. So lange in Österreich Frauen ein Viertel weniger verdienen als Männer - bei gleichwertiger Qualifikation und gleichwertiger Arbeit.

So lange in einem der reichsten Länder der Welt das Verarmungsrisiko für Frauen um ein Viertel höher ist als bei Männern. So lange Frauen in atypische und prekäre Beschäftigungsverhältnisse gedrängt werden. So lange vier von zehn unselbstständig erwerbstätigen Frauen in Teilzeitjobs tätig sind. So lange Frauen ein Drittel der unentgeltlichen Arbeit leisten. Solange die Pflegearbeit zu 80 Prozent von Frauen erledigt wird. So lange Frauen aufgrund ihres Geschlechts lukrative Posten vorenthalten werden.
 
So lange in den heimischen Unternehmen kaum Frauen an der Spitze zu finden sind. So lange Frauen als Geschäftskundinnen bei Banken schlechtere Chancen auf einen Kredit haben und oft nachteiligere Konditionen bekommen. So lange im Nationalrat nur 27,9 Prozent der Abgeordneten weiblich sind und Österreich bei der Geschlechtergerechtigkeit abrutscht statt aufzuholen: Ja - so lange ist der internationale Frauentag nötig, um auf Benachteiligungen und schreibendes Unrecht hinzuweisen.


Diskriminiert sind die Männer

Andreas Unterberger

Tag der Zöllner, Tag der Muttersprache: Von allen PR-Tagen ist der Weltfrauentag der erfolgreichste. Überflüssig sind sie wohl alle.

Die Weltfrauentag-Ideologen fingieren noch immer eine Diskriminierung der Frauen. Was in Österreich absurd ist. Auch bei den neuerdings viel zitierten Aufsichtsräten hat jede der wenigen Frauen, die sich dafür interessieren und anstrengen, im Schnitt viel bessere Chancen als einer der vielen Männer, die sich interessieren und anstrengen.

Die ebenfalls ständig kolportierten höheren Einkommen von Männern sind Folge von Überstunden, von Karriere-Ehrgeiz und der Tatsache, dass Frauen Ausbildung und Job weniger nach Verdienstchance als nach der Freude am Beruf aussuchen. Was nachvollziehbar ist, aber nicht bejammert werden sollte

Ansonsten trifft man reihum nur auf gravierende Nachteile der Männer: Sie sterben im Schnitt um fünfeinhalb Jahre früher als Frauen, haben aber absurderweise laut Gesetz ein um fünf Jahre späteres Pensionsantrittsdatum. Sie verlieren den Großteil der Prozesse um Kinderobsorge. Sie müssen zum Bundesheer oder Zivildienst, Frauen nicht. Männer sind viel öfter arbeits- und/oder obdachlos. Sie leiden mehr als Frauen an Alkohol- und vielen anderen Krankheiten. Sie haben die schwerere Arbeit und mehr Berufsunfälle. Junge Burschen sind angesichts des im Bildungssystem dominierenden Feminismus desorientiert und haben wachsende Drop-Out-Raten

Zunehmend tut sich auch die EU kräftig bei der Männerdiskriminierung hervor: Sie verbietet jetzt, dass Männer für Lebensversicherungen weniger zahlen als Frauen (versicherungsmathematisch eine logische Folge der geringeren Lebenserwartung). Künftig müssen sie so viel wie die Frauen zahlen, aber kein Institut kann die Versicherungsbeiträge reduzieren: Denn sonst ginge es bankrott, falls mehr Frauen bei ihm Verträge abschließen.
Hoch die EU, Hoch der Weltfrauentag, Hoch die Dummheit.

 

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Gaddafi und Europa: Solidarität und Vernunft

01. März 2011 00:36 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Keine Zeitung ist in den vergangenen Wochen ausgekommen, ohne die EU oder den Westen als solchen zum Mitschuldigen an den verbrecherischen Vorgängen in Libyen oder zuvor Ägypten zu stempeln. Diese Vorwürfe sind aber dumm und kurzsichtig.

Hätte Europa viel lautere Kritik an den arabischen Diktaturen geübt, hätte das vielleicht einen Tag lang geholfen, den eigenen Zorn- und Adrenalin-Pegel abzubauen. Geändert hätte das mit Gewissheit nichts. So wie ja auch in der Vergangenheit Kritik an brutalen und unmenschlichen Regimen wirkungslos geblieben ist. Gewirkt hat nur militärisches Eingreifen, wie etwa zur Beendigung des Kosovo-Krieges. Aber auch dieses Rezept hat nicht immer funktioniert: Trotz großer Opfer und Kosten ihres militärischen Eingreifen konnten Amerika & Co die Problemländer Afghanistan und Irak (oder einst auch Somalia, Libanon und Vietnam) nicht befrieden.

Allzu laute europäische Kritik wäre aber nicht nur unwirksam, sondern auch sehr gefährlich gewesen. Denn insbesondere Libyens unberechenbarer Gewaltherrscher Gaddafi hat eine lange Tradition in Geiselnahmen. Was hätte etwa Europa getan, wenn sich Gaddafi ein paar Dutzend oder mehr Europäer als Revanche für allzu aggressive Kritik geschnappt hätte? So wie er das schon einmal bei zwei Schweizern aus Rache dafür getan hat, dass die Schweizer Polizei einen seiner Söhne – völlig zu Recht – kurzfristig festgenommen hatte (wegen schwerer Misshandlung seiner Diener in einem Schweizer Hotel). Damals wusste kein einziger der nun so schlauen Leitartikler ein Rezept zur Befreiung der beiden. Geholfen haben letztlich nur die von der Schweiz schließlich in Serie gesetzten Demutsgesten vor Gaddafi. Ähnliches ist auch der einzige Ausweg der EU gewesen, nachdem der – wahrscheinlich geisteskranke – Gaddafi bulgarische Krankenschwestern unter abstrusen Vorwürfen eingesperrt hatte.

Es ist also oft ziemlich gut, dass an der außenpolitischen Front nicht heißblütige und oberflächliche Journalisten, sondern (hinter den oft ebenfalls populistisch denkenden Ministern) auch bedächtige und erfahrene Diplomaten agieren. Dass also – im Gegensatz zu den Forderungen der Medien – die Tonlage der EU-Politik erst dann schärfer geworden ist, als die meisten EU-Bürger außer Landes waren. Und dass dabei sofort die Verantwortung wieder auf den UNO-Sicherheitsrat abgeschoben wurde.

Aber auch selbst wenn keinerlei Gefahr einer Geiselnahme oder eines Terrorschlages (wie die auf Gaddafis Befehl ausgelöste Explosion eines vollbesetzten Passagier-Flugzeugs über Lockerbie) droht, sollte in aller Ruhe überlegt werden, ob es wirklich sinnvoll ist, gegen eine Diktatur Sanktionen zu ergreifen.  Es sei denn, eine Diktatur steht so knapp vor ihrem Ende wie seit einigen Tagen Gaddafi nach verbreiteter Überzeugung (freilich wäre ich angesichts der hemmungslosen Entschlossenheit des Gaddafi-Clans und der chaotischen Strukturen der Opposition auch darin noch ein wenig vorsichtig).

Sanktionen dienen primär als psychologisches Dampfventil angesichts unerträglicher Berichte über einen Gewaltherrscher. Das ist in mediengesteuerten Demokratien immer ein wichtiger Aspekt. Die nun vom UNO-Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen sind genau ein solches Dampfventil – mit dessen Öffnung so lange zugewartet worden ist, bis fast alle Ausländer, zumindest sofern sie das wollten, Libyen verlassen haben. Entscheidende Bedeutung im Ringen um die Macht hat es hingegen nicht, wenn Gaddafi keine Waffen (mehr!) bekommt, wenn er und seine Familie nicht ins Ausland reisen dürfen und wenn deren Konten gesperrt werden. Man kann sicher sein: Sollte es Gaddafi wider Erwarten gelingen, sich wieder zu konsolidieren, werden diese Sanktionen sehr rasch wieder verschwinden. Wäre es anders, hätte man ihn ja schon seit Jahrzehnten bestrafen müssen.

Sanktionen haben nämlich noch nie ein Regime gestürzt. Nicht einmal der Sturz der weißen Minderheitsregierung in Rhodesien, das dann zu Robert Mugabes Terrorstaat Zimbabwe geworden ist, ist primär auf die internationalen Sanktionen zurückzuführen. Obwohl das kleine und unbedeutende Rhodesien eines der wenigen Beispiele für sehr weitgehende und spürbare Wirtschaftssanktionen war. Aber in fast jedem Fall haben Sanktionen nur zu einer Erhöhung der Profite für Schmuggler und Sanktionenbrecher geführt.

Außerdem gibt es keinerlei funktionierenden Maßstab dafür, wann man überhaupt Sanktionen verhängt. Ab wie vielen politischen Gefangenen, ab wie vielen getöteten Demonstranten, ab wie vielen hingerichteten Regimegegnern, ab welcher Einschränkung der Meinungsfreiheit sind sie notwendig und legitim? Oder hängt die Entscheidung nur davon ab, ob Medien, NGOs und Oppositionsgruppen (oder auch PR-Agenturen) laut genug über ein Land berichten, ob im Ausland die emotionale Empörung hoch genug steigt?

Versucht man nämlich, gerechte Maßstäbe anzuwenden, also Gleiches gleich zu behandeln, dann müsste leider ein Gutteil der Länder auf diesem Globus mit Sanktionen belegt werden. Um nur einige bewusst sehr unterschiedliche Beispiele zu nennen:

Die Liste ließe sich von Nordkorea über etliche Staaten Mittelasiens oder der Karibik bis Sri Lanka oder Burma fortsetzen. Konsequenterweise müssten wir mit all diesen Staaten die Wirtschaftsbeziehungen abbrechen, wenn die – emotional und moralisch durchaus verständlichen – Forderungen richtig sein sollten, dass man Libyen, Tunesien oder Ägypten seit langem wirtschaftlich unter Druck setzen hätte müssen. Und selbst wenn man sich mit welchen Argumenten immer auf diese drei Länder beschränkt hätte, hätte man noch ein paar weitere Kleinigkeiten klären müssen, wie etwa:

Je mehr man nachdenkt, umso klarer wird: Europa, wie auch die restliche Welt, sollte sich nur dann in die Angelegenheiten anderer Länder einmischen, wenn man sicher sein kann, dass die Einmischung am Ende des Tages auch erfolgreich ist, wenn sie also notfalls auch militärisch erfolgt. Oder wenn die Revolutionäre schon gewonnen haben. Sei es auch noch so furchtbar, was in anderen Ländern passiert.

Denn offen sei eine sehr persönliche Lehre eingestanden: Ich habe mich – wie viele – sehr über den Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein gefreut und mich in vielen Kommentaren auch dafür eingesetzt. Das Chaos, das dort nachher herrschte, war aber wohl in vielerlei Hinsicht schlimmer für die Iraker als die Zeit vorher. Selbst wenn man in Betracht zieht, dass Saddam Husseins rak zwei Angriffskriege ausgelöst hat.

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Das Böhmisch-mährische Hügelland

28. Februar 2011 18:17 | Autor: Paul Fischer
Rubrik: Gastkommentar

Dass Prag unser Wien im Tourismusranking längst überholt hat, wissen die gelernten Österreicher längst, die über das hohe Preisniveau in der Bruderstadt stöhnen. Auch ist bekannt, dass überall in Böhmen und Mähren herrliche Kunst- und Kulturschätze zu heben sind. Auf der Wiener Ferienmesse haben sich die 14 Regionen der Tschechischen Republik dementsprechend präsentiert. Es lohnt speziell ein Blick auf eine Region, die uns ganz nahe ist – hinter Znaim und Teltsch und rund um Iglau.

Im Vorjahr gab es die grenzüberschreitende Initiative vom Land Niederösterreich und Südmähren, wo erstmals ein Besucherpfad auf der Grenze hin und her wechselte. 2010 ergriff die tschechische Region Vysocina die Initiative und begann gemeinsam mit österreichischen Werbeagenturen einen Marketingplan für die Region „Hügelland“ – so heißt Vysocina übersetzt – zu entwickeln. Noch mögen sich viele Österreicher fragen, wozu man eine Gegend besuchen soll, die klimatisch und landschaftlich dem Waldviertel sehr ähnlich ist. Für diejenigen, die auf ihren Ausflügen nach Prag und Dresden bisher stramm durchgefahren sind, könnte sich jedoch mit einem Halt in der Region Vysocina eine aufregende, neue, reichhaltige Welt erschließen.

Der Kraj Vysocina umfasst eine Fläche von 6795 Quadratkilometern und wird von Iglau (Jihlava) aus verwaltet (Einwohner: 515.411). Fast genau durch die Mitte des Hügellandes führt die europäische Autobahn D1, E50/E65 Berlin – Prag – Brünn – Wien/Pressburg (Bratislava) – Budapest. Und ebenso bildet das Land eine europäische Hauptwasserscheide zwischen Nordsee und Schwarzem Meer. Der Westen der Region ist historisch Teil von Böhmen, der Osten liegt in Mähren. Grob gesehen fassen die Städte Teltsch und Trebitsch das Hochland im Süden ein, die Städte Havlicku Brod und Zdár nad Sázavou im Norden – und  Iglau „herrscht“ in der Mitte.

Gleich drei Auszeichnungen mit dem Label „Weltkulturerbe“ der Unesco befinden sich in der Vysocina und das hebt sie selbst bei unserem damit reich gesegneten nördlichen Nachbar hervor: 1.) der historische Stadtkern von Teltsch, 2.) die Wallfahrtskirche Zelena Hora (Grüner Berg) bei Zdár nad Sázavou, 3.) das jüdische Viertel von Trebitsch sowie die nahe gelegene Basilika des Hl. Prokop im 1101 errichteten Benediktinerstift.

Vor-Ort Znaim

Nähert man sich der Vysocina aus dem Raum Wien, dann empfiehlt es sich, die auf dem Weg gelegene Stadt Znaim zu besichtigen. Und wer schon alles zu kennen scheint, sollte sich durch den Untergrund von Znaim führen lassen. Von fast 100 km mittelalterlichen Gängen und Kavernen in einer harten Granit- und Gneisplatte – sie dienten auch als Lager für Textil- und Pelzhändler – ist ein Kilometer begehbar und mit 14 Stationen auch für Kinder zu einem Erlebnis gestaltet worden. Geister melden sich in der Dunkelheit, Särge liegen am Weg, Folterinstrumente künden von einer schrecklichen Zeit; Mönche, Elfen, Zwerge begegnen dem Erforscher des Untergrundes. Die ältesten hier gefundenen Artefakte stammen aus dem Jahr 1402. Kommt man ganz nahe dem Hauptplatz wieder ans erlösende Tageslicht, dann empfiehlt sich für das Mittagessen eines der vorzüglichen Restaurants vor Ort, wie die „Goldene Gießkanne“. Wer übernachten will, findet im 3-Stern Althan Palais Hotel eine stilvolle Unterkunft im historischen Adelspalais direkt im Zentrum.

Übrigens lässt sich Znaim auch sehr gut mit der Bahn erreichen und die ÖBB bieten entsprechende Packages, wie vergangenen Herbst das Adventpaket für nur 24 Euro, das zur Zugfahrt noch eine Stadtbesichtigung und ein tschechisches Weihnachtsmenü samt Punsch und dazu ein Weihnachtgeschenk miteinschloss (Das normale EURegio-Ticket kostet € 15 hin und retour). Die Anfahrt erfolgt über die berühmte Nordwestbahnbrücke über das Thayatal. Der erste Zug gelangte am 1. November 1871 von Wien aus in die Essigkurkenstadt. Und so wie damals ist die Aussicht auf Znaim vom über die Brücke anrollenden Zug spektakulär. Und wer das erlebt hat, will auch noch einmal von der Stadt aus, auf dem Weg von der Nikolaikirche, den Felsen über der Thaya entlang zum Zentrum den „Gegenschuss“ genießen – den herrlichen Blick vom Stausee den genüberliegenden Bergrücken entlang bis zur Eisenbahnbrücke. In der besten Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg passierten täglich 40 Züge diese Stahlkonstruktion. Heute sind es um den Faktor 10 weniger. Aber man kann immer noch Iglau/Jihlava mit der Bahn erreichen und damit so in das Herz der Vysocina gelangen.

In Iglau hat der in der Nähe geborene Komponist und Dirigent Gustav Mahler seine Jugend verbracht, daher ist das beste Hotel im Zentrum der Stadt nach ihm benannt (www.hotelgmahler.cz). Nicht weit von Jihlava liegt Zdár nad Sázavou, eine Industriestadt mit 24.000 Einwohnern, und sie hegt einen ganz besonderen kulturellen Schatz: Selesna Hora – den Grünen Berg. Ein ehemaliges Zisterzienserkloster, gegründet 1252, liegt ihm zu Füßen und befindet sich heute wieder im Besitz der Familie Kinský (Wie erinnerlich haben wir in Wien ein Palais Kinsky). In einem supermodern gestalteten Ausstellungsraum stellen hier die Kinskýs einen Teil ihrer hervorragenden Gemäldesammlung aus und tragen so dazu bei, dass Touristen Selesna Hora in der Vysocina besuchen. Auf dem Gipfel des Hügels befindet sich eine große Kapelle, der Dom des Hl. Johannes von Nepomuk, eingefriedet von einem sternförmigen Gemäuer, dessen knallrotes Dach aus der Vogelperspektive einen interessanten Anblick bietet. Zumindest auf Ansichtskarten lässt sich das bewundern.

Aber auch in umgekehrter Richtung bietet sich dem Besucher der Wallfahrtskirche Spektakuläres. In das Gewölbe über dem Kirchenraum ist eine riesige rote Zunge gemalt. Sie erinnert an den Heiligen Nepomuk, der dem König gegenüber sein Schweigegelübde in Bezug auf das Beichtgeheimnis hielt, obwohl ihm das Folter und Tod brachte. Die Nepomukkirche ist in ihren ungewöhnlichen Formen und Ecken ein architektonisches Kleinod. Seit 1994 wird dieses Juwel der Barockkultur bei der UNESCO als Weltkulturerbe gelistet.

Doppeltes Weltkulturerbe Trebitsch

Weitere Kulturhighlights finden sich in Trebitsch. Die Auslöschung des jüdischen Stadtteils im Zweiten Weltkrieg wird Juden, Tschechen, Deutschen und Österreichern für ewige Zeiten in Erinnerung bleiben. 811 Bürger – praktisch alle – sind von dem Schtettel in die Konzentrationslager gebracht worden. Was auf Besucher zunächst als schön renovierte Romantik wirkt, enthält einen blutenden Stachel, der im Besucherzentrum sichtbar wird, das in einer ehemaligen Synagoge eingerichtet wurde. Ein legoartiges Modell zeigt die Lebensbereiche der jüdischen Siedlung, kleine Lichter leuchten, was immer man anklickt; die Mazzes-Bäckerei, der koschere Fleischhauer, der Brunnen, das Armenhaus, die Mühle, die Synagoge usw.

Die Familie Waldstein hat hier Besitzungen gehabt. Und Hussitenführer Zischka ist mit einer großen Schar Kämpfer durch das Tal gezogen, hat aber die 2003 zum Weltkulturerbe eingetragene Basilika St. Prokop in Ruhe gelassen. Die wurde zwischen 1240 und 1260 errichtet und ist einzigartig mit ihren romanisch-gotischen Bögen. Von der Ferne fällt der Turm der Kiche des Heiligen Martin ins Auge. Schuhfabrikant Bata hat hier produzieren lassen und am Jihlava-Fluss so wie in Zlin seine berühmten Sozialquartiere gebaut.

Stadtensemble Teltsch

Telc, 1353 gegründet, gehört zu den ältesten Städten in der Tschechischen Republik und ist touristisch ein sehr beliebter Ort. Graffitos und Fresken auf den geschmückten Giebeln der Bürgerhäuser auf dem Marktplatz sind durch italienische Architektur inspiriert und sehen bis heute wie in den berühmtesten Zeiten unter der Herrschaft der Herren von Hradec aus. Aufgrund ihrer baulichen und archtitektonischen Einzigartigkeit wurde die Stadt 1992 in das Verzeichnis der Weltkultur- und Naturerbe der Unesco eingetragen. 1339 findet man schon die Herren von Neuhaus erwähnt, die hier ein Schloss errichten, das später zu einem Renaissance-Prachtbau mit großzügigem Park und Teichen evolviert. Mit seinen heute 6000 Einwohnern blickt Teltsch auf eine reiche Geschichte zurück. Erste Erwähnungen findet man im Jahr 1333, 1339 kamen die Herren von Hradec in die Region zwischen Böhmen und Mähren. Später fanden sich hier die Lichtenstein von Kastelkorns ein und regierten später als Podstatsky-Lichtenstein bis 1945.

Am Marktplatz fallen Touristen in die Stadtgalerie ein, die stilvoll im alten, eben renovierten Feuerwehrhaus eingerichtet wurde. Es empfiehlt sich, den spätromanischen, 49 m hohen Heiligen Geist-Turm zu besteigen, der einen panoramischen Rundblick über das in 500 m Seehöhe gelegene Welterbe Teltsch bietet – auf Schloss, Park, das Jesuitenkolleg, diverse Brunnen, Pestsäule, auf Teiche und Stege.

Teltsch ist aber nicht nur feine Kulisse. In der Region Horácko gibt es an traditioneller Kultur und Gewerben keinen Mangel. So gab es zuletzt Adventkonzerte, eine lebende  Weihnachtskrippe und traditionelle Weihnachtslieder der Region. Bald wird man den Frühling begrüßen: Mit örtlichen Ensembles wird die Frühjahrssaison eröffnet, Gewerbe präsentiert, Ostereier geschmückt und Osterrruten geflochten. Der Mai ist von Folklorevorführungen im Zentrum der Stadt bestimmt. Es folgen ein Märchentag, ein Treffen von Blasmusikkapellen. Kunst und Film stellen sich ein und die Französisch-tschechische Muskikakademie präsentiert die Kunst junger Studenten. In der Ferienzeit bieten Festspiele eine Vielfalt an Erlebnisssen, und den Jahrmarkt der Region Horácko. Es folgen historische Kostümfeste, z.B. die Ankunft des heiligen Wenzel oder man folgt der Einladung von Zachariás von Hradec und Katerina von Wallenstein.

Kurort St. Katerina in den Böhmisch-Mährischen Höhen

Nordwestlich von Teltsch, hinter kleindörflichen Strukturen mitten in Fichtenwäldern liegt  das frühere Kloster, und heutige modernste Resort „Svatá Katerina“. Es wurde vor zwei Jahren glanzvoll renoviert. Von hier aus kann man nach Lust und Laune in alle Richtungen reiten – die Nummer 1 im Tourismus der Vysocina –  wunderbar Langlaufen in kristallig glitzerndem Pulverschnee, Wandern und Radfahren über und zwischen den Hügeln der Vysocina, und zwischendurch immer wieder Kulturelles erleben. Kern des Geschens ist aber eine Heilquelle erster Güte und mit vorzüglichem Geschmack. Die spritzige Quelle kommt mit 6 Grad aus dem Boden. Seit Jahrhunderten schon wird sie als Trink- und Badekur verwendet. Das Wasser aus dem St. Katarina-Brunnen enthält Schwefel, Eisen, Natrium, Kalzium- und Kaliumkarbonat, Silikat, Sulfat, Chlorid und auch natürliche heilende Radioaktivität. Der Erholungsort verfügt über 170 Betten in luxuriösen Zweibettzimmern mit Zubehör. Der Wellnessbereich verfügt über eine finnische Sauna, Aromatherapie-Sauna, Kräuterdampfbad, Salzdampfbad, 7 Massagekabinen, dazu alle sportlichen Einrichtungen inklusive 6 Pferde in der Nähe des Tennisplatzes und ein Golfplatz. 70 Mitarbeiter finden hier Beschäftigung.

Die Vysocina ist Zielgebiet 1 der EU, und wir wissen von unserem Burgenland wie gut diese Brüsseler Einstufung einer Region tut. 350.000 Gäste beherbergt das „Hügelland“ jährlich, 90 Prozent davon sind Tschechen, der Rest Deutsche, Holländer, Briten, Franzosen und Österreicher. Sie alle verbringen dreieinhalb Nächte in dem Land mit dem „Reinheitssiegel“ der besten Luft Tschechiens. Im Resort Svatá Katerina freilich kommt zur reinen Waldluft das  reiche Angebot an Wellness-Therapien und bekömmlich-gesundes Essen hinzu. Wie wäre es mit Hühnerleber und Zwiebeln auf Toast als Vorspeise zum Beispiel, oder Schweinsschnitzel mit Pilzen und Karlsbader Knödeln bzw. Hühnerschenkel mit Paprika und Reis? Und eine Früchtepalatschinke zur Nachspeise? Kalorien sind immer mit angegeben und ein diätologischer Dienst steht bereit.

Die Fahrzeuge der Gäste werden auf dem eigenen Parkplatz im 3 km entfernten Pocatky bewacht. Die Einfahrt in den Erholungsort ist aus Umweltgründen verboten. Dafür steht ein Shuttle-Bus bereit. Fernsehgeräte wird man in den Zimmern vergeblich suchen. Schonung, Heilung und Kraft-Tanken stehen im Vordergrund. Die Wochenenden im Winter sind übrigens immer ausgebucht – es empfiehlt sich die rechtzeitige Anfrage und Reservierung. (www.katarinaresort.cz)

www.region-vysocina.cz

Paul Fischer hat 21 Jahre im Journalismus gearbeitet; er startet nun eine zweite Karriere als Reiseleiter.

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Es führt ein Tunnel nach nirgendwo

23. Februar 2011 00:04 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es ist ein Musterbeispiel, wie sich die Politik zunehmend um ihre Glaubwürdigkeit bringt. Früher sind bei Monsterprojekten der Dimension Brenner-Basistunnel oder Koralm-Tunnel die privaten Investoren meist bankrott gegangen. Bei den Tunnel-Projekten droht das der Politik – oder zumindest ihrer Glaubwürdigkeit.

In dieser Frage sind es ausgerechnet die Grünen, die man auf der Seite der Vernunft findet. Dafür ist ihnen Anerkennung zu zollen – obwohl sie für den Beginn des Brenner-Projekts sehr wohl kausal waren. Denn die seit längerem schwelenden Klagen der Gemeinden im Tiroler Wipptal über die – einst von Tirol mit Stolz beworbene! – Autobahn bekamen erst nach einem Wahlerfolg der Grünen in Tirol politisches Gewicht und die Forderung nach einem Bahntunnel zur Entlastung der Autobahn wurde bald von allen Parteien zum zentralen Programm verwandelt.

Plötzlich wurde der Brenner-Tunnel zur obersten Tiroler Fahnenfrage, wichtiger als Skisiege und Südtirols Selbstbestimmungsrecht zusammen. Ähnlich wurde der Koralm-Tunnel zwischen Graz und Klagenfurt zuerst – unter Jörg Haider – für die Kärntner und dann auch für die Steirer zum zentralen Anliegen, das beiden vorher gar nicht bewusst gewesen war.

Eine wirkliche wirtschaftliche Betrachtungsweise findet da wie dort bis heute nicht statt. Sonst hätte man ja auch private Investoren finden können, die die Tunnels finanzieren, und die dann über die Benützungsgebühren Risiko wie auch Gewinnchancen tragen. Da das EU-Recht es unmöglich macht, Frächter von der Straße auf die Schiene zu zwingen, muss der Brennertunnel eine gewaltige Fehlinvestition werden. Dies auch deshalb, weil Deutschland völlig desinteressiert ist, die Brennerbahn Richtung Norden (etwa durch einen anschließenden zweiten Monstertunnel unter der Innsbrucker Nordkette) auszubauen. Aber natürlich macht die Strecke nur in Hinblick auf Deutschland wirklich Sinn.

Ähnliches gilt für die andere Großbaustelle. Der Personen-Verkehr zwischen Graz und Klagenfurt wird derzeit mit einem gelegentlichen ÖBB-Bus voll abgedeckt, der die Strecke in zwei Stunden bewältigt (der Bahn-Umweg über Leoben dauert 2,30 Stunden). Güterverkehr von Graz in das industriell völlig unbedeutende Klagenfurt ist sowieso keiner zu erwarten. Nicht einmal die – auch wegen der dazwischen liegenden Orte industriell viel wichtigere – Verbindung Graz-Linz ist künftig den ÖBB einen direkten Personenzug wert. Die Kärntner Industriefurche (St. Veit bis Villach samt Anschluss nach Italien) ist sowieso durch die alte Südbahn gut erschlossen. Diese bräuchte nur dringend den von Erwin Pröll aus populistischen Gründen so lange verhinderten Semmering-Tunnel, um noch höhere Kapazitäten zu haben. Bis der mächtige Niederösterreicher zum Glück endlich umschwenkte, ist ausgerechnet das einzige unter den drei Tunnelprojekten, dessen ökonomischer Sinn völlig unbestritten ist, ein Jahrzehnt lang verhindert worden.

Bei allen übrigen Projekten hat die Politik, insbesondere die Landespolitik, seit Jahr und Tag ihre Hauptaufgabe darin gesehen, den Menschen ökonomisch völlig sinnlose Projekte zu versprechen. Obwohl hinten und vorne kein Geld dafür da war. Ähnlich setzen sich ja fast alle Landeshauptleute ständig für Nebenbahnen ein, auf denen nur gelegentlich menschenleere Geisterzüge fahren.

Und niemand, weder Bund noch Länder, hat sich getraut, mit den Menschen Klartext zu reden. Daher wurden seit Jahr und Tag Formalbeschlüsse für den Bau der Tunnels getroffen, ohne dass die Finanzierung geklärt wäre. Ganz abgesehen davon, dass kein Mensch glaubt, dass der Brennertunnel wirklich nur die – ohnedies gewaltigen – 9,7 Milliarden Euro kosten wird, die jetzt dafür veranschlagt werden. Schlauerweise wurde aber dennoch an mehreren Stellen mit Probebohrungen begonnen. Gleichsam um den Steuerzahler vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Irgendwie verständlich, dass sich die ÖBB neuerdings dagegen wehren, dass die Regierung Projekte beschließt, deren Finanzierung aber dann den ÖBB umgehängt wird. Viel weniger verständlich ist, dass sich die ÖBB nun zwar gegen den Brenner, aber für den Koralm-Tunnel positionieren. Das versteht man wohl erst, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass bei den tunnelbegeisterten Tirolern, denen im Norden wie jenen im Süden, die seit 90 Jahren mit den ÖBB innig verbundene Sozialdemokratie völlig bedeutungslos ist. In der Steiermark stellt die SPÖ hingegen seit einigen Jahren den Landeshauptmann und in Kärnten kann sie zumindest auf ein Comeback hoffen.

Die Haltung der ÖBB zu den einzelnen Projekten ist ungefähr so schizophren wie die Haltung der ÖVP. Diese ist in Tirol, der Steiermark und Kärnten für die großen Löcher, auf Bundesebene aber für Sparsamkeit – und dazwischen für das parteiübliche Kommunikations-Vakuum.

Wie geht es weiter? Meine Schätzung: Beide Tunnels werden in den nächsten Jahrzehnten unter dem kombinierten Druck der Bau- und der Regional-Lobby  zeitweise weiter vorangetrieben werden, unter dem Druck der Realitäten aber auch zeitweise wieder eingefroren werden. Und wenn sie dann irgendwann einmal doch fertig sein sollten, werden Zeitungen und Politik das Finanzdebakel bejammern. So als ob sie nie die Tunnels verlangt hätten. Und ganz besonders wird die Wirtschaftskammer darüber klagen, die jetzt besonders laut für die zwei Verschwendungsbauten agitiert.

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Vaclav Klaus und seine europäischen Wahrheiten

22. Februar 2011 01:59 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Vaclav Klaus hat dieser Tage fundamentale Kritik an der EU geübt. Diese ist jedenfalls ernstzunehmen, ist der tschechische Präsident doch einer der ganz wenigen europäischen Spitzenpolitiker mit einer fundierten ökonomischen Bildung – und gleichzeitig mit dem Mut, seine Meinung ohne die sonst üblichen Rücksichten und diplomatischen Floskeln brutal und pointiert zu formulieren. Davon können wir alle nur profitieren, selbst wenn wir dem Mann auf dem Hradschin nicht in Allem zustimmen sollten.

Was hat er nun gesagt? Erstens hat er darauf verwiesen, dass es ein grober Fehler sei, die EU und Europa gleichzusetzen. Damit hat er zweifellos recht. Haben doch auch wir Österreicher bis 1995 sehr unter dieser Gleichsetzung gelitten, als wir eben noch nicht Teil der EG beziehungsweise EWG waren, wie die EU früher hieß.

Europa ist nicht nur größer, sondern auch viel älter als die EU. Und es wird auch wohl dann weiterbestehen, wenn die EU einmal als Folge von allzuvielen Fehlern ihrer Akteure zerbrechen sollte. Auch wenn wir uns das nicht wünschen, so ist es doch sicher gut, sich der potenziellen Endlichkeit der Union endlich wieder bewusst zu werden. Dieses Bewusstsein ist ja auch eine Warnung, allzu leichtfertig die EU zu missbrauchen.

Zweitens macht Klaus ein strengen Unterschied zwischen Integration und „Unifikation“. Er bekennt sich voll zur Integration, womit er die Liberalisierung des Lebens und der Wirtschaft sowie insbesondere die Beseitigung der Barrieren zwischen den einzelnen Ländern und ehemaligen Blöcken meint. Dieses Lob von Klaus wird wohl von fast allen Europäern geteilt. Die Integration hat uns alle wohlhabender, freier, mobiler gemacht.

Unter Unifikation versteht Klaus hingegen den Versuch, Europa künstlich in eine harmonisierte und zentralisierte Nation zu verwandeln. Diesen Versuch lehnt er ab; und prophezeit ihm ein Scheitern.

Der Tscheche hat damit den wunden Punkt Europas angesprochen: Wollen die Menschen das überhaupt? Hat das unausgesprochen von vielen europäischen Akteuren angestrebte Ziel, die EU zu Vereinigten Staaten von Europa weiterzuentwickeln, eine demokratische Legitimation? Man darf zweifeln. Schon die großen sprachlichen Unterschiede, aber auch die völlig unterschiedliche historische und kulturelle Identität machen eine Überwindung des nationalen Denkens und Handelns so gut wie unmöglich.

Man sehe sich nur an, mit welch großer Intensität die Österreicher nach wie vor das Handeln ihrer Bundesregierung und ihres Parlaments diskutieren, wie wenig emotionale Aufmerksamkeit hingegen das europäische Parlament oder die diversen EU-Ministerräte beziehungsweise Kommissions-Sitzungen hierzulande erregen.

Es gibt nicht einmal funktionierende gesamteuropäische Medien. Lediglich das Eliteblatt „Financial Times“ widmet Europa mehr Raum und Gewicht als nationalen Vorgängen. Das ist natürlich schade, aber doch ein Faktum, das ich selber bei meinen eigenen Vorträgen beobachten kann: bei österreichischen oder weltanschaulichen Themen ist der Saal meist recht gut besucht, Europa-Themen leeren ihn hingegen.

Diese Unifikation ist in Wahrheit ein reines Projekt der Brüsseler Eliten, aus welchem Land immer sie kommen mögen. Medien, Politiker, EU-Beamte, Lobbyisten denken europäisch, der Rest des Kontinents tut das nicht. Deshalb wird den Europäern auch regelmäßig mehr Subsidiarität versprochen – also dass die einzelnen Nationen wieder mehr Rechte und Macht bekommen. Geschehen tut aber leider oft das Gegenteil.

Freilich sollte man dafür nicht allzusehr die anonyme Institution EU geißeln. Denn im Rat, dem noch immer mächtigsten Gremium Europas, sitzen lauter nationale Minister oder Regierungschefs. Ohne ihre Beschlüsse könnte das Subsidiaritätsprinzip auch nie verletzt werden. Aber in Wahrheit tun die versammelten Minister das sehr gerne. Denn in einer Ratssitzung kann man unter lauter meist gleichgesinnten Kollegen viele Dinge durchbringen, mit denen man daheim im Ministerrat, am Finanzminister, im Parlament oder in der Öffentlichkeit scheitern würde. Und das Ergebnis kann man dann scheinheilig wieder der EU in die Schuhe schieben.

In den einzelnen Fachministerräten beschließen die versammelten Umwelt- oder Frauen- oder Landwirtschaftsminister in nichtöffentlichen Sitzungen Vieles, was nur im ganz spezifischen Interesse einer Lobby liegt. Die Gesamtsicht, für die etwa in Österreich die Einstimmigkeitspflicht im Ministerrat sorgt, geht dabei hingegen verloren. Das ist aber ein gravierender Fehler.

Problematisch wird Klaus freilich in einem weiteren Punkt, nämlich wenn er die „Soziale Marktwirtschaft“ weitgehend mit dem Kommunismus gleichsetzt. Da wird seine pointierte Vereinfachung allzu holzschnittartig und damit falsch. Da ja in der EU keineswegs die Wirkung der Marktmechanismen abgeschafft ist.

Und vor allem vergisst Klaus eines: Noch immer gibt es neben den schädlichen Unifizierern in der EU-Kommission auch viele erfolgreiche Kämpfer für den Markt, gegen Monopole und Kartelle. Ohne sie stünden wir, stünden vor allem die Konsumenten viel schlechter da.

Aber dennoch ist es sehr schade, dass die interessanteste Rede eines europäischen Politikers seit Jahren so wenig diskutiert wird.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Die Krise ist vorbei – sind es unsere Sorgen auch?

15. Februar 2011 00:17 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Niemand hat vor einem Jahr zu hoffen gewagt, dass es uns heute wieder so gut gehen würde. Und am Höhepunkt der großen Krise, im März 2009, schon gar niemand.

Damals hatten alle Ökonomen, Politiker und Medien Vergleiche mit der großen Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre gezogen, die dem Nationalsozialismus und dem zweiten Weltkrieg den Weg bereitet und katastrophale Folgen für eine ganze Generation von Europäern hatte.

Was waren nur in diesen zwei Jahren alles für Weltuntergangsprognosen an die Wand gemalt worden! Von der Deflation bis zur Massenarbeitslosigkeit bis zum Zerfallen des Euro. Nichts davon ist offensichtlich eingetreten. Das Wirtschaftswachstum hat inzwischen wieder in den meisten Ländern der Union die Delle ausgebügelt, welche die amerikanische Subprimekrise, der Zusammenbruch der Lehman-Bank und der dann wie eine Schockwelle eingetretene globale Vertrauensverlust ausgelöst hatten.

Wobei das großteils ja nur die Auslöser waren. Die Ursachen lagen tiefer und waren fast immer Fehler der Währungspolitik, der Budgetpolitik und staatlicher Interventionen in die Wirtschaft wie etwa in den amerikanischen Wohnungsmarkt. Ganz abgesehen davon, dass irrationaler psychologischer Überschwang und Unterschwang, wenn es dieses Wort gäbe, immer die Wirtschaft begleiten werden. Wer behauptet, Rezepte gegen jede Art von Krise zu haben, ist ein gefährlicher Scharlatan.

Aber zurück zur jüngsten Krise: Wir sind anscheinend ganz überflüssigerweise in Panik verfallen. Es war halt nur einer der vielen Fehlalarme als Folge unseres Hangs zu regelmäßiger Angst. Ähnliche Paniken gab es ja schon viele: etwa die höchste Alarmstufe der Weltgesundheitsorganisation wegen der letztlich total harmlosen Schweine- und Vogelgrippen; oder das angebliche Wäldersterben; oder das von zahlreichen Wissenschaftlern schon für Ende des vergangenen Jahrtausends prophezeite Versiegen des Erdöls; oder die katastrophalen Folgen einer angeblich vom Menschen gemachten Globalen Erwärmung.

Es ist also alles wieder gut. Oder? Stimmt vielleicht eher die Metapher vom Hirtenbub, der zu oft „Wolf!“ geschrien hat, bis ihm niemand mehr glaubte, als dann wirklich der Wolf kam? Stimmt vielleicht eher der Vergleich mit dem britischen Premierminister Chamberlain, der zwölf Monate vor Ausbruch des Weltkriegs freudestrahlend „Peace in our time!“ verkündet hat? Gleichen wir vielleicht gar dem aus dem 100. Stock gesprungenen Mann, der noch 99 Stockwerke tiefer glaubt: „Lustig ists!“

Letztlich gilt: Wir wissen es nicht. Denn es gibt zum Glück keine Vorherbestimmung der Geschichte. Deren künftige Entwicklung liegt immer in den Händen der Menschen. Und auch in der Wirtschaft spielen mehr Psychologie und damit Irrationalität mit, als viele meinen. Deswegen machen sich regelmäßig ja all jene Experten lächerlich, die Wachstums- und Inflationsentwicklungen sogar aufs Komma genau vorhersagen. Über künftige Entwicklungen kann man immer nur Wahrscheinlichkeiten bewerten. Diese sind freilich umso verlässlicher, je mehr bestimmende Faktoren jetzt schon feststehen.

Nähert man sich der Frage nach der weiteren Entwicklung aber mit diesem nüchternen Realismus, dann kann man durchaus Etliches über die Zukunft sagen. Viele Determinanten stehen ja heute schon fest. Wie etwa die Zahlen der Staatsverschuldung oder die demographischen Daten. Andere sind hingegen offen, wie etwa psychologische Stimmungen oder politische Entscheidungen oder gar Naturkatastrophen und Kriege.

Auf dieser Basis seien nun einige der am meisten diskutierten Szenarien näher untersucht, wobei auch jedesmal eine Wahrscheinlichkeitsbewertung gewagt wird:

1.     Zerfall des Euro: 15 Prozent Wahrscheinlichkeit.
Heute sind viele Experten überzeugt, dass der Euro zumindest so lange überleben wird, wie auch die EU hält, das heißt de facto, solange es keinen europäischen Bürgerkrieg gibt. Denn heute sieht man klarer als im vergangenen Sommer: Ein Ausscheiden der schuldenfreudigen Länder des Südens würde diesen erst recht eine Katastrophe bescheren. Lauten doch im Gegensatz zur Vor-Euro-Zeit all ihre Schulden auf Euro. Und die bei einem Ausscheren aus dem Euro unvermeidliche Abwertung der Süd-Währungen würde deren Rückzahlung noch zusätzlich dramatisch verteuern. Daher denken die Südländer nicht an ein Ausscheren.
Umgekehrt wird es Deutschland wohl nie wagen, von sich aus auszuscheren. Das wäre trotz des Drucks der Bevölkerungsmehrheit eine außenpolitische Katastrophe, die keine Regierung wagen wird, auch wenn jedenfalls Österreich und die Niederlande folgen würden, die ja immer brav den Deutschen nachtrotten. Aber Deutschland wird nicht nur aus Gründen der politischen Sensibilität auf einen Euro-Austritt verzichten. Es weiß auch: Letztlich würde es allen exportorientierten Ländern sehr schaden, wenn sie plötzlich wieder mit gewaltigen Währungsunsicherheiten sowie Transaktionskosten in ihren Hauptabsatzgebieten rechnen müssten. Die dann sicheren Abwertungen in Griechenland & Co würden viele Exporteure aus dem Markt werfen.
Mit anderen Worten: Auch wenn der Euro viel von seinem Glanz verloren hat, wird es ihn wohl erst dann zerreißen, wenn es die EU zerreißt. Dennoch darf man nicht verschweigen, dass rund um die Währung katastrophale Fehler begangen worden sind. Der Euro war letztlich eine unnatürliche Hybrid-Konstruktion. Für seine Einführung hätte es in der ökonomischen Logik zwei Möglichkeiten gegeben:

a.      Der Euro ist die Währung der Vereinigten Staaten von Europa, die nicht nur eine gemeinsame Währung, sondern auch eine gemeinsame Budget- und Wirtschaftspolitik haben. Eine so enge Gemeinsamkeit wollte und will aber der Großteil der EU-Staaten nicht.

b.     Man hat sich für die andere Möglichkeit entschieden, die sogenannte No-Bailout-Regel, die es eigentlich verboten hätte, dass andere Staaten oder die Europäischen Zentralbank oder die Kommission einem überschuldeten Euro-Land mit Krediten, mit Rettungsschirmen usw. zur Hilfe kommen. Die klare Intention war: Wenn ein Land undiszipliniert lebt und das Vertrauen der Kreditgeber verliert, dann soll es eben Pleite gehen. Es soll wie auch jedes Unternehmen ein Insolvenz-Verfahren auf sich nehmen müssen.
An diese Regel hat man sich aber in der Stunde des Ernstes nicht gehalten. Die meisten anderen Euro-Länder – mit der interessanten Ausnahme der Slowakei – sowie die EU-Kommission, die EZB und der Internationale Währungsfonds haben vielmehr begonnen, mit einer Vielzahl kompliziert klingender Instrumente den überschuldeten Ländern beizustehen. Durch Haftungen, durch Kauf von Anleihen jener Länder. Jetzt wird insbesondere von Luxemburg die Ausgabe von Eurobonds empfohlen, die natürlich den selben Effekt haben: Deutschland & Co haften für die Schulden von Griechenland & Co.
Das wurde immer mit der Notwendigkeit begründet, dass sonst der Euro gefährdet wäre. Was aber sicher falsch ist. Im Gegenteil hätte gerade eine Nichtintervention die Glaubwürdigkeit des Euro massiv gestärkt.
Da man aber interveniert hat, noch dazu mit großen Geldsummen, die vielleicht noch wachsen, hat eine Reihe anderer Gefahren an Wahrscheinlichkeit gewonnen.

2.     Inflation: Eine Geldentwertung im einstelligen Bereich hat 65 Prozent Wahrscheinlichkeit; eine im zweistelligen Bereich 20 Prozent.
Die Frage nach der Größe der Inflationsgefahr ist heute unter Ökonomen die am heftigsten umstrittene. Viele verweisen darauf, dass die umlaufende Geldmenge im Grund nicht gestiegen ist. Denn trotz der zum Teil gewaltigen Defizite und der Geldschöpfung durch die Notenbanken ist die Kreditfreudigkeit noch recht gering. Überdies sparen die Menschen vermehrt. Das Geld rotiert langsamer.
Andere Ökonomen sehen hingegen deutlich mehr Gefahren. Immerhin steht die gemessene Inflationsrate schon wieder bei den zwei Prozent, bei denen die EZB nach ihren eigenen Regeln eigentlich schon bremsend eingreifen müsste. Vor allem die Rohstoffpreise sind deutlich im Steigen, die sich mit Verzögerungen auch regelmäßig auf die Verbraucherpreise niederschlagen. Die Rohstoffpreise steigen gar nicht so sehr wegen der heftigen Geldvermehrung insbesondere in den USA, sondern vielmehr wegen der rapide steigenden Nachfrage der Asiaten, die Knappheiten ausgelöst hat. Überdies wird die Destabilisierung im Nahen Osten die Preise weiter in die Höhe treiben.
Dennoch sprechen einige Faktoren gegen die verbreitete Befürchtung, dass die europäischen Länder ihre gewaltigen Schulden allzu einfach via Inflation entsorgen können. Ein stabilisierender Faktor dürfte trotz ihrer enttäuschenden Haltung im Jahr 2010 die EZB sein, die sich nun verstärkt wieder der Stabilität zu besinnen beginnt. Ein anderer Faktor ist der Umstand, dass die Staaten sehr rasch selbst unter einer bewusst herbeigeführten Inflation leiden würden, da sie jedes Jahr einen spürbaren Teil ihrer Schulden refinanzieren müssen.

3.     Double Dip: 30 Prozent Wahrscheinlichkeit.
Der im Vorjahr von vielen prophezeite Double Dip ist etwas unwahrscheinlicher geworden. Darunter versteht man einen raschen zweiten Absturz der Wirtschaft. Denn, so die Befürchtung, nach Auslaufen der teuren staatlichen Konjunkturimpulse werde die Krise bald wieder zurückkommen. Außerdem bilden sich jetzt schon wieder gefährliche Blasen außerhalb der offiziellen Inflationsrate. Dazu zählen neben den Rohstoffpreisen die Flucht in die Edelmetalle und der steile Anstieg der Preise für Eigentumswohnungen.
Dagegen spricht aber, dass die Menschen in den letzten zwei Jahren so viele schlechte Nachrichten gehört haben, dass sie sich schon daran gewöhnt haben. Daher würde wohl ein neuerlicher Fall Lehman Brothers heute nicht mehr den damaligen Schock eines globalen Vertrauensverlustes auslösen. Außerdem hat sich inzwischen Asien als starke Konjunkturlokomotive erwiesen, von der vor allem die exportorientierten Industriestaaten profitieren.
Dennoch ist die Gefahr eines Double Dips keineswegs vorbei. Aus mehreren Gründen:
- Die Staaten haben absolut keinen Spielraum mehr, um noch einmal so üppig durchzustarten;
- Viele Banken sind noch keineswegs so kräftig saniert, dass sie heute prinzipiell anders dastünden als 2008;
- Die kraftvollen Geldinjektionen haben den Gesundungs- und Erneuerungseffekt verhindert, den jede Krise normalerweise trotz oder gerade wegen ihrer Schmerzhaftigkeit hat: Es gab kaum Konkurse und auch am Arbeitsmarkt gab es nicht die in solchen Phasen eigentlich übliche Mobilität;
- Vor allem aber gehen selbst die optimistischen internationalen Prognosen, die keinen zweiten Absturz erwarten, für Europa von mageren Wachstumsraten aus. Dem Euro-Raum wird für die nächsten fünf Jahre mit durchschnittlich zwei Prozent das weltweit weitaus niedrigste Wachstum aller Regionen prophezeit. Selbst Schwarzafrika darf mit mehr als doppelt so viel rechnen. Und China oder Indien werden gar an die zweistelligen Wachstumsraten streifen.

4.     Staatsbankrotte: 65 Prozent.
Jahrelang haben viele Politiker und Medien über die bösen Maastricht-Ziele geschimpft, so als ob uns die EU wie eine Besatzungmacht verbietet, Schulden zu machen, so als ob Schulden sonst völlig problemlos wären. Inzwischen – und das ist der wahre Schock des Jahres 2010 – hat man erkannt, dass es noch jemand anderen gibt, der zur Mäßigung bei der Schuldenaufnahme zwingt: Jene Menschen und Institutionen, bei denen Staaten Schulden aufnehmen können. Diese haben 2010 zum erstenmal massive Skepsis über die Kreditwürdigkeit einiger EU-Staaten geäußert und ihnen nur noch zu sehr hohen Zinssätzen Kredite gewährt. Diese Zinssätze drohen die nationalen Finanzen jener Staaten endgültig zu devastieren.
Die Wahrscheinlichkeit ist daher groß, dass es in einem oder in mehreren europäischen Ländern zu einem Bankrott kommt. Eine wachsende Zahl von Experten empfiehlt das geradezu. Man sollte in der Tat die Worte Bankrott oder Pleite vom düsteren Klang des 19. Jahrhunderts befreien, als sich zahlreiche Unternehmer und Bankiers aus Scham das Leben genommen haben.
In der Nachkriegszeit hat es sogar dutzende Fälle von Staatspleiten gegeben, freilich meist in Entwicklungsländern, aber auch etwa in Polen. Bei Staaten heißt es nur nicht Konkurs, sondern etwas freundlicher Umschuldung. Würde etwa Griechenland diesen Weg gehen (müssen), dann wird mit einer Quote von 60 bis 90 Prozent gerechnet oder gar nur mit einer Verlängerung des Zahlungsziels. Das ist in den hohen Zinsen, die Griechenland seit einiger Zeit zahlen muss, schon weitgehend eingepreist. Daher empfehlen durchaus auch schon manche Banker einen solchen Haircut, bei dem eben die Investoren, die Halter griechischer Anleihen, die Banken, die Pensionsfonds und die Sparer Haare lassen müssen.
Dennoch sprechen nicht nur das Interesse dieser Gläubiger und der nationale Stolz der Griechen gegen einen Haircut. Denn primär muss es um die Frage gehen, in welcher Variante die nötigen Reformen schneller zustandekommen. Manche fürchten, dass die gegenwärtigen signifikanten Anstrengungen der diversen PIIGS-Regierungen wieder erlahmen werden, sobald eine Umschuldung den Druck wegnimmt.
Umgekehrt fürchten auch viele heute scheinbar stabil dastehende europäische Länder, dass auch sie höhere Zinsen zahlen werden müssen, wenn einmal ein EU-Land in Konkurs gegangen ist. Dann wird etwa auch die Unsitte ein Ende haben müssen, dass Banken jeden noch so gut abgesicherten Kredit an ein Unternehmen mit teurem Eigenkapital unterlegen müssen, Kredite an Staaten, also etwa Anleihen müssen hingegen nicht unterlegt werden.
Daher schien es vielen europäischen Regierungen im Vorjahr noch immer richtiger und billiger, entgegen allen auch rechtlichen Regeln, Griechenland und Irland beizuspringen.
Zumindest in Deutschland wird das heute mehrheitlich als Fehler gesehen. Dazu hat nicht zuletzt eine empörte Öffentlichkeit beigetragen, die argumentiert hat: „Wir fleißigen Deutschen müssen für die faulen Griechen brennen.“ In Österreich hat lediglich der Philosoph Rudolf Burger kräftige, allzu kräftige Worte gewagt und die über Nacht beschlossenen Rettungspakete mit dem NS-Ermächtigungsgesetz des Jahres 1933 verglichen, mit dem Hitler das Parlament ausgeschaltet hat.
Eine durchaus relevante Wahrscheinlichkeit gibt es aber auch, dass das deutsche Höchstgericht der Berliner Regierung die weitere Finanzierung von pleitegefährdeten Staaten untersagen wird.

5.     Wirtschaftsregierung: Eine nominelle Wirtschaftsregierung hat 50 Prozent Wahrscheinlichkeit zustandezukommen, effizient wird die aber nur mit 5 Prozent Wahrscheinlichkeit.
Zwischen der deutschen und französischen Regierung wurde in den vergangenen Wochen das Wort Wirtschaftsregierung als neue Zauberformel ins Spiel gebracht. Der Druck der beiden europäischen Vordenker ist so groß, dass die Idee wahrscheinlich zu irgendeinem gesichtswahrenden Ergebnis führen dürfte. Wirklich relevant dürfte das Ergebnis aber kaum werden. Denn jede Form einer Wirtschaftsregierung kann nur einstimmig beschlossen werden.
Vor allem fehlt wie bei den bisherigen Stabilitätskriterien auch hier die klare Idee, wie man einen Staat wirklich effizient zwingen könnte, die Vorgaben einzuhalten und nicht etwa mit Statistiken nach griechischer Art zu manipulieren. Es hat ja etwa auch Österreich schon bei den Stabilitätskriterien kräftig geschummelt und ÖBB-, Gesundheitssystem- sowie Asfinag- Schulden, aber auch die Bankenkredite bisher nicht einberechnet, was die Staatsschuld auf Grund einer Neuberechnung der EU von knapp unter 70 auf knapp unter 80 Prozent erhöhen wird. Überdies rechnet sich kein EU-Staat die gigantischen Verpflichtungen der zahlreichen Pensionszusagen als Staatsschuld an – ob wohl das jede private Firma sehr wohl rückstellen muss.
Die EU oder die EZB sind gegen die sündigen Länder so ohnmächtig wie die österreichische Bundesregierung gegen die Bundesländer. Sie hat Null Machtmittel, die Länder an einer über die Vereinbarungen hinausgehenden Verschuldung zu hindern. Obwohl die Länder- und Gemeindeschulden genauso in die österreichischen Stabilitätskriterien eingehen wie jene des Bundes.
Jedenfalls ist jetzt schon die Begeisterung der einzelnen EU-Staaten, eine Wirtschaftsregierung zu beschließen, sehr begrenzt. Aus den unterschiedlichsten Motiven.
Die einen wollen sich nicht eine zwingende Budgetdefizitgrenze vorschreiben lassen – obwohl eine solche nun sogar schon von Sozialdemokraten wie Ewald Nowotny vorgeschlagen wird; die anderen fürchten einen Eingriff in die Tarifautonomie der Sozialpartner; die dritten eine Beschneidung der sogenannten sozialen Errungenschaften des Wohlfahrtsstaates; und die vierten – insbesondere viele Deutsche – bangen davor, dass ihre gegenwärtigen wirtschaftlichen Erfolge eingebremst werden sollen, damit sie den anderen Staaten nicht zu weit davonziehen.

6.     Langanhaltende Stagnation Europas: 75 Prozent Wahrscheinlichkeit.
Am wahrscheinlichsten von allen Szenarien erscheint es, dass EU-Europa im internationalen Wettbewerb langsam, aber stetig zurückfallen wird. Vor allem Asien, aber auch Lateinamerika und Afrika dürften immer mehr aufholen und das EU-Europa zum Teil überholen. Von dem vor zehn Jahren geträumten Traum, dass die EU die wettbewerbsfähigste Region der Welt werde, von diesem sogenannten Lissabon-Ziel wagt man nicht einmal mehr zu träumen. In der einstigen Dritten Welt hat sich hingegen überall Dynamik breit gemacht, seit sich die dortigen Länder großteils von den kommunistischen und sozialistischen Modellen der 70er Jahre befreit haben.
Das heißt nun nicht, dass die EU ein Fehler wäre; ohne EU stünden die einzelnen Länder sicher noch schwächer da. Aber im Grund leiden alle EU-Länder gemeinsam an ähnlichen Problemen:
eine massive Überalterung der Bevölkerung;
dazu kommt ein langfristig zum Crash verurteiltes Pensionssystem.
keine positive Auslese bei der Zuwanderung;
ein viel zu aufgeblasener Sozial- und Wohlfahrtsstaat;
ungesunde Subventionsstrukturen;
eine gewaltige Überregulierung auf fast allen Gebieten – allein beim Umweltschutz belasten EU und Europas Regierungen die eigenen Arbeitsplätze mit dem Vielfachen der internationalen Konkurrenz;
eine viel zu hohe Steuerlast;
gleichzeitig geht der Vorsprung im Bildungswesen langsam verloren: Leistung und Anstrengung wurden und werden zunehmend durch Nivellierung, Kuschelecken und Leistungsunwillen ersetzt. Was sich in vielen Familien und in vielen Schulen zeigt. Die Gesamtschule soll nun dieses Prinzip sogar verallgemeinern.

7.     Externe Schocks: 30 Prozent Wahrscheinlichkeit.
All diese Prognosen gehen natürlich davon aus, dass es nicht zu Schocks aus nichtökonomischen Ursachen kommen wird. Die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten haben solche Schocks aber – vorsichtig ausgedrückt – durchaus nicht unwahrscheinlicher gemacht.

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Gescheitert!

14. Februar 2011 20:42 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

„Scheitert der EURO, scheitert Europa!“, versicherte  die Bundeskanzlerin Merkel ihren Zuhörern auf dem World Economic Forum Ende Jänner 2011 in Davos. Viele schüttelten die Köpfe. Wie das? Ist Europa so schwach, dass seine Existenz von einer Kunstwährung abhängt, die von einer Krise in die andere taumelt?

Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Italien, Belgien, immer schwieriger und kostspieliger wird es, die hochdefizitären oder verschuldeten Staaten über Wasser zu halten. Einige der zugeworfenen Rettungsringe erwiesen sich als Bleigewichte, die den notwendigen Wachstumsschub verhindern.  Jetzt versucht Merkel den Ertrinkenden  mit einem „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ zu helfen, der noch im März beschlossen werden soll. Doch den halten ihre Kollegen im Europäischen Ministerrat sowie die meisten Abgeordneten im Europäischen Parlament glattweg für Unsinn: Löhne runter, ihre Indexierung verbieten; Staatsausgeben einbremsen, Beamte entlassen; Pensionen kappen, Pensionsalter hinaufsetzen; Gesundheitsvorsorge einschränken und verteuern, Familienbeihilfen vermindern; das alles lässt sich politisch nicht durchstehen.

Ertrinkende, die dem Diktat einer „Wirtschaftsregierung“ nicht folgen, dann mit Strafzahlungen auch noch unterzutauchen, ist für viele keine gute Idee. Deshalb war das einzige, was der angedachte  „Pakt“ hervorbrachte,  Ablehnung und Haß auf die deutsche Domina und ihr Gefolge. Auf dem internationalen Parkett nehmen die Vertreter selbst kleiner Staaten die kabarettanregenden Auftritte von Frau Merkel, Herrn Schäuble  und Herrn Westerwelle nicht mehr ernst.

Man versteht, dass sie vor den zahlreichen Landtagswahlen ihre gegen die neuerlichen Belastungen aufmuckende Bevölkerung sedieren müssen, und geht zur Tagesordnung über. Wie beim ersten „Stabilitätspakt“ der Herren Kohl und Waigel wird man ihren Vorschlägen in einigen Punkten vielleicht zustimmen und sie dem geduldigen Papier anvertrauen. Die Durchsetzung erwartet niemand. Wer will schon bei dem unter Hochdruck stehenden Dampfkessel der Währungsunion die Notventile verstopfen?

Also werden diese geöffnet. Von Stabilitätsfloskeln gut getarnt, wird hinter den Kulissen inzwischen die Maschinerie für die grenzenlose Geldschöpfung oder das „quantity easing“ nach amerikanischem Vorbild auf Touren gebracht. Man ist jetzt drauf und dran EZB, ESM und EFSF in Bad Banks  zu verwandeln, welche gegen Zahlungsversprechen bankrotter Staaten diesen Kredite gewähren, ihre Schatzscheine  aufkaufen und durch Umschuldungen die Rückzahlung von Staatsschulden auf den Sanktnimmerleinstag verschieben.

Und weil die Bad Banks und „Stabilitätsfonds“ keine Sicherheit bieten, sollen jetzt auch noch die Triple A-Staaten wie Deutschland, Holland oder Österreich für die von ESM und EFSF aufgenommenen Anleihen in noch größerem Ausmaß bürgen. Inzwischen sind auch für sie die Finanzmarktzinsen für kurzfristige Kredite in den letzten Wochen um fast 50% gestiegen, während ihre Bonität abzunehmen beginnt. „Bürgen soll man würgen“, heißt es im Sprichwort, und das geschieht jetzt. Durch die riesigen „vagabundierenden Geldmengen“ ist bereits eine Art „Währungskrieg“ ausgebrochen. Und auch die Inflation wirft ihre Schatten voraus; die exorbitanten Erhöhungen der Preise für Energie, Rohstoffe und Nahrungsmittel beginnen durchzuschlagen.

In dieser Situation kommt ein Buch gerade zurecht, das sich wohltuend von dem Flickwerk abhebt, mit dem kopflos gewordene Politiker das Scheitern von EU und EURO hinauszögern wollen, um ihre eigene Haut zu retten, „koste es was es wolle“.

Der Autor des Buches ist Vaclav Klaus, derzeit amtierender Staatspräsident von Tschechien, Professor für Nationalökonomie und vielfacher Ehrendoktor. Als ehemaliger Mitarbeiter in der tschechoslowakischen Nationalbank und als  Finanzminister nach der Wende von 1989 ist er in Währungsfragen bestens ausgewiesen. Durch seinen Sachverstand ist er eine Rarität unter Politikern. In seinem neuesten Buch mit dem Titel „Europa“ (Context-Verlag, Augsburg 2011) findet sich eine Fülle von Aussagen sowohl zu den Fehlentwicklungen in der EU wie zur Europäischen Währungsunion und den verzweifelten EURO-Rettungsversuchen, die einfach unwiderlegbar sind. Hier wenigstens ein paar Kostproben:

Für Vaclav Klaus ist die Europäische Währungsunion schon „seit langem gescheitert“ (FAZ, 27. April 2010). Als wirtschaftlich begründetes Projekt hat sie „versagt“ (S. 128 u. ö.), sie hielt nicht, was sie versprach. Statt Wachstumsbeschleunigung trat Halbierung der Wachstumsraten ein. Die Kosten der Schaffung und Erhaltung der Währungsunion überstiegen die Erträge. Politisch gegen alle Einwendungen von ökonomisch-fachlicher Seite durchgesetzt, führte die Währungsunion nicht zum Zusammenwachsen, sondern zum Auseinanderdriften der Länder. Die starken Länder wurden geschwächt, in den schwachen Ländern entstanden ungesunde Blasen, die nun platzen und zu erhöhter Arbeitslosigkeit führen.

Jetzt wird das politisch, nicht wirtschaftlich motivierte Währungsprojekt auf unverantwortliche Weise fortgesetzt „zu einem ungeheuer hohen Preis, den die Bürger der Länder der Eurozone  bezahlen werden“ (S. 131), sei es in Form von weiterer Einbuße an Wirtschaftswachstum gegenüber dem Rest der Welt, sei es im „Anstieg des Volumens an Finanztransfers, die den Ländern mit den größten wirtschaftlichen und finanziellen Problemen geleistet werden müssen“. Und dieser Preis wird „weiter steigen“ (S. 132). „Der EURO wurde zu einer Gefahr für Europa!“

Auch als ganze ist die Europäische Union gescheitert. Die mit der Ode an die Freude und Freiheit vielbesungene „Verbrüderung“ ist nicht eingetreten. Sie läßt sich auch „nicht künstlich organisieren“ (S. 31). Heute sind durch die EU „nicht nur Freiheit und Demokratie bedroht, sondern auch unsere Prosperität“. Demokratie ist in Brüssel „nicht realisierbar“ (S. 16): „Die Hauptfigur der EU ist nicht der Bürger sondern der Beamte“ (im Original fettgedruckt!). Er lebt „von mehr Planung, Regulierung, Kontrollierung und Koordinierung“ (S. 25) und schädigt damit die wirtschaftliche und kulturelle Entfaltung der einzelnen Länder. Demokratie funktioniert „nur auf der Ebene der Nationalstaaten“ (S. 33).

Werden die Nationalstaaten durch die Bewegung zu einem „ever-closer Europe“ geschwächt, verschwindet die Demokratie. Die „sogennannte Vertiefung“ ist „nicht nur unnötig, sondern auch politisch gefährlich und ökonomisch bremsend“ (S. 24). „Europa war in der Vergangenheit nie eine politische Entität (und ohne Zweifel muss es auch keine werden)“ (S. 31). Mit „Vertiefung“ und „Vereinheitlichung“ oder „Unifikation“ bringen wir in Europa ja keinen „Sonnenstaat“ hervor, sondern weit eher die „Brave New World von Huxley, eine Welt von Zamjatin, Orwell und Denkern dieses Typs“ (S. 31). „Der Vertrag von Lissabon steht im Widerspruch zum Grundsatz der Souveränität des tschechischen Staates“ (S. 42) und „des tschechischen Volkes“ (S. 43).

