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Zwischen Lampedusa und Schengen

Europa ist, noch immer und trotz all seiner Krisen, sehr attraktiv für Zuwanderer. Auch relativ schlecht bezahlte Arbeitsplätze bringen hier mehr Geld, als der Großteil der Menschen außerhalb der Industriestaaten verdient. Jedes EU-Land – vor allem jedes im Westen und Norden – hat zugleich einen so hoch entwickelten Standard an sozialen Wohlfahrtsleistungen für alle, die sich nicht selbst anstrengen können oder auch wollen, dass man in anderen Kontinenten davon nur träumen kann. Und Europa hat drittens eine Offenheit und Freizügigkeit gegenüber Asylwerbern, die es nirgendwo anders gibt, und die es nie zuvor in der Geschichte gegeben hat.

Diese Kombination ist für Hunderte Millionen in der Dritten Welt absolut attraktiv. Sie sind daher an Wegen interessiert, ihr restliches Leben in diesem Europa verbringen zu können.  Wer das leugnet, ist ein Träumer und kennt die Dritte Welt nur aus dem Lesebuch oder von noblen Urlaubs-Klubs.

Unter diesen Hunderten Millionen befinden sich aber leider nur sehr wenige, die zu den von immer mehr EU-Staaten benötigten gut ausgebildeten Arbeitskräften zählen. Ob das nun Facharbeiter oder Techniker sind, ob Krankenschwestern oder Forscher. Wer für einen nachgefragten Beruf qualifiziert ist, hat zum Teil auch in der eigenen Heimat gute Chancen, und jedenfalls in den USA, dem für Leistungswillige ob ihrer niedrigen Steuern attraktivsten Land. Ganz abgesehen davon ist es eigentlich zutiefst unmoralisch, sich von den ärmeren Ländern der Dritten Welt jahrelang die künftigen qualifizierten Arbeitskräfte ausbilden zu lassen.

Was aber tun mit der eigentlichen Masse von Immigranten ohne Qualifikation, die Europa nicht braucht, die hier nur das Heer der Wohlfahrtsempfänger vermehren? Vornehmlich diese drängen aber durch immer wieder neu entdeckte Schlupflöcher in die EU. Dennoch fehlt es europaweit an Antworten, was mit diesen Immigranten zu tun sei.

Das jüngste – sehr große – Schlupfloch für sie ist das Mittelmeer. Seit etwa in Tunesien anarchische Zustände herrschen, wird das Meer täglich von neuen Menschenmassen auf wackeligen, aber teuer bezahlten Schlepperbooten durchquert. Zieldestinationen sind die EU-Mittelmeerinseln, vor allem Lampedusa und Malta.

Diese in ganz Europa unerwünschten Menschenmassen haben nun zu heftigen innereuropäischen Konflikten geführt. Diese toben insbesondere zwischen Italien, das sie möglichst rasch weiter haben will, und Frankreich, das von den meisten Tunesiern schon der Sprache wegen angestrebt wird. Die beiden starken und in der Selbstinszenierung sehr eigenwilligen Männer an der Spitze jener zwei Staaten scheinen sich nun nach Wochen des Streits aber auf einen Kompromiss geeinigt zu haben: Sie verlangen gemeinsam eine Änderung des Schengen-Vertrags; dieser stellt zwischen einem Gutteil der EU-Staaten sowie einigen anderen hochentwickelten Ländern den grenzkontrollfreien Reiseverkehr her. Sarkozy und Berlusconi wollen nun, dass die Mitgliedsstaaten wieder leichter Grenzkontrollen gegenüber einem anderen Schengen-Staat einführen können.

Dieser Kompromiss ist ein Erfolg Sarkozys. Italien hat sich dafür offensichtlich dessen Zustimmung für die Nominierung eines Italieners an der Spitze der Europäischen Zentralbank eingehandelt.

Die französisch-italienischen Schengenpläne sind freilich von der EU-Kommission gar nicht gerne gehört worden. Denn damit würden wieder Kompetenzen von Brüssel an die einzelnen Staaten zurückströmen. Die Kommission will statt dessen noch mehr Rechte für sich selber.

So will sie künftig das Recht, Asylwerber auf alle EU-Staaten aufzuteilen. Derzeit gilt ja das Prinzip, dass jener Staat, der als erster von einem Asylwerber betreten worden ist, auch sämtliche Asylverfahren durchführen muss. Dieses Prinzip hat früher Österreich benachteiligt, als es noch an der EU-Außengrenze lag. Heute nützt es Österreich hingegen, weil es von lauter EU-Staaten (sowie Schweiz und Liechtenstein) umgeben ist.

