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Die Sozialisten im Mussolini-Bau drucken

Die Delegierten von 28 sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien haben Anfang März im römischen Kongresszentrum ihren Spitzenkandidaten gewählt. Der ORF berichtete darüber und zeigte auch ein Bild des Veranstaltungsortes mit dem neutralen Hinweis, dass es sich bei diesem Gebäude um einen Prunkbau aus der Mussolini-Ära handelt.

Abgesehen davon, dass es interessant ist, dass die europäische Sozialdemokratie keine andere Location für diese wichtige Wahl gefunden hat, stellt sich doch die Frage, wie lässig die europäische Linke (das heutige Italien sowieso) mit dem faschistischen Erbe umgeht. Und wie hysterisch andererseits  die Medien in Österreich oder Deutschland hyperventilieren, wenn irgendwo ein Versatzstück des dritten Reiches gefunden wird, etwa das „Hitlerzimmer“ im Volkstheater, das noch vor einiger Zeit für künstliche Aufregung sorgte.

Prof. Dr. Herbert Kaspar ist Chefredakteur der ACADEMIA, der Zeitschrift des österreichischen Cartellverbandes.

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Ein demokratisches Europa sollte auch Sezessionen erlauben drucken

Darf sich eine Provinz, ein Bundesland, eine Region für unabhängig erklären? Von Schottland bis zum Baskenland wird Europa in der nächsten Zeit vor dieser prinzipiellen Frage stehen. Wer die Demokratie ernst meint, kann nur zu dem Schluss kommen: Wenn Regionen wirklich weg von ihrem bisherigen Staat wollen und sie die dafür nötigen Kosten zu zahlen bereit sind, dann muss ihnen das möglich sein. Alles andere ist nackter Kolonialismus und Imperialismus.

Eine Region – wie groß oder klein sie auch immer definiert sein mag – ist ja nicht Privateigentum eines Zentralstaats oder einer Verfassung. Sondern sie gehört schon naturrechtlich primär den dort lebenden Menschen. Wenn diese in klarem Mehrheitswillen, also nicht bloß aus momentanem und nur ein paar Wochen akutem Ärger, dem derzeit herrschenden Staat die Legitimation entziehen, dann hat dieser sie auch verloren.

Alles andere ist formaljuristisches Gerede, das im Widerspruch zum obersten Grundprinzip der Demokratie steht. Echte Demokratie kann ja nicht nur bedeuten, Abgeordnete in ein Parlament zu wählen. Sondern sie muss schon zuvor auch die Klärung der viel wichtigeren Grundfrage zulassen, in welches Parlament überhaupt die Abgeordneten entsandt werden.

Gerade in einem Jahr, das aus historischer Distanz den ersten Weltkrieg intensiv aufarbeitet, werden fundamentale Erkenntnisse deutlich. Erstens: Das Drängen nach nationaler Selbstbestimmung und die Abwehr dieses Drängens durch Zentralstaaten, die ihre Herrschaft oft nur mit Eroberungen oder Verträgen aus dem Mittelalter begründen konnten, waren eine der allerwichtigsten Ursachen jenes fürchterlichen Krieges. Und zweitens: Hätten nach 1918 die kriegsentscheidenden USA ihre Forderung nach Selbstbestimmung wirklich überall durchgesetzt, dann wäre wahrscheinlich die folgende Weltgeschichte nicht so schlimm verlaufen. Aber die USA haben sich nach dem ersten Weltkrieg ja rasch wieder in ihren Isolationismus zurückgezogen. Und Selbstbestimmung bekam nur ein Teil Europas.

Unverständliche Drohungen Madrids

Aus all diesen Gründen steht man den massiven Drohungen der spanischen Zentralregierung gegen die katalonischen Sezessionstendenzen ziemlich fassungslos gegenüber. Sie will sogar das in Katalonien geplante Referendum verbieten. Seither sehen wir, dass sich Barcelona und Madrid gegeneinander und gegenseitig aufplustern.

Soll das bis hin zu einem Krieg gehen? Muss ein Kastilier weniger stolz sein, wenn er nicht mehr über die Katalanen und Basken herrschen kann, – oder sollte er sich nicht im 21. Jahrhundert vielmehr einer demokratischen Toleranz rühmen? Will man auf der iberischen Halbinsel die nationalistische Eskalation wirklich so weit treiben, bis auch in Katalonien ständiges Blutvergießen an der Tagesordnung ist? Was ist das für eine Demokratie, in der Referenden verboten werden?

Viel schlauer hat da die britische Regierung auf die schottischen Sezessionstendenzen reagiert. Gewiss, auch sie hat erst einst in Nordirland mühsam lernen müssen, dass man jahrhundertealte Konflikte nur mit demokratischen Methoden dauerhaft löst. Heute jedenfalls sind in Nordirland die blutigen Auseinandersetzungen weitestgehend befriedet. Und diese Befriedung ist dem einstigen britischen Premier John Major zu danken. Er hat – erstmals! – verkündet, dass Nordirland selbständig werden (oder sich die Republik Irland anschließen) kann. Sofern es eine Mehrheit der Nordiren einmal so will.

Seither ist zwar dort zwischen (londontreuen) Protestanten und (nach Irland blickenden) Katholiken noch nicht die große Liebe ausgebrochen. Es gibt auch noch bisweilen die andere Seite provozierende Umzüge. Aber der Konflikt wurde auf die Ebene der Demokratie verlagert. Es gibt auch gemeinsame Regierungen. Und den Katholiken wurde durch Major formell bedeutet: Wenn ihr einmal die Mehrheit seid und dann immer noch weg von uns wollt, dann könnt ihr auch gehen.

Seither ist die Auseinandersetzung auf die Ebene verlagert worden, welche Seite mehr Babys in die Welt setzt. Das ist jedenfalls ein weit friedlicherer Wettstreit als Bombenlegen.

London wirbt um die Schotten

Ähnlich reagiert London nun auf den schottischen Sezessionismus. London hat keine Sekunde mehr versucht – wie in vielen Jahrhunderten davor –, diesen durch Gewalt oder Verbote zu verhindern. Statt dessen ist klar, dass ein Anti-Großbritannien-Ausgang des Referendums auch wirklich zur schottischen Unabhängigkeit führen wird.

Premier Cameron kämpft statt mit Verboten mit geschicktem sympathiebetontem Werben um die Schotten. London demonstriert den Schotten intensiv, dass diese im Vereinigten Königreich gewollt und gemocht sind, dass es aber ihre eigene Entscheidung ist, bei Großbritannien zu bleiben oder auch nicht. Man bemüht sich um Schottland, statt es zu beherrschen, statt nur wie einst dessen einsame Landschaften, seine Schlösser und seinen Whisky zu genießen.

Zugleich werden den Schotten jedoch auch unverblümt die Konsequenzen einer Sezession klargemacht. Das ist zweifellos legitim ist. Ein Fünf-Millionen-Volk wird als selbständige Nation eben auch nur das Gewicht einer Fünf-Millionen-Nation haben, aber sehr wohl die Kosten eines eigenen Staates. Gleichzeitig geht der Schutz des starken britischen Pfundes verloren. Was die Schotten durchaus als relevant begreifen: Hat doch London seine bisher größte und kostenschwerste Bankpleite ausgerechnet bei der Royal Bank of Scotland gehabt. Und diese Bank will im Fall einer Trennung prompt lieber englisch als schottisch werden.Trotz ihres Namens.

Dümmlich ist hingegen die Reaktion des EU-Kommissionspräsidenten Barroso auf die schottischen Wünsche. Er gibt sich ganz zentralistisch und will den Schotten die Unabhängigkeit vermiesen. Barroso geht sogar so weit anzudeuten, dass für ein unabhängiges Schottland wahrscheinlich kein Platz in der EU wäre.

Das ist natürlich ein Unsinn. Denn erstens entscheidet das kein Herr Barroso, sondern das tun die EU-Mitglieder. Zweitens ist in den EU-Verträgen ganz Europa zur Mitgliedschaft eingeladen, also sicher auch Schottland. Richtig ist also nur, dass es keinen Automatismus gibt, und dass eine schottische EU-Mitgliedschaft eigener Verhandlungen bedarf.

Funktionierende Teilung der Tschechoslowakei

Die Tschechoslowakei hat vorgezeigt, wie eine Trennung funktionieren kann. Diese war damals zwar von fast allen internationalen Kommentatoren kritisiert worden. Sie war auch von mühsamen Verhandlungen begleitet, etwa darüber, wie man denn Armee, Nationalbank oder Botschaftsgebäude aufteilt.

Aber es hat funktioniert. Dabei war ein Trennung der Tschechoslowakei sogar viel schwieriger, als es bei Schottland oder Katalonien der Fall wäre: Denn die beiden Landesteile waren größenmäßig einander viel ähnlicher, und die Trennung konnte nicht einfach als Sezession einer Region angesehen werden.

Das Ergebnis ist eindeutig positiv: Heute redet in der Slowakei niemand mehr negativ über die Präpotenz der Tschechen. Und in Tschechien kann niemand mehr darüber stänkern, dass man so viel Geld in die ärmliche Slowakei transferieren müsse. Tschechen und Slowaken sind heute die besten Freunde. So wie es übrigens auch Tschechen und Deutsche sowie Österreicher wohl geworden wären, hätte nach 1918 die damalige Tschechoslowakei den deutschsprachigen Teilen Böhmens und Mährens die Selbstbestimmung erlaubt.

Kanada blieb am Ende doch ein einziger Staat

In den bisher erwähnten Fällen waren die Sprachen identisch oder eng verwandt. Ganz anders in Kanada. Dort gab es im katholisch-französischsprachigen Quebec immer wieder sezessionistische Tendenzen. Viele wollten sich vom mehrheitlich protestantisch-englischsprachigen Teil abtrennen. Doch trotz dieser Unterschiede hat sich die Bevölkerung Quebecs mehrheitlich für einen Verbleib bei Kanada entschieden. Die Mehrheit wollte letztlich doch die Vorteile eines großen Landes genießen.

Und Kanada selbst hat sich umgekehrt sehr um Quebec bemüht und sich dafür auch selbst gewandelt: Heute tritt Kanada auf allen Ebenen immer betont zweisprachig auf, was früher keineswegs der Fall gewesen ist.

Gerade wenn man Minderheiten die Sezession erlaubt, sind Zentralregierungen demonstrativ um diese Minderheiten bemüht. Das kann dazu führen, dass Minderheiten letztlich dann doch beim gemeinschaftlichen Staat bleiben wollen. Aber das ist eben die eigene Entscheidung der Minderheit. Solche Entscheidungen werden dann in aller Regel auch von den Überstimmten akzeptiert.

Es kann also sowohl eine Trennung wie auch ein Verbleib bei einer gemeinschaftlichen Nation zu positiven Ergebnissen führen. In jedem Beispiel war Selbstbestimmung die entscheidende Grundlage. Und beides ist jedenfalls weiser als das Verbot solcher Referenden.

Spanien hat sich in seinem kastilischen Nationalismus jedoch für ein striktes Verbot eines solchen Referendums entschieden.

Das hat auch Italien seit 1918 gegenüber Südtirol getan. Italien bemüht sich zwar seit dem Südtirolpaket 1969 anerkennenswert um die deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler. Aber die Südtiroler wissen dennoch das demütigende Faktum: Sie sind nur als Kriegsbeute bei Italien. Sie wurden von den Siegern damals ohne jede Legitimität dem südlichen Staat zugeschlagen, nicht aus freiem, demokratischem Willen.

Wollen die Südtiroler das rückgängig machen? Das kann nur ihre freie Entscheidung bei einem Referendum zeigen. Dessen Ausgang wäre durchaus offen. Haben sich doch Nord- und Südtirol in den letzten Jahren naturgemäß auseinandergelebt, juristisch wie auch psychologisch. Ist doch der Import von Italienern nach Südtirol nicht rückgängig machbar (auch wenn ihr Anteil seit dem Paket kontinuierlich schrumpft). Ist doch eine Änderung staatlicher Identität immer mit massiven Kosten verbunden. Egal ob sich die Südtiroler nun für eine Rückkehr zu Österreich oder zu einer Freistaatlösung entscheiden würden.

Auch Kärnten wollte selbständig werden – kurz

Aus Österreich selbst ist in der Zeit seit 1945 nur eine separatistische Episode bekannt: Das war, als Jörg Haider eine Zeitlang davon sprach, dass Kärnten ein Freistaat werden solle. Freilich, heute weiß man, das war einfach nur ein Aufsehen erregender Sager. Wie es vieles bei Haider war. Das Gerede vom „Freistaat Kärnten“ sollte ihn lediglich ein paar Wochen mit einem neuen Thema in die Zeitungen bringen. Das gelang. Und nachher war die Idee rasch wieder vergessen. Weil sie nie ernst gemeint oder gar von einer breiten Stimmung getragen war.

Heute würde im Übrigen die Idee einer Sezession des schönen, aber armen Süd-Bundeslandes wohl von keinem einzigen Landesbürger mehr unterstützt. Im Rest Österreichs hingegen würden sehr viele gerne Kärnten samt all seinen (Hypo-)Haftungen in die Unabhängigkeit verabschieden. Für diese Haftungen müssen ja nun aus bundesstaatlicher Solidarität die restlichen Österreicher in die Bresche springen, die nach dem Willen der Bundesregierung zweistellige Milliardenziffern zusätzlich an Steuern zu zahlen haben . . .

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Versöhnung tut not, aber bitte richtig drucken

Gemeinsam der Toten zu gedenken, ist immer gut. De mortuis nihil nisi bene, ist einer der vielen weisen Sprüche der Antike, der sogar auf griechische Wurzeln zurückgeht. In diesem Sinne ist das gemeinsame Gedenken der Koalition an die Toten des Jahres 1934 durchaus zu loben. Nur ist das wirklich so? (Mit nachträglicher Ergänzung)

Wird wirklich über die Toten beider Seiten des Februars 1934 nur auf eine gute Art gesprochen? Oder gar auch über die der dritten Seite, die im Sommer des gleichen Jahres geputscht hat? Viele politische und mediale Äußerungen der letzten Tage führen zum gegenteiligen Eindruck: Gut soll und darf nur über die Sozialdemokraten geredet werden. Gegen die anderen kann man weiter hetzen.

Auch der SPÖ-Obmann hat im Widerspruch zum angeblich friedlichen Gedenken über die Toten sofort gegen die Existenz des Bildes des (einzigen) ermordeten Bundeskanzlers in Räumen der ÖVP gestänkert, also gegen seinen Vorgänger. Er hat aber beispielsweise noch nie ein Wort der Distanzierung zum Antisemiten und Anschlussbejubler Karl Renner gefunden.

Man hat das Gefühl, eine in Selbstauflösung befindliche ÖVP hat ebenso wie die kaum besser dastehende Kirche die Zeitgeschichte ganz den Sozialdemokraten überlassen (obwohl auch die als Partei von totaler Erosion bedroht sind). Die Sozialdemokratie hat es trotz ihrer sonstigen Hohlheit geschafft, insbesondere an der Wiener Universität die Zeitgeschichts-Lehre ideologisch so umfassend einzufärben, wie man es sonst nur unter totalitären Systemen gewohnt ist.

Daher ist es umso notwendiger, an die historischen Wahrheiten zu erinnern. Schließlich hat es auch in dem – zu Recht – gelobten Südafrika nur eine Wahrheitskommission möglich gemacht, dass man gemeinsam die blutige Vergangenheit überwindet. Schließlich würde ein völlig einseitiges, ein völlig verzerrtes Bild der Wahrheit entstehen, wenn nur die Sünden und Fehler der anderen Seiten, aber nie die der Sozialdemokraten öffentlich thematisiert werden. Schließlich hat Alfred Gusenbauer lobenswerterweise die riesigen braunen Flecken der Sozialdemokratie als erster ordentlich aufarbeiten und offenlegen lassen. Die aber dann schnell von seinem Nachfolger und der parteitreuen Historikergarde wieder zugedeckt worden sind.

Ohne dass hier der Platz für eine umfängliche historische Abhandlung wäre, sei doch auf die zwei grundlegenden Sünden der Zwischenkriegs-Sozialdemokraten verwiesen: Sie waren genauso schlechte Demoraten wie die anderen; und sie waren zum Teil noch schlechtere Österreicher als die ständig am Schandpfahl stehenden „Christlichen“ jener Jahre.

Wer die „Diktatur des Proletariats“ in sein offizielles Parteiprogramm schreibt, kann niemals als Demokrat gelten. Vor allem in jenen Jahren nicht, als die Ausrufung der „Diktatur des Proletariats“ in der Sowjetunion unmittelbare Vergangenheit und blutige Gegenwart gewesen ist. Wenn da heute manche solche Formulierungen als rhetorische Floskeln abtun, dann lügen sie entweder bewusst, oder haben keinerlei Verständnis, wie solche Forderungen damals auf Bürger, Bauern und Katholiken gewirkt haben müssen.

Gewiss waren diese keine besseren Demokraten. Alles andere als das. Aber letztlich haben 1927 nicht sie, sondern Sozialdemokraten den Justizpalast in Brand gesteckt. Das ist immerhin die weitaus schlimmste Gewalttat vor 1933/34 gewesen. Dafür kann kein als noch so ungerecht empfundenes Geschwornenurteil jemals eine Rechtfertigung sein.

In Summe sind einander fast die ganze Zwischenkriegszeit aggressive Aufmärsche und bewaffnete Parteimilizen gegenübergestanden. Auf und von beiden Seiten. Wer da jetzt die eine zur Seite der armen unschuldigen Märtyrer umstilisieren möchte, ist ein böswilliger Verdreher der Geschichte. Oder er ist halt nie über die Geschichtskenntnisse eines Taxifahrers hinausgedrungen.

Eine selbstkritische Aufarbeitung der Geschichte der Sozialdemokratie würde auch für 1933 und 1934 zahlreiche Beweise eines epochalen Fehlers entdecken: Viele Sozialdemokraten haben nämlich damals in den „Schwarzen“ den viel größeren Feind als in den „Braunen“ gesehen. Ohne diese schwere Fehleinschätzung hätte sich Österreich vielleicht noch ein weniger länger gegen die nationalsozialistische Bedrohung wehren können.

Schließlich kommt es einem auch skurril vor, wenn sich die Sozialdemokratie heute als Urmutter der österreichischen Nation ausgibt. Waren doch viele ihrer Exponenten sogar noch nach 1945 im großdeutschen Denken verhaftet (was die Christlichsozialen auch bis 1933 waren, und manche Großdeutsche bis heute).

Großdeutsch zu denken ist angesichts der Geschichte insbesondere des 19. Jahrhunderts natürlich nichts Böses. Man sollte es halt nur in einer Stunde der Wahrheit auch sagen. Ebenso wie die Tatsache, wie sich viele Sozialdemokraten vor und nach Hitler über manchmal vielleicht etwas schlichte schwarze Versuche lustig gemacht haben, eine österreichische Identität zu zimmern.

Nichts von dem hier zumindest kurz Angerissenen ist im übrigen eine Rechtfertigung des Ständestaats der 30er Jahre. Wer versucht hat, einen Staat auf undemokratischer und religiöser Grundlage und in Anlehnung ausgerechnet an Italien zu errichten, musste automatisch scheitern. Das hat der Religion geschadet. Das hat noch mehr der Partei geschadet, die das probiert hat. Das hat am meisten dem Staat geschadet. Aus päpstlichen Enzykliken lassen sich nun mal keine funktionierenden sozialökonomischen Theorien entwickeln. Das funktionierte damals so wenig wie heute. Die Bibel ist kein Ökonomielehrbuch.

Und gerade wer sich christlich nennt, hätte viel mehr für Versöhnung tun müssen, hätte immer wieder die Hand ausstrecken müssen. Auch wenn zweifellos die Bedrohung durch den Nationalsozialismus eine gewaltige, auch wenn die Wirtschaftslage eine katastrophale war. Oder vielleicht gerade deshalb.

Versöhnung sollte auch heute die einzige moralisch legitime Devise sein. Sie muss aber endlich ehrlich gemeint sein. Und kann nicht eine insgeheime Demütigung einer Seite durch die andere bedeuten.