„Das heutige System des Entscheidens in der Europäischen Union ist etwas anderes als das von der Geschichte geprüfte und in der Vergangenheit erprobte System der klassischen Demokratie“ (S. 51). Im Europäischen Parlament gibt es keine parlamentarische Opposition. „Wir haben (Anm.: im kommunistischen System) die bittere Erfahrung gemacht, dass dort, wo es keine Opposition gibt, die Freiheit verkommt“ (S. 51). Aber auch „eine eventuelle Stärkung des Europäischen Parlaments“ wäre „keine Lösung für den demokratischen Defekt“, er gehört zu „den unkorrigierbaren Geburtsfehlern“ der Europäischen Union. (S.64). Es gibt kein europäisches Volk oder einen „europäischen Demos“.

„Die Auflösung der Staatsgrenzen und die Umwandlung vom `Europa der Staaten´ zum `Europa der Regionen´, beruht auf  der Fehlideologie des Multikulturalismus. Der Versuch der politischen Eliten, „die EU weiter und tiefer zu integrieren, (führt nur) zu einer weiteren Vergrößerung des demokratischen Defizits und zu einer weiteren Entfernung vom Bürger“ (S. 66). In Wahrheit schadet die EU der Europaidee (S. 64: Vaclav Klaus verweist hier auf so prominente Kritiker wie den ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, den Abgeordneten Peter Gauweiler, den Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof, die Einbringer von Verfassungsbeschwerden beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe und auf den Dichter und Essayisten Magnus Enzensberger). Die EU „geht über die Köpfe der Bürger hinweg“ (S. 65), wie das die Abstimmungen über die europäische Verfassung oder zur Einführung des EURO gezeigt haben. Deshalb wurde ja in vielen Staaten tunlichst vermieden, das Volk zu befragen. 

Das Resumé, das Vaclav Klaus zieht, ist so eindeutig und logisch fundiert, dass ihm jeder einigermaßen mitdenkende Bürger zustimmen muss: Die noch immer von einem Großteil der politischen „Elite“ betriebene Entwicklung der Europäischen Union hin zu einem Bundesstaat und einer Währungs- und Transferunion ist gescheitert!

Sie war eine „idée fausse“. Das nicht einzugestehen, wird noch „enorme Kosten verursachen“. Je früher wir aus der Erkenntnis des Scheiterns die Konsequenz ziehen, desto größer ist die Chance, dass wir in Europa Freiheit, staatliche Souveränität,  Demokratie, Wohlfahrt und kulturelle Identität in der Vielfalt ihrer Ausdrucksformen bewahren können. „L´Europe, c´est la diversité“, es schöpft seine Kraft aus der Vielfalt seiner Völker und Staaten, nicht aus Gleichmacherei, Vereinheitlichung und Uniformierung. Wir brauchen, so Klaus, keine europäische oder „global governance“, sondern die intergovernmentale Kooperation und Koordination von souveränen Staaten „auf gleicher Augenhöhe“.

Das Buch sollte zur Pflichtlektüre unserer Politiker werden, Womöglich noch bevor tunesische oder ägyptische Verhältnisse bei uns eintreten.

Friedrich Romig

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Sicher ist sicher

11. Februar 2011 21:47 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Über Sicherheit zu reden,
gut geschützt von Polizei,
das beschwingt – doch Zweck für jeden
ist primär, man war dabei.

Und so traf man sich in München
wieder mal zur Konferenz,
denn wer könnt’ es übertünchen:
Vielerorten schwelt’s und brennt’s!

Speziell im Nahen Osten
wird halt immer arg gehetzt,
und dann wackeln just die Posten
jener Leute, die man schätzt.

Soll man Freunde fallen lassen?
Ist fürwahr nicht angenehm –
und Rhetorik anzupassen,
wär’ das kleinere Problem:

Stärker drücken da die Zwänge,
daß man selber was verliert,
wenn zu früh voll Sittenstrenge
man die Gelder konfisziert.

Und das führt gleich zu Finanzen,
weil ja, wenn der Ölpreis steigt,
sich noch mehr an Staatsbilanzen
Blasensucht der Währung zeigt.

Aber sowas wird verziehen,
und zur Wahrung des Gesichts
gibt man eben Garantien,
schöpft die Werte aus dem Nichts.

Die Agenda wies indessen
auch aufs Internet als Pein,
denn durch dieses, nicht vergessen,
schleicht der Cyber-Krieg sich ein!

Doch fällt leicht das Diskutieren,
wenn man längst die Lösung kennt –
und total zu kontrollieren
macht selbst Menschen transparent!

Also flog man froh nach Hause,
und weil’s schön zusammen war,
trifft man sich zur Plauderpause
sicher wieder nächstes Jahr …

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Wirtschaftsregierung? Nein danke

08. Februar 2011 00:19 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Europa ist reich. Es ist zumindest reich an Ideen, wie die Europäische Union weiterentwickelt werden soll. Die allermeisten Ideen sind jedoch im Lauf der Monate, Jahre, Jahrzehnte wieder in den Schubladen verschwunden. Dasselbe wird zwangsläufig mit dem gerade modischen Projekt einer „europäischen Wirtschaftsregierung“ passieren.

Dieses Projekt konnte überhaupt nur deshalb so an Prominenz gewinnen, weil die Politik beim EU-Gipfel irgendetwas nach Substanz Klingendes diskutieren wollte. Und weil sich der französische Staatspräsident in absehbarer Zeit den Wählern stellen muss. Aber auch weil die EU davon ablenken wollte, dass Europa in Sachen Ägypten keinen klaren Kurs gezeigt hat. Dafür ist sie ja heftig kritisiert worden.

In Wahrheit aber kann man in Sachen Ägypten der EU ihre relativ zurückhaltenden Stellungnahmen gar nicht vorwerfen. Denn Ägypten ist ein unabhängiger und trotz Armut selbstbewusster Staat. Auch die USA haben keine klare Linie zu Ägypten gefunden. Überdies ist es gefährlich, Partei zu ergreifen, wenn man den Ausgang eines Konflikts nicht vorhersagen kann. Ganz abgesehen davon ist es ziemlich fraglich, welcher Ausgang des ägyptischen Bürgerkriegs eigentlich im Interesse Europas wäre. Es kann sich nicht wünschen, dass dort antiwestliche Islamisten die Macht übernehmen, noch aber kann die EU in irgendeiner Weise die Seite eines von der Mehrheit seines Volkes offensichtlich abgelehnten Diktators ergreifen.

Zurück zum Projekt Wirtschaftsregierung. Wer die europäischen Verträge kennt, wer auch nur halbwegs eine Ahnung von wirtschaftlichen Zusammenhängen hat, der weiß, dass die Idee nie abheben wird können. Was auch besser ist.

Denn laut den EU-Verträgen hat die Union gar keine Kompetenzen, das zu machen, was sich die Verfechter einer EU-Wirtschaftsregierung so als neue Gemeinsamkeiten ausgedacht haben: eine zwingende Schuldenbremse, eine Harmonisierung von Steuern, Lohn- und Sozialpolitik oder eine Angleichung des Pensionsantrittsalters. Das könnte nur freiwillig oder über eine massive Änderung der Verträge passieren – die jedoch absolut aussichtslos ist. Das haben schon die Begleitumstände der letzten Vertragsänderungen gezeigt. Der Widerstand gegen den Transfer weiterer Kompetenzen nach Brüssel ist in vielen Ländern so groß, dass keinerlei Aussicht auf Annahme einer solchen Änderung besteht. Ganz abgesehen davon, dass der Kampf darum die Union mindestens fünf Jahre lang lähmen würde.

Eine Wirtschaftsregierung würde den innereuropäischen Wettbewerb ausschalten, dafür Europa als Ganzes im internationalen Wettbewerb noch weiter zurückfallen lassen. Denn in der Realpolitik würden sich in dieser Wirtschaftsregierung meist jene durchsetzen, welche die Steuern und Sozialleistungen hochtreiben wollen, die Hochleister jedoch bremsen. Das konnte man schon am geradezu unglaublichen Vorschlag einiger EU-Beamter ablesen, welche die deutschen Exporterfolge einbremsen wollen.

Aber ist eine solche Wirtschaftsregierung nicht absolut unverzichtbar, um den Euro zu retten? Nein, ganz sicher nicht. Europa hat und hatte nämlich gar keine Eurokrise – sondern eine Verschuldenskrise, eine Bankrottgefahr einiger Mitgliedsländer. Es redet ja auch niemand von einer Dollarkrise, wenn Kalifornien, also der weitaus wichtigste amerikanische Bundesstaat, sowie einige kleinere US-Staaten von Zahlungsunfähigkeit bedroht sind. In Europa sind hingegen bisher nur einige kleinere Staaten ins Schleudern geraten; und Deutschland, also Europas Kalifornien, steht zumindest im Vergleich blendend da.

Der Euro ist nach wie vor eine der sichersten Währungen der Welt. Freilich hat ihm eines schwer geschadet: Das war nicht die Krise in Griechenland oder Irland, sondern die falsche Reaktion darauf. Man hat 2010 darauf verzichtet, in diesen Ländern das im Falle von Überschuldung übliche Szenario einzuleiten, nämlich eine Umschuldung. Bei einer solchen verlieren die Gläubiger 20, 30 oder 40 Prozent oder müssen zumindest viel länger auf die Rückzahlung warten. Eine Umschuldung ist etwa mit den Schulden Polens aus kommunistischer Zeit passiert – und hat die Grundlage für den nachfolgenden steilen Aufstieg des großen slawischen Landes gelegt.

Inzwischen ist in der Finanzwelt die Überzeugung stark gewachsen, dass nur eine neuerdings gerne „Haircut“ genannte Umschuldung die Lösung sein kann. Und weder eine Wirtschaftsregierung bringt eine Lösung noch die vielen gefährlichen Konstruktionen, die in den letzten Monaten diskutiert worden sind, wie etwa die Aufnahme gemeinsamer Eurobonds durch die Euro-Länder. Denn dabei würden wieder die disziplinierten Länder zugunsten der Sünder draufzahlen – solange bis am Schluss alle marod sind. Dasselbe würde die Ausweitung des „Rettungsschirmes“ bedeuten, den die Länder im Vorjahr für die Krisenintervention geschaffen haben. Und der schon damals ein Fehler war.

Eine Wirtschaftsregierung kann nur dann funktionieren, wenn eine zentrale Stelle das Recht zum Eingriff in die nationalen Gesetze und Budgets hat. Also wenn die teilnehmenden Länder auf den Status von Provinzen degradiert werden. Gibt es dieses Recht nicht, dann sollte man endlich wieder das gelten lassen, was die Marktwirtschaft, aber auch die Rechtsordnungen sämtlicher Industrieländer seit langem lehren: Wer insolvent ist, der soll in Insolvenz gehen (die heißt halt bei Ländern „Umschuldung“). Alles andere würde jede finanzielle Disziplin ad absurdum führen.

Gewiss ist eine Insolvenz für die handelnden Politiker unangenehm, weil sie in der Regel ihren Posten verlieren – wie es halt auch dem Management insolventer Firmen passiert. Diese Insolvenzgefahr würde sie daher zwingen, schon vorbeugend ordentlich zu wirtschaften.

Es würde übrigens auch Österreich gut anstehen, dieses Prinzip wieder anzuwenden. Die extrem teure Rettung der Hypo Alpe-Adria ist ja nur deshalb erfolgt, weil sich die Republik nicht getraut hat, Kärnten in Konkurs gehen zu lassen, das leichtfertig Haftungen in der gigantischen Höhe von fast 20 Milliarden für diese Bank eingegangen ist.

Eine Wirtschaftsregierung ist letztlich so zahnlos und überflüssig wie der Stabilitätspakt, der von Anfang an von fast keinem Land eingehalten worden ist. Dafür hat man 2010 die wichtigste Regel bei der Einführung des Euro skandalös gebrochen, nämlich das „No Bail-out“. Trotz ausdrücklichem vertraglichem Verbot haben Mitgliedsländer, Kommission und EZB den Sünderländern Geld zugeschoben, also ein Bail-out vorgenommen.

Auch aus diesem Grund sollte man nicht lange über europäische Wirtschaftsregierungen diskutieren, deren Beschlüsse ja noch weniger Verbindlichkeit hätten als das Bail-out-Verbot. Sondern jedes Land muss selber wissen, dass leichtsinnige und verschwenderische Politik immer schmerzliche Folgen hat.

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Ein unzeitgemäßer Politiker

04. Februar 2011 15:57 | Autor: Ruth Pauli
Rubrik: Gastkommentar

Wenn in Zeiten wie diesen die Frage Wehrpflicht zu 180-Grad-Wendungen bei beiden Koalitionsparteien führt, dann ist das der seltene Moment, wo ein Politiker zu ZiB-Ehren gelangt, der sonst in Nachrichten gar nicht mehr vorkommt: Martin Bartenstein – der wieder einmal bei dem bleibt, was er (und bis vor kurzem die ÖVP) als richtig erkannt hat (nämlich bei der Abkehr vor der Wehrpflicht).

Wäre es nicht Martin Bartenstein, so könnte man beinahe unterstellen, dass es sich hier um ein geplantes Zurückmelden handelt – denn es fällt just mit dem Erscheinen der Martin Bartenstein-Biographie von Andreas Unterberger zusammen. Doch solche PR-Aktionen liegen Bartenstein fern. Es verwundert viel mehr, dass er nicht nur seine Zustimmung zu diesem Resumée seines bisherigen politischen Lebens gegeben hat, sondern sich sogar tiefgehenden Interviews mit dem Autor gestellt hat.

Wäre Bartenstein nicht selbst so still und würde man sich öfters die Zeit gönnen, über verschiedene Politikertypen – und vor allem darüber, wie gut sie unserem Land tun – nachzudenken, hätte es vielleicht gar nicht des Buches bedurft, sich bewusst zu werden, dass es wenige vom Schlag des früheren Umwelt-, Familien-, Wirtschafts- und Arbeitsministers gibt. „Grenzgänger zweier Welten“ heißt es im Untertitel über dieses Mitglied der so genannten „Viererbande“ (neben Wolfgang Schüssel, Wilhelm Molterer und Ursula Plassnik), mit der die Pröll-ÖVP zum eigenen Schaden nichts anfangen kann und will. Und tatsächlich balancierte Bartenstein auf vielen schmalen Graten, die Gegensätzliches gerade noch verbinden – und den Grenzgänger auf beiden Seiten mit Absturz bedrohen.

Der heute knapp 57jährige brauchte die Politik nicht, um zu einem der erfolgreichsten Unternehmer des Landes zu werden – das war er schon, bevor er zu Regierungsämtern kam. Und das ist gar kein österreichisches Schicksal; das wäre – siehe Hannes Androsch – der umgekehrte Fall. Wenigstens einmal hatte Österreich mit ihm einen Wirtschaftsminister, der nicht über die beamten-ähnliche Karriereleiter in einer Interessensvertretung zu Ministerämtern kam, sondern der die Probleme von Unternehmen aus eigener Anschauung kannte und deshalb auch genau wusste, wie wichtig es wäre, dass die Politik realistische und richtige Rahmenbedingungen schafft. Kein Wunder, dass Bartenstein seine besten – und für ihn selbst befriedigendsten – Momente auf EU-Ebene hatte. (Nicht weil ihm Österreich wie dem Möchte-Gern-Großen Hubert Gorbach zu klein wäre, sondern weil europäisches Denken heute unsere einzige Chance ist – so oft ungenutzt von den heutigen Koalitionären, deren Denken über den Rand einer kleinformatigen Zeitung kaum hinausreicht.)

Bartenstein war immer ein sehr stiller Politiker. Trocken. Keiner, der jemals für eine Pointe eine Freundschaft riskierte. Umso aufschlussreicher sind die Einblicke, die die Biographie gibt. Da wird nicht nur der ruhige Taktierer und Verbindungsmann, der die schwarz-blaue Koalition möglich machte, gezeigt, da werden nachgerade schneidend scharfe Beurteilungen des nachfolgenden politischen Personals abgegeben - bis hin zur Charakteristik Werner Faymanns als der „Karikatur eines Kanzlers“.

Seine abgrundtiefe Abneigung gegen jede Anbiederung an den Boulevard, seine Verurteilung jeglichen Populismus: Das alles hat er gelebt – unbedankt. Vielleicht sollte uns das nachdenklich machen, dass es ohne diese zweifelhaften Ingredienzien in der österreichischen Politik offensichtlich nicht mehr geht.

Auch die Begegnung mit dem Privatmann Bartenstein, die erstmals möglich ist (zu Amtszeiten hat der Familienmensch diese Facette völlig von der Öffentlichkeit abgeschirmt), zeigt einen bemerkenswerten Menschen. Die Schwierigkeit, durch den menschenfressenden Politikerjob die Familie nicht zu verlieren, die Nöte und Ängste von Eltern eines krebskranken Kindes – all das lässt die Loyalität, die Bartenstein auch in der Politik immer lebte, in einem ganz anderen Licht erscheinen. (Genauso typisch ist, dass sein jahrelanges Engagement für die Kinderkrebshilfe nur von Autor Unterberger angesprochen wird, nicht von ihm selbst.)

Es sind spannende Jahre, auf die das Buch einen Insiderblick frei gibt. Es ist ein unzeitgemäßer Politiker, den man besser kennen lernt. Zum Schluss macht sich Bedauern breit – dass solche Politiker unzeitgemäß sind.

Andreas Unterberger: Martin Bartenstein. Grenzgänger zweier Welten. Edition Steinbauer.  22,50 Euro.

Das Buch kann - auf Wunsch mit einer persönlichen Widmung - beim Autor erworben worden. Partner erhalten den zugesagten üblichen 25prozentigen Rabatt (minus eventueller Versandspesen).

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Mittelmeerträume

03. Februar 2011 20:34 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Das Mittelmeer ist weltbekannt,
weil einst von Pädagogen
didaktisch nach dem Club benannt
und dessen Katalogen.

Zudem – auch das weiß jedermann –
liegt’s irgendwie dazwischen,
und selbst bei klarem Wasser kann
man dort im Trüben fischen.

Drum hat der Nic im Wahlkampf schon
vor Jahren vorgeschlagen,
man solle eine Union
der Sonnenstaaten wagen!

Tatsächlich wurde er gewählt –
nur will’s nicht ganz gelingen,
die Länder, wo die Haut sich schält,
ins selbe Boot zu bringen.

Mit Nicki und Mubarak zwar
gibt’s Präsidenten doppelt,
und bei den Sekretären gar
wird siebenfach gemoppelt.

Desgleichen sorgt man, wie’s gehört,
für schöne Gipfeltreffen,
was höchstens kleine Geister stört,
die über Kosten kläffen.

Doch wie die Ebene so hat
das Meer auch seine Mühen,
und Schiffbruch kann zuweilen glatt
an kleinen Klippen blühen!

Und seht, vor kurzem ist’s passiert:
Nach Wochen voller Bangen
ist Freund Ben Ali havariert
samt Gold von Bord gegangen.

Den cher ami und Pharao
erwischt es dieser Tage,
weshalb ich ohne Risiko
schon jetzt zu sagen wage:

Die Mittelmärchen-Union,
die geht in Kairo baden,
und dann hat Frankreichs kleiner Sohn
noch mehr an Spott und Schaden...

Pannonicus

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Die Rückkehr eines Gespensts

01. Februar 2011 01:53 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Vor drei Jahren war das Gespenst aufgetaucht, über Nacht ist es verschwunden und mit Beginn dieses Jahres ist es schlagartig wieder da: Es sind die europaweit geradezu explosionsartig steigenden Nahrungsmittelpreise. Plötzlich geht wieder die Angst vor einer rapide zunehmenden Inflation in der EU um – und vor Hunger, ja Hungerrevolten in der Dritten Welt.

Natürlich wird wieder viel, wenn auch ohne konkrete Beweise von dubiosen Spekulanten als Schuldigen die Rede sein. Denn ebenso natürlich ist die Hauptursache wie immer ein Auseinanderklaffen von globalem Angebot und der Nachfrage. Was natürlich alle Akteure im Lebensmittel-Zyklus zu Reaktionen veranlasst, die man als Spekulation bezeichnen könnte.

Die EU könnte es sich gewiss zumindest kurzfristig so leicht machen wie die Amerikaner. Die messen halt in ihrem Inflationsindex einfach die Nahrungsmittel- und Ölpreise nicht. Das wäre aber fatal: Gaukelten sich doch die USA deswegen bis 2008 Preisstabilität vor, übersah doch deswegen die amerikanische Notenbank die Bildung gefährlicher Blasen. Das wurde dann ja zum Auslöser der Weltwirtschaftskrise. Die zum Glück, wenn auch nur scheinbar, rasch übertaucht worden ist.

Die Menschen in den meisten EU-Ländern haben seit dem Herbst wieder Zuversicht und in Übermaß das von den Notenbanken weiterhin viel zu freigiebig gedruckte Geld. Das treibt natürlich die Nachfrage und damit Preise vor allem jener Produkte in die Höhe, die nicht binnen weniger Monate beliebig vermehrt werden können.

Gleichzeitig nimmt bei den beiden Milliardenstaaten China und Indien als Folge von Fleiß und der dort relativ neuen Marktwirtschaft der Wohlstand rapide zu. Menschen, die noch vor wenigen Jahrzehnten von Hungersnöten bedroht waren, die jedenfalls in der Regel nur eine Mahlzeit pro Tag hatten, essen sich plötzlich zwei- bis dreimal täglich satt. Das lässt die Nachfrage zusätzlich hochschnellen.

Was aber tun? Man kann ja weder die Chinesen oder Inder wieder in die alte kommunistisch-sozialistische Not zurückstoßen noch den Europäern sagen, dass sie jetzt den Gürtel enger schnallen müssen (außer aus gesundheitlichen Gründen). Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy glaubt nun, das Rezept gefunden zu haben: Die Rohstoffmärkte müssen besser kontrolliert werden.

Solche Vorstellungen sind populär – sie funktionieren aber nie. Man stelle sich nur vor, was passiert, wenn der Preis für Reis (um nur ein global wichtiges Produkt zu nennen) gedeckelt werden sollte. Während die EU-Länder sich so wie bei der CO2-Reduktion halbwegs daran zu halten versuchen, kostet das Preislimit die Chinesen nur ein freundliches Lächeln. Sie werden ganz locker in ihre übervollen Kassen greifen und weltweit zu erhöhten Preisen die Produktion der Reisbauern aufkaufen, um ihre Massen weiter satt – und ruhig zu halten. Und kein einziger Reisbauer, kein Reishändler wird seine Ernte statt dessen den Europäern zum festgelegten niedrigeren Preis verkaufen. Überdies haben sich die Chinesen mit ihren Devisen-Billionen vor allem in Afrika schon riesige Ländereien aufgekauft, die ihre Versorgung sichern sollen.

Nehmen wir aber den unwahrscheinlichen Fall an, auch die Chinesen und Inder würden sich an ein Preislimit halten. Dann würden viele Reisbauern im nächsten Jahr halt etwas anderes anbauen, wo es noch Geld zu verdienen gibt. Und man müsste sich bald auch in Europa frühmorgens um ein halbes Kilo Reis so anstellen wie einst im Ostblock, wo die Planwirtschaft auch glaubte, die Preise festsetzen zu können. Gleichzeitig würde sich sehr rasch ein Schwarzmarkt mit höheren Preisen bilden, wo man aber die gewünschte Ware wenigstens auch bekommt.

Was bedeutet aber die Lebensmittelknappheit jenseits der Debatten über untaugliche Instrumente wie Preisregelungen? Müssen wir wirklich hungern, verhungern oder Kriege um die knappen Nahrungsmittel führen? Bekommt Thomas Malthus nach mehr als 200 Jahren mit seinen Katastrophenprophezeiungen doch noch recht, da sich die Weltbevölkerung inzwischen rund versiebenfacht hat und noch weiter auf das Zehnfache wachsen dürfte?

Kurzfristig können sicher Ernteausfälle und eine zu träge Reaktion der Produktion auf gesteigerte Nachfrage zu Engpässen und damit höheren Preisen und damit auch gefährlichen politischen Protesten führen.

Langfristig muss man sich aber nicht fürchten – zumindest wenn die Politik vernünftig ist. Denn die moderne Wissenschaft hat so wie in den letzten Jahrzehnten noch gewaltiges Potential, die Lebensmittelproduktion zu steigern. Freilich darf sich die Menschheit dabei nicht vor lauter Ängsten selbst die Möglichkeiten einer Produktionssteigerung verbauen.

Das aber tun einige EU-Staaten wie etwa Österreich – im Gegensatz zur Brüsseler Kommission – gerne. Etwa im besonders vielversprechenden Bereich der genveränderten Pflanzen, mit denen weit höhere Ernteerträge erzielt werden können. Solange es keinen einzigen echten Beweis für die Schädlichkeit genveränderter Pflanzen gibt – und den gibt es allen Panikmachern zum Trotz noch immer nicht –, ist es absolut unsinnig, sie total zu verbieten. Schließlich hat ja die Landwirtschaft seit Generationen durch Zuchtvorgänge das genetische Material massiv verändert. Und niemand hatte Probleme damit. Und wenn es welche gegeben hätte, hätte man sofort die Produktion umgestellt.

Noch zwei andere Faktoren machen zumindest indirekt optimistisch. Erstens: Sollten die Lebensmittelpreise wirklich dauerhaft steigen, dann wäre die EU wenigstens auch ihr größtes Finanzproblem los, nämlich die gemeinsame Agrarpolitik. Wenn die Weltmarktpreise steigen, dann können die europäischen Bauern ja ihr Geld wieder durch ihre Produkte verdienen und sind nicht mehr beim Großteil ihres Einkommens von europäischen und nationalen Subventionen abhängig. Was den Finanzministern wieder die Möglichkeit gäbe, die Steuern zu senken, um die Bürger beim Einkauf der Lebensmittel zu entlasten.

Zweitens: Auch die von vielen vermutete globale Erwärmung wäre ein positiver Faktor. Sollte sie nämlich eines Tages wirklich eintreten, dann gäbe es neben den befürchteten Gefahren für einige Küstenregionen auch einen großen Vorteil: Im bisher zu kalten Norden könnte künftig Landwirtschaft betrieben werden. Und immerhin liegen im Norden, von Kanada bis Sibirien, die größten Landmassen der Erde, die bisher weitgehend menschen- wie auch landwirtschaftsfrei sind.

Es gibt also durchaus Zusammenhänge, die lehren, die gegenwärtige Lebensmittelpanik gelassener zu sehen. Freilich: Wir und vor allem unsere Medien sowie viele unserer Politiker lieben die Panik. Bei aller in anderen Bereichen berechtigten Kritik an der EU tut es gut, dass dort zumindest in diesen Fragen noch viel stärker als hierzulande die wissenschaftliche Rationalität regiert. Hoffentlich dauerhaft.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Strukturreformen für das Heer

31. Januar 2011 01:42 | Autor: Zwei ungenannt bleibende Offiziere
Rubrik: Gastkommentar

Auf die geographische sowie die derzeitige politische und militärische Situation angemessen zu reagieren würde grundlegende Maßnahmen erfordern: Aufgabe der Neutralität, Aufwertung des Bundesheeres und Sicherstellen seiner Einsatzfähigkeit. Oder als Alternative der Beitritt zu einem Bündnis, und nach Bildung einer gemeinsamen europäischen Berufsarmee die gänzliche Abschaffung.

Mit dem Lissabon-Vertrag verpflichtete sich Österreich, „einem anderen Mitgliedsstaat, der Opfer eines bewaffneten Angriffs auf sein Territorium wurde, mit aller in ihrer Macht stehenden Hilfe und Unterstützung im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen (Art.51 - kollektive Selbstverteidigung) beizustehen“. Weiters verpflichtet sich Österreich zum schrittweisen Ausbau seiner militärischen Fähigkeiten. Eine Klausel ermöglicht zwar den Neutralen, sich im Einzelfall der Beistandspflicht zu entziehen, die Unterschrift unter dem Lissabon-Vertrag bildet jedoch mit der Übernahme der Beistandsverpflichtungen ganz offensichtlich das Ende der Neutralität.

Die Neutralität existiert in Wahrheit nicht mehr, alle Versuche, sie mit dem Lissabon-Vertrag in Einklang zu bringen, dienen nur der Verhinderung einer sonst politisch notwendigen Volksabstimmung über die Neutralität. Wenn Österreich mit Streitkräften im Kosovo eine Politik durchzusetzen hilft, die eine der beiden Konfliktparteien in ihrem Recht auf Unverletzlichkeit des Staatsgebietes beschneidet, kann dies wohl nicht mehr als Neutralität angesprochen werden (ohne hier den Anspruch des kosovarischen Volkes auf Selbstbestimmung in Frage zu stellen).

Die Abschaffung der Streitkräfte ist angesichts der Verpflichtung zu ihrem schrittweisen Ausbau natürlich außerhalb jeder Diskussion. Die Notwendigkeit der Luftraumüberwachung durch Österreichische Luftstreitkräfte ergibt sich gerade aus der Fiktion Neutralität.

Derzeit besteht für Österreich keinerlei Bedrohung, die eine militärische Selbstbehauptung notwendig machen würde. Angesichts der erkennbaren Instabilität der EU und der Unberechenbarkeit des Russischen Großmachtstrebens besteht aber die Möglichkeit, innerhalb eines Zeitrahmens von 5-10 Jahren wieder einer akuten Bedrohung der Souveränität entgegentreten zu müssen. Es gibt also keinen Grund, Streitkräfte einsatzbereit präsent zu halten, wohl aber die Notwendigkeit, innerhalb einiger Jahre die militärische Kapazität bis zur Verteidigung der Souveränität hochfahren und jederzeit friedenserhaltende Einsätze im Ausland bestreiten zu können.

Nachdem militärische Krisen im Regelfall mit politischen und ökonomischen einhergehen, ist kaum von einer massiven Aufstockung des Verteidigungsbudgets während einer Krise auszugehen. Das benötigte schwere Gerät ist also bereits im Frieden bereitzulegen, was angesichts der drastischen Verlangsamung der Rüstungsspirale und der damit verbundenen Verlängerung der Nutzungsdauer des Gerätes nicht wirklich problematisch erscheint.

Aus dem Zeitrahmen für eine mögliche militärische Bedrohung ergibt sich die Notwendigkeit, einerseits ein Instrument zur rechtzeitigen Vorwarnung in Form eines Nachrichtendienstes, andererseits die militärische Kompetenz des Kaderpersonals aufrecht zu erhalten, weil der Zeitrahmen für den Aufbau eines ausgebildeten Kaders die mögliche Vorwarnzeit deutlich überschreitet.

Kein verantwortungsbewusster Kommandant sieht es als realistisch an, Wehrpflichtige in sechsmonatiger Wehrdienstzeit unter den von der Politik vorgegebenen und der Gesellschaft maximal tolerierten Rahmenbedingungen zu einsatzbereiten Soldaten für einen Verteidigungsfall heranbilden zu können. Real immer kürzer werdende Wehr- und Ausbildungszeiten kontrastieren zu immer komplexer werdenden Waffensystemen und Einsatzbedingungen am Gefechtsfeld. Das Bundesheer hat keinen einsatzbereiten Soldaten mehr. Damit verliert der Wehrdienst innerhalb von Streitkräften jeden Sinn. Dem Wehrpflichtigen sechs Monate eines sinnentleerten Dienstes aufzuzwingen, um den Zivildienst aufrecht erhalten zu können, stellt Betrug am wehrdienstleistenden Bürger dar.

Assistenzleistungen bei Katastrophen könnten durch einen unbewaffneten technischen Hilfsdienst – möglicherweise in Form eines verpflichtenden Dienstes aller Staatsbürger – unter Einbeziehung des bisherigen Zivildienstes besser bewältigt werden. Für friedenserhaltende Auslandseinsätze wären robuste (Militär-) Polizeikräfte nach dem Vorbild der Carabinieri weit besser geeigneter als Soldaten mit einer flüchtigen Ausbildung.

Aus der Verpflichtung zum schrittweisen Ausbau, der Beurteilung der Bedrohung und der Unmöglichkeit, die Verteidigung mit einer Wehrpflichtigenarmee im derzeitigen Zustand zu bewerkstelligen, ist abzuleiten, dass der Grundwehrdienst auzusetzen und ein Berufsheer zu bilden ist. Zur Gänze abgeschafft kann die Wehrpflicht erst allenfalls nach Aufgabe der Neutralität werden, weil eine eventuelle Verteidigung der Souveränität mit einem kleinen Berufsheer kaum, im Rahmen eines Bündnisses aber sehr wohl darstellbar ist.

Zielsetzung der Bildung dieses Heeres muss die Sicherstellung des raschen Heeresausbaues in Krisenzeiten mit Wehrpflichtigen, unter entsprechendem äußeren Druck hoffentlich unter den richtigen Rahmenedingungen, die Abdeckung der Auslandseinsätze und die Bildung eines Kerns eines möglichen Beitrages zu einer Europäischen Verteidigung nach Aufgabe der Neutralität sein. Damit ist die Größenordnung dieses Heeres bestimmbar. Aus den oben angeführten Gründen sind im Verteidigungsfall jedenfalls Europäische Berufsstreitkräfte besser geeignet als nationale Wehrpflichtigenarmeen.

Daher wäre grundsätzlich letztendlich die Aufgabe der Neutralität, der Eintritt in ein Europäisches Verteidigungsbündnis, die Abschaffung der Wehrpflicht, und die Bildung eines Berufsheeres die vernünftigste Variante. Unter der Bedingung der Beibehaltung der Neutralität ist die Wehrpflicht lediglich auszusetzen, um im Bedarfs- und Bedrohungsfall aus dem Berufsheer rasch (5-7 Jahre) ein ausreichend großes Wehrpflichtigenheer entwickeln zu können.

Die Autoren dieses Beitrags sind zwei aus - derzeit überaus verständlichen Gründen - ungenannt bleibende Offiziere des Bundesheeres.

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Schreibtischtäter

29. Januar 2011 20:42 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Europas Menschenrechtsgericht,
das dort in Straßburg Sprüche spricht,
beliefert mich seit Jahren
mit Stoff zu Kommentaren.

Verblüfft’s ja stets, wes Geistes Kind
die ehrenwerten Richter sind,
die sorgsam beim Entscheiden
die Bodenhaftung meiden!

Zu Föten heißt’s aus höchster Sicht:
Die Menschenrechte gelten nicht -
für Sondermüll kann’s eben
nur Öko-Normen geben.

Doch Haftentschädigung - welch Clou! -
steht Sexualverbrechern zu
für Sicherungsverwahrung,
so kürzlich die Erfahrung.

Und Geld kriegt auch ein Asylant,
den Belgien zurückgesandt
nach Hellas sintemalen -
und beide müssen zahlen.

Naja, das nächste Hilfspaket,
das sich schon fast von selbst versteht,
wird sicher dafür reichen,
die Buße zu begleichen.

Denn nicht allein Transfer-Verein
für Schulden soll Europa sein,
nein auch für Immigranten
samt fernsten Anverwandten.

Zudem verdutzt uns hie und da
in Lëtzebuerg der EuGH,
wo ähnlich die Kollegen
ihr Richterdasein pflegen!

Ob Straßburg, Brüssel, Luxemburg -
ein anonymer Dramaturg,
so scheint es, zieht die Fäden,
bestimmt das Tun und Reden.

Und alle werken Hand in Hand -
nur ist es für das Abendland
im Dienst der fremden Werte
nicht selten das Verkehrte...

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Wer schützt die Menschen vor den Menschenrechtsschützern?

24. Januar 2011 00:46 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das Tor für nach Europa strömende Asylanten – also in den meisten Fällen: arbeitssuchende Einwanderer – weit geöffnet. Und niemand weiß, wie es wieder zu schließen ist. Das ist der Kern des Urteils, dass Resteuropa keinen illegal weiterwandernden Asylwerber zurück nach Griechenland abschieben darf, weil dort die Asylverfahren nicht nach dem im Rest der EU üblichen Standard ablaufen.

Das kann den Griechen angesichts des Massenansturms auch gar nicht wirklich vorgeworfen werden. Sind sie doch das Haupteinfallstor in die EU geworden, nachdem Spanien und Italien die Überfuhr einwanderungswilliger Schwarzafrikaner durch – sehr teure – Abkommen mit den Ländern auf der anderen Seite des Meeres abgebremst hatten. Das ärgert freilich dennoch sehr, da die Griechen gerade von den Resteuropäern um viel Geld vor dem Staatsbankrott gerettet worden sind und weiter gerettet werden müssen. Aber das nur am Rande.

Mit diesem Straßburger Urteil ist ein weiterer Schritt gesetzt, die nach dem Krieg entwickelte Humanisierung des internationalen Rechts in sein Gegenteil zu verkehren. Denn sowohl das Asylrecht wie der Menschenrechtsgerichtshof haben keine Bremse gegen Missbrauch eingebaut. Was dazu führt, dass der Missbrauch ständig stärker wird.

Das humanitäre Nachkriegssystem ist ganz stark unter dem Eindruck der NS-Verbrechen entstanden, nachdem zuvor Hitler nur wegen seines Angriffskrieges, aber nie wegen seiner Vernichtungskampagne gegen politische Gegner, Juden und andere Gruppen bekämpft worden war. Nachdem Staaten wie die USA sogar ihre Häfen vor den Flüchtenden verschlossen hatten.

Fast jeder human gesinnte Europäer hat daher die Entwicklung der Menschenrechte in den Nachkriegsjahren begrüßt. Inzwischen ist diese Zustimmung jedoch rapide gekippt. Denn heute hat sich die praktische Bedeutung der Menschenrechte total gewandelt. Heute sind zahllose einzelne Rechte wie das Recht auf Asyl oder auf Familie zu einem immer breiteren Anspruch auf Einwanderung nach Europa mutiert. Dieser Anspruch gewinnt für die Einwohner der armen Länder Afrikas und der islamischen Welt zunehmend an Interesse – insbesondere seit sich herumgesprochen hat, dass die sozialistischen Wohlfahrtssysteme in Europa ein sorgen- wie anstrengungsfreies Leben garantieren.

Was also tun, um den wahren Kern der Menschenrechte zu retten, und um die Intentionen der Menschen Europas wieder halbwegs mit dem Handeln der Staaten in Gleichklang zu bringen?

Der erste Schritt wäre jedenfalls einmal der Mut, das Problem beim Namen zu nennen. Also zu erkennen: Auch Flüchtlingskonvention und Menschenrechtsgerichtshof sind nicht tabu, müssen ständig hinterfragt und bei Exzessen wieder redimensioniert werden. Keine der jetzt so intensiv missbrauchten Regelungen war bei Beschluss der Konventionen auch nur annähernd so intendiert gewesen, wie sie heute praktiziert werden. Da hat der eitle, vielleicht auch gutmenschliche Selbstverwirklichungstrieb vieler Juristen ein schlechtes Stück beigetragen.

Aber auch die Zusammensetzung der europäischen Gerichtshöfe sollte sehr intensiv angeschaut werden. Warum hat Österreich sowohl nach Straßburg wie nach Luxemburg extrem weit links stehende Richterinnen entsandt, die beide Null Vorerfahrung im Richterberuf hatten? Daran ist in dem einen Fall die schwarz-blaue und im anderen die schwarz-rote Regierung schuld.

Noch schlimmer aber ist, dass beim Straßburger Menschenrechtsgericht eine Reihe von Richtern aus exkommunistischen Staaten urteilen, die keinerlei rechtsstaatliche Tradition haben, und die sich auch oft nicht um eine solche bemühen. Diese „Richter“ sind überdies in vielen Fällen politische Protektionskinder ohne jede persönliche Qualifikation.

Glaubt jemand ernstlich, dass Richter aus Armenien oder Georgien, aus Serbien oder Moldawien, aus der Ukraine, aus Montenegro oder Aserbaidschan ein Garant für den Schutz der Menschenrechte bei uns sein können? Ans Lächerliche grenzt auch, dass dort San Marino und Andorra jeweils genauso einen Richter haben wie Deutschland oder Frankreich.

Solche Richter haben natürlich nicht nur Interesse, sondern oft auch Freude daran, Staaten wie Deutschland oder Österreich wegen irgendwelcher Lappalien vorführen zu können, schon um zu bemänteln, dass viele von ihnen zumindest noch Halbdiktaturen sind, und jedenfalls ganz sicher keine Rechtsstaaten auf dem Niveau Westeuropas. Viele dieser Länder haben sogar ein direktes Interesse, dass die Immigrationstore nach Westeuropa immer weiter geöffnet werden.

Aber in diesem Westeuropa traut sich kein einziger Politiker, auch nur eine ernsthafte Debatte über diese Degeneration des Menschenrechtsschutzes zu führen. Man würde ja sofort als Feind der Menschenrechte denunziert.

PS.: Dass auch Österreichs einst recht mutige Innenministerin – unter Druck ihres Parteiobmannes? – resigniert hat, sieht man an der Zusammensetzung eines von ihr ins Leben gerufenen Expertenrates für Integrationsfragen: Da wimmelt es von linksliberalen bis linken Namen  wie Ruth Wodak, Heinz Fassmann, Rainer Münz oder Kenan Güngör. Was diese Gruppe alles empfehlen wird, weiß ich jetzt schon. Es läuft – ganz unabhängig vom Asylthema – auf eines hinaus: das Tor noch weiter aufmachen, und nur ja keine harten Forderungen an die schon im Land befindlichen Zuwanderer zu stellen.

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Der kleine Lapsus

20. Januar 2011 20:15 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Sich beim Reden zu versprechen,
das ist jedem schon passiert,
auch vielleicht, daß man beim Zechen
munter sich verplappuliert.

Meistens ist man dann nicht kleinlich
und hat selber dran den Spaß,
doch zuweilen wird es peinlich,
weil in vino veritas!

Und sogar bei null Promille
offenbart im Mißgeschick
manchmal sich geheimer Wille,
just im falschen Augenblick.

Denn der Trieb ist’s, der obszöne
- “Es“ bei Sigmund Freud genannt -
der das “Ich“, das strahlend schöne,
voller Tücke übermannt!

Beim Verlieren zeigt indessen
sich dasselbe Waterloo,
beim Verlegen, beim Vergessen,
beim Vergreifen ebenso.

Und die Steuergeldverschwender
dort im Wolkenkuckucksheim
gingen eben beim Kalender
ihrem „Es“ auf dessen Leim.

Liegt’s ja ihnen sehr am Herzen,
alles was noch christlich ist,
in Europa auszumerzen,
bis es keiner mehr vermißt!

Klar, jetzt sind sie über jeden,
der die Absicht merkt, verstimmt -
doch mit Pharisäer-Reden
wird’s wie stets zurechtgetrimmt...

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Pannen, Pech und Peinlichkeiten allüberall

18. Januar 2011 00:44 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Pannen können jedem passieren – und sind doch meist überaus verräterisch. Ob sie nun zuletzt etwa der Europäischen Union, der Volkspartei oder der Wirtschaftskammer, der Industriellenvereinigung oder Alfred Gusenbauer passiert sind.

Europa: Die spektakulärste Panne der letzten Tage war zweifellos der Kalender der EU-Kommission, der mit 3,2 Millionen Exemplaren an europäischen Schulen verteilt worden ist. Der Kalender soll den Europagedanken fördern. Wobei freilich das Gegenteil erreicht worden ist. Denn in dem Kalender sind die Feiertage aller möglichen Religionen verzeichnet – nur die christlichen nicht.

Anfangs dachte ich, peinliche Fehler sind schon jedem passiert, das kann ja nicht Absicht gewesen sein. Aber die seltsame Reaktion der europäischen Kommission lässt mich meine eigene Reaktion als zu milde erkennen. Denn der Kalender wurde bis heute weder eingestampft noch zurückgezogen. Auch die Österreicher Hundstorfer und Hahn, die da im Vorwort zu finden sind, haben das nicht verlangt.

Man stelle sich vor, was passiert wäre, wäre ein ähnlicher Affront gegenüber einer anderen Religion passiert. Etwa durch den Abdruck einer Karikatur. Dann wäre es zu viel dramatischeren Reaktionen gekommen. In Österreich und Deutschland wären die Schuldigen unter dem hier besonders schlimmen Diktat der Political correctness vielleicht sogar vor dem Strafrichter gelandet. Aber Europas Christen ärgern sich nur und machen keine gewalttätigen Demonstrationen wie andere, angeblich friedfertige Religionen.

Die EU-Kommission hat bisher lediglich einen gewundenen Brief an die europäische Bischofskonferenz zustandegebracht. Aber weder ist der zuständige Kommissar zurückgetreten noch sind die ob Unfähigkeit oder Subversivität schuldigen Beamten gefeuert worden. Auch das sonst bei linken Themen so wortgewaltige Parlament schweigt desinteressiert.

ÖVP: Die ÖVP hat vor einigen Tagen ein neues Bildungskonzept präsentiert. Das wurde aber offenbar so rasch aus dem Ärmel geschüttelt, dass es nicht einmal der eigene Pressedienst verstanden hat. Wie eine Aussendung unter „ÖVPStandpunkt“ klarmacht. Nachdem darin von der zur Neuen Mittelschule mutierten Hauptschule und von der Rettung der Gymnasien die Rede war, heißt es wörtlich: „Am Ende beider (sic) Schulformen soll eine neue Mittlere Reife mehr Durchlässigkeit zwischen den Schulformen ermöglichen.“

Also jetzt wissen wir endlich, was am Ende des geretteten Gymnasiums steht: die Mittlere Reife. Was diese eigentlich ist, wird auch nach dieser seltsamen Passage noch weiter verschwurbelt: Sie sei keine „Momentaufnahme in Form einer Prüfung“, sondern eine „Standortbestimmung als Empfehlung für den weiteren Bildungsweg“. Jetzt ist wohl endgültig alles klar oder?

Aber vermutlich haben die schwarzen Parteijournalisten Frau Karl um Auskunft gefragt, die bekanntlich schon jeden Standpunkt in totaler Unklarheit vertreten hat.

Industriellenvereinigung: Auch deren Bildungssprecher hat schon mehrfach seinen Standpunkt geändert. Denn nun schreibt er namens der Vereinigung: „Dass die Gymnasien jedenfalls erhalten bleiben sollen, ist positiv.“ Das ist in der Tat positiv, das gilt auch für diese Haltung der Industriellenvereinigung. Nur bleibt die Frage offen: Welche bösen Doppelgänger haben mehr als ein Jahr lang namens der Vereinigung und ihres Bildungssprechers das genaue Gegenteil verkündet? Was naturgemäß ja auch die SPÖ mehrfach genussvoll zitiert hat.

Oder stimmt gar das Gerücht, dass sich die Vereinigung, die einst der letzte Hort von Leistungsorientierung und Ordoliberalismus in diesem Land gewesen war, einfach ein Jahr lang von einer Villacher SPÖ-Gemeinderätin umdrehen hat lassen? Nur weil sich SPÖ-nahe Betriebe am Schwarzenbergplatz eingekauft haben?

Wirtschaftskammer: Diese wackere Institution lädt gerade zu einem „Forum Tunesien“. Und sie preist dieses Land als „ein verlässlicher Partner Europas in Nordafrika“ an. Irgendwie hat die Leitl-Truppe damit ja recht: Tunesien ist so verlässlich, dass es jetzt sogar von seinem Staatsoberhaupt fluchtartig verlassen worden ist.

Tunesien ist aber auch sonst eine Peinlichkeit der österreichischen Außenhandelspolitik, wie ein interessanter Internet-Fund dokumerntiert: Hat Österreich doch vor einem Jahr mit dem Land ein weiteres „Soft Loan“-Abkommen unterzeichnet. Das heißt auf Deutsch: Österreich hat der Diktatur neuerlich einen Kredit eingeräumt, der einen mindestens 35 prozentigen Schenkungsanteil hat. Wir habens ja. Und außerdem werden uns gleich ein paar Gutmenschen erklären, dass damit ein paar Tausend Menschen vor dem Verhungern gerettet worden sind.

Freilich müssen sich auch wegen der 65 restlichen Prozent weder das alte Regime noch die künftigen Machthaber Sorgen machen: Denn Österreich  hat gleich von vornherein auf Einklagbarkeit des Kredits verzichtet. Man will ja einem Diktator gegenüber nicht unfreundlich erscheinen.

Das Ganze erinnert übrigens sehr an die von der Partei viel bejubelten Exporterfolge der Kreisky- und Sinowatz-Jahre Richtung Osteuropa. In dieser Zeit hat die total parteipolitisch geführte und daher zunehmend marode verstaatlichte Industrie heftig nach Osteuropa exportiert – aber alles war durch später fast zur Gänze uneinbringliche Kredite Österreichs an die jeweiligen Oststaaten finanziert.

Apropos Kommunisten: Die deutsche „Linke“, die neuerdings in ehrlichen Momenten offen zugibt, die Wiedereinführung des massenmörderischen Kommunismus anzustreben, hat einen Parteichef (er ist eigentlich einer von gleich zweien) namens Klaus Ernst. Der Gute hat sich schon jetzt einen Lebensstil zugelegt, wie ihn einst im Osten nur die Nomenklatura-Funktionäre hatten: Er hat ein luxuriöses Feriendomizil und fährt einen Porsche.

Aber eigentlich gehört der Herr Ernst gar nicht in unsere Pannen-Aufzählung. Denn sein Lebensstil ist keine Panne, sondern durchaus beabsichtigt: „Es macht mir Spaß, Porsche zu fahren“; und ein „Entbehrungssozialismus“ sei mit ihm nicht zu machen. Zumindest nicht ein solcher für Parteifunktionäre, darf man auf Grund der historischen Erfahrungen ergänzen.

Alfred Gusenbauer: Auch ihm ist eigentlich eine durchaus beabsichtigte Panne passiert: Der ehemalige SPÖ-Bundeskanzler dient nämlich künftig ganz freiwillig dem kasachischen Staatschef Nursultan Nasarbajew als Berater. Es ist nur unklar, worin ihn Gusenbauer eigentlich beraten wird. Etwa, wie man die in Kasachstan grassierende Korruption und die alltäglichen Menschenrechtsverletzungen noch besser organisiert?

Was gleich noch ein paar Fragen aufwirft: Erinnert sich Gusenbauer noch an seinen pathetischen Moralismus beim Antritt der schwarzblauen Regierung, als er sich zum obersten Vorkämpfer des Guten und Anständigen machte? Erinnert er sich vielleicht auch noch der üblen Methoden, mit denen Nasarbajew seines Ex-Schwiegersohns und Ex-Botschafters zu Wien habhaft werden wollte? Sind die guten Rotweine wirklich schon so teuer geworden, dass Gusenbauer buchstäblich jeden noch so schmutzigen Klienten nehmen muss? Oder hält er es für schuldmildernd, dass noch weitere Linkspolitiker wie Schröder, Prodi und Kwasniewski den Kasachen beraten?

PS: Was hätten eigentlich die Linksaußen-Medien von „Falter“ bis ORF aufgeführt, wenn sich ein blauer oder schwarzer Politiker einem solchen Diktator an den Hals geworfen hätte? Eine Spitzenmeldung in der Zeit im Bild und ein Trauerrand im "Profil" wären das Mindeste gewesen. Bei Gusenbauer aber schweigt der ORF natürlich betreten. Und alle Linksmedien hetzen gegen ein ungarisches Gesetz, das sie bisher nicht gelesen haben.

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Liebe EU, mach doch bitte Ungarn den Prozess!

10. Januar 2011 01:09 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Irgendwie erinnert man sich elf Jahre zurückversetzt. Auch damals haben unter Anstiftung der europäischen Sozialdemokraten und unter tumber Mitwirkung der bürgerlichen Parteien alle anderen EU-Länder eine beispiellose Hetze gegen ein Mitgliedsland ausgelöst. Was damals Österreich war, ist heute Ungarn.

Dieser Vergleich heißt nun nicht, dass alles, was heute Ungarn vorgeworfen wird, substanzlos und an den Haaren herbeigezogen ist. Jedoch wird in jedem einzelnen Punkt der Vorwürfe maßlos übertrieben.

Dadurch wird aber ein Verdacht täglich größer: nämlich dass das eigentliche Delikt der Ungarn darin besteht, dass sie mit mehr als zwei Drittel der Stimmen eine Partei der Rechten an die Macht gebracht haben, und dass die nennenswerteste Opposition überdies eine noch weiter rechts stehende Gruppierung ist, während die Ungarn die Sozialisten mit Schimpf und Schande davongejagt haben, nachdem diese das Land wirtschaftlich ungebremst gegen die Wand gefahren haben.

Aber Europas oberstes Gebot lautet: Wähle keine Sozialisten ab, wenn es dir wohlergehen solle auf Erden. Genauso wenig hätten sich vor elf Jahren Blau-Schwarz in Österreich erdreisten sollen, eine Regierung zu bilden. Europa hat links regiert zu werden – selbst wenn die Wähler noch so sehr für rechte Parteien stimmen. Dementsprechend haben auch diesmal die konservativen, liberalen und christdemokratischen Parteien lauthals wie ungeprüft die sozialistischen Denunziationen nachgebetet. Und wieder einmal tun dies die Luxemburger Christdemokraten an vorderster Stelle.

Dabei kann man jede Wette eingehen: Keiner der Ungarn-Basher hat das neue ungarische Mediengesetz bisher auch nur gelesen, das ja den Stein des Anstoßes bildet. Bis vor kurzem lag es nämlich nur auf Ungarisch vor und erst seit kurzem in einer fast 200 Seiten langen Teilübersetzung auch auf Englisch. Das Tempo und die Geschlossenheit der internationalen Reaktionen auf ein vorerst unbekanntes Gesetz müssen daher mehr als stutzig machen.

Im Hauptpunkt der Kritik geht es darum, dass dieses neue Mediengesetz den Medien eine ausgewogene Berichterstattung vorschreibt. Die ungarische Regierung behauptet nun, dass es keinerlei Sanktionen für eine nicht ausgewogene Berichterstattung gibt. Die Opposition, die sich – mangels Erfolgen bei den Wahlen – derzeit vor allem über die Medien und das Ausland artikuliert, behauptet das Gegenteil.

Vorerst gibt es also für Nicht-Ungarischsprechende absolut keine Möglichkeit, den Wahrheitsgehalt des Vorwurfes zu überprüfen. Wobei auch festzuhalten ist, dass bisher niemand in Ungarn wegen unausgewogener Berichterstattung belangt worden ist, obwohl das Land sehr viele linke wie kritische Medien hat; die ersten anhängig gemachten Fälle beziehen sich vielmehr nur auf das, was man bei uns einst Jugendschutz genannt hatte.

Andererseits sollte freilich unmissverständlich klar sein: Sollte unausgewogene Berichterstattung in Ungarn tatsächlich bestraft werden, dann wäre das absolut nicht zu akzeptieren, dann müsste der europäischen Menschenrechtsgerichtshof (der übrigens nichts mit der EU zu tun hat!) jedes derartige Urteil zurückweisen. Aber eben erst dann, wenn solches wirklich passiert, und nicht schon wenn es die internationalen Sozialisten behaupten!

Merkwürdig ist aber auch, dass sich die EU-Kommission überhaupt für das ungarische Mediengesetz für zuständig fühlt. Wo steht davon eigentlich etwas im EU-Vertrag? Und wenn die EU wirklich für Medienfreiheit zuständig wäre (was man durchaus begrüßen könnte), warum hat sie nichts unternommen, als sich europäische Justizminister – außerhalb der EU-Gesetzgebung – darauf geeinigt hatten, Meinungsdelikte mit zwei Jahren Haft zu bestrafen? Das ist wohl ein mindestens so schlimmer Eingriff in die Meinungsfreiheit, als es eine Pflicht zur Ausgewogenheit wäre. So sehr auch die mit der Meinungsfreiheit im Widerspruch steht. Denn selbstverständlich muss jede Zeitung ganz frei ihre eigene Sicht der Dinge berichten können, ohne dass Regierungen das nachprüfen dürfen.

Der zweite Kritikpunkt des Auslands in Sachen ungarisches Mediengesetz ist, dass die Medienbehörde komplett von der Regierungspartei nominiert wird. Nun: Wenn die Wähler diese Partei mit mehr als zwei Dritteln legitimiert haben, ist das durchaus rechtens. Wäre es anders, dann müssten beispielsweise fast sämtliche Postenbesetzungen der österreichischen Regierung komplett EU-widrig sein.

Eine einseitige Besetzung von angeblich objektiven Organen durch die Regierung trifft hierzulande nämlich nicht nur auf die Medienbehörden zu, sondern auf noch viel wichtigere Gremien: insbesondere auf den österreichischen Verfassungsgerichtshof. Der wird nämlich von oben bis unten rot-schwarz besetzt. Von der Opposition oder unabhängigen Juristen keine Spur. Ebenso hat die Wiener Regierung vor kurzem eine stramme Parteisoldatin als österreichischen Richter ins oberste EU-Gericht entsandt, die absolut keine richterliche Erfahrung hat. Was also ebenfalls viel skandalöser und wichtiger ist als die Besetzung der ungarischen Medienbehörde. Dabei haben die beiden österreichischen Regierungsparteien zusammen weniger Stimmenanteile erhalten als die ungarische Regierungspartei (und würden bei künftigen Wahlen kaum mehr die Hälfte der Stimmen bekommen).

Man darf also durchaus gespannt sein, wie es in Sachen EU vs. Ungarn weitergeht. Denn alles, was nun den Ungarn angehängt wird, kann auch anderen Ländern wie Österreich angehängt werden, obwohl die SPÖ ganz besonders laut gegen Budapest hetzt.

Vor allem aber ist es in einigen anderen Punkten um Österreichs Medienlandschaft noch viel schlimmer bestellt als um die ungarische: Wird doch hier der ORF-Generaldirektor wie die Leitung eines SPÖ-Sekretariats vergeben. Und vor allem: In keinem europäischen Land ist es erlaubt oder überhaupt denkbar, dass die Regierung – insbesondere die Kanzlerpartei – hemmungslos in den Steuertopf oder auch in die Kassa der Bundesbahn greift, um parteipolitisch freundliche Zeitungen zu belohnen. Das ist in Wahrheit Korruption in Reinkultur.

Also, liebe EU, nur zu: Mache doch den Ungarn einen Prozess – dann aber auch allen anderen, die genauso schuldig sind! Und zücke ja nicht zurück, wenn du draufkommst, dass dich wieder einmal linksintrigante Hysterie und rechte Dummheit auf gefährliches Glatteis geführt haben.

Spannend sind gewiss auch die anderen Vorwürfe gegen Ungarn. Etwa die neuen Steuergesetze, die bewusst so gestaltet sind, dass sie vor allem ausländische Firmen treffen. Solcher Protektionismus verstößt ganz sicher gegen den europäischen Geist und die Binnenmarkt-Prinzipien. Nur: Wie will die Union das verfolgen, wenn sie bisher beim noch viel ärgeren französischen Protektionismus geradezu demonstrativ weggeschaut hat? Quod licet Iovi?

Am wenigsten wird aber im Ausland vom jedenfalls schlimmsten Sündenfall der Ungarn geredet: Um die katastrophalen Budgetlöcher ein wenig zu stopfen, greift die Regierung einfach auf die private Pensionsvorsorge. Das ist nun wirklich eine schwere Verletzung des Grundrechts auf Eigentum. Das Schweigen der anderen Länder bedeutet Übles: Offenbar wird dort schon in etlichen Finanzministerien über ähnliches nachgedacht.

Was uns allen nahelegen sollte, unsere Ersparnisse ins Ausland zu tragen. Singapur soll noch ein recht solides Finanzsystem haben . . .

 

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Kreisky: Der Schein und das Sein

06. Januar 2011 00:46 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Im vergangenen August wäre Josef Klaus hundert Jahre alt geworden. Kaum jemand hat davon Kenntnis genommen. Bruno Kreisky würde am 22. Jänner hundert Jahre alt. Und schon jetzt erbeben die Medien wie auch die Spielplanmacher diverser Bühnen vor Aufregung ob dieses Datums, schon sind die Buchauslagen voll von Kreisky-Büchern und bereitet der ORF eine intensive Heiligenverehrung vor.

Nichts zeigt deutlicher, wer heute die Kultur- und Medienlandschaft kontrolliert, wer in den Buchverlagen diktiert. Nichts zeigt aber auch deutlicher, dass die SPÖ die nun anhebenden Kreisky-Festspiele angesichts ihrer totalen Sinnleere und Faymannisierung wie ein Stück Brot braucht, um noch irgendeine Identität zu haben. Und die braucht jede Partei als inneren Zusammenhalt.

Ebenso keine Frage ist freilich auch, dass die Pröll-ÖVP jeden Sinn für historische Dimensionen verloren hat, sonst hätte sie nicht selbst auf Klaus vergessen. Sie hat ja im Vorjahr beispielsweise auch den zehnjährigen Jahrestag des Amtsantritts des letzten ÖVP-Bundeskanzlers ignoriert. Wer die Geschichtsschreibung kontrolliert, der bestimmt auch, was in der Geschichte wichtig war. Die Fakten sind da viel weniger wichtig. Und wer die Geschichtsschreibung vernachlässigt, der zählt auch zu den Verlierern der Geschichte. Wer aber die Geschichte gewonnen hat, der hat auch für die Gegenwart eine viel schlechtere Ausgangsposition.

Um nur beim ORF zu bleiben: Während Klaus das Rundfunkvolksbegehren ernst nahm und den ORF unter Gerd Bacher in eine vorher ungeahnte Freiheit entließ, verkürzte Nachfolger Kreisky sehr rasch wieder die Zügel des Rundfunks auf ein parteigenehmes Maß. Dass dennoch Bacher dann später noch einmal an die ORF-Spitze kam, hing nicht mit einem Erwachen sozialistischer Liberalität zusammen, sondern mit dem Machtkampf Kreiskys gegen seinen Finanzminister Androsch, dessen Parteigänger im ORF-Kuratorium gegen die Parteilinie stimmten.

Kreisky wie Androsch sind aber gemeinsam für die wohl schwerste Last verantwortlich, die sie der Republik aufgeladen haben: Übernahmen sie die Republik 1970 mit einer traumhaft niedrigen Schuldenquote von 12 Prozent, so betrug diese 1983 bei Kreisky Abtritt 44 Prozent! In absoluten Zahlen war das sogar eine Versechsfachung der Schulden in 13 Jahren. Eine stolze Leistung.

Gewiss wuchs die Staatsschuld auch nach Kreisky weiterhin an. Unter rot-blauen ebenso wie unter rot-schwarzen Regierungen. Erst Wolfgang Schüssel konnte deren Wachstum brechen. Das gelang ihm 1995 durch vorzeitige Neuwahlen (die seiner Partei freilich ziemlich schadeten), die er aus Widerstand gegen einen Budgetentwurf des SPÖ-Finanzministers Staribacher provozierte, und nach 2000 durch eine konsequente und auch in der eigenen Partei unpopuläre Sparpolitik.

Unpopuläre Sparmaßnahmen kamen Kreisky erst ganz am Ende seiner Amtszeit und mit einem neuen Finanzminister in den Sinn. Sonst war seine Finanz- und Wirtschaftspolitik von populistischen Geldverteilungsmaßnahmen nur so geprägt. Diese reichten von Heiratsprämien bis zum Gratisschulbuch. Die Republik verschuldete sich auch deshalb, um Osteuropa (am Ende uneinbringliche) Kredite zu geben, mit denen die kommunistischen Länder wiederum Produkte der marode gewordenen Verstaatlichten Industrie kaufen konnten. Dass er dazwischen auch bisweilen vom Sparen redete und den Beamten Taxifahrten statt Dienstautos verordnete, waren substanz- und wirkungslose Scheinaktionen fürs Schaufenster.

Man kann Kreisky freilich zugutehalten, dass er auf Grund seiner Biographie alles tun wollte, um eine Wiederholung der Arbeitslosigkeit der Dreißiger Jahre samt ihren katastrophalen Folgen (die freilich nur zum Teil mit der Arbeitslosigkeit zusammenhingen) zu verhindern. Er hat nur eines nicht begriffen – und der junge Androsch als Sunny Boy erst recht nicht, der als Aufsteiger die Wünsche jeder wichtigen Parteigruppe erfüllen wollte: Die Schulden der Siebziger Jahre wurden die Hauptursache der Stagnation und Arbeitslosigkeit der Achtziger Jahre; und sie lasten mit den auch nicht ganz geringen Neuverschuldungen der Zeit bis 1995 heute wie ein riesiger Felsbrocken auf den Österreichern.

Kreisky hat sich aber solcherart viel Popularität erkauft. Zugleich kam ihm zugute, dass die SPÖ im Zuge der 68er Bewegung ganz im linken Zeitgeist lag – was Kreisky nicht hinderte, mit seinem teilweise sehr konservativen Auftreten und Lebensstil tief in bürgerliche Schichten hinein Anziehung auszuüben. Er konnte das unbesorgt tun, weil damals der SPÖ die Bedrohung durch eine linke Konkurrenz fehlte, wie sie dann die Grünen wurden, die später viele der linksradikalen Strömungen der 68er auffingen.

Kreisky war auch imstande, Niederlagen wegzustecken, wie etwa das erfolgreichste Volksbegehren der Geschichte, nämlich gegen das Konferenzzentrum an der Donau, das er neben die schon von seinem Vorgänger initiierte UNO-City bauen ließ. Das Konferenzzentrum ist zwar bis heute kein sehr attraktiver Veranstaltungsort – aber dennoch hat Kreiskys Hartnäckigkeit in dieser wie in anderen Fragen auch seinen Gegnern imponiert. Er ließ sich auch durch scharfen Gegenwind nicht von seinem Kurs und seinen Ideen abbringen. Was ihn sehr von vielen anderen Politikern unterschied, die Österreich seither hatte.

