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Die Moral und Europas Schuldenpolitik

Ich hatte schon überlegt, den Saal zu verlassen. Hatte ich doch in meinem Leben schon allzu viele Politikerreden gehört, die meist immer auf den gleichen Nenner zu bringen waren: mit großem Tamtam inszeniert, aber inhaltlich langweilig, nichtssagend, alle heiklen Punkte auslassend oder mit Floskeln übergehend. Dann bleibe ich da im deutschen Lindau bei einer großen Konferenz von 17 Wirtschafts-Nobelpreisträgern halt doch sitzen und es kommt zur unvermeidlichen Begrüßungsrede von Christian Wulff, dem deutschen Bundespräsidenten.

Und ich kam ordentlich ins Staunen. Der Mann spricht in einer Art und Weise Klartext, die ich von einem heimischen Staatsoberhaupt noch nie gehört habe, und die ich in den letzten Jahren auch von keinem österreichischen Regierungsmitglied gehört habe. So sehr ich sie mir auch gewünscht hätte.

Der Wulff-Auftritt geht Hand in Hand mit einem Erwachen auch etlicher anderer deutscher Spitzenpolitiker, die voll Schock erkennen, wie falsch ihre Reaktionen auf die Banken- und Schuldenkrise in den letzten zwei Jahren waren, und die nun offenbar einen Richtungswechsel vornehmen, dass die Reifen nur so quietschen. In Österreich gibt es hingegen nicht einmal den Ansatz einer kritischen Debatte der Regierung zur Schuldenkrise, wie sie neben Deutschland auch schon in den anderen (Noch-)Triple-A-Ländern Niederlande und Finnland intensivst stattfindet. (Lediglich Luxemburg gibt sich noch den alten Träumen hin).

Wer sollte sie aber bei uns auch führen? Bundespräsident, Bundeskanzler wie Vizekanzler, aber auch alle drei Oppositionschefs sind wirtschaftlich ahnungslos. Lediglich in Kabinett und Beamtenschaft des Finanzministeriums scheint es noch ein paar Resthirne zu geben.

Was hat Wulff denn hier in Lindau so alles gesagt? Unkommentiert in der Folge einfach der Wortlaut einiger der für österreichische Ohren so ungewohnt klingenden Zitate. Fast alle drehen sich um die europäische Schuldenkrise und die von den Wackelländern wie auch von der politischen Linken verlangte weitere Megahilfe in Form weiterer Kredite, Garantien und sogar Eurobonds:

  •  „Solidarität ist ein wesentlicher Teil der europäischen Idee. Es ist allerdings ein Missverständnis, Solidarität allein an der Bereitschaft zu bemessen, andere finanziell zu unterstützen, für sie zu bürgen oder gar mit ihnen gemeinsam Schulden zu machen.“
  • „Auch der Bürge kann sich unmoralisch verhalten, wenn er die Insolvenz nur hinauszögert.“
  • „Mich stimmt nachdenklich, wenn Regierungen erst im allerletzten Moment Bereitschaft zeigen, Besitzstände und Privilegien aufzugeben und Reformen einzuleiten.“
  • „Wir Deutschen sollten nicht zulassen, dass ein geschöntes Bild der Kräfte der geforderten Retter gezeichnet wird.“
  • „Ich halte den massiven Ankauf von Anleihen einzelner Staaten durch die Europäischen Zentralbank für rechtlich bedenklich.“
  • „Der indirekte Kauf von Staatsanleihen ist im übrigen noch teurer als der direkte. Wieder verdienen Finanzmarktakteure Provisionen ohne jedes Risiko.“
  • „Wer Risiken eingeht, kann auch scheitern. Dieses Prinzip muss auch für den Finanzsektor gelten, für kleine Anleger wie für große Finanzinstitute. Hier muss Versäumtes dringend nachgeholt werden.“
  • „Die Banken- und Schuldenkrise hat die Politik, hat die Regierungen und Notenbanken an Grenzen gebracht.“
  •  „Über viele Jahre wurden in vielen Ländern Probleme immer wieder über höhere staatliche Ausgaben, höhere Schulden und billigeres Geld vor sich hergeschoben.“
  • „In Europa haben über Jahre einzelne Mitgliedsstaaten falsche statistische Zahlen geliefert, Staatsausgaben ausufern lassen, niedrige Zinsen für konsumtive Ausgaben genutzt oder sich durch Steuergestaltung Vorteile verschafft.“
  • „Ich empfehle auf europäischer Ebene im übrigen auch Lettland mit seinem mutigen Spar- und Reformkurs als ein Beispiel, wie es gehen kann.“
  • „Alle Mitgliedsstaaten sind gefordert, die Verpflichtungen aus dem Stabilitätspakt zu erfüllen. Gerade Deutschland, an das viele ganz besondere Erwartungen richten.“
  • „Erst haben Banken andere Banken gerettet, und dann haben Staaten Banken gerettet, dann rettet eine Staatengemeinschaft einzelne Staaten. Wer rettet aber am Ende die Retter?“
  • „Trittbrettfahrer in der Finanzwelt spekulieren weiterhin darauf, von der Politik und damit letztlich von den Steuerzahlern aufgefangen zu werden – weil sie zum Beispiel zu groß sind und zu relevant für den gesamten Wirtschaftskreislauf.“
  • „Politik mit ungedeckten Wechseln auf die Zukunft ist an ihr Ende gekommen.“

In Österreich müsste man eigentlich nur den Namen Deutschland durch den des eigenen Landes ersetzen und könnte die Rede problemlos übernehmen. Bevor das aber ein Politiker schafft, müsste einiges mehr geschehen:

Die ÖVP müsste begreifen, dass das tägliche Mantra „Europa, Europa, Europa“ längst kein sinnvolles Konzept mehr ist; die Opposition müsste endlich damit aufhören, wöchentlich neue populistische Ideen für weitere teure Geldverschleuderungen zu präsentieren; und die SPÖ müsste sich endlich von ihrem Schuldenfetischismus und den diesbezüglichen Einflüsterern aus der Arbeiterkammer trennen.

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