Wer Versöhnung wirklich ernst meint, müsste die Hand letztlich auch dem dritten Lager reichen. Das es nun einmal auch gibt. Und das sich heute so wie alle anderen an Verfassung, Recht und Ordnung hält (das sich vor zwei Wochen in der Innenstadt sogar mehr als andere daran gehalten hat). Was aber schon gar nicht heißt, dass auch nur ein einziges Verbrechen des Nationalsozialismus vergessen werden darf.

Nachträgliche Ergänzung: Wie sehr die SPÖ statt einer echten Versöhnung das Jahr 1934 noch immer instrumentalisiert, zeigte jetzt wieder der niederösterreichische Landesparteichef: Er verglich das Jahr 1934 mit der schwarz-blauen Regierungszeit! (das war bekanntlich jene Zeit, an deren Ende die Staatsverschuldung von 68 auf 60 Prozent des BIP gesenkt werden konnte, während sie unter Rot-Schwarz jetzt auf über 80 Prozent steigt). Alles andere als versöhnlich war auch die einseitige Darstellung des Februars 1934 durch den ehemaligen AZ-Redakteur Dittlbacher im Fernsehen.

Zweite nachträgliche Ergänzung: Wenn man bei Denkmälern, die der Opfer für ein "Freies Österreich" gedenken, Kränze niederlegt, dann zählt zwar Engelbert Dollfuß eindeutig zu diesen (bei all seinen sonstigen Fehlern). Rätselhaft hingegen ist, warum die SPÖ auch Richard Bernaschek, den Auslöser der Februarkämpfe, da so besonders gerne einbezieht. Denn der Mann war schon vor dem Februar durch antisemitische Töne aufgefallen, und er hatte sich kurz darauf nach seiner Flucht Richtung München der antiösterreichischen Kampagne der Nationalsozialisten angeschlossen. Diese "Österreichische Legion" hatte alles andere als ein "Freies Österreich" im Sinn. Genausowenig rühmenswert war dann sein Wechsel zu den Kommunisten. Freilich muss man sich vor seinem letzten Lebensjahr trotzdem tief verneigen: Bernaschek landete nach dem Juli 1944 - zu dem er vermutlich gar keine Verbindung hatte - in Mauthausen, wo er knapp vor Kriegsende umgebracht worden ist. Aber trotzdem bleibt Faktum, dass Bernaschek für ein "Freies Österreich" viel weniger getan hat als etwa ein Dollfuß.

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FN 575: Ja schau, es gibt die Piraten noch drucken

Die Existenz einer Piratenpartei wurde einem nach Monaten erstmals wieder in Erinnerung gerufen. Nämlich als sie ankündigte, für die EU-Wahlen zu kandidieren – was aber in Wahrheit die Ankündigung ihres endgültigen Endes bedeutet.

Die Piraten werden antreten, aber auf einer gemeinsamen Liste mit – den Kommunisten (sowie mit einigen Überbleibseln des Martin-Haufens). Damit sind sie endgültig bei einer Partei gelandet, die schon durch den Namen ihre Nähe zur Unterdrückung von Hunderten Millionen Menschen, zur Ermordung von 80 Millionen, zur Anfachung von Krieg und Terror signalisiert. Das ist eine große Enttäuschung bei einer Gruppierung, an deren Anfang der Ruf nach Freiheit (insbesondere im Internet) gestanden ist. Gewiss, Chaos war bei den Piraten von der ersten Stunde an präsent. Dennoch bleibt es absolut rätselhaft, warum man nicht in Würde sterben kann, sondern sich mit einer solchen Partnerschaft am Ende noch unrettbar befleckt. Sehr traurig.

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Scheiben klirren - nach 75 Jahren drucken

Zu den Opfern der linksradikalen Gewalttäter gehörte vergangene Woche auch ein Innenstadt-Juwelier, wie ich erst jetzt erfahren habe. Seine Auslagenscheiben wurden wie bei etlichen anderen eingeschlagen – und er ist ein auf den ersten Blick erkennbarer Jude. Da bleibt einem bei auch nur minimalem Geschichtsbewusstsein wirklich der Atem stecken. So einen Vorfall hat es in Wien ein Dreiviertel Jahrhundert lang nicht gegeben.

Wo ist der Wiener Bürgermeister, der umgehend zu dem Mann geht (wenigstens zu diesem) und zerknirscht um Verzeihung für den Vorfall bittet? Wo ist da endlich echte Selbstkritik, dass Funktionsträger beider Ratshaus-Regierungsparteien die Gewalttäter nach Wien geholt haben? Sollte man nicht endlich die Wiederholung solcher Ereignisse (und jeder anderen Form von Gewalt) unter welchem Vorzeichen immer bekämpfen? Kommt einem da der „Antifaschismus“ von Rotgrün nicht ziemlich lächerlich vor, der sich vor allem darüber erregt, wenn jemand das Grauen von 1938 Reichskristallnacht und nicht Reichspogromnacht nennt?

Aber was will man von einem Bürgermeister, der einem Che Guevara ein Denkmal errichtet hat? Hat doch dieser Herr Che Tausende Menschen ermordet, ohne dass Rotgrün deswegen Bedenken gegen ihn hätten. Und er hat den Spruch geprägt: „Hass ist ein Bestandteil unseres Kampfes.“ Das mit dem Hass kommt einem dieser Tage in Wien ja besonders bekannt vor.

Oder noch eine „Geschmacksprobe“ zu Häupls Che aus dem letzten „Spiegel“: „Wir müssen auf dem Pfad der Befreiung voranschreiten, auch wenn das Millionen atomarer Opfer kosten sollte.“

PS: Die Linke erregt sich in ihren verzweifelten Ablenkungsversuchen sehr darüber, dass der Wiener Polizeipräsident in Gymnasialzeiten eine Zeitlang Gast (oder Mitglied) einer Burschenschaft gewesen ist. Was sie in ihrer künstlichen Erregung nur vergisst: Wäre er ein paar Jahre älter, wäre Herr Pürstl in diesem Ambiente auf Herrn Häupl gestoßen.

 

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Der Ball und die Medien, die Grünen und der Rechtsstaat drucken

Die erste Erregung über die Ausschreitungen rund um den Wiener Hofburgball ist abgeflaut. Umso wichtiger ist es, in aller Ruhe an die klaren Grundsätze eines demokratischen Rechtsstaats zu erinnern, die da bei manchen Medien bedenklich ins Wanken geraten sind. Bei diesen Grundsätzen müssen Gewaltfreiheit und Versammlungsfreiheit ganz an der Spitze stehen. Wer das ignoriert, stellt sich selbst außerhalb von Demokratie und Rechtsstaat.

Wenn eine Partei wie die Grünen mit diesen Grundsätzen auch heute noch (oder wieder?) so wie in ihrer gewalttätigen Gründungsphase Probleme hat, dann ist das mehr als bedenklich. Skandalöse Nähe zu den schweren Ausschreitungen haben neben den direkt verwickelten Jungen Grünen jedenfalls auch der Wiener Klubobmann der Partei und ihr „Justiz(!)sprecher“ durch völlig unakzeptable Wortmeldungen gezeigt.

Aber haben nicht die Grünen genauso das Recht auf Versammlungsfreiheit wie die Blauen? Ganz gewiss. Jedoch sagen das Recht und alle humanen wie liberalen Prinzipien ganz klar: Versammlungsfreiheit darf nicht dazu benutzt werden, um die Versammlung eines anderen zu stören. Die Freiheit des einen endet immer an der Freiheit des anderen.

Das heißt: Die Grünen und ihre Sympathisanten haben rund ums Jahr das Recht auf (friedlich bleibende!) Demonstrationen, und auch zum Zeitpunkt des Balls haben sie das Recht dazu an jedem anderen Ort. Aber es ist selbstverständliche Pflicht der Polizei, eine ordnungsgemäß gemeldete Veranstaltung vor Störungen zu schützen. Oder es zumindest zu versuchen, wie etwa durch eine Platzsperre angesichts von langer Hand geplanter und durch Import deutscher Gewalttäter so gut wie sicherer Störaktionen.

Gewiss sind die von uns zu tragenden Kosten für den Polizeieinsatz mehr als ärgerlich. Aber diese dürfen niemals ein Grund sein, Veranstaltungen zu untersagen. Die Kosten sollten vielmehr bei denen eingetrieben werden, die sich nicht an Regeln des Rechtsstaats halten.

Wären die Kosten der Polizeieinsätze wirklich ein Argument, Veranstaltungen abzusagen, dann müssten auch wöchentlich sämtliche Fußball-Bundesliga-Spiele verboten werden (Spiele der Champions-Liga prinzipiell erst recht, aber da ist Österreich ja leider nur Zuschauer). Denn große Fußballspiele verursachen bekanntlich besonders regelmäßig und besonders teure Polizeieinsätze, auch oft lange nach einem Spiel oder schon vorher. Als Schuldige tun sich übrigens Anhänger-Gruppen der beiden Wiener Vereine gerne besonders negativ hervor (auch wenn mir einer dieser Klubs davon seit Jugendtagen irgendwie ans Herz gewachsen ist).

Wären die Grünen eine voll in der Rechtsordnung angekommene Partei, dann würden sie prinzipiell jede Kooperation mit potenziell gewalttätigen Gruppen stoppen. Dann würde eine wirkliche Parteichefin sofort jene Jungen Grünen aus der Partei ausschließen, die Gewalttäter importiert haben. Dann würde sie selber zurücktreten, sollte sie hinter den Kulissen das alles gutgeheißen haben.

Jedenfalls würde eine rechtsstaatliche Partei die Abhaltung eines Balls ignorieren, solange dort nichts Rechtswidriges passiert. Selbst wenn dieser Ball ihnen zutiefst unsympathisch ist. Ich bin ja auch nie zum FPÖ- (oder früher: WKR-)Ball gegangen. Genausowenig wie ich zu geselligen Veranstaltungen der Grünen oder einer anderen Partei gehe.

Bei der Polizei hatte diesmal ganz offensichtlich der Verfassungsschutz das Kommando übernommen. Polizeipräsident Pürstl hingegen war heuer nie zu hören. Das ist gut so. Hat dieser doch im Vorjahr mit mehr als deplatzierten Kommentaren gezeigt, dass er nur ein braver Bürokrat und Parteisoldat ist, der seiner Aufgabe überhaupt nicht gewachsen ist, nicht einmal verbal. Diesmal hat die Polizei wenigstens versucht, den Ball zu sichern. Während von Pürstl im Vorjahr nur Zynismus zu hören war.

Neben den Grünen haben sich erstaunlicherweise auch die Neos indirekt an die Seite der Gewalttäter gestellt. Sie haben vehement gegen das von der Polizei verhängte Vermummungsverbot protestiert.

Man kann nun gewiss diskutieren, ob ein solches in einem liberalen Rechtsstaat am Platz ist. Freilich darf man bei einer solchen Diskussion nicht ignorieren, dass Vermummungsverbote mit guten – liberalen – Begründungen in immer mehr rechtsstaatlichen Ländern eingeführt werden: wegen gewalttätiger Demonstranten beziehungsweise gegen diese; und wegen der von radikalen Muslims erzwungenen Ganzkörperverschleierung ihrer Frauen. Diese ist ja nicht nur menschenrechtlich überaus bedenklich, sondern auch schon mehrfach zur Tarnung von Attentätern missbraucht worden. Der Schutz der Bürger vor Kriminalität ist jedenfalls immer schon eine zentrale liberale Aufgabe gewesen (weshalb der klassische Liberalismus von den Linken sogar gerne als Nachtwächter-Ideologie denunziert wird). Und es ist jedenfalls ein urliberales Prinzip, sich offen zu seinen Meinungen zu bekennen.

Trotzdem kann man wie die offensichtlich noch immer ganz stark vom linken Gedankengut der Heide Schmidt beeinflussten Neos natürlich auch meinen, dass ein Vermummungsverbot nicht liberal wäre. Nur eines kann man dann sicher nicht, was die Neos getan haben: sich laut über dieses Verbot aufzuregen, aber gleichzeitig kein Wort gegen schwere Gewalttaten und die versuchte Einschränkung der Versammlungsfreiheit zu sagen. Das ist dann nur noch Chuzpe und jedenfalls nicht liberal.

Was passiert eigentlich auf diesem Ball, der neuerdings so viele Hass linker Gruppen erregt wie einst der Opernball? Ich war zwar nie dabei, aber nach allen seriösen Berichten geht es dort so zu wie auf jedem Ball, und es passiert in keiner Weise etwas rechtlich Bedenkliches. Die einst liberale „Presse“ hat dennoch Druck auf die Hofburg-Betreiber ausgeübt, künftig den Ball zu untersagen. Ihr Argument: Dort säßen auch Leute, „die mit der NS-Vergangenheit flirten“.

„Flirt“ als Delikt ohne Konkretisierung und Beweise ist ein mehr als leichtfertiger Vorwurf. Leben wir doch in einem Land, das die strengsten Wiederbetätigungsgesetze hat (die übrigens gerade wieder etliche Menschen auf Jahre ins Gefängnis gebracht haben). Oder weiß die „Presse“ mehr als wir alle? Wurde auf dem Ball Neonazistisches öffentlich gesagt oder getan? Dann sollte sie es konkret mit Namen und Aussagen nennen. Dann ist nach den geltenden Gesetzen gegen die Betreffenden vorzugehen. Aber in einem Rechtsstaat kann es sicher nicht wegen sogenannter Flirts verhängte Kollektivstrafen geben.

Das auf diesem vagen und unsubstantiierten Vorwurf aufbauende Verlangen, Veranstaltungen zu unterbinden, ist einer Qualitätszeitung unwürdig. Hat sie als Motiv bloß diffuse Gefühle, die sie für Moral hält, dann könnte sie ihre Glaubwürdigkeit nur dann wiederlangen, wenn sie auch all jene Veranstaltungen unterbinden will, die im Verdacht stehen, dass dort jemand mit dem Kommunismus flirtet. Dazu ist aber gar nichts bekannt.

Daher muss sich die „Presse“ den Vorwurf gefallen lassen, dass ihr die Opfer des Kommunismus offenbar egal sind, obwohl dieser rund 80 Millionen Menschen umgebracht und einer noch viel größeren Menge das ganze Leben zerstört hat. Das wäre dann auch die endgültige Abkehr von einer großen Geschichte, für die insbesondere, aber keineswegs nur der eben verstorbene Fritz Molden gestanden ist.

Es ist mehr als nachvollziehbar, dass jemandem andere Menschen, etwa die Besucher eines Parteiballs, unsympathisch sind. Aber deswegen etwas verhindern, etwas unterbinden zu wollen, ist nichts anderes als Beweis einer totalitären Gesinnung.

Man kann nur immer wieder den weisen Voltaire-Spruch zitieren, der eine der wichtigsten Grundlagen liberalen und aufgeklärten Denkens ist: Ich lehne voll ab, was sie sagen; ich werde aber alles tun, dass sie es sagen können.

Wenn dieser Grundsatz verloren geht, dann geht auch unser aller Freiheit wieder verloren, um die unsere Vorfahren so hart gekämpft haben.

 

 

Ich schreibe regelmäßig Kommentare für die unabhängige und rund um die Uhr aktuelle Informationsseite „Vienna.at“.

 

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Anmerkungen zur Geschichtspolitik von Christoph Kardinal Schönborn drucken

Eminenz! Grundsätzlich sehen wir in der Einheit zwischen dem Bischof und seinen Gläubigen ein hohes und anstrebenswertes Ideal. Und wir stünden gerne in freudiger Übereinstimmung mit Ihnen. Leider machen Sie es uns diesbezüglich sehr schwer. Sie haben sich, wieder einmal ganz im Mainstream stehend, „selbstkritisch“ zum beliebten Thema „Kirche und National-Sozialismus“ geäußert: In der Gratisgazette „Heute“ zu den national-sozialistischen Novemberpogromen von 1938 unter dem Titel „Als die Synagogen brannten“.

Nicht, dass wir Stellungnahmen des Episkopates zu geschichtlichen Ereignissen für unangebracht hielten; ganz im Gegenteil. Die Kirche verwaltet die wahren Maßstäbe; der Klerus hat die Verpflichtung, sich hier zu äußern. Nicht dem Umstand mahnenden Erinnerns, sondern der von Ihnen vorgenommenen Akzentsetzung widersprechen wir. Sie verweisen auf ein Geschehen vor 75 Jahren in Mitteleuropa; auf damals begangenes Unrecht; auf die Plünderung und Zerstörung von über 1000 Synagogen und rund 7500 jüdischen Geschäften und Wohnungen. Sie erwähnen die Verwüstung jüdischen Eigentums auch in Wien.

Und dann erfolgt eine sehr spezielle Wertung; wir zitieren Sie: „Wie war es damals? Heute wissen wir, dass es der Startschuss für … die gezielte, geplante Vernichtung des jüdischen Volkes war. Dass es damals kaum klare Proteste gab … von den Kirchen, gab Hitler freie Hand … Schmerzlich müssen wir heute dieses weitgehende Schweigen eingestehen … Als Christen haben wir aus diesem Versagen gelernt …“. 

Ihre Ausführungen, Eminenz, sind fragwürdig, wenngleich mit Sicherheit einer Vielzahl der derzeit politisch Mächtigen angenehm. Ihre Ausführungen sind nicht zu kritisieren, was Ihr Urteil über jene empörenden Übergriffe betrifft, die Sie erwähnen, aber sie sind fragwürdig, was Ihr Urteil über die Kirche betrifft.

Einflussreiche Kreise haben heute offenkundig großes Interesse daran, das Ansehen der Katholischen Kirche zu zerstören, diese zu instrumentalisieren, zu enteignen, als eigenständigen gesellschaftlichen Faktor auszuschalten. Ist Ihnen das noch nie aufgefallen? Endet Ihr historisch-politischer Horizont bei der „Nazi-Zeit“? Sind Sie der Meinung, dass ausschließlich der längst vergangene Hitler ein Kirchenhasser gewesen ist? Glauben Sie, dass heutzutage niemand mehr in gehässiger, gieriger, niedriger, verlogener Weise gegen die Kirche agiert?

Der Christliche Glauben soll ja ganz offensichtlich, wenn es nach den Wünschen derzeitiger politischer „Eliten“ in Europa geht, demontiert werden. Darum hört man beispielsweise auch so wenig davon, dass in den 1920er und 30er Jahren auch Kirchen und Klöster gebrannt haben, in Spanien beispielsweise, wo sie von den Bolschewiken und Anarchisten angezündet worden sind.

Die National-Sozialisten haben sich neben der Synagogen auch der Klöster angenommen, mit ebenfalls wenig freundlicher Absicht – wie bekannter sein sollte, als es ist; stets hat der „Fortschritt“ in seinen diversen Gestalten gegen die Klöster gezielt, auch das wäre ein Thema für eine Erzbischöfliche Betrachtung zur Geschichte. In Rußland hat Stalin in jenen Jahren einen großen Teil der Kirchen Moskaus weggerissen; und unsere Gegenwart wandelt sich so rasch ins Bösartige, dass derlei bald wieder ins Haus stehen könnte – bei uns, denn in Rußland baut man heute die Kirchen wieder auf.

Und was machen Sie, Eminenz? Sie erklären bei erstbester Gelegenheit, dass „es damals“, in jener zur politischen Punzierung heute so gerne herangezogenen „Nazi-Zeit“, „kaum klare Proteste gab … von den Kirchen“, und dass dies „Hitler freie Hand“ gegeben habe, „seine mörderischen Pläne anzugehen“. Also die „Kirchen“ sind schuld, wie Sie als Kardinal nicht anstehen, hier anzudeuten? Vorzugsweise natürlich die eine, die große und wahre Kirche, die Katholische?

Über das Schweigen

Sie schreiben: „Schmerzlich müssen wir heute dieses weitgehende Schweigen eingestehen. Jene einzelnen Stimmen, die sich erhoben und sich auf die Seite der Verfolgten stellten, waren viel zu wenige. Als Christen haben wir aus diesem Versagen gelernt.“

Tatsächlich, Eminenz, und gilt das auch für Sie selbst? Haben Sie gelernt, sich mutig auf die Seite der ungerecht Verfolgten zu stellen? Und haben Sie da nicht ein paar historische Details übersehen? Was ist mit den Stellungnahmen der Kirche, der einen wahren und vollständigen, der Katholischen nämlich, gegen die nationalsozialistische Rassenlehre? Nicht erst jetzt, Eminenz, schon damals, in den 1930er Jahren!