Eine noch größere Niederlage war die Volksabstimmung zum Atomkraftwerk Zwentendorf, für das er bis zuletzt gekämpft hatte. Aber gerade seine – dann nicht eingehaltene – Ankündigung eines Rücktritts bei einem Nein zu Zwentendorf hat diese Niederlage erst recht ausgelöst: Denn viele Kreisky-Gegner, die eigentlich nichts gegen Zwentendorf hatten, entschlossen sich daraufhin zu einem Nein bei der Abstimmung. Dennoch war diese Abstimmung für Kreisky hilfreich: Er blieb, und die Abstimmung hat viel von der kritischen Stimmung gegen seine Regierung verdampfen lassen.

Von vielen Kreisky-Biographen wird aus seiner Ära besonders das neue Strafgesetzbuch als Beweis seiner Liberalität angeführt. Darin werden tatsächlich viele alte Zöpfe abgeschnitten. Freilich war dieses Strafgesetzbuch schon von den ÖVP-Justizministern fertig ausgearbeitet, jedoch aus Rücksicht auf die Widerstände der Bischofskonferenz nicht umgesetzt worden. Kreiskys Mehrheit drückte es dann samt der Freigabe der Abtreibung durch, was bis heute eine tiefe Kluft zwischen die SPÖ und die Gläubigen treibt.

Sehr gezielt wurde in den siebziger Jahren personalpolitisch umgefärbt. Dabei waren der SPÖ – was für ihre strategische Intelligenz spricht – die Universitäten wichtiger als die Beamten. Und bei den Unis, vor allem der Wiener Hauptuniversität, konzentrierte sie sich wieder ganz auf die ideologisch relevanten Fächer wie Zeitgeschichte, Verfassungsrecht, Publizistik oder Politikwissenschaft, wo ein totaler Paradigmenwechsel erzwungen wurde.

Am wichtigsten für Kreiskys Erfolg waren aber seine guten Kontakte zu bürgerlichen Journalisten (die es damals noch in relevanter Zahl gab). Er vermittelte ihnen das Gefühl der Wertschätzung. Er war selbst für junge Redaktionsaspiranten am Telefon zu langen Gesprächen erreichbar – was vorher wie nachher völlig undenkbar war, was es auch im Ausland nirgendwo gab oder gibt.

Am liebsten verbreitete sich Kreisky bei Telefonaten, bei Hintergrundrunden, aber auch bei SPÖ-Parteitagen über die Weltpolitik. Da konnte er stundenlang und mit viel Wissen monologisieren. Was vielen Österreichern sehr imponierte. War es doch bis dahin völlig unüblich, dass ein österreichischer Regierungschef zu Dingen Stellung nahm, die mit dem Land selber überhaupt nichts zu tun hatten.

Kreisky war dadurch auch international bald sehr bekannt. Zusammen mit Willy Brandt und Olof Palme hat er dabei – als einer der letzten in der Geschichte – noch an ein sozialistisches Gesellschaftsmodell geglaubt, über das die drei viel publizierten.

Vor allem aber ging Kreisky in Konfrontation mit den USA und noch mehr mit Israel. Für deutschsprachige Politiker war damals jedoch noch jede Kritik an Israel absolutes Tabu. Auf Grund seiner jüdischen Abstammung konnte ihm das aber nur schwer als Antisemitismus ausgelegt werden – obwohl er eindeutig antisemitische Äußerungen machte.

Kreisky hat sich und Österreich dadurch viele Feinde gemacht – aber auch zweifellos viel persönliche Bewunderung errungen. Er hat engste Kontakte mit arabischen Machthabern gepflegt, er hat sich händehaltend mit Libyens Diktator Gadhafi gezeigt, er hat immer wieder den Standpunkt der Palästinenser verteidigt, trotz des von diesen damals praktizierten Terrorismus.

Aber eines hat Kreisky dabei nicht geschafft, obwohl viele seiner Hagiographen das jetzt verbreiten: Er war nie ein Vermittler. Er wurde von Israel und den USA nie als solcher akzeptiert, galt er doch als viel zu araberfreundlich.

Während die SPÖ noch 1955 rund um die Staatsvertragsverhandlungen proamerikanischer als die ÖVP gewesen ist, hat sich auch das unter Kreisky völlig gewandelt. Er setzte ganz auf die parallel in Deutschland von Brandt betriebene Entspannungspolitik und Annäherung an den Ostblock – wobei er freilich einen Kurs fortsetzte, der zum Teil schon unter Klaus und dessen Außenminister Waldheim begonnen hatte, wenn auch damals mit klarer Beschränkung auf einen bilateralen Akzent.

In der Summe hat Kreiskys Außenpolitik den Österreichern sicher viel Befriedigung verschafft, weil sie erstmals wirklich einen Politiker mit Weltgeltung hatten. Einen konkreten Nutzen für die Republik oder ihre Einwohner konnte er aber damit nicht wirklich schaffen. Denn die Sicherheit Österreichs war auch weiterhin durch die konkludenten Garantien der Nato gewährleistet. Und auch wirtschaftlich brachten die Ostkontakte keinen Gewinn. Gleichzeitig hat er zum Schaden für die österreichische Wirtschaft auf die Totgeburt der Efta statt auf die EWG, die Vorläuferin der EU, gesetzt, die seiner Partei damals noch zutiefst suspekt gewesen ist.

Jedenfalls war Kreisky aber eine starke Persönlichkeit mit großer Bildung in Geschichte wie Literatur. Die in den letzten Jahren von der SPÖ zunehmend aufgebaute Heiligsprechung Kreiskys hat aber nur für die Partei, nicht für das Land eine über das für jeden langjährigen Regierungschef angebrachte Ausmaß Berechtigung.

Dennoch zeigen die jahrelangen Bemühungen um die Kreisky-Verehrung offensichtliche Wirkung. Sonst würde nicht sogar ein H.C. Strache wiederholt versuchen, sich irgendwie als Erbe Kreiskys zu profilieren. Was irgendwie schon recht seltsam ist.

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Grenzzäune oder was sonst?

04. Januar 2011 00:44 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Amerika versucht seit Jahren, sich mit Grenzsperren gegen den illegalen Zustrom weiterer Millionen Südamerikaner zu schützen. Dasselbe tut Spanien rund um seine zwei nordafrikanischen Enklaven. Nun beginnt Griechenland dasselbe in Hinblick auf seine 200 Kilometer Grenze mit der Türkei.

Aber schon schreien die üblichen Vereine und Medien: „Pfui! Menschenrechtswidrig!“ Das Warum bleiben sie bei ihren Vorwürfen wie immer schuldig. Denn Griechenland hat keine andere Wahl. Findet doch der Großteil der illegalen Grenzübertritte in die ganze EU derzeit über die griechisch-türkische Grenze statt. Nachdem Italien mit einem vielleicht anrüchigen, sicher teuren und ganz sicher effektiven Pakt Libyen dazu gebracht hat, den Strom von Booten illegaler Migranten über das Mittelmeer zu stoppen, ist nun Griechenland das offene Tor nach Europa.

Statt dass man der ohnedies durch Schulden und Zinsenlast gebeutelten griechischen Regierung beisteht, dieses Problem durch das derzeit einzig bekannte Mittel zu reduzieren – eben einen Grenzzaun –, wird es ringsum getadelt. Manches Mal wird einem richtig übel angesichts der Gutmenschen, die immer zu Lasten Dritter gut sind. Die aber noch nie Lösungen für schwierige Probleme angeboten haben.

Gewiss sind Grenzzäune nicht immer effektiv. Das müssen nicht nur die USA, sondern auch Israel in Hinblick auf den Gazastreifen zugeben. Da kann man an manchen Abschnitten einen Zaun aufschneiden, dort kann man drüberklettern, und an anderen Orten werden wieder komplizierte Tunnelsysteme unter den Zäunen gegraben. Aber dennoch haben in allen bekannten Fällen die Grenzbefestigungen den Strom unerwünschter Grenzübertritte signifikant reduzieren können.

Welche Strategien wären sonst möglich? Einerseits könnte man die Grenzen prinzipiell öffnen, wie es die Grünen und ein Teil der Roten wollen. Die Konsequenz wäre klar: Dann ginge nach kurzer Zeit der Zustrom nach Europa in die Dutzenden, wenn nicht Hunderten Millionen. Denn vor allem die Wohlfahrtsleistungen, aber auch die Lohndifferenz machen für eine große Zahl der Menschen aus Afrika, Asien und Lateinamerika Europa trotz des Trennungsschmerzes von der alten Heimat zu einem Traumziel.

Eine zweite Möglichkeit wäre, den Lebensstandard in Europa so weit zu senken, dass es nicht mehr attraktiv wäre, nach Europa zuzuwandern; dafür könnte ohnedies die Schuldenpolitik der europäischen Regierungen mittelfristig sorgen. Und die dritte Möglichkeit wäre, jeden illegal im Land befindlichen Ausländer sofort vor die Alternative zu stellen: Ausreise oder dauernde Internierung. Das würde aber erst recht die Gutmenschen auf den Plan rufen, die ja praktisch all unsere Medien und Universitäten beherrschen.

Wer an weitere Möglichkeiten glaubt, macht sich einer naiven Verdrängung der Realitäten schuldig. Freilich ist genau das das zentrale Regierungsprinzip in der EU wie auch in den meisten europäischen Staaten.

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Das verschwiegene Ende der grünen Tabus

03. Januar 2011 14:14 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es gibt Nachrichten, die werden von den meisten linkshomogenisierten Medien in der Regel nicht transportiert. Und sind doch besonders spannend, weil sie herkömmliche Denkstrukturen auf den Kopf stellen. Was zuletzt vor allem die grünen Denkstrukturen trifft.

Alle hier aufgezählten Lehr-Beispiele stammen aus Deutschland. Sie sind aber für andere mitteleuropäische Länder genauso lehrreich, weil sich alle Probleme hier mit Sicherheit ähnlich abspielen.

Grüner Strom braucht böse Leitungen

Erstes Beispiel: Wie schön klingt doch die Zukunft, in welcher der ganze Strom von Sonne und Wind kommt. Die grünen Lobbyisten der von diesem Traum profitierenden Industrie haben schon fast die gesamte Politik überzeugt, dass das die Zukunft ist. Jetzt stellt sich jedoch heraus, dass der geplante große Ausbau die deutschen Stromnetze zum totalen Zusammenbruch bringen würde.

Denn wenn in einer Region zur Mittagsstunde kräftig die Sonne scheint, würde diese bei einem weiteren Ausbau der Solaranergie zwar endlich den erhofften Strom erzeugen. Aber gleichzeitig muss dafür ein riesiges neues Netz von Hochspannungsnetzen gebaut werden muss, um diesen Strom auch zu den Verbrauchern zu transportieren. Dasselbe trifft zu, wenn an der Nordsee kräftiger Wind die Turbinen ins Brummen bringt. Dann braucht es wieder andere große neue Leitungen. Denn die meisten Verbraucher wohnen blöderweise weit weg von der Nordsee.

Welche Partei aber wehrt sich am meisten gegen den Bau von Stromleitungen? Die Antwort auf dieses Rätsel ist zugegebenermaßen ziemlich leicht. Es sind natürlich die Grünen. Umso schwerer ist die Frage, wo der Strom in dieser grünen Zukunft herkommen soll, wenn im Winternebel wochenlang weder Sonne noch Wind zu spüren sind. Oder wollen die Grünen alle Alpentäler mit riesigen Speicherkraftwerken vollbetonieren?

Wassersparen schadet der Umwelt

Zweites Beispiel: In Deutschland ist der Wasserverbrauch in zwanzig Jahren um fast  zwanzig Prozent zurückgegangen. Die Industrie wird unter dem Druck von Umweltauflagen sparsamer, ähnliches bewirkt die ständige grüne Gehirnwäsche bei den Verbrauchern (sparsame - aber teure - Waschmaschinen, Spartasten am Klo, Dusche statt Badewanne, Regenwasserzisternen im Garten). Und vor allem die EU übt heftigen Druck aus, noch mehr zu sparen - etwa beim Duschen!

Was soll an all dem schlecht sein? Nun, Wassersparen ist jedenfalls nördlich von Spanien absolut überflüssig. Dort gibt es mehr Wasser denn je. Wie an allem ist auch an dem Wassersegen sicher die Klimaerwärmung irgendwie schuld - weil die ja an allem schuld ist, von einer Dürre bis zum Regen, selbst wenn sie noch gar nicht stattgefunden hat.

Der Rückgang im Wasserverbrauch führt jedoch zu zunehmenden Schäden im Kanalsystem: Fett und Essensreste pappen fest, immer öfter stinkt es aus den Kanälen. Auch in den Frischwasserleitungen fließt das Wasser so langsam, dass es ungenießbar werden könnte. Womit wieder einmal nicht nur die Dummheit der Grünen, sondern auch jene der EU erwiesen wäre, die ganz Europa Maßnahmen aufdrängen will, auch wenn sie nur für Spanien und Portugal einen Sinn haben.

Nicht einmal die Grünen glauben an die Erneuerbaren

Noch überraschender ist eine weitere weitgehend ignorierte Nachricht aus Deutschland: Dort sagen 70 Prozent, dass sie nicht glauben, dass der Energiebedarf in absehbarer Zeit durch erneuerbare Energien gedeckt werden kann. Auch bei den Grünen sind 57 Prozent dieser Ansicht. Und sogar fast 80 Prozent können mit der Kernkraft leben (solange sie nicht in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft gebaut wird). Dabei glaubt die ganze Politik auch in Deutschland, dass es total unpopulär ist, wenn sie einmal das Wort Atom ohne verächtlichen Ton in den Mund nimmt.

Datenschutz ist wichtiger als ein Menschenleben

Letztes, besonders tragisches Beispiel: Der Selbstmord eines 18-Jährigen aus Nordrhein-Westfalen im letzten Februar wäre ebenfalls imstande, ein weiteres grünes Tabu zu erschüttern. Und wird wohl deshalb weitgehend ignoriert.

Der junge Mann hatte eine heftige Dosis an Tabletten geschluckt und gleichzeitig via Internet Abschied von der Welt genommen. Dieses Abschieds-Posting wird – theoretisch – rechtzeitig gelesen. Jedoch verweigert die Deutsche Telekom der Polizei die sofortige Information über den Wohnort des Absenders. Es fehle die nötige Rechtsgrundlage, wird mit deutscher Sturheit erklärt. Daher kommt der Notarzt erst viele Stunden zu spät.

Die Rechtsgrundlagen fehlen tatsächlich. Denn das grün-linke Dogma „Datenschutz“ war weit wirksamer als die Vernunft. Wie es bei allen grünen Dogmen der Fall ist.

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Sinn und Unsinn in der Agrarförderung

02. Januar 2011 01:31 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Verdienen die Bauern zu viel oder zu wenig? Regelmäßig taucht das Thema auf – am liebsten in Wahlzeiten und wenn größere Verteilungskämpfe stattfinden. In eine besonders tiefe Schublade hat ein Buchautor gegriffen, der schon einmal eine erfundene Pflegerin in der Familie Wolfgang Schüssels präsentiert hat. Dennoch ist die Agrarförderung diskutabel, mehr als diskutabel.

Denn warum wird überhaupt landwirtschaftliche Produktion in Österreich, in der ganzen EU so heftig gefördert, dass für den Großteil die Hauptquelle der Einkünfte in Förderungen besteht? Industrie und Gewerbe werden ja auch nicht gefördert, höchstens in Ausnahmesituationen.

Manche, vor allem Sozialdemokraten, tun nun so, als ob Bauern nur aus sozialen Gründen gefördert werden dürfen. Ein absurder Gedanke. Denn es wäre weit billiger, wenn die Bauern einfach das neue Grundeinkommen bekommen, aber nicht über den teuren Umweg ihrer Produktion gefördert würden. Noch viel sinnvoller wäre es, würden sie ihren Beruf ganz wechseln.

Es ist aber auch ein absoluter Unsinn, die Landwirtschaft deshalb für förderungswürdig zu halten, damit der Strukturwandel abgebremst wird, damit Kleinbauern überleben können, wie es von schwarzer Seite oft zu hören ist. Denn warum sollte man das tun? Hätten wir schon in den letzten 150 Jahren den Strukturwandel verhindert, dann hätten wir heute noch 80 Prozent Bauern. Dann gäbe es noch zigtausende Greißler und Schuster, die alle von Förderungen lebten. Das kann kein Staat, keine EU finanzieren, das würde unseren Lebensstandard atomisieren.

Daher sind auch alle Neidargumentationen falsch, die lustvoll die Förderungen für Großbauern oder für Prominente auflisten. Kleinheit soll und darf kein Förderungsgrund mehr sein. Sonst müsste man ja auch den großen ÖBB, dem weitaus meistgeförderten Betrieb Österreichs, alle Gelder streichen und nur ein paar kleine Privatbahnen subventionieren.

Ökonomisch wäre es viel sinnvoller, wenn wir viel weniger, dafür große, schlagkräftige und unternehmerisch geführte Betriebe hätten.

Was wirklich förderwürdig ist, hängt nicht mit der Größe zusammen. Und hier sind ausnahmsweise einmal die Motive der Grünen berechtigt. Legitim sind umweltbezogenen Fördermotive: der Verzicht auf besonders wasserverschmutzenden Dünger oder der gesunde Mischwald anstelle von Monokulturen. Logischerweise dient es der Umwelt nicht, wenn das nur bei Kleinen gefördert würde.

Dasselbe gilt für die touristischen Fördermotive: Die Landschaft ist attraktiver, wenn auch entlegene Bauernhöfe bewohnt sind, wenn in den alpinen Regionen weiterhin Wiesen und Felder kultiviert werden und nicht alles dem sich ohnedies ständig ausbreitenden Wald geopfert wird.

Alles andere an der Agrarförderung ist unsinnig, belastet nur schwer die europäischen Budgets, verhindert Strukturwandel und schädigt die Dritte Welt, die gegen die künstlich verbilligten europäischen Lebensmittel nicht konkurrenzfähig ist.

Ob sich diese Erkenntnis gegen Europas – vor allem Frankreichs – mächtige Bauernverbände jemals durchsetzen wird? Klassenkämpferische Neidargumente unseriöser Autoren helfen da aber sicher nicht weiter.

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Bitte um neue Kleider für den Kaiser Europa

30. Dezember 2010 01:46 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Seit sich sogar Österreichs einst begeistertster Europäer sehr kritisch über die Entwicklung der EU äußert, können die Alarmsignale vom Zustand der EU nicht mehr ignoriert werden. Dasselbe gilt für Aussagen des weltgrößten Anleihe-Investors, der nun schon öffentlich vor einem Zusammenbruch der Währungsunion und des Euro warnt. Was die Finanzwelt bisher eher nur den Kommentatoren überlassen hatte.

Jene, die sich über den traurigen Zustand der Union freuen, unterliegen freilich einem katastrophalen Irrtum. Österreich wird deutlich schlechter dastehen, müsste es wieder zu einer nationalen Insel-Währung wie dem Schilling zurückkehren. Dieser wäre allen Spekulationen hilflos ausgeliefert; dafür genügt schon der kleinste Anlass, wie es etwa ein Budget ohne irgendwelche strukturelle Spar- oder gar Sanierungsmaßnahme einer ist. Dennoch ist ein Zerfall der Währung eine zunehmend wahrscheinlicher werdende Perspektive. Deutschland und Griechenland passen nicht unter denselben Währungshut.

Noch schlimmer wäre der Zusammenbruch des Binnenmarktes: Hunderttausende exportorientierte Arbeitsplätze würden in Österreich relativ rasch verlorengehen. Denn wer würde noch in einem kleinen Land investieren, das keinen großen und gesicherten Absatzmarkt mehr hat?

Die Träume von einer guten alten Zeit vor EU und Euro sind eine romantische Verklärung der Vergangenheit. Vor allem übersehen solche Träumer, dass sich die Welt seither weitergedreht hat. Osteuropa ist einen steinigen, aber tapferen Weg nach oben gegangen, lediglich Ungarn und der Balkan sind dabei ins Straucheln gekommen. Und noch wichtiger: China, Indien, Brasilien, Vietnam, Thailand, Indonesien und etliche andere sind enorm wettbewerbsfähig geworden und überholen Europa heute links und rechts.

Zur Jahrtausendwende hatte Europa noch von den sogenannten Lissabon-Zielen zu träumen versucht, welche die Union zur wettbewerbsfähigsten Region der Welt machen sollten. Heute kämpft Europa mit den USA um die Rote Laterne. Und niemand redet noch von jenen Lissabon-Zielen.

Die Ursachen sind bekannt: Unzählige Milliarden wurden jahrzehntelang verschwendet, um die Südeuropäer wie Sozialhilfe-Empfänger ohne Gegenleistung durchzufüttern. Man hat versäumt, diesen Ländern klarzumachen, dass sie – so wie die Osteuropäer – nur mit Leistung und Disziplin eine Chance haben. Aber auch in Mitteleuropa ist bis auf wenige Ausnahmen das Wohlfahrtssystem mit Grundeinkommen und anderen Verirrungen noch weiter ausgebaut worden, statt dass man sich der asiatischen Konkurrenz gestellt und auf die Folgen der demographischen Katastrophe vorbereitet hätte.

Selbst Deutschland steht nur im Vergleich zu den anderen Europäern derzeit glänzend da – und vor dem Hintergrund einer 20-jährigen Krise nach der wirtschaftlich völlig falsch angegangenen Wiedervereinigung. Aber auch auf Deutschland sollte man langfristig nicht allzuviel setzen: Denn es hat sich mit vielen Millionen Zuwanderern aus der Türkei und arabischen Ländern einem mittelgroßen Drittwelt-Staat in die Bundesrepublik geholt, dessen Einwohner sich auf dem weltweit höchsten Niveau von den gleichzeitig rasch aussterbenden Deutschen bequem durchfüttern lassen.

Fast ebenso gefährlich ist die mittelfristige Perspektive: In Deutschland wollen die drei Linksparteien (die bei den Umfragen nach etlichen Patzern der Koalition derzeit eine große Mehrheit haben, also wahrscheinlich Schwarz-Gelb ablösen werden) die schuldenfinanzierten Wohlfahrtsleistungen noch deutlich erhöhen.

Mit anderen Worten: Auch in jenem Land, das durch den neuerdings boomenden Export derzeit am stärksten dazustehen scheint, ist innerlich vieles vermorscht.

Ganz arg steht es um die Fast-Pleite-Staaten. Pimco, der weltgrößte Anleihen-Investor, hält daher ein Ausscheiden von Griechenland, Irland und Portugal aus der Währungsunion für notwendig. Diesen Ländern könne es nicht gelingen, sich innerhalb eines festen Wechselkursmechanismus zu erholen.

Andere Experten meinen wieder, dass solche Krisenländer nur dann überleben können, wenn sie ihre Löhne um ein Viertel reduzieren: Jedoch bringt nicht einmal ein Diktator einen solchen Gewaltakt durch, geschweige denn demokratisch gewählte Parlamente. Mit anderen Worten: Diese Länder werden erst nach einer jahrelangen katastrophalen Krise genesen können. Erst dann werden ihre Bürger einsehen, dass sie kollektiv über die Verhältnisse gelebt haben, und dass ausgabenfreudige Politiker und forderungsfreudige Gewerkschafter die Hauptschuldigen an dieser Katastrophe gewesen sind.

Jedoch laufen auch jetzt noch – natürlich universitäre, also weit weg jeder Realität lebende – Ökonomen herum, die meinen, Deutschland müsse einfach drastisch mehr Schulden machen und die Löhne erhöhen, dann würden sich die Ungleichgewichte im Euroland ausbügeln. Das stimmt schon – nur übersehen sie, dass dann auch Deutschland auf das Niveau der Mittelmeerländer absinken wird. Aber das war immer schon das Ziel sozialistischer Vor-„Denker“: Hauptsache, es geht niemandem besser, da ist es uns viel lieber, es geht allen schlechter, solange das nur gleichmäßig der Fall ist. Das ist so, wie wenn man mit einem Blinden dadurch solidarisch sein will,  dass man sich selbst die Augen aussticht.

Überraschend wie ernüchternd ist auch das kritische Urteil Wolfgang Schüssels über die EU. War er doch lange einer der flammendsten Europäer. Er sprach nun in einem Interview mit dem „Trend“ eine andere böse Fehlentwicklung der Union an: „Die EU regiert zu zentralistisch in die einzelnen Länder hinein.“

Schüssel ist zu Recht empört, dass sich die Kommission mit Tempo 30 in den Städten befasst, mit Rauchverboten und Glühbirnenverboten oder „Natura-2000“-Regeln, also irreversiblen Naturschutz-Großzonen. „Ich meine, man sollte viele Dinge auf der nationalen Ebene belassen oder sogar zurückgeben.“ Manche europäische Länder haben, so Schüssel, derzeit keine Führung, nehmen sich stark zurück und agieren oft nur innenpolitisch.

Komischerweise fällt einem bei diesen Worten vor allem Österreich ein – obwohl Schüssel sich doch seit seinem Rückzug auf parlamentarische Hinterbänke jeder öffentlichen Kritik an der heimischen Regierung penibelst enthält. Und sich nur mit dem Ausland befasst. Scheinbar.

Man kann Schüssel nun zu Recht vorhalten, dass er mit seiner Kritik an den Fehlentwicklungen in der EU spät kommt, und dass manche falschen Weichenstellungen auch schon in seinen Amtszeiten begonnen haben. Aber immerhin ist er immer noch der erste in den beiden Regierungsparteien, der sich traut, die Dinge beim Namen zu nennen. Der es wagt, die Kleiderlosigkeit des Kaisers Europa auszusprechen.

Unsere gegenwärtige Regierungsspitze hat diese Kleiderlosigkeit hingegen noch gar nicht gemerkt, geschweige denn auszusprechen gewagt.

Freilich kann die Erkenntnis seiner Kleiderlosigkeit nicht bedeuten, dass man den Kaiser  tötet, sondern man sollte ihm endlich wieder passende Kleider verpassen. Das würde insbesondere bedeuten, die EU wieder auf ihren Kern zurückzuführen, nämlich erstens auf einen funktionierenden Binnenmarkt. Und zweitens die gemeinsame Währung entweder auf weniger Länder zu reduzieren oder noch besser: jeden Schuldner seinem verdienten Schicksal zu überlassen, wenn er nicht mehr kreditwürdig ist.

 

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Haufenweise wirklich gute Nachrichten

23. Dezember 2010 01:58 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Freuen wir uns. Irgendwann und nicht immer, oft verspätet, aber dann doch setzen sich Vernunft und gesunder Menschenverstand durch. Irgendwann gibt es trotz aller Pannen auch eindeutige Erfolge. Große und kleine. Und es stört auch sicher nicht, wenn das ausgerechnet zu Weihnachten passiert.

Dabei geht es heute um ganz unterschiedliche Themen: um den Fall Kampusch-Adamovich, um die auch für Österreich relevanten Erkenntnisse aus dem Krisenfall Portugal, um den ORF, um die Reaktion der EU auf protektionistische Ideen aus Italien, aber auch um wirtschaftliche Erfolge für Österreich.

Fall Kampusch: Da ist nun Ludwig Adamovich in zweiter Instanz und damit rechtskräftig nach einer Privatanklage der Mutter von Natascha Kampusch freigesprochen worden. Er hatte einst gesagt, für Kampusch wäre ihre Gefangenschaft womöglich „allemal besser“ gewesen als all das, „was sie vorher erlebt hat“. 

Mit dem Freispruch ist ein recht seltsames Urteil vom vorigen Heiligen Abend gekübelt, in dem eine Richterin Adamovich verurteilt hatte, die sich nach allen Regeln des „Gehört sich“ eigentlich als befangen entschlagen hätte müssen. Ist die Richterin doch die Tochter des früheren Chefs der Staatsanwaltschaft Wien, und diese ist  von Adamovich und anderen honorigen Persönlichkeiten wegen ihrer Untätigkeit im Fall Kampusch schwer kritisiert worden.

Freilich hat sich Adamovichs Anwalt nicht getraut, die Erstinstanz-Richterin deswegen direkt zu attackieren, sondern er hat sich auf die – für Adamovich ja ebenfalls wirklich zutreffende, wenn auch etewas riskante – Verteidigungslinie zurückgezogen, dass sich der ehemalige Verfassungsgerichtshofpräsident nicht konkret genug ausgedrückt habe. Das haben aber nun auch die Instanzrichter so gesehen.

Im Hintergrund spielt aber auch die sich seit einigen Monaten nicht zuletzt dank des neuerdings überraschend mutigen Adamovichs verbreitende Vermutung mit, dass Kampusch nicht die ganze Wahrheit über ihre Gefangenschaft und über eventuelle Mittäter sagt. Was sie freilich bisher auch nicht musste, weil es ihr die Wiener Staatsanwälte merkwürdigerweise immer erspart haben, als Zeugin und damit unter Wahrheitspflicht auszusagen.

Die Dinge sind mit dem Adamovich-Freispruch wieder einen kleinen Schritt in die richtige Richtung gegangen, nämlich näher zur Wahrheit. Das freut.

Portugal und Österreich: So unerfreulich die Lage Portugals ist, so erfreulich ist der Konsens zu diesem Land nicht nur zwischen der EU-Kommission und dem Währungsfonds, sondern auch der Europäischen Zentralbank. Sie sind nicht nur in der Diagnose einig, sondern auch über die Rezepte zu einer Sanierung des schwer verschuldeten Landes, das derzeit allerorten ständig an Kreditwürdigkeit verliert. Und das mit Sicherheit bald von den Miteuropäern aus dem Schuldturm freigekauft werden muss.

Bei den diagnostizierten Ursachen der portugiesischen Krise stehen die hohen Schulden an erster Stelle, dahinter folgt der Mangel an Investitionslust. Und bei den von den internationalen Institutionen empfohlenen Therapien steht eine Reform des Arbeitsmarktes im Zentrum: Die Unternehmen sollen leichter kündigen können, die Arbeitszeit soll bei Bedarf ausgedehnt werden, und das Lohnniveau soll gesenkt werden.

Kein Wort mehr von dem dummen Gewäsch mancher linker Ökonomen, egoistischer Gewerkschafter und frommer Wunschdenker, dass „Gier“ und Derivate, Unternehmer und Banken schuld seien, und dass man merkwürdigerweise zuerst noch viel mehr Schulden machen müsse, bevor vielleicht etwas besser werde. Und vor allem, dass die Gewerkschaften keinerlei Mitschuld am Zustand eines Landes hätten.

Was hat das mit Österreich zu tun? Immerhin sitzen in der EZB zwei Österreicher an führender Stelle: Sowohl Gertrude Tumpel-Gugerell wie auch Ewald Nowotny stammen aus dem Herzen der Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung. Dort aber werden in Österreich noch weitgehend die zuvor als „Gewäsch“ abqualifizierten Thesen verzapft. Die Tatsache, dass Tumpel und Nowotny der EZB-Analyse nunmehr widerspruchlos zustimmen, lässt zumindest hoffen, dass deren neue Weisheit irgendwann auch die heimische SPÖ-Politik erreichen wird.

EU-Kommission: Nach einer allzu langen Schweigepause wagt es nun die EU-Kommission, „ernste Bedenken“ gegen die italienischen Pläne  zu äußern, deutschen und österreichischen Zügen einen Stopp an sämtlichen Zwischenstationen zu verbieten. Ein solches Verbot wäre nämlich ein ganz klassischer Verstoß gegen die Regeln des Binnenmarktes, der ja den zeitweise zugunsten modischer Themen vernachlässigten Kern der Integration gebildet hat.

Gleichzeitig lässt sich die EU-Kommission nicht in eine populistische Kampagne gegen das neue ungarische Medienrecht hineinhetzen. Dieses ist zwar menschenrechtlich bedenklich und verstößt gegen demokratische Grundregeln. Aber es ist durchaus zweifelhaft, ob das ungarische Medienrecht überhaupt in die Kompetenz der EU fällt.

Schon im Falle Österreich 2000 hatte es die Kommission abgelehnt, sich in internationale Kampagnen gegen ein Mitgliedsland einspannen zu lassen. Diese werden bekanntlich von der vereinigten europäischen Linken jeweils gegen Länder mit Rechtsregierungen gefahren. Damals war es Österreich, heute sind es Ungarn, Italien und die Schweiz, wo die Linksparteien jeweils total abgewirtschaftet hatten. Als nächstes drohen auch die Niederlande und Dänemark ins Visier zu kommen. Auch wenn es überall viel zu kritisieren gibt: Die Kommission tut gut daran, sich von der Rolle als Oberlehrer aller Mitgliedsländer zu distanzieren.

OMV: Die OMV hat durch Zukäufe einen entscheidenden Schritt Richtung Türkei getan und ist nun im dortigen Ölmarkt endgültig ein wichtiger Spieler. Es tut gut – und ist dringend notwendig –, wenn immer wieder auch österreichische Konzerne im internationalen Spiel der multinationalen Konzerne erfolgreich mithalten können. Die OMV wird aber zweifellos auch der Türkei guttun – ohne dass diese deswegen gleich ein EU-Vollmitglied werden muss.

Triple A: Ebenso gut tut, dass die internationalen Rating-Agenturen Österreich auch weiterhin ein Triple-A geben. Damit kann sich die Republik weiterhin relativ(!) günstig refinanzieren. Das hilft aber auch allen anderen österreichischen Kreditnehmern.

Heathrow: Der Londoner Flughafen hat es tagelang nicht geschafft, der – für die Inseln unüblichen – Schneefälle Herr zu werden. Man war einfach schlecht vorbereitet. Das ist zwar extrem peinlich. Aber nun verzichtet der Vorstandschef des größten Flughafens Europas auf seine Jahresprämie. Er zeigt damit, dass mancherorts ein Wort noch wirklich ernst genommen wird: Verantwortung. Man stelle sich Ähnliches vor, würde es auch für den ORF oder das österreichische Schulsystem gelten.

 

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Eine Black Box zu Weihnachten

18. Dezember 2010 00:46 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es ist im Grund atemberaubend, welchen Gummiparagraphen die EU-Regierungschefs da knapp vor Weihnachten beschlossen haben. Huschpfusch wird da die erste Änderung des Lissabon-Vertrags durchgezogen, ohne dass irgendjemand klar sagen könnte, was diese zwei Sätze bedeuten, was in der Black Box dieser Vertragsänderung wirklich drinnensteckt.

Sie kann nämlich Alles oder Nichts enthalten – und auch alles, was zwischen Alles und Nichts liegt liegt. Uns will man vorerst irgendwie einreden, dass die Vertragsänderungen zwar im Grund überhaupt nichts bedeuten, aber dennoch ein Allheilmittel zur Behebung der europäischen Finanzkrisen seien.

Reichlich widersprüchlich? Nicht doch für die wie immer lammfrommen EU-Berichterstatter.

Würde man Klartext reden, bestünde freilich Gefahr, dass nicht alle 27 Parlamente zustimmen. Dass Irland etwa eine Volksabstimmung durchführen müsste (was freilich in einem bankrotten Land, das zusammen mit anderen diese Vertragsänderung überhaupt erst ausgelöst hat, doch reichlich skurril wäre). Und dass die Kronenzeitung ihren Lieblingsbriefpartner im Bundeskanzleramt an sein Versprechen erinnern könnte, eine Volksabstimmung über eine solche Vertragsänderung durchzuführen. Freilich: Wer schon die Verfassung eiskalt gebrochen hat, wird doch wohl imstande sein, ein Wahlkampfversprechen ohne sonderliche Gewissensbisse zu brechen. Aber zu Faymanns Glück (und zum Schaden für deren Auflage) ist die Krone jetzt ohnedies schon fast total auf Parteilinie eingeschwenkt.

Wer uns einreden will, dass die Vertragsänderung notwendig ist, damit man künftig auch die Gläubiger eines überschuldeten Landes an den Sanierungskosten beteiligt, der lügt. Selbstverständlich wäre das, also ein teilweiser Forderungsverzicht der Gläubiger, immer schon möglich gewesen –  im Fall Griechenland genauso wie im Fall Irland.

Wer uns einreden will, dass die Vertragsänderung notwendig ist, damit die EU-Länder einander Geld borgen oder füreinander haften dürfen, der hat Recht: Er gibt damit aber gleichzeitig zu, dass die Aktionen Griechenland und Irland sowie die Schaffung eines Rettungsschirmes ein glatter Vertragsbruch waren.

Wer uns einreden will, dass durch die Vertragsänderung eine europäische Wirtschaftsregierung geschaffen wird, sollte das ehrlich und viel deutlicher sagen. Denn das wäre eine Katastrophe, auch wenn sich nun sogar auch Deutschland dafür ausspricht. Denn eine solche Wirtschaftsregierung hat mit Sicherheit nur einen Effekt: Sie wird Europas Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Asien und anderen Regionen noch weiter reduzieren. Dabei hat gerade die jüngste Prognose des Wifo klar gesagt: Europas Wachstum wird in den nächsten Jahren mit 1,5 Prozent das weltweit niedrigste sein, während die Weltwirtschaft im Schnitt mit über 4 Prozent wächst. Die Sozialdemokraten und Gewerkschaften haben dennoch immer schon eine EU-Wirtschaftsregierung verlangt, mit der sie in den 27 Ländern eine Anhebung von Steuern und Sozialleistungen auf das jeweils höchste Niveau durchsetzen wollen. So als ob sie von China und den USA bestochen wären.

Wer uns einreden will, dass durch diese Vertragsänderung nun den Sünderländer harte und konkrete Bedingungen gestellt werden können, der lügt: Denn solche Bedingungen hätten Geldgeber schon immer verlangen können. Es gibt jedoch auch nach der Vertragsänderung keine effektiven Instrumente, falls sich die Sünder nicht an die Bedingungen halten, oder halt nur ein bisschen. Letztlich müssten solche Instrumente ähnlich wie bei österreichischen Gemeinden oder bei einem normalen Konkurs aussehen, die bankrotten Staaten müssten einen Zwangsverwalter mit Gesetzgebungskompetenz an die Kassa gesetzt bekommen.

Wer uns einreden will, mit dieser Vertragsänderung sei die Idee von Euro-Anleihen vom Tisch, der lügt. Die sind weiterhin möglich und bleiben eine reale Gefahr. Genauso wie weitere teure und riskante Schutzschirme für die Sünderländer.

Wer uns einreden will, als Folge der Vertragsänderung werden sich Parlamente, Regierungen, Subventionsjäger und nicht zuletzt die hetzerischen Gewerkschaften vieler Länder zu fürchten beginnen und rechtzeitig Maß halten, der sollte sich besser als Kabarettist verdingen.

Man darf angesichts all dieser Ambiguitäten wirklich gespannt sein, ob 27 nationale Parlamente eine solche Black Box mit unbekanntem Inhalt ankaufen werden.

Für alle, die in der Leere des EU-Textes zwischen den dürren Zeilen Genaueres entdecken können als ich, hier der ganze Wortlaut, mit dem der Lissabon-Vertrag ergänzt wird: "Die Mitgliedstaaten, die der Eurozone angehören, können einen Stabilitätsmechanismus aktivieren, um im Notfall die Stabilität der Eurozone als Ganzes zu sichern. Die Garantie für die erforderliche Finanzunterstützung wird strikten Bedingungen unterworfen".

Aha.

PS.: Herr Faymann, der bei EU-Gipfeln bisher immer nur jene Meinung zu haben versuchte, die sich dann durchsetzte, muss sich nun erstmals in einer wichtigen Frage entscheiden: Die anderen Nettozahlerländer wollen die EU-Ausgaben einfrieren, die europäischen Sozialdemokraten sind – wie immer – gegen jeden solchen Zwang zur Sparsamkeit. Was werden Androsch und Tumpel dem Kronenzeitungsleser am Ballhausplatz jetzt raten, der wahrscheinlich nicht einmal weiß, was Nettozahler bedeutet?

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Euro-Anleihen: Trau Schau Wem?

16. Dezember 2010 00:07 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

David gegen Goliath. Luxemburg gegen Deutschland. Der Kleinste gegen den Größten der EU – da hat normal der Kleine immer viele Sympathien auf seiner Seite. Vor allem, wenn er so verbissen kämpft wie Luxemburgs Premier Juncker für die Einführung von Euro-Bonds. Also für Anleihen, für die alle EU-Staaten haften.

Diese Anleihen würden den am heftigsten verschuldeten Ländern Europas helfen, gegen niedrigere Zinsen als zuletzt an neues Geld heranzukommen. Die relativ disziplinierten Länder würden freilich deutlich mehr zahlen müssen als heute. Wirklich disziplinierte Länder gibt es in der EU zwar ohnedies keine – denn die wären so solide wie die Schweiz oder hätten überhaupt keine Schulden. Was ja angesichts der niedrigen Kinderquote aller europäischen Länder durchaus zwingend wäre. Und nicht so blauäugig, wie es klingen mag.

Aber zurück zu den „relativ disziplinierten“ Europäern wie den Deutschen, den Niederländern und Österreichern. Die zeigen kein Interesse an diesen Euro-Bonds und der Haftung für die Schulden aller anderen, auch wenn Herr Juncker es ihnen mit viel Seelenmassage zu verkaufen versucht.

Sie haben damit im Prinzip recht. Denn die Euro-Bonds würden als Signal aufgefasst, dass sich Deutschland & Co überhoben haben und langfristig nicht mehr stabil sind. Umgekehrt würden die ausgabenfreudigen Südeuropäer glauben, dass sie weiterhin über ihre Verhältnisse leben können; dass sie nicht bankrottgehen, auch wenn ihre Regierungen ständig den oft unverschämten Forderungen der Gewerkschaften oder den utopischen Vorstellungen der Sozial- und Interessenpolitiker nachgeben.

Doch halt: In Wahrheit unterscheiden sich die Euro-Bonds kaum von dem 750 Milliarden teuren Rettungsschirm, den alle Europäer im vergangenen Mai gemeinsam aufgespannt haben. Dieser hat Griechenland und Irland vor dem Bankrott gerettet. Er wird wohl auch noch für den nächsten auf der Liste reichen, also Portugal. Für Spanien freilich kaum mehr, und ganz sicher nicht für die übernächsten Pleitekandidaten Italien, Belgien, Ungarn und auch Frankreich, die allesamt Probleme haben, ihre Schulden und Defizite in den Griff zu bekommen. Daher wird ja auch schon von einer Verdoppelung des Schirms geredet.

Bringt das aber nicht haargenau die gleichen Gefahren, die man in Berlin und Den Haag als Folge der Euro-Bonds fürchtet (in Wien denkt man da ja nicht so viel nach)? In der Tat, der Unterschied ist klein. Dementsprechend ziehen die Zinsen neuerdings ja auch schon für Musterschüler Deutschland kräftig an.

Der schwere Fehler vom vergangenen Mai rächt sich nun fürchterlich. Und lässt sich auch kaum noch rückgängig machen. Denn wie erklärt man es Rom oder Madrid – sobald es auch dort soweit ist –, dass es Geld für die griechischen Obersünder gegeben hat, dass aber nichts mehr da ist, wenn die relativ harmloseren Sünder die Hand aufhalten?

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.  

 

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Neuerlich verraten und verkauft: Diesmal an Brüssel

12. Dezember 2010 19:00 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

Am Donnerstag und Freitag, den 16. und 17. Dezember 2010, wird Werner Faymann seine Unterschrift unter die Beschlüsse des Ministerrats der EU setzen, durch welche Österreich als souveräner Staat zu existieren aufhört. In Zukunft wird Österreich regiert von Brüssel. Die vierzeilige, harmlos formulierte Agenda enthält alles Dynamit dieser Welt, mit dem man Staaten auslöschen kann.

  1. Getroffen wird die Entscheidung über einen permanenten Bailout-Mechanismus für Pleitestaaten, die massiv auf Pump gelebt haben und denen heute niemand mehr Kredit geben will. Was ist alles ist Gegenstand der Beschlüsse:
  2. Die Aufhebung des Stabilitätspakts, der Bedingung für die Einführung des Euro war. Jetzt ist er nur noch Makulatur. Die angebliche Verschärfung der Strafen für Defizitsünder erschöpft sich in Placebos (z.B. Stimmrechtsentzug oder die Drohung mit erhobenem Finger der Kommission) zur Beruhigung der aufgebrachten Bevölkerung. „Blaue Briefe“ und Strafandrohungen wurden bereits in der Vergangenheit ignoriert und das wird auch in Zukunft so sein.
  3. Niemand braucht sich mehr an die Stabilitätskriterien zu halten: die Defizitgrenze von 3 Prozent des BIP und die Grenze von 60 Prozent des BIP für den maximalen Schuldenstand eines Staates. Sie wurden ja zum Teil schon bei der Aufnahme einzelner Länder in die Europäische Währungsunion (EWU) zum Schaden des EURO nicht beachtet. „Kreative Buchführung“ und getürkte Bilanzen wurden geduldet. Jetzt wird bei Überschreitungen eben „gerettet“ und „geholfen“.
  4. Der Stabilitätspakt verbot ausdrücklich das Bailout von Schuldnerstaaten durch die anderen Mitglieder der EU. Die im Verfassungsrang stehende Bailout-Klausel wurde in einer Nacht- und Nebelaktion zwischen dem 7. und 9. Mai 2010 vom Tisch gewischt. Jetzt soll diese verfassungswidrige Aktion nachträglich mit einer „kleinen“ Änderung des Lissabon-Vertrags („a limited treaty amendment“) legalisiert und zu einer ständigen Einrichtung ausgestaltet werden. Durch die geplante „kleine“ Vertragsänderung wird in Wahrheit die EU in eine Haftungs- und Transfergemeinschaft mit riesigen Umverteilungswirkungen umgewandelt. Praktisch wird ein Finanzausgleich eingeführt, wie wir ihn innerhalb eines Bundesstaates kennen. Genau das, so wurde den Bürgern versichert, sollte nie geschehen, jetzt wird das Versprechen gebrochen. Niemals hätte der Bürger auf Schilling oder DM verzichtet, wäre er von der geheimen, aber von Fachleuten immer schon vermuteten Absicht der Schöpfer der EWU informiert worden, einen zwischenstaatlichen Finanzausgleich einzuführen. Jetzt soll „Versailles ohne Krieg“ für alle Ewigkeit gelten.
  5. Mit diesem Finanzausgleich ist zugleich die Übertragung der Fiskalpolitik auf die EU verbunden. Die EU-Kommission erhält das Recht, bei der Aufstellung von Budgets entscheidend mitzusprechen und Budgetansätze über die Köpfe der nationalen Parlamente hinweg vorgeben zu können.
  6. Die Budgetvorgaben können tiefgreifenden Einfluss auf die Höhe und Art der Besteuerung ausüben. Zu erwarten steht, dass die EU unter dem Titel der „Steuerharmonisierung“ die Höhe vor allem der Mehrwertsteuern vorschreibt. Die Enteignung von Sparvermögen (Vermögenssteuern, Erbschaftssteuern) und die Entleerung von Pensionskassen gehören zum Programm. 
  7. Die EZB wird mehr und mehr in eine „Bad Bank“ umgewandelt, die Schrottanleihen von Pleitestaaten aufkauft und dafür die Geldmenge extrem ausweitet. Die Folge ist Schwächung des EURO und Auslösen der Inflationsspirale. Das katastrophale Vertrauen in die beiden großen Weichwährungen EURO und US $ drückt sich jetzt bereits in den exorbitanten Goldpreisen aus. Und auch in jeder Benzinrechnung spiegelt sich der Tribut für die verfehlte EURO-Währungspolitik, für die der Bürger zu bezahlen hat. 

 

Mit „der kleinen Vertragsänderung“, die Faymann am Freitag unterschreiben wird, wird er Österreich verkaufen und die Bürger verraten. Er, der hoch und heilig in der Kronenzeitung im Juni 2008 versprochen hatte, über jede Veränderung des Lissabon-Vertrags das Volk abstimmen zu lassen, hat uns betrogen. Jetzt verweigert er uns zusammen mit seinem Komplizen Josef Pröll die demokratische Mitentscheidung über unser eigenes Schicksal!

Univ.-Dozent Dr. Friedrich Romig lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen.

Hier der Text der Agenda des Europäischen Rates für 16./17. Dezember:

"The European Council will:

− decide on the outline of a permanent crisis mechanism to be established by MemberStates to safeguard the financial stability of the euro area as a whole and on a limited treaty amendment required to create such a mechanism“.

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Sie regulieren uns zu Tod - als ob es keine Krise gäbe

10. Dezember 2010 01:56 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Schon wieder bastelt die Koalition an einer neuen Beschneidung der Freiheit der Bürger. Und schon wieder bringt ein neues Gesetz Lasten für die Wirtschaft und zusätzliche Verwaltungsausgaben – kaum dass der berühmte Ökonom Werner Faymann Verwaltungsreformen als „Unsinn und Illusion“ dargestellt hat. Eine öffentlich zugängliche Podiumsdiskussion des Hayek-Instituts wird sich am Montag mit dem neuesten Anschlag auf unsere Freiheit befassen, nämlich dem neuen Gleichbehandlungsgesetz.

Die Veranstaltung beginnt um 15,30 Uhr im Hayek-Saal in der Wiener Grünangergasse 1 und trägt den Titel „Gleichbehandlungsgesetz: Unzumutbarer Eingriff in die Freiheit der Bürger oder angemessener Schutz?“

Diese Gesetzesnovelle wird trotz vieler problematischer Bestimmungen wahrscheinlich vom Parlament angenommen werden, weil sie schon von der Geheimregierung der Sozialpartner abgesegnet worden ist. Und gegen die Sozialpartner hat noch kein Parlament zu entscheiden gewagt.

Daher werden wohl auch die kritischen Stimmen der Begutachtungsphase ungehört bleiben. Diese stammen interessanterweise vor allem aus dem Wiener Rathaus und dem Finanzministerium, einer eher ungewöhnlichen Paarung. Während sich viele andere Länder, Institutionen und Ministerien offensichtlich keine große Mühe gemacht haben, das 14-seitige Gesetzesmonster auch nur ordentlich durchzulesen.

Skurril ist hingegen die Stellungnahme der WKO. Sie führt auf sieben Seiten mehr Gründe als jeder andere Begutachter gegen das Gesetz und seine „unzumutbaren Belastungen“ an – um es dann am Schluss plötzlich als „gerade noch“ vertretbar zu bezeichnen. Angesichts der vielen Kosten, der bürokratischen Auflagen und der die Freiheit nicht nur der Unternehmen einschränkenden Regelungswut ist das eine erstaunliche Haltung. Jedoch unter einem Christoph Leitl sollten die heimischen Unternehmen absolut nichts an wirtschaftsfeindlichen Aktionen der WKO überraschen.

Die größte Frechheit sind die Erläuterungen zu dem Gesetz: „Dem Bund erwachsen unmittelbar keine Kosten, da Arbeitsverhältnisse zum Bund vom Geltungsbereich des Gleichbehandlungsgesetzes ausgenommen sind.“ Die blöde Wirtschaft soll nur blechen und unter der Bürokratie stöhnen, der Staat selbst braucht sich um all die angeblich so furchtbaren Ungleichbehandlungen nicht zu scheren.

Diese Frechheit wird aber noch durch die Dummheit der gleichen Erläuterungen übertroffen: Da wird einfach dialektisch das Gegenteil von dem behauptet, was wahr ist. Dieses Gesetz komme „dem Wirtschaftsraum unmittelbar zugute“, es führe zu einer „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen“ und einem „höheren Beschäftigungsniveau“.

Man fasst es nicht: Wenn man Unternehmen noch und noch Bürokratie und Kosten aufladet, wenn man ihnen die Vertragsfreiheit einschränkt, sich die besten Mitarbeiter vom Arbeitsmarkt auszusuchen, oder sich jene Mieter und Kunden auszusuchen, mit denen man am besten zu harmonieren glaubt, dann nützt das den Unternehmen!

Alleine diese Absurdität sollte für jeden Abgeordneten mit Hirn und Charakter Grund genug sein, gegen das Gesetz zu stimmen. Ein weiterer Grund wäre der Blick nach Deutschland: Dort hat man gerade fixiert, wie man die Unternehmen durch Bürokratieabbau um vier Milliarden weniger belastet. Hingegen bei uns in Österreich . . .

Die einzige Hoffnung, dass das Gesetz wenigstens nicht gleich Wirklichkeit wird, bietet das ja in der ÖVP nicht ganz unwichtige Finanzministerium. Dieses empfiehlt zu warten, bis eine EU-Richtlinie zum gleichen Bereich, die in Brüssel debattiert wird, fixiert ist. Denn diesmal ist Brüssel (noch) nicht schuld. Unsere regulierungswütigen Sozialtechnokraten schlagen schon vorher im Alleingang zu.

Die Sozialtechnokraten aus Sozialministerium (welches das für Durchschnittsleser unleserliche Konvolut ausgearbeitet hat) und Gewerkschaft werden wohl nicht mehr nachgeben, nur weil das Finanzministerium es sagt, wenn sie schon die Kammer über den Tisch gezogen haben.

Die wichtigsten Regelungen der geplanten Novelle:

Unternehmen müssen künftig ab einer bestimmten Größe alljährlich einen detaillierten Einkommensbericht für den Betriebsrat erstellen, der bis zu den kleinsten Untergruppen – die nur drei Kopf groß sein müssen! – die durchschnittlichen oder(!) Medianeinkommen von Männern und Frauen aufsplittert. Das kostet jedes Unternehmen nach den Schätzungen des Sozialressorts 264 Euro im Jahr. Abgesehen davon, dass das in der Realität angesichts eines sehr komplizierten Gesetzes wohl weit mehr sein wird: Wo bleibt da das Verwaltungsabbau-Gerede des Herrn Leitl, das er in jedem Interview bis zum Erbrechen wiederholt? Gewiss: Mit einem Faymann ist eine Verwaltungsreform nicht machbar. Aber was zwingt Leitl und die ÖVP, einer weiteren bürokratischen Last zuzustimmen?

Immerhin hat ja jetzt schon jeder Betriebsrat Einblick in die Gehaltslisten. Und das ständige Gerede von Frauendiskriminierung bei der Gehaltshöhe hat sich noch nie konkret beweisen lassen. Die statistischen Gehaltsunterschiede sind nämlich nicht Folge von Diskriminierung, sondern des früheren Pensionsantritts der Frauen – verdient man doch zum Schluss der Karriere am meisten –, ihrer einseitigen Berufswahl, der viel geringeren Bereitschaft zu Überstunden und den oft krankhaft wirkenden Ehrgeiz- und Leistungs-Genen der Männer. Frauen haben einfach mehr und andere Prioritäten im Leben, was sich naturgemäß im Durchschnittsverdienst niederschlägt.

Statt dass man den Feministinnen mutig mit der Wahrheit entgegentritt, belasten unsere Wirtschafts-Politiker lieber die Unternehmen mit einer neuen Last.

Daneben entstehen aber auch in der staatlichen Bürokratie spürbare Neukosten. Auch diese werden von den Legisten viel zu gering geschätzt. Oder überhaupt ignoriert: So muss jedes Bundesland eine unabhängige Gleichbehandlungsstelle schaffen oder benennen. So warnt das Justizministerium, dass die ohnedies schon überlasteten Gerichte durch das Gesetzeswerk zusätzliche Bürden auferlegt bekommen.

Teuer wird es auch, wenn man in jedem Stellenangebot nun auch das Gehalt angeben muss, weil Frauen es sonst angeblich billiger geben. Dabei ist völlig unklar, wieweit da auch eventuelle variable Leistungs- und Überstundenzulagen genannt werden müssen. Daran werden nur die Inseratenabteilungen der Zeitungen verdienen.

Fast selbstverständlich ist da schon, dass auch alle möglichen Strafen deutlich hinaufgesetzt werden. So wird – wie die WKO bemängelt – ein Blondinenwitz mit 1000 Euro Mindeststrafe verfolgt.

Aber es geht längst nicht mehr nur um den feministischen Furor einiger Funktionärinnen, der da teuer befriedigt wird. Auch alle möglichen Formen von angeblicher oder wirklicher Diskriminierung etwa aus Gründen des Alters, der Religion, der Weltanschauung oder – natürlich – der sexuellen Orientierung werden künftig streng verfolgt.

Und zwar nicht im öffentlichen, sondern vor allem im privaten Bereich: etwa bei der Vermietung von Wohnungen oder beim Restaurantbesuch.  Das wird einen unglaublichen Rattenschwanz von Prozessen nach sich ziehen: Schwule Vereine, die gegen den Papst hetzen, werden klagen, wenn ihnen eine kirchliche Stelle nicht die gewünschte Wohnung vermietet. Ein Wohnungsvermieter wird einen kahlköpfigen Russen, der kilometerweit nach Mafia riecht, nicht abweisen können, auch wenn die anderen Hausparteien sich darob empören. Ein Schwulenlokal wird einen Trupp junger Türken nicht mehr abweisen können, die dort wahrscheinlich Stunk machen werden.

Was das Ganze noch schlimmer macht: Es gibt eine weitgehende Umkehr der Beweislast! Also der Vermieter, der Restaurant-Geschäftsführer muss beweisen, dass er aus ganz anderen Gründen die Wohnung anderwärtig vergeben, jemanden nicht ins Lokal lässt. Das wird natürlich zu jeder Art von Lügen und Schmähs führen: Wohnungen werden prinzipiell schon beim Anruf nur noch via Warteliste angeschaut werden können, weil sie eigentlich schon vergeben sind. In Lokalen werden prinzipiell alle Tische schon vergeben sein und es wird wie in Amerika heißen: „Please wait to be seated“.

Eine exzellente Stellungnahme zum Werk Rudolf Hundstorfers kommt überraschenderweise aus dem Rathaus. Dort ärgert man sich über sehr vieles, zu Recht auch darüber, dass der Bund den Ländern schon wieder Kosten verursacht, ohne die Länder zu fragen. Die Rathausjuristen haben noch eine weitere besondere Feinheit des Gesetzesentwurfs entdeckt: Es sind nämlich auch Personen geschützt, die in einem Naheverhältnis – was auch immer das sein mag – zu einer Person mit einem geschützten Merkmal (also schwul usw.) stehen. „Diesbezüglich erscheint es fraglich, ob es sachlich gerechtfertigt ist, dass für eine Diskriminierung beispielsweise 30mal Schadenersatz zu zahlen ist.“

Weniger exzellent ist die Stellungnahme des Rechtsanwaltskammertages: Dieser stößt sich einzig an der Tatsache, dass in dem ansonsten penibel doppelgeschlechtlich durchformulierten – und dementsprechend schwer verständlichen – Gesetzestext zweimal nur das Wort „Anwältin“ steht.

Und auch die niederösterreichische Landesregierung hat einen Superjuristen eingesetzt, der lediglich tadelnswert fand, dass das Gesetz von der Möglichkeit einer „Verwarnung“ spricht, die im Gegensatz zu „Ermahnungen“ dem Verwaltungsrecht bisher fremd gewesen sind.

Wenn das nur die größten Probleme an diesem Machwerk wären . . .

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Wäre nicht eine Zinsanhebung fällig?

09. Dezember 2010 00:30 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins wieder einmal auf dem Rekordtief von 1,0 Prozent belassen. Sie ließ sogar durchsickern, dass bis Ende 2011 nicht an der Zinsschraube gedreht wird.

Das hat erstaunlicherweise keine Diskussionen ausgelöst. Obwohl schon die lange Frist der Prophezeiung seltsam ist. Hatten doch viele finanzpolitische Prophezeiungen in den letzten zwölf Monaten nur eine Halbwertszeit von wenigen Tagen.

Darüber hinaus sollten zumindest Finanzexperten auch heftig über die Höhe – besser: die Tiefe – der heutigen Zinsen diskutieren. Außer sie glauben keiner der Prognosen. Denn derzeit werden die Wachstumsprognosen für den Euroraum ständig erhöht, zuletzt auf 1,5 bis 1,7 Prozent für die nächsten beiden Jahre. Ähnlich positive Nachrichten kommen nun sogar aus den USA. Ebenso nehmen die Inflationsraten langsam zu; sie werden für die nächsten beiden Jahre auf 1,5 bis 1,6 Prozent geschätzt. Überdies legen die Börsekurse kontinuierlich, wenn auch bisweilen mit heftigen volatilen Zacken zu. Die Situation ist also eine ganz andere denn im Winter 2008/09, als alle Kurven steil nach unten stürzten. Als die EZB die Zinssätze auf das niedrigste Niveau ihrer Geschichte senkte.

Eine Normalisierung der Zinssätze sollte auch deshalb ernsthafter diskutiert werden, weil die Rohstoffpreise und insbesondere jener des Golds signalisieren, dass schon sehr viel Geld nach Landeplätzen sucht.

Der Diskussionsbedarf besteht vor allem in Deutschland, den Niederlanden und Österreich. Denn diese drei Länder haben deutlich bessere Wachstums-, aber auch höhere Inflationserwartungen als das restliche Euroland. In Deutschland ermutigt die Regierung die Gewerkschaft sogar zu höheren Lohnforderungen; was noch nie da war, geschweige denn bei einer schwarz-gelben Regierung. Und in Österreich boomt der Arbeitsmarkt (zumindest wenn man die versteckte Arbeitslosigkeit in Form des besonders niedrigen Pensionsantrittsalters und der langen Studiendauer außer Acht lässt).

Stünden diese drei Länder wieder alleine, dann würden ihre Notenbanken den Zinsen heute mit Sicherheit das eine oder andere Viertelprozent hinzufügen. Denn falls die Finanzverantwortlichen etwas aus der Krise gelernt haben, dann sollte es zweifellos das Wissen sein, dass die zu spät erfolgte Zinsanhebung nach der Dot.com-Krise 2001/02 die Mutter der jüngsten Weltwirtschaftskrise war. Zu viel im Markt herumschwappendes Geld führt zu Blasen, die dann platzen und die ganze Wirtschaft vergiften. Auch wenn der Verbraucherpreisindex vorher nur eine geringe Inflation gezeigt hat.

Doch die Drei leben in Gemeinschaft mit Fußmaroden, mit schrumpfenden Wirtschaften, mit Ländern, die nur dank hunderter Hilfsmilliarden der Zahlungsunfähigkeit entgehen. Für diese wäre jede Zinserhöhung fatal.

Da scheint guter Rat teuer. Zumindest solange die Erfolgsländer an der gemeinsamen Währung mit Griechenland, Portugal & Co festhalten.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“. 

 

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Raus aus dem Euro. Und das sofort!

08. Dezember 2010 10:47 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

Laut der englischen Onlineplattform „The Telegraph“gibt Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger und einstiger Chefvolkswirt der Weltbank, dem Euro kaum eine Überlebenschance, seine Zukunft sei „düster“ (bleak). Er reiht sich damit in den Chor praktisch aller namhaften Nationalökonomen ein, die seit einigen Monaten und in letzter Zeit immer lauter die Beendigung des unheiligen Experiments einer Europäischen Währungsunion fordern.

Sie alle sehen zusammen mit Stiglitz in den Sparprogrammen, die den PIIGS-Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien) und selbst Ländern wie Österreich aufgezwungen worden sind, eine verordnete Depression, die das europäische BIP mindert und in keinem Land zu einer Vermeidung von Defiziten oder von zusätzlichen Schulden führt. Verschärft werden die Folgen der Europa überrollenden Sparwellen noch durch die Forderung nach Insolvenzverfahren für ganze Staaten und Beteiligung der Gläubiger an den für die Sanierung erforderlichen „hair cuts“.

Die dadurch bewirkte Abschreckung der Investoren treibt die Zinsen in für PIIGS unbezahlbare Höhen und beschleunigt den Niedergang. Politische Unruhen und Streiks tun ein Übriges, um das mit dem Euro errichtete Kartenhaus zum Einsturz zu bringen. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann und wie es einstürzt.

Gäbe es in Österreich eine verantwortungsvolle Regierung und Opposition sowie einen verantwortungsvollen Nationalbank-Gouverneur, sie würden sich eher heute als morgen für einen geordneten Rückzug aus der Europäischen Währungsunion aussprechen und vorbereiten. Die Mantras, die heruntergebetet werden, um diesen Rückzug aufzuschieben oder zu verhindern, ziehen nicht mehr: Weder gefährdet die Umstellung auf die eigene Währung den Export, noch erlöschen damit die Forderungen unserer Banken gegenüber anderen EU-Ländern, geschweige denn entstehen beim Import Nachteile.

Was wir gewinnen ist ein Stück Souveränität über die Währungs-, Kredit- und Wirtschaftspolitik, durch welche wir der Gefahr vorbeugen können, in eine europäische Transfer- und Haftungsgemeinschaft einbezogen zu werden, welche unsere Wirtschaftskraft schmälert und absaugt. Hans Werner Sinn, Deutschlands führender Wirtschaftsforscher, warnte Ende November Deutschland – und diese Warnung gilt genauso für Österreich – vor weiterem „Blutverlust“ und vor weiteren gigantischen Kapitalabflüssen, die bereits in den letzten Jahren das Land außerordentlich geschwächt haben. Im Langfristvergleich weist Deutschland seit Einführung des Euro schlechtere Daten (Wachstumsrate, Reallöhne, Aktienindex) als Schweden, Dänemark oder gar die Schweiz aus.

Christian Ortner formuliert es in der „Presse“ höchst drastisch: Ländern, die über ihre Verhältnisse gelebt haben, sein eigenes Geld nachzuwerfen, heißt sich zum Narren Europas zu machen. “Auf dem Boden der Europäischen Union droht die größte Enteignungskampagne seit der kommunistischen Machtergreifung im Osten 1945“. 

Eine verantwortungsvolle Regierung entzieht sich ihr. Und das sofort! Die Entscheidung mit Ponzi-Rettungsschirmen vor sich herzuschieben ist verantwortunglos. Der dann sichere Crash bringt Chaos und wird Blut kosten. Echtes!

Univ.-Dozent Dr. Friedrich Romig lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen.

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Die kleine Chuzpe einer langen Geheimdepesche

06. Dezember 2010 12:06 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es war einmal ein kleiner österreichischer Chefredakteur, in dessen Büro eine ganz hochrangige amerikanische Botschaftsdelegation einmarschierte. Sie war durchaus höflich und freundlich – tat aber genau das, worüber sie später bittere Beschwerde-Depeschen verfasste (die jetzt an die Öffentlichkeit gelangten), wenn Österreich dasselbe macht: Es ging bei diesem Besuch nämlich um diplomatisches Engagement für handfeste Wirtschaftsinteressen.

