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Bananen- statt Rechtsstaat

Erhard Busek hat den Rücktritt der Justizministerin gefordert. Damit sollen die Konsequenzen aus dem Fall des in Wien auf wenige Stunden festsitzenden KGB-Täters Michail Golowatow gezogen werden. Nur: Der Rücktritt der Ministerin wäre zwar berechtigt – aber der Krankheitsherd sitzt viel tiefer und ein Ministerwechsel wäre nur eine Symptomkur.

Die zentrale Krankheit hat drei Aspekte: Erstens schwache Justizministerinnen in Serie; zweitens eine völlig fehlgelaufene Reform der Strafprozessordnung; und drittens eine abgehobene Bürokratie sowie eine linkslastige Staatsanwaltschaft, welche sich mengenweise Kompetenzen arrogiert hat, die in einem sauberen Rechtsstaat nur unabhängigen Richtern zustehen dürften.

All diese Probleme haben sich im Fall Golowatow paradigmatisch niedergeschlagen. Die österreichischen Behörden haben dabei so gehandelt, wie wenn das Jahr 1955 noch nicht vorbei wäre, geschweige denn die Wende 1989/90. Auch vor 1955 sind Funktionäre der Sowjetunion in Österreich über allen Gesetzen gestanden. Wenn ein pflichtgetreuer österreichischer Polizist dennoch einen Sowjet festgenommen hat, haben ein paar Anrufe genügt, und der Agent der Besatzungsmacht ging frei. Einziger Unterschied: Damals wäre der Polizist nachher postwendend in Sibirien gelandet. Heute bleibt ihm das erspart.

Die Fakten sind eindeutig und klar: Golowatow wurde vom EU-Partner Litauen mit einem europäischen Haftbefehl gesucht, weil er als KGB-Agent an Gewalttaten am Ende der sowjetischen Herrschaft im Baltikum beteiligt gewesen sein soll. Er wurde in Wien festgenommen und nach heftigen Interventionen des russischen Botschafters nach wenigen Stunden wieder freigelassen. Bekannt ist etwa, dass dieser um 2:30 Uhr in der Nacht mit dem leitenden Oberstaatsanwalt telephoniert hat. Bei welcher Festnahme gelingt das einem Vertreter des Festgenommenen sonst? Oder wäre ein russischer Staatsanwalt für einen österreichischen Diplomaten umgehend erreichbar? Das gelingt dort nicht einmal zu Bürozeiten.

Schon die Schnelligkeit der Freilassung ist ein Skandal und führt die gesamte EU-Zusammenarbeit im Bereich der Justiz ad absurdum. Denn in ähnlichen Fällen dauert die Prüfung eines solchen Haftbefehls und einer eventuellen Auslieferung monatelang. Wie etwa zuletzt beim ehemaligen kroatischen Regierungschef Sanader. Hängt das gar damit zusammen, dass Sanader ein Mitte-Rechts-Politiker ist?

Es ist jedenfalls lächerlich, wenn die Justizministerin nun beteuert, dass man von Litauen zweimal eine Konkretisierung des Haftbefehls verlangt hat, die nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Wie bitte, soll das denn in diesen wenigen Stunden möglich gewesen sein, dass man Litauen zweimal eine Frist setzt? Hat man auch im Fall kroatischer oder bosnischer Häftlinge der die Auslieferung begehrenden ausländischen Regierung eine in Minuten bemessene Frist zur Äußerung gesetzt?

Es ist lächerlich, wenn das Justizministerium nun Litauen kritisiert, weil es die Dokumente gegen den KGB-Mann nicht auf deutsch parat hatte. Konnten die Litauer wissen, in welchem EU-Land der Mann erwischt wird?

Es ist lächerlich, wenn Justizministerin Karl nun von der Unabhängigkeit der Justiz schwadroniert. Denn in diese Entscheidung war kein einziger unabhängiger Richter, sondern nur weisungsgebundene Staatsanwälte und Beamte involviert.

Es ist lächerlich, wenn die Justizministerin davon redet, dass der russische Botschafter nicht interveniert hätte. War er doch sogar persönlich auf der Polizeistation anwesend.

Es ist lächerlich, wenn das Justizministerium nun davon redet, dass der europäische Haftbefehl nicht anzuwenden sei, weil Golowatow seine Tat vor der Einführung dieses Instituts begangen hat: Hieße das umgekehrt, dass man einen der wenigen noch gesuchten NS-Täter laufen ließe, weil es zur Zeit seiner Verbrechen ja auch noch keinen europäischen Haftbefehl gegeben hat?

Es ist skandalös, wenn leitende Oberstaatsanwälte um 2:30 Uhr bei Promi-Fällen erreichbar sind, normale Verdächtige oder nicht-linke Promis jedoch oft Jahre auf Entscheidungen warten müssen.

Offen ist lediglich eines: Kam die nächtliche Entscheidung nur von einem Oberstaatsanwalt und einem Sektionschef, oder war darin auch die Justizministerin aktiv involviert? Hat das Außenministerium Druck ausgeübt? War der Außenminister selber nächtlich aktiv geworden? Selten war ein Fall so reif für einen Untersuchungsausschuss. Denn hier kann niemand mehr in ein laufendes Verfahren eingreifen – aber natürlich wird es einen solchen Ausschuss nicht geben. Dazu sind Akteure beider Couleurs offensichtlich schon viel zu tief verwickelt.