Nie gehört? Alles Schweigen? Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ sollte Ihnen doch bekannt sein; direkt gegen den National-Sozialismus gerichtet. Lange vor anderen. Vergessen?

Könnte und sollte man nicht viel eher, noch dazu als Kardinal und Erzbischof, darauf hinweisen, dass die Kirche, damals ihrer weltlichen Macht großteils schon entkleidet, sehr wohl versucht hat, zu verhindern, was immer nur sie verhindern konnte? Gewiss, in der Zeit der national-sozialistischen Besatzung war ein großer Teil des mitteleuropäischen Klerus mundtot gemacht; den Mund aufzumachen, hätte bedeutet, das Martyrium zu riskieren.

Ist übrigens einigen aus dem Katholischen Klerus ja auch zugestoßen, nicht wahr. Und den einen oder anderen Bischof gab es ja auch, der selbst damals den politisch Mächtigen nicht nach dem Mund geredet hat, denken wir nur an den Bischof von Münster. Wäre vielleicht für Sie, Eminenz, heute ein bedenkenswertes Vorbild.

Damals war Widerspruch, gar Widerstand, halt lebensgefährlich. Heute sind wir noch nicht so weit; man kann noch widersprechen. Tun halt wenige der gegenwärtigen Bischöfe hierzulande. Oder? Wann haben Sie, Eminenz, sich, beispielsweise, mutig und in deutlichen Worten öffentlich gegen die Abtreibung geäußert? Clemens Graf Galen, Bischof von Münster, hat, wenn wir uns recht erinnern, gegen die Euthanasie gepredigt, von der Kanzel, was gefährlich war, damals, in der „Nazi-Zeit“.

Wann haben Sie jemals von der Kanzel gegen die Abtreibung gepredigt? Oder gegen die linken totalitären Zwangstagsschulvorhaben? Gegen die unerträgliche linksextreme, blasphemische, pornographische und menschenverachtende „Kultur“-Politik hierzulande und gegen deren Kosten? Gegen die ganzen und völlig einseitig gehandhabten „Antidiskriminierungs“-Einschränkungen der freien Rede? Gegen die politischen Verfälschungen der Geschichte, mit dem Zweck, alles Gute aus der Vergangenheit verächtlich zu machen und speziell das alte und erhabene Katholische Österreich zu besudeln?

Denn Katholische Gesellschaftsmodelle sind als Vergleichsmaßstäbe zur Gegenwart besonders verhasst, weil nämlich potentiell sehr anziehend und wirkmächtig. Und was machen Sie gegen die Verfolgung von Katholiken, die sich dieses Recht zur freien Rede nicht nehmen lassen wollen, durch die Justiz der Republik (die Fälle Doppelbauer, Adam, Gehring sind da ganz aktuell; das Skandalurteil von Krems ist bereits vorliegend). Wir haben keinen Protest Ihrerseits wahrgenommen.

Wo mögen sie nur geblieben sein, die „klaren Proteste“, deren angebliches Ausbleiben in der Vergangenheit Sie der Kirche als „Versagen“ zuordnen? Sie tragen das Kardinals-Purpur, die Blutfarbe, weil ein Kardinal der Kirche jederzeit bereit sein sollte – nein, nicht zum Appeasement an linke Machthaber, sondern vielmehr zu etwas anderem: zum Einstehen für Glauben, ungerecht Verfolgte, Wahrheit. Bis zur letzten Konsequenz.

Über den Protest

1938, während der Pogrome, wurde also von den Christen und der Kirche geschwiegen. Aber wie hätte man denn protestieren können, im besetzten und unterworfenen Österreich? Hätten denn Sie, Eminenz, damals das eigene Leben für weithin hallenden Protest riskiert? Im Oktober 1938 war erst das Erzbischöfliche Palais gestürmt worden; lediglich auf die Worte des Kardinals Innitzer hin, dass Christus unser Führer ist. Ein Kleriker ist wegen dieser Worte seines Bischofs aus dem Fenster auf den Stephansplatz geworfen worden.

Wir sagen nun nicht, dass Innitzer besser geschwiegen hätte; durchaus nicht. Seine Worte waren die Ehrenrettung für einen sich damals nicht als besonders stark erweisenden Episkopat. Hat sich daran heute etwas geändert? Es sollte uns aber bewusst sein, dass der Ungehorsam gegenüber der Tyrannei Opfer fordert, damals wie heute.

Es hat eine befremdliche Optik, Eminenz, wenn jemand wie Sie, von dem man wirklich nicht den Eindruck übergroßer Tapferkeit hat, den vergangenen Generationen und Amtsbrüdern im Bischofsamt, mainstreamgefällig heute mangelnden Mut vorhält. Wäre da nicht eher „vor der eigenen Türe zu kehren“? Und meinen Sie wirklich, Eminenz, dass man einen Hitler durch „klare Proteste“ (so wichtig die damals gewesen und so wichtig die heute wären, zum richtigen Zeitpunkt und gegen die wirklichen Übelstände), meinen Sie also wirklich, dass man ihn so einfach von seinen Plänen hätte abbringen können? Was meinen Sie mit „klarem Protest“ und wie handhaben Sie solchen?

Worte können mächtig und sie können machtlos sein. Und manchmal müssen den Worten Taten folgen. Die uns bekannte Form des von Ihnen bevorzugten öffentlichen Protestes scheint uns nicht sehr wirkungsvoll. Glauben Sie denn, dass während des Blutbades der französischen Revolution etwa wahnsinnige Verbrecher wie Marat oder Robespierre durch schönbornschen „klaren Protest“ von irgendetwas hätten abgehalten werden können? Den einen musste man in der Badewanne abstechen, dem anderen den Kopf abschlagen, damit endlich Ruhe war.

Das war bei Hitler nicht anders. Als Österreich und Preußen damals Protest erhoben, gegen die Greueltaten der Revolution, hat ihnen das revolutionäre Frankreich einfach den Krieg erklärt. Und basta. Der einzige „klare Protest“, der bei Napoleon gewirkt hat, war Moskau, Leipzig und Waterloo; der einzige „klare Protest“, den Hitler verstanden hat, waren die Russen vor seinem Berliner Bunker. Und hätte der große und weise (und wahrscheinlich wesentlich mutiger als gewisse österreichische Bischöfe agierende) Papst Pius XII. nicht geschwiegen (er hat statt dessen Taten gesetzt, was Sie eigentlich auch wissen sollten), dann hätten unbedachte Worte aus seinem Mund abertausenden Weiteren im national-sozialistischen Machtbereich das Leben gekostet und man würde heute vom „blutigen Pius“ faseln, dessen unverantwortliche Rede schuldhaft ungeheures Leid über Europa gebracht habe.

Über die historische Betrachtung

Sie, Eminenz, pflegen historische Betrachtung mit markanten Auslassungen. Wo ist etwa das ehrende Erinnern an den tapferen Katholiken und Österreichischen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß? Der Widerstand, den er bis zum Opfer seiner selbst durchgehalten hat, hat Österreichs Okkupation durch Hitler für nahezu vier Jahre aufgehalten. Jahre, in denen Österreich ein Bollwerk der Freiheit geblieben war, auch und gerade für das verfolgte Judentum.

Und wie ist der Dank eines heutigen und an den unheiligen „Geist der Zeit“ überangepassten Klerus an diesen konsequent ein Katholisches Österreich verteidigenden Bundeskanzler Dollfuß? Dank an einen, der nicht „geschwiegen hat“? Man distanziert sich! Ein Distanzierungstaferl am Domportal von Linz, wo eine Inschrift an Dollfuß erinnert; und ein eiliger Bischöflicher Befehl, damit ein Dollfuß-Bildnis von der Wand einer Kirche entfernt wird, in Sankt Pölten; und noch ein weiteres Distanzierungstaferl, an der Christkönigs-Kirche im XV. Bezirk von Wien, die, sehr zum Ungemach für fortschrittlichen Gegenwartsklerus, einen Gedenkstein für den Priesterkanzler Seipel und den Helden- und Märtyrerkanzler Dollfuß vor der Fassade aufgestellt hat.

Wir zitieren: „Dieses Denkmal mit den Würdigungsworten für die Bundeskanzler Dr. Ignaz Seipel und Dr. Engelbert Dollfuß spiegelt die Situation Österreichs um das Jahr 1934 wider. Es bleibt nur als Zeitdokument und als Bestandteil dieses Kirchenbaues erhalten. Von den autoritären Aspekten der Politik von Seipel und Dollfuß distanziert sich die katholische Kirche heute auf allen Ebenen. Sie bekennt sich ausdrücklich …“ BlaBla „…lehnt Gewaltanwendung …“ BlaBla „… ist offen gegenüber …“  BlaBla …

Ein anständiger oder doch vielleicht eher ziemlich opportunistischer Text? Wir sind auch Kirche, Eminenz, und wir distanzieren uns nicht; wir bekennen uns vielmehr ausdrücklich zu Seipel und Dollfuß. Kann man denn einen Klerus noch ernst nehmen, der sich beständig für die Vorvorderen „entschuldigt“, sich von ihnen distanziert, sich peinlich berührt von den Großen und Treugebliebenen und Märtyrern einer vergangenen Zeit abwendet, weil einem das von den mickrigen Machthabern der Gegenwart anbefohlen wird?

Hat uns nicht Christus ein ganz anderes Beispiel gegeben? Sagt uns nicht unser Gewissen, dass derlei gegenwärtiges Herumdistanzieren einfach unehrenhaft, unwahrhaftig, undankbar, unedel ist? Wie können wir stolz sein auf unsere Bischöfe, was wir an sich wollten, wie können wir ihre geistliche Führung akzeptieren, angesichts dessen, was wir hier mit ansehen müssen?

Kurzes Schlusswort zum Versagen

„Als Christen haben wir aus diesem Versagen gelernt“, wie Sie schreiben, Eminenz. Tatsächlich? Haben wir das? Nun, wir wollen uns bemühen und hoffen, dass wir selbst auch immer den Mut aufbringen werden, den wir von Ihnen fordern.

Aber da wären natürlich auch ein paar Gesten, die Sie setzen könnten. Zur Buße für das Versagen und zum Zeichen, dass auch Sie „gelernt haben“. Zum Beispiel dieses unwürdige Distanzierungs-Taferl an der Christkönigskirche entfernen lassen. (Fürchten Sie nicht, dass solche Taferln dereinst Zeugnis gegen Sie ablegen werden)? Und Sie könnten endlich ein Denkmal für den Helden- und Märtyrerkanzler im Stephansdom anbringen lassen, in der Barbara-Kapelle beispielsweise, zum Ausgleich für die kommunistische Schwester-Restituta-Verunehrungsbüste daselbst.

Die Schwester Restituta war eine tapfere und beispielhafte Katholikin; ihr Andenken sollte hoch geehrt sein; ein derartiges „Denkmal“ ist eine Beleidigung; vor allem für sie, und dann auch für uns. Ihnen, Eminenz, wünschen wir persönlich alles Gute; wir meinen, dass Sie ein bedeutender Intellekt sind und ein großer Theologe sein könnten; Ihre Kirchenpolitik halten wir für skandalös. Uns wünschen wir Ihren Rücktritt vom Amt des Wiener Erzbischofs.

Dr. Albert Pethö, Historiker und Publizist, lebt in Wien.

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Die Grünen sind verantwortlich drucken

Die Suche nach den Tätern, die in Wien zahllose Geschäfte devastiert und eine Million Schaden angerichtet haben, führt sehr schnell und direkt zu den Grünen. Das zeigt die genauere Analyse der Website www.nowkr.at, die zentrale Drehscheibe der devastierenden Aktionen gewesen ist. Und das jetzt noch den Tätern dankt und hofft, dass sie gut heimgekommen sind.

Diese Webseite hatte vorher unter anderem den Slogan „Unseren Hass den könnt ihr haben!“ ausgegeben und zu den Demonstrationen gegen den Akademikerball in Wien aufgerufen. Entgegen den gesetzlichen Pflichten gibt es zwar kein Impressum, aber dafür war die Formulierung zu lesen: „NOWKR.AT ist eine unabhängige Plattform für die radikale Linke, die über Gegenaktivitäten rund um den Wiener Akademikerball 2014 informiert und ist nicht mit den „Bürger/innen-Bündnissen“ der letzten Jahre zu verwechseln.“

Weiters stand dort: „Auch zur NOWKR Demonstration 2014 wird es wieder Busse aus verschiedenen Städten, wie bsp. Graz, Linz, Berlin, Bremen, Frankfurt, Göttingen oder Leipzig geben. Hier gibts die ersten Infos...“

Die gewalttätigen Ausschreitungen (Sachbeschädigung, Körperverletzung) gehen – zumindest teilweise – eindeutig auf diesen über diese Webseite organisierten Demonstrationstourismus zurück. Eine Domainabfrage liefert nun die Antwort darauf, wem die Website gehört:

Domaininhaber:
Organisationsname:        Junge Gruene
Personenname:        Junge Gruene
Strasse:     Rooseveltplatz 4-5/Top 5
PLZ:  1090
Stadt:        Wien
Land:         AT
Personen Handle:   JG9482235-NICAT

Das legt die zentrale Verantwortung eindeutig klar. Die "Jungen Grünen" haben sich mit den Gewalttätern des „Schwarzen Blocks“ aus Deutschland willentlich und wissentlich zusammengetan. Das heißt aber auch: Entweder diese „Jungen Grünen“ werden umgehend aus der Partei ausgeschlossen. Oder die Grünen sind direkt und voll verantwortlich für das, was in der Wiener Innenstadt passiert ist.

Sie sind damit genau dort angekommen, wo etliche Grüne gestartet haben: als Unterstützer gewalttätiger Krawallmacher. Damals wars halt der Opernball, jetzt ist es der Akademikerball. Der Unterschied ist nicht sehr groß.

Und wenn die Grünen nicht umgehend handeln, dann werden insbesondere in Wien alle mitverantwortlich, die mit solchen Grünen politisch kooperieren. Oder gar koalieren.

Der Unterschied zum Anti-NS-Widerstand

Da ich selbst noch nie bei einem der beiden genannten Bälle war (und mir in der Nacht auf Samstag nur auf den zahlreichen elektronischen Kanälen ein Bild zu machen versucht habe), interessiert vielleicht der Augenzeugenbericht eines alten Journalisten, der an diesem Abend im Stephansdom an der Seelenmesse für Fritz Molden teilgenommen hat.

„ . . . Dann beim Stock im Eisen Platz ist es richtig laut geworden, Knallkörper wie zu Silvester und Leuchtkörper sind herumgeflogen. Die Polizei war nur in Autos zu sehen. Je näher wir zum Riesentor kamen, desto dichter wurde der Rauch von irgendeinem Feuer. Es kam eine "Formation", die aussah, wie ich mir eine römische Phalanx vorstelle, im "Lauf- aber Gleichschritt", dicht aneinander gedrängt, umgeben von Transparenten und laut Parolen brüllend, die ich nicht verstanden habe. Die Türen am Riesentor waren zu, ein Ordner des Stephansdomes und ein Polizist haben zuerst das Gitter und dann die Tür aufgemacht. Gleichzeitig ist einer aus dem Zug gehuscht und hat Rauchbomben mit dem Ziel Stephanskirche geworfen. Es hat in den Augen gebrannt und man musste husten. Dann waren wir endlich drinnen. Den Lärm, vor allem die Knallkörper, Polizeisirenen etc. hat man natürlich auch während der Zeremonie – von Kardinal Schönborn gehalten – gehört, später dann laute Beatmusik. Schönborn wies darauf hin, dass Molden ein Widerstandskämpfer während des 2. Weltkrieges gewesen war, und dass das doch etwas anderes wäre als die Randalierer auf der Straße heute. Nach Ende der Messe haben wir den Dom durch einen bewachten Seiteneingang verlassen. Da war in dieser Gegend alles vorbei, die Mistwagen scheinen schon gefahren zu sein, es war nur noch verspritze Farbe auf der Straße. An anderen Stellen hats dann wieder angefangen.

Wütend war ich primär auf den randalierenden Mob: ich hatte mir gleich gedacht, dass es keine Österreicher gewesen sein können, dazu war die militärische Disziplin zu groß.

Nur froh bin ich, dass die Ballbesucher unbehelligt in die Hofburg gehen konnten.“

So weit die Schilderung eines Augenzeugen, die für sich spricht.

Nicht anschließen kann ich mich jenen Stimmen, die der Polizei Schuld an den Krawallen geben. Sie hat die von ihr erklärte Zone relativ erfolgreich geschützt. Aber es ist völlig unmöglich, jedes Geschäft, jede Straße in Wien a priori zu schützen, wenn Hunderte gewaltbereite Menschen Krawall machen und Schäden anrichten wollen. Und dann schon gar nicht, wenn sie unter Tausenden anderen offensichtlich naiven Sympathisanten Unterschlupf finden.

Das geht schon normal nicht. Und dann überhaupt nicht, wenn (zumindest) eine der Wiener Regierungsparteien sie so offensichtlich unterstützt. Die Innenministerin hat richtige Worte gefunden. Aber ansonsten ist das Schweigen vom Bundespräsidenten bis zum Vizekanzler beklemmend. Immerhin hat es seit Jahren so etwas in Österreich nicht gegeben.

Das was jetzt ganz entscheidend aktiv werden muss, sind die Staatsanwaltschaft und die Gerichte. Immerhin sind 15 Täter festgenommen worden. Immerhin sind zahlreiche Anzeigen auf dem Weg.

PS: Menschlich das Übelste rund um die Anti-Ball-Inszenierung ist, dass auch einige Überlebende der NS-Verbrechen für die Aktionen missbraucht worden sind. Denn wer einst die Aktionen der SA und dann SS miterleben musste, der kann mit diesem Terror nichts gemein haben.

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Der letzte der drei größten Nachkriegsösterreicher ist tot drucken

Fritz Molden war in mehrfacher Hinsicht eine der größten Persönlichkeiten der Nachkriegszeit: als begeisterter wie kämpferischer Österreicher und als unbeirrbarer wie echter Liberaler, der seine Wurzel im kampfbereiten Katholizismus hatte, also im weitaus härtesten Gegner der nationalsozialistischen Okkupanten. Seine katholische Fundierung war für Molden völlig kompatibel mit seinem liberalem Denken (das ja nichts mit der Karikatur des Liberalismus zu tun hatte, wie er heute bei linken Gruppierungen wie dem Lif irrlichtert).

Moldens Haltung und seine Lebensgeschichte haben mich in vielen Gesprächen und Begegnungen tief beeindruckt. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass er als Unternehmer, Herausgeber oder Verleger letztlich angesichts zu weit gesteckter Ziele kaufmännisch praktisch immer gescheitert ist.

Seine ersten großen Verdienste hat sich Molden im katholischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus erworben. Er wurde damals in etliche lebensgefährliche Abenteuer verwickelt, über die er ebenso gut schreiben wie erzählen konnte. Verurteilungen und Lebensgefahr konnten ihn jedenfalls nie in seinem Glauben an Österreich ins Schwanken bringen.

Gerade in diesem überzeugten Glauben wurzelte sein Engagement für eine klar prowestliche Orientierung dieses Landes. Ihm war klar, dass es ein freies und unabhängiges Österreich angesichts der großen Bedrohung von seiten der "dank" Hitler nach Mitteleuropa vorgestoßenen Roten Armee nur mit aktiver Rückendeckung durch die USA und die CIA geben konnte. Das begreifen zwar manche der heutigen Linken und im Dienste der SPÖ stehenden Zeithistoriker nicht. Das ist aber bei historischer Betrachtung ganz eindeutig.

Gemeinsam mit seinem Vater hat Fritz Molden auch enorme Verdienste um den österreichischen Journalismus erworben. Die beiden waren die ersten – und lange die einzigen –, die an Parteien, Besatzungsmächten und Bundesländerkaisern vorbei unabhängigen Journalismus gemacht haben. Von Otto Schulmeister bis Gerd Bacher sind die interessantesten Köpfe dieser Branche durch seine Schule gegangen. Moldens Journalismus war fast automatisch ein liberaler – und er wurde wegen seiner geistigen Unabhängigkeit von allen Parteien vehement bekämpft.