Der Anlass war der Versuch, Österreich zum Kauf von amerikanischen F-16-Flugzeugen zu veranlassen. Dabei kann man den Amerikanern durchaus zubilligen, dass ihre Flugzeuge weit billiger als die Eurofighter gewesen wären. Allerdings waren sie gebrauchte und generalüberholte Maschinen, hatten daher eine deutlich kürzere Lebenserwartung als die Eurofighter.

Dass die amerikanischen Maschinen auch technisch nicht so viel konnten wie die europäische Konkurrenz, ist inzwischen freilich irrelevant. Hat doch der unheilvolle Norbert Darabos bei der teuren Neuverhandlung des Kaufvertrages sich hinten und vorne über den Tisch ziehen lassen – und daraufhin viel schlechtere Flugzeuge bekommen, die am besten mit dem Adjektiv „kastriert“ zu qualifizieren sind.

Daher ist es aber jedenfalls eine Chuzpe, wenn sich die Amerikaner in der vor wenigen Stunden über Wikileaks veröffentlichten Depesche aus dem August 2009 über diesen Aspekt der Wiener Politik beklagen. Lateiner würden sagen: Quod licet Iovi . . .

Dennoch ist das Dokument überaus aufschlussreich und ein präzises Porträt der gegenwärtigen politischen Akteure in Wien. Es deckt sich weitestgehend mit dem, was die (recht wenigen) unabhängigen Journalisten über Faymann&Co geschrieben haben. Aber als Bericht einer großen Botschaft, die auch mit nicht ganz offiziellen Informationsmethoden arbeitet, bekommt das Urteil doch zusätzliches  Gewicht. Daher nun die wichtigsten Passagen in (eigener) Übersetzung:

„Aus vielen Gründen hat die gegenwärtige österreichische Regierung seit ihrer Bildung im Dezember 2008 die Außenpolitik weitestgehend ignoriert. Einige der Gründe – Wirtschaftskrise, Budgetkürzungen, Desinteresse der Minister – sind für die neue Regierung spezifisch. Andere Gründe haben hingegen viel tiefere Wurzeln – das Fehlen langfristiger Ziele und ein populärer Isolationismus.“

„Weder Kanzler Faymann (SPÖ) noch Außenminister Spindelegger (ÖVP) hatten eine signifikante außenpolitische Erfahrung. Seither ist auch klar geworden, dass Faymann kein persönliches Interesse für internationale Angelegenheiten hat – wir hörten dies von xxxxxx (Anmerkung: Während das Dokument sonst viele Informanten mit Namen nennt, gibt es offenbar eine besonders schützenswerte Quelle in der heimischen Politikszene, deren Name entweder von Wikileaks oder von den Autoren dieser – scheinbar – internen Depesche geheimgehalten wird) und von höheren Mitarbeitern in der Präsidentschaftskanzlei und im Außenministerium. Bei Außenminister Spindelegger, dem weithin gute Absichten zugebilligt werden, gilt als unsicher, in welche Richtung er das Ministerium führen möchte.“

„Der dritte potenzielle außenpolitische Mitspieler auf Ministerebene, Verteidigungsminister Darabos, gilt ebenfalls als uninteressiert in Fragen der Außenpolitik und internationalen Sicherheit; er zeigt sich offen feindlich zur Entsendung österreichischer Truppen in gefährliche Missionen (wie etwa nach Afghanistan). Wenn andere Ministerien, beispielsweise das Innen- und das Justizressort, um Unterstützung für internationale Programme gebeten worden sind (wie polizeiliches und richterliches Training in Afghanistan), haben diese die Idee sofort abgelehnt, und zwar wegen Budgetknappheit, der Zunahme von innerösterreichischen Aufgaben und der damit verbundenen Gefahr.“

„Wenn man das Führungsproblem zusammenfasst, dann hat die politische Führung wegen der Wirtschaftskrise wenig Zeit gehabt, sich der Außenpolitik zu widmen, außer diese hat direkte innenpolitische Bedeutung (wie die Aufrechterhaltung des österreichischen Banns gegen genveränderte Landwirtschaft oder EU-Fragen wie die vorgeschlagene gemeinsame Asylpolitik).“

„Die Österreicher möchten aber auch dann in Sachen Außenpolitik ambivalent bleiben, wenn die genannten Probleme gelöst sind. Seit dem Ende des Kalten Krieges 1990/91 und seit dem EU-Beitritt 1995 habe Österreich laut Politologen wie Erich Froeschl vom SPÖ-Renner-Institut kein zentrales außenpolitisches Ziel mehr. Die Bevölkerung spürt keine Bedrohungen von außen, und der internationale Status ist sicher. In Auseinandersetzung mit politischen Initiativen aus Brüssel, die den Eindruck erwecken, lokale Interessen zu verletzen (wie beim Gen-Verbot) und der verspürten kulturellen Bedrohung und Kriminalitäts-Steigerung durch die Zuwanderung aus anderen EU-Ländern und der Türkei, sei Österreich seit 1995 isolationistischer geworden. Diese Analyse wird durch den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien bestätigt. Österreichs größte und einflussreichste Zeitung, die Kronenzeitung (mit einer täglichen Leserschaft zwischen einem Drittel und der Hälfte der Bevölkerung), vertritt regelmäßig und polemisch isolationistische, Anti-EU- und antiamerikanische Positionen. Sie hat sich jedoch zu Präsident Obama gemäßigt und positiv gezeigt.“

„Die Entwicklung des Neutralitäts-Verständnisses der Österreicher hat die isolationistischen Gefühle verstärkt. Die Neutralität war dem Land 1955 als Bedingung für die Wiedererlangung der Souveränität auferlegt worden; in den 60er Jahren begann man, sie als Tugend zu sehen, die Österreich ermöglichte, Dinge zu tun, die Mitglieder der Nato oder des Warschauer Paktes nicht konnten. Dazu gehört ein netter Vorteil als Gastgeber vieler internationaler Organisationen oder eine Vermittlungsrolle in Nahost. Am Ende des Kalten Krieges versuchten die Konservativen, einen Nato-Beitritt zu betreiben, aber sie konnten nicht die Anhänglichkeit der Öffentlichkeit an die „immerwährende Neutralität“ überwinden. Und seither ist jede Infragestellung der Neutralität beinahe ein Tabu. Dennoch hat sich deren Konzept weiterentwickelt, und sie wird nun von Gegnern jedes auswärtigen Engagements benutzt. Sobald die Neutralität angerufen wird, ist jede weitere Debatte fast unmöglich.“

Vieles andere in der Depesche berührt zum Teil schon überholte Fragen; dort findet sich dann im Gegensatz zur generellen Kritik aber auch manches Lob für Österreichs Kooperation bei kleineren diplomatischen Initiativen.

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Der Hilfeschrei ins Ausland

02. Dezember 2010 17:51 | Autor: Herbert Kaspar
Rubrik: Gastkommentar

Der Gratiszeitung „Heute“ war am Montag, 29. 11., eine interessante Schlagzeile zu entnehmen: „Hilfeschrei der Retter, EU soll Pröll einbremsen.“

Konkret geht es darum, dass eine Reihe von besorgten Hilfsorganisationen einen Brief an EU-Ratspräsident Van Rompuy wegen der Kürzung der Entwicklungshilfe geschrieben hat. „Österreich dürfe nicht zum Negativ-Beispiel der EU werden, schrieben Caritas-Präsident Küberl, Rot-Kreuz-Auslandshilfe-Präsident Max Santner und Hilfswerk-Geschäftsführerin Heidi Burkhart an EU-Ratspräsident Van Rompuy“. Soweit „Heute“. 

Dieser ganz schlechte Stil hat in Österreich Tradition. Schon 1986 versuchte die SPÖ, über das Ausland die Wahl Kurt Waldheims zu verhindern. Im Jahr 2000 waren es dann die deutlichen „Hilferufe und Signale“ aus Österreich, die die ungeheuerlichen „Sanktionen“ von 14 EU-Staaten gegen das 15. Mitglied auslösten.

2002 gab es einen ähnlichen Versuch. Als Wissenschaftsministerin Gehrer damals mit einem neuen Universitätsgesetz ernst machte, gab es eine konzertierte E-Mail Aktion österreichischer, politisch meist links-grün angesiedelter Professoren an ausländische Universitäten, mit der Bitte, vom Ausland her gegen die Beschneidung der Professorenrechte zu intervenieren. Eine Aktion allerdings, die zum Unterschied der beiden vorangegangenen kaum auf Widerhall gestoßen ist, wie auch zu erwarten ist, dass die gegenwärtige Aktion ungehört versanden wird.

Aber bedenklich stimmt so ein Stil doch. Eine derartige Aktion wäre etwa in Deutschland, Frankreich oder England undenkbar, denn dort gilt noch immer das ungeschriebene Gesetz: „right or wrong, my country!“.

Herbert Kaspar ist Herausgeber der "Academia" und hat lange Erfahrungen im Bereich von Wirtschaft und Management.

 

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Pyramidenspiel

02. Dezember 2010 00:56 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

 „Wer hat noch nicht, wer will noch mal“ -
man drängt darauf dramatisch,
und dran ist diesmal Portugal,
denn nur wer nimmt, ist sozial
und wahrhaft demokratisch.

„Wer will noch mal, wer hat noch nicht“ -
in diesen bangen Tagen
gilt unbedingte Nehme-Pflicht
für jeden klammen Euro-Wicht,
und mag er noch so zagen.

Mit „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“
gehn folglich Selbstbemüher
am Ende ganz von selbst bankrott -
Europa ist ja, sapperlot,
kein Christen-Klub wie früher!

Drum kann auch weiter ungestört
man aus dem Vollen schöpfen
und schöpft, wie’s eben sich gehört
nach dem Rezept, auf das man schwört,
getrost aus fremden Töpfen.

Man setzt sie fort, die Wunderkur
zur Wahrung einer Währung,
denn Kernstück dieser Leitkultur
ist Glaube an die Quadratur
der freien Wertvermehrung.

Wer mithilft bei dem Ausverkauf,
den preist man als Gerechten,
doch regt sich einer drüber auf,
so nimmt die Feme ihren Lauf
und wirft ihn zu den Schlechten!

Nur leider wird der Kleine Mann
erst dann das Spiel durchschauen,
wenn um Papier mit Nullen dran
er praktisch nix mehr kaufen kann -
mißbraucht war sein Vertrauen.

Und während ihn die Wut verzehrt,
weil seine Träume enden,
sind manche andre wohlgenährt
am Ziel, denn alles was von Wert,
ist nun in ihren Händen!

(Nach der Beglückung Irlands muß nun auch Portugal seinem Glück zustimmen. Und wer kommt dann dran?)

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Vorsicht, Ansteckungsgefahr!

02. Dezember 2010 00:17 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Das Spannendste an der Irland-Krise findet nicht in Dublin statt, sondern in Berlin. Dass die Iren eine Regierung empört hinwegfegen, die ein Desaster ausgelöst hat, gehört hingegen zu den Normalitäten einer Demokratie. Auch wenn Irland nur wenige Fehler gemacht hat.

Der eine war das ungebremste Wachstum der Banken – zum Teil Folge zu niedriger EZB-Zinsen; der viel größere die Staatshaftung für alle maroden Banken. Dadurch verlor Irland seine Kreditwürdigkeit – auch wenn irgendwann einmal so manche faulen Kredite seiner Banken wieder „fleißig“ werden dürften.

Damit wurde der Erfolg des irischen Modells weitgehend vernichtet. Die Iren hatten durch niedrige Steuern viele Investoren ins Land holen können und trotzdem eine geringe Staatsverschuldung. Ähnlich versuchen übrigens auch viele der neuen EU-Mitglieder im Osten Europas zu agieren. Das ist da wie dort vernünftig. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass es in jedem System immer wieder Krisen geben wird. Irland hat sein Rekorddefizit von über 30 Prozent (die freilich erschreckend genug sind) nur ein einziges Mal in der Bilanz; die Disziplinlosigkeit der Griechen und Portugiesen erzeugt hingegen ständig strukturelle Defizite.

Das alles löst in Berlin logischerweise Panik aus. Denn nach Griechenland und Irland wird Portugal eine zig-Milliarden-Spritze brauchen. Auch das wäre noch erträglich. Sollten sich aber überdies die Gewitterwolken über Italien und Spanien mit ihren wackeligen Regierungen entladen, dann wird die Situation explosiv. Für Deutschland, die Niederlande – und das in seine Nabelbeschau versunkene Österreich.

Vor allem in Italien droht eine längere Krise: Silvio Berlusconi hatte zwar die früher üblichen Defizite durch seine – von einer feindlichen Medienlandschaft nie gewürdigte – Reformpolitik drücken können; er hat sich aber durch skandalöse private Eskapaden seinen politischen Gegnern selbst ans Messer geliefert – ohne dass diese aber bessere ökonomische Rezepte oder einen politischen Konsens hätten.

An den absoluten GAU wollen wir gar nicht denken, dass danach die hässlichen Finanz-Zahlen Belgiens (das ethnisch gespaltene Land hat seit sechs Monaten keine Regierung), Ungarns und Frankreichs(!) auch deren Kreditwürdigkeit demolieren.

In dieser Stunde beginnt nun die deutsche Regierung immer stärker an ein Prinzip zu denken, das sie schon im Frühjahr hätte realisieren sollen: Wenn ein Staat zahlungsunfähig ist, dann sollte das ein Problem seiner Gläubiger sein. Und nicht jener Staaten, die viel sparsamer gewirtschaftet haben. Berlin hat im Frühjahr jedoch unter großem Druck vor allem aus Paris dem 750 Milliarden schweren Hilfspaket für die griechischen Bankrotteure zugestimmt.

Seither hat sich für die noch relativ gesunden Länder die Gefahr signifikant erhöht, ebenfalls die griechisch-irische Krankheit zu bekommen.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“. 

 

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Pröll beteiligt uns am Ponzi-Schema der EU

01. Dezember 2010 12:48 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

Nun ist es amtlich. Josef Pröll hat uns am Ponzi-Schema der EU beteiligt. Ponzi hieß der Großbetrüger, der Schulden und Zinsen mit immer höheren Schulden bezahlte und so eine Spirale in Gang setzte, die zusammenbrach, als ihm niemand mehr Geld leihen wollte. Die treuherzigen Gläubiger sahen durch die Finger. Jetzt sind es wir.

Die EU hat das Ponzi-Schema für sich entdeckt und raffiniert zum größten Betrugssystem ausgebaut, dass die Welt je sah. Juncker und seine Freunde stellen Ponzi und Madoff gleich 1000-mal in den Schatten. Und so funktioniert es:

Pleitestaat wie Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Italien garantieren zusammen mit Deutschland, Österreich den Niederlanden und Luxemburg die Garantien(!) des Europäischen Finanzstabilisierungsfonds (EFSF) gegenüber Banken, die Staatsanleihen der garantierenden Pleitestaaten kaufen, diese bei der Europäischen Zentralbank (EZB) als Sicherheit für „frisches Geld“ hinterlegen, mit denen sie wieder Staatsanleihen von Pleitestaaten kaufen, die vom ESFS garantiert werden, der sich auf die Garantie der Pleitestaaten und der übrigen EWU-Mitglieder stützt.

Verstanden? Und das geht ewig so weiter. Gerade noch sprach man von 850 Milliarden Euro, jetzt schon vom doppelten Betrag. Weitere Aufstockungen sind nicht ausgeschlossen. Wenn die Pleitestaaten ihre Schulden und Anleihezinsen nicht zahlen können, müssen Österreich, Deutschland, Niederlande, Luxemburg als Bürgen einspringen, und wenn auch die pleite sind, bleiben die Schrottpapiere in den Tresoren der EZB hängen.

Doch das macht nichts, die EZB wird ihre Gelddruckmaschinen auf noch höhere Touren bringen: Axel Weber, heute noch Bundesbankpräsident mit Nachfolgeambitionen für Claude Trichet, den EZB-Chef, verspricht bereits Fiat-Money ohne Grenzen. Wer kann wird flüchten.

Die bleiben, verarmen. Ihnen frisst die Inflation ihre Löhne, Ersparnisse, und Pensionsansprüche auf. Das Gesundheitssystem gerät aus den Fugen, die Altenbetreuung verschlechtert. Die Steuern werden erhöht, Vermögen belastet, Besitz enteignet, der Mittelstand kommt unter die Räder. Sparbudgets kürzen die Familienbeihilfen, Studenten werden zur Kassa gebeten. Die Arbeitslosigkeit nimmt zu, besonders unter Jugendlichen. No-Future wird zum traurigen Schicksal. Kriminalität und Drogenkonsum verzeichnen zusammen mit der Kreditausweitung noch hohe Wachstumsraten.

Pröll hat ein Budget vorgelegt, das, so seine Worte, „Österreich aus der Schuldenfalle herausführt“. Am Tag davor hat er in Brüssel die Schuldenfalle zuschnappen lassen, die Österreich auf Jahrzehnte in den Schuldturm einsperren wird.

Univ.-Dozent Dr. Friedrich Romig lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen.

 

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Bail out Irlands per Telefon!

27. November 2010 19:24 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

Sollte Josef Pröll in einer Telefonkonferenz dem Bail out Irlands zustimmen, begeht er Verfassungsbruch. Am Telefon lassen sich hochkomplizierte Wirtschaftspläne nicht prüfen. Ohne Prüfung zu handeln ist fahrlässig. Man verlässt sich nicht auf Fremde, wenn´s ums eigene Geld geht.

Der Lissabon-Vertrag steht im Verfassungsrang. Er verbietet das Bail out eines Mitgliedsstaates durch die EU. Die EZB darf weder direkt noch indirekt Staatsschulden oder Staatsdefizite finanzieren, der Ankauf von Staatsanleihen ist ihr untersagt, die Belehnung von Staatspapieren falliter Staaten verboten. Keine Bank kauft noch solche Papiere.

Die EFSF (European Financial Stability Facility),als Haftungs- und Kreditnehmer, schließt im Juni 2013 ihre Pforten. Der IWF wird nach drei Jahren seine Forderungen auf die EU abwälzen, denn er kann statutenmäßig ja auch keine Dauerfinanzierung von Staatsschulden vornehmen. Irland wird bis 2013 seine Schulden nicht selbst finanzieren können, also werden die Garantien fällig und Österreich muss zahlen oder neue Garantien abgeben.

Um das zu vermeiden wird wohl die EZB im Falle Irlands der „Lender of last Resort“, die Staatspapiere bleiben bei ihr hängen, sie muss dafür frisches Geld (Fiat Money) in den Geldumlauf pumpen. Das schwächt den EURO und uns Österreicher.

Außerdem: Kein Mitgliedsstaat ist verpflichtet, für Schulden eines anderen Mitgliedes direkt oder indirekt zu haften. Jeder weiß, dass Staatsschulden nie zurückgezahlt werden, sondern stetig steigen. Wer für Pleitiers bürgt, ist irre, hieß es im „Tagebuch“. Österreich hat genug zu tun, um seine eigenen Defizite zu finanzieren.

Professor Sinn vom Münchner Ifo hat ganz recht, wenn er die heimischen Banken auffordert, das Geld nicht ins Ausland zu transferieren, sondern in inländische Häuslbauer und den Mittelstand zu investieren. Jeder Transfer von Kapital ins Ausland schwächt die inländische Wirtschaft. Unsere Großbanken haben ja inzwischen horrende Beträge im Ausland verloren, sie sind inzwischen klüger und vorsichtiger geworden.

Sabotieren Sie also nicht die österreichische Wirtschaft noch weiter, Herr Pröll! Lehnen Sie den Bail out-Plan für Irland als vollkommen unrealistisch ab und überlassen Sie es den Irländern (wie auch den Portugiesen, Spaniern, Italienern und Franzosen) mit ihren Problemen selber fertig zu werden, auch wenn sie dazu aus der EWU ausscheiden müssen. Sie ist ohnehin nicht zu halten. Der Fall Griechenland sollte Ihnen das gezeigt haben. Auch Griechenland wird Österreich nicht bis 2013 aus der Haftung entlassen. Wiederholen Sie also nicht denselben Fehler!

Apropos Griechenland: Das Pleiteland Griechenland wird genauso wie Portugal, Spanien und Italien jetzt für Irland garantieren (mit 2.82 Prozent), Irland für Griechenland und die anderen Pleitekandidaten (1.59 Prozent EFSF-Quote). Wenn ein Pleitier für den anderen bürgt, nennt man das Wechselreiterei, also Betrug. Darauf läuft das von Herrn Juncker und Konsorten ausgeklügte Finanzzierungssystem hinaus. Eine feine Sache, bei der Herr Pröll wohl mitzumachen gedenkt.

Univ.-Dozent Dr. Friedrich Romig lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Er war Mitglied der Europakommission der Österreichischen Bischofskonferenz.

 

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SN-Kontroverse: Irland-Krise

26. November 2010 00:21 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Unter dem Titel “Kontroverse” gibt es in jeder Freitag-Ausgabe der Salzburger Nachrichten eine Doppelkolumne, in der Katharina Krawagna-Pfeifer und ich jeweils zum gleichen, von der SN-Redaktion vorgegebenen Thema schreiben. Und zwar ohne dass man gegenseitig die Texte vorher kennt.

Diese Woche steht die “Kontroverse” unter dem Titel:

Ist die Krise in Irland eine Folge der neoliberalen Politik?

 In der Folge finden Sie die beiden – unverändert wiedergegebenen – Kolumnen. Dadurch soll dieser kreativen und spannenden Idee auch hier ein Forum gegeben werden.

Stoppt die Zocker!

Katharina Krawagna-Pfeifer war Innenpolitikerin der SN, Innenpolitikchefin sowie Leiterin des EU-Büros des “Standard” und SPÖ-Kommunikationschefin. Sie arbeitet jetzt als Publizistin und Kommunikationsstrategin (kkp.co.at).

Der Zockerkapitalismus bedroht Staaten und Kontinente. Die Zeche zahlen wie stets die „kleinen Leute". Ihnen werden die Sozialleistungen gekürzt, gespart wird bei den Ausgaben für Bildung sowie Gesundheit und Pensionskürzungen drohen. Dies alles, weil eine Hand-voll Banker den Hals nicht vollkriegen kann und fahrlässig agierende Regierungen keine vernünftigen Maßstäbe für wirtschaftliches Handeln setzen.

Jüngstes Beispiel ist Irland, wo die Krise durch einen ungehemmt agierenden Bankensektor ausgelöst wurde. Die Bankenkrise ist Folge eines halsbrecherischen Immobilienbooms. Dessen Ursprung liegt Jahre zurück. Seit der Einführung des Euro gilt in der EU ein einheitlicher Leitzins. Dieser orientierte sich zu Anfang des Jahrzehnts an der vergleichsweise niedrigen Inflationsrate in Kontinentaleuropa. Aus irischer Sicht war dieser Leitzins viel zu niedrig, denn auf der Insel war die Teuerung hoch. Ein niedriger Nominalzins und eine hohe Inflation führen jedoch zu einem extrem niedrigen Realzins. Die irische Regierung hätte darauf reagieren müssen - doch sie ignorierte alle Warnungen und heizte Konsum und Konjunktur durch immer neue Steuererleichterungen an. Das irische Steuerdumpingmodell wurde von den Neoliberalen als Wirtschaftswunder gefeiert. Man faselte vom „keltischen Tiger" und scheffelte enorme Gewinne. Irland wurde zum Spielcasino Europas.Vieles, was anderswo von Gesetz oder Bankenaufsicht verboten war, ging in Irland.

Ausländische Banken, vor allem britische und deutsche, gaben den irischen Kollegen Kredite in dreistelliger Milliardenhöhe. Und jetzt musste die EU wieder einen teuren Rettungsschirm aufspannen. So kann es nicht weiter gehen. Falls der Zockerkapitalismus ungezügelt bleibt, sind bald alle Rettungsschirme der Welt vergeblich. 


Zwei Todsünden wider liberale Prinzipien

Andreas Unterberger

Neoliberal" ist das neue Schimpfwort vieler Linker - ohne dass sie auch nur ahnten, was es bedeutet. Das Wort „neoliberal" ist als Bezeichnung für die Schule der sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards entstanden, des Schöpfers des deutschen Wirtschaftswunders. Das ist die erfolgreichste Wirtschaftspolitik der Geschichte.
Auch Europas einstiges Armenhaus Irland hat durch liberale Politik eine unglaubliche Erfolgsgeschichte hinter sich. Durch niedrige Steuern boomte das Land und hatte dennoch bis 2007 nur halb so viel Schulden wie Österreich. In der globalen Finanzkrise beging es aber einen schweren Fehler: Der Staat übernahm die Haftung für die ins Schleudern gekommenen irischen Banken.

Solche Staatsinterventionen sind das genaue Gegenteil dessen, was jeder Neo-, Alt- und sonstige Liberale empfiehlt. Wenn ein Unternehmen in eine Krise gerät, dann gibt es in der liberalen Marktwirtschaft nur zwei Konsequenzen: Entweder es findet einen Käufer oder geht in die Insolvenz - mit allen schmerzhaften Folgen für die Gläubiger, etwa die internationalen Banken. Höchstens der Konten der kleinen Sparer dürfte sich eine liberale Politik annehmen.
Die zweite Todsünde gegen das liberale Grundprinzip der Eigenverantwortung beging Angela Merkel. Sie zwang die deutschen Steuerzahler, zuerst den Griechen und nun den Iren mit großen Summen zu helfen. Die Wiener Regierung torkelte hinterher, sie begriff nicht einmal, was da passiert.

Faszinierend ist, dass die deutsche Regierung plötzlich wieder zu den liberalen Prinzipien zurückkehren und die Gläubiger statt der Steuerzahler in die Pflicht nehmen will. Nach dem doppelten Sündenfall tut man sich aber furchtbar schwer, aus der sozialistischen Falle herauszukommen, dass die „Reichen" -  also die Sparsamen wie Deutschland, Österreich & Co. - für die Fehler der Leichtsinnigen zu zahlen haben.

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Der Unsinn der Irlandhilfe

23. November 2010 00:11 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Was bewirkt die europäische Hilfe für Irland? Wenig Gutes, viel Übles. Wer aber ist schuld daran, dass es so weit gekommen ist?

Was die Haftung der EU-Länder für Irland bewirkt, ist klar: Irland bekommt nun leichter Geld – also nicht nur zu unerschwinglich hohen Zinsen –, um die Hilfe für seine maroden Banken zu finanzieren. Im Gegenzug werden aber Deutschland, Österreich, die Niederlande und die Skandinavier – derzeit noch die Lokomotiven des europäischen Hilfszugs – zunehmend höhere Zinsen zahlen müssen.

Denn kein Geldgeber, kein Anleihezeichner wird übersehen, dass Deutschland & Co immer mehr Schulden und Haftungen auf sich laden. Schon seit einigen Monaten muss ja sogar Spitzenreiter Deutschland bei der Kreditaufnahme höhere Zinsen zahlen als solide Industriekonzerne. Das hat es in der Geschichte noch nie gegeben. Da hatte insbesondere Deutschland seit 1950 als unsinkbares Schiff gegolten.

Warum steht Irland so schlecht da? Eigentlich steht es lange nicht so schlecht da wie Griechenland. Es hatte bis vor zwei Jahren sogar nur eine halb so hohe Staatsverschuldung wie etwa Österreich und eine blühende Wirtschaft mit schönen Wachstumsraten. Und es wird auch nach der Übernahme der Bankschulden eine Schuldenquote haben, die jener Belgiens oder Italiens gleicht, also von Staaten die durchaus noch Kredite bekommen. Die Iren haben nur das Problem, dass bei ihnen die Schuldenexplosion mit einem Schlag passiert ist, während die Schulden der anderen über Jahre akkumuliert worden sind.

Was schlimm genug ist. Aber Irland hat im Vergleich zu fast allen anderen EU-Ländern einen strukturellen Vorteil: Es hat kein strukturelles Defizit, sondern es wird nach Übernahme der Bankschulden wieder relativ akzeptabel budgetieren. Es hat den Sozialstaat lange nicht so aufgebläht wie Griechenland, Italien oder Belgien. Es ist daher im Grunde viel sinnvoller, Irland zu helfen, als es bei den in den Tag hineinlebenden Griechen war.

Irland hat freilich zwei schwere Fehler gemacht: Es hat wie alle Länder zugeschaut, wie die Banken des Landes durch zu riskante Geschäfte eine in keiner Weise erträgliche Größe erreicht haben. Und es hat zweitens dann die Haftung für die krachenden Banken übernommen, als diese die Finanzkrise nicht überstehen konnten. Statt die Gläubiger der Banken bluten zu lassen – darunter auch viele Banken auf dem Kontinent.

Was wäre passiert, hätte Irland die Bankenschulden nicht übernommen? Nun, dann wären viele andere Banken ebenfalls in Schwierigkeiten gekommen. Das ist aber allemal weniger riskant, als wenn nun Schritt für Schritt alle europäischen Staaten finanziell destabilisiert werden.

Die Haftungsübernahme durch die anderen Europäer ist aber auch für die Iren deprimierend. Denn sie sind nun wie die Griechen in Sachen Geld auf einen halbkolonialen Status degradiert, in dem sie nur noch auf Befehl von außen handeln dürfen. Sie werden wohl von den anderen gezwungen werden, die niedrigen Steuern für Unternehmen zu erhöhen, die aber der Grundstein für den irischen Aufschwung in den letzten beiden Jahrzehnten waren. Die daher – im Gegensatz zur hiesigen Neidgenossenschaft, wie sie gerade wieder einmal der ÖGB-Präsident in der Pressestunde so ungeschminkt verkörpert hat, – auch beim Iren von der Straße sehr beliebt sind.

Wo aber sind die Fehler passiert, dass es soweit kommen konnte? Nun sie lassen sich alle darauf zurückführen, dass die europäischen Politiker trotz intensiver Warnungen immer wieder populistisch den Weg des geringsten Widerstandes gegangen sind, dass der Euro – bei aller wirtschaftlichen Bedeutung – primär ein politisches Projekt gewesen ist.

1.     Die seit Jahrzehnten laufenden teuren Transferleistungen an Länder wie Griechenland, Portugal, Spanien oder Irland (unter für die Bürger unverständlichen Tarnnamen wie „Kohäsion“) haben sich als fatal erwiesen. Diese Länder haben dadurch jede Selbstverantwortung verlernt. Gratisgeld von außen bringt ein Land nämlich nie in die Höhe – das sieht man ja auch bei der Entwicklungshilfe. Nur wer selber weiß, dass sich jetzt jeder Spaß aufhört, der lernt Verantwortungsbewusstsein und Selbstbeschränkung.

2.     Bei der Einführung  des Euro sind keine effizienten Sanktionen für Defizitsünder beschlossen worden. Jetzt im Nachhinein gibt es keine Chance auf einen Konsens über wirksame und vor allem automatische Straf-Maßnahmen ohne jedes Mehrheitserfordernis unter den Mitgliedsländern. Wie es etwa ein Ausschluss aus dem Euro gewesen wäre. Oder die automatische Kürzung aller staatlichen Ausgaben – Beamte, Pensionen, Subventionen – schon bei Überschreiten einer der drei Maastricht-Grenzen für Defizit, Schulden und Inflation.

3.     Stattdessen hat man Länder in den Euro genommen, die von Anfang an diese Grenzen verletzt haben.

4.     Immer klarer wird, dass weltweit die Rettung aller großen Banken (bis auf Lehman) ein schwerer Fehler war. Wenn man einmal das Prinzip aufgibt, wer pleite ist, muss in Insolvenz gehen, dann nimmt man jedes Risikobewusstsein aus dem Wirtschaftsleben. Und fördert so eine Eskalation des Risikos. Wenn sich Gläubiger nicht mehr anschauen müssen, wem sie Geld borgen, dann kann die strengste (und teuerste) Bankaufsicht nichts mehr helfen.

5.     Ein noch größerer Fehler war dann im Frühjahr die Rettung Griechenlands. Wenn man jenem Land hilft, das sogar nachgewiesenermaßen bei der Schuldenaufnahme kriminell gehandelt hat (durch Fälschung der Statistiken), dann kann man bei keinem anderen Land mehr Nein sagen.

6.     Die Iren jetzt zu zwingen, neben den notwendigen Sparmaßnahmen auch die Unternehmenssteuern zu erhöhen – wie es auch Österreich verlangt –, öffnet in den anderen EU-Ländern neue Türen für neue Begehrlichkeiten. Die Nutznießer der staatlichen Ausgaben und insbesondere die Gewerkschaften sowie ein Teil der europäischen Sozialdemokraten glauben ja immer noch, dass Sparen, dass eine Beschneidung des üppigen Wohlfahrtsstaates überflüssig ist und dass alle Probleme durch immer höhere Steuern gelöst werden können. Was aber in Wahrheit nur die Konkurrenzfähigkeit Europas verschlechtert, was schlecht für Investitionen, Arbeitsplätze und die Steuereinnahmen der Zukunft sind. Und was vor allem und einzig der asiatischen Konkurrenz hilft.

Dass man mit der Irland-Hilfe auch noch die EU-Verträge brutal bricht, die verbieten, einem verschuldeten Mitgliedsland zu helfen, – das ist seit Griechenland ja schon geradezu europäischer Brauch. Und macht es illusorisch, auf bessere Regeln zu hoffen. Die dann eh wieder gebrochen werden.

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Sind Werner Faymann und Josef Pröll Großbetrüger?

22. November 2010 14:02 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

Jetzt ist der dauerhafte Bruch des Lissabonvertrags beschlossene Sache: Mit ein paar Zeilen wird die Europäische Union real in einen Bundesstaat und eine Fiskal-, Haftungs- und Transfergemeinschaft umgewandelt.  Die spärlichen Reste an Souveränität, die Österreich noch hat, werden an die Union abgetreten. Österreich hört als Staat praktisch zu existieren auf, alle wesentlichen Kompetenzen sind auf die EU übertragen. Nur die Sozialnetze darf es noch zerreißen.

Und das alles geschieht „im verkürzten Verfahren“ nach Artikel 48 EUV  oder was immer. Ja kein Wirbel durch Referenden oder Volksvertretungen!

Artikel 125 AEUV (im Volksmund werden beide Verträge, EUV und AEUV, als „Lissabonvertrag“ bezeichnet)  schließt die Haftung eines Mitgliedsstaaten für die Verbindlichkeiten eines anderen Mitgliedsstaates ausdrücklich aus. Und auch die Union selbst darf laut Vertrag nicht Haftungen für ein Mitglied übernehmen. Jetzt haben Faymann und Pröll der Haftung für Irland zugestimmt und damit neuerlich eine prinzipielle Voraussetzung für die Währungsunion, eben diese No-Bail-out-Klausel,  unterlaufen.  Österreich haftet nun nicht mehr nur für seine eigenen Schulden, sondern auch noch für die Irlands und Griechenlands. Nur Verrückte übernehmen Bürgschaften für Pleitiers.

Rechtlich kaschiert wird dieser unerhörte Souveränitätsverlust  Österreichs durch eine Ergänzung des Naturkatastophen-Artikels (Artikel 122 AEUV). Der sieht Hilfen bei Naturkatastrophen oder bei der Unterbrechung der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern vor.  Jetzt wird der Artikel durch ein paar Zeilen ergänzt: „Finanzielle Hilfen können auch gewährt werden, wenn Gefahr für die Währungsunion besteht“. Das Tor wird aufgemacht für Mitgliedsstaaten, die auf Kosten Österreichs und anderer leben wollen! Wir müssen bluten. 

Und für diese einschneidenden Vertragsänderungen, die den Charakter der EU völlig verändern, will Faymann keine Volksabstimmung, die er vor der Wahl in einem Brief an die Kronen-Zeitung im Juni 2008 hoch und heilig versprochen hat. Ist das nicht Großbetrug am Wähler von  Werner Faymann unter Beihilfe von Josef Pröll?

„Es fließt ja kein Geld“, versucht Pröll im Morgen-Journal das Volk zu beruhigen. Doch Herr Pröll, es fließt! Die EZB erhöht die Geschwindigkeit ihrer Gelddruckmaschinen, und was das bedeutet, haben wir nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gesehen. Währungszusammenbruch, Umtausch, Inflation. Zimbabwe lässt grüßen, doch so schlimm wie dort wird’s wohl nicht werden (Anm.: in Zimbabwe gab es Inflationsraten von 10% pro Tag!). Der Gouverneur der Nationalbank, Ewald Novotny, hält  Narkotika zur Ruhigstellung der Bevölkerung bereit. Die nämlich revoltierte in Zimbabwe.

Univ.-Dozent Dr. Friedrich Romig lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Er war Mitglied der Europakommission der Österreichischen Bischofskonferenz.

 

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Die Hintertüren der EU

22. November 2010 00:25 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich die linken Gesellschaftsveränderer tarnen können. Wer würde hinter folgendem Satz in einer nun zur Abstimmung anstehenden Entschließung des Europaparlaments auch etwas Besonderes vermuten? Die Entschließung „betont die Notwendigkeit der gegenseitigen Anerkennung offizieller Dokumente der nationalen Verwaltungen“.

Das klingt herrlich harmlos, was da ein italienischer Exkommunist vorgelegt hat. Und es hat gute Chancen auf eine Mehrheit. Es bedeutet aber, dass – bei einer Realisierung – ganz Europa die volle Schwulenehe anerkennen müsste. Also auch jene Länder wie Österreich, die geglaubt haben, mit einer „Eingetragenen Partnerschaft“ ein Zwischending geschaffen zu haben, das etwas ganz anderes als eine Ehe sei (wie zumindest die ÖVP-Spitze ihren Wählern einreden wollte). Und es betrifft natürlich auch jene Länder, die davon gar nichts halten.

Das Spiel läuft dann so: Mann heiratet Mann etwa in Spanien, das unter seiner sozialistischen Regierung neben vielen Schulden auch die volle Schwulenehe eingeführt hat. Und das muss dann postwendend auch in Österreich voll anerkannt werden.

Damit würde sich die EU durch die Hintertür auch eine weitere Kompetenz aneignen, die sie laut den EU-Verträgen eigentlich nicht hat. Denn dann wäre es ziemlich gleichgültig, was jedes Land in Sachen Personenstand regelt. Man geht mit seinen Wünschen halt immer in jenes Land, das diesen am weitesten entgegenkommt. Und diese Wünsche müssen dann überall erfüllt werden.

Dass dahinter auch wieder einmal die schon europaweit sattsam bekannte Viviane Reding aus Luxemburg steckt, die nun ihre Strategien übers Parlament spielt, ist eine zusätzliche Pointe. Dass sie eigentlich theoretisch eine Christdemokratin ist, eine weitere. Obwohl an ihrer Politik weder Christliches noch Demokratisches zu sehen ist.

Noch teurer als die schwulen Wünsche der Frau Reding ist eine weitere Passage der gleichen Entschließung:  Sie fordert „weitere Anstrengungen zur Beseitigung von Hemmnissen für Bürger bei der Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit, insbesondere im Hinblick auf ihre Ansprüche auf Sozialleistungen  und ihr Wahlrecht bei Gemeindewahlen.“

Damit würden die Versuche der österreichischen Regierung sofort wieder unterlaufen, dem drohenden Ausgleichszulagen-Shopping einen Riegel vorzuschieben. Das besteht darin, dass Osteuropäer mit einer niedrigen Pension diese durch Übersiedlung nach Österreich auf die fette Ausgleichszulage aufbessern. Also vervielfachen.

Und dann müssen wir wieder viel Steuergeld für Kampagnen ausgeben, die das Image der EU verbessern sollen . . .

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Der neue Faschismus

18. November 2010 01:18 | Autor: Philipp Starl
Rubrik: Gastkommentar

Anlässlich des Terrorismuspräventionsgesetzes, das zwar auf die lange Bank geschoben worden ist, aber noch immer als Regierungsvorlage existiert, sollte man sich Gedanken darüber machen, inwieweit die Freiheit in unserem Staate tatsächlich eingeschränkt ist.
Allzu schnell ist von Faschismus die Rede, besonders von der linken Reichshälfte, doch lässt sich dieser Pauschalvorwurf mit harten Fakten unterlegen? Will man diese Frage beantworten, muss man sich ansehen, wie denn Faschismus definiert ist, wodurch er sich auszeichnet.
Der Begriff wurde von Mussolinis Bewegung Fasci di combattimento geprägt, die 1919 gegründet wurde und leitet sich etymologisch von dem lateinischen Wort fasces, für Rutenbündel, ab. Die fasces waren das Machtsymbol der römischen Kaiser, Konsuln und Könige und waren mit einem Beil bestückt. Mussolini wählte den Namen für seine Gruppierung wohl mit Bedacht, denn die römischen Herrscher zeichneten sich durchwegs durch einen rigiden und harten Regierungsstil aus.
Von Mussolini wurde dieser Begriff und dieser Stil jedoch auf die Spitze getrieben und so zeichnen den Faschismus in seiner Prägung folgende Elemente aus: Diktatur, Repression, Ausschalten politischer Gegner und eine staatstragende Ideologie.
Beginnt man mit den diktatorischen Elementen, so muss man in Österreich nicht lange suchen. Eine Diktatur zeichnet sich durch eine nicht vom Volk gewählte Legislative aus, ihr Gegenteil ist die Demokratie. Doch was sind die Grenzen zwischen Demokratie und Diktatur? Ist ein vom Volk gewählter Führer mit alleiniger Gesetzgebungskompetenz schon demokratisch? Ist umgekehrt nicht schon eine begrenzte Anzahl von Parteien eine Diktatur, besser gesagt, eine Aristokratie? Diese Frage zu erörtern würde den Rahmen dieses Beitrags bei Weitem sprengen, weshalb man sich klareren Fakten zuwenden sollte.
Von der Europäischen Union geht inzwischen ein sehr großer Teil der Gesetzgebung aus, ob nun direkt durch Verordnungen oder indirekt durch Richtlinien. Die Schätzungen belaufen sich hierbei von 30% der neuen Gesetze bis zu 80%. Zählt man die Gesetze hinzu, die auf Gespräche der Regierung mit europäischen Nationen im Rahmen der Treffen der Europäischen Union zurückgehen, kommt man mit Sicherheit auf über die Hälfte der neuen Gesetze.
Nun ist die Europäische Union allerdings alles andere als eine Demokratie. Nicht nur, dass das Parlament von Völkern gewählt wird, deren Interesse an diesen Wahlen sich regelmäßig durch sehr niedrige Wahlbeteiligungen auszeichnet, das Europäische Parlament hat bei Verordnungen auch nur ein Änderungs- bzw. ein Einspruchsrecht. Eine Verordnung initiieren kann ausschließlich die Europäische Kommission, die überhaupt keinen Berührungspunkt mit demokratischen Elementen aufweist. Denn sie wird von Regierungen zusammengesetzt, welche wiederum auf keine demokratische Wahl zurückgehen, denn in Österreich zum Beispiel wird die Regierung vom Präsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers ernannt. Realpolitisch haben österreichische Regierungsmitglieder niemals zu befürchten, sich einer Wahl stellen zu müssen.
Die EU-Gesetzgebung weist daher nur sehr schwache demokratische Elemente auf, was wiederum bedeutet, dass über die Hälfte unserer neuen Gesetze von einer demokratisch nicht legitimierten Institution stammen.
Noch schlimmer wird es, wenn man sich den Europarat ansieht. Der Europarat hat aktuell 47 Staaten als Mitglieder. 1949 gegründet, ist er heute eine Institution, die weder öffentlich noch demokratisch noch verantwortlich agiert. Beschlüsse, die im Europarat gefällt werden sind aber trotzdem für alle Regierungen bindend und mit alle ist wirklich alle gemeint. Denn auch Regierungen, die erst in der Zukunft gewählt werden, müssen sich de facto an die Beschlüsse des Europarats halten. Dies wurde bei der Klimagesetzgebung deutlich, als einige europäische Staaten sich nicht an die Vorgaben des Europarats halten wollten, von den Briten aber in die Schranken gewiesen wurden.
Der zweite und den Faschismus wirklich auszeichnende Punkt ist die Repression. Die Bürger werden zu einem Benehmen angehalten, zu einer Einstellung, die die staatstragende Ideologie widerspiegeln soll. So soll nicht nur das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt werden, sondern es sollen auch unliebsame politische Strömungen im Keim erstickt werden. Dies wird einerseits durch Propaganda bis hin zur Indoktrination erreicht, andererseits durch eine rigide Gesetzgebung, die abweichendes Verhalten bestraft.
Auch hier braucht man in Österreich nur einen Blick in Tageszeitungen und in die zahlreichen ZIBs des ORF werfen. Die staatstragende Ideologie ist klar vorgegeben und umrissen: übertriebene Toleranz gegenüber Ausländern, Gleichschaltung von Mann und Frau, bis hin zur Gleichschaltung der gesamten Bevölkerung, Bekämpfung des Klimawandels und Erziehung der Bürger durch den Staat.
Die übertriebene Toleranz gegenüber Ausländern tritt in den mannigfaltigsten Formen zu Tage. Die Rechtssprechung sieht einem Türken den versuchten, brutalen Mord an seiner Frau nach, weil er aus einem Kulturkreis stammt, in dem Gewalt öfter an der Tagesordnung ist. Kleine Kinder werden in der Einwanderungsfrage vor die Kamera gezerrt, um den Staat politisch zu erpressen, muslimische Grundwehrdiener werden mit Arbeit und Disziplin verschont, weil sie ihre Vorgesetzten mit Mord bedrohen, usw. usf.
Repressiv tätig wird hier nicht nur der Staat direkt, indem zum Beispiel Polizeibeamte bei zu hartem Durchgreifen gegenüber Ausländern mit harter Strafe zu rechnen haben, sondern auch indirekt durch Medien, die qua Zeitungsinserate bestochen werden und der ORF durch direkte politische Einflussnahme. Es werden Kriminalitätsstatistiken gar nicht erwähnt oder gar beschönigt. Und wagt es doch einmal jemand, dies aufzuzählen, hetzt die linke Reichshälfte munter gegen diese Person oder Partei drauflos.
Die Gleichschaltung der gesamten Bevölkerung, insbesondere der Frauen mit Männern findet über Quoten und das sogenannte Gleichbehandlungsgesetz statt. Niemand darf mehr auf Grund von bestimmten Eigenschaften von einer Arbeitsstelle abgehalten werden, niemand darf mehr von Diskotheken ferngehalten werden, weil er eine andere Hautfarbe oder eine Behinderung hat.

Die Frauenquoten hingegen gelten schon in allen öffentlichen Institutionen, die EU-Kommission arbeitet aber eifrig an einer Quotenregelung für private Betriebe. Gleichzeitig soll eine Vergewaltigung der Sprache die vermeintliche Diskriminierung der Frau beenden.
Das (noch!) in der Warteschleife sitzende Terrorismuspräventionsgesetz geht hier schon den nächsten Schritt, in dem ein Paragraph eingefügt wurde, der die Verächtlichmachung bestimmter Volksgruppen (insbesondere Frauen!) mit bis zu 2 Jahren Freiheitsstrafe ahndet.
Und die Politik schläft nicht. Schon arbeitet sie an der vollkommenen Gleichschaltung der Bevölkerung durch ein staatliches Gesamtschulsystem. Die Kinder sollen also schon von der Wiege an mit der politischen Ideologie vertraut gemacht und damit geimpft werden. Der nächste logische Schritt wäre ein Verbot von Privatschulen, das ein ÖVP-Landespolitiker auch tatsächlich lancierte.
 Die Freiheit als letzter Widerstand wird von allen Seiten abgetragen. Es wird uns verboten Glühbirnen zu verkaufen, Skihelme müssen getragen werden, wenn wir minderjährig sind, in diesem Alter dürfen wir auch in keine Solarien mehr. Wir dürfen unter Androhung von 20 Jahren Haft unsere Meinung zu bestimmten Themen nicht mehr sagen, dürfen in Restaurants und öffentlichen Gebäuden nicht mehr rauchen, dürfen für eine zu besetzende Arbeitsstelle nicht mehr nur ein Geschlecht suchen (man fragt sich, wie das bei Bordellen aussieht) und die EU ist im Begriff, Herstellern zu verbieten, stromfressende Geräte herzustellen, bzw. wassersparende Duschköpfe und Waschmaschinen aufzuzwingen und bestraft Autohersteller, wenn sie PKW herstellen, die eine gewisse Abgasnorm nicht erfüllen.
Diese Ideologie wird nicht nur durch die von der Politik gekauften Medien und die Gesetze repressiv durchgesetzt, sondern auch durch eine Staatsanwaltschaft, die weisungsgebunden ist und der auch noch 2008 das gesamte Vorverfahren übertragen wurde.
Somit ergibt sich das Bild einer staatstragenden Ideologie, die durch zahlreiche direkte und indirekte Mittel durchgesetzt wird.
Bleibt die Ausschaltung politischer Gegner. Wir sind in Österreich noch nicht so weit, dass politisch unliebsame Menschen der Reihe nach getötet oder verschleppt werden. Doch auch hier befindet sich die österreichische Regierung auf einem gefährlichen Weg. Es werden schon politische Gegner von der Staatsanwaltschaft verhört, die Immunität wird gelockert und Vorwürfe zahlreicher Bespitzelungen stehen im Raum. Die Regierung hat zumindest mit einer Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes dafür gesorgt, dass die Polizei auch ohne richterlichen Beschluss Lauschangriffe starten darf.
Die Betrachtung der Fakten lässt nur eine Conclusio zu: Wir leben in einem der Verfassung nach demokratischen, freien Staat. Zahlreiche kleine und eine große Änderung haben aber bewirkt, dass unser System viele faschistische Elemente aufweist. Das Beunruhigende ist, dass die Entwicklung dahingeht, diese Tendenzen zu verstärken. Man muss bedauerlicherweise zu dem Schluss kommen, dass wir stärker denn je unsere Freiheit bedroht sehen und man ist versucht, den Begriff einer “sanften Diktatur“ einzuführen. Zu einem wirklich faschistischen Staat ist es nicht mehr weit und es drängt sich das Gefühl auf, dass die Machthaber zu Krisenzeiten auch noch den letzten Schritt vollziehen werden.

Philipp Starl ist Obmann der Rechtsliberalen Partei Österreich und studierte an der Wiener Juridischen Fakultät Rechtswissenschaften.

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Romig vs. Zeitz: Jetzt wieder Romig

17. November 2010 01:20 | Autor: Friedrich Romig
Rubrik: Gastkommentar

Friedrich Romigs Idee des christlichen Gottesstaates hat eine lebhafte Debatte ausgelöst – sowohl hier im Tagebuch wie auch bei Veranstaltungen. Hier wird die Debatte mit einer Antwort Romigs zu den Ausführungen von Christian Zeitz (Gastkommentar 12. November) zu Romigs Text „Aut Christus aut nihil!“ (Gastkommentar 7. November) fortgeführt.

Der Rat von Christian Zeitz, den christlichen Gottesstaat zu verhindern, gleicht einer an die Europäer gerichteten Aufforderung zum kollektiven Selbstmord!

Das Vordringen des islamischen Gottesstaates lässt sich nicht aufhalten, indem man auf den eigenen, christlichen Gottesstaat verzichtet. Um ein Vakuum auszufüllen bräuchten Islamisten dann nicht einmal mehr rohe Gewalt anzuwenden. Europa fiele ihnen kampflos in den Schoß.

Demokratie, Marktwirtschaft, Rechtsstaat, Menschenrechte sind Leerworte, die selbst die Europäer und die Amerikaner nicht mehr ernst nehmen. In den Augen der Muslime sind sie Instrumente des Neokolonialismus. Demokratie wurde herbeigebombt, in der EU wird auf sie verzichtet. Subventionswirtschaft hat Marktwirtschaft ersetzt, jedes Windrad oder Solardach, jeder Wolkenkratzer oder Wohnbau, jede Autobahn und jede Bahnstrecke, jedes „Forschungsprojekt“ und alle Bildungseinrichtungen zeugen davon.

Vom „Rechtsstaat“ wird täglich das Völker- und Verfassungsrecht gebrochen, auch von und in Österreich. Menschenrechte schützen nicht einmal mehr das Leben der Unschuldigsten. Leerworte vermitteln keine Überzeugungskraft, mit der man islamische Gotteskrieger abwehren könnte.

Muslime sprengen sich für die Unabhängigkeit ihrer Länder in die Luft, wir streben unsere staatliche Auflösung in der EU und unsere Abhängigkeit von globalen Märkten an.

Die Anhänger Mohammeds führen einen Djhad gegen die Dekadenz, wir subventionieren Love Parades. Fun, Sex und Money sind keine Waffen gegen die schleichende Islamisierung. Inzwischen konvertieren bei uns schon mehr Christen zum Islam als Muslime zum Christentum.

Wer das Christentum ernst nimmt, der verzichtet nicht auf den christlichen Gottesstaat oder bekämpft ihn gar, sondern er stärkt ihn. Er wünscht sich den christlichen Gottesstaat so stark, dass er den islamischen Gottesstaat an Überzeugungskraft übertrifft und ihn in sich aufnehmen kann. Damit wir alle eins seien – ut unum sint. Eine Riesenaufgabe, vor der wir nicht zurückschrecken oder kapitulieren sollten! Verkündigung und Mission sind unverzichtbare Aufgabe aller Christen.

Wir feiern Ende November das Christkönigsfest. Es ist ein „Ideenfest“. Es wurde eingesetzt von Pius XI. mit „Quas primas“. Im Schlußteil dieser Enzyklika heißt es, dass „Christi Königswürde es verlangt, dass das gesamte Staatswesen nach den göttlichen Geboten und den christlichen Grundsätzen geordnet und eingerichtet werde: so in der Gesetzgebung, so in der Rechtsprechung, und so auch in der Heranbildung der Jugend“. Wird dem Verlangen entsprochen, entsteht der christliche Gottesstaat. Es geht hier nicht um die Frage, ob uns das recht ist oder nicht, sondern ob dieses Verlangen der katholischen Lehrtradition entspricht.

Für die christliche Welt hat Kirchenlehrer Augustinus die Idee des christlichen „Gottesstaates“ in ihrer Bedeutung für die Civitas (= Gesellschaft, Gemeinschaft, Staat) präzise herausgearbeitet (De civitate Dei): Das Wesen des Staates ist Gerechtigkeit, wo keine Gerechtigkeit, dort kein Staat (Buch XIX, Kap. 21-22). Es gibt keine Gerechtigkeit ohne Gott, daher ist Gottesverehrung die Grundlage des Staatswesens (Buch XIX, Kap. 25). Wer die Dokumente von Vatikanum II genau liest und ihren Zusammenhang überschaut, wird keine Diskontinuität in der Lehrtradition entdecken können: Christus wurde nicht entthront.

 Für Augustinus ist die ganze Menschheitsgeschichte der Kampf zwischen Civitas Dei (Gottesstaat, Reich Gottes, Imperium sacrum, das himmlische Jerusalem) und Civitas terrena sive diaboli(!), welch letztere als rein säkular sich eben nicht an der Herrschaft Gottes  ausrichtet. Die augustinische Geschichtsauffassung wurde von Vatikanum II übernommen: „Das ganze Leben der Menschen, das einzelne wie das kollektive(!) stellt sich als Kampf dar, und zwar als einen dramatischen, zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Finsternis“ (Gaudium et spes, Nr. 13).

 Zeitz irrt, wenn er behauptet, die „Trennung des Staates/der Gesellschaft von Kirche/Religion“ sei katholische Lehre (sein Punkt 3) und „unterscheide die christliche Lehre vom Islam“. Genau das ist eben nicht der Fall. Der Unterschied zum Islam liegt nicht in der Trennung, sondern im „unvermischt“.

Das scheint im ersten Moment ein wenig kompliziert, klärt sich aber rasch auf, wenn man einen auch nur flüchtigen Blick in die päpstlichen Lehrschreiben wirft, vor allen in jene Leo XIII., der für gesellschaftlich-politisch-staatliche Fragen besonders aufgeschlossen war. Dort heißt es:„Gott hat die Sorge für das Menschengeschlecht zwei Gewalten zugeteilt: der geistlichen und der weltlichen. Jede ist in ihrer Art die höchste; jede hat ihre gewissen Grenzen, die durch die Natur und ihren unmittelbaren Gegenstand bestimmt sind, so dass eine jede wie von einem Kreis umschlossen ist, in dem sie selbständig sich bewegt... Beide Gewalten – die kirchliche wie die weltliche – müssen einträchtig zusammenwirken und wechselseitig sich Dienste leisten, denn nur dann wird die Welt gut regiert“.

Darum muss auch zwischen beiden Gewalten eine geordnete Einigung stattfinden, „für die man nicht mit Unrecht das Verhältnis von Leib und Seele als Bild gebraucht hat“. Also keine Trennung, sondern enge Zusammenarbeit. Vatikanum II. teilt der Kirche sogar die Rolle zu, die ganze Gesellschaft, also einschließlich des Staates, „in die Familie Gottes umzugestalten“ (Gaudium et spes, n.40). Die Ideenverwandtschaft von „Familie Gottes“ und der islamischen „Ummah“ kann nur bestreiten, wer zwischen Idee und ihren spezifischen Formen der Realisierung nicht zu unterscheiden vermag.

 Die Idee des Gottesstaates ist nicht undifferenziert mit ihrer geschichtlichen Realisierung im  Klerikofaschismus oder in Ajatollah-Regimen zu identifizieren, eher schon mit dem Reich der Habsburger, in dem einst die Sonne nicht unterging. Im christlichen Europa wird und wurde die Idee des christlichen Gottestaates von der niemals aufgebbaren oder untergegangen „Reichsidee“ getragen, und das seit der Taufe Chlodwigs um das Jahr 500 in Reims. Alles, was christliche Kultur in Europa an unvergleichlichen Werken und Zeugnissen, gerade auch in diesem an Schätzen in Kunst und Landschaft so reichen Österreich hervorgebracht und hinterlassen hat, hängt zum guten Teil mit diesem politisch-staatlichen Schlüsselereignis zusammen.

Heute ist Österreich Bewahrerin der Reichskrone und damit, zumindest für tieferblickende Geister wie Reinhold Schneider, Bewahrerin der Idee des Gottesstaates im „heimlichen Europa“. Der in der Europäischen Union jetzt – wenn auch zum Leidwesen vieler – sich herausbildende europäische „Bundesstaat“ hat jedenfalls keine andere „Seele“ als die seines christlichen Königs. Tötet Europa seine Seele, hört es auf zu existieren.

Univ.-Dozent Dr. Friedrich Romig lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Er war Mitglied der Europakommission der Österreichischen Bischofskonferenz.

 

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Positives und Heiteres

14. November 2010 01:14 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Wo bleibt das Positive? Die von vielen Lesern verlangte Suche nach selbigem war wieder einmal überaus erfolgreich. Das gilt vor allem dann, wenn man auch die (unfreiwillig) komischen Dinge ins Positive einbezieht, aus fröhlicher Dankbarkeit, dass sie einen zumindest laut auflachen lassen.

Aber beginnen wir mit dem echt Erfreulichen:

Da hat ein kritischer Beitrag im Tagebuch einige Wochen später tatsächlich den Plan für eine Gesetzesnovelle ausgelöst. Diese würde bei einer Annahme durch das Parlament das aufgezeigte Problem tatsächlich lösen. Es geht um die Möglichkeit, dass EU-Bürger in der Pension ungehindert nach Österreich übersiedeln und dort vollen Anspruch auf Ausgleichszulage haben. Da in manchen osteuropäischen Ländern Pensionen vielfach nur ein Zehntel unserer üppigen Ausgleichszulage (=Mindestpension) ausmachen, ist das natürlich eine großzügige Einladung zum Sozialtourismus. Selbst dem normalerweise sehr ausgabenfreudigen Sozialministerium kamen da nun Bedenken. Bleibt nur zu hoffen, dass nicht am Ende wieder die juristischen Bedenkenträger („Darf man EU-Ausländer diskriminieren?“) die Oberhand behalten.

Lobenswert ist auch der Pensionistenbund, der es wagt, sich für ein rascheres Hinaufsetzen des Frauenpensionsalters einzusetzen.

Positiv klingt noch etwas in all dem Ärger über die vielen Steuer- und Gebührenerhöhungen. Nämlich die Wissenschaftsministerin will 50 außeruniversitären Forschungsinstitutionen die Subvention streichen. Dieses Lob heißt nun nicht, dass die universitäre Forschung hierzulande so toll unterwegs wäre, oder dass es nicht noch viel ärgere Subventions-Sümpfe gäbe. Aber immerhin, ein wichtriger Anfang ist gemacht. Viele der nun beschnittenen Institutionen leben nämlich nur noch von der eigenen Vergangenheit vulgo den einstigen Beziehungen zu längst abgetretenen Politikern. Das trifft vor allem bei den nicht-naturwissenschaftlichen Institutionen zu, die – wenn sie es überhaupt jemals taten – schon lange keinen positiven Beitrag zur Gesellschaft geleistet haben (außer ein paar Politologen, Philosophen, Soziologen einen Job verschafft zu haben). Ob das nun die Kreisky-Erfindung des Österreichischen Instituts für Internationale Politik ist, ob das die Busek-Gratz-Erfindung des Instituts für die Wissenschaft vom Menschen ist; ob das die Busek-Erfindung des „Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften“ ist; ob das die diversen Kreisky-Gedenkvereine sind (um die nun ausgerechnet ein H.C.Strache Krokodilstränen vergießt!). Freilich: Diesen Mut hat nur das Wissenschaftsministerium. Subventions-Institute, die am Tropf der Gemeinde Wien oder anderer Ministerien hängen, können munter weiter unser Geld verprassen.

Erfreuliches hört man auch aus anderen Weltgegenden. Da mussten die spanischen Sozialisten ein geplantes neues Kampfgesetz gegen die Kirche wieder zurückziehen, weil ihre Partner von diversen Regionalparteien nicht mehr mitziehen wollen. Die Sozialisten wollten im katholischen Spanien alle Kreuze aus öffentlichen Institutionen (einschließlich der Spitäler) eliminieren; sie wollten bei Staatsbegräbnissen religiöse Zeremonien verbieten; sie wollten Funktionsträger, die an einer katholischen Zeremonie teilnehmen, zwingen, im gleichen Maße auch andere Religionen wie etwa den Islam zu beehren. Und vieles andere mehr. Auch das zeigt, dass Widerstand gegen die islamophile und christophobe radikale Linke durchaus erfolgreich sein kann.

Weil auch Lachen – selbst verzweifeltes – zu den guten Dingen im Leben zählt, darf ich auch dazu ein wenig in der Fundkiste kramen.

Da kündigt der neue Chef des staatlichen türkischen Religionsamtes mit seinen rund 70.000 Mitarbeitern – also des Amtes eines Staates, der vorgibt, laizistisch zu sein! – an, dass er künftig für „Muslime in der ganzen Welt“ zuständig sein werde. Das heißt natürlich auch für Österreich. Da kündigen sich wirklich lustige Fortsetzungen der Interviews des türkischen Botschafters zu Wien an, in denen den Österreichern beigebracht wird, wo Allah wohnt.

Da suchte die ÖVP einen Nachfolger für die Absteigerin des Jahres Christine Marek, und zwar wochenlang in aller Öffentlichkeit. Statt dass die beste Frau oder der beste Mann gesucht würden, wurde zuerst festgelegt, welches Geschlecht, dann welcher Bund, und dann welches Bundesland zum Zug kommen werden. Womit erstens die nunmehr gefundene Nachfolgerin automatisch im Geruch einer schlichten Quotenlösung steht. Womit zweitens von vornherein mit Sicherheit verhindert wird, dass der Beste zum Zug kommt. Ein schönes Kapitel aus dem heiteren Lehrbuch: Wie vermurkse ich jede noch so unbedeutende Personalentscheidung.

Da kann man über die brillant inszenierte Heuchelei der diversen Bankgeneraldirektoren herzlich lachen, die nun so tun, als ob die Kosten von Basel III und Finanzsteuer von irgendeinem Goldesel getragen würden. Und nicht von den Konsumenten, den Sparern, den Kontobesitzern und Kreditnehmern, wie das der Raiffeisen-Boss Rothensteiner zu Recht als einzig möglichen logischen Schluss angekündigt hat. Noch heiterer ist freilich, dass Werner Faymann – wohl weil er sich selbst vor den Grundrechnungsarten fürchtet – ausgerechnet Laura Rudas zur Beschimpfung der Banken ausgesandt hat. Am heitersten ist aber, dass ihr dann ausgerechnet der Arbeiterkammer-Tumpel – einer der Hauptverantwortlichen an der Bawag-Krise! – beispringt und den Bankern erklärt, was sie zu tun hätten.

Nur noch ein Lachen der Verzweiflung ist es auch, wenn sogar in Zeiten wie diesen, wo zum Teil bei wesentlichen Aufgaben des Staates das Geld drastisch gekürzt wird, die Beamtenministerin ein kostenaufwendiges Ideologieprojekt umsetzen will. Es geht um den sogenannten „Papa-Monat“, also um zusätzliche vier freie Wochen für Väter nach der Geburt. Noch skurriler: Wieder einmal soll eine Sozialregelung nur für die Beamten gelten. Die ja ohnedies jede einzelne soziale Wohltat viel intensiver konsumieren als die Menschen in der echten Wirtschaft.

Etwas älter, aber trotzdem ein Juwel ist auch das Zitat von Erwin Pröll, der einen Plan Frank Stronachs (welcher schon wieder einmal ein Stadion bauen will) auf folgende Weise unterstützen will: „Wir sind bereit für eine Haftung, nur darf sie nicht schlagend werden.“ Was es in Niederösterreich nicht alles gibt: Haftungen, die nicht schlagend werden können! Wenn das so ist, dann hafte natürlich auch ich gerne für Stronachs neueste Idee.

Den lautesten Lacher hat sich aber wieder einmal eine Aktion unserer deutschen Nachbarn verdient: Dort findet doch tatsächlich eine Tagung unter dem absurden Motto „Klimaschutz braucht Geschlechtergerechtigkeit“ statt. Irgendwie ist es unfair, wenn die abgrundtief dumme politische Korrektheit alle Satiriker und Kabarettisten (und dem feministischen Neusprech gemäß wohlgemerkt auch alle Satirikerinnen und Kabarettistinnen) arbeitslos macht. Wenn also jetzt das gute weibliche CO2 gegen das böse männliche CO2 antritt, dann ist das Realsatire in Reinkultur. Was den ernsten Nachsatz verdient: Auch in Deutschland wäre ein flächendeckender Subventions-Stopp sehr hilfreich für eine intellektuelle Regeneration. 