Die Kommission hat nur ein Pech: Die Mehrheit der Staaten und der europäischen Bürger sehnt sich immer weniger nach einem zentralistischen Dirigismus, sondern nach der oft – wenn auch meist nur theoretisch – beschworene Subsidiarität. Diese bedeutet das Prinzip, das eher die kleinere Einheit Dinge regeln soll, etwa der Staat und nicht die Kommission.

Wie auch immer dieser Streit ausgeht: Das Grundproblem ist damit keineswegs gelöst. In Wahrheit geht es um eine sehr unangenehme Notwendigkeit: Es geht darum zuzugeben, dass manche der hochentwickelten humanitären Standards des heutigen Europa nicht dauerhaft aufrechterhalten werden können.

Dazu zählt das unfinanzierbare Wohlfahrtssystem, das von immer mehr Leistungsunwilligen (und eben auch Armutsmigranten) missbraucht wird, ob es nun um den viel zu frühen Pensionseintritt oder um das sogenannte Grundeinkommen geht. Dazu zählt aber auch das überaus hochentwickelte Asylsystem.

Wenn aber ein solches System zu 80 und 90 Prozent von Menschen nachgefragt wird, für die es ursprünglich nicht gedacht gewesen ist, dann muss die Konstruktion geändert werden. Wobei wir gar nicht das Thema anschneiden wollen, dass auch jene, denen Asyl gewährt wird, oft von einer sehr großzügigen, einer „humanen“ Judikatur profitieren.

Aber reden wir nur von der großen Mehrheit der Abgewiesenen: Bei einem solchen Missverhältnis zwischen Asylgewährung und Ablehnung sind jahrelange Verfahren bis hin zu den Höchstgerichten eine gefährliche Fehlentwicklung. In Wahrheit wissen diese angeblichen Flüchtlinge ja auch selbst sehr genau, dass sie keinen echten Asylgrund haben – also Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen. Sie wollen nur einige Jahre lang die Chance nutzen, etwa durch Heirat, selbst durch Eingehen schwuler Partnerschaften (die als „Familien“ geschützt werden!) oder durch rechtzeitiges Untertauchen auf Dauer im – noch immer – goldenen Europa leben zu können.

Was den Handlungsbedarf besonders groß macht: Viele jener Menschen, deren Asylantrag abgewiesen wurde, werden danach dennoch nicht abgeschoben. Sei es, weil ihr Heimatland nicht eruiert werden kann, sei es weil ihnen in der Heimat die Todesstrafe droht (etwa weil sie in Europa als Drogendealer erwischt worden sind).

Dieses Problem ist nun durch eine neue Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch dramatisch verschärft worden. Dieser EGMR ist zwar keine EU-Institution, sondern eine aller Europaratsländer; dort stimmen daher auch Richter aus Aserbebaidschan&Co gleichberechtigt mit, die natürlich jedes Interesse an einer weitgehenden Aufnahme von Auswanderern aus ihren unter Arbeitslosigkeit leidenden Ländern im Westen haben. Der EGMR hat daher jetzt prompt ein italienisches Gesetz als menschenrechtswidrig aufgehoben, das den Verbleib eines Ausländers in Italien trotz einer Ausreise-Anordnung als Strafdelikt behandelt. Damit ist auch der bisher letzte Damm gegen die Immigrantenflut kaputt gemacht worden.

Was aber tun? Europa hat in Wahrheit nur zwei Möglichkeiten: Entweder es kapituliert vor dem Ansturm von Zuwanderungswilligen und gibt sich freiwillig auf. Oder es ändert die internationale Flüchtlingskonvention und die allzu weitgehenden Rechte des EGMR. Beides sind aber Spielebenen außerhalb des EU-Rechtsrahmens, was ein Handeln doppelt schwer macht. Eine dritte Möglichkeit gibt es aber nicht. Das wissen sicher auch Sarkozy und Berlusconi, wagen es aber (noch?) nicht zu sagen, obwohl sie derzeit die sicher mutigsten und daher umstrittensten Politiker Europas sind.

Es wäre aber dringend Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen, bevor die „Wahren Europäer“ viel mehr an Europa kaputt machen können als das, was wirklich reformbedürftig ist.

 

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