Molden berichtete in unseren Gesprächen oft von den Problemen der Familie im Kampf um ein Wiedererscheinen der „Presse“ (sein Vater wählte nach dem Krieg sicherheitshalber diesen Ursprungstitel aus 1848, da der 1938 verwendete Name „Neue Freie Presse“ nach 1945 möglicherweise als „Deutsches Eigentum“ gesehen werden konnte, das dann vom sowjetischen Zugriff bedroht war. Hitler hatte ja 1938 das „Judenblatt“ sofort einstellen lassen). Insbesondere der SPÖ-Innenminister Helmer verhinderte lange durch Verweigerung von Papierkontingenten das Erscheinen der „Presse“.

Unkontrollierte Stimmen waren den Machthabern zutiefst suspekt. Auch die anderen Parteien blickten damals voller Abneigung auf die Moldenschen Zeitungen. Woran die Tatsache nichts änderte, dass Fritz Molden unmittelbar nach Kriegsende für die Regierung gearbeitet hatte.

Die „Presse“ steckte dann, als ihr Erscheinen von der Politik nicht mehr verhindert werden konnte, von Anfang an fast immer in ökonomischen Problemen. Aber solange sie unter Moldens Verantwortung erschien, hatte sie dennoch immer Distanz zu den Parteien und Machtträgern gehalten. Dass das später anders werden sollte, hatte dann mit Molden nichts mehr zu tun. Für ihn waren jedenfalls Medien völlig undenkbar, die politische Inserate und Kooperationen akzeptieren. Zu Moldens Zeit hatte die „Presse“ nicht einmal Partei-Inserate angenommen. Die heutigen verdeckten Bestechungen waren damals überhaupt undenkbar.

Zusammen mit seinem Bruder Otto hat Fritz Molden auch für die Schaffung des Forums Alpbach als geistigem Hort des jungen Nachkriegsösterreichs viel getan. Das Forum war damals zwar viel kleiner als das heutige Alpbach. Es war aber intellektuell unabhängig, was nicht nur aus Österreich, sondern ganz Europa absolut faszinierende Denker angezogen hat. Alpbach war noch kein steriles Regierungs-, Kommerz- und Proporzprojekt, das nur mit zahllosen Stipendiaten Relevanz simulieren kann.

Für die heutige politische Linkskorrektheit völlig undenkbar war Moldens großes Engagement für Südtirol. So wie für Gerd Bacher und Bruno Kreisky gilt aber auch in Hinblick auf Molden: Viele aufrechte Österreicher haben in den 60er Jahren ohne Zögern mit dem bombenlegenden Freiheitskampf der Südtiroler kooperiert. Niemand von ihnen hatte Zweifel, dass das der richtige Weg war. Und man sollte sie auch heute nicht haben: Hat doch der bombenlegende Freiheitskampf entscheidend zum Südtirol-Paket mit seiner weitgehenden Autonomie und dem Stopp der Zwangsitalianisierung geführt.

Freilich wurde damals aus Sicherheitsgründen über diese Kooperation mit dem Freiheitskampf nicht viel geredet. Zum Unterschied von den italienischen Carabinieri und von der Justiz der Besatzungsmacht haben die Südtiroler und ihre österreichischen Helfer auch eines immer beachtet: Sie haben strikt Menschenleben verschont. Die grässlichen Folterungen und Morde durch den italienischen Geheimdienst bleiben hingegen bis heute ein Makel in der europäischen Geschichte. Erst jetzt hat ein wichtiges Buch von Hubert Speckner neue Details zu all dem bekanntgemacht.

So wie sich Fritz Molden vor und nach 1945 für ein unabhängiges Österreich einsetzte, so engagierte er sich dann vier Jahrzehnte später auch vehement gegen die von der SPÖ lancierte internationale Diffamierung Kurt Waldheims. Diese hatte ja damals Österreich politisch schwer geschadet. Der Erfolg der Moldenschen Bemühungen (an denen unter anderen auch Hugo Portisch und Paul Lendvai teilnahmen) hielt sich freilich in Grenzen.

Neben dem Kampf gegen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seiner Zeitungen, seiner Druckerei, seines Verlages, die Fritz Molden zweifellos zum Teil auch selbst verschuldet hat, aus denen die Familie aber immer erstaunlich unbeschadet wiedererstand, gab es noch einen letzten politischen Kampf in seinem Leben: Den um die Bewahrung des Textes der Bundeshymne. Der stammte ja von seiner Mutter Paula von Preradovic. Diesen Kampf gegen linke Feministinnen hat Molden freilich wie so manche andere in seinem Leben verloren.

Bis dann schließlich nur noch die Kämpfe gegen vielerlei Krankheiten sein Leben bestimmten.

Umso mehr ist für die Nachwelt festzuhalten, dass Fritz Molden zusammen mit Franz Olah und Leopold Figl zu jenen drei Männern gehört, die zweifellos am meisten für dieses Nachkriegsösterreich getan haben. Es sind jene drei Männer, auf die man als Österreicher für die Epoche jener historischen Schnittstelle zwischen NS-Diktatur, kommunistischer Diktatur und Demokratie am meisten stolz sein darf. Hinter deren Lebensleistung muss bei jeder objektiven Betrachtung kleinliche Kritik an Randaspekten ihres Lebens verschwinden – die natürlich immer möglich ist.

PS: Vor allem Nachgeborenen ist das Lesen von Büchern Moldens sehr zu empfehlen. Denn Molden hatte nicht nur viel Historisches zu erzählen. Er hat es immer auch sehr spannend getan.

PPS: Mehr als erstaunlich blieb den ganzen Todestag über das Schweigen von Bundeskanzler wie Vizekanzler zum Ableben Moldens. Sitzen in deren Kabinetten nur noch zeithistorisch völlig ahnungslose Jungtussis und Jungbuben, wenn den beiden schon selber der Name Molden offenbar nichts sagt? Umso mehr: Hut ab vor dem Bundespräsidenten, der eine sehr ordentliche Würdigung verfasst hat (oder verfassen ließ).

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FN 552: Die Verbrechen der eigenen Genossen vergessen? drucken

Das Rathaus hat seinen Bericht über problematische Straßennamen fertig.

Die Genossen wissen zwar noch nicht so recht, was sie damit tun sollen. Aber die in Wien ja besonders links stehenden Grünen werden jedenfalls über jeden dieser Namen – von Paula Wessely bis zum Opernsänger Manowarda – zu stänkern beginnen. Haben sie sich doch schon beim Lueger-Ring durchgesetzt. Nun: Kein Zweifel, dass sich viele der Genannten in der Nazi-Zeit einem Verbrecherregime angedient haben, dass es üble Antisemiten gegeben hat. Künstler waren freilich nur selten politisch intelligent (siehe etwa die heutigen Umtriebe an manchen Kunstunis). Aber wenn man mit dem historischen Aufräumen beginnt, dann müssen endlich genauso alle belasteten Sozialisten drankommen. Dazu gehört nicht nur ein Karl Renner mit seinem massiven Antisemitismus, sondern auch all jene, die sich noch 1945(!) für einen „Anschluss“ ausgesprochen haben; die 1927 und 1934 selbst zur Gewalt gegriffen haben; die in einem offiziellen Parteiprogramm die „Diktatur(!) des Proletariats“ verlangt hatten (wenige Jahre, nachdem diese in der Sowjetunion ausgerufen worden war!), die heute ihren aggressiven Antisemitismus nur notdürftig als Antizionismus tarnen. Das aber muss dann nicht bloß eine von Parteigenossen kontrollierte Kommission diskutieren, sondern eine wirklich unabhängige.

PS: Gäbe es noch einen Wissenschaftsminister, hätte der da einen großen Forschungsauftrag zu vergeben.

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Das Christentum bekämpft (rhetorisch) die Armut, der Islam (blutig) die Christen drucken

Noch nie sind in dieser Welt so viele Christen verfolgt und ob ihres Glaubens getötet worden wie im ablaufenden Jahr. Noch nie ist die absolute Zahl wie erst recht auch der relative Anteil der Armen auf diesem Globus so stark zurückgegangen wie in den letzten Jahren (wie auch alle UNO-Statistiken bestätigen). Umso erstaunlicher ist es, worauf sich das Amts-Christentum konzentriert: Wohl noch nie haben sich katholische wie evangelische Kirche so sehr auf das Thema Armut konzentriert wie im vergangenen Jahr, während die Existenz so vieler verfolgter Christen und die Bedrohung des Christentums von vielen Amtsträgern am liebsten ignoriert wird. Denn in ihrem Weltbild ist Christenverfolgung nur etwa in der weiten Ferne der Geschichte.

Weihnachten ist für viele Menschen der Zeitpunkt, wo sie sich am meisten mit der Kirche befassen. Wohl scheint es vordergründig ein Fest des Konsums, der Hektik und des Schenkens zu sein (in allzu vielen Unternehmen leider auch eine Zeit der Kündigungen). Aber die große Mehrheit spürt doch, dass da mehr ist. Dass Kirche und Christentum Teil ihrer Identität sind.

Europa ist zutiefst christlich geprägt. Nichts anderes hat den Kontinent und all seine Wurzeln in den letzten 2000 Jahren so stark geformt – auch wenn man die Beiträge der römisch-griechischen Antike mit ihren rechtlichen, philosophischen und kulturellen Errungenschaften sowie der Aufklärung mit ihrer Betonung von Vernunft, Freiheit, Menschenrechten und Wissenschaft ähnlich würdigen muss.

Immer mehr Menschen wird beklemmend klar, dass in wenigen Jahrzehnten etwa in Österreich die Mehrheit der Bürger dem Islam zugehören wird, einer totalitären Religion, die mit keiner der drei Wurzeln Europas etwas anfangen kann oder will. Umso wichtiger wäre der Kampf für die Bewahrung dieser drei Fundamente. Gewiss steht es um die beiden anderen Fundamente auch nicht sonderlich gut. Man denke nur an die Krisen der Justiz oder an die wachsende Einschränkung der Meinungsfreiheit. Aber das christliche Fundament ist wohl am meisten bedroht.

Abgesehen vom steinzeitlichen Nordkorea hat die Verfolgung der Christen immer den selben Namen: den Islam. In Syrien, in der Zentralafrikanischen Republik, in Nigeria, im Irak, in Ägypten, in Eritrea, in Pakistan und in einem weiteren Dutzend afrikanischer oder asiatischer Staaten: Kirchen werden zerstört, Christen ermordet, christliche Dörfer vernichtet, die Menschen vertrieben. Selbst in den relativ besser gesitteten Staaten wird die Konversion zum Christentum streng bestraft.

Fast immer sind es islamistische Gruppen, die den Expansionismus ihrer Religion nicht mit Überzeugung und Mission, sondern mit brutaler Gewalt vorantreiben. Zwar sind gewiss nicht alle Moslems eine Bedrohung. Aber es ist doch erstaunlich, dass die Distanzierung von den Radikalen und deren Taten immer nur im Nachhinein erfolgt (wie etwa bei der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich).

Die Einwohner christlicher Dörfer in Syrien, die von den islamischen Rebellen eingenommen worden sind, werden vor eine einzige Alternative gestellt: Muslim werden (und zwar in einer ganz atavistischen, besonders Frauen unterdrückenden Form) oder getötet werden. Das sind genau die gleichen Methoden, mit denen der Islam schon vor mehr als tausend Jahren den ganzen Nahen Osten unter seine Gewalt gebracht hat.

Sein Vordringen bis Wien und bis zu den Pyrenäen konnte damals zwar zurückgedrängt werden. Aber die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert zeigt einen neuen, viel erfolgreicheren Vorstoß der geburtenstarken islamischen Welt in den gesamten Westen und in Afrikas Süden. Während der Westen noch gar nicht mitbekommen hat, was da geschieht, ist ein neuer globaler Krieg schon in vollem Gang. Diesen haben zwar wenigstens einzelne deutsche und amerikanische Politiker mutig beim Namen genannt, aber noch kein einziger österreichischer.

Natürlich ist es frustrierend, wenn heute ausgerechnet demokratiefeindliche Diktatoren und autoritäre Herrscher die relevantesten Verbündeten der bedrohten Christen sind. Dennoch ist es Faktum, dass die von Jesus Christus gegründete Religion im syrischen Diktator Assad und im ägyptischen Machthaber Sisi jeweils die letzte Zuflucht hat, während die verblendeten westlichen Regierungen – Frankreich an der Spitze – tendenziell an der Seite der Islamisten stehen.

Es ist auch Faktum, dass sich ausgerechnet der Russe Putin – unabhängig von all seinen unerfreulichen autokratischen Attitüden und seinem wirtschaftspolitischen Scheitern – der Frontstellung der christlichen Welt gegen den Islam sehr bewusst ist. Das ist in Putins Fall natürlich die orthodoxe Welt, aber er hat sich nirgendwo gegen katholische oder protestantische Christen gewandt.

Niemand weiß, ob Putin innerlich irgendetwas mit Religion anfängt. Aber nach außen trägt er diese demonstrativ vor sich her so wie etwa viele katholische Kaiser im Laufe der Geschichte. Putin setzt sehr bewusst auf christliche und traditionelle Werte wie die Familie, die er gegen die forschen Vorstöße insbesondere der schwulen Aktivisten verteidigt. Womit er sich zugleich viele Sympathien nicht nur in Russland, sondern auch außerhalb geholt hat.

Der Papst aus Lateinamerika hingegen ist sich der globalen Bedrohung der christlichen Welt offensichtlich nicht bewusst. Leicht erklärlich: Die Bedrohung durch den Islam findet in Lateinamerika am wenigsten von allen Erdteilen statt. Der Papst hat ein anderes Thema: Er ruft ständig zum Kampf gegen Armut auf. Das ist ein lobenswertes Ziel. Nächstenliebe entspricht auch einem der beiden obersten Gebote des Neuen Testaments.

Der Papst und die ihm gleich Gesinnten unterliegen dabei jedoch einem ganz großen und doppelten Irrtum: Sie verlegen erstens die Pflicht zur Nächstenliebe von der individuellen auf die gesellschaftlich-kollektive Ebene; wozu aber die Bibel keinerlei Berechtigung gibt. Und sie bekämpfen zweitens absurderweise ausgerechnet die weitaus erfolgreichste Strategie zur Reduktion der Armut; das ist ganz eindeutig der Kapitalismus. Das vom neuen Papst gerne mit Verachtung verwendete Wort „Kapitalismus“ ist nichts anderes als das linke Kampfwort zur Bezeichnung der auf Freiheit und Eigentum beruhenden Marktwirtschaft. Immer mehr Menschen auf dieser Welt erkennen den überlegenen Nutzen des Kapitalismus. Der Papst aus Argentinien hält ihn jedoch für etwas „Mörderisches“.

Franziskus ist dabei ganz durch seine Herkunft aus einem einst reichen Land geprägt, das als Folge peronistisch-populistischen Sozialdemokratismus in den letzten Jahrzehnten ständig abgestiegen ist. In Argentinien ist aber die ganze Mittelschicht als Folge ständiger staatlicher Eingriffe verarmt. Wer aus argentinischen Erfahrungen spricht, verwechselt aber Ursachen und Wirkungen.

Wenn der Papst den Kampf gegen die Armut wirklich ernst meint – und an seinem ernsten Willen zweifle ich nicht –, dann müsste er eben gerade den Kapitalismus preisen, der so erfolgreich, wie es noch nie einem historischen Gesellschaftssystem gelungen ist, die weltweite Armut reduziert und die globale Lebenserwartung verlängert hat. Diese positiven Entwicklungen sind eindeutig die Folgen von Marktwirtschaft, Globalisierung und Naturwissenschaft. Das sind aber leider lauter Dinge, die die Kirche ursprünglich nicht auf ihren Fahnen hatte. Und die sie zum Teil noch heute bekämpft.

Der lateinamerikanische Papst sieht aus seiner persönlichen Prägung heraus die Prioritäten seines Subkontinents. Umso wichtiger wäre für europäische Kirchenführer die europäische Sicht: Also der Einsatz für Familien und Kinder angesichts der demographischen Katastrophe des christlichen Europa; und der bewusste Versuch einer Abwehr des islamischen Vormarsches.

Jedoch vermisst man in ganz Österreich jeden substanziellen innerkirchlichen Dialog über diese Themen. Den gibt es nur in Deutschland und den USA, aber nicht in Österreich oder den lateinischen Ländern.

Worüber diskutiert die Kirche in Österreich heute statt dessen, worüber diskutieren ihre Exponenten? Primär über Randfragen wie Personalia. Das tut zwar jede Organisation. Aber es schmerzt, wenn österreichische Bischöfe ständig Gott für ihre Personalentscheidungen verantwortlich machen. Das tat der Wiener Kardinal bei der Papstwahl; das tat der neue Salzburger Erzbischof Lackner bei seiner Nominierung („Gott hat wieder einmal überrascht.“)

Wenn Gott da wirklich bei solchen Personalentscheidungen im Spiel ist, dann müsste er ja auch schuld an den schlechten sein. Dann hätte er auch die Renaissancepäpste ausgewählt, die jedes nur denkbare menschliche und göttliche Gebot öffentlich verletzt haben. Dann trüge er die Verantwortung für Bischöfe, die in Sachen Kindesmissbrauch nicht korrekt gehandelt haben (wie wohlgemerkt viele Politiker auch).

Dann wäre Gott auch schuld an unbestreitbaren päpstlichen Fehlentscheidungen. Zu deren berühmtesten hat einst jene zugunsten eines geozentrischen Weltbildes gehört. Auch damals hatte sich die Kirche vom Zeitgeist und der unter den damaligen Wissenschaftlern vorherrschenden Lehrmeinung zu unsinnigen diesseitigen Aussagen drängen lassen.

Es ist schade, dass sich ein Papst in irdischen Fragen so irreleiten lässt. Denn gerade Franziskus hat ein vor allem gegenüber seinem Vorgänger überaus starkes und auf viele kirchenferne Menschen anziehendes Charisma. Er wirkt glaubwürdig, er setzt wie ein PR-Profi ständig geschickt die attraktiven kleinen Symbolgesten, er strahlt Fröhlichkeit aus und er lässt sich zugleich in den zentralen Glaubensinhalten so wenig wie Benedikt oder Johannes Paul beirren.

Zugleich ist aber auch für gläubige Katholiken klar: Auch Päpste können – mit einer einzigen dogmatisch streng geregelten Ausnahme – irren und auf falschen Wegen unterwegs sein. Was schon auch deshalb logisch ist, weil ja Franziskus auf einem ganz anderen Weg geht als der weise und hochwissenschaftliche, aber ausstrahlungsarme Benedikt. Daher sollten sich auch Bischöfe und Priester nie zur Rolle eines ganz meinungslosen Apologeten jeder päpstlichen Äußerung gezwungen fühlen.

PS: Abgesehen von Personalfragen und der irreleitenden Armutsrhetorik gibt es für die österreichische Kirche natürlich noch ein zentrales Thema: die organisatorische Reform, mit der auf den Rückgang an Priestern wie Gläubigen vor allem in großen Städten reagiert werden soll. Dabei stößt die Kirche auf genau das gleiche Problem, mit dem auch alle staatlichen Versuche gescheitert sind, Verfassung und Föderalismus umzubauen: Das ist die Beharrlichkeit existierender Strukturen. Deren Änderung hat sich auch der Wiener Erzbischof zweifellos viel leichter vorgestellt. Daher kommt Christoph Schönborn mit seinen diesbezüglichen Versuchen seit Jahren über Ankündigungen und Wünsche kaum hinaus. Aber immerhin hat er da und dort erste Erfolge erzielen können. Ein besonders schöner scheint etwa im 15. Bezirk geglückt, wo eine Kirche an die Rumänisch-Orthodoxen übergeben wird. Da scheint einmal etwas ohne die sonst unvermeidlichen innerkirchlichen Konflikte geglückt zu sein.