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Streissler diskutiert mit "Tagebuch"-Partnern über den Euro

04. November 2010 14:19 | Autor: Elisabeth Hennefeld
Rubrik: Gastkommentar

Wie wirkt sich die exzessiv beschleunigte Dollar-Produktion auf den Euro aus? Wird der Euro zur wichtigsten Währung der Welt? Oder reißen Griechenland, Portugal & Co die gemeinsame Währung in den Abgrund? Und wie kann der Euroraum krass unterschiedliche Produktivitätsentwicklungen in den einzelnen Ländern überleben? Über all diese existenziellen Fragen wird Erich Streissler, Österreichs bedeutendster Ökonom, in einer exklusiven Veranstaltung, zu der alle Partner des Blogs herzlich eingeladen sind, referieren und diskutieren.

Die  Diskussion findet am 18. November um 19,30 Uhr in Wien statt.  Jeder Partner, der (unentgeltlich) daran teilnehmen will, ist gebeten, sich in angemeldetem Zustand im Tagebuch unter „Kontakte“ anzumelden. Er bekommt dann ein Mail mit dem genauen Ort der Veranstaltung. Diese wird von einer Studentengruppe und dem Tagebuch organisiert. Andreas Unterberger wird die Veranstaltung moderieren und mit Streissler diskutieren.

Streissler ist ein marktwirtschaftlich orientierter Wissenschaftler mit klaren christlichen Wurzeln. Er steht der Österreichischen Schule der Nationalökonomie sehr nahe, ohne jemals dogmatisch zu sein. Er ist durch seine messerscharfen Analysen und mutigen Schlussfolgerungen auch weit außerhalb der engeren Ökonomen-Gilde bekannt.

So hat er den Amerikanern zu einem Zeitpunkt, da in den USA der Wirtschaftsboom noch auf dem Höhepunkt war, eine 40-jährige depressive Phase prophezeit. Inzwischen meinen viele, die ihn damals kritisiert haben, dass er recht behalten könnte. Dasselbe trifft auf seine Analyse zu, dass das Pensionsantrittsalter auf 80 Jahre erhöht werden soll. Obwohl er damals diesen Vorschlag sehr präzise mit demographischen Daten und der Notwendigkeit der Sicherung der zukünftigen Pensionen begründete, löste er damit  heftige Proteste aus – inzwischen haben viele Länder bis auf Österreich begonnen,  das Pensionsantrittsalter zu erhöhen.

Streisslers Forschungsschwerpunkte lagen unter anderem im Bereich der Finanzwirtschaft und dem der Wirtschaftsgeschichte. Der Wiener war 1961 als Professor für Wirtschaftswissenschaften und Ökonometrie an die Universität Freiburg berufen worden. Dort hatte er engen Kontakt mit dem ebenfalls österreichischen Nationalökonomen und späteren Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek. 1968 kehrte Streissler an die Universität Wien zurück (während die Wiener Wirtschaftsuniversität in Sachen Volkswirtschaft unter dem Einfluss von Neokeynesianern und Neomarxisten jede internationale Bedeutung verlor). Wiederholt war er auch als Gastprofessor in Oxford und Stanford tätig.

Von ganz besonders aktueller Relevanz ist sein Zitat aus der Ära Ronald Reagans, als er diesen einen finanzpolitischen Keynesianisten nannte, weil die Amerikaner unter Reagans Regierung die ungute Angewohnheit entwickelten, mehr Geld auszugeben, als sie einnehmen. Diese Angewohnheit ist heute Amerikas größtes wirtschaftliches Problem geworden. Inzwischen ist es aber auch eines der Europäer, die  jahrzehntelang diesen Spaß mit finanziert haben.

Und damit ist auch der vor fast neun Jahren mit Münzen und Noten eingeführte Euro wieder ein zentrales Thema. Für die einen symbolisiert der Euro eine Sternstunde europäischer Einigung, für andere ist er der Totengräber der Vision Europa. Der Traum des vereinten Europa droht an der wirtschafts- und finanzpolitischen Heterogenität seiner Mitgliedsländer zu scheitern. Die Zukunft Europas hängt maßgeblich davon ab, ob die wirtschaftliche Integration durch den Euro gelingt und er sich als internationale Leitwährung behaupten kann.

Das vereinte Europa war die Antwort auf die großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Der Nationalismus hatte den Kontinent an den Rand der Selbstzerstörung getrieben. Die Segnungen des Realsozialismus, der sich jenseits des Eisernen Vorhangs einige Jahrzehnte ungestört vom angeblich alles korrumpierenden Kapitalismus frei entfalten konnte, hatten zu erschreckenden Ergebnissen geführt. Auf die Auslieferung eines Autos musste man zehn bis fünfzehn Jahre warten; und falls ein Volk einmal  über sein Schicksal selber entscheiden wollte, kamen prompt die Liebesgrüße aus Moskau in Form eines Panzerbataillons.

Den Gründervätern des Neuen Europa schwebte eine andere Version des Arbeiter- und Angestelltenparadieses vor. Der freie Handel in einem gemeinsamen Binnenmarkt sollte Wohlstand fördern. Und gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten sollten Kriege zunehmend uninteressant machen.

Der Euro ist vielleicht das sichtbarste Element des Neuen Europa. Bei der Einführung hatte man hohe Erwartungen. Der Euro sollte die wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Euro-Zone fördern, vor bösen Spekulanten schützen und der europäischen Stimme im Wettbewerb mit den USA und China mehr Gewicht verleihen. (Die USA und China sind nebenbei bemerkt unter anderem deshalb wirtschaftliche Großmächte, weil sie einen Binnenmarkt und eine gemeinsame Währung haben, trotz der ökonomischen und strukturellen Unterschiede zwischen einer pulsierenden Metropole wie Shanghai und einem Reisfeld im Himalaya.)

Ein weiterer positiver Nebeneffekt der Gemeinschaftswährung wäre zumindest theoretisch noch folgender: Eine gemeinsame Währung macht es einzelnen Regierungen unmöglich, angehäufte Haushaltsdefizite mit Überstunden der Druckerpresse auszugleichen. Damit gibt es weniger Inflation (gut für Konsumenten von heute), weniger Staatsschulden (gut für Konsumenten von morgen) und kein Schummeln mehr beim Exportwettbewerb.

Die Inflationsrate ist jedenfalls bedeutend niedriger als zu Zeiten der nationalen Währungen. Der Euro ist stabiler als der Dollar und hat ihn schon als führende internationale Bargeldwährung abgelöst (auch weil man in den USA jeden Kaugummi mit Kreditkarte bezahlen kann). Manche OPEC-Staaten spielen auch mit dem Gedanken, Rohöl künftig in Euro zu handeln. Was vermutlich verheerende Auswirkungen auf die US-Wirtschaft hätte.

Jedoch am Höhepunkt des Erfolgskurses der europäischen Währung brach scheinbar aus heiterem Himmel die griechische Tragödie über Europa herein. Griechenland hatte sich bei der Wahl zwischen „Budgetdisziplin“ und „Die eigene Wirtschaft an die Wand fahren und die europäische Partner massiv gefährden“ offenbar für Letzteres entschieden.  In der Europäischen Zentralbank  in Frankfurt warf man daraufhin geltendes EU-Recht über Bord, das solche Aktionen eigentlich verbietet, und half den Griechen aus der Patsche. Mit unabsehbaren Folgen. Wir setzen darauf, dass uns Erich Streissler am 18. November diese Folgen klarer machen wird.

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Die Talfahrt der Wohlfahrt

02. November 2010 00:57 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die meisten Bürger wissen: Die Republik wird nur zu retten sein, wenn sie kräftig Hand an den Wohlfahrtsstaat legt. Nur ist sich dessen noch immer keine Partei bewusst – oder traut es sich nicht laut zu sagen. Weil ja überall blauäugige Gutmenschen unterwegs sind.

Besonders explosiv wird dieser Wohlfahrtsstaat, wo er auch die direkte Einladung zur Sozialmigration nach Österreich darstellt. Wie im Tagebuch schon an mehreren Beispielen dargestellt worden ist.

Heute sei daher ein weiteres Exempel untersucht, obwohl diese lukrative Methode, das rot-weiß-rote Wohlfahrts-Schlaraffenland zu plündern, zum Glück bisher noch gar nicht wirklich in großer Zahl ausgenutzt worden ist. Aber warten wir nur, es wird schon werden.

Es geht dabei um die Kombination aus Niederlassungsfreiheit und dem hiesigen Ausgleichszulagensystem. In der EU kann sich jeder EU-Bürger niederlassen, wo er will. Dies gilt insbesondere auch für Pensionisten. So weit so harmlos.

Gefährlich wird die Sache nur in Verbindung mit dem zweiten Schritt: Laut europäischem Recht hat jeder Bürger nach der Niederlassung auch Anspruch auf sozialrechtliche Gleichbehandlung. Und zwar mit den Bürgern jenes Landes, wo er sein anderes europäisches Recht wahrnimmt, also sich niederzulassen, wo er will. Das bedeutet im österreichischen Pensionssystem einen Anspruch auf Ausgleichszulagen, also auf eine Zusatzzahlung zu seiner Pension, damit der zugewanderte Pensionist zumindest 788 Euro pro Monat bekommt – wenn er für Kinder oder Ehepartner zu sorgen hat, natürlich noch mehr.

Was die naiven EU-Gesetzgeber (und insbesondere die besonders spendierfreudigen EU-Abgeordneten) dabei rund um die EU-Erweiterungen der letzten Jahre ignoriert haben: In manchen der neuen Ländern ist das Rentensystem so gering dotiert, dass viele Menschen eine Pension von weniger als 100 Euro bekommen. Kann man es da den Menschen verübeln, wenn es sie bald in großer Zahl an die vollen Töpfe Österreichs ziehen wird, wo die Ausgleichszulage nach der bevorstehenden Pensionserhöhung wohl über der 800-Euro-Grenze liegen wird?

Bisher haben die Bezieher solcher ausländischen Teilpensionen nicht einmal den (ohnedies unzureichenden) Anteil von 5,1 Prozent für die Krankenversicherung zahlen, obwohl sie in Österreich – natürlich, wir haben´s ja – vollen Krankenversicherungsschutz haben. Das wird nun endlich geändert. Das viel gravierendere Pensionsproblem wird hingegen weiterhin nicht angetastet.

Alle österreichischen Parteien haben sich bisher immer für die armen Ausgleichszulagenbezieher engagiert, aber nie für jene, die ihre Pension mit Beiträgen zumindest weitgehend selbst erwirtschaftet haben. Und diese populistisch-soziale Ungerechtigkeit kommt eben auch allen EU-Pensionisten in Österreich zugute.

Angesichts dieser politisch-gutmenschlichen Dummheiten sollte man sich die nächste Frage gar nicht mehr stellen: Wer kann denn überhaupt kontrollieren, ob diese bulgarischen oder rumänischen Rentner überhaupt in Österreich leben (und dadurch wenigstens einen Teil des hier kassierten Geldes auch in Österreich ausgeben)? Im Grunde genügen ja ein Bankkonto und eine Meldeadresse bei einem wohlwollenden Freund, der einen von eventuellen, ohnedies so gut wie nie stattfindenden Kontrollen informiert. Es hat ja jeder Pensionist das Recht, gerade auf Mallorca oder sonstwo zu urlauben, wenn eines Tages doch ein Kontrollor vorbeikommen sollte.

Und warum greift niemand dieses Problem auf, das nur deshalb noch keine riesigen Größenordnungen angenommen hat, weil zum Unterschied vom Asylbereich noch keine kriminellen bis gutmenschlichen Schlepper die Ausnutzung dieser Regelungen organisieren?

Es wird aber auch deshalb nicht aufgegriffen, weil das Problem nur durch Eingriffe in bisher als tabu behandelte Bereiche lösbar ist. Weil dieser Missbrauch nur eingebremst werden kann, wenn man den Wohlfahrtsstaat kräftig redimensioniert, und wenn man die vielen gutgemeinten, aber total weltfremden Beschlüsse der EU neu aufrollt. Aber auch, weil man ja gleich von Grünen, ORF und Caritas der Verhetzung (darauf steht zwei Jahre Haft) oder zumindest der neoliberalen sozialen Kälte beschuldigt wird, wenn man diesen Missbrauch aufzeigt.

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Der Sieg der Gutmenschen

29. Oktober 2010 11:32 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Der österreichische Verfassungsgerichtshof, zuletzt wieder durch drei stramme Linke auf Linie gebracht, gibt Griechenland einen Intelligenztest auf: Wie schaffe ich es, möglichst viele der unerwünschten illegalen Immigranten aus Asien dauerhaft nach Österreich weiterzureichen?

Die Antwort ist einfach. Sie bräuchte gar nicht die ganz Schlitzohrigkeit der Griechen (mit der diese etwa durch ein paar statistische Fälschungen den Euro an den Rand des Kollapses gebracht haben).

Erstens muss Athen alle unerwünschten Zuwanderer sofort aus den Lagern freilassen (in denen diese festgehalten werden, weil ja in Griechenland offensichtlich eine ganz andere Europäische Menschenrechtskonvention als in Österreich gilt); zweitens muss Athen durch ein bisschen Mundpropaganda dafür sorgen, dass unter den illegalen Einwanderern Österreich als jenes Land bekannt wird, wo ihnen am meisten geholfen wird, sobald sie das Zauberwort „Asyl“ aussprechen; und drittens muss sich Athen taub stellen, wenn Österreich die Einwanderungswilligen dann wieder nach Griechenland zurückschieben will, das eigentlich für deren Asylansuchen zuständig wäre.

Vor allem werden die Griechen gar nicht verstehen – weder wollen noch können –, was der Wiener VfGH mit dem Verlangen einer „fallbezogenen individuellen Zusicherung“ künftiger Betreuung meint, das nach seiner neuen Rechtsansicht von Griechenland offenbar als Dank für die Rückschiebung in jedem einzelnen Fall formell auszustellen wäre. Im Gegenteil: Athen jubelt innerlich und wird einen Teufel unterschreiben. Denn endlich eröffnet  sich für die Griechen ein Weg, die unangenehme Rechtslage zu umgehen, dass Asylverfahren dort abzuwickeln sind, wo die Antragsteller erstmals europäischen Boden betreten haben. Und dass ist zum Leidwesen der Hellenen in vielen Fällen eben Griechenland, nachdem die Italiener durch ein teures Arrangement mit Libyen den Weg Hunderttausender Schwarzafrikaner übers Meer gestoppt haben.

Dass da wieder einmal Richter und nicht etwa die Parlamentarier neues Recht schaffen, wollen wir nur am Rande erwähnen. Obwohl in meinen Ausgaben der Bundesverfassung kein Wort davon steht. aber die ist wohl längst durch das gutmenschenrecht überholt worden.

Freilich muss man zugeben: Unsere Volksvertretung ist immer weniger imstande, die wirklich notwendigen Gesetze zu erlassen. So ist die Koalition daran gescheitert, das seit langem fällige, aber für Linke offenbar unmenschliche Gesetz zu beschließen, dass sich Asylbegehrende wenigstens fünf Tage lang zur Prüfung ihres Antrags in einem Lager aufhalten müssen. Obwohl man das der Bevölkerung noch vor kurzem versprochen hatte. Aber jetzt sind halt die Wiener Wahlen vorbei und die SPÖ kann wieder frisch und munter ihren Kurs fortsetzen, die Türen für Zuwanderer möglichst weit zu öffnen.

Aber zurück zum VfGH-Urteil: Wieder hat es die Zuwanderungsindustrie verstanden, durch Hochspielen eines Einzelfalls, in dem wie immer nur Frauen und Kinder im Blickpunkt stehen, ein riesiges Loch in das österreichische Fremdenrecht zu reißen. Dass die meisten „Asyl“-Zuwanderer eigentlich alleinstehende Männer sind, wird von der geschickten PR-Strategie dabei raffiniert ausgeblendet. Ideologisch geprägte (oder nur blauäugige?) Richter fallen darauf herein. Und die Medien sowieso, von denen es kein einziges meines Überblicks bisher gewagt hat, den VfGH in dieser Frage zu tadeln.

Nun, was soll aber wirklich an einem solchen Einzelfall so problematisch sein? Sind das nicht tatsächlich harte Schicksale?

In der Tat, das sind sie. Jeder, der aus der Armut islamischer und/oder postkommunistischer Länder nach Europa auswandern will, und wieder zurückgeschickt wird, erleidet ein hartes Schicksal. Nur: Wenn Europa, wenn Österreich (und dazu gehören auch die feinen Damen und Herren im Hermelin) nicht die Kraft zu dieser Härte hat, dann ist die Konsequenz unabwendbar. Dann spricht sich das sofort herum, und weitere Millionen Zuwanderer versuchen genau durch diese Lücke zu strömen. Wer daran zweifelt, hat keine Ahnung, wie es in der Welt wirklich zugeht. Dann hat Österreich sein souveränes Recht endgültig aufgegeben zu bestimmen, wer auf seinem Territorium lebt. Durch den Handstreich einiger Richter.

Die Wette ist leicht zu gewinnen: Österreich wird binnen kurzem nicht nur ein paar harmlose Frauen mit Kindern behalten müssen, wie uns Gericht und Medien suggerieren, sondern die angeblich nur ein paar Hundert  betroffenen Fälle werden sich rasch vervielfachen. Wobei die Herkunft der meisten Migranten aus den islamistisch und kriminell verseuchten Regionen Mittelasiens, die Probleme noch viel explosiver machen wird. Denn dort haben die Menschen seit Ewigkeiten nur Gewalt, Diktatoren und eine mittelalterliche Religion kennengelernt.

Das alles dank des Handstreichs einiger Richter. Aber auch dank einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Rechtskultur, die nicht begreift, dass jener Schutz, der bei den Flüchtlingen vor nationalsozialistischem oder kommunistischem Terror mehr als berechtigt war – beziehungsweise gewesen wäre –, und der auch nie missbraucht worden ist, heute unter total geänderten Rahmenbedingungen nicht mehr aufrecht erhaltbar ist, sondern in eine Katastrophe führt.

Wer wirklich ehrlich ist, müsste eine komplette Überarbeitung der Flüchtlingskonvention angehen. Aber vorher müssen die Dinge noch viel schlimmer werden, bevor die Politik den Mut dazu hat.

Auf österreichischer Ebene trägt die Hauptschuld an dieser Entwicklung natürlich die SPÖ, nicht nur, weil sie immer noch die größte, und wie die Budgettage gezeigt haben, mächtigste Partei im Lande ist. Sie hat darüber hinaus sowohl die ohnedies knappen fünf Tage Aufenthaltspflicht im Asyllager verhindert, wie auch den VfGH mit sehr ideologischen Richtern (samt dem neuen Präsidenten) besetzt. Was juristisch Culpa in eligendo heißt.

Und die ÖVP hat wieder einmal nichtsahnend zugeschaut. Die Volkspartei hat leider bis auf die zunehmend isolierte Innenministerin keinen einzigen Juristen mit Format  in Klub oder Regierung, um zu erkennen, welch massive gesellschaftszerstörende Kraft linke Juristen ausüben. Die Justizministerin mit ihrem Gesetzesentwurf einer totalen Einschränkung der Meinungs- und Redefreiheit wollen wir lieber gar nicht erwähnen.

Die ÖVP hat darüber hinaus erst vor wenigen Tagen davor die eigene Innenministerin gezwungen, durch neue Verfahrensschritte die Abschiebung abgewiesener Asylwerber deutlich zu verlängern. Und nun das Budget für das Bundesasylamt deutlich zu kürzen.

Was mit großer Wahrscheinlichkeit wieder für eine zusätzliche Verlängerung der Asylverfahren sorgen wird. Wer etwa wird all die Fälle bearbeiten, die nun der VfGH dem Land eingebrockt hat? Wir werden daher rasch wieder in jene Zeiten zurückfallen, als der ebenfalls stramm links geführte Verwaltungsgerichtshof Asylakten viele Jahre liegengelassen hat. Und der dann noch über seine diesbezügliche Entmachtung zu jammern gewagt hatte. Die zweifellos eine der letzten mutigen Taten der Politik gewesen ist.

 

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Was gibt’s da zu feiern?

26. Oktober 2010 01:26 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es ist eine Frage, um die wir uns alle gerne drücken: Was ist es eigentlich, was Österreich  im Innersten zusammenhält? Auch der Nationalfeiertag gibt keine sehr befriedigende Antwort darauf. Trotzdem tut es gut, darüber an diesem Tag ein wenig ehrlicher als sonst nachzudenken.

Schon der historische Anlass des Nationalfeiertages ist nämlich längst hohl und nichtig: Das am 26. Oktober 1955 beschlossene Neutralitätsgesetz ist zu einem Stück Papier geschrumpft, das längst jeder Bedeutung beraubt worden ist. Zu Recht übrigens, da Neutralität in einem so intensiv zusammengewachsenen Europa jede Bedeutung verloren hat. Sie war lediglich in einem durch einen Eisernen Vorhang zweigeteilten Kontinent für ein kleines Land eine notwendige Überlebensstrategie.

Auch das, was an diesem Tag am meisten ins Auge springt, ist alles andere als aufregend: Das Bundesheer ist – in Relation zur Bevölkerungsgröße und zur Wirtschaftsstärke – die weitaus am schlechtesten dotierte Armee Europas. Es ist trotz aller Angelobungen und Waffenschauen ein recht erbärmlicher Haufen. Da braucht es gar nicht die dramatischen Sparmaßnahmen der aktuellen Budgetkrise. Da wäre schon das Desinteresse des zuständigen Ministers am Heer signifikant genug, der zehn Mal mehr Lust an seiner Zweitkompetenz Sport zeigt – obwohl auch dort die Erfolge Österreichs nicht gerade überwältigend sind, obwohl dort mehr Schiebungen und Doping zu beobachten sind als sonst etwas.

Natürlich sind auch die jüngsten Budgetbeschlüsse mehr deprimierend als patriotisch elektrisierend. Dabei machen vor allem die damit verbundenen konkreten Signale betrübt: Die Republik zeigt insbesondere Mehrkinderfamilien künftig die kalte Schulter; sie wird von einem veritablen und vor allem immens teuren Machtkampf zwischen Bund und Ländern erschüttert; sie hat sich mit langfristig verheerenden Folgen als wortbrüchig erwiesen, indem sie nun die Stiftungskonstruktion, mit der in den letzten Jahren viel Geld aus dem Ausland angelockt worden ist, zu einer Steuerfalle verwandelt hat; sie bestraft ausgerechnet jene Pensionisten, die den relativ größten Anteil ihrer Pension mit Beiträgen gedeckt haben, seit fünf Jahren durch ein Einfrieren ihrer Bezüge, was ein weiteres verheerendes Signal bedeutet, dass Leistung in Österreich unerwünscht ist; sie war mit keiner einzigen Geste imstande, den Leistungsträgern, den unternehmerischen Menschen und den Kapitalbesitzern (von denen die Zukunft des Landes abhängig ist, auch wenn man sie nicht gerade mag) zu signalisieren, dass sie hierzulande willkommen sind.

Also auch da findet man nicht viel Grund zum Feiern. Und noch weniger patriotisch stimmt die Tatsache, dass in kaum einem anderen Land außer Deutschland die Machtübernahme durch eine islamische Mehrheit noch in diesem Jahrhundert schon so sicher ist wie in Österreich. Während etwa Dänemark gerade energische Maßnahmen gegen die Massenzuwanderung auf dem Weg der sogenannten Familienzusammenführung und gegen jene Familien, die ihren Kindern nicht die Landessprache beibringen, beschließt, machen die österreichischen Medien und Möchtegern-Gutmenschen ständig Stimmung für noch mehr Zuwanderung – und haben gerade die Innenministerin gezwungen, die Möglichkeiten des sogenannten Bleiberechts noch stärker auszubauen.

Das alles steht natürlich in Zusammenhang mit der Tatsache, dass seit 1970 das praktizierte Bekenntnis der Österreicher zur eigenen Zukunft – also die Aufzucht einer ausreichenden Anzahl von eigenen Kindern – beendet worden ist. Stattdessen gibt sich das Land der Fata Morgana des Wohlfahrtsstaates hin, der angeblich auf Dauer unseren Wohlstand sichern würde. Diese Idee hat sich aber längst als Schimäre erwiesen, die nur noch durch immer mehr Schulden aufrechterhalten werden kann. Gleichzeitig wandern gerade die tüchtigsten Österreicher ins Ausland ab, wo sie mehr verdienen können und weniger Steuern zahlen müssen.

Bleibt nur die eine Frage offen: Warum fühlt sich trotz allem der Rest noch immer sehr wohl in Österreich? Viele glauben, dass das mit der schönen Landschaft zusammenhängt und mit den künstlerischen Leistungen früherer Epochen. Das sind sicher Dinge, derer man sich angesichts der sonstigen Trübsal zu Recht erfreut. Man kann auch auf die vielen fleißigen Menschen stolz sein, die trotz der Behinderung durch das politische und bürokratische System als Unternehmer oder Forscher, Arbeiter oder Freiberufler unglaublichen Fleiß und große Kreativität zeigen. Als aktuelles Beispiel könnte man jene Firmen und Arbeiter vor den Vorhang holen, die soeben bei der Rettung der Minenarbeiter in Chile gezeigt haben, dass in den Menschen dieses Landes noch immer viele Fähigkeiten stecken.

Ansonsten aber sollte man sich in aller Bescheidenheit zugeben: Das, was die meisten von uns innerlich an Österreich bindet, findet sich spiegelbildlich auch in fast allen anderen Ländern. Nämlich das große Bedürfnis jedes Menschen nach Heimat. Das bedeutet eine innere Bindung an die von Kindheit an gewohnten Sprachmelodien und Gebräuche, an die räumliche und kulturelle Umgebung, eine Vertrautheit mit einer noch so turbulenten politischen Geschichte. Das bedeutet Erinnerung, Familie, Freunde.

Mit anderen Worten: Bei aller Schönheit des kaiserlichen Wiens, der schneebedeckten Berge, der Seen des Salzkammerguts, der östlichen Ebenen, bei aller Bedeutung der Wiener musikalischen Klassik oder der Österreichischen Schule der Nationalökonomie gibt es nichts, was Berechtigung zu einem Überlegenheitsgefühl gäbe. Aber der Österreicher hat das selbe Recht wie alle anderen, diese seine Heimat zu schätzen, sich mit ihr, ihrer Geschichte und ihren Menschen zu identifizieren, und dafür zu kämpfen, dass sie sich besser gegen eine eroberungswillige fremde Religion und Kultur, aber auch gegen die Regulierungswut fremder Herrscher in Brüssel wehrt. So wie das alle jene Kulturen der Geschichte getan haben, die nicht untergehen wollten.

Aber eine naturgesetzliche Garantie, dass dieses Land nicht untergeht, dass es gar das letzte auf dem Erdball sein werde (wie ein alter Habsburger-Spruch gemeint hat), die gibt es ganz gewiss nicht. Geschichte kann auch sehr erbarmungslos sein.

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WWW: Wir wursteln weiter

23. Oktober 2010 18:57 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Und deswegen musste die Verfassung gebrochen werden, deswegen hat die Koalition zehn Monate gebrütet! Was das sogenannte Sanierungspaket der Regierung wert ist, ist am besten der Reaktion des ÖGB zu entnehmen: Er ist „nicht unzufrieden“. Damit sind die österreichischen Gewerkschaften die einzigen Europas, die mit einem in allen anderen Ländern längst schon beschlossenen Sparpaket glücklich sein können.

Denn in der Tat: Die Regierung hat länger gekreißt, als das sonst unter Menschen üblich ist, aber keine einzige echte strukturelle Reform zur Redimensionierung des explodierenden Wohlfahrtsstaat, zur Zurückstutzung der föderalistischen Geldverschwendungen zusammengebracht, sondern nur ein bunt zusammengewürfeltes Abkassierpaket.

Über dieses könnte man ja im Detail reden, wenn es irgendeinen Grund gegeben hätte, dass Bund, Länder und Gemeinden statt wirklich zu sparen ihre Einnahmen noch einmal erhöhen. Aber Österreich ist das Land mit der vierthöchsten Abgabenquote. Da muss man die Zukunft des Landes schon sehr hassen, wenn man so unbesorgt wie diese Regierung einen dicken Strauß neuer Belastungen verschnürt. Denn zumindest ein Teil davon wird dem Standort Österreich eindeutig schaden.

Aber selbst darüber hätte man reden können, wenn bei den Ausgaben auch nur eine einzige Sinnlosigkeit gestrichen worden wäre.

Die Regierung hat sogar dem aberwitzigen Koralm-Tunnel eine Finanzierungsgarantie gegeben. Sie hat auch die sogenannte Hacklerregelung bis auf kleine kosmetische Veränderungen völlig unberührt gelassen, ebenso die Invaliditätspension. Sie hat sich auch nicht an die Studiengebühren gewagt – und gibt dafür den Unis ungefähr die Hälfte dessen dazu, was die Gebühren bringen würden. Und sie ist schon vor dem Wochenende in Sachen Verwaltungsreform und Ausgabendisziplin der Länder an der geldverschwendenden Betonfront Michael Häupl/Erwin Pröll gescheitert.

Also hat sich wirklich all das Gerede, dass wir jetzt mehr als zwei Jahren keine Wahlen haben, und dass wir in dieser Frist unter dem Druck der Krisenbewältigung jetzt wirklich spürbare Struktur- und Verwaltungsreformen sehen würden, als Schall und Rauch entpuppt. Wie befürchtet. Aber recht gehabt zu haben, ist da wirklich kein Trost.

Angesichts all dessen kann der Gewerkschaftsbund, der ja noch nie zukunftsorientiert gedacht hat, tatsächlich durchaus zufrieden sein. Warum allerdings die ÖVP in dieser Regierung sitzt, kann niemand mehr beantworten.

Hinter dieser akkumulierten Katastrophe kann man natürlich auch zu der Ansicht kommen, dass winzige Details positiv sind: etwa die Kürzung der Auszahlung der Familienbeihilfe vom 27. auf das 24. Lebensjahr, die Langzeitstudenten treffen wird. Was also im Grund ein Versuch ist, die fehlenden Studiengebühren teilweise wieder zu kompensieren. Man kann es auch positiv finden, dass die Studieneingangsphase von zwei auf ein Semester verkürzt worden ist. Was aber allen jenen, die sie nicht überstehen, und auch der Volkswirtschaft noch immer wertvolle Lebenszeit stiehlt – nur weil man sich nicht auf eintägige Aufnahmetests oder eine Aufwertung der in den letzten Jahren zum Billigtarif verschleuderten Maturazeugnisse einigen konnte, was letztlich genauso gerecht oder ungerecht wäre wie jede Eingangsphasen-Prüfung, was dafür aber rasch klare Verhältnisse schafft.

Positiv klingt auch, dass es Geld für mehr Ganztagsschulen geben soll – nur wird das angesichts der Methoden dieser Unterrichtsministerin mit Sicherheit gutteils so umgelenkt werden, dass es primär den von ihr geliebten Gesamtschulen zugutekommen wird, die ja unbedingt als Erfolg dargestellt werden sollen.

Positiv könnte man auch noch einstufen, dass der Brennertunnel offenbar noch keine Baugarantie bekommen hat – freilich ist der noch um ein paar Prozentpunkte weniger sinnlos ist als das Koralm-Loch (aber es sitzen ja in dieser Regierung keine Minister aus Tirol).  Man kann sich auch freuen, dass die arbeitsplatzvernichtende Gruppenbesteuerung und die Vermögenssteuer nicht wieder eingeführt worden sind. Aber wenn das alles schon Grund zur Freude sein soll, dann freuen wir uns halt auch, dass Folter, Pranger und Todesstrafe noch nicht wieder eingeführt werden.

Bei fast allen anderen Details – und dabei können wir ja ohnedies nur von dem reden, was jetzt schon bekanntgegeben worden ist – überwiegen aber die Negativa. So werden sowohl Benzin-, wie auch Tabak-, wie auch Flugticket-Steuern (die man umwelt- und gesundheitspolitisch alle an sich durchaus begrüßen kann) zu einer massiven Abwanderung von Umsätzen ins Ausland führen. Die Aktiengewinnsteuer wird natürlich langfristig dem Börseplatz Wien schaden. Noch mehr wird der Bankenplatz Wien leiden, der mit seinen internationalen Geschäften Zehntausende Arbeitsplätze bindet (man denke nur an die bekannten Überlegungen der Bank-Austria-Mutter, das Ostgeschäft von Wien nach Mailand zu verlagern).

Statt dessen hat man aus populistischer Angst auf die einzige wirtschaftlich halbwegs sinnvolle Möglichkeit verzichtet, wo man noch Steuern erhöhen hätte können, nämlich auf eine Erhöhung der Einheitswerte. Aber weder Bauern noch Häuslbauer wagt man zu treffen, obwohl vor allem die Verhüttelung der österreichischen Täler längst ein Riesenproblem geworden ist.

Aber noch einmal: Entscheidend ist, dass auf der Ausgabenseite fast nichts Relevantes geschieht. So kann die Frauenministerin sogar jubeln, dass die teuren Exzesse an diversen (fast immer parteipolitisch kontrollierten) Frauenprojekten weitergehen, von denen 95 Prozent der Frauen natürlich nichts haben, sondern nur die Projekt-Mitarbeiterinnen. Ebenso können wieder einmal auch die Bauern zufrieden sein. Und auch die Pensionisten und Beamten werden im Gegensatz fast zum ganzen Rest Europas noch mehr vom nicht vorhandenen Steuergeld bekommen.

Das Urteil ist klar: Wir wursteln weiter. Und wir werden es noch viel schwerer haben, wenn uns dann in wenigen Jahren nichts anderes mehr als wirklich schmerzhafte Maßnahmen möglich sind, wie sie jetzt etwa die Griechen so erschüttern.

Dieses Land muss aber offenbar erst in die Katastrophe schlittern, bevor die Vernunft wieder eine Chance bekommt.

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Die letzten Chancen sind verspielt

20. Oktober 2010 02:50 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Ein guter Rat für die Leser dieses Blogs: Tun Sie das, was seit einigen Monaten immer mehr Menschen tun. Bringen Sie Ihr Geld in Sicherheit. Die letzten Tage haben nämlich deutlich gezeigt, dass alle Versprechungen der Politik, jetzt endlich wieder an die Stabilität von Geld und Staatshaushalten zu denken, Schall und Rauch sind.

Und zwar hat sich das in einem signifikanten Zusammenfall binnen weniger Stunden sowohl auf österreichischer wie auch europäischer Ebene abgespielt: In Europa sind die Vorschläge der Kommission abgeschmettert worden, dass Defizit- und Schuldensünder künftig automatisch bestraft würden. Statt dessen wird es für solche Strafen auch in Zukunft eine Zweidrittelmehrheit geben müssen. Es wird also de facto wohl weiterhin nie Strafen oder Konsequenzen für undisziplinierte Länder geben. Hat sich doch nicht einmal für die betrügerischen Griechen eine strafende Mehrheit gefunden.

Also werden die vor allem am Mittelmeer und auf Inseln angesiedelten Defizitsünder weiterhin recht ungestraft (miss)wirtschaften können. Die Deutschen haben ja im Mai den unverzeihlichen Fehler gemacht, den Griechen mit verantwortungslosen Maßnahmen zu helfen, ohne dass Zug um Zug die verlangten konsequenten Strafen wenigstens für die Zukunft beschlossen worden wären. Damals hat man die Gefahr einer sofortigen Panik gefürchtet, der man damals mit langfristig jedoch für die Währung noch viel verderblicheren Folgen entgegengetreten  ist. 

Und jetzt ist Berlin wieder einmal vor Paris in die Knie gegangen. Wahrscheinlich muss es ja noch immer für die Untaten der Nazis büßen.

Praktisch gleichzeitig sind hierzulande Bundes- und Vizekanzler vor den Bundesländern in die Knie gegangen: Denn auch künftig wird es keinen echten Zwang für die österreichischen Bundesländer geben, sich an Verschuldens- oder Defizitgrenzen zu halten. Wenn Erwin Pröll und Michael Häupl (samt sieben anderen) etwas nicht wollen, haben weder die Vernunft noch Werner Faymann oder Josef Pröll eine Chance. Wobei man bei Faymann ohnedies nie wusste, ob er auch nur irgendein politisches Ziel hat, außer in der „Krone“ gut vorzukommen.

Beschämend ist nur, dass die Bundesregierung gleich bei der ersten Sitzung nachgegeben hat, während der viel unwichtigeren Frage, wer nun die Lehrer anstellt, noch weitere Termine gewidmet werden.

Daher werden die Bundesländer weiterhin das Geld mit vollen Händen beim Fenster hinauswerfen dürfen. Für Brot und ständige Spiele, zur Bestechung von Zeitungen und für überflüssige Kreisverkehre, für zu hohe Landesbeamtengehälter und für Subventionen an eine unüberschaubare Menge von Vereinen, die vor allem den Interessen der Parteien nahestehenden Vereinsfunktionäre dienen.

Realpolitisch war zwar von Anfang an klar, wie dieses beiden Kämpfe ausgehen. Der Glaubwürdigkeit des Euro und der EU-Staaten als Schuldner wird das aber alles andere als guttun. Daher wird sich ein Trend der letzten Krisenmonate wohl umgehend weiter verstärken: Gut geführte Industriekonzerne können sich auf den Finanzmärkten billiger finanzieren als die Staaten. Mit anderen Worten: Selbst die deutschen Steuerzahler müssen schon heute den Gläubigern höhere Zinsen für die Anleihen zahlen als solche Unternehmen. Und alle anderen Europäer noch viel mehr.  Weil man der Wirtschaft halt viel mehr vertraut, seit die Politik mit der Währung so leichtfertig umgeht. Freilich wird auch die europäische Wirtschaft einen Kollaps der Staaten nicht überstehen.

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An den Spaß

04. Oktober 2010 01:38 | Autor: Pannonicus
Rubrik: Gastkommentar

Wie zu lesen, war die Ode
erst der Freiheit zugedacht -
nur warum hat der Rhapsode
„An die Freude“ draus gemacht?

Immer schon galt freies Streben
als politisch nicht korrekt,
und so hat der Dichter eben
- freudlos wohl - zurückgesteckt.

Nie hat er zudem erfahren,
daß ein anderes Genie
dem Gedicht in späten Jahren
ungeahnten Klang verlieh:

Fulminant ist das Finale,
das des Meisters Neunte krönt
und uns hier im Jammertale
wenigst kurze Zeit versöhnt.

Nun, auch dieser Töne Vater
nahm den Geist der Zeit in Kauf
und er trat – das war probater -
anfangs meist als Luigi auf.

Seine Dritte hat er heiter
gar dem Korsen dediziert,
dann indes - bereits gescheiter -
diese Widmung ausradiert.

Aber kann den Wert es schmälern,
daß ein Werk wem dienlich war?
Spätgeborenen Krakeelern
scheint’s in manchen Fällen klar.

Denn was vor ein paar Dekaden
wer im falschen Lande schuf,
gilt für sie als schuldbeladen
und ist in ewig in Verruf.

Doch zurück zu jener Weise,
die so gut wie jeder kennt
und zum Heil gewisser Kreise
jetzt Europa-Hymne nennt.

Text natürlich singt man keinen
- deutsches Wort ist nicht genehm -
und der Freiheit, die sie meinen,
fehlt die Freude außerdem.

Spaß und Fraß nur ist, was oben
man für die da unten ließ -
was bei Juvenal gehoben
panem et circenses hieß.

Und ein Chor gekaufter Barden
singt die Ode an den Spaß:
Seid verschlungen, Milliarden,
ohne Scham und ohne Maß!

Pannonicus

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ORF mal drei: Das Ende jedes Anstands

24. September 2010 02:25 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

 Wann immer man den ORF aufdreht, stößt man auf massive Verzerrung der Fakten und ein Zerrbild der Objektivitätsverpflichtung. Aber das stört ja offensichtlich niemanden mehr. Die ÖVP hat längst keine Medienpolitik mehr (nicht einmal eine professionelle ORF-Beobachtung); die FPÖ hatte nie eine; die Grünen profitieren so wie die SPÖ; und das BZÖ ist dadurch stillgelegt, dass seine Kandidaten nicht mehr auftreten dürften, würde das BZÖ nicht bei Personalbestellungen im Stiftungsrat zu allem Ja und Amen sagen.

Um zu diesem Urteil zu kommen, genügt schon eine einzige „Zeit im Bild“ mit dem Linksaußen Armin Wolf vor der Kamera.

Da engagiert sich der Sender massivst in eigener Sache und polemisiert dagegen, dass er laut Gericht alle Videobänder von dem umstrittenen Auftritt zweier auf ORF-Kosten zu einer Strache-Veranstaltung herangekarrten Skinheads herausgeben muss. Trotz des rechtlich garantierten Redaktionsgeheimnisses. Aber der Sender verschweigt total das entscheidende Faktum: Denn es war niemand anderer als ein führender ORF-Mitarbeiter, der Strache in diesem Zusammenhang angezeigt hat. Das ist schon eine ziemlich Chuzpe: jemanden anzuzeigen, aber das Beweismaterial geheimzuhalten.

Davon unabhängig deutet alles darauf hin, dass Strache wieder einmal in seiner Reaktion auf die ORF-Provokation massiv überreagiert hat. Aber statt dass sich beide Seiten kräftig schämen, wird nun wie wild prozessiert. Von der Verletzung des journalistischen Anstandes, demzufolge man auch die Gegenseite, also einen Sprecher von Gericht oder Staatsanwaltschaft, zu Wort kommen lassen müsste, wollen wir gar nicht reden. Diesen Anstand kennen die Politruks vom Küniglberg ja nicht einmal mehr vom Hörsensagen.

Nächste Szene der gleichen Sendung: Alice Schwarzer wird ob ihres Islam-kritischen Buches gestreichelt, der prominenteste aller Islam-Kritiker, nämlich Thilo Sarrazin, wird hingegen – wie immer ohne ein einziges Sachargument – gehöhnt. Was aufs erste ob der Absenz jeder kohärenten Logik staunen lässt, macht aufs zweite aber ein ORF-Gesetz klar: Eine linke Feministin darf alles, was sonst mit dem elektronischen Scheiterhaufen bestraft wird. Sie darf sich sogar mit dem Islam anlegen. Alle anderen werden hingegen prinzipiell mundtot gemacht.

Dritte Szene: Ein Bericht darüber, dass einige EU-Kommissare bis zu drei Jahre nach Amtsende einen saftigen Weiterbezug kassieren. Was zeigt man dazu? Ein Bild der letzten Kommission mit Benita Ferrero-Waldner im Zentrum. Alle anderen Menschen rund um sie sind den meisten Österreichern eher unbekannt. Und was verschweigt man? Dass Ferrero im Gegensatz zu 16 ihrer Kollegen auf den Bezug verzichtet hat. Das hat sogar der EU-Abgeordnete Ehrenhauser von der Martin-Partei, der die ganze Geschichte überhaupt erst publik gemacht hat, ausdrücklich lobend anerkannt. Aber der ORF verschweigt ja auch diesen Urheber der Geschichte total. Wohl weil er über eine Schwarze etwas Positives gesagt hat.

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Die Europäische Heuchlerunion

17. September 2010 09:50 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

 Das Wort von der „Brüsseler Diktatur“ war lange Zeit nur eine übertriebene Formulierung der EU-Skeptiker. In der letzten Zeit gewinnt es aber zunehmend an beklemmender Substanz.

So notwendig, gut und hilfreich die EU als Wirtschaftsgemeinschaft auch war und ist – sie hat jedem Österreich weit mehr Wohlstandsmehrung als den berühmten Ederer-Tausender gebracht – so sehr ist ihre Ausdehnung auf andere Bereiche wie Justiz oder Universitäten eine gefährliche Fehlentwicklung. Gerade auch Freunde des europäischen Gedankens sollten rechtzeitig die Gefahr sehen, dass die Union daran eines Tages zerbrechen könnte.

Typisch für diesen europäischen Neokolonialismus sind etwa die Ausreißer von Viviane Reding, die aber keine Einzelfälle sind, sondern signifikant für das Denken vieler in Brüssel und Strassburg. Denn ihre Attacke gegen Frankreich, in dem sie die Roma-Ausweisung als „Schande“ bezeichnet und mit den Nazis verglichen hat, ist keineswegs der einzige der herrischen Dame aus Luxemburg. So hat sie vor wenigen Tagen auch mit einer zweiten Aussage geglänzt: „Wir wollen keine Völker, die sich der gleichgeschlechtlichen Ehe widersetzen. Falls dies nicht verstanden wird, müssen wir eben eine härtere Gangart einlegen.“ Und im gleichen Atemzug kündigt sie an, auch alle sonstigen Partnerschaften der Ehe gleichzustellen.

Diese Drohungen gegen die Völker Europas haben bisher erstaunlicherweise nur auf etlichen (deutschen) Internet-Seiten einen Sturm ausgelöst. Die klassischen Medien haben das hingegen bisher ignoriert. Offenbar halten sie das erstens für inhaltlich richtig und zweitens für einen passablen Ton einer Kommissarin gegenüber den Mitgliedsländern.

Besonders erstaunlich ist aber, dass die Frau Reding eine Christdemokratin ist. Was freilich nur zeigt, dass sich die Christdemokraten in etlichen Ländern im gleichen Tempo nach links begeben haben, wie ihnen die Wähler zu rechtsliberalen und rechtspopulistischen Parteien davonlaufen. Gerade in Luxemburgs Benelux-Landschaft gibt es genug einschlägige Beispiele. (Freilich auch in Wien: hat doch mittlerweile die unglückliche ÖVP-Spitzenkandidatin Marek soeben bei einer Diskussion mehr Steuergeld für den im Tagebuch vor kurzem kritisierten „Queere Kleinprojektetopf“ zugunsten schwuler Initiativen verlangt!).

Aber kehren wir zurück zur EU-Roma-Problematik. Will uns die EU-Kommission wirklich einreden, dass wir in eine Union gelockt wurden, die jedem Europäer das Recht gibt, in jedem Staat Europas irgendwo auf jedem beliebigen Grund sein Quartier aufzuschlagen und von irgendwelchen jedenfalls nicht versteuerten Einkünften zu leben? Glaubt man wirklich, damit den Europagedanken zu fördern?

Die dabei offenkundig gewordene Heuchelei der Political Correctness ist manchmal unfassbar. Denn bei aller Aversion gegen vieles am politischen Stil des französischen Präsidenten hat er  mit der polemischen Aufforderung an Luxemburg (dessen Regierung ja sofort die „Schande“-Kommissarin unterstützt hat) durchaus recht, doch selbst die Roma-Campers in das Großherzogtum zu holen. Immerhin wird dort das höchste Durchschnittseinkommen der EU verdient. Und dennoch gibt es dort kein einziges Roma-Lager – weil sie von der Luxemburger Polizei viel rascher vertrieben werden als von den bisweilen laxen Behörden Frankreichs oder Italiens.

Interessant ist, dass der erste, der sich öffentlich an die Seite der Franzosen gestellt hat, Italiens Silvio Berlusconi gewesen ist (die einst engsten Alliierten Frankreichs, die Deutschen, taten das zwar auch, aber viel zurückhaltender). Der Mann weiß, wie man sich oft hemmungslos Freunde macht, um dann auch nationale Anliegen durchsetzen zu können. Siehe etwa auch das dicke Lob von Tony Blair für Berlusconi in seinem neuen Buch („Der redet nicht nur, der handelt auch und hält seine Versprechungen“). Siehe Berlusconis Erfolg, Libyen zur Rücknahme der illegalen Einwanderer aus Schwarzafrika zu bewegen (wenn auch um viel Geld für den erpresserischen Diktator, was aber noch immer weniger ist, als die Hunderttausenden „Asylwerber“ aus Afrika kosten).

Österreich hat sich – natürlich – an die Seite der Political Correctness gestellt, deren 27. Gebot ja lautet: Roma sind immer unschuldige Opfer. Was hätte sich nur die Außenpolitik des Landes bei den Franzosen alles an Dankbarkeit zugunsten Österreichischer Interessen einkaufen können, wenn Außenminister oder gar Bundeskanzler oder der gerade mit Belanglosigkeiten durch Brüssel gereiste Bundespräsident  den bedrängten Franzosen zu Hilfe gekommen wären!

Wobei wir die Frage gar nicht stellen wollen, was Österreich täte, wenn sich in seinen Orten Tausende Menschen aus anderen EU-Ländern einfach irgendwo illegal niederlassen. Und wenn dann halt die Alpenrepublik von den heuchlerischen Kritikern an den Pranger gestellt wird.

Und dann wird sich Österreich nicht einmal wie die Franzosen aufplustern können und sagen: So darf man mit einem großen Staat nicht umgehen. Mit einem kleinen bitte auch nicht, wenn Europa keine Diktatur sein will. Und wenn kleine Staaten wie Österreich eine geschickte Außenpolitik hätten.

Freilich: Hinter all dem steht die gern verdrängte Tatsache, dass durch die erfolgten und die vermutlich bevorstehenden EU-Erweiterungen Millionen Roma plötzlich EU-Bürger geworden sind. Das sind Menschen, die insbesondere in Rumänien, der Slowakei und Serbien unter oft drittweltartigen Bedingungen leben. Deren Integration in die Gesellschaft nie geglückt ist, weder unter den Kommunisten noch unter der Demokratie, weder unter linken noch unter konservativen Regierungen.

Was viele Ursachen hat, die sowohl bei den Roma wie auch bei der übrigen Bevölkerung liegen.

Daher sollte man dreierlei sicher nicht tun: Erstens, Rumänien und Co mit dem Problem ihrer Roma wieder wie in den letzten Jahren allein zu lassen; zweitens nach Political-Correctness-Art ständig mit blöden „Rassismus“- oder „Verhetzungs“-Sprüchen so zu provozieren, dass das noch mehr Spannungen schafft und gleichzeitig jeden Druck von den Roma nimmt, sich nicht immer nur ständig als Opfer zu porträtieren, sondern auch selbst tatkräftig an einer Änderung ihrer Lebensumstände mitzuwirken; drittens sollte man überall nach den vielen kleinen Beispielen suchen, wie die Roma-Integration noch am relativ erfolgreichsten erfolgen kann. Auch hier kann zweifellos nur eines gelten: nicht nur fördern, sondern auch fordern.

Blöde Sprüche schaden aber jedenfalls immer und allen: sowohl die „Schande“- und „Rassismus“-Sprüche linker Heuchler wie auch das „Zurück nach Indien“ rechter Scharfmacher.

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SN-Kontroverse: Die Faymann-Bilanz

13. August 2010 02:25 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Unter dem Titel “Kontroverse” gibt es in jeder Freitag-Ausgabe der Salzburger Nachrichten eine Doppelkolumne, in der Katharina Krawagna-Pfeifer und ich jeweils zum gleichen, von der SN-Redaktion vorgegebenen Thema schreiben. Und zwar ohne dass man gegenseitig die Texte vorher kennt.

Diese Woche steht die “Kontroverse” unter dem Titel:

Ist Werner Faymann ein guter Bundeskanzler?

In der Folge finden Sie die beiden – unverändert wiedergegebenen – Kolumnen. Dadurch soll dieser kreativen und spannenden Idee auch hier ein Forum gegeben werden. 

Billiges österreichisches Gesudere

Katharina Krawagna-Pfeifer war Innenpolitikerin der SN, Innenpolitikchefin sowie Leiterin des EU-Büros des “Standard” und SPÖ-Kommunikationschefin. Sie arbeitet jetzt als Publizistin und Kommunikationsstrategin (kkp.co.at).

Österreich ist ein überschaubares Land mit der unausrottbaren Sehnsucht nach der einstigen k&k monarchischen Bedeutung. Man kann dazu auch  Größenwahn sagen und dieser tobt sich heutzutage im politischen Kontext gerne an den jeweiligen Führungsfiguren des Landes aus. Die Maßstäbe für deren Beurteilung sind zwar nicht mehr die k&k Verflossenen, aber ebenso grotesk, weil der Rückgriff auf die „Überväter" der Zweiten Republik häufig auch nicht am Platz ist. So wird jeder SPÖ-Vorsitzende seit Jahrzehnten am „Übervater" Bruno Kreisky gemessen. Leopold Figl und  Julius Raab sind die Projektionsfolien zur Beurteilung von ÖVP-Obleuten. Ausgeblendet wird  gerne, dass die jeweils Handelnden früher auch enorme Schwierigkeiten hatten, ihre Ziele umzusetzen und höchst umstritten waren. Vor allem in Koalitionskonstellationen. 

Dazu kommt, dass die heimische Journaille gerne auf den „großen" Bruder Deutschland schielt und dessen politisches System bei der Beurteilung österreichischer PolitikerInnen anwendet. Speziell bei Regierungschefs. Bei deren Bewertung wird gerne ausgeblendet, dass der österreichische Bundeskanzler KEINE Richtlinienkompetenz hat - anders wie deutsche Regierungschefinnen - und daher keinem einzigen seiner Ministerinnen und Minister etwas anschaffen kann. Österreichs Kanzler sind primus inter pares. Im Ministerrat gilt das Einstimmigkeitsprinzip. 

Wer Werner Faymann als Bundeskanzler beurteilen oder gar jetzt schon  abschreiben will,  schreibt gleichzeitig alle anderen Mitglieder der SPÖ-ÖVP-Koalition nieder. Ohne im einzelnen seine bzw. ihre Leistungen zu beurteilen. Dies noch dazu Mitten in der Legislaturperiode!

Das ist flacher Populismusjournalismus, gestützt auf hastige Meinungsumfragen oder billiges österreichisches Gesudere.  


Von Anfang an verspielt

Andreas Unterberger

Werner Faymann hat schon zu Amtsantritt die Chance verspielt, ein respektabler Bundeskanzler zu werden, als er sich der Kronenzeitung angedienert und EU-Volksabstimmungen versprochen hat. Selbst wenn solche EU-Referenden klug wären, muss seriöse Politik einen so gravierenden Kurswechsel zuerst in Parlament, Regierung und Öffentlichkeit diskutieren. Und nicht per Brief an Hans Dichand mitteilen. 

Genauso peinlich blieb Faymanns restliche Vorstellung. International ist er außer bei der SPD mangels Sprachkenntnissen, mangels Ahnung von Außenpolitik irrelevant.

Ansonsten hat er nur parteiintern gepunktet. Die SPÖ hat er im Griff – weil niemand mehr gegen den Parteichef intrigiert, wie es Faymann selbst gegen Alfred Gusenbauer getan hat. Parteiintern dürfte ihm auch nützen, dass er die konsequentesten Säuberungen im Kanzleramt seit 1945 durchgezogen hat. Siehe etwa die brutale Umfärbung des eigentlich zu juristischer Unabhängigkeit verpflichteten Verfassungsdienstes.

Gut für die Partei, schlecht für Österreich sind auch die Zig-Millionen Euro, die seit Faymann alljährlich zusätzlich an Inseraten auf Steuerzahlerkosten vor allem an Boulevardzeitungen gehen. Dort fällt seither kein kritisches Wort mehr über Faymann; umgekehrt konnten dadurch erfolglose Billigblätter die Krise überleben. Diese an Korruption grenzenden Subventionsinserate übertreffen die gesetzliche und nach objektiven Regeln vergebene Presseförderung um ein Vielfaches.

Am ärgsten ist Faymanns völlige Reformunwilligkeit. Österreich hat als einziges EU-Land trotz Krise keinen einzigen konkreten Sparbeschluss gefällt. Bis nach den Wiener Wahlen im Oktober verweigert Faymann als Wahlhilfe für Michael Häupl auch nur jede ernsthafte Diskussion darüber. Nachher werden dann naturgemäß nur noch Husch-Pfusch-Reformen möglich sein. Wenn überhaupt …

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Ex oriente lux

26. Juli 2010 10:36 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Für Österreich beginnt der Osten, aus dem immer die Sonne und neuerdings immer öfter die Erleuchtung kommt, schon in der Slowakei. In Pressburg/Bratislava zeigt man jedenfalls mehr Mut und rationales Denken als 40 Kilometer weiter im Westen.

Die slowakische Regierung empfiehlt dem Parlament, 800 Millionen für einen europäischen Kredit an Griechenland abzulehnen. Damit ist die Slowakei das erste Euro-Land, das bei den hektischen Milliarden-Verschleuderungsbeschlüssen des heurigen Frühjahrs auszusteigen wagt. Schon für diesen Mut - trotz heftiger Seelenmassage und Drohungen anderer Länder - gebührt den Slowaken Applaus.

Gewiss ist die Lücke nicht so groß, dass sie nicht von den anderen Euro-Partner geschlossen werden könnte. Und gewiss ist auch, dass die Slowakei als noch immer ärmstes Land der Eurozone (obwohl ihr Westen rund um die Hauptstadt schon voll gleichgezogen hat) ein Nein zum Griechenland-Kredit am leichtesten begründen kann.

Aber ebenso gewiss ist, dass auch für Österreicher zumindest eine intensive Debatte über das ganze Projekt am Platz gewesen wäre; aber ein eigenständiges Nachdenken über Außen-, Finanz- oder Europapolitik findet hier ja schon lange nicht mehr statt. Und Faktum ist auch, dass die Mehrzahl der Experten überzeugt ist, dass Griechenland am Ende des Tages seine Schulden keinesfalls zurückzahlen kann. Dass es daher eigentlich grob fahrlässig ist, dem schlechten Geld weiteres gutes Geld Richtung Griechenland nachzuwerfen.

Mindestens genauso nachahmenswert wie dieses Nein zum Geldverbrennen war die Einführung der Flattax durch die Slowaken: Seit sechs Jahren sind dort alle wichtigen Steuern (Einkommen, Körperschaft, Umsatz) einheitlich auf 19 Prozent festgesetzt worden, dafür wurden alle Ausnahmen abgeschafft. Das war nicht nur eine gewaltige Verwaltungsvereinfachung, sondern brachte dem slowakischen Staatshaushalt ein dickes Plus. Aber bei uns in Bagdad diskutierte die SPÖ gerade, ob man den Steuerhöchstsatz von 50 auf 55 oder 60 Prozent erhöhen soll ...

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Und jetzt noch der Stresstest für die Politik

23. Juli 2010 18:52 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Seit Tagen haben wir alle vor ihm gezittert; jetzt haben wir ihn. Und sollten ihn nicht zu ernst nehmen. Denn der Banken-Stresstest sagt nicht viel. Vor allem fehlt der Stresstest für unsere Politik.

Aber auch der Bankenstresstest sagt nicht, was passiert, wenn ein oder zwei oder noch mehr Staaten oder gar der ganze Euro-Raum zahlungsunfähig werden, weil diesen Ländern niemand mehr Geld borgt. Er sagt uns auch nichts, was mit unseren Ersparnissen, unserer Altersvorsorge passiert, wenn sich die Staaten, bevor sie bankrott gehen, in eine Megainflation flüchten. Was ja viel wahrscheinlicher ist als die Zahlungsunfähigkeit.

Zwar könnte die EZB eine Megainflation verhindern - nur sollte man nach der inflationstreibenden Megahilfe für Griechenland nicht allzufest auf die EZB bauen. Auch dort entscheiden Menschen, die sich unter Druck setzen lassen. Auch dort fließen nationale Interessen ein.

Jeder Stresstest ist nur eine Annahme bestimmter negativer Ereignisse. Und dabei wurden leider besonders sichere negative Ereignisse überhaupt nicht berücksichtigt: nämlich den Griff der Staaten in die Banktresore. Dabei rinnt den österreichischen Regierungsmitgliedern schon der Speichel beim Mund heraus, so gierig sind sie auf das Bankengeld.

Wenn dann noch das Basel-III-Abkommen dazukommt, das höhere Eigenkapitalrücklagen verlangt, dann bleibt fast keine Bank ohne zusätzlichen Kapitalzuschuss lebensfähig. Wie nun auch die österreichische Nationalbank zugegeben hat. Was die staatliche Gier aber besonders verwerflich macht.

Die österreichischen Banken können sich jedenfalls freuen, zum Unterschied von etlichen spanischen, griechischen und deutschen Instituten ordentlich durch den Test gekommen zu sein. Gegen die genannten Gefahren sind aber auch sie hilflos.

Da ist es dann besonders widerlich, wenn man gerade einen Aufsatz von Josef Cap lesen kann, der sich wörtlich zu schreiben traut: "In die Pflicht genommen (Anmerkung a.u.: also geschröpft) müssen in erster Linie all jene werden, die die Mitverursacher der Krise waren und bis heute keinen oder nur einen geringen Beitrag leisten, wie etwa Spekulanten, Banken und Stiftungen."

Der Herr Cap ist aber zu keinem einzigen Argument imstande, wodurch etwa die jetzt untersuchten österreichischen Banken oder welche Stiftungen die jüngste Krise verursacht haben. Da gab es einige Ursachen in den USA und die allergrößte Ursache bei den Schuldenmachern in den Regierungen und deren Klubobleuten. Auch in der österreichischen. Da hilft es nichts, wenn die Caps jetzt ganz laut "Haltet den Dieb!" rufen und mit spitzen Fingern auf die Banken zeigen. Statt auf sich selbst. Und damit die Bankwelt endgültig ruinieren.

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Das Ende der Politikerklasse

21. Juli 2010 11:12 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die neueste Umfrage des Imas-Instituts bestätigt das, was das Tagebuch - und viele Kommentatoren des Tagebuchs - in den letzten Tagen sehr deutlich diskutiert haben: Die Österreicher sind reif für ein großes Stück direkter Demokratie. Und die Umfrage zeigt das deutlicher, als man bisher annehmen konnte.

Denn nur noch 14 Prozent halten es "grundsätzlich für besser, wenn die wichtigsten Sachfragen im Parlament, also von den Politikern entschieden werden". Das ist wohl der bisher massivste Vertrauensentzug, den die gegenwärtige Verfassungswirklichkeit und die politische Klasse bisher hinnehmen mussten.

Unter diesen 14 Prozent wird sich überdies zweifellos der Großteil unserer Politiker und der von ihnen abhängigen Apparate befinden. Das sind aber genau jene, die darüber entscheiden, ob es in Österreich direkte Demokratie überhaupt geben darf. Sie sind es freilich nur so lange, als sich die Bürger das gefallen lassen, dass sie von entscheidungsunfähigen und opportunistischen Menschen regiert werden.

Für mehr direkte Demokratie (in der Frageformulierung: "wenn Bürger durch Volksabstimmungen möglichst selbst mitentscheiden") sind hingegen 73 Prozent: 38 Prozent tun dies voll und 35 Prozent zumindest mit der Formulierung "Kommt drauf an".

Und worauf es ankommt, wurde dann mit einer langen Liste von Themen abgefragt. Dabei steht ein Thema ganz an der Spitze: "Bei Entscheidung über Zuwanderung". Hier wollen 52 Prozent aller Österreicher mitbestimmen. Auch bei jenen, die eigentlich dem Parlament die Entscheidungen vorbehalten wollen, ist in dieser Frage fast jeder dritte für ein solches Referendum. Nun, wer nicht die veröffentliche Meinung politisch korrekter Journalisten, sondern auch die öffentliche Meinung der Staatsbürger kennt, der wird das wohl schon lange geahnt haben.

Rot, Grün und Teile von Schwarz ignorieren dieses Thema jedoch. Und wundern sich, dass die Freiheitlichen, die dieses Thema weitgehend als einzige aufgreifen, seit Jahr und Tag erfolgreich sind - trotz der vielen peinlichen Hoppalas und handwerklichen Schnitzer, die ihnen passieren (besonders in letzter Zeit), und trotz der heftigen Denunziation durch die  anderen Parteien und Medien.

An zweiter Stelle der erwünschten Volksabstimmungsthemen liegt mit 46 Prozent der "Bau von Kraftwerken" und an dritter mit 42 Prozent das Pensionsthema und die EU-Rechte. Ist es ein Zufall, dass dieser Prozentsatz für ein EU-Referendum ziemlich genau mit jenem Anteil identisch ist, den die Kronenzeitung am Lesermarkt hat.

Deutlich dahinter folgte eine lange Liste an sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und Schulthemen, bei denen die Menschen mitsprechen wollen.

 

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Die Logik des EU-Parlaments

20. Juli 2010 04:21 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Das Europaparlament wird immer eigenartiger. Jetzt will es die von den Regierungen endlich vereinbarte Finanzaufsicht ablehnen. Mit mehr als seltsamen Argumenten.

Erstens geht den regulierungswütigen Abgeordneten die Aufsicht nicht weit genug – ein seltsamer Grund, um das Projekt überhaupt zu torpedieren. Hat man lieber gar nichts, bevor man nicht alles bekommt?

Und zweitens wollen sie, dass die Aufsicht das Recht bekommen soll, die Staaten zu zwingen, mit viel Steuergeld neuerlich Banken zu „retten“. Während immer mehr Menschen erkennen, dass die Rettungsmanie im vergangenen Jahr langfristig schlimmes Unheil angerichtet hat, während die EU-Kommission Österreich (zu Recht) vorwirft, dass die Rettung der Hypo Alpen Adria ein Fehler war – in diesem Zeitpunkt rufen die populistischen EU-Abgeordneten nach einer verpflichtenden Bankenrettung für die Zukunft. Was bisher oft nur aus Blöd- oder Feigheit geschehen ist, soll also künftig zur Pflicht werden.

Solche Volksvertreter haben wir wirklich gebraucht, die unsere Steuergelder und die unserer Enkeln verjubeln, nur weil sie zu feig sind, Banken, die sich verspekuliert haben, in den verdienten Konkurs zu schicken (und höchstens über Maßnahmen gegen den befürchteten Dominoeffekt nachzudenken).