Am Rande stellt man sich voll Verzweiflung noch eine ganz andere Frage: Ein solches Land, das sich unter russischem Druck nicht einmal traut, ein paar Tage lang gravierende Vorwürfe gegen einen möglichen Mörder zu prüfen, will die berühmte Erdgaspipeline Nabucco bauen, die an Russland vorbei gegen dessen Willen Erdgas nach Europa bringen soll, das nicht auf russischen Befehl abgedreht werden kann? Da lachen doch die Hühner! Moskau schnipst mit den Fingern und Wien geht ein.

Das Desinteresse der Staatsanwaltschaft – deren Rolle bisher als einzige aktenkundig erscheint, die aber nicht die einzige gewesen sein muss – an einem 14-fachen Mörder gleicht dem Desinteresse an der Frage, ob es im Fall Kampusch einen zweiten (oder noch mehrere) Täter gegeben hat. Erst jetzt sind von einem unabhängigen Richter alle diesbezüglichen Vorwürfe geprüft worden. Und ausgerechnet dort haben sich die zwei hauptverantwortlichen Oberstaatsanwälte geweigert, persönlich auszusagen, und nur recht lapidare schriftliche Stellungnahmen geschickt.

Was aber tut die Ministerin angesichts dieses Verhaltens zweier ihr weisungsmäßig unterstehender Amtsträger? Wieder einmal gar nichts.

Komplettes Desinteresse zeigt die Staatsanwaltschaft allem Anschein nach auch an der Tatsache, dass aus ihren Akten ständig Details gegen politisch der Linken missliebige Personen an die Medien gespielt werden. Musterbeispiel ist die Causa Grasser. Hier spielt sich vor unser aller Augen ein laufender Amtsmissbrauch ab – der unabhängig davon feststeht, ob letztlich doch noch ein valider Beweis gegen Grasser auftauchen sollte.

Seltsames Desinteresse der Staatsanwaltschaft gab es auch an einem der Mitdrahtzieher in der Causa Libro. Von allen Verdächtigen wurde nur gegen einen einzigen im letzten Moment doch keine Anklage eingebracht – ausgerechnet gegen jenen Mann, der in einem Naheverhältnis zu einem einst mächtigen SPÖ-Minister steht.

Dieses Desinteresse steht in absurdem Gegensatz zum zelotischen Eifer, mit dem die Staatsanwaltschaft zuletzt etwa christliche Aktivisten wegen „Stalking“ vor Gericht gebracht hat, weil diese auf abtreibungswillige Frauen eingeredet und solcherart die Geschäfte eines Abtreibungsarztes gestört haben. Wenn das Stalking ist, was diese Aktivisten getan haben, dann erheben sich nämlich viele weitere Fragen: Warum werden dann eigentlich nicht auch andere Aktivisten als Stalker vor Gericht gebracht und verurteilt, etwa die „Tierschützer“, die Besucher von Pelzgeschäften bedrängen? Oder die immer aggressiver werdenden Bettler vor jedem Supermarkt? Oder die linken Demonstranten, die fast jede FPÖ-Veranstaltung zu stören versuchen?

Immer wieder ist es die Staatsanwaltschaft, die der Justiz den Makel einer totalen Einäugigkeit verleiht. Die durch eine geschickte Besetzungspolitik der letzten Jahrzehnte fast komplett sozialdemokratisch geleitet wird. Und die durch die neue Strafprozessordnung (die von einem der jetzt im Zentrum stehenden Oberstaatsanwälte formuliert worden ist) eine unglaubliche Akkumulierung der Macht erreicht hat. Seit es keine Untersuchungsrichter mehr gibt, entscheiden die Staatsanwälte ganz alleine, was erhoben wird und ob Anklage eingebracht wird oder nicht. Oder ob sie aus eigenem Gutdünken auf dem Weg der Diversion ganz an jedem Richter vorbei selbstherrliche Quasi-Urteile fällen. Und, ach ja, fast hätt ich‘s vergessen, die darüber thronende Ministerin könnte auch noch mitreden, deren Kompetenz die Staatsanwälte freilich auch noch beschneiden wollen.

Allerdings muss man zugeben: Die ständigen Kurzzeitministerinnen sind hilflos gegenüber diesem mächtigen Apparat, der noch dazu ganz offensichtlich engst mit den Beamten des Ministeriums verbunden ist. Was soll eine Arbeitsrechtlerin diesem Filz auch an eigener Kompetenz entgegensetzen können? Anfangs habe ich zwar gehofft, dass Beatrix Karl gegenüber Claudia Bandion-Ortner eine Verbesserung verkörpern würde. Aber diese Hoffnung hat sich rasch zerstreut.

Und außerdem ist guter Rat teuer: Denn es finden sich weit und breit keine wirklich qualifizierten Kandidaten für das schwierige Amt.

Daher nehme ich Buseks Forderung erst dann wirklich ernst, wenn er uns auch einen geeigneten Nachfolger verrät. Der sich etwa so wie Herr Töchterle im Wissenschaftsministerium als großer Glücksgriff in einer schwierigen Aufgabe erweisen könnte.

 

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