PPS: Nach wie vor völlig rätselhaft ist der päpstliche Fragebogen rund um das Thema Sexualität und Ehe. Dieser hat ja innerkirchlich fast eine Wahlkampfstimmung ausgelöst. Aber niemand weiß, was daraus folgen wird und kann. Natürlich geht die kirchliche Lehre in manchen Fragen völlig an der menschlichen Realität vorbei. Natürlich hat die Kirche viel zu sehr dogmatische Strenge an Stelle der christlichen Tugend Barmherzigkeit gestellt. Natürlich hat sie sich viel zuwenig selbst bewusst gemacht, dass das Idealbild menschlichen Verhaltens fast immer vom wirklichen Verhalten abweicht. Aber kann dieses Spannungsverhältnis wirklich mit einer Art Pseudodemoskopie gelöst werden? Gibt die Kirche da nicht leichtfertig ihren transzendentalen Zuschnitt auf? Verliert sie da nicht ihr Ziel aus den Augen? Agiert sie damit nicht genauso wie Parteien, die sich nur noch nach der vermeintlichen Volkes Stimme richten?

 

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Abkehr vom Selbstbestimmungswillen drucken

Die jüngste Polemik um den Südtiroler Freiheitskampf offenbart, wie die SVP Geschichtsklitterung instrumentalisiert. In Südtirol lenkt der mediale Blick auf Wohl oder Wehe des kurz vor seinem Abgang von einem Herzinfarkt physisch niedergestreckten Landeshauptmanns Luis Durnwalder vorübergehend von politischen Auseinandersetzungen ab, die um Vergangenheit und Zukunft des nach dem Ersten Weltkrieg von Italien annektierten ehedem österreichischen Landesteils entbrannt sind. Wie heftig darob die Meinungen aufeinanderprallen, zeigt sich an der Polemik rund um die alljährlich stattfindende Sepp-Kerschbaumer-Gedenkfeier.

Diese war in St.Pauls angesetzt, einer Fraktion der der Hauptstadt Bozen benachbarten Überetscher Gemeinde Eppan. Kerschbaumer war der charismatische Gründer und Leiter des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS). Diese Vereinigung, der Tiroler aus beiden Landesteilen, aber auch andere Österreicher angehörten, widersetzte sich – vornehmlich mittels Anschlägen auf italienische Einrichtungen – seit Mitte der 1950er Jahre der auch vom demokratischen Italien nach Ende des Zweiten Weltkriegs mehr oder weniger bruchlos fortgesetzten Politik der Italianita zwischen Brenner und Salurner Klause.

Italien betrieb diese Politik trotz des 1946 in Paris zwischen dem damaligen österreichischen Außenminister Karl Gruber und dem italienischen Ministerpräsidenten Alcide DeGasperi geschlossenen Vertrags. Diesem zufolge sollte den Südtirolern die Wahrung ihrer sprachlich-kulturellen Identität im Rahmen einer Selbstverwaltung (über ein 1948 installiertes Autonomie-Statut) gewährleistet sein. Weil der trickreiche DeGasperi die beiden benachbarten Provinzen Bozen-Südtirol und Trient mittels dieses Statuts zur Autonomen Region Trentino-AltoAdige zusammenfügte, waren Deutschsüdtiroler und Ladiner durch die erdrückende Mehrheit der ethnischen Italiener automatisch majorisiert.

Als SVP-Obmann Silvius Magnago am 17. November 1957 auf der Großkundgebung von Schloss Sigmundskron zum „Los von Trient“ aufrief, war Kerschbaumer dabei. Er verteilte Flugblätter, auf denen er das Verlangen nach einem freien Südtirol wie folgt begründete: „Deutsch wollen wir bleiben und keine Sklaven eines Volkes werden, welches durch Verrat und Betrug unser Land kampflos besetzt hat und seit 40 Jahren ein Ausbeutungs- und Kolonisationssystem betreibt, welches schlimmer ist als die einstigen Kolonialmethoden in Zentralafrika." Kerschbaumer hatte stets nur Anschläge auf Einrichtungen wie Volkswohnbauten – errichtet zur Unterbringung von nach Südtirol umgesiedelten Süditalienern – oder Masten von Hochspannungsleitungen befürwortet.

Er wurde nach der „Feuernacht“ – vom 11. auf den 12. Juni wurden 37 Hochspannungsmasten gesprengt (19 im Raum Bozen), woraufhin die Südtirol-Frage schlagartig ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit gerückt ward – zusammen mit 150 weiteren BAS-Leuten verhaftet und in der Haft gefoltert. Die schweren Misshandlungen an ihm und seinen Mitgefangenen, von denen Anton Gostner und Franz Höfler starben, trugen zur weiteren Eskalation bei. An den Folgen der Misshandlungen verstarb auch Kerschbaumer am 7. Dezember 1964. Er wurde in St. Pauls bestattet; dem Trauerzug folgten mehr als 15.000 Menschen.

Erst nach zähen Verhandlungen ist es 1972 zum Zweiten Autonomiestatut gekommen, seitdem hat sich die Lage erheblich befriedet. Den Südtirolern geht es heute zweifellos besser als den meisten der mehr als hundert nationalen und/oder ethnischen Minderheiten Europas, die in fremdnationaler Umgebung leben (müssen). Die Geschichte des Landes ist daher – begünstigt vom Wohlstand – weithin aus dem Bewusstsein seiner Bewohner geschwunden. Oder durch Historiker-Interpretation in ein bestimmtes, meist politisch-korrektes Bild gekleidet worden, welches zudem von der seit 1948 dominanten Mehrheitspartei SVP für mehr oder weniger sakrosankt erklärt wird.

Ob die Attentate mehr geschadet oder genutzt haben, war lange umstritten. Autonomie-„Vater“ Silvius Magnago würdigte jene, die durch Sprengstoffanschläge drei Jahrzehnte zuvor auf die Lage der Südtiroler aufmerksam machten: Sie hätten damit einen Beitrag geleistet auf dem steinigen Weg zur Autonomie. Seine Partei rückt heute mehr und mehr davon ab und macht sich in einer Art verordneter Geschichtspolitik nur allzu gerne die Thesen des Innsbrucker Zeithistorikers Rolf Steininger zueigen.

Demnach hätten nicht die Aktivitäten der Freiheitskämpfer Rom zum Nachgeben veranlasst und hätten die Entwicklungsprozesse hin zur Autonomie nur deshalb einen positiven Fortgang genommen, weil es „keine realistische Alternative gegeben“ habe; die Neunzehnerkommission, welche Autonomie-Paket und Operationskalender erarbeitete, sei daher „nicht wegen, sondern trotz der Feuernacht von 1961" zustande gekommen. Die Attentate hätten daher vor allem der italienischen Seite genutzt, da sie die Selbstbestimmung – das eigentliche Ziel des BAS und aller Freiheitskämpfer, die nach dessen Eliminierung weitere Anschläge verübten – diskreditierten. Steininger und die maßgeblichen SVP-Politiker erklären daher – wider die persönlichen Erfahrungen der Erlebnisgeneration – auch zur Unumstößlichkeit, die Autonomie sei nicht herbeigebombt worden, folglich nicht wegen, sondern trotz der Attentate errungen worden.

Die SVP und die Selbstbestimmung

Was hat das nun mit dem alljährlichen Gedenken auf dem St. Paulser Friedhof zu tun? In diesem Jahr hielt auf Einladung des Südtiroler Heimatbundes (SHB) der FPÖ-Südtirolsprecher Werner Neubauer die Ansprache am Gedenkstein für Sepp Kerschbaumer und seine Mitstreiter Franz Höfler, Toni Gostner, Luis Amplatz, Jörg Klotz und Kurt Welser vor mehr als tausend Schützen, Marketenderinnen, Ehrengästen und Besuchern. Aus Tugenden und Taten Kerschbaumers und dessen Gefährten solle man die Kraft schöpfen, die Hindernisse auf dem Weg in eine selbst bestimmte Zukunft zu beseitigen.

Die Zukunft Südtirols könne weder eine Autonomie, noch eine (von der SVP als Ziel ihres Handelns propagierte) Vollautonomie sein, sondern einzig und allein die uneingeschränkte Ausübung des Selbstbestimmungsrechts, welches ein unverbrüchliches Völker- und Menschenrecht darstellt. Neubauer berief sich auf den verstorbenen Völkerrechtler (und ÖVP-Abgeordneten) Felix Ermacora, der einst gesagt hatte, kein Staat der Erde könne auf Dauer einem Volk die Selbstbestimmung vorenthalten, auch Italien den Südtirolern nicht, aber wollen und fordern müsse man sie.

An der Feier nahm auch die stellvertretende SVP-Vorsitzende Martha Stocker teil, „seit 20 Jahren“, wie sie hinterher sagte. Sie bezog in Zeitungsinterviews sowie in Aussendungen nicht nur gegen Neubauers Gedenkrede Stellung. Sie habe „deplatzierte Äußerungen“ enthalten, und Neubauer habe eine „politische Wahlrede“ gehalten, was „der Würde des Ortes“ widerspreche. Dass sie überhaupt gegen den Auftritt des österreichischen Freiheitlichen war, kleidete sie in die Worte: „Die Kerschbaumer-Feier ist jedes Mal eine Zumutung, weil auf einem Friedhof politische Reden gehalten werden.“

Man fragt sich indes, warum sie überhaupt dort hingeht, wenn es ihr so zuwider ist. Dass in den Jahren zuvor auch SVP- und ÖVP-Politiker, wie die früheren Landesräte Sepp Mayr, Bruno Hosp, der ehemalige österreichische Bundesratspräsident Helmut Kritzinger und die Tiroler Landeshauptleute Alois Partl und Wendelin Weingartner keine unpolitischen Reden in St. Pauls hielten, scheint Martha Stocker entgangen zu sein. Und weil Neubauer – wie die in der Südtiroler Landtagswahl am 27. Oktober erstarkten „Los-von-Rom“-Parteien – Süd-Tiroler Freiheit, Freiheitliche und BürgerUnion – öffentlich die Selbstbestimmungsfrage aufwarf, glaubte sie, dem mit der Behauptung entgegentreten zu müssen: „…dabei hatte sich Sepp Kerschbaumer nie festgelegt für Selbstbestimmung oder Autonomie.“

Das widerspricht Aussagen, die die Historikerin Stocker in ihrem 2006 erschienenen Buch „Unsere Geschichte. Südtirol 1914-1992 in Streiflichtern“ getroffen hat, etwa in der Passage: „Entheimatung und Zukunftslosigkeit von jungen Leuten entluden sich dann in den Sprengstoffanschlägen und in der Forderung nach Selbstbestimmung.“

Sepp Kerschbaumer hatte in einem Rundschreiben vom April 1960 erklärt: „Tirol ist unser und muss unser bleiben. Und es wird nur dann unser bleiben, wenn wir alle entschlossen und bereit sind, dafür unser Letztes herzugeben.“ Noch als damaliger SVP-Ortsobmann von Frangart hatte Kerschbaumer im selben Jahr auf der SVP-Landesversammlung von seiner Partei gefordert: „Das Volk will die Selbstbestimmung, und die Partei muss dem Willen des Volkes Rechnung tragen.“

Im Februar 1961 erklärte er in seinem letzten Rundschreiben vor der „Feuernacht“: „Italien hat die heilige Pflicht, das in seinen Händen befindliche, gestohlene Gut – Südtirol – wieder zurückzuerstatten. Wir Tiroler wollen selbst frei entscheiden, mit wem wir zusammenleben wollen. Es gibt für uns nur eine Sicherheit, in Frieden und Freiheit als Tiroler weiter leben zu können, vereint mit allen übrigen Tirolern im Staate Österreich.“

Und auf dem aus Anlass der „Feuernacht“ verbreiteten BAS-Flugblatt unter der Losung „Die Stunde der Bewährung ist da!“ wurde in großen Lettern die Forderung erhoben: „WIR FORDERN FÜR SÜDTIROL DAS SELBSTBESTIMMUNGSRECHT!“ Das mag als klarer Beleg für das Ziel Kerschbaumers und aller seiner Mitstreiter sowie Epigonen genügen.

Die SVP-Politikerin Martha Stocker geriert sich hier als typische Vertreterin der Partei, die sich längst dieses Ziels entledigt hat, wiewohl sie die Selbstbestimmung weiterhin schamhaft als Feigenblatt im Statut führt. Bei so viel Entsorgungsgeschick der ehemaligen „Sammelpartei der Südtiroler“ muss man sich nicht wundern, dass der heutige Durchschnittssüdtiroler leichtfertig auf den Gebrauch der deutschen Sprache in den öffentlichen Ämtern verzichtet und sich nahezu gleichmütig dem „Siamo in Italia“ unterwirft. Er akzeptiert ebenso die bis heute amtlichen Namens-Kreationen des Deutschenhassers Ettore Tolomei aus der Ära des Faschismus und lässt sich von dessen Stein gewordenen Relikten – „Siegesdenkmal“, Beinhäuser, Mussolini-Konterfei am Bozner Finanzverwaltungsgebäude – Tag für Tag beleidigen.

Der Chimäre „Friedliches Zusammenleben“ opfert er sich, wie beispielsweise an Werbeauftritten der „Südtiroler Marketing Gesellschaft“ (SMG) festzustellen ist. Das auch von der maßgeblichen Regierungspartei in Bozen immer wieder herausgehobene „Südtirol(er)-Bewusstsein“ erschöpft sich darin, dass man sich im Sport als mehr oder weniger glühende Italiener bekennt, und liefert damit auch dem ORF die Rechtfertigung dafür, Südtiroler Athleten nur noch als „Italiener“ zu benennen. Zu allem Überfluss werden auch noch schenkelklopfend Österreicher-Witze gerissen. Aber dennoch wird stets nach der „Schutzmacht“ verlangt, wenn Rom scheibchenweise die angeblich „beste Autonomie der Welt“ entwertet.

Da ist Scham eigentlich die angebrachte Kategorie für diese geschichts- und rückgratlosen Akte der Selbstentäußerung.

Der Autor ist deutsch-österreichischer Historiker und Publizist.

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Buchbesprechung: In der damals bekannten Welt unterwegs, in Tirol daheim drucken

Anton und Ute Schwob machen das Leben Oswalds von Wolkenstein, des bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikers und Liederautors am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, für uns anschaulich.

Tausende strömen alljährlich an den Fuß des Schlern-Massivs in Südtirol. Mehr als dreißig Mal ist dort schon der „Oswald von Wolkenstein-Ritt“ aufgeführt worden. Wehenden Banners bewältigen die teilnehmenden Equipen zu vier Reitern den 40 Kilometer langen Parcours zwischen der oberhalb von Waidbruck gelegenen Trostburg und Schloss Prösel nahe Völs am Schlern. Geschicklichkeit, Ausdauer und Wagemut verbindet sie bei den vier Etappen – Ringstechen, Labyrinth, Hindernisgalopp und Tor-Ritt – mit der Person, die dem frühsommerlichen Spektakel seinen wohlklingenden Namen leiht.

Oswald von Wolkenstein gilt als der bedeutendste deutschsprachige Verseschmied zwischen Walther von der Vogelweide und Johann Wolfgang von Goethe. Seine dichterische Hinterlassenschaft in bairisch-tirolischer Lautung am Übergang vom Mittelhochdeutschen zum Frühneuhochdeutschen ist in kostbaren Handschriften überliefert. Enthalten sind auch manche der zu den Liedern gehörigen Neumen, seinerzeit gebräuchliche Tonhöhen-Notate.

Der Wiener Opern- und Konzertsänger Eberhard Kummer, das nicht minder engagierte Ensemble „Vröidenspiel" und andere Gruppen haben seine Lieder vertont und uns Nachgeborenen auf Tonträgern verfügbar gemacht.

Oswald wurde höchstwahrscheinlich 1377 als zweiter Sohn des Landadeligen Friedrich von Wolkenstein und dessen Ehefrau Katharina von Vilanders geboren, möglicherweise auf der Trostburg im Eisacktal. Kaum zehn geworden, büxt er aus, verdingt sich als Knappe:

„Es fügt sich, do ich was von zehen jaren alt/
ich wolt besehen, wie die werlt wer gestalt“.

Als solcher dürfte er einen Standesherrn begleitet haben und von diesem in den für einen Ritter üblichen Fertigkeiten unterwiesen worden sein. Aus seinen biographischen Liedern lassen sich zahlreiche Reisen und erste militärische Dienste für König Ruprecht (von der Pfalz), einen Wittelsbacher, und dessen Nachfolger Sigismund (von Luxemburg) erschließen. Oswald gelangt nach Ungarn, Böhmen, Litauen.

Im zentralen Rechnungsbuch des Deutschen Ordens scheint sein Name für preußische Lande auf. Auf dem Schwarzen Meer erleidet er Schiffbruch, wovon auch ein Fresko im Dom zu Brixen zeugt. Auf dem Alten Friedhof am Dom befindet sich auch jener von Oswald 1408 (vor dem Aufbruch ins Heilige Land) in Auftrag gegebene Gedenkstein, der ihn als Kreuzritter mit langem Pilgerbart zeigt. Oswald hat es nach Russland, zu den Tataren, in die Türkei, nach Armenien, Syrien und Persien verschlagen: „In Races pei Saleren" (in Ratzes am Schlern) ist er daheim gewesen, wie es in einem seiner Lieder heißt, und dass er „durch Barbarei Arabia" (durch Berberland und Arabien) gekommen sei, in einem andern.

Gestützt allein auf das literarische Werk, neigte die Forschung lange dazu, ihm dies als Maulheldentum auszulegen – bis Germanisten viele Angaben Oswalds verifizieren konnten. Für Anton und Ute Schwob, die bedeutendsten Philologen, die sich jahrzehntelang mit ihm beschäftigten, sind Oswalds autobiographische Aussagen „durchweg wahr", und seine „Reiseberichte keine literarische Topoi mehr, sondern Belege für die in der anbrechenden Neuzeit beginnende Aufwertung des Individuums“.

Oswald dürfte mit dem einen Auge, das überlieferte Bildnisse zeigen, fast die ganze damals bekannte Welt gesehen haben. Auf seinen Fahrten lernte der Tiroler französische, provenzalische, spanische und maurisch-arabische Dichtung und Musik kennen und lässt sie in seine Lieder einfließen.

Ein Jahr nach dem Tod des Vaters (1399) kehrte Oswald in die Heimat zurück. 1403 wird er als „Gotteshausmann“ des Bischofs von Brixen erwähnt. Für das Folgejahr ist sein und seines jüngeren Bruders misslungener Versuch überliefert, der Frau des ältesten Bruders Michael Kleinodien zu rauben und sie als Ehebrecherin zu verleumden. Mit dem Raub wollten die nach dem Familienoberhaupt Geborenen ihre finanzielle Situation aufbessern.

Auf den Erstgeborenen waren Lehen und ritterlicher Stand des Friedrich von Wolkenstein übergegangen, während „Junk(h)er Oswald" zeitlebens nach Bestätigung der Ritterwürde trachtete, die ihm urkundlich erst 1430 zukam. Bei der Aufteilung des Familienvermögens 1407 hatte Oswald ein Drittel der Burg Hauenstein und damit zugleich einen schon älteren Besitzstreit mit Martin Jäger von Tisens und dessen Ehefrau Barbara geerbt, der später dramatische Formen annehmen sollte. In diesen Streit war auch Anna Hausmann verwickelt, Tochter Hans Hausmanns, eines bischöflichen Schulmannes und zeitweiligen Bürgermeisters von Brixen.

1409 urkundlich erwähnt, war „die Hausmannin" nach Aussagen Oswalds seine Geliebte. Doch der Verschmähte ließ sich im Zuge von Adelsfehden gegen Herzog Friedrich IV. (von Österreich und Graf von Tirol) 1421 in einen Hinterhalt locken. Es folgten Gefangenschaft und Folter auf Schloss Forst bei Meran sowie die Haftüberstellung an Friedrich, der ihn in Axams bei Innsbruck einkerkerte. Erst 1427 wurde der Streit um Oswalds späteren Wohnsitz Hauenstein beigelegt, den er sich widerrechtlich angeeignet hatte und wo er mit seiner wohl 1417 geehelichten Frau, den vier Söhnen und einer Tochter fortan lebte:

„Auff einem kofel rund und smal
mit dickem wald umbvangen/
vilhoher perg und tieffe tal/
stain, stauden, stöck, snestangen/
der sich ich täglich ane zal“.