 

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Von Wien bis Havanna: Lauter gute Nachrichten

14. Juli 2010 02:24 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Das tut bei diesen Temperaturen gut: Reihum stößt man derzeit auf gute Nachrichten. Ob sie nun von der Israelitischen Kultusgemeinde, vom Nationalbank-Präsident Nowotny, aus Paris, von der EU-Kommission, vom Tagebuch oder von der kubanischen Diktatur stammen. Solche Nachrichten machen süchtig: Bitte mehr davon (auch wenn die eine oder andere einen kleinen Wermutstropfen hat).

Da kann man sich über die Freilassung Dutzender politischer Gefangener aus kubanischen Kerkern einfach nur freuen. Der Respekt gebührt freilich weiterhin den tapferen Menschen, die da im Kampf für mehr Freiheit auf viele Jahre ihre eigene Freiheit verloren haben, aber auch ein wenig Spanien und dem Papst, die sich hinter den Kulissen Verdienste erworben haben. Das Regime selber wird freilich noch viel mehr Schritte machen müssen, bis es sich solchen Respekt verdient hat. Das gilt noch viel mehr für die naiven Propagandisten der Castro-Diktatur im Ausland (im Zuge der sommerlichen Hochstimmung verschweigen wir heute, in welcher Wiener Burg prominente Kuba-Propagandisten zu finden sind).

Genauso erfreulich hat die EU-Kommission agiert. Sie will den Arbeitsmarkt ganz gezielt - aber gleichzeitig auch: nur - für zwei Gruppen von Nicht-EU-Bürgern öffnen: für Spitzenkräfte wie Manager und Forscher auf der einen Seite. Und für Saisonniers auf der anderen.

Mit diesem Bekenntnis zu zeitlich befristeten Saisonniers ohne das Recht auf Familiennachzug erteilt die EU auch naiven Kräften in Kirchen und Gewerkschaften eine klare Absage. Denn diese haben sich etwa in Österreich seit vielen Jahren gegen Saisonniers gesträubt - und damit in Wahrheit immer gleich den Zuzug ganzer Clans wegen eines einzigen unqualifizierten Arbeitsplatzes ausgelöst. Obwohl es oft nur um die Tätigkeit als Tellerwäscher geht. Die aber für viele Ausländer durchaus attraktiv ist: Viele von ihnen können sich als Saisonniers damit in sechs Monaten mehr ersparen als daheim in drei Jahren. Also: Warum nicht?

Nationalbankgouverneur Ewald Nowotny wiederum hat sich dicke Lorbeeren verdient, weil er der bisher höchstrangige Österreicher ist, der sich für eine Erhöhung auch des gesetzlichen Pensionsantrittsalters ausgesprochen hat. Was ja zweifellos richtig und - nach dem noch dringenderen Schließen von Hackler- und Invaliditäts-Schlupflöchern -  angesichts der ständig steigenden Lebenserwartung auch notwendig ist. Der Sozialdemokrat Nowotny war bisher der Meister von inhaltlosen und weichgespülten Aussagen gewesen; weshalb man ihm nun doppelte Anerkennung für seinen Mut zollen sollte. Der auch dann zu loben ist, selbst wenn er damit zusammenhängen sollte, dass Nowotny sicher nie mehr zu Wahlen antreten muss. Die Zeit ist jedenfalls reif für klare Worte.

In Paris wiederum hat sich die erste Parlamentskammer wider alle Political Correctness getraut, in großer Einhelligkeit jede Form von Gesichts-Vermummung, darunter auch die gesichtsbedeckenden Schleier mancher Muslim-Frauen, zu verbieten. Besonders positiv: Jene Männer, die ihre - oft drei Meter hinter ihnen herlaufenden - Frauen zu solchen Verschleierungen anhalten, werden noch viel strenger bestraft. In Österreich hingegen wird seit Jahren über so etwas vage nachgedacht, aber dann haben die Regierung und das linksliberal durchsetzte Justizministerium wieder viel zuviel Angst. Und bestrafen lieber Islam-Kritiker.

Überraschend mutig ist auch die Israelitische Kultusgemeinde, die es wagt, den Rücktritt des islamischen SPÖ-Gemeinderats Al-Rawi zu fordern, der ja seine politische Funktion seit langem in skandalöser Weise immer untrennbar mit der eines Agitators der islamischen Glaubensgemeinschaft vermanscht. Bis hin zur finanziellen Unterstützung für terroristische Organisationen. Man darf gespannt sein, wie die SPÖ reagiert. Ob sie im Wahlkampf ein Signal gegen die radikalen Teile unter den Moslems zu setzen wagt und auf den Mann verzichtet. Oder ob sie nur dann gegen Antisemitismus ist, wenn sie damit parteipolitische Konkurrenten attackieren kann.

Auffällig ist freilich, dass die mutige Aussendung von der Kultusgemeinde stammt - und nicht wie üblich von deren Präsidenten Ariel Muzicant. Dieser ist ja immer am ganz linken Rand der Politik unterwegs (gewesen?) und hat auch alle Multikulti-Inszenierungen mitgemacht, die unter dem mehr oder weniger ausgesprochenen Motto standen, alle Religionen seien lieb und friedlich. Und es gibt offensichtlich keine Religion, in der von vielen Stimmen ständig zum Heiligen Krieg, zur Vernichtung des Judenstaates und zur Solidarität mit Terroristen aufgerufen wird.

Ach ja: Ein klein bisschen Freude macht dem Tagbuchautor auch die Tatsache, dass die Umstellung dieses Blogs auf ein komplett neues Programm halbwegs über die Bühne gegangen ist - auch wenn es genug Probleme mit dem ß und den Umlauten gegeben hat und gibt. Der persönliche Dank des Tagebuchschreibers jedenfalls gilt dem in den letzten Tagen fast rund um die Uhr werkenden EDV-Team. Es war für einen kleinen Blog ein gewaltiges Unterfangen, ein fast komplett neues Programm zu entwickeln.

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Was China wirklich will und alle ignorieren

11. Juli 2010 04:23 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Europa blickt seit Jahrzehnten auf den Mittleren Osten, auf die Atomgefahr Irans; der Islamismus und der israelisch-palästinensische Konflikt nehmen fast die ganze Aufmerksamkeit der Medien in Anspruch. Sofern sie halt überhaupt noch irgendwelche über Wulkaprodersdorf hinausgehende Perspektiven haben.

Hingegen wird fast nirgendwo das wahrscheinlich für das neue Jahrhundert bestimmende Match zweier Großmächte thematisiert. Es handelt sich um jenes zwischen China und den USA. Was macht China so gefährlich? Kann China überhaupt noch eingehegt werden? Die Fakten: China hat 1.35 Milliarden Einwohner; trotz der „Ein-Kind-Politik“  wächst die Bevölkerung jährlich um Millionen. China ist eine Nuklearmacht mit einer 2,2 Millionen Mann starken Volksbefreiungsarmee, die ständig modernisiert wird. Die Wachstumsraten lagen selbst im Jahr der Krise bei acht Prozent, derzeit sind es wieder zehn. China gibt bald mehr für seine Verteidigung aus als alle Staaten der EU zusammen. China will weg von seiner Rolle als Werkbank der Welt. Es investiert daher große Summen in das für den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt notwendige Knowhow. Freilich, auch China hat gewaltige Probleme. Seine Minderheitenpolitik und die  brutale Verweigerung sozialer Mindeststandards könnten sich in Unruhen entladen. Diesen dürfte die Volksbefreiungsarmee aber gewachsen sein. Ein weiteres Megaproblem ist die Umweltverschmutzung in gigantischem Ausmaß. Diese belastet China auch finanziell, Ressourcen wurden nachhaltig zerstört. Dies alles dürfte aber Chinas Aufstieg nicht  stoppen. Viele (vor allem europäische) Analysten glauben an Chinas Gerede von einer „Harmonischen Weltordnung“. Aus diesem von Peking oft propagierten Begriff ziehen sie den Schluss, dass China durch seine enge wirtschaftliche Vernetzung mit dem Westen in eine kooperative Weltordnung einzubinden sei und dass daher schwere Konflikte mit dem Westen vermieden werden könnten. Die europäischen Außenpolitiker sehen zwar, dass der chinesischen Führung die "Einheit“ und „Unversehrtheit“ viel wert ist, sie messen diesen Kategorien aber kaum Bedeutung zu. Den Europäern sind „Nationalismus“, „Nationalstolz“ oder auch „Ideologie“ als Kategorien, welche die Handlungsweise eines Staates beeinflussen, fremd geworden. Die Kraft und Bedeutung dieser Ideen zu ignorieren ist aber ein großer Fehler. Dieser Fehler entsteht aus dem Glauben der Europäer, dass in einer Welt, in der nur noch Handelsmächte existieren, keine Kriege mehr geführt werden. Handelsnationen seien friedliche Nationen. Doch diese Denkweise ist naiv. Chinas Nationalstolz, seine Verknüpfung von wirtschaftlicher und stetig steigender militärischer Macht, sein Wunsch nach dem Status einer Weltmacht, die den pazifischen Raum beherrscht, seine Politik gegenüber Taiwan, Chinas Streben, die Niederlagen der Vergangenheit wieder gut zu machen, das aktive Bestreben nach wirtschaftlicher Führung (und nicht nur Werkbank zu sein): All dies ist traditionelle Machtpolitik. Da kann China mit Taiwan wirtschaftlich noch so verbunden sein: Sobald China zulässt, dass Taiwan zum Vorhof der USA wird, glaubt es an Glaubwürdigkeit als Führungsmacht des asiatischen Raumes zu verlieren. China weiß, was Europa nicht mehr weiß: Macht setzt sich zusammen aus wirtschaftlicher Unabhängigkeit und militärischer Stärke. Und China ist im Gegensatz zu Europa bereit, beide Sektoren weiter voranzutreiben. Wer könnte sich einem militärisch starken, ja übermächtigen, China auf Dauer wirtschaftlich widersetzen? Will Europa nicht restlos in der globalen Bedeutungslosigkeit versinken,  sollte es die Welt so sehen wie sie ist, sonst läuft Europa Gefahr in einigen Jahrzehnten  die „Werkbank der Welt“ zu werden. Oder bestenfalls der Hotelportier für asiatische Touristen.

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HAA: Zumindest die EU und das Tagebuch sind sich einig

09. Juli 2010 03:32 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Heute erlaubt sich das Tagebuch ein wenig Eitelkeit. Denn die EU-Kommission ist nun haargenau zu dem gleichen Schluss wie das Tagebuch gekommen: nämlich in Hinblick auf die Kärntner Hypo Alpen Adria. Nur liegen da sieben wertvolle Monate dazwischen. Wie das meist ganz gut informierte "Format" nun aus Brüssel berichtet, wirft die EU-Kommission dem Finanzministerium und der Finanzmarktaufsicht vor, die Perspektiven der HAA unrealistisch positiv eingeschätzt zu haben. Österreich hätte statt der Rettung auf Steuerzahlerkosten eine Liquidation des Instituts in geordneten Bahnen in Erwägung ziehen müssen. Bei der "geretteten" HAA sind nach Ansicht Brüssel mehr als zwei Drittel der Kredite ausfallgefährdet. Die Qualität der Vermögenswerte verschlechtere sich immer noch weiter, sagt die EU. Jetzt steht Österreich ziemlich belämmert da: Denn es droht die nachträgliche Rückabwicklung der Bank. Mit anderen Worten: Die HAA könnte trotz der vielen inzwischen dort schon ausgegebenen Steuergelder doch noch liquidiert werden. Was heute natürlich viel teurer wäre, als wenn man es Ende 2009 in geordneter Form getan hätte. Eine solche geordnete Liquidation ist im übrigen mancherorts längst schon Alltag: Etwa in den USA hat sie in den letzten Jahren bei mehr als hundert Banken stattgefunden. Die Bundesregierung hat jedoch 2009 davor gebangt, dass mit der von Jörg Haider & Co ins Elend geführten Bank auch das Land Kärnten pleite gehen würde. Das mit insgesamt 18 Milliarden für die HAA  haftet. Jedoch: Eine solche Pleite eines Bundeslands ist gewiss nicht lustig, aber noch immer viel besser als eine Gefährdung der Republiksfinanzen selber. Die Kreditwürdigkeit des Bundes selbst könnte ohnedies am Ende des Jahres 2010 noch kräftig ins Wanken kommen, wenn die Regierung nicht imstande sein sollte, ein wirklich für alle Gläubiger glaubhaftes Sparpaket vorzulegen. Österreich wird dann ohnedies schon das letzte Land der EU sein, dass Sparbeschlüsse vorlegt. Dennoch treten im ORF schon die ersten "Experten" auf, die mit krausen Argumentationen die Sparnotwendigkeiten anzweifeln. Motto: Die anderen mögen sparen, du glückliches Österreich prasse. Im Falle eines Konkurses in Kärnten hätte die Republik sicher etliche Kosten etwa für das Spitalspersonal übernehmen müssen. Aber keineswegs alle 18 Milliarden. Denn es steht nirgends, dass der Bund für die Budgets der Bundesländer haftet. Ein solcher Konkurs hätte dann aber vor allem alle Landesfürsten zwischen Wien und St. Pölten künftig von ihrer Verschwendungspolitik abgebracht. Was sehr heilsam gewesen wäre. Und Österreich viel ersparen würde. Jetzt zur Tagebuch-Eitelkeit: Wer am 30. November und am 14. Dezember 2009 das Tagebuch gelesen hat, der hätte hier schon damals eine zur jetzigen EU-Position fast deckungsgleiche Argumentation lesen können. Damals wurde für die HAA eine Insolvenz als "bewährtes und klares Institut", ein "geordnetes Zusperren der Bank" empfohlen. Anstelle der von den meisten Printmedien bejubelten "Rettung". Hinter dieser Empfehlung steckt weder Geheimwissen noch nobelpreisverdächtige Klugheit. Sie war lediglich die Anwendung der Grundrechnungsarten und die Nichtverwendung einer parteipolitischen Feigheits-Brille. Beides ist aber offenbar eine Überforderung der heimischen Parteien. Und zwar aller.

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Skandal Europarat: Abschaffen!

20. Juni 2010 04:05 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Er ist ein Relikt aus den unmittelbaren Nachkriegstagen. Heute aber ist er zu einem Terrorinstrument für die Diktatur der Political Correctness geworden, wo einige Linksradikale eine absurde Resolution nach der anderen durchbringen. Der größte Skandal aber ist: Bei den Abstimmungen im Europarat ist meist nur eine winzige Minderheit anwesend. Die anderen haben sich zwar nominieren lassen und kassieren für die Anreise ihre Diäten. Bis zur Abstimmung aber sind sie längst wieder weg. Weil es eh nicht auffällt, weil sich eh kein Journalist um dieses Gremium kümmert. Der Europarat und seine parlamentarische Versammlung sind nicht zu verwechseln mit dem EU-Parlament, auch wenn sie im gleichen Gebäude in Strassburg tagen. Er ist auch etwas anderes als die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), bei der ebenfalls schon längst die Kurve ihrer Existenzberechtigung steil nach unten gegangen ist. Er hat viel mehr Mitglieder als die EU, wird aber kaum von jemandem wahrgenommen. Obwohl sein Apparat viel kostet. Seit dem Beschluss der Europäischen Menschenrechtskonvention unmittelbar nach dem Krieg hat er aber nichts Positives mehr zustandegebracht. Er gehört daher längst abgeschafft - was umso notwendiger wäre, als praktisch all seinen Mitgliedern finanziell das Wasser bis zum Hals steht. Freilich ist es lediglich der mutige tschechische Präsident Vaclav Klaus, der es wagt, die Abschaffung einiger im Laufe der Jahre überflüssig gewordener internationaler Vereine zu verlangen. Aber gegen die Phalanx der reisenden Abgeordneten, sowie der Diplomaten und internationalen Beamten mit hohen Salären und Steuerbegünstigungen hat die Stimme der Vernunft keine Chance. Auch der österreichische Außenminister ist eher bereit, die Entwicklungshilfe zu kürzen, als ähnlich wie Klaus einen mutigen Vorschlag zu machen. In den nächsten Tagen steht im Europarat wieder ein besonders absurder Text zur Abstimmung an. Eine radikale Schweizer Sozialistin hat ihn entworfen. Er richtet sich gegen das angebliche verzerrte Frauenbild der Medien: Frauen würden in diesen nur als Sexobjekt, als minderwertig oder als Mutter dargestellt. Dass die Schweizer Sozialisten mit solchen Politikern nie auch nur in die Nähe einer Mehrheit gekommen sind, ist leicht nachvollziehbar. Schon schwerer verständlich ist, in welche Kategorie die Dame selbst mediale Berichte über Angela Merkel, Hillary Clinton oder die EU-Außenministerin Catherine Ashton (oder auch die Schweizer Außenministerin, die aus ihrer eigenen Partei kommt) einordnet. Noch absurder ist, dass die Dame mit dieser Darstellung die unbestritten ungustiöse Pornographie mit Berichten über Mütter auf eine Ebene stellt (wo auch immer sie außerhalb des Muttertags solche Berichte gefunden haben mag). Welcher Hass gegen die traditionelle Familie muss da drinnenstecken! Eine Steigerung der Absurdität stellt die Tatsache dar, dass der Europarat mit einem solchen Text massiv gegen die einst von ihm selbst in der Menschenrechtkonvention verankerte Meinungs- und Pressefreiheit verstößt. Der absolute Gipfelpunkt ist aber noch nicht erreicht: Die Sozialistin will wirklich die Verwendung des Wortes "Mutter" verbieten. Und hat gute Chancen, dafür eine Mehrheit zu finden. Wer das für einen üblen Scherz hält, der soll den Schweizer Leitfaden für die politisch korrekte Sprache mit 192 Seiten anschauen. Dort wird tatsächlich schon "Mutter" und "Vater" als angeblich diskriminierend verpönt und die Verwendung von "Elter 1 und 2" für den amtlichen Gebrauch vorgeschrieben. Die Schweiz hat zum Glück das Instrument des Referendums, also wird dort dieser Unsinn einer von linken Politikerinnen geleiteten Behörde wohl bald im Kuriositätenkasten der Geschichte verschwinden. Im Europarat hat er hingegen gute Chancen durchzugehen. Was zur Folge haben wird, dass in absehbarer Zeit eine ahnungslose Justizministerin einen Gesetzesvorschlag ins Parlament einbringen wird, der sich auf den Europarat beruft (obwohl dessen Resolutionen eigentlich nicht verpflichtend sind). So wie dieselbe Ministerin heuer ebenfalls unter Berufung auf solche skurrilen internationalen Beschlüsse dem Nationalrat ein Gesetz zur Abstimmung vorlegt, dass das Verächtlichmachen von Kommunisten, Nationalsozialisten oder Islamisten (und vielen anderen Gruppen) mit zwei Jahren Haft bestrafen will. Wie kann das bitte eine Mehrheit finden, wo doch europaweit die Parteien rechts der Mitte eine klare Mehrheit gegen den rotgrünen Untugendterror bilden? Ganz einfach: Diese interessieren sich viel zu wenig für solche Themen. Und wundern sich nachher, welche Folgen ihr Desinteresse hat. Ein gutes Beispiel war vor wenigen Wochen eine ähnlich linke Resolution zum Thema Schwule. Diese forderte alle möglichen Rechte bis hin zum Adoptionsrecht eines schwulen Partners für das Kind des anderen und strenge Bestrafung für diskriminierende Äußerungen über Schwule. Bei der Abstimmung über diesen Text waren aber nur sage und schreibe 70 der 636 Europarats-Abgeordneten anwesend, und 50 haben dafürgestimmt. Und die Österreicher? Da hat von sechsen nur einer überhaupt mitgestimmt, nämlich der ÖVP-Mann Franz Kühnel, der Fritz Neugebauer vertrat (und der zu seiner Ehre gegen die Resolution gestimmt hat). Es fehlten beide Sozialisten, sowie der blaue Martin Graf, der schwarze Karl Donabauer und der hellblaue Peter Mitterer (FPK). Was die Drei und ihre Parteien aber nicht hindert, sich daheim als wackere Vorkämpfer der Familien auszugeben. Man darf gespannt sein, welche Ausreden die Herren haben werden, wenn das Elter eingeführt wird. Und sie wieder einmal geschwänzt haben.

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Der Rücktritt eines Dünnhäutigen

31. Mai 2010 15:02 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Hat Horst Köhler eine zu dünne Haut? Ist ihm Unrecht widerfahren? Hatte er selbst in einem Interview einen Fehler begangen? Oder steckt da etwas ganz anderes dahinter als die Debatte über seine Äußerung zum Einsatz deutscher Soldaten im Ausland? Jedenfalls ist der plötzliche Rücktritt des deutschen Bundespräsidenten extrem brisant - und ungefähr das Letzte, was die Bundesrepublik in diesen Stunden braucht, da die Finanzkrise Deutschland auch eine schwere politische Krise beschert hat. Jedenfalls klingt Köhlers Begründung eigenartig: Er vermisse den notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt. Nun: Die Zeiten der Monarchie sind vorbei, und selbstverständlich muss es möglich sein, auch einen Bundespräsidenten scharf zu kritisieren. Die SPD hatte Köhler zuvor heftig attackiert. Dieser hatte in einem Interview gesagt, ein Land mit einer so starken Außenhandelsorientierung wie Deutschland müsse wissen, "dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen." Das war von den Linksparteien sofort mit dem Afghanistaneinsatz in Verbindung gebracht worden - obwohl gerade dort niemand ernsthafte wirtschaftliche Interessen hat. Der Köhler-Satz bestätigte aber perfekt das marxistische Weltbild, wonach Kriege nur aus ökonomischen Interessen angezettelt werden. Eine These, die sicher bei vielen Kriegen nicht stimmt. Die aber sicher nicht prinzipiell falsch sein muss. Wenn ein Land durch fremde Mächte vom Welthandel abgeschnitten wird, sodass Hunger und Not drohen, dann muss es irgendwo einen Punkt geben, wo ein Recht zu Gegenmaßnahmen entsteht. Zumindest muss darüber diskutiert werden. Wie auch immer. Der Rücktritt ist für Angela Merkel eine Katastrophe, nachdem die Nordrhein-Westfalen-Landtagswahlen ihre Machtposition in der Bundesversammlung empfindlich geschwächt haben, die ja den deutschen Bundespräsidenten zu wählen hat. Gleichzeitig fällt aber auch auf, dass der Köhler-Rücktritt nur wenige Tage nach dem Rücktritt des hessischen Ministerpräsidenten Koch erfolgt ist. Köhler wie Koch nennen ganz andere Gründe. Dennoch erscheint es dem Tagebuchautor durchaus logisch, wären beide Rücktritte im seltsamen Verhalten Merkels in der Finanzkrise begründet. Da hat die Bundeskanzlerin ja massivem Druck aus Frankreich, den USA und etlichen Schuldnerstaaten  nachgegeben, dass - vereinfacht ausgedrückt - die Europäische Zentralbank und der deutsche Steuerzahler zur Rettung der verschuldeten EU-Staaten ausrücken müssen. Das war - zumindest nach Ansicht vieler - ein glatter Rechtsbruch. Das wird vor allem Deutschlands wirtschaftliche Zukunft (und die Österreichs übrigens auch) massiv belasten. Das ist daher in Deutschland und insbesondere in weiten Kreisen der CDU/CSU total unpopulär. Das ist seit wenigen Stunden noch unpopulärer, seit die Deutsche Bundesbank vehement gegen den Ankauf griechischer Staatsanleihen durch die EZB protestiert hat. Auf diesem Weg bekommen vor allem die französischen Banken (Griechenlands Hauptgläubiger) elegant ihre riskanten Griechenland-Papiere los. Während die deutschen Banken dem Finanzminister garantiert hatten, keine griechischen Anleihen zu verkaufen. Damit steht Deutschland nun doppelt als belämmert und über den Tisch gezogen da. Irgendwie würde das alles viel besser den aufsehenerregenden Doppelrücktritt erklären als der Ärger über Kritik der Opposition.

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Einer der ganz Großen

25. Mai 2010 11:56 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Silvius Magnago war für mich nicht nur jener Politiker, mit dem ich immer die längsten Gespräche hatte, kam man doch unter zweieinhalb Stunden bei ihm nie weg, so ausführlich erklärte er immer seine Politik. Er war aber auch jemand, der mehr als viele der Geehrten den Friedensnobelpreis verdient hätte. Das sollte halt nicht sein. Aber die Leistung bleibt. Über jenen Preis muss man ohnedies nicht mehr viel Worte verlieren. Mit der Würdigung für einen US-Präsidenten im ersten Dienstjahr, der außer ein paar brillanten Reden noch nichts für den Frieden Relevantes zustandegebracht hat, für einen ehemaligen US-Vizepräsidenten, der mit Panikmache, mit Filmen und Büchern voller Unwahrheiten blendende Geschäfte macht, oder für nordvietnamesische Diktatoren, vor denen Hunderttausende auf lebensgefährliche Weise geflohen sind, hat sich der Preis längst total diskreditiert. Die Nichtverleihung des Preises ändert aber nichts an der Größe des Lebenswerks Magnagos. Der große, hagere, nervenleidende Beinamputierte ist nun mit 96 Jahren gestorben. Den Erfolg seiner Politik hat er in den Jahren seiner Pension miterleben können. Er hat es verstanden, ein großes Unrecht nationalistischer Sieger-Willkür - nämlich die Abtrennung Südtirols gegen den Willen praktisch der gesamten Bevölkerung - in einen friedlichen Ausgleich zu verwandeln, der aus Südtirol heute ein stabiles, ein reiches Land gemacht hat, in dem die deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler immer mehr, die künstlich in den Norden transferierten Italiener wieder langsam weniger werden. Magnago hat mit der Südtirol-Lösung einen blutigen und hasserfüllten Konflikt im Herzen Europas entschärfen können, der mit Dutzenden Bombenanschlägen und etlichen Todesopfern - durch "deutsche" Bomben wie durch "italienische" Folter - für Österreich jahrzehntelang eines der dominantesten außenpolitischen Probleme gewesen ist. Niemand kann sich heute vorstellen, dass das Wiener Parlament in den ersten Monaten nach dem Krieg seine erste Energie dafür verwendet hat, das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol zu fordern. Noch vor dem Kampf um den Staatsvertrag. Das ist eine Forderung, auf die weder Österreich noch Magnago bis heute jemals verzichtet haben. Das Geniale an der von ihm - und hervorragenden österreichischen wie italienischen Diplomaten und Politikern (Moro, Steiner, Tschofen, Riz, aber auch Kreisky und Waldheim) - entworfenen Lösung: Man lässt die für Italien nicht akzeptable Sezessions-Forderung zwar aufrecht, handelt aber ein für die Südtiroler so vorteilhaftes Regelungspaket aus, dass diese auf die Forderung langsam vergessen. Österreichs EU-Beitritt und der Schengen-Vertrag haben dann die Brenner-Grenze endgültig unbedeutend gemacht. Das ist ein für Puristen schmerzhafter Kompromiss gewesen. Aber er funktioniert und hat heute ein Ausmaß an Selbstverständlichkeit erlangt, dass ihn nur noch Außenseiter  zu bekämpfen wagen. Das Selbstbestimmungsrecht bleibt seither ein theoretischer Anspruch, er ruht gleichsam in einer Glasvitrine: er ist dort sichtbar, aber er wird nie herausgenommen. Dennoch war auch der Kampf der Südtiroler Bombenleger - der von Bruno Kreisky über Fritz Molden bis Gerd Bacher hierzulande eine klare, wenn auch heimliche Unterstützung erfahren hatte - nicht umsonst. Höchstwahrscheinlich haben erst sie die italienische Kompromissbereitschaft herbeigebombt. Der Kern der von Magnago entwickelten Lösung war eine hochentwickelte Autonomie, zusammen mit den Prinzipien Doppelsprachigkeit und ethnischer Proporz. Jeder Staats- und Landesbeamte in Südtirol muss beide Sprachen beherrschen. Öffentliche Posten und Sozialwohnungen werden nach dem jeweiligen Anteil der Sprachgruppen aufgeteilt. Das widerspricht zwar ein wenig dem EU-Prinzip der Freizügigkeit. Das hat aber die bedrohliche Politik der italienischen Christdemokraten aus den 50er und 60er Jahren beenden können: Sie haben mit der fast exklusiven Vergabe von Jobs und Wohnungen an nach Norden geholte Süditaliener das erreichen wollen, was manche mit dem verpönten Vokabel Umvolkung bezeichnen. Hätte Rom diese Politik noch ein oder zwei Jahrzehnte fotsetzen können, dann wäre aus einem am Beginn des Jahrhunderts fast rein deutschsprachigen Gebiet ein mehrheitlich italienisches Territorium geworden. So wie es ja schon die Städte Bozen und Meran sind. Dass Magnago es daneben geschafft hat, die Südtiroler in einer bis heute funktionierenden Sammelpartei zusammenzufassen, war zwar fast ebenso schwierig, verblasst aber hinter der Gesamtleistung des immer so kränklich wirkenden Mannes. Uns hat ein ganz Großer verlassen.

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Niemand will nach Griechenland

22. Mai 2010 04:39 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Da staunen die Griechen. Und jammern. Dabei war es vorhersehbar wie das Amen im Gebet: Jetzt bricht auch noch der Tourismus ein, also eine der wichtigsten Einnahmequellen der Nation. Was haben die wackeren Hellenen eigentlich anderes erwartet? Täglich Bilder von wilden Demonstrationen und täglich böse Verbalattacken auf das europäische Ausland, weil dieses sich nicht eilfertig und devot genug beim Transport von Milliarden nach Griechenland erwiesen hat: Haben die Griechen da wirklich angenommen, dass das viele Nordeuropäer zur Anreise motivieren wird? Dabei ist das Land ohnedies schon seit Jahren alles andere als eine Billig-Destination. Die ständig über dem europäischen Schnitt liegenden Lohnerhöhungen haben alle Preise steil nach oben getrieben. Binnen zehn Jahren haben sich die Griechen ja fast 30 Prozent mehr gegönnt, waren die griechischen Gewerkschafter um so viel "erfolgreicher" als die deutschen. Und jetzt sind die Touristen so frech und wollen diese Erfolge nicht bezahlen. Und wenn sie, beziehungsweise ihre Staaten, beschimpft werden, schon gar nicht. Da nutzt es auch wenig, wenn heuer plötzlich die Preise für Griechenlandurlaube erstmals wieder ein wenig zu sinken beginnen. Da nutzt es auch wenig, dass Griechenland überwiegend sehr schön ist und die Menschen abgesehen von ihren nationalistischen Marotten und wirtschaftlichen Traumvorstellungen sehr nett. Es geht im Grund immer um dieselbe Tatsache: Wer an die sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Lüge glaubt, dass man sich durch Kampfmaßnahmen ein größeres Stück vom Wohlstand erringen kann, als man durch mehr Leistung, Kreativität, Technologie geschaffen hat, der fällt langfristig immer auf die Nase. Freilich sind die Griechen da nicht alleine. Bis auf ein paar Oststaaten ist überall der gleiche Fehler begangen worden. Auch in Deutschland. Dort versucht wenigstens die Bundeskanzlerin nun ihr Land auf drastische Sparmaßnahmen einzustimmen. "Deutschland hat Jahrzehnte über seine Verhältnisse gelebt", hat sie den Teilnehmern des Kirchentages in München zugerufen. Das zeugt nach der fast irreversiblen Dummheit der Griechenlandhilfe immerhin von Lernfähigkeit und später Ehrlichkeit. Wann bekommen wir in Österreich einmal einen ehrlichen und lernfähigen Regierungschef? Wahrscheinlich noch später als die Griechen . . .

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Europa neu bauen - aber wie?

18. Mai 2010 02:01 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Ist Europa am Ende? Als ich vor ein paar Monaten eine Studie verfasst habe, die in vielen Punkten eine Fehlkonstruktion der EU aufgezeigt hat, ist man noch mancherorts über mich hergefallen. Seit Griechenland sind hingegen auch viel begeisterte Europäer extrem skeptisch geworden. Fast niemand glaubt mehr an das Gelingen Europas. Was mich mit Schmerz erfüllt. Bin ich doch überzeugt, dass ein gut konstruiertes, starkes Europa uns allen nutzen würde. Wir sollten nur daran gehen, Europa komplett neu zu konstruieren. Es kann einfach nicht sein, weil die deutsche Bundeskanzlerin unter dem allseitigen Druck in die Knie geht, dass dann die größten Absurditäten passieren können. Natürlich haben die Propagandisten recht, die sagen, ohne das 750-Milliarden-Schulden-Paket würden die nächsten Wochen sehr schlimm. Nur sagen sie eines nicht: Mit diesem Paket wird es noch viel schlimmer werden, wenn auch nicht in den nächsten Wochen, sondern innerhalb weniger Jahre. Wie müsste das neue Europa aussehen? Nun, eine solche Frage in einem einzigen Internet-Blog abzuhandeln, wäre vermessen. Aber einige Eckpunkte sind klar zu skizzieren: 1. Gleiches Recht für alle. Es kann nicht sein, dass die Deutschen am meisten zahlen und pro Kopf am wenigsten Stimmrechte in Rat und Parlament haben. Es kann nicht sein, dass EU-Beamte weniger Steuern zahlen und mehr verdienen als sonstwo ein Spitzenbeamter. 2. Gleiche Pflichten für alle. Es kann nicht sein, dass sich die einen vor unangenehmen Aufgaben drücken, wie etwa die Österreicher durch die Neutralität. 3. Eine absolut wirksame Schuldenbremse für steuerfinanzierte Haushalte auf allen Ebenen. Regierungen, die sich verschulden, werden abgesetzt; ihre Mitglieder müssen aus jedem politischen Amt ausscheiden. Und wenn die Nachfolger wieder dasselbe tun, übernimmt ein EU-Kommissar die Verwaltung. 4. Wer anschafft, muss auch zahlen. Das gilt für die Gewerkschaftsbonzen in der Sozialversicherung genauso wie für Länderfürsten oder griechische Regierungen. Umgekehrt heißt das aber auch: Die EU muss die regionalen Autonomien respektieren. 5. Europa beschränkt sich auf die Sicherung eines absolut freien Binnenmarktes, auf Außenpolitik und Verteidigung. Das heißt aber auch Übergabe des französischen und britischen UNO-Sicherheitsratssitzes an eine gemeinsame EU-Außenpolitik. 6. Die Degeneration der EU zu einer Political-Correctness-Agentur wird rückgängig gemacht. All diese Fragen werden subsidiär entschieden, ebenso wie die Wohlfahrtsausgaben. 7. Zuwanderung und Asyl  gibt es nur, wenn eine Kommission mit Vertretern aller Länder zustimmt. 8. Es gibt keine Kohäsions-, Struktur- und sonstige Subventionen, die einem Staat länger als fünf Jahre gewährt werden. 9. Die Landwirtschaft muss nach einer Übergangsphase von fünf Jahren subventionsfrei auskommen, ebenso wie die restliche Wirtschaft. 10. Keine Bank oder Körperschaft darf mit Steuermitteln von anderen gerettet werden. Steuermittel gibt es nur, um die Folgen eines Dominoeffekts teilweise - nicht gänzlich! - abzumildern. Total utopische Vorstellungen? Natürlich. Aber noch viel utopischer ist die Illusion, dass die jetzige Konstruktion in irgendeiner Weise zukunftsfähig sein kann.

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Israel ist Europa

16. Mai 2010 04:44 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Wer in den letzten Jahren auch nur einen positiven Satz in Hinblick auf Israel formuliert hat, stößt meist auf blankes Unverständnis. Nicht nur links und rechts, sondern auch in der politischen Mitte. Und selbst die linksgestrickte Wiener Kultusgemeinde engagiert sich überhaupt nicht für Israel. Zumindest bekommt man immer wieder zu hören: Kritik an Israel müsse doch erlaubt sein. Ja, natürlich; jede Kritik muss erlaubt sein und ist auch gut. Was derzeit aber auf Israel einprasselt, hat vielleicht mit legitimer Kritik begonnen, wächst sich aber mittlerweile zu einer Bedrohung aus, die am Ende nicht nur Israel untergehen lassen könnte, sondern auch den Westen selbst fundamental bedroht. Der Westen, das sind in erster Linie auch wir Europäer, wenngleich man das mangels einer Europäischen Außen-, Sicherheits- oder Verteidigungspolitik manchmal zu vergessen scheint. Die Rolle der EU in Nahost, dem gefährlichsten Krisenherd der Welt, ist jedenfalls kaum eine Fußnote wert. Die derzeitige Politik Europas im Nahen Osten kann mit Appeasement umschrieben werden. Die Drecksarbeit, nämlich notfalls auch militärisch vorzugehen, überlässt man seit eh und je den geschmähten Amerikanern. Vor diesem Hintergrund ist die „Obama-Mania“ in Europa übrigens noch weniger nachzuvollziehen, hat doch der amerikanische Präsident die Truppen in Afghanistan massiv aufgestockt und den Verteidigungsetat der USA weiter erhöht. Obama weiß nämlich: Mit einer Appeasement-Politik, wie sie die europäischen Pazifisten betreiben, geht man unter. So chancenlos auch das Afghanistan-Engagement in seiner jetzigen Form sein dürfte. In der europäischen Rhetorik hingegen werden die Islamisten der Hamas zu „Widerstandskämpfern“, anstatt sie als das zu benennen, was sie sind, nämlich Terroristen. Es wird vergessen, dass auch unsere Sicherheit durch Islamisten vom Schlage der Hamas bedroht wird. Wer sich fragt, warum das Überleben Israels im europäischen Interesse ist, warum Israel oft Härte zeigen muss, der sollte sich fragen, was die Alternative dazu ist. Israel ist die einzige Demokratie im gesamten Nahen Osten, die diesen Namen verdient. Rund um Israel finden wir entweder autoritär regierte Länder wie etwa Syrien (das einen gefährlichen Flirt mit dem Iran praktiziert) oder Ägypten. Auf der anderen Seite stehen islamistische Regime wie Saudi-Arabien und die Islamische Republik Iran. In Syrien konnte Assad Vater eine islamistische Revolte nur durch den massiven Einsatz militärischer Gewalt abwehren. In Ägypten sieht sich Mubarak dem Druck der radikalen Muslim-Bruderschaft ausgesetzt. Es ist gar nicht auszudenken, was geschähe, fiele auch Ägypten in die Hände dieser Islamisten. Es ist irgendwie erstaunlich, wie klein inzwischen die Minderheit geworden ist, die bei Gesprächen über Israel auch diese Zusammenhänge mit berücksichtigt. Natürlich müsste aber auch die historische Verantwortung für das Schicksal der europäischen Juden zu einer Unterstützung Israels führen. Aber primär liegt Israels Überleben im vitalen Eigeninteresse der europäischen Staaten. Denn nicht nur dem Judenstaat, sondern auch den Israelis droht die Vernichtung, wenn es nach den Islamisten geht. Wie sie auch immer klar genug sagen. Und niemand soll sich Illusionen machen, dass dieser Islamismus nach einer Vernichtung Israels die Europäer verschonen wird. Hat sich doch bei einem Untergang Israels gezeigt, dass eine moderne westliche Demokratie besiegbar ist. Dann werden sich aller Hass, aber auch alle Begehrlichkeit und der ganze  islamische Expansionsdrang auf die Länder nördlich des Mittelmeers ausdehnen. Wie schon in den Jahrhunderten des Mittelalters. Wenn die Demokratien nicht am selben Strang ziehen und auch so etwas wie  Wehrhaftigkeit zurückgewinnen, dann geraten sie in Gefahr, durch andere Modelle abgelöst zu werden. All das sollte man sich legitimerweise in Erinnerung rufen, bevor man – zu Recht – die vielen Fehler Israels zu kritisieren beginnt.

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Endlich bewiesen: Die Erde ist eine Scheibe

13. Mai 2010 05:46 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die Erde ist eine Scheibe. Die Mondlandung hat nie stattgefunden. Und Hitler lebt noch: Kein seriöses Medium würde solche Unsinnigkeiten zum besten geben - obwohl jeweils eine erstaunliche Anzahl von Menschen daran glaubt. In der Wirtschaftswissenschaft ist es hingegen anders: Da hat der größte Stiefel den größten medialen Absatz. Das gilt zumindest für die diversen ORF-Redaktionen und ihre absurde Bereitschaft, den sogenannten Wifo-Experten Stefan Schulmeister ständig einzuladen. Ohne auch nur anzumerken, dass seine Thesen nicht einmal im eigenen Wirtschaftsforschungsinstitut geteilt, sondern als strikte Privatmeinung mit spitzen Fingern behandelt werden. Wieder einmal blieb einem dieser Tage der Mund offen, als er - mit zugegeben großer Beredsamkeit - behauptete, den Stein der Weisen gefunden zu haben, wie man die Zinsen für die griechischen und alle anderen wackelnden Staatsanleihen begrenzen könne: Man fixiert sie einfach mit vier Prozent und alle europäischen Staaten müssen für die Schulden der anderen Länder haften. So einfach ist das. Dass da nicht schon die vielen Nobelpreisträger draufgekommen sind, die ja laut Schulmeister allesamt ihre Auszeichnungen zurückschicken sollten. Man stelle sich aber einmal ernsthaft vor, was passiert, würde Europa wirklich auf die Schulmeistersche Genialität hereinfallen: Erstens würden alle Regierungen Europas wie verrückt noch mehr Schulden machen. Jedes behauptete soziale, kulturelle, ökologische, humanitäre und sonstige Anliegen könnte damit ausreichend gedeckt werden. Kein Anspruch könnte mehr abgelehnt werden. Und alle Arbeitslosen würden von den Staaten angestellt werden. Zweitens würde jedes Land darauf schauen, dass es nicht weniger Schulden hat als alle anderen. Denn andernfalls wäre es schön blöd, haften doch fortan alle für alles. Erst unter Punkt drittens sind dann alle aufgewacht: Binnen weniger Monate fand keine europäische Regierung mehr jemanden, der ihnen weiter Geld borgt. Und schon gar nicht für vier Prozent - obwohl doch Faymann, Ostermayer, der ORF, Schulmeister und noch ein paar ähnlich weise Experten alle neidigen Besitzer von Geld heftig als Spekulanten beschimpfen. Viertens wird es drastische Steuererhöhungen und Beschlagnahmungen geben. Die aber in der Summe zu noch leereren Staatskassen führen. Denn jeder der noch kann, flüchtet mit einem Koffer in die Schweiz. Und kein einziger ausländischer Investor käme mehr herein. Unter Punkt fünf gibt es dann zwei Möglichkeiten, wie die Weltgeschichte weitergeht. Möglichkeit A: Die Staaten erklären sich für zahlungsunfähig, zahlen Beamten, Pensionisten, Straßenbaufirmen und allen anderen nur noch die Hälfte des einst zugesagten Betrages (nachdem auch die Verurteilung aller Menschen, die irgendwo noch Geld versteckt haben, zu Strafhaft die Staatskassen nicht gefüllt hat). Möglichkeit B: Die Staaten zwingen die Europäische Zentralbank, unbegrenzt Geld zu drucken (noch mehr als sie ohnedies schon durch die grob fahrlässigen Beschlüsse des vergangenen Wochenendes tut). Was binnen ein paar weiterer Monate eine Megainflation auslöst, die alle Werte und viele Arbeitsplätze vernichtet, die von Wirtschaftshistorikern (die freilich ihre Schriften nur noch im Untergrund vervielfältigen dürfen) mit jener der Zwanziger Jahre verglichen wird - mit Folgen, die bis 1945 beziehungsweise 1989 gereicht haben. Mehr Sicherheit besteht hingegen wieder über Punkt sechs: Der Rechtsstaat und die Demokratie müssen leider suspendiert werden, nachdem einige Experten nachgewiesen haben, dass sie oft zu falschen Ergebnissen führen. So wie ja schon Schulmeister so brillant nachgewiesen hat, dass die sich am Markt bildenden Preise oft "falsch" seien. Offenbar haben Schulmeister & Co überhaupt nichts aus der Geschichte gelernt. In der staatlich fixierte Brotpreise jedesmal bald zu leeren Regalen in den Bäckereien geführt haben. In der Milliarden Menschen zwischen Pressburg und Shanghai darben und verhungern mussten, weil Staatsplaner und Ökonomen anstelle des Marktes geplant und die Preise fixiert haben. Im Grund geht es beim Sozialismus - von jenem Schulmeisters bis zu dem Stalins bis zu Robert Mugabes - immer um denselben grandiosen Irrtum: Sie glauben, wenn sie jene berauben, die noch etwas erspart oder investiert haben, dass dann alle etwas haben. Sie glauben, dass eine Regierung besser wirtschaften kann als die Summe der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Das Erstaunlichste ist, dass noch immer Menschen auf derlei Schimären hereinfallen.

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Der neueste Burgenländerwitz ist todernst

12. Mai 2010 10:39 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Sie sind einfach nicht lernfähig. Nur Stunden nach Ausbruch der dramatischsten Finanzkrise Europas seit dem Krieg, knallt die SPÖ eine teure Forderung auf den Tisch - die noch dazu auf den ersten Blick als inhaltlich absolut sinnlos erkennbar ist: nämlich das Verlangen nach der Fortsetzung des Assistenzeinsatzes im Burgenland. Deren einziger Zweck ist, dass die SPÖ dort keine Wahlniederlage erleidet. Ginge es in der Wirtschaft so konsequent zu wie in der Anti-Raucher-Politik, dann müsste künftig auf jedem SPÖ-Plakat in fetten Lettern ein Warnhinweis stehen: "Vorsicht, diese Partei schadet Österreichs Finanzen", oder "Linkspopulismus ist genauso gefährlich wie Rechtspopulismus" oder "Während einer Schwangerschaft wachsen die Schulden ihres Babies noch schneller als dieses". Ausnahmsweise kann man hier auch einen Satz des Grünen Peter Pilz mit voller Zustimmung zitieren: "Das Beharren von Faymann und Darabos auf einer Verlängerung des teuren, sinnlosen und verfassungswidrigen Assistenzeinsatzes an der burgenländischen Grenze ist unerträglicher Wahlkampf-Populismus." Noch ärger ist die Provokation, wenn der Verteidigungsminister plötzlich behauptet, er habe 140 Millionen Euro Reserven, aus denen er die 22 Millionen Kosten des Grenzeinsatz decken kann. In Wahrheit steht das Bundesheer nämlich so verzweifelt da, dass es  wahrscheinlich eine ganze Waffengattung wie etwa die Panzertruppe zusperren wird müssen. Freilich wird das erst im Herbst passieren, wenn alle Landtagswahlen vorbei sind. Die SPÖ betreibt damit in Wahrheit genau dasselbe zynische Faymann-Spiel wie am 24. September 2008, als sie drei Tage vor der Wahl mit Studiengebühren-Abschaffung und Hacklerregelung-Verlängerung Milliarden verschleuderte, nur um bei der Wahl nicht so viel zu verlieren wie prognostiziert. Dass dem damals immer auch - mit unterschiedlichen Zusammensetzungen - andere Parteien zugestimmt hatten (am intensivsten die FPÖ), ändert nichts an der Hauptverantwortung der SPÖ für jenen wirtschaftspolitischen Megagau, an dem Österreich heute noch leidet. Dass die Steuerzahler das 2008er Paket der SPÖ zwei Milliarden pro Jahr kostet, während es jetzt "nur" noch 22 Millionen sind, ist absolut kein Trost. Denn das Burgenland ist ja auch sehr klein; denn die 22 Millionen kommen ja zu den bisherigen Verschwendungen noch on top dazu; denn die 22 Millionen decken nur die zusätzlichen Kosten des Grenzeinsatzes und erfassen gar nicht die weiterlaufenden Gehälter der Beteiligten; und vor allem: Die finanzielle Lage der Republik ist inzwischen viel katastrophaler als damals. Nicht zuletzt, weil sich auch Österreich an der wahnwitzigen Schuldenpolitik zugunsten der Verschwenderländer Griechenland, Spanien und Portugal beteiligt. Diese Beteiligung hatte übrigens Österreichs begnadeter Ökonom Werner Faymann als erster verlangt (dass in den genannten Ländern durchwegs Sozialdemokraten regieren, hängt natürlich weder mit der Spendierfreudigkeit des SPÖ-Vorsitzenden noch mit deren im letzten Jahr dramatisch verschlechterten Finanzlage zusammen). Wobei freilich wieder wie am 24. September 2008 keine einzige andere Partei dem entgegenzutreten wagte, etwa um sich dem in CDU/CSU wachsenden Widerstand gegen die Umfaller-Politik Angela Merkels anzuschließen. Die Fakten, warum der Grenzeinsatz absolut unsinnig ist, sind bekannt: Im ganzen Jahr 2009 wurden von den 1500 Soldaten lediglich 9 (In Worten: neun) illegale Grenzübertreter ertappt; die Zahl der Verbrechen im Burgenland ist nicht nur absolut, sondern auch pro Kopf deutlich niedriger als in anderen Bundesländern; die Zahl der Polizisten im Burgenland ist pro Kopf deutlich höher als im Rest Österreichs; ein Wiener Polizist hat im Schnitt fünf Mal so viele Delikte zu bearbeiten wie ein burgenländischer; der Assistenzeinsatz ist auch durch keinerlei Verfassungsbestimmung gedeckt; die Soldaten haben weder eine polizistenähnliche Ausbildung noch dürfen sie einem Übeltäter gegenüber Hoheitsgewalt ausüben, sondern diesen nur so, wie jeder Normalbürger es darf, anzeigen. Die SPÖ betreibt nun nach der Causa Eberau schon zum zweiten Mal brutale Klientelpolitik zugunsten des Burgenlandes. Haargenau nach dem gleichen Muster, nach dem Jörg Haider einst die Republik zugunsten Kärntens zu erpressen versucht hat. Sind die Burgenländer wirklich so XXXX, dass man ihre Stimmen mit einer solchen Farce kaufen kann? Dann sollte sich keiner von ihnen künftig noch über Burgenländerwitze aufregen. Auch wenn dieser real existierende Burgenländerwitz angesichts der Finanzlage eigentlich eine todernste Pointe hat. Und niemand sollte sich auch über die rasch wachsenden Zweifel an der langfristigen Überlebensfähigkeit der Demokratie aufregen. Die hängen freilich immer weniger mit den Haiders und Straches, sondern immer mehr mit den Faymanns und den anderen geistigen oder wirklichen Burgenländern in dieser Regierung zusammen.

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Hurra, das Rauschgift ist wieder da

11. Mai 2010 13:36 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Endlich hat die Großmutter nun auch ihr Häuschen verpfändet, war doch auch in der verstecktesten Keksdose kein Bargeld mehr zu finden. Der Jubel ist groß. Jetzt können die Enkel wieder unbesorgt Nachschub an Rauschgift besorgen. Und die unangenehmen Entziehungserscheinungen bleiben auf die nächsten zwei Jahre erspart. Wer wird sich schon sorgen, was in zwei Jahren sein wird, wo die Großmutter nach der Versteigerung ihres Hauses wohnen wird? Hauptsache, wir haben jetzt wieder genug Bares, um neues Gift kaufen zu können. Immer stärker kommen einem solche Vergleiche mit Rauschgiftsucht in den Sinn, wenn man die europäische Schuldenkrise zu begreifen versucht. Nur so kann man den Wahnsinn begreifen, der da in den letzten Tagen endgültig explodiert ist. Die Europäer sind alle mehr oder weniger schuldensüchtig. Jene im Süden sind es am ärgsten. Was kulturell wohl auch mit den angenehmen Lebensbedingungen zu tun hat.  Im südlichen Klima musste man nie lange sparen, um den Winter zu überleben. Dieser  Zusammenhang erklärt am besten, warum es in Sachen Sparsamkeit ein so starkes Nord-Süd-Gefälle gibt. Dazu kommt der absurde Umstand, dass jene südeuropäischen Länder, die nun am meisten Hilfe brauchen, genau jene sind, die schon in den letzten Jahren am meisten Geld aus den diversen EU-Solidaritätskassen bekommen haben. Alleine dieses Faktum hätte intelligenten Politikern und Notenbankern eine Lehre sein können, dass für verschwenderische Enkel, pardon: Staaten, jede finanzielle Hilfe fehl am Platz ist. Und sie immer mehr der notwendigen Sparsamkeit entfremdet. Dennoch hätten die schwärzesten Phantasien nicht ausgereicht, sich das auszumalen, was da in den letzten Stunden wirklich passiert ist. Die Europäer haben, um die verschwenderischen Südländer weiter zu alimentieren, nun wirklich alles verpfändet, um Kredite in völlig astronomischen Höhen aufzunehmen: den gesamten Haushalt der EU – um dessen Ausgeglichenheit noch bis vor kurzem um Hundertstel Prozent gestritten worden ist! – und die Glaubwürdigkeit der Notenbank und des Euro. Nichts anderes bedeutet es ja, wenn die Europäische Zentralbank nun bereit ist, alle schwindligen Staatsanleihen zu kaufen. Da scheinen amerikanische Immobilienkredite noch eine geradezu vertrauenswürdige Methode der Geldanlage gewesen zu sein. Gibt es noch sichere Länder? Nun, allzu zahlreich sind sie nicht. An der Spitze dieser Liste steht zweifellos die kleine Schweiz, dann folgen einige südostasiatische Staaten, wobei dort die rechtsstaatliche Qualität und die politische Stabilität schon große Fragezeichen hinter das Wort Zukunft setzen. Sehr fraglich ist geworden, ob Deutschland, Österreich und die Niederlande noch als stabile Länder zu werten sind, mehr etwa als die weitgehend außerhalb des Euro stehenden Osteuropäer, die ja eindrucksvolle niedrige Schuldenquoten haben und die daher die Krise am Ende gut überstehen werden? Seit Deutschland & Co nun praktisch solidarisch für Griechenland & Co haften, muss man ihre Stabilität noch mehr bezweifeln als schon bisher. Hat man zwischen Berlin und Wien doch schon vor diesem schwarzen Wochenende die Staatsschulden in absurde Höhen gejagt. Europa glaubt, mit finanziellen Jonglierkünsten eine tiefgreifende Krise übertünchen zu können, die letztlich eine politische ist. Ein gewaltiger Irrtum. Denn die EU hat es nicht geschafft, ihre Freigiebigkeit mit einem Mechanismus zu verbinden, der die nationalen Regierungen in Athen, Madrid, Lissabon total entmachten würde. Was angesichts einer solchen Geldverschleuderung eigentlich absolut unabdingbar hätte sein müssen. Die EU hat  keine starken Machtmittel in der Hand,  wenn die Schuldner-Länder die versprochenen Sparmaßnahmen dann halt doch nicht mit der notwendigen Konsequenz umsetzen. Weil halt leider, leider die Gewerkschaften dagegen sind (was sonst); weil halt leider, leider gerade wieder irgendwo Regionalwahlen sind (wie immer); weil halt leider, leider irgendwelche Berechnungen irgendwelcher Experten nicht gestimmt haben (wie häufig); weil halt leider, leider im Parlament keine Mehrheit für die notwendigen Beschlüsse zu finden war (was nach Abklingen des ersten Schocks sehr wahrscheinlich ist). Das Ausbleiben wirklich radikaler Sparmaßnahmen wird Resteuropa endgültig genauso krank machen, wie es Griechen und Spanier schon sind. Dann wird es nur niemanden mehr geben, der den Kontinent „rettet“, wie es angeblich jetzt mit Griechenland geschieht. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass diese Prophezeiung nicht zutrifft. Solche Wünsche gehen aber nur selten in Erfüllung. Sie gehen insbesondere dann nicht in Erfüllung, wenn man absolut Null Vertrauen in die Regierenden haben kann. Schon alleine die ständig wechselnden – dabei immer größer werdenden – Zahlen, die sie uns in den letzten Wochen über die Hilfssummen genannt haben, lassen keinerlei Vertrauen aufkommen.  Ebenso wenig vertrauenschaffend sind die läppischen Attacken der Regierungen auf ominöse Spekulanten und Geldverleiher, nur um von den eigenen Fehlern abzulenken: Diese sind nämlich an der Finanzkrise höchstens so viel schuld wie die Rauschgift produzierenden Bauern in Afghanistan oder Kolumbien an der Drogensucht westlicher Großstadtbewohner. Sie verdienen daran, sind aber nicht die Ursache des Problems. Am allermeisten Misstrauen schaffen die handelnden Persönlichkeiten: Glaubt jemand ernsthaft, ein Europa ist handlungsfähig, in dem beispielsweise Österreich durch einen Werner Faymann, einen Ewald Nowotny und einen Josef Pröll in den entscheidenden Gremien vertreten ist? Also Politiker, die nur Geldausgeben und Schuldenmachen können, die keine Ahnung von Ordnungs- und Stabilitätspolitik haben. Dem einen fehlt die Intelligenz, der andere ist ein hartgekochter Schuldenideologe und der dritte hat im Bereich Landwirtschaft und Umwelt nur das Geldverschwenden gelernt. Als ob es dessen noch bedurft hätte, sind nun auch Deutschland und Großbritannien der Unregierbarkeit einen großen Schritt näher gekommen. Nicht nur, weil man so wie in Österreich die einzigen Politiker mit ausreichendem Sachverstand machtpolitisch entsorgt hat (Blair, Clement, Merz, Schüssel, Riess-Passer, Grasser, Ruttensdorfer) oder weil diese gesundheitlich schwer angeschlagen sind (Schäuble). Sondern auch, weil die Wahlergebnisse der letzten Tage diese Unregierbarkeit noch vergrößert haben. In London muss man in der schwierigsten wirtschaftlichen Situation seit langem plötzlich die völlig unbekannte Situation bewältigen, dass trotz Mehrheitswahlrecht keine Partei eine ausreichende Mehrheit hat. In Deutschland ist die gerade erst angetretene Koalition durch die Niederlage im größten Bundesland schwer angeschlagen; sie dürfte damit auch die Mehrheit in der zweiten Kammer verlieren. Und da, so schreibt mir eine Blog-Partnerin, soll ich doch öfter einen optimistischen Ton einlegen . . .

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Abbitte an Milton Friedman

07. Mai 2010 03:42 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es war ein spannender Halbtag in den Neunzigern. In einem eher nüchternen Raum einer kalifornischen Universität diskutierte eine kleine Gruppe mit Milton Friedman über alles und jedes. Er zeigte uns faszinierende Einsichten in weltwirtschaftliche Zusammenhänge. Nur in einem einzigen Punkt ärgerten wir uns über den kleingewachsenen Nobelpreisträger. Da lag er wohl völlig falsch. Heute muss man ihm demütig Abbitte leisten. Denn täglich wird eines klarer: Gerade in jenem Punkt, wo wir ihm vehement widersprachen, bekommt Friedman von der Geschichte zunehmend recht. Er hatte die Europäer vehement vor einem Zusammenschluss zum Euro gewarnt. Wir hingegen glaubten, er täte dies vor allem, weil die Amerikaner eine Konkurrenz zum Dollar als einzige Weltwährung fürchteten. Wir betonten die vielen Transaktionsvorteile durch den Euro und seine Resistenz gegen Spekulation. Friedman hingegen zeigte die gewaltigen Unterschiede zwischen den Euro-Ländern auf, die auch in Zukunft keine einheitliche Politik haben würden. Er prophezeite massive politische Interventionen in die Währung. Er analysierte insbesondere, dass die Gewerkschaften in jedem Land ganz unterschiedlich aggressiv sind. Und er verwies darauf, dass das bisherige Instrument, um diese Unterschiede auszugleichen, künftig wegfallen werde: nämlich die Abwertung von Währungen. Und all das hat sich seither bestätigt. Insbesondere in den Ländern des südlichen Europas. So haben die griechischen Gewerkschaften – insbesondere jene des öffentlichen Dienstes – binnen zehn Jahren durch ihre exorbitanten und dann auch durchgesetzten Forderungen die griechische Wettbewerbsfähigkeit um mehr als 30 Prozent reduziert. Griechenland kann aber nicht mehr abwerten. Es musste daher seine vielen Konzessionen an die Gier der Gewerkschaften, seine mangelnde Bereitschaft, gegen Korruption, Schattenwirtschaft und Steuerhinterziehung vorzugehen, durch ständig mehr Schulden finanzieren. Bis die Gläubiger erwachten – auch aufgeweckt durch die Information, dass die Griechen sogar bei ihren Statistiken kräftig geschwindelt haben.

Empfehlungen aus dem Jenseits

Was würde der inzwischen verstorbene Friedman den Europäern wohl heute raten? Vermutlich Folgendes:
  1. Vorerst keinen Kredit mehr für Griechenland.
  2. Notfalls die Gläubiger-Banken mit rund 60 Prozent für die dadurch eintretende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands schadlos halten (keinesfalls zu 100 Prozent), damit die Folgewirkungen abgebremst werden.
  3. Griechenland ein Aussteigen aus dem Euro-Raum nahelegen.
  4. Den Griechen nach Rückkehr zu einer eigenen Währung wieder Kredite geben, aber nur über den Internationalen Währungsfonds und unter strengen Auflagen (wie: Halbierung der Beamtenzahl; Streichung der Zulagen für Beamte; Einfrieren der Pensionen; Schaffung einer auch international besetzten Sonderkommission zur Jagd auf Steuerhinterzieher und Korruptionisten, die kräftige Vollmachten bekommt; Privatisierungen; Rückfahren der Militärausgaben, die noch für einen Krieg gegen den Erbfeind Türkei dimensioniert sind; Reduktion der Gesetze um 5000 Seiten pro Jahr; befristete Steuerzuschläge; grundlegende Reformen des Zivilrechts nach ausländischen Vorbildern).
  5. Ähnliche Pakete für Italien, Portugal und Spanien schnüren, bis deren Budgets halbwegs ausgeglichen sind. Unter Androhung, dass auch ihnen sonst der Kredit gesperrt und der Austritt nahegelegt wird.
  6. Ländern wie Österreich ganz konkrete Pakete empfehlen. Im Falle Österreichs etwa für die Schulden-Bundesländer Kärnten, Niederösterreich und Wien, aber auch für die Pensions-, Verwaltungs- und Gesundheits-Systeme. Dies unter der Androhung, dass auch hier Untätigkeit zu ganz konkreten Konsequenzen führen wird. (Immerhin hat sich auch für Österreich seit dem dummen Herumgerede seiner Regierung über Steuern die Kreditwürdigkeit in den letzten Wochen wieder signifikant gegenüber Deutschland verschlechtert.)
  7. Jedem Land, das die Maastricht-Kriterien verletzt, wird das Stimmrecht entzogen.
Natürlich wird Europa nicht auf solche Ratschläge hören, und den Griechen unter höchstwahrscheinlich nur sehr vagen Reformversprechungen wieder Geld geben. Das nicht ausreichen wird. Das aber gleichzeitig auch die Stabilität von Deutschland und den Niederlanden, den letzten halbwegs stabilen Ländern EU-Europas, erschüttern wird.

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Noch einen Tusch auf der Titanic

03. Mai 2010 01:11 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die Katastrophe ist nun da. Und noch viel schlimmer als befürchtet. Gegen den Rat der besten Ökonomen Europas - von Hans Werner Sinn bis Vaclav Klaus - werden den Griechen nun sogar 110 Milliarden Euro zugeschoben. Wie seriös die Politik bei diesem Beschluss gearbeitet hat, zeigt sich schon an Hand der Tatsache, dass noch vor wenigen Tagen nur (nur?) von 45 Milliarden die Rede gewesen ist. Wer soll den Politikern da noch glauben, wenn sie uns nun - Hand in Hand mit den staatlich finanzierten Medien - treuherzig versichern, dass es dabei bleiben wird, und dass die Griechen das Ganze sicher zurückzahlen werden? All das ist nur noch grotesk. Der wahre Grund ist, dass die Politik und die Zentralbanken nicht zugeben wollen, dass man bei der Aufnahme von Ländern des ausgabenlustigen Clubs Mediterranee schwere Fehler begangen hat, dass man sich tölpelhaft betrügen hat lassen, dass man keine harten Aufnahme-Kriterien angewendet hat. Jetzt wird uns versichert, dass die Griechen für die Hilfe künftig schwere Opfer bringen müssen. Man sagt aber nicht, welche Optionen die Big-Spender-Länder haben, wenn die Griechen - wie zu erwarten ist - doch nur einen Teil der Spar-Versprechungen umsetzen, nämlich gar keine. Denn ist das Geld erst bezahlt, sind die Möglichkeiten zu konsequenten Reaktionen noch viel mehr dahingeschmolzen. Dann können die anderen Europäer noch viel schlechter sagen: Aus, ihr wart nicht pakttreu, jetzt gibt es kein Geld mehr. Das wird hundertprozentig nicht passieren, denn dann stünden die Regierungschefs, Finanzminister und Notenbanker noch viel blamierter da, weil sich ihre nunmehrige Spendierfreude rückwirkend als sinnlos herausgestellt haben wird. Österreich wird also fröhlich statt der vor wenigen Tagen noch verkündeten 0,9 gleich 2,3 Milliarden in die Athener Sammelbüchse werfen. Gleichzeitig weiß dieses Land seit Monaten nicht, wie es 1,7 Milliarden Steuererhöhungen realisieren soll. Österreich muss heuer jedenfalls den Beamten, den Pensionisten, den Sparern, den Steuerzahlern, den Subventionsempfängern noch kräftig in die Tasche greifen, um die schon vor Griechenland entstandene Schieflage ein wenig zu korrigieren. Mehr als "ein wenig" stand da eh nie zur Debatte. Griechenland verschlimmert jedenfalls die österreichische Schieflage noch mehr. Daraus folgt eigentlich mit zwingender Logik, dass nun auch die Steuererhöhung viel größer sein wird. Da uns freilich versichert wird, dass das keinesfalls der Fall sein wird, können wir also sicher sein, dass es sehr wohl eine noch viel ärgere Steuererhöhung geben wird. Das, was da jetzt rund um Griechenland passiert, ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem. Das bringt auch die westeuropäischen demokratischen Rechtsstaaten in eine lebensgefährliche Schieflage. So wie von der inflationären Geldschöpfung der 20er Jahre ein direkter Weg in Krieg und Verbrechen geführt hat. Natürlich wäre es alles andere als problemlos, die Griechen und insbesondere deren Beamten und Gewerkschaften jetzt mit den Folgen ihrer Verschwendungssucht alleine zu lassen. Insbesondere viele Banken würden nochmals Staatshilfe brauchen, damit kein Domino-Effekt entsteht. Aber mittelfristig wäre das zweifellos viel billiger als die Kettenreaktion, die nun ausgelöst worden ist. Denn die Griechen werden auch im kommenden Jahr wieder Geld brauchen. Die spanischen und portguiesischen Verschwender werden sich noch weniger in den Schranken weisen lassen. Das gilt aber genauso auch für die Gier der österreichischen Gewerkschafter, der Interessen- und Regionalpolitiker, der subventionsgierigen Unternehmen, der Bauern und Ökoprofiteure. In Österreich und in allen anderen Ländern. Mit anderen Worten: Wir sind nicht dem Eisberg ausgewichen, sondern wir haben der Musik nur aufgetragen, noch länger zu spielen, damit auf der Titanic nur ja keine Panik entsteht, während die letzten Chancen versäumt werden, in Rettungsboote umzusteigen.

