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Einer der ganz Großen

Silvius Magnago war für mich nicht nur jener Politiker, mit dem ich immer die längsten Gespräche hatte, kam man doch unter zweieinhalb Stunden bei ihm nie weg, so ausführlich erklärte er immer seine Politik. Er war aber auch jemand, der mehr als viele der Geehrten den Friedensnobelpreis verdient hätte. Das sollte halt nicht sein. Aber die Leistung bleibt.

Über jenen Preis muss man ohnedies nicht mehr viel Worte verlieren. Mit der Würdigung für einen US-Präsidenten im ersten Dienstjahr, der außer ein paar brillanten Reden noch nichts für den Frieden Relevantes zustandegebracht hat, für einen ehemaligen US-Vizepräsidenten, der mit Panikmache, mit Filmen und Büchern voller Unwahrheiten blendende Geschäfte macht, oder für nordvietnamesische Diktatoren, vor denen Hunderttausende auf lebensgefährliche Weise geflohen sind, hat sich der Preis längst total diskreditiert.

Die Nichtverleihung des Preises ändert aber nichts an der Größe des Lebenswerks Magnagos. Der große, hagere, nervenleidende Beinamputierte ist nun mit 96 Jahren gestorben. Den Erfolg seiner Politik hat er in den Jahren seiner Pension miterleben können.

Er hat es verstanden, ein großes Unrecht nationalistischer Sieger-Willkür - nämlich die Abtrennung Südtirols gegen den Willen praktisch der gesamten Bevölkerung - in einen friedlichen Ausgleich zu verwandeln, der aus Südtirol heute ein stabiles, ein reiches Land gemacht hat, in dem die deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler immer mehr, die künstlich in den Norden transferierten Italiener wieder langsam weniger werden.

Magnago hat mit der Südtirol-Lösung einen blutigen und hasserfüllten Konflikt im Herzen Europas entschärfen können, der mit Dutzenden Bombenanschlägen und etlichen Todesopfern - durch "deutsche" Bomben wie durch "italienische" Folter - für Österreich jahrzehntelang eines der dominantesten außenpolitischen Probleme gewesen ist. Niemand kann sich heute vorstellen, dass das Wiener Parlament in den ersten Monaten nach dem Krieg seine erste Energie dafür verwendet hat, das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol zu fordern. Noch vor dem Kampf um den Staatsvertrag.

Das ist eine Forderung, auf die weder Österreich noch Magnago bis heute jemals verzichtet haben. Das Geniale an der von ihm - und hervorragenden österreichischen wie italienischen Diplomaten und Politikern (Moro, Steiner, Tschofen, Riz, aber auch Kreisky und Waldheim) - entworfenen Lösung: Man lässt die für Italien nicht akzeptable Sezessions-Forderung zwar aufrecht, handelt aber ein für die Südtiroler so vorteilhaftes Regelungspaket aus, dass diese auf die Forderung langsam vergessen. Österreichs EU-Beitritt und der Schengen-Vertrag haben dann die Brenner-Grenze endgültig unbedeutend gemacht.

Das ist ein für Puristen schmerzhafter Kompromiss gewesen. Aber er funktioniert und hat heute ein Ausmaß an Selbstverständlichkeit erlangt, dass ihn nur noch Außenseiter  zu bekämpfen wagen. Das Selbstbestimmungsrecht bleibt seither ein theoretischer Anspruch, er ruht gleichsam in einer Glasvitrine: er ist dort sichtbar, aber er wird nie herausgenommen. Dennoch war auch der Kampf der Südtiroler Bombenleger - der von Bruno Kreisky über Fritz Molden bis Gerd Bacher hierzulande eine klare, wenn auch heimliche Unterstützung erfahren hatte - nicht umsonst. Höchstwahrscheinlich haben erst sie die italienische Kompromissbereitschaft herbeigebombt.

Der Kern der von Magnago entwickelten Lösung war eine hochentwickelte Autonomie, zusammen mit den Prinzipien Doppelsprachigkeit und ethnischer Proporz. Jeder Staats- und Landesbeamte in Südtirol muss beide Sprachen beherrschen. Öffentliche Posten und Sozialwohnungen werden nach dem jeweiligen Anteil der Sprachgruppen aufgeteilt.

Das widerspricht zwar ein wenig dem EU-Prinzip der Freizügigkeit. Das hat aber die bedrohliche Politik der italienischen Christdemokraten aus den 50er und 60er Jahren beenden können: Sie haben mit der fast exklusiven Vergabe von Jobs und Wohnungen an nach Norden geholte Süditaliener das erreichen wollen, was manche mit dem verpönten Vokabel Umvolkung bezeichnen. Hätte Rom diese Politik noch ein oder zwei Jahrzehnte fotsetzen können, dann wäre aus einem am Beginn des Jahrhunderts fast rein deutschsprachigen Gebiet ein mehrheitlich italienisches Territorium geworden. So wie es ja schon die Städte Bozen und Meran sind.

Dass Magnago es daneben geschafft hat, die Südtiroler in einer bis heute funktionierenden Sammelpartei zusammenzufassen, war zwar fast ebenso schwierig, verblasst aber hinter der Gesamtleistung des immer so kränklich wirkenden Mannes.

Uns hat ein ganz Großer verlassen.

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