Margarethe von Schwangau, seine Frau, hatte er auf Hohenschwangau während einer Reise im Gefolge Sigismunds zum Konzil von Konstanz (1414-1418) kennen gelernt.

Oswald hatte höchstwahrscheinlich an zwei Kriegszügen im Deutschordensland Preußen gegen die Litauer und um 1410 an einer Pilgerreise nach Palästina teilgenommen. Zuerst im Dienst des Brixner Bischofs unternahm er dann im Auftrag König Sigismunds eine längere diplomatische Reise, die ihn möglicherweise über England und Schottland auf die iberische Halbinsel und nach Frankreich führte. In Perpignan war er in den renommierten Greifen- respektive Kannenorden von Aragon aufgenommen worden. Er war an der portugiesischen Eroberung von Ceuta in Nordafrika (1415) beteiligt, das heute noch eine iberische Exklave ist.

1417 wurde er in den politisch brisanten Streit zwischen dem König, dem Herzog und dem Landadel hineingezogen. Der Streit endete 1427 mit einer erzwungenen gänzlichen Unterwerfung Oswalds. Nachdem König und Herzog bereits 1425 Frieden geschlossen hatten, durchlitt Oswald schwierige Jahre, in denen ihm auch Audienzen bei König Sigismund und eine große Reise zu den Femegerichten nach Westfalen, wo er als Freischöffe wirkte, keine entscheidende Erleichterung brachten.

Nach 1430 ist er mehrfach wieder im Dienste Sigismunds bezeugt, der ihn schließlich in den elitären Drachenorden aufnahm – eine Genugtuung für den Wolkensteiner. Fortan konzentrierten sich Oswalds Tätigkeiten auf seine Heimat, wo er als angesehener Adeliger und juristischer Fachmann an Einfluss gewann. Nach dem Tode Friedrichs IV. 1439 – Sigismund, seit 1433 Kaiser, war bereits 1437 verstorben – gehörte Oswald zu jenen fünf angesehenen Männern, die dessen Nachfolger, dem unmündigen Herzog Siegmund, das Erbe zu sichern hatten.

Für das eigene Ableben hatte der Wolkensteiner Vorkehrung getroffen. Ute Schwob breitet anhand einer Fülle gesicherter Archivalien minutiös seine Jenseitsvorsorge vor uns aus. Demnach betätigte er sich, wie es unter seinen Vorfahren Brauch gewesen, als Stifter, um mittels guter Werke jenen Schatz im Himmel anzulegen, von dem die arme Seele nach dem Tod zehren konnte.

Dabei leitete ihn, wie viele vor und nach ihm, einmal die Sorge vor dem nicht vorhersehbaren, jähen Ableben, zum andern die Gewissheit des sicheren Todes an jenem Tag, an welchem „got über mich gepeut" (gebietet). Den rettenden Vorrat an guten Werken für den Himmel, das anzulegende Seelgerät, zeigen Testamente, Schenkungen, Kirchenstiftungen, Jahrtagsregelungen, Grabsteine, Stifterbilder aus der damaligen Zeit.

Der Wolkensteiner ließ unmittelbar am Brixner Dom eine dem auch im spätmittelalterlichen Tirol sehr verehrten heiligen Christophorus, dem Patron der Reisenden, geweihte Kapelle errichten und von den Kaplänen seines Sankt-Oswald-Benefiziums versorgen. Daneben spendete er schon zehn Jahre vor seinem Tod Geld für ein Ewiges Licht in eben jener Kapelle; Licht schützte nach damaliger Auffassung die Seele des Sterbenden und half dem Verstorbenen im jenseitigen Leben.

Der Tod ereilte den „edel vest herr und Ritter" am 2. August 1445 im nahen Meran, wo es, wie oft in seinem unsteten Leben, um Fehdehändel ging. Unweit Brixens, im Augustiner-Chorherrenstift Neustift, wohin er sich bereits am 2. November 1411 einpfründete, hatte er sich vertraglich der Grablege an der Seite seiner Vorfahren versichert. 1973 waren bei Heizungsarbeiten in der Stiftskirche Teile eines Skeletts gefunden worden, die, geborgen von Klosterbibliothekar Martin Peintner, von führenden Schweizer Gerichtsmedizinern als Oswalds Gebeine identifiziert wurden.

Diese wurden später, eingeschweißt in einen Zinkbehälter und mit seinem Namen versehen, am angeblichen Fundort bestattet. Anton Schwob, der maßgebliche Biograph Oswalds, bezeugt dies, und alle Wolkensteiner-Fans verharren heute ehrfürchtig an der neuen Grablege, so sie wirklich die alte gewesen.

Oswald war sehr auf seinen Nachruhm bedacht. Seine Texte sowie die zugehörigen Melodien ließ er in zwei kostbaren und gewiss teuren Pergament-Handschriften sammeln: Handschrift A (Nationalbibliothek Wien) wurde 1425, Handschrift B (Universitätsbibliothek Innsbruck) 1432 abgeschlossen, hinzu kamen jeweils einige Nachträge.

Beide Handschriften enthalten auch Bildnisse des Autors: ein Vollbild und ein Porträt; letzteres zeigt Abzeichen seiner beiden Ordensmitgliedschaften und gilt als erstes Individualporträt eines deutschsprachigen Autors. Nach Oswalds Tod entstand im Familienkreis eine heute im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (Innsbruck) verwahrte Papierhandschrift, die aber nur Texte enthält.

Der bedeutendste deutschsprachige Lyriker und Liederautor am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit ist auch in fast 700 Urkunden historisch ausgiebig bezeugt. Autobiographisch ist Oswald in vielen seiner Lieder greifbar; das dichterische und musikalische Werk ist durch Editionen, Faksimile-Ausgaben und Übertragungen ins heutige Deutsch gut erschlossen. Schon 1977 hatte Anton Schwob die maßgebliche wissenschaftliche Biographie vorgelegt, welche mehrere Auflagen erlebte. Dasselbe gilt für Dieter Kühns Darstellung „Ich Wolkenstein“.

Das überlieferte Werk Oswalds besteht aus Reimpaargedichten sowie aus 130 Liedern, die alle für einen gesungenen Vortrag bestimmt waren. Für insgesamt 39 Lieder sind mehrstimmige Liedsätze überliefert.

In seinen darin zugänglich gemachten, nunmehr geschlossen vorliegenden Lebenszeugnissen fassbar, tritt uns der Wolkensteiner in den fünf von Anton und Ute Schwob herausgegebenen Bänden entgegen. Der emeritierte Altgermanist Anton Schwob, der an der Karl-Franzens-Universität Graz das „Wolkenstein-Archiv“ begründete und über Jahrzehnte leitete, sowie seine Frau Ute, eine ebenso begnadete Philologin, haben die weithin verstreuten Urkunden zusammengetragen, für die sorgfältig angelegte kritische Edition umsichtig aufbereitet und meisterlich kommentiert.

Der erste Band stellt den zweitgeborenen Tiroler Kleinadeligen als umtriebig um Aufstieg bemühten Junker vor. Der Folgeband zeigt ihn als Rebellen, Gefangenen und Bittsteller. Im dritten Band begegnet uns der Rechtssachverständige, Krieger, Diplomat, Fürstenberater und Gefolgsmann des Königs als rastlos tätiger Politiker. Diese leidenschaftliche Anteilnahme am politischen Geschehen setzt sich im vierten Band fort. Heimgekehrt, mischt sich der Wolkensteiner mit der ihm eigenen Vehemenz in Prozesse, Geschäfte und Machtfragen ein. Die im fünften Band erfassten letzten Lebensjahre bezeugen das hohe Ansehen des Oswald von Wolkenstein als Familienoberhaupt und führender Vertreter des Tiroler Adels, der entscheidend in die Politik seines Landes einzugreifen vermag.

Die Publikation ist zweifellos eine herausragende editorische Leistung auf dem Gebiet der Altgermanistik, die uns zudem einen tiefen Einblick in das Dasein am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit sowie in die politischen Geschehnisse zu Lebzeiten dieses für die deutsche Kultur bedeutenden Tiroler Landadeligen eröffnet.

Der Autor ist deutsch-österreichischer Historiker und Publizist.

Schwob, Anton/Schwob, Ute (Hrsg.) Die Lebenszeugnisse Oswalds von Wolkenstein, Wien/Köln/Weimar (Böhlau) zus. 156,- EUR 

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Kirche im Kampf drucken

Zur Lage der Kirche in Österreich 1933–1938: Einige Details zur politischen und diplomatischen Auseinandersetzung der Kirche mit dem Nationalsozialismus, die in Erinnerung behalten werden sollten, und auch ein Widerspruch der österreichischen Bischöfe von 1933 zu Adolf Hitler ebenso wie zu Christoph Schönborn.

Durch das „Friedens”-Diktat von Versailles, das Deutschland enorme Lasten aufbürdet, sowie durch die Weltwirtschaftskrise und ihre Auswirkungen auf Deutschland kommt dort nach erfolgreichen Wahlen im Jänner 1933 Adolf Hitler an die Macht.

Bereits in „Mein Kampf“ verlangt Hitler den Anschluss Österreichs an Deutschland. Schon 1932 verkünden parteiamtliche Schriften der NSDAP die Parole: „Wer Österreich besitzt, beherrscht Mitteleuropa“.

Wobei zur Regierung in Wien nicht nur eine rein machtpolitische Gegnerschaft besteht, sondern auch eine weltanschauliche: Hitler verfolgt alles mit Ablehnung und Hass, was das alte Österreich verkörpert.

In Österreich regiert seit 1932 der überzeugte Katholik Engelbert Dollfuß als Bundeskanzler. Die politischen Parteien im Land haben abgewirtschaftet, vorzugsweise die Linke stellt ihre Eigeninteressen vor die Grundordnung einer (heute von ihr so überaus propagierten) „pluralistischen Demokratie“. Die Feindschaft zwischen den Parteien zeigt sich auch an der Existenz bewaffneter Parteiarmeen, die einander mit dem Bürgerkrieg drohen und deren Abrüstung nicht durchgesetzt werden kann.

Als sich das Parlament in Wien aufgrund linker Abstimmungsmalversationen selbst aktionsunfähig macht, nützt Dollfuß die Gelegenheit zu seiner Ausschaltung. Er gibt dem Staat eine neue autoritäre Verfassung, die auf der Grundlage der Enzyklika von Papst Pius XI., „Quadragesimo anno“ beruht. Österreich wird ein Staat ohne politische Parteien. Alle seine Machtmittel konzentrierten sich in der Hand der katholischen Regierung, die sich der Bedrohung durch den Nationalsozialismus sehr bewusst ist und sofort einen entschlossenen Abwehrkampf gegen Hitler aufnimmt.

Eine Grundlage dieses Abwehrkampfes ist der bewusste Rückgriff der Regierung auf altösterreichische Traditionen, also jene Traditionen, die Hitler ablehnt. Damit verbunden ist auch die Betonung, dass Österreichs Staatlichkeit eine religiöse Verankerung hat. Die Regierung Dollfuß erneuert das Bündnis von Thron und Altar und stützt sich in ihrer Politik auf die Kirche.

Hitler will Österreich in die Knie zwingen und mit allen Mitteln dessen Widerstand brechen. Die 1000-Mark-Sperre, Sprengstoffanschläge und Mordterror sowie Todesdrohungen gegen Bundeskanzler Dollfuß werden als Mittel gegen die Regierung Österreichs eingesetzt.

Dollfuß versucht im Gegenzug, neben der Verschärfung der inneren Abwehr (Einführung der Todesstrafe für schwere Anschläge, Verbot der NSDAP) für die Sicherung von Österreichs Unabhängigkeit auch den Schutz des Auslandes zu erhalten. Vor allem die Beziehung zu Italien ist hier wichtig. Hitler will Mussolini für sich gewinnen, doch Mussolini hält vorerst seine Hand über Österreich. Dollfuß kann aufgrund dieser Rückendeckung Schritt um Schritt den österreichischen Widerstand verstärken. In der Doppelkonfrontation der Dollfußregierung mit einer ins Terroristische abgleitenden Sozialdemokratie und mit einem sich machtvoll entfaltenden Nationalsozialismus gelingt es ihr im Bürgerkrieg vom Februar 1934 zunächst, den sozialistischen Gegner auszuschalten.

Nun kann sich Dollfuß voll und ganz auf die braune Bedrohung konzentrieren. Hitler beabsichtigt, durch gewaltsame Beseitigung der Regierung Österreichs seine Ziele zu erreichen.

Am 25. Juli 1934 wird der Bundeskanzler von bewaffneten nationalsozialistischen Putschisten in seinem Amtssitz ermordet. Trotz ausbrechender Kämpfe in Wien und den Bundesländern bleibt die Regierung auch gegenüber der braunen Bedrohung Herr der Lage. Dollfuß wird dabei aber ermordet.

Bundespräsident Miklas ernennt Kurt von Schuschnigg zum Nachfolger als Bundeskanzler. Dieser ist weiterhin bestrebt, die Unabhängigkeit Österreichs auf katholisch-konservativer Grundlage aufrechtzuerhalten. Dies gelingt ihm noch bis zum März 1938.

Da Italien sich mit den Westmächten zerstreitet und zunehmend Deutschland zuwendet, und da Hitler Italien auch durch Zugeständnisse in Südtirol an sich bindet, verliert Schuschnigg den wichtigsten Bündnispartner gegen Deutschland. Überdies betreiben Frankreich und England Entspannungspolitik gegenüber Hitler, wodurch Schuschnigg schließlich überhaupt jede notwendige Unterstützung aus dem Ausland fehlt.

Daher ist Österreichs Widerstand im Jahr 1938 nicht mehr aufrechterhaltbar und es ist hilflos gegenüber Hitlers Einmarsch. So vollzieht Hitler am 12. März 1938 den seit langem von ihm angestrebten „Anschluss”.

Zur Lage der Kirche bis 1938

Obwohl Liberalismus, Nationalismus und Sozialismus, die sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts auch in Österreich entfalten, gegen die Kirche eingestellt sind, bleibt Österreich traditionell ein katholischer Staat. Dies wird vor allem auch vom Herrscherhaus garantiert.

Um die Jahrhundertwende gibt es auch eine neu formierte machtvolle politische Partei, die im Bündnis mit der Kirche steht: Die vom späteren Bürgermeister von Wien, Karl Lueger, gegründeten Christlich-Sozialen. In ihr agieren auch zahlreiche Kleriker. Diese Partei bestimmt auch nach dem Umsturz von 1918 weiter maßgeblich die Geschicke Österreichs.

Einer dieser Geistlichen, Ignaz Seipel, wird Bundeskanzler und gilt zu Recht als der neben Dollfuß bedeutendste Staatsmann der Ersten Republik. Von daher setzt sich auch nach dem Ersten Weltkrieg das enge Bündnis von Kirche und Staat in Österreich fort, das seine stärkste Ausformung im autoritären Ständestaat findet.

Die enge Verbindung der Katholischen Kirche in Österreich mit der Regierung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ist kein Umstand, der heute verschämt verschwiegen werden muss, sondern wesentliche Grundlage des Österreichischen Abwehrerfolges von 1934 gegenüber dem Nationalsozialismus.

Österreich definiert sich als katholischer Staat; seine Bevölkerung ist damals zu 90 Prozent katholisch. Die Kirche ist durch das politische Wohlwollen der Regierung sowie durch ein mit ihr abgeschlossenes Konkordat (Staatsvertrag mit dem Heiligen Stuhl) geschützt. Einig sind sich Staat und Kirche besonders auch in den außenpolitischen Schwerpunktsetzungen. Man unterstützt sich hier gegenseitig in aller Entschiedenheit.

Schon 1933 hat Bischof Gföllner aus Linz die nationalsozialistische Ideologie als inhuman und kirchenfeindlich bezeichnet. Solche Warnungen ergehen von allen Bischöfen und auch vom größten Teil des Klerus.

Familie – Nation – Staat – Religion

Die Kirche unterstützt mit der Unabhängigkeit Österreichs auch die Eigenständigkeit des Weges eines katholischen Gesellschaftsentwurfes, des katholischen Ständestaates in Österreich. Der Hirtenbrief der Österreichischen Bischöfe gegen den Nationalsozialismus vom Dezember 1933 spricht eine klare Sprache:

„Wir stellen der Lehre des Nationalsozialismus vier Grundwahrheiten gegenüber. Erste Grundwahrheit: Die Menschheit ist eine einheitliche Familie, aufgebaut auf Gerechtigkeit und Liebe. Darum verurteilen Wir den nationalsozialistischen Rassenwahn, der zum Rassenhass und zu Völkerkonflikten führt … Zweite Grundwahrheit: Der wahre Christliche Nationalismus ist von Gott gewollt und wird von der Kirche gebilligt; denn die Liebe zum eigenen Volke und die Anhänglichkeit an das Vaterland sind in der Natur des Menschen begründet. Darum predigen Wir die Tugend des Christlichen Patriotismus, verurteilen den Verrat am Vaterland und verurteilen den radikalen Rassenantisemitismus. Dritte Grundwahrheit: Nation und Staat sind verschieden, und der Staat ist über der Nation. Darum verurteilen wir das extreme Nationalitätenprinzip, verteidigen die geschichtlichen Rechte unseres Vaterlandes und begrüßen die Pflege des österreichischen Gedankens. Vierte Grundwahrheit: Über allem Nationalismus steht die Religion, die nicht national, sondern übernational ist. Die Religion vermag jede Nation zu veredeln. Sie gereicht darum jedem Volke zum Segen …“

Mit dem „Anschluss” von 1938 verändert sich die Situation der Kirche in Österreich dramatisch hin zum Schlechteren. Kardinal Innitzer, politisch schwach (aber auch nicht schwächer als alle seine Nachfolger), versucht zunächst ein faires Übereinkommen mit den Vertretern des nationalsozialistischen Regimes zu erlangen.

Dies gelingt nicht, und er fällt überdies den politischen Täuschungsmanövern der zugleich mit Versprechungen wie mit Repression drohenden Feindseite zum Opfer und lässt sich etwa zur propagandistisch erwünschten Abgabe einer „Heil Hitler”-Grußformel überreden.

Als er dann im Herbst 1938 in seiner berühmten Christkönigs-Predigt im Dom zu Sankt Stephan zum nationalsozialistischen Regime auf Distanz geht, beginnt ein massiv einsetzender, gewalttätiger Kirchenkampf, dessen erster Schritt der Sturm auf das Erzbischöfliche Palais in Wien ist.

Das Konkordat in Österreich wird abgeschafft; das 1933 auf Wunsch Hitlers mit der Kirche abgeschlossene Konkordat in Deutschland hingegen gilt nur für das „Altreich“. Das erlaubt den nationalsozialistischen Staats- und Parteistellen, die Einflusssphäre der Kirche in Österreich innerhalb von fünf Monaten noch drastischer einzuschränken, als ihnen das in fünf Jahren in Deutschland gelungen war.

Die Päpste Pius XI. und Pius XII.

Die Judenverfolgungen in Deutschland setzten 1933 mit der Machtübernahme Hitlers ein. Synagogen werden angezündet, jüdisches Eigentum wird geplündert und enteignet, persönliche Demütigungen werden durchgeführt und Juden von Berufen und vom öffentlichen Leben ausgeschlossen.

Auf Grund der Entspannungspolitik gegenüber Hitler („Appeasement“) schweigen alle westlichen Regierungen dazu. Nur Papst Pius XI. (1922–1939 regierend) widersetzt sich immer wieder und äußerte sich öffentlich. In Österreich können die rassenpolitischen Verfolgungen, bedingt durch die konsequente und nachhaltig wirkende Abwehrpolitik von Bundeskanzler Dollfuß, erst 1938 einsetzen. Schon 1930 stellt sich Pius XI. in einer deutlich verständlichen Anspielung gegen die neue aufkommende „Rassenlehre” und betont die Einheit aller Menschen vom Urvater Adam her.