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Warum die Deutschen zahlen müssen

02. Mai 2010 03:26 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Der Weltkrieg ist vor 65 Jahren zu Ende gegangen. Nur noch ein sehr kleiner Prozentsatz der Akteure ist noch am Leben. Dennoch gibt es eine Renaissance der Instrumentalisierung des Krieges und der dabei begangenen Verbrechen als Waffe gegen politische Gegner. Von Griechenland bis Italien. Und in Österreich sowieso in jedem Wahlkampf der letzten Jahre. In Griechenland beschimpfen Zeitungskommentatoren die Deutschen, weil Berlin damit zögert, die Kleinigkeit von acht Milliarden zur Finanzierung der griechischen Steuerhinterzieher, Beamten (mit Gehaltssteigerungen weit über jenen in Deutschland oder Österreich), Subventionen (für alles und jedes, die sogar die österreichischen Verhältnisse weit übertreffen), Pensionisten (Bild-Zeitung: "Warum zahlen wir den Griechen ihre Luxus-Renten?") und Arbeitsmoral (die eher das Gegenteil einer solchen ist) hinzulegen. Wobei es, nebstbei vermerkt, sicher nicht bei den acht Milliarden bleiben wird. Denn die Griechen werden nächstes Jahr wieder mit dem Hut in der Hand dastehen. Und Spanier, Italiener, Portugiesen ebenso, wenn sie einmal gesehen haben, wie leicht die Griechen ihre Schulden dem Ausland anhängen können. Das wirklich skandalöse Hauptargument der griechischen Kommentatoren ist, dass die Deutschen wegen der Untaten von SS und Wehrmacht im Krieg ihnen jetzt beistehen müssen. Offenbar gilt auch bei ihnen das Motto: Es muss immer ein anderer an der eigenen Not, den eigenen Fehlern schuld sein. Und wenn die Argumentation aus noch so lang vergangenen historischen Epochen hergeholt werden muss. Man bittet nicht, man fordert. Vielleicht ein kleiner Tipp für die Griechen: Auch die Türken/Osmanen sind vor einiger Zeit über ihr Land hergefallen (und den Türken geht es in letzter Zeit ein wenig besser). Da müsste doch auch etwas zu holen sein. Und was ist mit den Briten? Oder gar den Italienern, die doch die Nachfolger der alten Römer sind und einst viele Griechen als Sklaven genommen haben? Das wäre übrigens auch eine gute Methode, die österreichischen Staatsfinanzen zu sanieren: Wann haben die Franzosen für die Einfälle der napoleonischen Armeen in Österreich bezahlt? Oder die Ungarn für ihre mittelalterlichen Exkursionen die Donau herauf? Freilich sollte sich auch die österreichische Regierung bewusst sein: Wenn am Ende die Deutschen wieder einmal unter dem Titel Weltkrieg zahlen müssen, dann sind auch die Österreicher bald dran. Am flottesten sind die Italiener unterwegs. Aber natürlich nicht mit Entschädigungen an die Griechen; oder an die Kroaten, Slowenen, Äthiopier und andere für die italienischen Überfälle. Nein auch sie sind natürlich nur Opfer: Sie lamentieren nicht lange, sondern nehmen sich einfach das Geld der Deutschen (ehrlich, kein Witz). Seit März 2009 zahlt Italien der Deutschen Bahn nicht mehr das Geld für Fahrkarten nach Deutschland, die in Italien verkauft worden sind. Einige italienische Richter haben zugunsten von italienischen Opfern deutscher Kriegsmassaker einen entsprechenden Exekutions-Titel bewirkt. Und die Deutsche Bahn ist schwachsinnig genug, jetzt lange vor italienischen(!) Gerichten herumzuprozessieren, statt einfach in Italien ausgestellten Tickets nicht mehr anzuerkennen. Aber auch in Griechenland sind Richter schon einschlägig unterwegs gewesen: Und nur eine Notbremsung der griechischen Regierung verhinderte etwa eine Pfändung des Goethe-Instituts in Athen zugunsten der Nachfahren von Nazi-Opfern. Das alles – so muss man sich vor Augen halten – findet  inmitten einer Europäischen Union statt, an deren Wiege der deutsch-französische Schwur des „Nie wieder“ gestanden ist. Wenn der Schwachsinn so weitergeht, dann wird auch diese Union so zerfallen wie die anderen zwei großen multinationalen Gebilde in Europas Geschichte, nämlich die beiden Reiche, die das Adjektiv „Römisch“ trugen. Nichts ist ewig – bis auf die chauvinistische Dummheit.

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Die Schuldigen suchen einen Sündenbock

29. April 2010 03:23 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es ist absolut faszinierend: Noch selten waren die Ursachen einer Katastrophe so sonnenklar, wie im Anlassfall Griechenland; zugleich wird jedoch europaweit ein ungeheuer Aufwand getrieben, von diesen Ursachen abzulenken und Sündenböcke zu finden. Der einst vielgerühmte „europäische Weg“ führt direkt in den Abgrund. Die an der Wahl dieses Weges Schuldigen attackieren jedoch all jene, die am Rande dieses Weges Warntafeln mit der Aufschrift „Vorsicht Abgrund!“ aufgestellt haben. Man lese nur die Kommentare bestimmter Politiker und Journalisten. Da wird in einer angeblichen Qualitätszeitung der Bankrott Griechenlands als „Liquiditätskrise“ beschönigt. Da werden die Rating-Agenturen beschimpft, weil sie griechische oder portugiesische Staatsanleihen abwerten. Da werden die Banken beschimpft, weil sie den Griechen Geld geborgt haben. Da werden die Banken beschimpft, weil sie den Griechen kein Geld borgen. Da sind an allem und jedem anonyme Spekulanten schuld. Da werden die Deutschen beschimpft, weil sie im Gegensatz zu den Griechen imstande sind, Produkte zu günstigen Preisen zu exportieren (ehrlich, diesen Unsinn verzapft ein Professor der Wiener Wirtschaftsuniversität!). Da fehlt nur noch, dass am Schluss wieder einmal die Angehörigen einer bestimmten Religion schuld sind. Es ist wirklich beklemmend, mit welcher Energie da Sündenbock-Theorien gezimmert werden, nur um von der einzigen Hauptursache abzulenken: Die Griechen haben jahrelang ungeniert über ihre Verhältnisse gelebt, den Staat und die europäische Außenwelt schamlos betrogen, sich unglaubliche Lohn- und Pensionserhöhungen genehmigt, Steuern hinterzogen, die Korruption eskalieren lassen. Und sie haben geglaubt, dass das mit dem harten Euro genauso problemlos geht wie mit ihrer weichen Drachme, die sie ständig abwerten konnten, so dass der Unsinn relativ folgenlos blieb. Und warum sind so viele unterwegs – bis hin zum Chef der österreichischen Nationalbank? Weil ähnliches auch in vielen anderen europäischen Staaten stattfindet. Und weil in einer Kettenreaktion wirklich der ganze Euroraum bedroht ist. Man rufe sich nur folgenden grotesken Aspekt ins Bewusstsein. Das von den diversen Ewald Nowotnys so hochgelobte Rettungspaket für Griechenland besteht zu einem wesentlichen Teil aus Milliarden von Italien, Portugal, Spanien – also lauter Ländern, die fast ebenso bankrott und überschuldet und sorglos sind wie die Griechen. Ausgerechnet die sollen jetzt den Retter spielen! Jedes Pyramidenspiel ist dagegen eine hochseriöse Angelegenheit. Natürlich gibt es noch andere Mitschuldige an der dramatischen, weit über Griechenland hinausreichenden Entwicklung. Auch in Österreich. Man denke nur an die ununterbrochene Kritik etwa der Freiheitlichen an den Maastricht-Kriterien (obwohl deren Einhaltung durch die Regierungen den Euro geschützt hätte), an die Kritik vieler Wirtschaftskreise an „Basel II“ (obwohl dieses Abkommen ja die Banken zu einer strengeren Handhabung der Kreditvergabe zwingen sollte), und an die besonders populistisch-laute Kritik  der SPÖ am „Einsparwahnsinn“ (O-Ton Michael Häupl), am „Nulldefizitfetischismus“ oder an der angeblichen sozialen Kälte der Sparpolitik Karl-Heinz Grassers (obwohl die wirkliche soziale Kälte jetzt von Griechenland bis Portugal herrschen wird). Ich weiß schon, es gibt fast keinen Bankrotteur, der die Schuld bei sich selber sucht. Dennoch sollte uns klar sein, je länger wir uns über die Ursachen in die Tasche lügen, umso weniger wird eine Sanierung möglich sein. Das heißt nun nicht, dass die Banken kein Teil des Problems wären. Sie haben in der verzweifelten Suche nach relativ sicheren Geldanlagen den Regierungen (auch der österreichischen) deren Anleihen als scheinbar sicheres Anlageinstrument massenweise abgekauft. Und wenn nun von Griechenland bis Portugal die Staaten krachen, dann sind die Banken in Wahrheit wieder genauso gefährdet wie beim Zusammenbruch von Immobilienhypotheken (die bis vor drei Jahren auch jeder als etwas besonders Sicheres angesehen hat). Im Hintergrund der so eilfertigen Bereitschaft etwa auch Österreichs, den Griechen beizustehen, steht folglich die selten kommunizierte Tatsache, dass die heimischen Banken verglichen mit dem österreichischen Anteil am Hilfspaket ein Vielfaches an Forderungen gegen Griechenland haben. Da scheint es ja durchaus billiger zu kommen, wenn man Griechenland direkt hilft, als wenn Griechenland in Staatsbankrott ginge. Überdies hat ja der bekannte Ökonom Werner Faymann großmundig erklärt, dass es keine weitere Bankenhilfe geben wird. Da findet natürlich der nächste große Fehler statt. Denn die Griechen stehen mit absoluter Sicherheit nicht zum letzten Mal mit dem Hut in der Hand da. Und wer – übrigens in Verletzung der EU-Verträge – einmal hilft, der wird auch beim nächsten Mal in die Tasche greifen müssen. Vor allem aber wird die Hilfe für Griechenland den Portugiesen, Spaniern, Italienern & Co das völlig falsche Signal geben. Nämlich dass auch sie jedenfalls gerettet werden und daher nicht ernsthaft sparen müssen. Diese Hilfe wird auch den österreichischen Gewerkschaftern und Arbeiterkämmerern (welche die Hauptberater des wirtschaftlich ja absolut ahnungslosen SPÖ-Vorsitzenden sind!)  eine falsche Botschaft geben: Sie werden weiter glauben können, dass man mit durch Schulden finanziertem Konsum (=Lohnerhöhungen ohne Produktivitätszuwachs) die Wirtschaft nachhaltig ankurbeln kann. Es klingt zwar nach einem Sektenprediger: Aber immer mehr deutet darauf hin, dass der Untergang eines ganzen Systems sehr nahe ist.

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Fußnote 98: Griechen kriegens fast gratis

25. April 2010 01:49 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Seltsame Unterschiede bei der Kreditvergabe. In Deutschland tobt eine tiefgehende und ehrliche Debatte über die acht Milliarden zur Finanzierung des griechischen Lotterlebens, die dorthin auf höchstwahrscheinliches Nimmerwiedersehen verschwinden werden. Wir zahlen zwar nur ein Zehntel, debattieren aber nicht einmal ein Hundertstel so viel wie die Deutschen. Bei uns versucht die Regierung nicht einmal, dem blöden Steuerzahler zu erklären, warum die Griechen nur 5 Prozent Zinsen zahlen müssen (wenn sie zahlen), während die eigenen Banken 8 bis 9,3 Prozent zahlen müssen (von denen zumindest der größere Teil zahlt). Stehen uns die Griechen so viel näher? Oder werden solche Entscheidungen einfach ganz nach Tageslaune getroffen?

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Fußnote 92: Europa und die Uni-Misere

13. April 2010 12:05 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Der Europäische Gerichtshof hat nun doch die Restriktionen für ausländische Medizinstudenten genehmigt. Das ist aufs erste erfreulich, auch wenn das Urteil primär nur für Belgien gilt. Das ist aber aufs zweite auch extrem unerfreulich: Diese Einschränkung gilt nämlich ganz spezifisch nur für Medizin im Fall einer eventuellen Bedrohung der Gesundheitsversorgung. Alle anderen Studien müssen im Umkehrschluss offen bleiben. Was in einem Land, das weder Aufnahmsschranken kennt (bis auf wenige Ausnahmen) noch Gebühren, ein Hammer ist. Was den Handlungsbedarf für Österreich noch dramatisch erhöht, sowohl Zugangsbeschränkungen wie auch Gebühren zu verlangen. Trotz der steinzeitlichen Geldverschwendungsgesinnung der SPÖ. Wobei der neue Vorschlag des Rektors der Technischen Universität, gleich 10.000 Euro zu verlangen und parallel ein  großzügiges Stipendiensystem einzuführen, der weitaus klügste ist. Freilich auch der weitaus mutigste . . .

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Hurra, das Rauschgift ist angekommen!

13. April 2010 03:42 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Noch ist das Geld nicht nach Griechenland geflossen. Noch tun manche so, als ob die immer präziser werdenden Ankündigungen europäischer Steuermilliarden für die jahrelang in Saus und Braus lebenden Hellenen die privaten Geldgeber zu neuerlichen Kreditvergaben bewegen könnten, sodass die Staaten doch noch darauf verzichten könnten. Das wird sich wohl bald als blanke Illusion herausstellen. Und als Endergebnis stehen die EU-Staaten als Heuchler, als vertragsbrüchig und Zerstörer der eigenen Währung da. Massiv an Glaubwürdigkeit verlieren in diesen Tagen auch die vielen Medien, welche die Griechenlandhilfe preisen und loben. Sie verhalten sich wie ein Haufen Rauschgiftsüchtiger, die jubeln, wenn ein LKW voller weißen Pulvers anlangt. Tatsache ist, dass die Milliarden für Griechenland eine glatte Verletzung der EU-Verträge bedeuten, die eine solche Hilfe zwischen Euro-Ländern verbieten. Tatsache ist, dass alle jene Politiker lügen, die die Kreditvergabe als gutes Geschäft darstellen; denn das wäre es nur, wenn eine seriöse Chance auf volle und pünktliche Rückzahlung bestünde. Ansonsten ist das gute Geschäft eher mit einem Kasino-Besuch vergleichbar, vor dem man behauptet, dass man ständig die richtige Zahl erraten werde. Tatsache ist aber jedenfalls auch, dass die EU-Partner nun nicht mehr zurückkönnen, wenn Athen eines Tages auf die Kreditlinie der Euro-Partner zugreift. Es ist ähnlich - aber eigentlich noch schlimmer - wie im Fall des türkischen EU-Beitritts. Auch der wurde immer wieder vage für die Zukunft zugesagt, die noch unendlich fern schien, obwohl von Anfang an große Skepsis bestand. Auch da kann die EU nun nur noch sehr schwer zurück. Tatsache ist schließlich ebenso, dass die anderen Länder in Wahrheit die Kredite nur sehr ungern geben. Wäre die Sache ein so gutes und sicheres Geschäft, wie manche Propaganda nun tut, dann hätte man sich ja nicht so geziert. Und Tatsache ist überdies, dass die ganze Sache - trotz der heftigen politischen und medialen Propaganda - extrem unpopulär ist. Insbesondere in Deutschland, das ja - wie fast immer - am tiefsten in die Tasche greifen muss. Der österreichische Beitrag hat sich in den letzten Tagen von einer halben Milliarde heimlich still und leise auf 858 Millionen erhöht. Tut nichts, wir haben es ja. Oder? Warum, so fragen viele verzweifelte Bürger, tun die Staaten das? Nur aus unsinnigem Herdentrieb? Nur weil sich keiner mehr zu sagen traut, dass der Kaiser nackt und Griechenland zahlungsunfähig ist? Nur weil in keinem Land Europas mehr Staatsmänner vorhanden sind - oder gar solche mit wirtschaftlichem Sachverstand und Mut? Die Begründung, dass es um die Rettung des Euro geht, ist absolut vorgeschoben. Denn der Euro wird durch die "Rettung" Griechenlands langfristig mit Sicherheit noch viel mehr bedroht. Denn dann wird es in Spanien oder Portugal gegen den Widerstand der Gewerkschaften - um nur die zwei nächsten Kandidaten zu nennen - noch viel weniger gelingen, den Gürtel zur Rettung der eigenen Staatsfinanzen noch enger zu schnüren. Was dann die nächsten erzwungenen Solidaritätskredite auslösen wird. Was dann sogar Deutschland erschüttern wird. Der Hauptgrund für die europäische Griechenland-Rettung sind in Wahrheit die westlichen Banken, die dem blau-weißen Land des Retsina und des Ouzo viele Milliarden geliehen haben. Alleine aus Österreich sind schon im September 4,5 Milliarden Euro nach Griechenland verborgt gewesen (von damals stammt die letzte vorhandene Statistik). Inzwischen ist der Betrag noch viel höher - sind doch die Banken wochenlang von linken Politikern und Medien als "Spekulanten" geprügelt worden, weil sie mit dem Nachschieben weiterer Kredite zu zögern begonnen hatten. Das sind übrigens die gleichen Banken, denen viele österreichische Kreditnehmer in den letzten Monaten nicht mehr als kreditwürdig erschienen sind. Möglicherweise zu Recht - aber umso unverständlicher ist ihre bis vor kurzem freigiebige Hand Richtung Ägäis. Natürlich muss die Regierung aufpassen, wenn den heimischen Banken mit einem Schlag 4,5 Milliarden ausfallen sollten. Nur heißt eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands ja nicht, dass das alles verloren ist. In der Regel gibt es in solchen Fällen eine Umschuldung, wobei die Geldgeber immer nur einen Prozentsatz verlieren. Daher wäre es immer noch besser, den Banken eine Ausfallshilfe für griechische Kredite zu garantieren - wenn auch sicher nicht zu hundert Prozent. Damit die Banken genauso wie die griechischen Gewerkschafter endlich eine grundlegende Botschaft lernen: Riskantes Leben kostet. Am lustigsten ist es, wenn nun Finanzminister Josef Pröll ankündigt, Griechenland werde "rigoros überprüft und kontrolliert". Was will er denn da kontrollieren? Nirgendwo sind wirklich die harten Bedingungen festgehalten, die Griechenland wenigstens langfristig sanieren würden. Denn in Wahrheit müsste Griechenland alle Gehälter um 20 bis 30 Prozent kürzen, die Beamtenzahlen müssten dezimiert, der Pensionsantritt müsste nach hinten verschoben werden; die verbleibenden Beamten müssten wieder einmal arbeiten; und es müsste energisch mit dem Schwarzmarkt in der Wirtschaft aufgeräumt werden. Die griechischen Gewerkschaften - die Hauptschuldigen an der Misere - haben jedoch schon bei den ersten, relativ milden Sparankündigungen das Land in Flammen gesetzt. Sie wollen einfach nicht das zurückgeben, was sie sich im letzten Jahrzehnt zu viel an Gehaltserhöhungen und Faulheit gegönnt haben. Der zweite Grund für die Griechenlandhilfe lautet: Die EU will die Schande vermeiden, dass ein Mitgliedsland bankrott geht. Gleichzeitig aber scheut sie sich, den Griechen diese notwendigen Bedingungen zu diktieren, weil sie bei diesen sonst total unbeliebt würde. Beides zusammen geht halt nicht. Und beides zusammen macht "rigorose Überprüfungen und Kontrollen" zu einer Farce.

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Die Kartenhäuser stürzen ein

07. April 2010 04:02 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Es sind zwei scheinbar überhaupt nicht zusammenhängende Meldungen: Die eine handelt von der griechischen Finanzfront, die andere vom deutschen Kollektivvertragswesen. Doch zeigen beide in Wahrheit genau dasselbe: Dass derzeit allerorten die trügerischen Kartenhäuser sozialdemokratischer (aber auch christlichsozialer und populistischer) Wunschpolitik zusammenbrechen, deren Kern darin bestanden hat, dass man jahrzehntelang via Politik, Gesetz oder Kollektivvertrag die Gesetze der Marktwirtschaft auszuhebeln versucht hat. Diese Gesetze setzen sich aber am Ende immer durch - wie ein gesellschaftliches Naturgesetz: auch wenn man die Wirkungen von Angebot und Nachfrage beschimpft; auch wenn irgendein Politiker wieder einmal großspurig verkündet, eine dritte Alternative zwischen Kommunismus und Marktwirtschaft entdeckt zu haben; auch wenn im Kreisky-Forum der "europäische Weg" (der wählerstimmenbringenden Wohlfahrt für heute auf Schulden für morgen) bejubelt wird, der angeblich die Marktgesetze außer Kraft setzen könne; auch wenn Bischöfe gegen die Marktwirtschaft wettern (so wie einst gegen Astronomie und Physik, welche halt zu ihrem damaligen Ärger die Erde um die Sonne kreisen lassen und nicht umgekehrt). Die Fakten lassen aber all das als reines Wunschdenken erkennen: In Deutschland zeigt eine neue Statistik, dass nur noch 52 Prozent der Beschäftigten unter dem angenehmen Schutz eines Kollektivvertrags ("Branchentarifvertrag") arbeiten. Das deckt sich mit den Klagen auch aus österreichischen Gewerkschaftskreisen, dass auch hierzulande immer mehr Menschen nur noch "prekäre Arbeitsplätze" finden, also nur noch auf Basis eines Werkvertrags oder unbezahlten Praktikums, als freie Dienstnehmer oder Scheinselbständige arbeiten. Dabei ist in solche Statistiken noch gar nicht die Zahl der völlig Arbeitslosen einberechnet, die natürlich auch ein Produkt des jahrzehntelangen Erfolgs der Gewerkschaften bei ständigen Verbesserungen der Kollektivverträge darstellt. Denn alle diese Phänomene haben eines gemeinsam: Je erfolgreicher die Gewerkschaften bei der Verbesserung der Kollektivverträge sind, umso teurer wird die Anstellung eines Mitarbeiters zu Kollektivvertragsbedingungen - und damit umso seltener. Gleichzeitig werden immer mehr Arbeitssuchende in viel schlechtere Beschäftigungsverhältnisse verdrängt, als es bei einer marktwirtschaftlichen Entwicklung der Arbeitskosten der Fall wäre. Marktwirtschaftlich wären nur Lohnerhöhungen in Einklang mit dem wirtschaftlichen Erfolg, aber auch Misserfolg des Arbeitgebers. Aber die Gewerkschaften vertreten ja nur die glücklichen Besitzer eines Arbeitsplatzes. Was ihr gutes Recht ist - aber was es gleichzeitig immer absurder macht, den Gewerkschaften unter der Überschrift "Sozialpartnerschaft" ein gesamtwirtschaftliches Mitspracherecht zu gewähren. Dabei sind die deutschen und österreichischen Gewerkschafter im internationalen Vergleich noch durchaus die Vernünftigsten. Kollegen in anderen Ländern agieren noch viel gruppenegoistischer. Etwa in Griechenland. Dort bietet der Staat mittlerweile schon vier Prozent höhere Zinsen an, wenn er seine Anleihen verkauft - und doch findet Athen nicht mehr genügend Abnehmer dafür. Noch deutlicher zeigt sich der knapp bevorstehende Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus (an dem alle Parteien Griechenlands mitschuld sind) an folgender Tatsache: Griechische Staatsbürger haben binnen weniger Tage bereits fünf Milliarden Euro zu ausländischen Banken transferiert. Um das Geld so dem Zugriff der Athener Regierung zu entziehen. Damit entgeht dem Staat auch die letzte Möglichkeit, an Geld heranzukommen, ohne sich den demütigenden Bedingungen des Internationalen Währungsfonds oder gar einem Staatsbankrott auszusetzen. Es ist bereits wie in den alten griechischen Tragödien, in denen das Unheil, die Strafe für Jahre des Frevels, mit unabwendbarer Härte Schritt für Schritt zuschlägt. Bei uns aber rennen noch Experten wie die berühmte Frau Rudas herum, die uns garantieren (mit ihrem Gehalt?), dass der von der SPÖ geplante Zugriff auf die berühmten Reichen niemanden zur Kapitalflucht veranlassen werde. Und ein ÖVP-Beamtengewerkschaftsboss Neugebauer, der offenbar noch immer ernstlich glaubt, dass man die Wirtschaft mit noch mehr Schulden ankurbeln könne, weil das ja über höhere Gehälter die Wirtschaft ankurble. Und Oppositionsparteien, denen täglich neue Ausgabe-Ideen einfallen, die zu noch mehr Schulden führen . . .

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Europa wo bist Du?

02. April 2010 06:41 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Henryk M. Broder nennt es die „Lust am Einknicken“, andere nennen es Pazifismus, wieder andere nennen es schlicht Feigheit. Die Rede ist von einer sehr weit verbreiteten Geisteshaltung. Es handelt sich um eine Form des Appeasements, das in tolerantem, weltgewandtem und verständnisvollem Gewand daherkommt und nicht nur Feigheit ist, sondern pazifistische Dummheit. Eine tödliche Geisteshaltung, die Europa Kopf und Kragen kosten wird. Während die europäischen Medien die konservativen und neokonservativen Denker und Publizisten nur allzu gern als „Kriegstreiber“ und „Falken“, als „intolerant“ und als „Hardliner“ verdammen, steigen die Konflikte auf der ganzen Welt. Der europäische Pazifist hingegen phantasiert von nuklearer und konventioneller Abrüstung und vergisst dabei auf die Realität. Allen Beteuerungen zum Trotz wird es keine nukleare und konventionelle Abrüstung geben. Zumindest nicht in jenen Ländern, die den Frieden wirklich gefährden. Das hört freilich der europäische Pazifist überhaupt nicht gern, lieber finanziert er ein Stadion in Kabul, in dem dann später Hinrichtungen durchgeführt werden, oder er pumpt Geld nach Gaza, das dann Terrorismus finanziert. Er zahlt dem Terrorführer Gaddafi eine Atomanlage. Er freut sich über kulturellen Austausch mit Brutalos in Saudi-Arabien. Er klassifiziert den Einsatz für Frauenrechte in Afrika und im Islam als „imperialistische Einmischung“. Er genießt die relative Sicherheit hierzulande und verurteilt Interventionen gegen Terroristen in Afghanistan als bösen Angriffskrieg. Der europäische Pazifist: er hat den Durchblick. Für all jene, die sich dieser infantilen Ideologie des europäischen Pazifismus nicht anschließen wollen, gibt es eine andere Möglichkeit. Es gibt die Möglichkeit, das Gehirn anzuwerfen und zu fragen: Wie können wir uns verteidigen? Die Antwort darauf wäre denkbar einfach: Zuvorderst müssen unsere Politiker lernen, dass sie unangenehme Wahrheiten aussprechen und schwierige Entscheidungen treffen müssen. Die da wären (unter anderem): Die islamische Welt ist kein Freund, sie ist ein Gegner. Die europäische Friedensordnung ist eine große Lüge, unser Sozialsystem und die „europäische Friedensordnung“ sind nämlich nur deshalb „möglich“ (gewesen), weil die USA für uns die Verteidigungskosten übernommen haben. Die Resultate dieser Erkenntnis sind dann: Appeasement hat noch nie in der Geschichte gewirkt, Abschreckung dagegen schon. Die logische Konsequenz eines solchen Denkprozesses: die Entwicklung einer ordentlichen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Will Europa überleben, führt daran kein Weg vorbei. Derzeit schaufelt sich Europa sein eigenes Grab.

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Fußnote 85: Zeit für Schlauheit

27. März 2010 05:32 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die EU bricht ihre Verträge. Und was tut Österreich? Es kann überhaupt kein Zweifel bestehen: Die EU wird ihr eigenes Recht brechen, falls alle anderen Euro-Länder wirklich Griechenland mit Krediten aus der (selbst verschuldeten) Krise heraushelfen sollten. Das ist ausdrücklich verboten. Diese Kredite sind freilich zum Glück noch nicht Wirklichkeit, sondern werden vorerst nur nebulos angekündigt. Hätte Österreich eine schlaue Regierung (Grammatiker würden sagen: Coniunctivus irrealis), dann würde es die Gelegenheit ergreifen, für diesen noch immer ungewissen, aber doch wahrscheinlicher gewordenen Zeitpunkt selbst Dinge aus den Verträgen hinauszuverhandeln. Da drängen sich ja zwei Anliegen besonders auf: die drohenden Megastrafen, falls Österreich die absurden Kyoto-Ziele bei der CO2-Reduktion nicht erreicht; und der Zwang, deutsche Studenten nicht ablehnen zu dürfen, die bei uns gratis und ohne Zugangshürden studieren wollen. Aber unsere Regierung debattiert ja nicht einmal den europäischen Vertragsbruch, sondern freut sich über den beabsichtigten Vertragsbruch . . .

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Fußnote 83: Gipfel im Nebel

26. März 2010 10:08 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Was der nächtliche Beschluss der EU-Regierungschefs wirklich bedeutet, wird sich erst lange im Nachhinein zeigen. Etliche Teilnehmer wie ein Werner Faymann wissen es jedenfalls mit Garantie selber nicht. Die wahrscheinlichste Interpretation: Die Gipfelbeschlüsse bedeuten gar nichts. Wofür Angela Merkel trotz der Kritik aus anderen - auf deutsches, österreichisches und niederländisches Geld gierigen - Ländern an ihr nicht hoch genug gelobt werden kann. Die Beschlüsse sollen wohl lediglich die kommerziellen Geldverleiher beruhigen, dass diese im Vertrauen auf eine Garantie von Berlin & Co weiterhin den Griechen Geld borgen. Ob diese Geldverleiher allerdings wirklich so blöd sind zu ignorieren, dass die Details der Garantie leider, leider noch nicht feststehen, und dass diese Garantie daher eigentlich nichts wert ist? Alle anderen Interpretationen der Gipfelbeschlüsse wären freilich viel schlimmer und würden die griechisch-spanisch-portugiesische Bankrottgefahr auf ganz Europa ausdehnen. Fußnote zur Fußnote: Ein griechischer Mail-Schreiber machte mir zu meinem Kommentar in den Salzburger Nachrichten klar, was hinter meinem Nein zur Griechenland-Hilfe steckt: "Faschistoides Gedankengut". Er hat nur leider nicht geschrieben, ab wie viel Milliarden Griechenland-Hilfe das faschistoide Gedankengut aufhört . . .

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SN-Kontroverse: Griechenland-Hilfe

26. März 2010 09:32 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Unter dem Titel “Kontroverse” gibt es in jeder Freitag-Ausgabe der Salzburger Nachrichten eine Doppelkolumne, in der Katharina Krawagna-Pfeifer und ich jeweils zum gleichen, von der SN-Redaktion vorgegebenen Thema schreiben. Und zwar ohne dass man gegenseitig die Texte vorher kennt. Diese Woche steht die “Kontroverse” unter dem Titel:

Soll die EU Griechenland helfen oder seinem Schicksal überlassen?

In der Folge finden Sie die beiden – unverändert wiedergegebenen – Kolumnen. Dadurch soll dieser kreativen und spannenden Idee auch hier ein Forum gegeben werden.

Killerkapitalismus ein neuer Killer-Virus?

Katharina Krawagna-Pfeifer war Innenpolitikerin der SN, Innenpolitikchefin sowie Leiterin des EU-Büros des “Standard” und SPÖ-Kommunikationschefin. Sie arbeitet jetzt als Publizistin und Kommunikationsstrategin (kkp.co.at). Die Zeiten ändern sich. Ein großes heimisches Logistikunternehmen wirbt mit dem Slogan „Ist die Zukunft Zucker oder süß?  Günstig statt billig" gezielt für seine Sparangebote, damit Jung und Alt günstig in die europäischen Metropolen gelangen können. Der geile Geiz ist längst vorbei. Früher hätte man von Raffgier gesprochen. Die Raffgier - auch Killerkapitalismus genannt -  ist der HIV-Virus des 21. Jahrhunderts und hat sich, wie mann und frau spüren,  weltweit ausgebreitet. Vorerst gibt es dagegen keine wirksamen Impfungen. Aber möglicherweise könnte eine Verhaltensänderung - Stichwort safer sex - die  Ansteckungsgefahr eindämmen. Geforscht wird heftig an einem Gegenmittel. Die Forschungslabors stehen überall, da Aids sich bekanntlich bei entsprechendem Fehlverhalten überall ausbreiten kann. Denn die Gesellschaft - in unserem Fall also die politische Gemeinschaft der Europäer  -  gärt bereits. Um das Bier nicht zum Überschäumen zu bringen oder eine Pandemie auszulösen, haben sich einige Forscher in Brüssel zusammengeschlossen. Sie haben nun eine vermeintlich neue Substanz für den Impfstoff gegen den Killerkapitalismus entdeckt. Er ist in Wahrheit uralt. Es ist die Solidarität. Dabei geht es um die faire Verteilung der Lasten in einer Gesellschaft, damit sie wegen der Raffgier nicht zusammenbricht. In unserem Fall heißt die Lastenverteilung eine finanzielle Spritze für die Griechen, auch wenn sie sich  nicht ganz korrekt verhalten haben, damit nicht alle angesteckt werden. Denn eines lehrt die Geschichte, und das ist die eigentliche Gründungsidee für die EU, die immerhin seit 65 Jahren in Zentral- und Mitteleuropa  den Frieden gesichert hat. Nur wenn die Lasten in einer Gesellschaft fair verteilt sind, wird Friede in „unserer Zeit" möglich sein. Und hoffentlich auch für die künftigen Generationen.

Lieber ein Ende mit Schrecken

Andreas Unterberger Nur noch die Vernunft der deutschen Regierung verhindert, dass Österreichs Steuerzahler Unsummen in ein griechisches Fass ohne Boden werfen müssen.  Die SPÖ wollte von Anfang an ihren schwer verschuldeten griechischen Parteifreunden mit europäischen Milliarden über die nächsten Monate helfen (bis die ein paar Monate später halt wieder anklopfen). Und auch von der ÖVP gab es nie ein klares Nein zu dieser Idee. Das aber wäre die einzige vertretbare Antwort. Es ist absolut unakzeptabel, die Österreicher zu schröpfen (wie es nach den Wiener Wahlen im Herbst mit großer Brutalität passieren wird) und gleichzeitig einem Land beizustehen, das seit Jahren über seine Verhältnisse lebt, das alle Maastricht-Kriterien ignoriert, das seine Statistiken hemmungslos manipuliert und in dem Steuerhinterziehung Volkssport ist. Ein Nein zu europäischen Hilfen für Griechenland (die übrigens auch EU-Recht verletzen würden) ist außerdem die einzige Möglichkeit, um den bereits wackelnden Euro langfristig glaubwürdig zu machen. Nur ein Nein wäre den vielen anderen europäischen Sündern eine klare Lektion. Nur ein Nein würde Europas Regierungen die Kraft geben, die heiligen, aber unfinanzierbaren Kühe des Wohlfahrtsstaats, des Subventionsunwesens, der Bürokratie, der Überregulierung, des Föderalismus zu reduzieren. Gewiss wäre ein Nein zu Griechenland-Hilfen kurzfristig schmerzhaft. Für die Griechen und auch alle jene, die ihnen Geld geborgt haben (wie etliche österreichische Banken). Aber dieses Ende mit Schrecken - ob es nun zu einem Staatsbankrott mit Umschuldung oder einem Ausscheiden aus dem Euro mit nachfolgender Abwertung wäre - wäre allemal billiger als der drohende Schrecken ohne Ende. Bei dem Spanien wie Portugal, Irland wie Italien sehr bald die Hand aufhalten würden - bis auch Deutschland und Österreich pleite sind.

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Werner Niemand, Bundeskanzler

18. März 2010 01:23 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Bei Werner Faymann häufen sich die Katastrophentage. Bad-Style-Days. Diese erlauben einen tieferen Einblick, was unter der Fassade tatsächlich verborgen ist, wenn sie sich einmal nicht aufrechterhalten lässt. Wie leichtgewichtig der Mann mit dem Büroschild Bundeskanzler international wirklich ist, und mit welch miesem Stil er die Regierung führt. Diese Woche gab es zwei Absagen. Einmal musste Maria Fekter das dritte Erstaufnahmelager für Asylanten absagen. Und dann der Kanzler selbst das Europa-Forum Lech. Faymanns Kommentar zur Fekter-Niederlage gibt einen tiefen Einblick, wie er wirklich zu Zusammenarbeit und Regierungsabkommen steht. Mit unverhohlener Schadenfreude zog er alle Register, derer sich sonst nur die Grabenkämpfer in den Parteizentralen bedienen. „Zuerst muss was unbedingt sein, man fährt über die Leute drüber und dann heißt es Kommando zurück.“ So viel zu einem produktiven Koalitionsklima. Bei allen Fehlern, die Maria Fekter in Sachen Eberau gemacht hat, darf man sich doch fragen, warum etwas, was im Regierungsübereinkommen steht, dann zur Bestemmfrage eines Einzelministers umstilisiert wird, nur weil die Sache nicht populär ist. Ein guter Stil für einen Team-Kapitän ist das jedenfalls nicht. Besonders in schwierigen Zeiten wie den unseren. Die Absage des Lecher Treffens scheint dagegen nur eine unwichtige Fußnote zu sein. Die stolz angekündigten Gäste von Putin über Merkel bis Barroso und Berlusconi haben also alle, alle abgesagt. Na und: Sie sind ja schon alle da gewesen bei früheren Kanzlern. Interessant ist aber die Frage: Warum wollen sie heuer nicht? Wirklich nur deswegen, weil es in Krisenzeiten vielleicht nicht so gut ankommt, wenn man in Nobelorten über Pisten carvt, während das Volk zu Hause zum Krisenaderlass gebeten wird? Alles, was in den letzten Monaten über das geplante Europa-Forum zu hören war, legt einen anderen Grund für die Blamage nahe: Hier wurde einfach schlecht vorbereitet. Hier zeigte sich die völlig fehlende internationale Reputation des Regierungschefs. Der Kanzler gab noch ausführliche Interviews, was er mit Putin am Skilift besprechen würde, obwohl aus der Diplomatie bereits zu hören war: Putin habe keinerlei Absicht zu kommen. Auch von den anderen Wunschgästen war die Absage bereits signalisiert, als hierzulande immer noch  mit ihnen geprotzt wurde. Aber auch ein Skiausflug mit Putin ist kein bequemer PR-Gag, sondern ein politisches Ereignis, das inhaltlich und diplomatisch vorbereitet sein muss, damit es überhaupt stattfindet. Und dazu braucht es intensive professionelle Arbeit im Vorfeld. Über die Lech-Absage könnte man lächeln. Mitleidig, schadenfroh oder genervt. Dass wir keine Bilder ins Haus geliefert bekommen, wie Werner Faymann mit den Großen der Welt sportelt, tut niemandem weh (außer dem einzigen Gast, der nicht abgesagt hat, weil er für seinen Vortrag 80.000 Honorar aus Steuergeldern bekommen hätte). Nicht zum Lachen ist freilich das Bild vom Arbeitsstil im Kanzleramt, das uns die Marginalie Lech eröffnet. Ohne viel Vorbereitung lassen sich nämlich nur Inserate als Politikersatz schalten. Gelungenes Regieren kann dagegen nur auf der Basis umfassender, detailreicher und ernsthafter Vorarbeiten passieren. Alles andere ist Geschludere, Pfusch und Verantwortungslosigkeit pur. Bad style eben.

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Fremde Währung, eigene Fehler

17. März 2010 01:19 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Das derzeitige Herumeiern der EU in Sachen Griechenland sollte vor allem eine Gruppe sehr nervös machen: Jene Menschen, die ihre Wohnung, ihr Haus mit einem Fremdwährungskredit finanziert haben. Ohne dass ich hier Finanztipps geben möchte, so scheint es doch ziemlich sicher, dass in den nächsten Monaten der Druck auf den Schweizer Franken - die zuletzt häufigste Währung für Kredite - noch gewaltig zunehmen wird. Nämlich Richtung hinauf. Damit wird die Rückzahlung für jene Kreditnehmer deutlich teurer. Wobei für jene, die einen älteren Kredit haben, das Jahr 2008 ohnedies schon katastrophal war: Hat doch damals der Börsenabsturz alle über Ansparpläne endfinanzierte Kreditverträge ein erstes Mal empfindlich verteuert. Während Euro-Schuldner auf die nun in breiter Front eingeläutete Inflation hoffen dürfen (Sparer sollten diese natürlich panisch fürchten). Gewiss: Viele der Fremdwährungs-Schuldner sind in gewissem Ausmaß selber schuld. Werden sie doch seit Jahren intensiv vor dem damit verbundenen Risiko gewarnt (wenn auch meist nicht von ihrer eigenen Bank . . .). Sie ließen sich aber von den niedrigen Schweizer Zinsen blenden. Vor allem konnten sie einfach nicht glauben, dass sich die Euro-Länder, also die eigenen Regierungen so tief in Schuldenabenteuer stürzen würden. Welche die Schweiz total vermieden hat. Warum schaffte das die Schweiz eigentlich? Liegt sie eigentlich nicht auf dem gleichen Kontinent und genauso weit entfernt von den USA wie die EU? Hat die Schweiz keine riesigen, in großdimensionierte internationale Geschäfte verwickelte Banken? Womit auch schon die beiden Sündenböcke genannt sind, auf welche die EU-Europäer derzeit alle Schuld schieben, um von ihrer eigenen Schuldenpolitik abzulenken. Die Hauptschuld der Schuldner liegt jedenfalls darin, dass sie den eigenen Regierungen und der EU vertraut haben. Ein unverzeihliches Delikt, für das zumindest Zyniker jede Strafe als angemessen ansehen werden. Gewiss: Noch liegen zwei Hindernisse auf dem Weg zur endgültigen Euro-Krise: erstens einige standhafte Juristen, die sagen, die nun diskutierten Hilfskredite für Griechenlands Lotterleben seien in jedem Fall EU-widrig (und könnten nachträglich zu argen Strafen durch den Europäischen Gerichtshof führen). Zweitens ist es - noch - die schwarz-gelbe Regierung in Berlin, die derlei Unsinnigkeiten verhindert. Aber kein Zweifel: Der Druck auf Berlin ist gewaltig. Sozialdemokraten, viele Medien, naive Europa-Begeisterte, aber auch linke Christemokraten wie Luxemburgs Premier Juncker wollen den Griechen unbedingt helfen. Zu Lasten der deutschen und österreichischen Steuerzahler und Franken-Schuldner. Und im Grund scheinen auch Merkel, Schäuble und Westerwelle schon längst weichgeklopft. Nur fürchten sie noch die bevorstehenden Wahltage. In Österreich war Werner Faymann von Anfang an für die Griechenland-Hilfe, und Josef Pröll hat dem keinen erkennbaren Widerstand entgegengesetzt.

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Die Spekulanten-Verschwörung

15. März 2010 10:23 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Eine „Spekulanten-Bande“ gefährdet den Euro. So ruft es seit Tagen aus den Boulevardzeitungen und aus vieler Politiker Mund. Auch in Antworten zu einem vor zwei Tagen hier erschienen Blog (der aufgefordert hat, Griechenland doch in Konkurs gehen zu lassen) hat so mancher auf die „Spekulation“ verwiesen. Das ist aber trotz der Lautstärke dieser Rufe ein Argument, das ins Leere geht. Denn Ursache des Euro-Abgleitens in diesem Jahr ist nicht die „Spekulation“ – was auch immer man jeweils darunter verstehen will –, sondern einzig die Tatsache, dass eine Reihe von Euro-Ländern Budgetdefizite von weit mehr als 20 Prozent (beziehungsweise von weit mehr als zehn Prozent des BIP) eingestehen muss. Und dass es keinerlei Anzeichen gibt, dass diese Schuldenmacherei ein Ende findet. Was naturgemäß das Vertrauen in den Euro stört. Es ist nicht Spekulation, sondern Intelligenz, jemandem kein Geld mehr zu geben, der immer mehr Schulden anhäuft. Oder nur zu einem sehr hohen Preis (=Zinsen). Wäre nicht die größte Konkurrenzwährung, der Dollar, von ähnlichen Schuldenproblemen geplagt, und würden die soliden Schweizer nicht freundlicherweise wie wild ihnen angebotene Euro vom Markt weg kaufen, um einen allzu starken Frankenanstieg zu verhindern, wäre der Euro-Absturz noch viel steiler. Wenn Politiker in einer solchen Lage plötzlich anfangen, „Spekulanten“ zu attackieren, dann wollen sie den Spiegel zerschlagen, der ihnen die eigenen Sünden zeigt. Dann sind sie wieder einmal auf der Jagd nach einem Sündenbock. Noch dazu, wo sich niemand wehren wird, weil sich niemand als „Spekulant“ fühlt, sondern weil jeder versucht, mit dem eigenen beziehungsweise dem ihm anvertrauten Geld möglichst erfolgversprechend umzugehen. Seit es Gläubiger und Schuldner gibt, also seit Jahrtausenden, gibt es die Regel: Wenn ein Kreditnehmer als bombensicher eingeschätzt wird oder wenn er wertvolle Pfänder beistellen kann, dann muss er viel weniger Zinsen zahlen als ein wackliger Schuldner. Wenn man in eine Kategorie von Schuldnern gehört, von denen die kreditgebende Bank annehmen muss, dass im Schnitt jeder zwanzigste umfällt, dann muss sie um fünf Prozent höhere Zinsen verrechnen, will sie nicht selber umfallen.

Geldverleiher sind immer unpopulär

Ebenso viele Jahrtausende gibt es die propagandistische Antwort der Schuldner: Sie bereuen nicht ihre mangelnde Sparsamkeit, sondern beschimpfen regelmäßig die knausrigen Geldverleiher als Spekulanten oder Wucherer – oder klagen über eine „Kreditklemme“. Geld zu verleihen mag zwar bisweilen ein Geschäft sein, populär wird man damit nie. Das war übrigens auch eine der historischen Wurzeln des Antisemitismus. Besonders skurril und widersprüchlich waren in den letzten Wochen die Kommentare von linken Politikern und Journalisten in Sachen Griechenland. An einem Tag beschimpften sie die Banken, weil sie den Griechen keine Kredite mehr geben wollten; und am anderen Tag beschimpften sie die Banken, weil sie Spekulanten seien, die höhere Zinsen verlangen. Ohne allzu technisch werden zu wollen: All das Gesagte gilt auch für die kompliziert klingenden Finanzprodukte wie Derivate oder Credit Default Swaps (CDS). Letztere sind etwa die jahrhundertealte Urform von Versicherungsverträgen, in deren Rahmen sich einst in London einige wohlhabende Menschen – natürlich gegen saftige Gebühren – zu kollektiven Ausfallshaftungen für den Untergang einer Schiffsladung verpflichtet haben. Diese Ausfallshaftungen samt Gebühren konnten natürlich auch weiterverkauft werden. Und der Preis bei einem solchen Weiterverkauf entwickelte sich je nachdem, ob die einlangenden Nachrichten die Hoffnung auf ein erfolgreiches Ende der Schiffsreise erhöhten oder nicht. Im Falle Griechenlands ist es heute genauso. Da muss man nur statt „erfolgreiches Ende der Schiffsreise“ einige andere Worte einsetzen: „erfolgreiche Rückzahlung der Griechenland gewährten Anleihen“. Natürlich kann man auf eine solche Rückzahlung auch unabhängig von einer Versicherungs-Haftung wetten – ebenso wie auf den Ausgang eines Pferderennens. Voraussetzung ist nur, dass man jemanden findet, der dagegen wettet. Am Ende wird einer der beiden Wettenden seinen ganzen Wetteinsatz verlieren, aber Griechenland wird von der Wette prinzipiell nicht tangiert. Es muss nur das tun, was es versprochen hat, seine Schulden pünktlich zurückzahlen. Und wenn es das tut, werden all jene, die auf die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands gewettet haben, kräftig auf die Nase fallen. PS: Würde der werte Leser eigentlich derzeit Griechenland seinen Spargroschen anvertrauen? PPS: Ich wette fast nie, und wenn, dann nur um eine Flasche guten Rotweins (die man leider oft trotz Gewinns der Wette nicht bekommt, weil viele Menschen gerne auf die Bezahlung vergessen. Daher wetten die meisten klugen Menschen nur noch mit seriösen Partnern – wenn sie schon glauben, die Zukunft besser als andere vorhersagen zu können).

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Lasst die Griechen doch in Konkurs gehen

13. März 2010 06:10 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die Markwirtschaft hat seit langem eine klare Antwort, wenn sich jemand überschuldet: den Konkurs, also ein Ende mit Schrecken. Diese klare Konsequenz hat man im Vorjahr durch weltweite Staatsinterventionen zur Rettung von Banken und Industrien zu vermeiden versucht – und hat nun den Schrecken ohne Ende. Dieser Schrecken ohne Ende wird nun ins schier Unendliche gesteigert, wenn nun die Steuerzahler aus Deutschland und Österreich auch Griechenland mit vielen Milliarden retten sollen. Dafür sind die von allen guten Geistern verlassenen europäischen Regierungen offenbar bereit, sogar die EU- und Euro-Verträge zu brechen. Diese Verträge verbieten es, dass einem überschuldeten Staat geholfen wird, gleichgültig ob diese Hilfe durch andere EU-Staaten, durch die EU, die Europäische Investitionsbank oder die Europäische Zentralbank erfolgen soll. Dieses Verbot hat einen guten Grund: Es soll verhindern, dass sich Euro-Staaten trotz der strengen Regeln der sogenannten Maastricht-Kriterien (die übrigens von österreichischen Links- wie Rechtspopulisten häufig kritisiert worden sind) maßlos verschulden – im Vertrauen, dass einem am Ende der reiche Onkel aus Frankfurt, Brüssel oder Berlin eh helfen werde. Alleine Österreich müsste anteilsmäßig allein für die Rettung Griechenlands mindestens eine halbe bis eine ganze Milliarde Euro zusätzlich hinlegen – während man gleichzeitig gerade verzweifelt nachdenkt, wie man den Österreichern für die Sünden des Vorjahres zusätzlich 1,7 Milliarden durch neue Steuern aus der Tasche zieht. Man also gar nicht weiß, woher man das Geld für die Griechenland-Hilfe nehmen sollte.

Ein Dammbruch droht

Selbst wer auch das noch für finanzierbar hält, wird verstummen müssen, wenn nach den Griechen als nächste die viel zahlreicheren Spanier ebenfalls Geld verlangen. Die Spanier stehen ja genauso schlecht da wie die Griechen. Und kaum besser ist es um Portugal, Italien und Irland bestellt. Pikanterweise lauter Länder, die seit Jahrzehnten fette Milliarden von den Nettozahlern der EU über Struktur-, Regional oder Kohäsionsfonds beziehen, die es also gleichsam gewohnt sind, dass sie ein Dritter rettet. In Griechenland versucht die Regierung nun wenigstens, durch ein hartes Sparprogramm (Mehrwertsteuererhöhung, Kürzung von Beamtengehältern und Pensionen) eine Umkehr einzuleiten, und stellt sich dem aggressiven Protest der Straße entgegen. Offen bleibt freilich, wieweit Athen auch das Krebsgeschwür der wuchernden Korruption in den Griff bekommt. Jeder Grieche gibt im Jahr laut Transparency International im Schnitt 1355 Euro aus, um jemanden zu bestechen beziehungsweise um an ihm eigentlich zustehende Leistungen heranzukommen; dieser Betrag ist allein von 2007 auf 2009 um 23 Prozent gestiegen. Auf die zeitweiligen Versuche griechischer Politiker, wieder einmal das schlechte Gewissen der Deutschen wegen des Weltkriegs zu bemühen, hat Deutschland zum Glück nicht einmal mit dem Ohrwaschel gewackelt. Nur einige Beispiele: Oppositionschef Tzimas: „Wie kann Deutschland die Frechheit besitzen, uns wegen unserer Finanzen zu denunzieren, wenn es noch immer keine Entschädigungen für die griechischen Opfer des Zweiten Weltkrigs gezahlt hat?“ Oder die Kommunisten: „Deutschland hat den Wert seiner Goldreserven aufgebläht, um den Euro zu bekommen.“ In Spanien hat die ebenfalls sozialistische Regierung hingegen sofort knieschlotternd zurückgezogen, als die Gewerkschaften gegen ein – ohnedies nur zartes – Sparpaket mit Beamtengehalts-Kürzungen protestierten. Spanien hat ja derzeit die weitaus linkeste Regierung Europas, während die Griechen und Portugiesen von gemäßigten Sozialdemokraten regiert werden.

Was passiert mit dem Euro?

Was würde aber, so fragen manche besorgt, mit dem Euro passieren, wenn man Griechenland in Konkurs gehen ließe? Oder Spanien? Nun, der Euro würde einige Male wild nach oben und unten ausschlagen – aber sich dann zweifellos kräftig stabilisieren: Europa hätte dann nämlich aller Welt demonstriert, dass es seine Währung ernst nimmt, dass es diese auch gegen die Disziplinlosigkeit der eigenen Mitgliedsländer verteidigt. Das schafft bei Geldanlegern Vertrauen. Fließt hingegen europäisches Steuergeld nach Griechenland, dann  würde der Euro ebenfalls wild ausschlagen – aber letztlich zweifellos tief nach unten sinken. Der Vertrauensverlust wäre nachhaltig und nicht wiedergutmachbar. Die Menschen würden in andere Währungen flüchten; insbesondere der Schweizer Franken würde sich des gewaltigen Ansturms nicht mehr erwehren können und als Fluchtwährung nach oben schnellen, da ja auch der Dollar mit vielen Sünden beladen ist, also kaum noch Fluchtwährung spielen wird. Was geschieht aber mit den Forderungen der österreichischen Banken, die griechische Anleihen im Tresor haben? Auch da gibt es eine klare Antwort: Es wäre noch immer billiger, diesen Banken direkt zu helfen, als durch Hilfe für Griechenland zahllose Nachfolgetäter anzustiften. So wie die vorjährige Hilfe für alle in Probleme rutschenden Banken dazu geführt hat, dass die durchaus üppigen Gehälter im Bankbereich kaum betroffen waren, dass etwa hierzulande keine einzige Bank aus dem viel zu dicht besetzten Bankenmarkt verschwunden ist. So wie in Deutschland die Rettung Opels ein Gesundschrumpfen der Autoindustrie verhindert hat.

Umschulden und reformieren

Vor allem bedeutet eine Zahlungsunfähigkeit eines Staates ja noch nicht, dass Forderungen gegen diesen Staat zu hundert Prozent abgeschrieben werden müssen. Da gibt es interessante Beispiele – etwa Russland oder Polen. Als sie gröbere Finanzprobleme hatten, haben sie sich – meist in Paris – mit ihren Gläubigern zusammengesetzt und Umschuldungsabkommen ausgehandelt. In solchen Abkommen verzichten die Gläubiger beispielsweise auf 30 Prozent ihrer Forderungen, verleihen auch frisches Geld und erstrecken etwa das Zahlungsziel um drei Jahre. Und siehe: All diese Länder haben sich – zusammen mit hartem innerstaatlichem Sparen – erholt. Noch besser ist das Beispiel der Skandinavier in den 90-er Jahren. Sie waren durch die Exzesse des Wohlfahrtsstaates (und Finnland durch den Zusammenbruch des russischen Exportmarktes) in fast ans heutige Griechenland heranreichende Probleme geschlittert. Sie haben mit beinharten („sozial kalten“, „neoliberalen“) Reformen geantwortet. In Schweden etwa geht man heute durchschnittlich um vier Jahre später in Pension als in Österreich. In Dänemark gibt es überhaupt keinen Schutz gegen Kündigungen. Und siehe: Heute stehen diese Länder wieder recht gut da. Und leisten sich immer nur so viel Wohlfahrt, wie sie sich leisten können. Auch aktuell gibt es ein gutes Beispiel: Das sehr neoliberal regierte Polen hat derzeit das weitaus beste Wachstum in der EU.

Ignorieren hilft nicht

Natürlich gibt es auch negative Beispiele wie Argentinien, das als Antwort auf eine Krise beschlossen hat, seine Auslandsschulden zu ignorieren. Dem daher bis heute kaum jemand einen Kredit einräumt. Das bis heute von linkspopulistischen Politikern (Peronisten) regiert wird und nicht aus seinen Problemen herauskommt, obwohl Argentinien nach dem Krieg einmal eines der reichsten Länder der Welt war. Ein weiteres negatives Beispiel droht nun Island zu werden, das nun nach einem populistischen Referendum seine Auslandsschulden nicht zahlen will (die entstanden sind, weil der Staat für die Banken des Landes gehaftet hat). Warum aber sind so viele europäische Regierungen jetzt dafür, Griechenland trotz aller Verbote – oder notfalls um den Preis einer Vertragsänderung – Geld zuzuschieben? Erstens weil es generell kaum noch Regierungen gibt, die das Wort „Nein“ buchstabieren können, wem gegenüber auch immer. Und zweitens, weil die meisten Regierungen selber viel zu hohe Defizite machen und daher gerne selber die Garantie hätten, dass auch sie und ihr Land letztlich von anderen herausgeboxt würden. Nur wird es nach einer „Rettung“ Griechenlands bald niemanden geben, der sie herausboxen könnte.

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Für die Katz und Burgenlands SPÖ

08. März 2010 11:12 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Wer hätte nicht gerne in Zeiten wie diesen einen Polizisten oder zumindest einen Soldaten zu seinem Schutz abkommandiert? Doch leider bekommt niemand von uns diesen Schutz - weil wir weder Diplomaten noch Burgenländer sind. Der Rechnungshof hat nun den Grenzeinsatz des Bundesheeres im Burgenland mit einer Härte in der Luft zerfetzt, die in reiferen Demokratien zu einem Ministerrücktritt führen würde. Doch keine Sorge: Solange zwei Burgenländer in der SPÖ machtmäßig und intellektuell den Ton angeben - die Herren Darabos und Ostermayer -, wird es bei jenem Grenzeinsatz bleiben. Denn die burgenländische SPÖ will diese Geldverschwendung im Mega-Maßstab auch weiterhin fortsetzen - damit sich ihre Burgenländer sicher fühlen und schön brav die Partei wählen.

Allen Fakten zum Trotz

Tut alles nichts. Der Einsatz geht weiter. Bis Österreich Griechenland geworden ist.

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Österreichs Sicherheit: verachtet, missbraucht, vernachlässigt

19. Februar 2010 10:44 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Über den Zustand des Bundesheeres wird gejammert, seit es existiert. Und Offiziere sind ein Berufsstand, der seit jeher gerne und viel über die Missachtung durch die Republik zu klagen versteht. Damit stellen die jüngsten Katastrophenmeldungen über den Zustand der Kasernen, über die Einsatzbereitschaft von Panzern und Abfangjägern scheinbar nur eine Fortsetzung des Gewohnten dar. Dennoch bedeutet die verachtungsvolle Lieblosigkeit, die dem Heer heute - nicht zuletzt vom verantwortlichen Minister - zuteil wird, einen neuen Qualitätsssprung. Besonders schlimm ist die Farce des Grenzeinsatzes im Burgenland. Ein großer Teil der Wehrpflichtigen muss dort eine Grenze "bewachen", die auf Grund des Schengen-Vertrags absolut offen ist, die also an den normalen Grenzübergängen ohne Kontrollen überschritten wird. Der einzige Zweck dieses millionenschweren Einsatzes ist die Erhaltung der SPÖ-Mehrheit im Burgenland, da das subjektive Sicherheitsgefühl der Burgenländer durch die patrouillierenden Soldaten erhöht wird. Obwohl diese im ganzen Vorjahr nur neun Illegale aufgegriffen haben. Ein solcher Einsatz ist absurd - wieviele der 23 Selbstmorde von Soldaten beim Grenzeinsatz auch immer auf dessen lähmende Sinnlosigkeit zurückzuführen sein mögen. Und er ist auch unabhängig davon absurd, ob er er 12,5 Millionen Euro im Jahr (laut Verteidigungsminister Norbert Darabos), 22 Millionen (wie inoffizielle EU-Quellen sagen) oder 38 Millionen kostet (VP-Staatssekretär Reinhold Lopatka).  Das Geld wäre viel besser in die Renovierung der desolaten Kasernen investiert gewesen. Und dem Sicherheitsbedürfnis der Burgenländer (und auch der selbst für einen burgenländischen Minister nicht ganz wegzudenkenden übrigen Österreicher!) wäre viel besser durch die von der SPÖ abgelehnte Anwesenheitspflicht für Asylwerber in Aufnahmezentren gedient. Noch ärgerlicher ist die Vorliebe des Ministers für seinen zweiten Verantwortungsbereich, den Sport. Es war ja schon unter allen Vorgängern sehr bedenklich (wurde jedoch von keiner Partei thematisiert), dass zahlreiche Spitzensportler  bezahlte Heeresangehörige waren und sind, obwohl sie sich nur selten der Landesverteidigung widmen. Sie sind in Wahrheit Staatssportler im alten kommunistischen Sinn. Es ist überaus fragwürdig, ob die Förderung des Spitzensports überhaupt eine Staatsaufgabe darstellt, für die man den Bürgern ihr hart erarbeitetes Geld notfalls mit Zwangsmaßnahmen abnehmen darf. Sportliche Erfolge dienen im Grund nur der Eitelkeit der Funktionäre und Athleten, den Zeitungen zum Füllen ihrer Sportseiten, und sonst zur Steigerung nationaler bis chauvinistischer Gefühle. Der - zweifellos viel eher förderungswürdige - Breitensport wird dadurch überhaupt nicht gefördert. Man versuche nur für Halbwüchsige Gelegenheit zum regelmäßigen Fußballspielen zu finden, ohne dass sie drei- bis viermal in der Woche antreten müssen (weil fast alle Vereine nur am Züchten von Spitzensportlern interessiert sind), und ohne dass sie sich in einen Infight mit Migranten-Gruppen einlassen müssten, die heute praktisch alle öffentlichen Parks besetzt halten. Während für Gerät und Kasernen zu wenig Euro da sind, hat Darabos für etwas anderes Geld: Für das Sponsern von Sportsendungen im ORF. Was offenbar vielen Zeitungen billig ist (und den Steuerzahlern teuer), nämlich die explosionsartig zugenommene Bestechung durch die Politik auf Steuerzahlers Kosten, reißt nun auch beim ORF immer mehr ein. Trotz der Gebührenfinanzierung. Kein Wunder, dass Darabos im ORF sehr gut wegkommt - trotz seiner reduzierten rhetorischen Fähigkeiten. Der Gipfelpunkt auf seinem Schuldkonto ist aber die Reduktion der angeschafften Abfangjäger. Damit ist nicht nur deren Zahl wahrscheinlich schon unter die Schwelle des Verantwortbaren gesunken. Infolge der Neuverhandlung des Kaufvertrags durch Darabos ist auch die technische Ausrüstung der Eurofighter schlechter geworden. Weil Österreich inzwischen schon wieder leicht veraltete Geräte bekommt, ist auch schon die Ersatzteil-Beschaffung schwieriger geworden. Und das alles zu einem Stückpreis, der deutlich höher ist als beim usprünglichen Vertrag. Wie das? Für diese Frage gibt es keine Antworten. Denn Darabos weigert sich bis heute, irgendjemandem den Vertrag zu zeigen, nicht einmal dem darob empörten Rechnungshof. In anderen Ländern müssten Minister bei einem solchen Verhalten mit einer flächendeckenden Attacke aller Medien rechnen und in der Regel zurücktreten. Bei uns schüren die Boulevard-Zeitungen hingegen nur den Hass auf das Heer und seine Abfangjäger. Und warum gibt Darabos den Vertrag nicht her? Darüber  gibt es eben nur Vermutungen, wenn auch sehr intensive. Die in Zeiten besonders heftig werden, da eine europaweite Diskussion darüber eingesetzt hat, dass Schmiergelder an die politischen Entscheidungsträger zu den ehernen Regeln jeder größeren Rüstungsbeschaffung gehören. Wer denkt hinter all diesen Merkwürdigkeiten noch daran, dass es bei der Verteidigung natürlich nach wie vor um einen wichtigen Staatsauftrag geht, auch wenn es gerade ringsum relativ ruhig ist? Aber weder ist der Balkan wirklich stabilisiert, noch kann Österreich all die Gefahren ignorieren, die vom Nahen Osten ausgehen, vom Kaukasus, vom immer aggressiver werdenden Islamismus, und von der eskalierenden Piraterie, die auch den österreichischen Handel bedroht. Während bei uns das Heer immer weiter verrottet, wird von Ideologen (deren größter in der Hofburg sitzt) weiterhin gegen die Erkenntnis intrigiert, dass man den meisten Bedrohungen nur noch im europäischen Verbund begegnen kann. Daher ist folgender Vergleich am bedenklichsten: Es gibt (wenn man von Kleinststaaten absieht) in ganz Europa kein Land, das einen so geringen Teil des Nationaleinkommens für die militärische Sicherheit ausgibt wie Österreich. Einschließlich der Abfangjäger. Einschließlich all der hier skizzierten Geldverschwendungen. (Dieser Beitrag ist auf Anregung eines Partners entstanden)

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Ein europäischer Dammbruch droht

18. Februar 2010 05:30 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Vielleicht ist im Kanzleramt noch ein bisschen Kleingeld in der Kaffeekasse und jemand kauft Werner Faymann die Financial Times (und übersetzt sie ihm). Dort machte Otmar Issing, einer der seit langem führenden deutschen Ökonomen, klar, warum es ein absoluter Wahnsinn wäre, an finanzielle Hilfe der EU für Griechenland auch nur zu denken. Wie sie Faymann schon gefordert hat. Issing zufolge ist das eindeutig eine Verletzung der EU-Verträge. (Hinzuzufügen ist: Jener nun mancherors zitierte Paragraph, der solche Hilfe angeblich erlaubt, bezieht sich in Wahrheit auf unverschuldete Naturkatastrophen. Was die jahrelange griechische Schuldenmacherei und Betrügerei wohl nicht ist.) Vor allem macht Issing klar, dass eine solche Hilfe ein "Dammbruch" wäre. Wenn man einem Regelverletzer hilft, dann kann man sie allen anderen auch nicht verweigern. Damit bräche die Glaubwürdigkeit der gesamten Währungsunion zusammen. Und kein Bürger würde verstehen, wenn das Geld der Steuerzahler aus disziplinierten Ländern zur Hilfe für die Regelbrecher verwendet würde. Damit bräche auch die Identifikation mit dem ganzen europäischen Projekt zusammen. Wenn man schon im Kanzleramt nicht zum Lesen ausländischer Zeitungen imstande ist: Vielleicht liest sie wenigstens in der Krone jemand, damit es dann auch Faymann versteht. Zurück zu Europas Währung: Diese wird derzeit feixend von all jenen Ausländern - vor allem Amerikanern - beobachtet, die von Anfang an der Meinung waren, eine Währungsunion zwischen souveränen Partnern mit unterschiedlicher Wirtschaftspolitik könne langfristig nicht funktionieren. Und schon gar nicht, wenn in einer Union ein Teil der Länder mitmacht und ein anderer Teil nicht. Gewiss, lange war das Gründungsprinzip der EU simpel: Die Deutschen zahlen (schließlich müssen sie ja für die Nazis büßen) und die Franzosen und Italiener profitieren. Aber inzwischen sind auch die deutschen Kassen leer: durch die überhöhte Ausgabenfreudigkeit bei der Wiedervereinigung und durch den ständigen Ausbau des Wohlfahrtsstaates. Dass dieser nun durch ein Urteil des deutschen Verfassungsgerichts noch weiter ausgebaut werden muss (Hartz-IV-Urteil), macht den Ausblick übrigens nicht erfreulicher. Beweist es doch nur, dass auch Deutschland nicht vor der griechischen Krankheit gefeit ist. Die es sogar sofort bekommen wird, wenn den Griechen geholfen werden sollte. Denn: Wie will man den deutschen Arbeitslosen den Regierungsstandpunkt erklären, dass es für sie trotz des Karlsruher Urteils kein zusätzliches Geld gibt, während der griechische Sozialstaat, der die Pension schon mit 63 vorsieht, auf Kosten Deutschlands gerettet wird? Die Deutschen haben bekanntlich schon bei den ersten Anzeichen eines zu hohen Defizit das Pensionsalter auf 67 erhöht. Das Urteil beweist aber auch weiter, wie sehr inzwischen in vielen Ländern Richter ohne ökonomische Ahnung zu Mittätern am ständigen Ausbau des Wohlfahrtssystems wurden. Auch der Wiener VfGH hat unter dem Stichwort "Vertrauensschutz" diesbezüglich ja schon manch seltsames (und teures) Urteil gefällt. Und in Argentinien sind in den Monaten vor dem Staatsbankrott die verzweifelten Versuche der Regierung, Ausgaben zurückzunehmen, an Richtern gescheitert. Daher hat auch der FDP-Chef Westerwelle absolut recht, wenn er das jüngste Urteil der Karlsruher Richter scharf attackiert. Seine Worte ("wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspreche, lade zu 'spätrömischer Dekadenz' ein") provozieren zwar. Aber sie stimmen. Übrigens genauso wie Westerwelle absolut unrecht hat, wenn er derzeit eine Chance für eine Steuersenkung sieht und deshalb fast die Koalition scheitern lässt. Die Menschen sind nur noch mit drastischen Worten aus der Wohlfahrtsstaats-Falle zu retten.