1931 wird den Bischöfen im katholischen Bayern vom Papst befohlen, ihre Priester anzuweisen, die Gläubigen darauf aufmerksam zu machen, dass der Nationalsozialismus der Kirche gegenüber feindlich eingestellt ist.

1933 schließt der soeben an die Macht gekommene Hitler mit dem Vatikan das heute vielerwähnte und vielkritisierte Konkordat (10. September 1933). Um seinen Standpunkt zu diesen Verhandlungen zu erläutern, sagt Pius XI. vor einer Versammlung von Bischöfen im Mai 1933 in Rom: „Wenn es darum geht, einige Seelen zu retten und noch größeren Schaden abzuwenden, haben wir den Mut, sogar mit dem Teufel zu verhandeln.“

Hitler strebt dieses Konkordat an, da er nach seiner Machtergreifung unbedingt internationale Anerkennung wünscht. Der Vatikan ist aber nicht die erste Instanz, die das moralische Ansehen Hitlers durch einen Vertragsabschluss erhöht. Im Sommer schließen Großbritannien, Frankreich und Italien mit Hitler den „Viermächtepakt“ (15. Juli 1933), was die Kirche in Zugzwang bringt. Das Konkordat bewahrt der Kirche auch einen kleinen Spielraum in Deutschland.

Der Kardinalstaatssekretär Pacelli, der spätere Papst Pius XII. (1939–1958 regierend), der die Verhandlungen mit Deutschland geführt hat, sagt dazu gegenüber einem britischen Diplomaten: „Ich hatte zu wählen zwischen einem Abkommen nach ihren Wünschen und der völligen Vernichtung der Katholischen Kirche im Reich.“ Hitler übt während der Verhandlungen mit dem Vatikan Druck aus, indem er 92 Priester verhaften, 16 Lokale von Katholischen Jugendvereinen durchsuchen und 9 Katholische Zeitschriften einstellen lässt.

Trotz fortgesetzter nationalsozialistischer Drohgebärden befiehlt der Papst aber 1934 ein Hauptwerk der Nationalsozialisten, Alfred Rosenbergs Buch „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“, auf den Index zu setzen („Index librorum prohibitorum“, Verzeichnis der von der Kirche verbotenen Bücher).

Es enthält Passagen wie: „.… der Papst ist ein unfehlbarer Gott … ein Medizinmann … das Papsttum ist Sklaverei … die christlich-jüdische Pest muss verschwinden.“ Pius XII., damals noch als Kardinalstaatssekretär, erklärt 1935 vor mehr als einer Viertelmillion Pilgern in Lourdes:

„Diese Ideologen sind tatsächlich nur erbärmliche Plagiatoren, die uralte Irrlehren mit neuem Flitter verbrämen. Es ist nur ein geringer Unterschied, ob sie sich um die Fahne der sozialen Revolution scharen … oder von dem Aberglauben von Rasse und Blut besessen ist.“

1937 schließlich veröffentlichte Papst Pius XI. die von nationalsozialistischer Seite als anti-nationalsozialistisch bezeichnete Enzyklika (Päpstliche Erklärung, Lehrdokument) „Mit brennender Sorge“.

Diese Enzyklika ist bewusst in deutscher Sprache verfasst worden. Sie handelt von der Lage der Katholischen Kirche im Deutschen Reich und verurteilt die Idee von einem „nationalen Gott“ und einer „nationalen Religion“:

„Wer die Rasse oder das Volk, oder den Staat oder die Staatsform … zur höchsten Norm aller Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die Gottesgeschaffene und Gottbefohlene Ordnung der Dinge … Wer die Biblische Geschichte und die Lehrweisheiten des Alten Bundes aus Kirche und Schule verbannt sehen will, lästert das Wort Gottes.“

Am Palmsonntag, dem 21. März, wird die zwölfseitige Enzyklika von den Kanzeln aller Katholischen Kirchen verlesen. Die Zeitschrift der SS nennt die Enzyklika „… den unglaublichsten der Hirtenbriefe Pius XI., jeder Satz eine Beleidigung des neuen Deutschland.“

Hitler lässt erklären, dass die deutsche Regierung die Enzyklika als eine Kampfansage betrachten müsse, da sie die deutschen Katholiken zur Auflehnung gegen die Autorität des Reiches aufrufe.

Die Haltung der Kirche ist für Österreich eine zentrale Unterstützung in seinem Kampf gegen den Nationalsozialismus. Ein Kampf, den Österreich neben der Kirche als erstes aufgenommen hat, den es als erstes auch bewaffnet führt, der ihm noch über drei Jahre hin seine Unabhängigkeit sichert und in dem sich Bundeskanzler Dollfuß für die Freiheit seines Vaterlandes und für den Katholischen Glauben auch opferte.

Die Päpstliche Politik steht dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland klar ablehnend gegenüber. Beim Staatsbesuch Hitlers in Rom, im Mai 1938, verlässt Papst Pius XI. demonstrativ die Stadt und lässt Mussolini einen Protest übermitteln.

Er ordnet die Schließung der Vatikanischen Museen an und verbietet die Schmückung von Kirchen und Kirchlichen Gebäuden zum Staatsbesuch mit Hakenkreuzfahnen.

Die Päpstliche Zeitung, der „Osservatore Romano“, übergeht als einzige Zeitung Italiens den Besuch Hitlers, veröffentlicht aber auf der ersten Seite das Päpstliche Schreiben gegen die Irrlehre des Rassismus.

Literatur

Gordon Brook-Shepherd, „Engelbert Dollfuß“; Graz/Wien/Köln 1961

Anton Ebner / Matthias Partick, „Lehrbuch der Geschichte und Sozialkunde - Band IV“; Salzburg 1966

Adolf Hitler, „Mein Kampf“, 2 Bände in einem Band; München 1925/1927

Hubert Jedin / Konrad Repgen – Herausgeber, „Handbuch der Kirchengeschichte“ in 7 Bänden; Band VII „Die Weltkirche im 20. Jahrhundert; Freiburg/Basel/Wien 1979/1985/1999

Gottfried Kindermann, „Hitlers Niederlage in Österreich - Bewaffneter NS-Putsch, Kanzlermord und Österreichs Abwehrsieg 1934“; Hamburg 1984

Pinchas Lapide, „Rom und die Juden“; Ulm 1997

„Meyers Taschenlexikon Geschichte“, in 6 Bänden, Band II; Mannheim/Wien/Zürich 1989

Maria Riebl / Josef Salmen / Hans Zwinz, „Lebenswege – Glaubenswege – Religion AHS 8. Klasse“; Wien 1998

Alois Scheucher / Anton Wald / Hermann Lein / Eduard Staudinger, „Zeitbilder 7 – Vom Beginn des Industriezeitalters bis zum Nationalsozialismus – Geschichte und Sozialkunde“; Wien 1993/1999

Hinweis: Die Erfindung von Kardinal Schönborns „Ursünde Nationalismus“ steht im Widerspruch zur Erklärung der Bischöfe von 1933.

Dr. phil. Albert Pethö, Historiker, lebt in Wien.

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Josef Maria Müller, ein Mann mit Charakter drucken

Der Musiker, Wissenschaftler und bis zuletzt als Obmann des Wiener Akademikerbunds aktive Josef Maria Müller ist im 90. Lebensjahr gestorben. Ein Nachruf.

Müller wurde am 11. August 1923 geboren. Er entstammt einer altösterreichisch-bayerischen Familie. Sein Vater war zunächst Hochseekapitän, danach Direktor der k&k Donaudampfschifffahrtsgesellschaft. Seine Mutter, Sophie Reichsfreifrau Weichs-Glon, prägte ihre Kinder im christlichen Glauben und als künstlerische Bezugsperson. Sie war die erste Klavierlehrerin des kleinen Josef Maria.

Schon im Volksschulalter begannen sich bei Müller vielfältige Interessen abzuzeichnen, die einerseits kultureller Natur, andererseits in der philosophischen und theologischen Reflexion angesiedelt waren. Daneben aber galt sein Interesse der Verkehrstechnik im Allgemeinen und der Schifffahrt im Besonderen.

Der Vater wurde im März 1938 aus politischen Gründen seiner Stellung enthoben. Als Freigeist wollte sich Josef Maria Müller mit der nationalsozialistischen Katastrophe nicht abfinden und geriet ins Fadenkreuz der braunen Diktatur. 1940 erfolgte ein Studienverbot, später ein Hochverratsprozess. Der Todeszelle entkam er nur aufgrund der Intervention eines hochgestellten Verwandten. Den Rest der Kriegszeit brachte Müller im Untergrund zu, er ließ sich vom Grazer Domorganisten Rudolf v. Weis-Ostborn ausbilden und erwarb umfassendes musiktheoretisches Wissen.

Nach dem Krieg gaben die faszinierenden Auftritte Wilhelm Furtwänglers den Ausschlag zugunsten seiner Entscheidung für eine Karriere als Musiker. Müller feierte vielbeachtete Erfolge als Dirigent, Chorleiter und Kirchenmusiker und auch in zunehmendem Maße als Organisator großer Musikereignisse. 1960 wandte er sich der Musikpädagogik zu und trat in den Lehrkörper des Konservatoriums der Stadt Wien ein. 1978 wurde er zum Direktor der Musiklehranstalten der Gemeinde Wien berufen. In dieser Funktion erarbeitete er bis zu seiner Pensionierung 1989 eine tiefgreifende rechtliche, organisatorische und personelle Neuausrichtung und sorgte für das heutige künstlerische Niveau und das internationale Ansehen dieser akademischen Lehrstätte.

Ungebrochen in Tatendrang und Agilität widmete sich Müller fortan der Res publica: Als Vorstandsmitglied einer wissenschaftspolitischen Einrichtung, als Intermediator zwischen Kirche und Kultur, als Kämpfer für ein unabhängiges Österreich und Kritiker eines drohenden EU-Superstaates. Die Identifikation mit konservativen und klassisch-liberalen Werten und sein Selbstverständnis als kämpferischer Christ führten ihn 1997 zum Wiener Akademikerbund, wo er rasch zum Obmann gewählt wurde.

Diese Tätigkeit bestimmte sein Engagement und seine Hingabe für den gesamten letzten Lebensabschnitt. In einer Zeit des Niedergangs der Parteiendemokratie, der Entnationalisierung und Globalisierung politischer Entscheidungen und der Errichtung supranationaler, multikulturell ausgerichteter Syndikate führte er den Wiener Akademikerbund als Gemeinschaft von weltanschaulich gebundenen Idealisten und unbestechlichen Vordenkern. Wir danken ihm für seinen Einsatz, seinen Mut und seine Unbeirrbarkeit. Als tiefgläubiger und kämpferischer Katholik und als schlagkräftiger Agitator gegen Wertezerfall, Relativismus und Freiheitsverlust wird er uns stets ein Vorbild bleiben.

Christian Zeitz ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Angewandte Politische Ökonomie sowie Islambeauftragter des Wiener Akademikerbundes und begreift sich als evangelikaler Katholik.

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Nobelpreise: unzeitgemäße Vergabepraxis – Her mit der Quote! drucken

Die kürzlich erfolgte Vergabe der Nobelpreise für das Jahr 2013 bietet einen guten Anlass, sich die Liste der bisher geehrten Personen etwas genauer anzusehen. Insgesamt wurden die Preise (inklusive „Wirtschaftsnobelpreis“) an bisher 876 Personen verliehen, wovon einige mehrfach ausgezeichnet wurden. In mehreren Jahren, besonders während der beiden Weltkriege, entfiel die Preisvergabe. In den meisten Kategorien (ausgenommen Literatur) überwiegt die gleichzeitige Ehrung mehrerer Laureaten.

Die folgende Betrachtung konzentriert sich auf die Wissenschaftspreise, und zwar jene für Physik, Chemie und Medizin (Physiologie). Eine Vergabe nach sachlichen, anstatt nach politisch-ideologischen Kriterien ist hier wahrscheinlicher als in den übrigen Sparten. Man sollte nicht übersehen, dass in Skandinavien die politische Landschaft noch weiter links angesiedelt ist als im Rest Europas. Eine entsprechende politische Schlagseite bei der Preisvergabe ist unvermeidlich. Der Friedensnobelpreis bleibt daher unberücksichtigt.

Sein rein politischer Charakter ist offenkundig. Da er bevorzugt an Kriegstreiber wie Theodore Roosevelt, überflüssige Vereine wie das „Ständige Internationale Friedensbüro“ in Genf, den Völkerbund, die UNO und/oder deren Funktionäre, Politverbrecher wie Le Duc Tho, Mordbrenner wie Yassir Arafat und Windbeutel wie Al Gore und Barack Obama verliehen wird, erhebt sich die Frage, welcher Teufel das Nobelkomitee bei der Auswahl der Preisträger in dieser Kategorie reitet.

Aus denselben Gründen wird auf die Würdigung der Kategorie Literatur verzichtet. Auch der Literaturnobelpreis wird überwiegend aus politischer Opportunität verteilt und hat mit der Qualität des Oeuvres der Ausgezeichneten allenfalls am Rande zu tun.

Der seit 1969 verliehene „Wirtschaftsnobelpreis“ bleibt ebenfalls unberücksichtigt und zwar aus zwei Gründen: Zum einen handelt es sich um keinen „echten“ Nobelpreis, sondern es ist ein „von der schwedischen Reichsbank in Erinnerung an Alfred Nobel gestifteter Preis für Wirtschaftswissenschaften“. Zum anderen ist seine Vergabe nicht weniger stark politisch motiviert als die des Friedensnobelpreises.

Dass sich die schwedischen Reichsbanker einmal dazu herablassen, einen nicht bedingungslos Staatsgläubigen für seine Forschung zu ehren, ist ein Ausnahmefall. Wenn es doch geschieht – wie im Fall Friedrich August von Hayeks anno 1974 – dann muss er seinen Preis mit einem ultralinken Paternalisten (diesfalls mit dem – zu Recht – längst vergessenen Gunnar Myrdal) teilen. Immerhin stellen die schwedischen Zentralbanker damit ihren ausgeprägten Sinn für grotesken Humor unter Beweis.

566 Mal wurde der Nobelpreis in naturwissenschaftlichen Disziplinen verliehen: 166 Mal für Chemie, 196 Mal für Physik und 204 Mal für Medizin. Bis 1945 dominierte Deutschland alle drei Fächer und stellte mehr Preisträger als alle anderen Nationen. Die USA spielten bis dahin keine herausragende Rolle. Ab 1946 stellt sich das Bild vollständig anders dar: In den letzten Dekaden vergeht kaum ein Jahr ohne amerikanische Laureaten. Stellten die USA bis 1945 18,37 Prozent der Preisträger in Physik, 6,38 Prozent in Chemie und 14 Prozent in Medizin, konnten sie nach dem Krieg in jeder der drei Kategorien eine absolute Mehrheit, nämlich 54,11 Prozent in Physik, 51,2 Prozent in Chemie und 57,5 Prozent in Medizin erringen. Die Bedeutung der deutschen Wissenschaftler ging dagegen zurück – auch gegenüber den Briten, der nunmehr erfolgreichsten europäischen Nation. Zu berücksichtigen ist bei diesen Betrachtungen indes der „Brain-Drain“ in Richtung USA. Viele der US-Preisträger waren oder sind keine gebürtigen Amerikaner, sondern Immigranten aus Europa und Asien (auch Beethoven und Hitler feierten ihre größten Triumphe schließlich nicht in den Ländern ihrer Geburt…).

Schwarze Gesichter sucht man bei den Wissenschaftsnobelpreisträgern vergebens. Es gibt keine. Eine überwältigende Mehrzahl der Gewinner ist weiß. Die Muslimische Welt, die immerhin 20 Prozent der Weltbevölkerung stellt, ist mit insgesamt vier Preisen (zwei davon in Medizin) ebenso krass unter-, wie Juden überrepräsentiert sind. 111 (oder 19,61 Prozent) der Preisträger waren oder sind Juden – und das bei einem Anteil von nur 0,2 Prozent an der Weltbevölkerung. Das sollte passionierte Antisemiten zum Grübeln veranlassen…

Der Ferne Osten spielt bei den Nobelpreisen eine überraschend geringe Rolle. Japan ist mit 15 Verleihungen (eine davon vor 1946) die erfolgreichste Nation Asiens. China konnte bislang erst zwei Mal (in Physik) reüssieren. Auch der Anteil der Sowjetunion/Russlands nimmt sich mit 12 Ehrungen (zwei davon vor 1946) bescheiden aus. Der Frauenanteil ist extrem niedrig – hier kann wohl nur eine verbindliche Quote Abhilfe schaffen. Besonders der Physikpreis ist absolut „genderungerecht“ verteilt – er ging erst zweimal an Frauen. Jener für Chemie viermal und der für Medizin zehnmal. Marie Curie gewann die Auszeichnung sowohl in Physik (1903) als auch in Chemie (1911). Linus Carl Pauling landete als bislang einziger Mann ebenfalls in zwei verschiedenen Kategorien Erfolge – allerdings nur einen davon in einer Naturwissenschaft (Chemie 1954, den anderen für Frieden 1962).

Wie sind die beschriebenen Ergebnisse zu interpretieren? Jene nicht wenigen Europäer, die sich gegenüber den angeblich „dummen und ungebildeten Amis“ gerne aufs hohe Ross setzen, sollten ihr Urteil überdenken. Tatsache ist, dass medizinische Innovationen heute zu zwei Dritteln aus den USA kommen. Ausgemachte Blödmänner können da nicht am Werk sein. Die Fähigkeit einiger weniger Europäer, fehlerfrei Ovid oder Platon in Originalsprache zu zitieren, dürfte für deren persönliches Fortkommen und den Fortschritt der Menschheit von deutlich geringerem Wert sein, als aus den USA stammende Entwicklungen neuer Therapien zur Behandlung maligner Erkrankungen…

Besonders erstaunlich erscheint es, dass der wachsame Blick stets aufregungsbereiter Gender- und Minderheitsanwälte bislang offenbar noch nicht auf die Vergabepraxis des Nobelkomitees gefallen ist. Lächerliche 2,41 Prozent Frauenanteil bei den Chemienobelpreisen oder skandalöse 1,02 Prozent in der Kategorie Physik sind ja wohl einzig und allein den in der Stockholmer Jury herrschenden, patriarchalen und heteronormativen Strukturen geschuldet. Dass bislang kein einziger der Wissenschaftspreise an einen Schwarzen, Türken, Inuit oder Roma vergeben wurde, wirft zudem ein grelles Licht auf den vom Vergabekomitee zelebrierten Rassismus. Ein Skandal! Damit und mit der himmelschreienden Diskriminierung von Muslimen muss nun endlich Schluss sein!

Es ist daher höchste Zeit für eine Quotenregelung! Analog zu den eben im Zuge der in Deutschland stattfindenden Koalitionsverhandlungen beschlossenen künftigen Vergabepraxis in Aufsichtsräten deutscher Unternehmen, sollten mindestens 30 Prozent aller Wissenschaftsnobelpreise (besser wären 50 Prozent!) für Frauen reserviert werden. Außerdem 20 Prozent für die Söhne und Töchter Allahs. Diese Ziele wären allerdings zweifelsfrei leichter zu erreichen, wenn die Kategorie Medizin/Physiologie um die Fachgebiete Kosmetik und Haarpflege und die Kategorien Physik & Chemie um das Fachgebiet Entwicklung von Bombengürteln erweitert würde. Mit ein wenig gutem Willen sollte dann eine sozial, ethnisch und gendergerecht ausgewogene Vergabe der Nobelpreise möglich sein. Das halsstarrige Festhalten an unzeitgemäßen, rein leistungs- und ergebnisorientierten Vergabeprinzipien sollte endlich überwunden werden!

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Überschatteter Abgang in Bozen drucken

Alois Durnwalder nimmt einen überschatteten Abschied von der Südtiroler Landespolitik. An seinem Bild zeigen sich jetzt deutliche Kratzer. Dabei hat Durnwalder Südtirol ebenso seinen Stempel aufgedrückt wie Silvius Magnago, der „Vater der Autonomie“.