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Welche Sprache spricht Europa?

17. Februar 2010 10:58 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Europa bekommt eine neue Diplomatie. Es hat aber noch nicht festgelegt, in welcher Sprache diese Diplomaten arbeiten, welche Sprache sie als Aufnahmevoraussetzung beherrschen müssen. Da stünde es Österreich gut an, sich mehr für die deutsche Sprache einzusetzen. Derzeit sieht es nämlich ganz danach aus, dass die künftigen EU-Diplomaten zwei Sprachen können müssen: Englisch und Französisch. Deutsch aber wird so wichtig sein wie Slowenisch oder Finnisch - obwohl es die größte Sprache in Europa ist, wenn man die EU-Bürger nach ihrer Muttersprache zählt. Zählt man die Sprachkenntnisse insgesamt, dann liegt Englisch an der Spitze, das die häufigste Fremdsprache ist. Damit liegen eigentlich auch die zwei wichtigsten Sprachen der EU fest. Frankreich tut hingegen so, als ob diese Tatsache ein kultureller Atomangriff auf ihre Große Nation wäre. Frankreich hat seit der Gründung der diversen europäischen Gemeinschaften immer viel größeren Wert als alle anderen Nationen auf seine sprachliche Vormachtstellung gelegt, es hat die supranationale Union immer als ideale Plattform zur Durchsetzung sehr nationaler Interessen gesehen. Die in Frankreich insbesondere sprachkulturelle sind. Die Franzosen haben eines richtig erkannt: Fast jeder Mensch drückt sich in seiner Muttersprache besser und gewandter aus als in noch so gut gelernten Fremdsprachen. Man kann sich damit in Sitzungen meist viel besser durchsetzen als andere, die bisweilen erst nach den überzeugenden Formulierungen und Nuancen ringen müssen. Deswegen ist es auch kein Zufall, dass alle wirklich wichtigen Standorte der EU in französischsprachigen Städten liegen: die Kommission in Brüssel, das Gericht in Luxemburg, das Parlament in Brüssel und Strassburg (dieser alleine auf das Insistieren Frankreichs zurückzuführende Doppelstandort verursacht überdies auch noch gewaltige Kosten). Frankreich hat auch bei der Nominierung von Kommissionspräsidenten immer durchgesetzt, dass nur solche Kandidaten zum Zug kamen, die gut französisch sprechen. Das sind macht- und kulturpolitisch kluge Strategien. Demokratisch legitim sind sie aber angesichts der schrumpfenden  Bedeutung der französischen Sprache aber nicht. Deshalb hat Deutschland schon lange für die deutsche Sprache zu kämpfen begonnen. Deutsche Diplomaten und Politiker verwenden in allen internationalen Gremien, wo das erlaubt war, die eigene Muttersprache. Österreich hat da kaum mitgemacht. Die hiesigen Diplomaten sind stolz, in internationalen Auftritten mit ihren Englisch- und Französisch-Kenntnissen zu brillieren und sich über aus Wien kommende Beamten anderer Ministerien oder Politiker zu mokieren, die als einzige Fremdsprache ein eingerostetes  Schulenglisch aufweisen können. Die rot-weiß-rote Diplomatie zeigt damit in Wahrheit immer einen gewissen Minderwertigkeitskomplex und eine Profilierungsneurose gegenüber dem großen (und leider bisweilen sehr präpotenten) Bruder im Norden. Die Austrodiplomaten wollen dadurch zeigen, dass sie eigenständig, dass sie in keiner Weise deutschnational sind. In Wahrheit ist aber diese Haltung krampfhaft und lächerlich. Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sind ganz andere als die der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Und es kann in Wahrheit gar kein Zweifel bestehen, dass der Kampf für den Stellenwert der deutschen Sprache auch ein nationales österreichisches Interesse ist. Dieses wollen manche aber in einer Art verschrobener Political Correctness nicht artikulieren. Lässt man aber kampflos die alleinige Doppelherrschaft des Englischen und Französischen zu, dann fällt man auch weit hinter viele andere Länder der EU zurück. Denn dort sind die Fremdsprachkenntnisse viel besser als in Österreich, weil beispielsweise die meisten Filme im Fernsehen oder in Kinos in der Originalsprache mit Untertiteln laufen; eine eigene Synchronisierung wäre oft zu teuer, wie sie für den großen deutschen Sprachraum selbstverständlich ist. Damit sind aber auch die Fremdsprachkenntnisse anderer Länder besser als hierzulande. In Österreich ist man ja überdies gerade dabei, durch Einführung der Gesamtschule die Sprachkenntnisse noch weiter zu verschlechtern. Gewiss fällt es strukturkonservativen Menschen, wie es auch die österreichischen Diplomaten sind, schwer umzudenken. Immerhin müssen sie ja seit jeher Französisch beherrschen. Immerhin ist Frankreich historisch die Sprache der Diplomatie gewesen. Nimmt man aber dieses historische Argument wirklich ernst, dann wäre Latein noch viel wichtiger, ist es doch die zentrale Basis der gesamten europäischen Kultur. Es wäre also dringend Zeit, in dieser Frage umzudenken. Die Festlegung der Regeln für die neue EU-Diplomatie ist vielleicht sogar die letzte Chance, ein wichtiges nationales Interesse zu verfolgen.

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Griechische Dolchstoßlegenden

16. Februar 2010 04:50 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Nur wenige Tage hat es gebraucht. Und schon kursieren die ersten Dolchstoßlegenden: Die Amerikaner, "Spekulanten" und  eine Bank mit einem jüdisch klingenden Namen sind am Unglück Griechenlands schuld. Und nicht etwa die Griechen selbst, die weit über ihre Verhältnisse gelebt haben, die Löhne und Preise in den zehn Jahren ihrer Euro-Zugehörigkeit um 30 Prozent über das deutsche Niveau hinausgetrieben haben, und die damit in ihrer Gier einfach nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Am linken wie am rechten Rand hat man sich auf die diversen Dolchstoß-Thesen  gestürzt. Ganz rechts liebt man Goldman Sachs als Feindbild. Die griechischen Gewerkschaften wiederum beten neuerlich den dummen Spruch nach: Nicht wir, sondern die an der Krise Schuldigen sollen zahlen (Als ob nicht gerade die Gewerkschaften eine Hauptschuld an überhöhten Löhnen hätten). Auf der europäischen Linken versucht man sich an jeden Strohhalm zu klammern, der von den wahren Fakten ablenkt: Die Bankrottgefahr eines Euro-Landes (und nicht mehr bloß die eines außerhalb oder gar in der Dritten Welt liegenden Staates) bedeutet nämlich das absolute Symbol des Scheiterns sozialdemokratischer Wirtschaftskonzepte, die allerdings auch von sehr vielen anderen Parteien ohne "S" im Parteinamen praktiziert worden sind. Die Schlagworte dieser nun blamierten Theorien sind auch hierzulande nicht unbekannt. Sie lauten: Nicht Sparen, sondern das Schaffen von mehr Arbeitsplätzen würde Wirtschaft, Defizite und Schulden sanieren; daher müsse man die Defizite zuerst noch mehr vergrößern - aber auf dieses "zuerst" folgt nie ein "dann" des Schuldenabbaus. Ein anderes beliebtes wie bequemes Schlagwort, das langfristig ebenfalls nach Griechenland führt: Man müsse durch höhere Defizite den Inlandskonsum ankurbeln, sonst erleide die Konjunktur Schaden. Menschen mit gutem Gedächtnis haben hierzulande auch noch die sozialdemokratischen Sprüche im Ohr: "Nulldefizit-Fetischismus", "herzlose Politik mit dem Rechenschieber" oder: "Molterer sitzt auf dem Geld und gibts nicht her" (als eine Konjunkturverbesserung der Republik etwas höhere Einnahmen als erwartet gebracht hat, die aber noch längst nicht zu einem ausgeglichenen Haushalt ausgereicht haben). Und wenn wir schon kurz von Griechenland nach Österreich abgewichen sind: Die Tatsache, dass sich die SPÖ besonders übel hervorgetan hat, dass sie unter Androsch die Schuldenexplosion hierzulande begonnen hat, dass sie das permanente Schuldenmachen als angeblichen Keynesianismus am stärksten ideologisiert hat, heißt nicht, dass die anderen Parteien unschuldig wären: Die FPÖ war ab Knittelfeld nie mehr zu nüchterner Sparsamkeit bereit. Bei den Grünen ist mit Alexander van der Bellen der wirtschaftliche Hausverstand in Pension gegangen. Und auch in der ÖVP sieht es keineswegs sonderlich positiv aus: Da haben im ÖAAB manche die SPÖ durch Lizitationseskalation links überholen wollen; auch dem Wirtschaftskammerboss Christoph Leitl kann man zahllose Forderungen nachweisen, deren Erfüllung zu noch höheren Defiziten geführt hätten; und Josef Pröll gelang bisher nur verbal und immer nur für die Zukunft die Sparsamkeit: Die von ihm konkret vorgelegten Budgets sind hingegen bisher nur die Eintrittskarte in den Klub der Big spender gewesen. Seit Ausbruch der PIGS-Krise (Portugal, Italien, Griechenland, Spanien) in den letzten Wochen ist die gesamte wirtschaftspolitische Konzeption der genannten Parteien bankrott. Das ewige Immer-mehr-Schulden-Machen hat ausgedient. Die billigen Soziale-Wärme-Sprüche haben sich angesichts dessen, was auf die Griechen jetzt zukommt, als extrem unsozial erwiesen. Natürlich wird (noch) von vielen diese dramatische Bilanz verdrängt. Da versuchen etwa sozialdemokratische Regierungschefs wie Werner Faymann die anderen - also vor allem die Deutschen - dazu zu bewegen, den Griechen sofort dicke (freilich höchstwahrscheinlich uneinbringliche) Kredite zu geben, damit die noch immer nicht wirklich sparen müssen. Da wird eine amerikanische Zeitungsmeldung über griechische Kredite bei Goldman Sachs, die nicht korrekt etikettiert gewesen sein sollen, sofort zur jüdischen Weltverschwörung hochstilisiert. Obwohl der bisher bekannte Vorwurf sehr kryptisch ist;  Obwohl der jetzige griechische Finanzminister diese Kredite von Vorgängerregierungen als nach den damaligen internationalen Usancen für rechtskonform bezeichnet. Gewiss, das muß deswegen noch lange nicht stimmen - wer glaubt denn derzeit einem griechischen Finanzminister schon etwas? Aber Tatsache bleibt jedenfalls: Die schwere, das Land an den Rand des Untergangs treibende Überschuldung ist Griechenland zweifellos ganz aus eigenem eingegangen. Und auch die betrügerischen Falschmeldungen an die europäischen Statistikbehörden hat primär Griechenland zu verantworten. In der kolportierten Beihilfe einer amerikanischen Bank durch Falsch-Deklarierung eines (oder mehrerer) der aufgenommenen Kredite liegt sicher nicht die entscheidende Schuld. Auch wenn genau zu prüfen ist, ob da Rechtsvorschriften verletzt worden sind. Noch dümmer sind jene selbsternannten Beschöniger der griechischen Fehler, die nun die Dinge so darstellen, als ob die armen Hellenen Opfer von "Spekulanten" wären. Absurd. Denn diese ökonomische Verhaltensregel gilt seit ein paar Tausend Jahren: Wenn ein Schuldner wackelt, wenn man unsicher sein muss, ob er seinen Kredit zurückzahlen kann, dann muss er höhere Zinsen zahlen als einer, der bombensicher wirkt. Wer bei der normalen Bank keinen Kredit mehr bekommt, der muss zum Geldverleiher am Eck (ja, zu dem mit dem Geschäftsschild in Deutsch, Türkisch und Serbokroatisch) gehen und dem entsprechend mehr Zinsen zahlen. So wie jetzt die Griechen. Wenn dieser Vorgang wirklich Spekulation  sein soll, dann ist auch die Republik Österreich ein Spekulant: Sie verlangt beispielsweise für ihr im Vorjahr etlichen Banken gegebenes Partizipations-Geld unterschiedliche Zinssätze: 8 Prozent, wenn die emfangende Bank auf den Märkten (also bei privaten Geldverleihern) noch kreditwürdig ist; jedoch 9,3 Prozent, wenn eine Bank das nicht mehr ist. Wer solche Dolchstoßlegenden verbreitet, kann damit zwar seinen Katzenjammer ob geplatzter Ideologie-Träume verdrängen, aber die PIGS-Krise wird durch solche Verdrängungen nur noch schlimmer. Denn dadurch begreifen Länder wie Griechenland weiterhin nicht den Ernst der Stunde, und viele Griechen glauben dann noch immer ernsthaft, man könne die Katastrophe wegdemonstrieren. Viele Osteuropäer haben übrigens schon im Vorjahr sofort die schmerzhaften Maßnahmen vollzogen, die den Griechen zum eigenen Schaden hinausgeschoben haben. Die Osteuropäer haben drastisch und schmerzhaft gespart und kommen dafür nun umso schneller aus der Krise. Aber im vom Wohlfahrtsstaat verweichlichten Süden Europas will man diese Notwendigkeit halt nicht wirklich wahrhaben.

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Die Krise der Sozialdemokratie

12. Februar 2010 12:25 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die Sozialdemokraten können einem fast leid tun: Richten sie sich nach den wirtschaftlichen Zwängen, verlieren sie die Wahlen. Richten Sie sich nach links aus, richten sie das Land zugrunde. In der SPÖ setzt sich offensichtlich die zweite Richtung durch. Obwohl interessante Besuche in Wien wie auch der Blick in ausländische Zeitungen die Konsequenzen klarmachen müssten. Griechenland will, nein muss das Pensionsalter um zwei Jahre hinaufsetzen, alle öffentlichen Gehälter werden eingefroren, Beihilfen gekürzt. Auch die ebenfalls sozialdemokratische Regierung in Portugal hat schon ähnliche Beschlüsse getroffen, die heute schmerzen, die einige Jahre davor nur halb so arg hätten sein müssen. Aber bisher glaubte man, mit den üblichen Schmähs davonzukommen (Wie: Schulden sind besser als Arbeitslose). Krisen aber sind die Stunden der Wahrheit. Auch für jene Banken, die solchen Ländern Kredite gegeben haben. Dennoch weiß niemand, ob die griechischen und portugiesischen Maßnahmen auch nur annähernd ausreichen werden, damit wieder irgendjemand bereit ist, diesen Ländern Kredit zu erschwinglichen Konditionen einzuräumen. Die spanische Regierung – also jene im weitaus größten der derzeitigen Krankheitsländer des  Euro-Raums – träumt hingegen noch ihre linken Träume. Obwohl dort die Arbeitslosigkeit am höchsten in der ganzen EU ist und das Platzen der hausgemachten (nicht etwa von Amerika ausgelösten!) Immobilienblase am lautesten  war. Und was tut Österreich, damit es nicht in die gleiche Lage wie die Katastrophenländer am Ufer des Mittelmeers gerät? Hier hat der Sozialminister die unglaubliche Kühnheit, den Vorschlag zu machen, die Hacklerpension – die von Anfang an ein schwerer Fehler war – dauerhaft auf das 62. Lebensjahr (und bei Frauen auf das 57.) einzementieren zu wollen. Rudolf Hundstorfer wagt das auch noch als Reform zu verkaufen, weil dieses Privileg ja derzeit sogar schon ab 60/55 in Anspruch genommen werden darf (wenn man 45/40 Beitragsjahre gearbeitet, sich krank gemeldet oder nachgekauft hat). Seit ihrer Einführung hat sich aber herausgestellt, dass die Hacklerpension fast zum Normalfall des Pensionsantritts wurde – vor allem für Beamte (42 Prozent von ihnen gehen als „Hackler“ in Pension!), Angestellte und Bauern, während lediglich die Arbeiter die diesbezüglichen Bedingungen nur sehr selten schaffen. Sie durften nur den Namen für die „Hackler“-Regelung hergeben . . . Hundstorfer deutet zwar an, dass es künftig für die Pseudo-Hackler auch Abschläge geben könnte, aber die sollten definitiv viel niedriger sein als bei den sonstigen Frühpensionisten (=„Korridorpensionisten“). Und auch die Anhebung auf 62/57 will er natürlich nur in Schritten vornehmen. Kein Wort aber davon, dass eigentlich längst das Regelpensionsalter hinaufgesetzt gehört, dass das noch auf Jahrzehnte niedrigere Frauenpensionsalter zumindest für Nicht-Mütter absolut unbegründet ist, dass es längst eine Automatik braucht, der zufolge bei steigender Lebenserwartung (und damit Volksgesundheit) auch das Pensionsalter mitwächst. Die SPÖ will also wieder den Bären waschen, ohne ihn nass zu machen. Mit wirtschaftlicher Vernunft, mit Beherrschung der Versicherungsmathematik und der Grundrechnungsarten hat das alles nichts zu tun, aber sehr wohl mit den Existenzängsten der europäischen Sozialdemokratie. Diese haben ja auch den SPD-Chef Sigmar Gabriel erfasst, der seine auf 23 Prozent gesunkene Partei wieder durch einen Linkskurs beleben will. Etwa indem sie sich nun gegen die – von Gabriel selbst einst mitbeschlossene! – Erhöhung des Pensionsantrittsalters auf 67 Jahre stellt. Das ist zwar in jeder Hinsicht falsch – wird aber wohl bei den Wählern ein wenig bringen. Also sind die Wähler schuld? Nein primär sind das jene Politiker, also die Sozialdemokraten in allen Parteien, die ständig den Wählern die Lüge eingeredet haben: Hier die Guten mit der sozialen Wärme. Dort die bösen Neoliberalen mit dem Rechenstift. Es gibt aber auch andere Sozialdemokraten, wie etwa den schwedischen Expremier Göran Persson, der daran erinnerte, wie der einstige linke Vorzeigestaat Anfang der 90er Jahre in Defiziten der heutigen griechisch-spanischen Größenordnung verstrickt war. Gegen heftigen Widerstand der parteiinternen Linken gelang damals die schmerzhafte Sanierung: Arbeitslosen-, Kranken- und Kindergeld wurden gekürzt, das Pensionsantrittsalter wurde erhöht. In geringerem Umfang gab es freilich auch Steuererhöhungen (das absolut einzige, was hingegen den österreichischen Sozialdemokraten einfällt). In der Folge gelangen Schweden sogar Budgetüberschüsse, also die Erreichung jenes Ziels, dessentwegen die österreichische Linke einst Karl-Heinz Grasser zum meistgehassten Mann des Landes erklärt hatte. In Schweden, das von der SPÖ (wo ja niemand Auslandszeitungen liest) interessanterweise noch immer als sozialdemokratischer Modellfall angepriesen wird wie in den ausgabelustigen 70er Jahren, geht man heute im Schnitt vier Jahre später in Pension als in Österreich; Schweden hat auch keine Lex Dohnal mit günstigerem Frauenpensionsalter. Aber Schweden ist heute saniert und wieder stark. Davor aber hatte es eben Politiker wie Persson, die um der richtigen Politik willen erklärtermaßen bereit waren, ihr Amt zu verlieren. Und jetzt, liebe SPÖ, hast du die Wahl. Magst du dich an den Kandidaten aus Spanien, an den aus Portugal, an den aus Griechenland oder an den aus Schweden halten?

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Fußnote 65: Der Fasching ist aus

11. Februar 2010 23:56 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Gute Nachrichten für den Euro: Die EU blieb hart. Und sei daher gelobt. Griechenland bekommt wider alle Pressionen der sozialdemokratischen Regierungschefs, wider alle journalistische Spekulationen kein Geld von den anderen europäischen Staaten. Die "politische Unterstützung" durch den EU-Gipfel ist ja nur rhetorisches Politikerblech. Athen muss nun wirklich spürbar sparen, mit den üblen Betrügereien bei der Darstellung der Statsfinanzen aufhören und sich gegen die Gewerkschaften durchsetzen. Dem Land werden die Daumen gehalten, aber es wird ihm kein Geld hingehalten. Und die Parteifreunde des griechischen Premiers von Portgual bis Spanien haben das genau beobachtet. Denn die Botschaft gilt auch ihnen, ebenso wie Berlusconis Italien. Der Fasching ist aus und wird nicht mehr aus "sozialem" Populismus verlängert. Und das ist gut so. Das dicke Lob gilt vor allem den Sparmeistern von der Europäischen Zentralbank (auch wenn Ewald Nowotny zuletzt eher seltsam weich geklungen hat).

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Die Griechen und Europa: Faymann begreift es einfach nicht

11. Februar 2010 01:47 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Mein Gott Werner! Der Bundeskanzler dieser Republik stellt nun allen Ernstes die blauäugige Frage, warum im Falle Griechenlands das Frühwarnsystem nicht funktioniert habe. Auf welchem Planet - oder in welchem Rathaushinterzimmer - muss dieser Mann nur bisher gelebt haben! Oder wird im Bundeskanzleramt nur noch "Heute" und "Österreich" gelesen, weil alles andere geistig zu anspruchsvoll ist? Denn bei fast keinem Land ist seit Jahr und Tag so intensiv davor gewarnt und kritisiert worden wie bei Griechenland, dass es über seine Verhältnisse lebt, dass es nicht spart, dass seine schwachen Regierungen immer sofort in die Knie gehen, wenn Gewerkschaften oder Studenten auf die Straße gehen. Die letzte Rechtsregierung hat deswegen sogar früher wählen lassen und den ganzen Wahlkampf mit dem Hinweis auf nunmehr unabwendbare schmerzhafte Reformen bestritten (worauf sie prompt zugunsten der sozialistischen Schönwetterpartei abgewählt worden ist). Noch peinlicher sind Faymanns Aussagen zu der Tatsache, dass die Griechen nun schon zum zweiten Mal beim Fälschen ihrer an die EU gemeldeten Statistiken erwischt worden sind: Da müsse man halt ein bessere Berichtspflicht machen, war seine sensationelle Antwort. Warum nur hat man in Europa diesen weisen Mann mit seinen Erkenntnissen nicht schon früher gefragt? Der SPÖ-Vorsitzende will allen Ernstes, dass den Griechen rasch und "solidarisch" geholfen wird. Er kommunizierte das nach einem Zusammentreffen der europäischen Sozialdemokraten, das offenbar Druck auf Deutschland, Österreich und die anderen Euro-Länder machen soll, das schöne Leben der Griechen doch bitte weiterhin zu finanzieren. Mit dem unausgesprochenen Zusatz, dass doch dort jetzt die armen und an allem unschuldigen Sozialisten regieren. Er will es offenbar  nicht begreifen, dass bei einer raschen Hilfe an die Griechen der Euro unvermeidbar kaputt ginge. Denn wer denn Griechen hilft, der kann sich dann nicht den Spaniern, Portugiesen oder Italienern verweigern, die alle nur marginal besser dastehen als Griechenland. Das ist dann aber absolut unfinanzierbar, worauf der Euro ins Bodenlose fallen und die Kreditwürdigkeit aller EU-Länder schwersten Schaden erleiden wird. Es gibt nur eine richtige Antwort auf die Athener Krise: Griechenland darf von außen erst dann geholfen werden, wenn alle versprochenen Sanierungsmaßnahmen Gesetz und Realität sind und wenn nicht mehr die Gefahr besteht, dass sie vom Gewerkschaftspopulismus hinweggefegt werden. Denn der  Verdacht ist gewaltig, dass bei Einlangen des ersten Kredits der Reformelan der griechischen Regierung sofort wieder erlahmt. Dass die Sozialdemokraten wirklich gar nichts begriffen haben, zeigte am gleichen Tag übrigens auch der SPÖ-Fraktionsführer im EU-Parlament, Hannes Swoboda: Er begann seine Reaktion in einem Fernsehinterview zwar mit dem richtigen Verlangen nach "Reformen" in Griechenland, fügte aber im zweiten Satzteil sofort hinzu "aber unter sozialen Gesichtspunkten". Das heißt nichts anderes: Auch in der Stunde, da schon der Hut des Euro brennt, verlangen die europäischen Sozialdemokraten keine echten Reformen von Griechenland. Denn die griechischen Notreformen müssen unsozial sein, sonst bleiben sie eine Augenauswischerei: Wie in vielen anderen Ländern müssen jetzt die Beamtengehälter gekürzt, Tausende Subventionen gestrichen, die chauvinistisch großdimensionierte Armee dezimiert und das Pensionssystem verschlechtert werden. Und vieles andere mehr. "Sozial" kann da gar nichts mehr stattfinden. Auch das blöde Argument "Wir sind nicht schuld an der Krise", das die griechischen Gewerkschaften aus dem Stehsatz der europäischen Linken entnommen haben, hilft ihnen nicht. Es ist überdies grundfalsch (so wie es das auch bei den österreichischen Gewerkschaften ist). Denn natürlich haben alle, insbesondere die Profiteure des Wohlfahrtsstaats, von der jahrzehntelangen Schuldenmacherei profitiert, die nun an ihr bitteres Ende gestoßen ist. Das Schlimmste aber ist: Wenn die SPÖ schon in Sachen Griechenland nichts begreift, dann ist sie natürlich auch nicht imstande zu begreifen, dass Österreich nur wenige Jahre von Griechenland entfernt ist. Dass man daher lieber diese als nächste Woche die ersten Sanierungsentwürfe zum Pensionsalter, zum Gesundheitssystem, zum Föderalismus ins Parlament einbringen sollte. Denn heute gibt es noch eine winzig kleine Chance, dass mit raschen Maßnahmen eine griechische Katastrophe mit echten Gehaltskürzungen und ähnlichem von Österreich abgewendet werden kann. In zwei Jahren ist diese Chance vergeben und vertan. Aber dann werden Werner F. und die von ihm großzügig (auf Schulden)  finanzierten Zeitungen wieder blauäugig fragen: Ja, warum haben denn das Frühwarnsystem und die Berichtspflicht nicht besser funktioniert?

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Wenn der triste Alltag die alte Liebe einholt

10. Februar 2010 00:04 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Auf nur wenige Dinge bin ich in meinem beruflichen Leben wirklich stolz. Dazu gehört jedenfalls die Tatsache, dass ich als erster politischer Journalist Österreichs schon Beginn der 80er Jahre für einen Vollbeitritt zur Europäischen Union – die damals noch EG geheißen hat – eingetreten bin. Unter viel Kritik von Menschen und Organisationen (wie der Wirtschaftskammer und Rot-Grün), die sich jetzt oft als Erfinder Europas gerieren. Offensichtlich habe ich, so wurde mir nachher von mehreren Seiten gesagt, durch die Forcierung des EU-Themas manche Entscheidungsprozesse beeinflusst. Ich halte auch heute noch die EU-Mitgliedschaft für absolut alternativlos. Der Beitritt zum großen Binnenmarkt mit der gemeinsamen Währung war und ist richtig, wichtig und notwendig, wenn Österreich nicht in eine schwere Krise abstürzen will. Heute freilich kommt zu dieser noch immer positiven Grundtendenz ein rasch wachsendes Unbehagen dazu – ein trauriges Unbehagen darüber, wie sich die EU im europäischen Alltag entwickelt. Die Anzeichen mehren sich, dass die Union zu einem überregulierenden und ob einer schlechten Verfassung ineffizienten Moloch mutiert ist, dass sie nicht mehr den Mut hat, durch echte Reformen den Platz für neues Wohlstandswachstum zu schaffen. Es scheint überdies so, dass die Union so viele Bruchstellen in ihrer Konstruktion hat, dass ihr Scheitern oder ihre totale Lähmung heute als ein realistisches Szenario gewertet werden muss. Diese Sorge lässt sich in vielen Perspektiven festmachen: Die EU hat sich vom faszinierenden Projekt „Mehr Wohlstand und Sicherheit für alle Europäer durch mehr Raum für den Markt“ zu einem Projekt einiger Eliten mit ganz anderer Motivation gewandelt. Der Beamtenstab der Kommission wurde durch bürgerferne Gesellschaftsveränderer und fanatische Überregulierer unterwandert. Die einstigen Gegner der Integration haben den Marsch durch die Institutionen angetreten. Ihr Motto war offenbar: If you cant beat them join them. Wenn wir die EU nicht umbringen können, dann ändern wir sie in unserem Sinn. Die schwache Besetzung der neuen EU-Spitzenpositionen zeigt, dass zumindest die Regierungschefs gar keine gut funktionierende EU wollen. Hier wurden die Europäer glatt betrogen, denen durch den mühsam zustande gekommenen Lissabon-Vertrag eine Stärkung versprochen worden war. Und jene, die eine Stärkung gefürchtet haben, haben sich diesbezüglich umsonst gefürchtet. Die wachsende Bürgerferne zeigt sich selbst dann, wenn die EU unter dem Titel „Europa der Bürger“ Programme entwickelt. Da wimmelt es nur so an Eliten und Political correctness orientierten, aber bürgerfernen Vokabeln und Formulierungen: „Zivilgesellschaft“, „Erinnerungskultur“, „BürgerInnen, Bürgern/innen“. Mit diesem Technokratensprech erreicht man nur sehr wenige Europäer. Die Bürger fühlen sich bei wichtigen Entscheidungen ignoriert wie etwa bei dem mehrheitlich abgelehnten Beitrittsverfahren für die Türkei. Sie haben das Gefühl, dass eine politisch-technokratische Elite diesen Beitritt einfach trotz des Unwillens der Bürger durchzieht. Die Bürger würden sich primär erwarten, dass die EU funktioniert. Dass sie sich nur dort einmischt, wo dies wirklich zur Absicherung des Binnenmarktes notwendig ist. Also in der Technokratensprache: Sie sollte Subsidiarität nicht nur predigen, sondern auch leben. Eine Gedankenpolizei, wie sie etwa die in Wien eingerichtete und ständig weiter wuchernde EU-Behörde zur Jagd auf angeblichen Rassismus ist, entspricht nicht dem Zweck der EU und ist kontraproduktiv. Die EU ist heimischen Politikern nur dazu gut, für alles und jedes einen ständig bereitstehenden Sündenbock zu haben, der sich nicht wehrt. Denn die Information über Europa in den einzelnen Ländern haben sich die Länder ausdrücklich selbst vorbehalten. Die aber hüten sich, die EU allzu gut hinzustellen. Die Wahlen zum europäischen Parlament haben europaweit eine Riesenschwäche: In jedem anderen Land der Welt wählt man zumindest indirekt den Premier. Nur nicht in der EU. Kommissionspräsident Barroso und sein Gegenüber, der deutsche Sozialdemokrat Schulz, wurden  außerhalb ihrer Heimatländer in keiner Weise präsentiert. Es war keinem Wähler wirklich klar, dass sie die Spitzenkandidaten ihrer jeweiligen Parteiallianzen waren. Wenn sie das überhaupt waren. In der EU herrscht ein skandalös ungleiches Wahlrecht, das die Großen massiv benachteiligt. Österreich profitiert zwar davon – die ganz kleinen Staaten noch mehr –, die Deutschen aber ärgern sich. Würde sich Deutschland nämlich auf 17 Bundesländer aufteilen und  jedes davon alleine EU-Mitglied werden, hätten die Deutschen plötzlich in der Summe dieser Länder viel mehr Kommissare, mehr Sitze im Parlament und mehr Stimmen im Rat. Ebenso stehen durch das ungleiche EU-Abstimmungssystem den Nachfolgeländern der Tschechoslowakei und Jugoslawiens viel mehr Sitze zu, als wenn sie solo geblieben wären. Kein Wunder, dass der deutsche Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe da besonders kritisch herummeckert. Wobei er sogar das juristische Potenzial hat, die Union zum Scheitern zu bringen. In der EU fehlt das in den meisten Nationalstaaten selbstverständliche Wir-Gefühl. Solche Emotionen entstehen aber nicht auf Befehl oder durch bürokratische Programme, sondern durch emotionale Identifikationspunkte. Diese können etwa Dinge wie das Neujahrskonzert für Österreich sein, Länderspiele und andere Sportereignisse, und besonders häufig eine gemeinsame Sprache, Religion und/oder Geschichte. Die Europäer haben hingegen nur eine Geschichte, in der sie sich gegenseitig bekämpft haben. Europas Identität leidet unter der teuren räumlichen Trennung zwischen Kommission und Parlament beziehungsweise zu einem ständig zwischen seinen Amtssitzen wandernden Parlament (übrigens wieder Schuld der Franzosen). Es ist einfach absurd, dass das von den Bürgern gewählte und angeblich so mächtige Parlament nicht einmal das lächerliche Recht hat, über seinen eigenen Sitz zu entscheiden. Europa hat es unter dem Terror eines laizistischen Nihilismus in der neuen Verfassung nicht einmal geschafft, seine gemeinsamen geistigen Grundlagen auch nur beim Namen zu nennen. Die da primär wären: das Christen- und Judentum mit der gleichen Würde jedes Menschen; die griechisch-römische Antike mit der Entwicklung eines modernen Rechtssystems; und die Aufklärung mit der Betonung der Vernunft. Europa weiß nicht, wo es aufhören soll. Sind etwa Russland, die Türkei, Israel, Palästina, Marokko, die Ukraine denkbare Mitglieder der Union? In jedem dieser Länder gibt es zumindest eine Diskussion über einen Beitritt. Der Lissabon-Prozess ist grandios gescheitert: Mit diesem wollte sich die Union bis 2010(!) zur wettbewerbsfähigsten Region der Welt machen. Dieses Ziel ist längst unter dem Bremsdruck von gewerkschaftlichen und grünen Anliegen vergessen worden. In Wahrheit fällt Europa ständig immer weiter zurück, insbesondere im Vergleich zu Asien. Europa hat auch viel zuwenig energisch reagiert, als klar wurde, dass alte Mitglieder wie Griechenland und neue wie Bulgarien bei Umsetzung der EU-Regeln massiv geschummelt haben. Europa hat sich auch immer wieder von einigen Mitgliedsstaaten finanziell erpressen lassen: Nur deswegen findet man beispielsweise heute kreuz und quer durch Spanien und Portugal neu gebaute, aber fast nicht benutzte Autobahnen quer durch die Wüste. Der Europäische Gerichtshof  judiziert extrem expansiv. Das heißt, er mischt sich mit Hilfe juristischer Kniffe in immer mehr Bereiche ein, die nach der Vertragslage eigentlich gar nicht EU-Kompetenz wären. Etwa in die Frage, wer in Österreich Medizin studieren darf. Die EU-Kommission hat zu viele Beamte und Gremien. Sie alle wollen die eigene Existenzberechtigung ständig primär dadurch rechtfertigen, dass sie immer neue Bereiche regeln. Andernfalls fürchten sie den Vorwurf der Untätigkeit von Medien oder Abgeordneten. Last not least das Hauptproblem der heutigen Union: Ihr sind die beiden entscheidenden historischen Existenzgrundlagen weggefallen.

  1. Die eine war das „Nie wieder!“ nach einem 30-jährigen europäischen Bürgerkrieg, nach Jahrhunderten, in denen sich beispielsweise die Menschen auf beiden Seiten des Rheins immer wieder bekriegt haben.
  2. Das andere war die gemeinsame Angst vor der gewaltigen Bedrohung durch den Kommunismus. Dieser Bedrohung wollte man nicht nur durch gemeinsame Verteidigung (über die Nato), sondern auch durch gemeinsamen Wohlstand über einen gemeinsamen Markt (in den diversen Vorläufergemeinschaften der EU) entgegentreten, um zeigen zu können, welches Gesellschaftsmodell besser funktioniert.
Beide Ziele wurden einst grandios erreicht, sind heute aber für keinen Europäer mehr eine Antriebskraft. An ihre Stelle trat das geistige Vakuum einer Sinnkrise. Der Wohlstand durch einen funktionierenden Markt alleine ist vielen zuwenig. Daher wird nun von manchen versucht, Political correctness zum letzten Sinn der EU zu machen. Was naturgemäß ebenso grandios scheitern muss. Am wahrscheinlichsten ist, dass keinerlei sinnvolle Konsequenzen aus all diesen Fehlentwicklungen gezogen werden. Das aber hat dann klare Konsequenzen: Europa wird dann weiter ökonomisch wie politisch marginalisiert – und damit verarmen. Sein Schicksal wird ähnlich dem der Griechen. Die träumen seit langer Zeit nur noch von ihrer stolzen Vergangenheit; für die Gegenwart sind ihnen lediglich viel Kultur, Geschichte und Knowhow für kulinarisch Genüsse geblieben. (Dieser Text erscheint in deutlich ausführlicherer Form in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift „Conturen“ - http://www.trendconsult.at/p_conturen_1.htm)

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Beim Klima wird es eng

09. Februar 2010 11:21 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die Indizienkette wird immer dichter: Schon wieder ist dem UNO-Klimarat ein eklatanter Fehler nachgewiesen worden. Diesmal geht es um das als angeblich sicher prophezeite Fortschreiten der Dürre in Afrika. Die britische Times und andere internationale Blätter berichten darüber in den letzten Stunden in großer Aufmachung. In Österreich wird das - soweit der Tagebuchautor einen Überblick hat - bisher wieder einmal elegant ignoriert. Da könnten sich ja die wunderbaren Schauergeschichten von der rapide zunehmenden globalen Erwärmung ihren durchwegs negativen Folgen und der Schuld von Menschheit und Kapitalismus daran nicht mehr so gut verkaufen lassen (was in diesem eisigen Winter ohnedies schon schwierig genug ist). Der angeblich wissenschaftlich arbeitende Klimarat hatte in einem offiziellen Bericht behauptet, in Afrika würden die Niederschläge seltener, die Ernten schlechter, und die Hungersnöte häufiger werden (die ja schon seit Jahrhunderten Teil der Conditio Africana sind). Der indische Vorsitzende des UNO-Klimarates hatte unter großem öffentlichen Echo behauptet, bis 2020 würden die landwirtschaftlichen Erträge in Regionen Afrikas um "bis zu 50 Prozent" sinken. Ähnliche Prophezeiungen hat auch der UNO-Generalsekretär gemacht. Nun stellt sich heraus: Einzige Quellen dieser dramatischen Behauptung sind erstens das marokkanische(!) Umweltministerium und zweitens eine Firma, die ihr Geld mit dem Handel von Emissionsrechten verdient (also mit jenem Ablasshandel, bei dem beispielsweise österreichische Steuerzahler zugunsten dubioser Anti-CO2-Projekte in der Dritten Welt dafür bluten, dass das Land irgendwelche utopischen CO2-Reduktionsziele nicht erreicht). Etwas, was auch nur annähernd einem wissenschaftlichen Beweis ähnelt, liegt nicht vor. Ebenso, wie die spannende Behauptung, in 25 Jahren würden die Himalaja-Gletscher verschwinden, einzig auf einem WWF-Bericht beruht - also einer jener spendensüchtigen Agenturen, deren Existenzberechtigung zum Gutteil auf der Dramatik der Berichte des UNO-Klimarates beruhen. Immer mehr wird klar, wieviel von den angeblichen Beweisen für die globale Erwärmung interessengesteuerte Zirkelbehauptungen sind. Was mag an den UNO-Berichten überhaupt noch stimmen? Alle jene Zeitungen, die öffentlich finanzierte Sonderseiten über den Klimawandel publiziert haben, zögern nun natürlich mit einem Rückzug. Das würde doch blöd aussehen. Außerdem hofft man auf weitere "Sonderseiten"/"Verlagsbeilagen"/"Specials" und wie die gut bezahlten und schein-objektiven redaktionellen Inhalte sonst noch heißen mögen. Ebenso tun dies die Fernsehanstalten, welche die UNO-Behauptungen immer mit so schönen (also furchterregend dramatischen) Bildern illustriert haben, die sich nun allesamt als optische Lügen erweisen: Kalbende, also abbrechende Gletscher (was diese seit ein paar Millionen Jahren tun, weil sie ja fließen); einsame, dem Verrecken preisgegebene Eisbären, die hilflos auf einer weggebrochenen Eisscholle treiben (obwohl Eisbären viele Kilometer schwimmen können und ihre Zahl in den letzten Jahrzehnten um rund 30.000 zugenommen hat); rauchende Schornsteine (obwohl der dabei in der Regel einzig sichtbare Wasserdampf nicht einmal nach dem panik-süchtigen UNO-Bericht gefährlich ist); und nun die vor lauter Hitze und Dürre aufbrechenden Böden (was leider in vielen Regionen seit Menschengedenken ebenfalls nichts Neues ist). Wie nur sollen die armen Fernsehmenschen (oder die reichen Thriller-Autoren wie Al Gore) ihre künftigen Quotentreiber illustrieren? Sollen sie wieder zum Angstthema der 70-er zurückkehren: Der Atomkrieg bricht aus? Oder zu dem der 80-er: Die letzten Wälder sterben aus? Oder zu dem der 90-er: Wir werden alle wegen des Ozonlochs an Hautkrebs sterben? Oder zu dem des Jahres 2000: Hitler kommt zurück? Dabei hatten die einstigen Angst-Schürer wahrscheinlich noch mehr seriöses Bedrohungs-Argumentarium in der Hand als die heutige Profit-Maschine namens Klimarat. Aber man kann unbesorgt sein: Die meisten Medien werden noch etliche Jahre weiter auf die Klimamasche setzen. Was sollte die dadurch hilflos getriebene Politik tun, wäre sie auch nur eine Sekunde zu eigenständigem Handeln bereit? Nun, Österreich (oder auch die EU) könnte beispielsweise einmal eine seriöse und vor allem breitangelegte wissenschaftliche Studie in Auftrag geben, bei der nur jene wissenschaftlichen Ergebnisse verwertet werden dürfen, bei denen auch die Rohdaten veröffentlicht und dadurch nachprüfbar werden. Dabei sollten auch nicht nur die Schleichers und Kromp-Kolbs am Tisch sitzen (die ja durch die Klimapanik wichtig geworden und damit vielleicht nicht ganz objektiv sind), sondern gleichberechtigt die Kritiker des Klimarates und des Ablasshandels. Und vor allem jene Wissenschafter, die sich noch überhaupt keine Meinung gebildet haben, weil sie auf viel eingehendere und seriösere Studien warten als die nicht gerade interessenfreien Aussagen eines WWF oder eines marokkanischen Ministeriums.

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Europa und der Graf: Hier Recht - da Unrecht?

08. Februar 2010 12:49 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Die Causa Mensdorff-Pouilly wird zu einer Lehrstunde in europäischem Recht - und bringt einige verblüffende Lektionen. Kann das alles wirklich so gemeint gewesen sein, was einige Juristen und Diplomaten da einst ausgeschnapst haben? So wenig man sich von manischer Scharfmacherei gegen jeden nichtlinken Politiker a la Peter Pilz treiben lassen soll, so unbefriedigend ist doch, wenn rund um den Rüstungs-Lobbyisten vieles im Dunklen bleiben soll. Nach allem, was man weiß, dürfte der burgenländische Graf für ein schwedisch-britisches Rüstungsimperium unterwegs gewesen sein, um den Abfangjäger "Gripen" unter die Menschheit zu bringen. Was ja noch nicht verboten ist. Ob Mensdorff dabei über die Grenzen des Erlaubten hinausgegangen ist, ist unbewiesen, immerhin gibt es einige Indizien in diese Richtung. Nun aber wurde in Großbritannien das Verfahren gegen ihn eingestellt, aus "öffentlichem Interesse". Nun, dieses Interesse scheint wohl klar zu sein - auf britischer Seite. Es ist ja nicht gerade im britischen Interesse, wenn die Interessen britischer Konzerne zu strafrechtlichen Konsequenzen führt. So weit so nachvollziehbar. Das überraschende für viele Europäer ist nun, dass diese Regelung auch die anderen EU-Länder (genauer: die anderen Partner des Schengen-Abkommens) als Präjudiz bindet, dass diese also wegen der britischen Einstellung auch selbst die Angelegenheit nicht verfolgen dürfen. Das wird wohl weniger in Österreich ein Problem sein, hat doch das Land nachweislich den von Mensdorff unterstützten Gripen nicht gekauft. Es gibt auch keine seriösen Hinweise auf innerösterreichische Geldflüsse. Was übrigbleibt, könnte eine falsche Zeugenaussage vor einem Parlamentarischen Ausschuss sein. Und die wird ja neuerdings bei uns mit Diversion quasi außergerichtlich abgehandelt, sodass der Betroffene nicht vorbestraft ist. Wie der aktuelle Fall des Bänkelsängers Fendrich zeigt. Was bei diesem recht ist, muss bei Mensdorff wohl billig sein. Oder hat da eine Richterin einfach nach persönlicher Sympathie agiert, um ihrem Liebling Fendrich die Vorstrafe zu ersparen? Das wollen wir nun doch nicht annehmen. Ganz anders wird man die Sache wohl in Tschechien sehen. Dorthin führen ja von Mensdorff mehr Indizien in Sachen Gripen. Und in der Tschechischen Republik ist der Verdacht, dass dortige Offizielle eventuell bestochen worden sind, natürlich sehr brisant, und eine Einstellung des Verfahrens keineswegs im "öffentlichen Interesse". Ganz im Gegenteil. Da aber beginnt sich der oft beschworene einheitliche europäische Rechtsraum endgültig zu spießen. Zumindest so lange es in einzelnen Länder einem "öffentlichen" (=nationalen) Interesse erlaubt ist, sich ins Strafrecht einzumischen. Eine Rechtsfigur, die Österreich völlig unbekannt ist. Zumindest offiziell - inoffiziell könnte es sich nur über das Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft niederschlagen. Europa wird uns da noch sehr viel zu erklären haben.

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Die Wirtschaftsforscher und die reale Welt

08. Februar 2010 02:44 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

So wie in der Vergangenheit alle Prophezeiungen der Wirtschaftsforscher oder gar Wirtschaftspolitiker falsch waren, so wenig sollte man deren Zusicherungen für die Zukunft vertrauen. Das gilt für Österreich und noch mehr für unsere europäischen Partner. Deren Gewerbe gleicht mehr der Gesundbeterei als einer Wissenschaft. Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Inbrunst Medien und Politik an den Lippen der Wirtschaftsforscher hängen, wenn diese Prophezeiungen aussprechen. Offenbar liebt es die Politik, getäuscht zu werden – zumindest wenn die Worte der Wirtschaftsforscher Gutes verheißen. Was sie ja überwiegend tun. Wobei Schelme meinen, dass die Propheten genau wissen, womit sie sich beliebt machen. Oder man benutzt einfach nicht die Archive. Dort kann man etwa Artikel aus dem Jahr 2007 finden, denen zufolge die Regierung Gusenbauer-Molterer unter Berufung auf die Wirtschaftsforscher angekündigt hat, dass das reale Wirtschaftswachstum bis 2010 sicher nicht unter 2,3 Prozent sinken werde. Was uns heute nur noch ein verzweifeltes Lachen kostet. Gusenbauer und Molterer sind weg. Aber die Wirtschaftsforscher sind noch immer da. Obwohl sie ihr Geld nicht wert – oder charakterlos sind, falls sie ihre Prophezeiungen nur auf Druck der Regierung in bestimmte Richtungen eingefärbt haben sollten. Diesen Rückblick sollten wir uns vor Augen halten, wenn wir die heutigen Ankündigungen hören. Da verkünden Faymann und Pröll im Konsens, dass das Budgetdefizit von heuer 4,7 Prozent  in drei Jahren auf 2,7 Prozent gesenkt werden wird. Sie fügen freilich die Kleinigkeit nicht hinzu, wie sie das tun wollen. Dass sie überdies mit Versprechungen in bezug auf Universitätsbudget, Schulkassengrößen, Forschungsausgaben, Filmförderung und anderes mehr noch eine Reihe von ungedeckten Schecks auf die gleichen Jahre ausgestellt haben, lassen wir dabei als ohnedies nie ernstgemeint beiseite. Dennoch steht Österreich heute geradezu als Musterknabe da, wenn wir auf eine Reihe von Ländern blicken, mit denen wir – leider – in einer Währungsunion verbunden sind. Die Griechen fahren ein Defizit von 12,7 Prozent, Spanien von 11,4 und Portugal von 9,3 Prozent. Und das sind überall nur die Zahlen von 2009 – alle Länder werden jedoch 2010 auf Grund der verzögerten Reaktion der Steuereinnahmen auf die Konjunkturflaute noch viel schlechter dastehen, wenn nicht ein Wunder passiert. Gleichzeitig aber verkünden uns europäische Experten treuherzig, dass diese Länder kein Risiko darstellen, weder für den Euro noch die Union. Sie tun das, obwohl in keinem dieser Länder irgendeine ernsthafte Sparmaßnahme schon in Kraft ist. Obwohl parallel mit Bekanntwerden dieser Zahlen der Euro deutlich an Strahlkraft verloren hat. Obwohl in Griechenland schon wilde Demonstrationen gegen die Sparpläne veranstaltet werden. Obwohl in Portugal ein Parlamentsausschuss gerade gegen den Widerstand des Finanzministers provozierend höhere Subventionen für die Regionen beschlossen hat. Dass in allen drei Ländern auch noch Linksregierungen an der Macht sind, ist auch nicht wirklich beruhigend. Erinnern wir uns doch noch zu gut, wie die Linke die Finanzminister Grasser und Molterer jedes Mal beschimpft hat, wenn diese zu einer weiteren Ausgabenidee Nein gesagt haben (was Grasser öfter tat als Molterer). Immerhin hat Irland, wo es keine Linksregierung gibt, und wo es 2009 ebenfalls einen steilen Absturz gab, durch einige kraftvolle wie schmerzhafte Maßnahmen wieder viel internationales Vertrauen zurückgewonnen. Was noch keiner Linksregierung geglückt ist. Freilich sind auch die Rechtsparteien an den Ufern des Mittelmeers alles andere als unschuldig: In Griechenland haben sie noch vor kurzem regiert; und der erwähnte portugiesische Parlamentsbeschluss ist primär Werk der rechten Opposition. Dass gerade diese Länder in besonderen Schwierigkeiten sind – und dass Irland wie Italien ebenfalls nicht gut dastehen -, zeigt aber noch etwas ganz anderes deutlich: Wie verderblich die jahrelange Verwöhnung durch EU-Milliarden in Wahrheit für die Leistungs- und Wirtschaftskraft eines Landes ist. Denn gerade diese Länder stellen die Spitzenreiter der langjährigen Empfängerliste von EU-Subventionen dar. Die Subventionen haben in Wahrheit den Ländern nicht geholfen, sondern sie mit einer Art wirtschaftspolitischen Hospitalismus angesteckt, bei dem man die eigene Leistungskraft rapide abbaut. So wie ein lange von Gips gestütztes Bein jede Muskelkraft verliert. Da sollte man eigentlich fast froh sein, wenn man Nettozahler ist. Was ganz ironiefrei gemeint ist.

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Europa, wo war das nur?

03. Februar 2010 02:53 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Barack Obama sagt den fix vereinbarten Gipfel mit der EU ab. Hinter höflichen Floskeln wird unmissverständlich klar: Man hat kein Interesse an Europa; die Union wird als Quatschbude geringgeschätzt. Es wäre nun ziemlich billig, den absagenden Amerikaner als unhöflich zu tadeln. In Wahrheit sollten sich die Europäer selbst beim Schopf packen. Haben sie doch auch ihre letzte Chance nicht genutzt, die ihnen der Lissabon-Vertrag geboten hat. Dieser würde, so haben uns die vielen EU-Propagandisten eingebläut, Europa endlich zu einer gleichberechtigten Weltmacht machen, ihm auch politisch den der wirtschaftlichen Kraft entsprechenden Stellenwert erobern. Ist schon der Lissabon-Vertrag entgegen allen Absichtserklärungen jämmerlich schwach ausgefallen, so ist diese Schwäche bei seiner personellen Realisierung noch einmal übertrumpft worden. Sowohl die neue Funktion eines Ratspräsidenten wie auch die eines EU-Außenministers sind mit so schwachen Persönlichkeiten besetzt worden, dass deren Namen den meisten Europäern schon nach wenigen Wochen wieder völlig entfallen ist. Ganz zu Recht, das neue europäische Pärchen wird kaum mehr als Hausmeister einer Wohltätigkeitsanstalt sein. Die Regierungs- und Staatschefs wollen einfach kein wirklich starkes Europa, sondern lieber selber die mächtigste Instanz der Union bleiben. Daher haben sie spannende und starke Paarungen wie Blair-Junckers sofort ignoriert, um nur zwei Namen zu nennen. Während man von den Neuen nichts sieht und hört, haben die Spanier die Präsidentschaft übernommen. Und sich sofort als Großmeister verbaler Wichtigmacherei mit einem linkspopulistischen Programm produziert. Als Schwerpunkt haben sie in den letzten Wochen unter anderem präsentiert: ein "Europäisches Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung", die Forderung nach mehr Rechten für Zuwanderer, das Verlangen nach einer gemeinsamen Energiepolitik (wohl so wie in Spanien, wo die teure Forcierung von Alternativenergien zahlreiche Industriearbeitsplätze gekostet und Spanien zum Europarekordler in Sachen Arbeitslosigkeit gemacht hat) oder die Bekämpfung von "Gewalt gegen Frauen" als einen Schwerpunkt der EU-Politik. Nichts für Gewalt gegen Frauen. Aber der Außenwelt wird durch die Personalentscheidungen und die spanischen Schwerpunkte nur eines bestätigt: Europa verliert sich in den üblichen Sozialthemen und wird in der Welt unbedeutender denn je sein. Wenn es kritisch wird, wie etwa im Irak, wird Europa auch künftig wieder in ungefähr so viele Meinungen zerfallen, wie es Staaten hat. Die Amerikaner wissen längst, wo der zweite große Machtpol dieses Globus ist: nicht in Brüssel, aber auch nicht in Berlin, Paris oder London und auch nicht mehr in Moskau, sondern auf der Achse Peking-Shanghai. Europa hingegen wird auf der ewigen Suche nach irgendwelchen Menschen stecken bleiben, die noch immer in irgendeiner Hinsicht sozial ausgegrenzt sind. Obwohl nirgendwo auf der Welt auch nur annähernd so viel für soziale Zwecke ausgegeben wird wie auf diesem Kontinent.

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Die Ära Schüssel: Zehn Jahre danach

31. Januar 2010 00:10 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

In wenigen Tagen jährt sich zehn Jahre Schwarz-Blau/Orange. Noch immer glauben manche, da retrospektiv den Weltuntergang an die Wand malen zu müssen. Dabei war es eine durchaus produktive Regierungszeit. Mit vielen Fehlern und Unzukömmlichkeiten. Aber besser als die meisten Vorgänger und als alle Nachfolger. Das größte Problem der von Wolfgang Schüssel geführten Regierungen war, dass sie fast komplett gegen die veröffentlichte Meinung gestanden sind. Schon im Jänner/Februar 2000 haben die Herren Fellner, Dichand und Weis (der damalige ORF-General) mit ihren Medien die neue Regierungsformel mit flächendeckendem Bombardement eingedeckt. Und erst als sie entdeckt haben, dass die klare Mehrheit der Bürger die Legitimität der Regierung akzeptiert, haben sie langsam (Hans Dichand tat dies sogar über Nacht) die Kurve gekratzt. Was den ORF nicht hindert, heute wieder voll Hass auf jene Periode zurückzublicken.War Schüssel doch der letzte Kanzler, der sich nicht der Macht der Medien gebeugt oder diese gar bestochen hat. Aber auch bei ÖVP, FPÖ und BZÖ will sich heute niemand mehr so recht mit dieser Zeit identifizieren, statt die Gelegenheit zu ergreifen, daran zu erinnern, wie effzient eine Regierung ohne SPÖ sein kann. Ganz offensichtlich hat man in diesen Parteien heute Angst vor dem Vergleich. Hie Schüssel, Riess-Passer und Haider, da Pröll, Strache und Bucher - der Vergleich macht sicher. Dennoch ist klar: Die Regierungen Schüssel haben nur durch den Vergleich eine solch strahlende Aura bekommen. Bei nüchterner Analyse schaut alles viel blasser aus. Ein kleiner Auszug aus der Liste der Versäumnisse: Die Gesundheitsreform ist nicht vorangekommen; die unheilvolle Rolle der Sozialpartner und die Pflichtmitgliedschaften blieb abgesehen von anfänglichen zarten Relativierungsversuchen ungeschmälert; damit beispielsweise auch die hohen und arbeitsplatzfeindlichen Pflichtbeiträge zur Arbeiterkammer (die Wirtschaftskammer hat sie wenigstens etwas reduziert); auch die Föderalismusreform kam nicht zustande; die Universitätsreform blieb eine unvollendete: die richtige, kluge und notwendige Unabhängigkeit der Unis wurde nicht von klaren Zielvorgaben (= Leistungsvereinbarungen) begleitet;  ähnliches gilt für die mutige und richtige Pensionsreform: diese wurde unter orangem Druck durch die Hacklerregelung wieder weitgehend unwirksam gemacht; und weitgehend gescheitert ist das ORF-Gesetz, das den Privaten keine faire Chance lässt, das den ORF zu wenig zum Sparen zwingt, das keine unabhängige und wirksame Kontrolle von Qualität und Ausgewogenheit des Staatssenders geschaffen hat. Im Gegensatz zu vielen anderen Regierungen, die nur die Verteilung von steigende Verschuldungen auslösenden Wahlzuckerln in ihrer Bilanz haben, stellen die Schüssel-/Riess-Passer-Jahre (die Folgejahre viel weniger!) einen fast historischen Fortschritt dar: Damals wurde noch regiert und nicht, wie es das einzige Faymann-Prinzip ist, ständig wahlgekämpft, jede unangenehme Entscheidung vermieden und viele Zeitungen mit Steuermillionen bestochen. An der Spitze der Errungenschaften Schüssels stehen dabei zweifellos trotz der genannten Kritikpunkte Universitäts- und Pensionsreformen (mit den genannten Einschränkungen), die fast das Adjektiv historisch verdienen. Auf der Habenseite stehen ferner (um nur einige Punkte anzuführen): Das erfolgreiche Voranschreiten der Privatisierung, welche die ÖIAG erstmals seit den 80-er Jahren wieder schuldenfrei gemacht hat; die Unterstellung der Beamten unter das ASVG-Pensionssystem (wenn auch mit sehr langen Übergangsfristen); die insgesamt drastische Reduzierung der Defizite, die primär auf den eisernen Sparwillen Schüssels (und einige Ausgliederungstricks) zurückzuführen ist; die Anschaffung der Abfangjäger, wodurch die Landesverteidigung nicht ganz der Lächerlichkeit überlassen wurde (auch wenn die Typenentscheidung problematisch blieb). Gekrönt wurde die Leistung im letzten Schüssel-Jahr durch zahllose internationale, insbesondere deutsche Berichte, die Österreich fast peinlich begeistert zum Vorbild in Sachen Wirtschaftspolitik erhoben haben. Das sind alles zweifellos größere Pluspunkte als die Negativa, vor allem die eher schwache Performance etlicher FPÖ-Minister im Sozial- und Verkehrsressort, wo sie aber nicht wirklichen Schaden anrichten konnten (mit Ausnahme der dumm-populistischen Hacklerregelung). Für die linke Opposition, aber auch für den eitlen Opportunisten Thomas Klestil bleibt ihr undemokratisches Verhalten nach der Wende ein dauerndes Schandzeichen. Sie haben nicht nur die Straße gegen eine demokratische Mehrheit mobilisiert; sie steckten auch eindeutig hinter den absurden internationalen Protesten. Denn Viktor Klima und Klestil haben dort zusammen mit einigen linken Journalisten und der wie immer aufgeregt gackernden Kulturszene wirklich den Eindruck einer faschistischen Machtergreifung erweckt, was beim ahnungslosen Ausland logischerweise Panik ausgelöst hat. Die sogar eine Verletzung der EU-Regeln ausgelöst hat. Was heute auch in Europa alle zu verdrängen suchen.

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Ethik auf Europäisch

15. Januar 2010 02:31 | Autor: Andreas Unterberger
Rubrik: Tagebuch

Seltsame Maßstäbe herrschen da im EU-Parlament, also der wichtigsten von uns gewählten Volksvertretung. Dort werden Kandidaten für die neue EU-Kommission offensichtlich mit sehr unterschiedlichem Maß gemessen, je nachdem, ob sie aus einem linken oder einen rechten Eck kommen. So hat die neue "Außenministerin" der EU außer Phrasen absolut keine inhaltlichen Aussagen gewagt, als sie von den Abgeordneten verhört wurde - offensichtlich kein Problem, ist sie doch eine Sozialdemokratin. Nun hat die bulgarische Kandidatin für den viel unwichtigeren Posten der Kommissiarin für internationale Zusammenarbeit ebensowenig gesagt. Und schon tobt große Aufregung und es droht ein Veto gegen die ganze Kommission. Freilich ganz unabhängig davon ist der zweite Vorwurf zu prüfen, ob die Bulgarin korrekte Angaben über ihre Eigentumsverhältnisse gemacht hat. Das ist aber ganz eindeutig eine Aufgabe für präzise juristische Recherche und kann in einem Tribunal mit lauter agitatorischen Politikern nicht seriös beurteilt werden. Ist das Unternehmen, an dem sie offenbar beteiligt ist, wirklich seit drei Jahren total inaktiv - dann ist ihr das Verschweigen wohl nicht vorwerfbar; stimmt diese Aussage nicht, dann hat sie in der EU-Kommission nichts verloren. Beides müsste sich leicht nachweisen lassen. In solchen Fragen kann man nicht streng genug sein, wie jüngste Kärntner Vorgänge zeigen. Sehr auffällig ist, dass die Europäer hingegen fast überhaupt keine Fragen bei Neu-Kommissaren stellen, die eine fette kommunistische Vergangenheit haben und die sich heute als Sozialdemokraten präsentieren. Es ist neuerdings also offenbar gleichgültig, ob sich jemand in einem totalitären System die Finger schmutzig gemacht hat - oder zumindest in diesem System, das immerhin den Weltrekord an Todesopfern hält. Das steht in auffälligen Kontrast zur letzten Kommissarsbestellung, als der italienische Kommissar zum Thema Homosexualität auch seine persönliche Ansicht eingestanden hat, dass deren Ausübung eine Sünde sei. Was ja zweifellos ein rein religiöser Begriff ist. So wie ja ein romtreuer Katholik auch Abtreibung für eine Sünde halten wird - obwohl sie in fast ganz Europa möglich ist. Irgendwie kommt man da zu dem Urteil: Du darfst in dieser EU zwar ein Kommunist oder Exkommunist sein, aber keinesfalls ein strenggläubiger Katholik.

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