Magnago war noch länger Vorsitzender der Südtiroler Volkspartei – nämlich von 1957 bis 1991 – denn Landeshauptmann (1960-1989) der Provinz Bozen-Südtirol. Durnwalder hingegen lehnte die SVP-Obmannschaft ab und regierte das südliche Tirol „nur“ als Landeshauptmann von 1989 bis in unsere Tage. Wenn sein präsumtiver Nachfolger Arno Kompatscher (voraussichtlich) am 10. Jänner vom Südtiroler Landtag gewählt wird, tritt Durnwalder eigenem Bekunden zufolge gänzlich von der landespolitischen Bühne ab, auf der er dann gut vier Jahrzehnte gewirkt haben wird, davon 25 Jahre als Landeshauptmann.

Das Erringen der Autonomie des Landes, die Sicherung von Selbstverwaltungsstrukturen, die Verwirklichung der Gleichstellung von deutscher und italienischer Sprache sowie des muttersprachlichen Unterrichts, somit der kulturellen Selbstbehauptung der Südtiroler, haben die Ära Magnago völlig beansprucht und ausgefüllt. In dem Vierteljahrhundert, in dem „der Landesluis“ die Geschicke in der Hand hielt, ging es hingegen um die Festigung des Erzielten sowie um dessen systematische Ausweitung. Das ist Durnwalder mit der ihm eigenen „stiernackigen Art“ – so der frühere Tiroler Landtagspräsident Helmuth Mader – mit allgegenwärtiger Präsenz und jener Durchsetzungsfähigkeit gelungen, die es braucht, um tatsächlich erfolgreich Politik zu machen.

Nie zuvor ist es den Südtirolern besser gegangen als unter Durnwalders aufgekrempelten Ärmeln. Nie zuvor kümmerte sich jemand so sehr persönlich um Anliegen von Petenten, die Durnwalder frühmorgens zwischen sechs und acht Uhr zu empfangen pflegte. Was ihm zu Spitzenzeiten bei Wahlen 120.000 Vorzugsstimmen eintrug; was ihm aber auch den Vorwurf einbrachte, sein Gebaren sei „landesfürstlich“.

Niemals war die Dominanz eines Südtiroler Politikers so ausgeprägt wie jene Durnwalders, nie zuvor gab es allerdings auch Skandale wie in der Endphase seiner Regierungszeit, die davon merklich getrübt wurde – etwas was unter dem asketischen Magnago unvorstellbar gewesen wäre. Weshalb die Verleihung der höchsten Auszeichnung des Bundeslandes Tirol an Tiroler diesseits und jenseits des Brenners, seines „Ehrenrings“ nämlich, an Durnwalder soeben just von der Anklageerhebung gegen ihn überschattet gewesen ist.

Das verfinsterte den Himmel über dem Innsbrucker Landhaus. Dort fand die Verleihung durch Landeshauptmann Günther Platter und Landtagspräsident Herwig Van Staa im Rahmen eines Festakts statt, bei der auch die ehemaligen Landeshauptleute Alois Partl und Wendelin Weingartner sowie die gesamte Tiroler Landesregierung und die Abgeordneten des Landtags zugegen waren. Wider Platters zutreffende Laudatio, wonach Durnwalder „die Eigenschaften Hausverstand, Bodenständigkeit und Durchsetzungsvermögen“ in sich vereine und „stets Gesamttirol im Blick gehabt“ habe, nimmt sich der Abschluss der Ermittlungen des Leitenden Bozener Staatsanwalts Guido Rispoli wie eine Kontradiktion aus. Es sind harte Vorwürfe, die zur förmlichen Anklageerhebung führen sollen. Sie treffen Durnwalder sichtlich. Wenngleich er darauf beharrt, nichts anderes als andere und also nichts Ungesetzliches getan zu haben.

Konkret wirft ihm Rispoli „Unterschlagung im Amt“ und „illegale Parteienfinanzierung“ vor. Unter anderem soll Durnwalder „zugunsten einer politisch-organisatorischen Gruppierung der SVP“, d.h. ihrem Jugendverband „Junge Generation“ (JG), aus seinem Sonderfonds „Finanzierungen bzw. Beiträge ausgeschüttet“ haben. Durnwalder hält dagegen, dabei habe es sich „lediglich um Getränke-Rechnungen im Zusammenhang mit meiner Vortragstätigkeit bei der JG gehandelt“.

Der Fall Sonderfonds

Weitere Vorhalte Rispolis betreffen „Zuwendungen bzw. Einkäufe, die aus dem Sonderfonds bestritten wurden“. Durnwalder habe die Ausgaben nur durch formlose Eigenbescheinigungen gerechtfertigt, statt sich „zum Zeitpunkt der Übergabe eine entsprechende, nachprüfbare Bescheinigung der Nutznießer ausstellen zu lassen“. Zudem sollen Spenden und Schenkungen nicht eng mit der Ausübung der Funktion als Landeshauptmann verbunden gewesen sein. Dazu zählen Schecks für Maturabälle, Spenden für das Rote Kreuz, für „Ärzte für die Dritte Welt“, für Feiern oder Trinkgelder.

Dem hält Durnwalder entgegen, dass jede Ausgabe bzw. Spende in Ausübung seines Amtes und mittels Eigenerklärung gerechtfertigt gewesen sei: „Ich kann schlecht von einem Kind, das ein Gedicht aufgesagt hat, eine Rechnung verlangen". „Ich habe alles so gemacht, wie es schon die letzten 50 Jahre gemacht worden ist". Und: „Ich habe das Gefühl, man möchte hier nur zeigen, dass in Südtirol bei der Verwaltung italienische Verhältnisse vorherrschen." Dabei habe er alle Ausgaben stets genau aufgeschrieben, sagte er gegenüber der APA.

Erstmals war das italienische Delikt „Amtsunterschlagung“ gegenüber Durnwalder vom Staatsanwalt des zuständigen Rechnungshofs Anfang 2013 ins Spiel gebracht und sodann von Rispoli, der das Verfahren an sich zog, übernommen worden.

Losgetreten worden war der „Fall Sonderfonds“, als der Rechnungshof nach der üppigen Feier des Landeshauptmanns auf Schloss Tirol (24. September 2011) aus Anlass seines 70. Geburtstags Ermittlungen einleitete und sämtliche Unterlagen über die Verwendung des Sonderfonds überprüfte. Die in Durnwalders Büros seinerzeit beschlagnahmten Akten – derlei kam erstmals am Sitz eines Südtiroler Landeshauptmanns vor – wurden sodann an den Leitenden Staatsanwalt übermittelt.

Beanstandet wurden ursprünglich Ausgaben in Höhe von insgesamt 1,3 Millionen Euro zwischen 1994 und 2012. Schließlich reduzierten sich Zeitraum und Summe: Insgesamt habe Durnwalder von 2004 bis 2012 einen finanziellen Schaden von 556.189,65 Euro verursacht. Bei insgesamt 3189 Ausgabenposten ist der Staatsanwalt überzeugt, dass sie entweder nicht rechtskonform belegt worden seien oder mit Durnwalders Amt nichts zu tun hätten. Darunter finden sich etliche Restaurant- und Bar-Rechungen, Einkäufe von Obst, Joghurt, Mehlspeisen, Zahnstochern, Getränken oder für die Kaffeepause der Landesregierung.

Ebenso auf der Liste stehen Einkäufe wie Geschirrspülmittel, Taschentücher, Sonnencreme, Blumendünger, beispielsweise die Vergütung einer Essensrechnung in Moskau (570 Euro), Karten für die Arena von Verona (900 Euro), ein Fernrohr für seinen Stellvertreter, Landesrat Florian Mussner (500 Euro), ein Geschenk für (den damaligen Landesrat und jetzigen Senator) Hans Berger (500 Euro) und dergleichen mehr.

Schließlich beanstandet der Staatsanwalt noch Beträge, die ausdrücklich zur Bestreitung privater Ausgaben verwendet und mit persönlichen Guthaben auf den Durnwalderschen Sonderfonds (jährlich 72.000 Euro) verrechnet bzw. kompensiert worden seien – im Ausmaß von insgesamt 180.731,92 Euro. Dazu gehören etwa Ausgaben für Auto- und Fernsehsteuer, private Flugtickets, Versicherungen und Mitgliedsbeiträge. Diese Sonderfonds-Mittel, so der Rechnungshof, seien vielfach für unzulässige Zwecke wie Geschenke, Eintrittskarten oder Arzneimittel ausgegeben worden – ein Vorwurf, den Durnwalder bestreitet: Er habe aus seiner eigenen Brieftasche Ausgaben vorgestreckt; am Monatsende seien sie mit dem Sonderfonds verrechnet worden.

Das Südtiroler Landesgesetz zum Sonderfonds legt nicht fest, wie die Gelder verwendet werden sollen bzw. dürfen. Deshalb stützen sich die Verdachtsmomente der Staatsanwaltschaft vornehmlich auf einen Präzedenzfall.

Den Ex-Präsidenten der Region Sizilien, Giuseppe Drago und Giuseppe Provenzano, wurde vorgeworfen, sich aus ihrem Sonderfonds bedient zu haben, ohne die Zahlungen zu begründen bzw. zu belegen. Drago erklärte damals, er habe das Geld entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen ausgegeben, er sei nicht verpflichtet gewesen, Belege beizubringen. Das Gericht verurteilte ihn aber zu drei Jahren und acht Monaten Haft, und nach seinem Einspruch bestätigte das Kassationsgericht in Rom, die höchste Instanz, 2009 das Urteil der Erstinstanz.

Unterschlagung im Amt liege vor, wenn keine „ausführliche, synchrone und nachprüfbare Angabe“ erbracht werden könne, wonach die Verwendung des Geldes strikt mit der institutionellen Ausübung der Funktion verbunden ist, so die Höchstrichter. Und justament ein derartiger Verstoß wird auch dem Südtiroler Landeshauptmann zur Last gelegt.

Für seinen Anwalt Gerhard Brandstätter „ein Riesen-Missverständis“. Man werde die Rechtmäßigkeit aller aus Durnwalders Sonderfonds bestrittenen Ausgaben anhand von Dokumenten und Schriftsätzen belegen. Auch ist Brandstätter überzeugt, dass der Kassationsentscheid, auf den sich Rispoli beruft, nicht auf die Causa Durnwalder angewandt werden könne. „Das sind ganz andere Voraussetzungen: Der Landeshauptmann hat nicht einen Cent veruntreut, während es beim Urteil von Palermo um die private Verwendung öffentlicher Gelder ging.“

Rispolis von publizistischem Getöse begleitetes Vorgehen gegen Durnwalder, den über zweieinhalb Jahrzehnte mächtigsten Mann Südtirols, ist indes nicht unpopulär. Zumal da die Botschaft lautet: Seht her, wir ermitteln gegen jeden, gleich welchen Ranges, Amtes oder Standes.

SVP verliert an Strahlkraft

25 Jahre Durnwalder haben Spuren hinterlassen, im Land wie in der Partei, die es seit 1948 regiert. So volksnah Durnwalder seine Politik auch gestalten und verkörpern mochte, die SVP verlor in den letzten beiden Legislaturperioden seiner Amtszeit ihre Basisnähe und insgesamt 10 Prozentpunkte ihres vorherigen Stimmenpotentials.

Die Führung des Landes hatte sich mehr und mehr auf ihn konzentriert, und es war eine Art Personenkult unseligen Angedenkens entstanden. Um den Landeshauptmann herum gesellte sich ein Machtzirkel, Nepotismus und Günstlingswirtschaft paarten sich mit unübersehbarer Großmannssucht.

Spätestens mit dem Skandal um den landeseigenen Energieversorger SEL AG wurde dies vor zwei Jahren offenkundig. Die Betrugsaffäre, die den zuständigen Landesrat Michl Laimer zum Rücktritt zwang, musste auch Durnwalder belasten, ohne den in der Südtiroler Politik seit 1989 nichts lief. Michl Laimer musste nicht nur seinen Hut nehmen, er wurde auch rechtskräftig verurteilt.

Immer öfter tauchte seitdem in den Medien die Metapher „System Durnwalder" auf. Nur Naive glaubten seinen Worten, wonach er von der Affäre rund um die Vergabe von Kraftwerkskonzessionen nichts gewusst habe. Selbst wenn dies der Wahrheit entsprochen hätte, so muss er dennoch die politische Verantwortung dafür tragen, was Durnwalder trotzdem in Abrede stellte. „Menschlich, allzu menschlich“ hätte Dichterfürst Goethe für den „Südtiroler Landesfürsten“ entschuldigend parat gehabt, dem selbst „Der Spiegel“, sonst für das publizistische Unterminieren politischer Denkmäler bekannt, eine zwar in wenige kritische Untertöne verpackte, aber alles in allem sympathische Titelgeschichte lieferte, auf die Durnwalder seinerzeit gerne hinwies.

SEL-Affäre und Causa Sonderfonds trüben das Bild vom beliebten Tatmenschen Durnwalder indes umso mehr, als es ihm den „honorigen Abgang“ vergällt. Der wäre ihm sonst aufgrund seiner nicht zu bestreitenden Leistungen – das sei hier ausdrücklich anerkannt – zugestanden.

Durchaus auch selbstkritisch hatte sich der scheidende Landeshauptmann in seiner letzten Haushaltsrede am 6. Dezember 2012 im Südtiroler Landtag geäußert und dabei zwei maßgebliche Punkte erwähnt. Bezüglich der Autonomie des Landes befand er, sie sei vier Jahrzehnte nach Inkrafttreten des „Zweiten Statuts“ (1972) „nicht gestärkt, sondern geschwächt“: „Wir hier in Südtirol haben der Autonomie nicht den nötigen Respekt erwiesen, haben sie nach außen hin zwar mit Zähnen und Klauen verteidigt, ihr aber von innen Schaden zugefügt, indem wir an ihren Fundamenten gerüttelt haben". Diese Fundamente seien nämlich „nicht nur der Pariser Vertrag und das Autonomiestatut“, sondern sie hießen „auch Ehrlichkeit, Rechtsstaatlichkeit, Moral, Transparenz, Offenheit, Engagement und Hingabe“.

Und in Bezug auf die „Strom-Affäre“ äußerte er: „Wenn sich der Bürger nicht mehr darauf verlassen kann, dass alle Gesetze eingehalten und alle Zweifel ausgeschlossen werden, dann hat er allen Grund, die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und – grundsätzlicher – mit seinen Repräsentanten unzufrieden zu sein." Nichts anderes taten die Bürger am 27. Oktober 2013 – sie ließen seine Partei, die SVP, mit dem Verlust der absoluten Mehrheit der Sitze im Bozener Landhaus aus der Landtagswahl hervorgehen.

Der Autor ist deutsch-österreichischer Historiker und Publizist

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Der Marsch des Herrn Gabriel ganz nach linksaußen drucken

Wie weit die deutschen Sozialdemokraten nach links marschiert sind, sieht man an den Prioritäten von Parteichef Sigmar Gabriel. Dieser hat seine Partei weit weg vom einst staats- und europatragenden Steinbrück-Steinmeier-Müntefering-Kurs verschoben. Das dürfte zwar den SPD-Funktionären gefallen, das ist aber für das wichtigste Land Europas eine Katastrophe.

Die drei schlimmsten Aktivitäten, durch die Gabriel allein in den letzten Tagen negativ aufgefallen ist:

Erstens kündigt die SPD an, dass sie nach der nächsten Wahl offen für Koalitionen mit der „Linken“ ist, also mit der direkten Nachfolgepartei der ostdeutschen Kommunisten. Sie will sich nicht mehr wie bei der letzten Wahl die Hände binden.

Das ist beängstigend. Der SPD geht es also nur noch darum, dass man nach der Wahl nicht den Fehler begehen sollte, vorher Versprochenes zu brechen. Das sollte man natürlich nie tun (Merks SPÖ/ÖVP). Aber diese Absage an die Linke hatte ja einen starken Grund. Den beschließt die SPD nun plötzlich zu ignorieren, ohne dass er weggefallen wäre. Und die Kommunisten werden zu akzeptablen Partnern erklärt.

Die DDR-Vorgeschichte der Linken wird über Nacht als nicht mehr vorhanden behandelt. Trotz der vielen von ihren Vorfahren begangenen Morden, Folterungen und Einkerkerungen. Trotz der von den Kommunisten angerichteten und bis heute teilweise nachwirkenden wirtschaftlichen Katastrophe. Trotz des Mauerbaus. Trotz der Verfolgung, den anständige Sozialdemokraten durch die Kommunisten erlitten. „Lernen sie Geschichte!“, hätte ein alter österreichischer Parteiführer dazu gesagt.

Zweitens stellt Gabriel jetzt zwei für ihn unverzichtbare Forderungen ins Zentrum seiner Koalitionsbedingungen. Die eine ist das arbeitsmarktpolitisch unsinnige Verlangen nach einem Mindestlohn; dieser könnte aber als Folge der Geldentwertung wieder bedeutungslos werden.

Die andere Forderung kann hingegen nicht mehr revidiert werden, sobald sie realisiert ist: Das ist die doppelte Staatsbürgerschaft. Diese Forderung ist in der Praxis nur für die in Deutschland lebenden Türken relevant. Viele von ihnen wollen die Loyalität gegenüber der Türkei keinesfalls aufgeben (die auch der absolutistisch gewordene türkische Regierungschef Erdogan bei Deutschland-Besuchen laut einfordert). Aber sie wollen die Vorteile einer deutschen Staatsbürgerschaft zusätzlich haben.

Und Gabriel will ihnen diese schenken, obwohl das mit der eigentlichen Idee der Staatsbürgerschaft absolut unvereinbar ist. Warum tut er es dennoch? Gabriel glaubt – vielleicht sogar zu Recht –, dass dadurch Hunderttausende deutschtürkische Stimmen für die schmalbrüstige SPD zu gewinnen wären.

Drittens: Ganz in diese Denkweise passt das, was Gabriel am Wochenende getan hat. Er hat aus Solidarität ein durch Aufstellung von fünf Schweinsköpfen entehrtes Moscheegelände in Leipzig besucht. Was soll daran unpassend sein, war doch diese Schweins-Aktion zweifellos widerwärtig? Das wird dadurch zum gravierenden Fehler, dass es keinerlei Berichte über Solidaritätsbesuche von Gabriel auf geschändeten christlichen Stätten gibt. Dabei hat es allein im Vorjahr 414 christenfeindlicher Straftaten in Deutschland gegeben. Davon waren nicht weniger als 18 gewalttätig. Diese Taten waren alle Gabriel keinen Muckser wert. Warum empört ihn das eine und lässt ihn das andere eiskalt? Ist das nicht total entlarvend für das Denken des deutschen Sozialdemokraten-Führers?

PS: Dass man diese Zahlen überhaupt kennt, ist übrigens der OSZE zu verdanken. Damit hat diese aus dem Kalten Krieg stammende „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (mit ihrem völlig unbemerkten Hauptsitz in Wien) zum ersten Mal seit Jahrzehnten etwas Sinnvolles getan. Genauso aber ist das auch ein Verdienst der (noch amtierenden) deutschen Regierung. Denn diese hat die Hass-Verbrechen gegen Christen erstmals aufgelistet und der OSZE wunschgemäß gemeldet. Das haben in Europa nur sechs Staaten gemacht. Die Republik Österreich nicht. Natürlich.

 

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Buchbesprechung: Honey from the Rock – Sixteen Jews Find the Sweetness of Christ drucken

Anlässlich der in häufig wiederkehrenden Intervallen – zuletzt etwa Mitte Oktober 2013 – kampagnisierten Diskussionen um bzw. Verleumdungen von Papst Pius XII. und dessen Seligsprechungsprozess – und anlässlich der damit in Zusammenhang stehenden heillosen Verwirrung in einem sensiblen Thema – soll hier eine relativ rezente, aber vor allem inhaltlich überaus bemerkenswerte und in ihrer Tragweite kaum zu überschätzende, in den USA erschienene Publikation gewürdigt werden.

Dabei geht es eigentlich um eine Selbstverständlichkeit. In Zeiten allgemein anerkannter und außerordentlich weit interpretierter „Religionsfreiheit“ sollte es für einen suchenden und geistig wachen Menschen kein Problem sein, seiner Einsicht zu folgen und eine Konversion zu vollziehen. Allerdings sind die Konvertiten dem zeitgenössischen kirchlichen Leben irgendwie peinlich geworden, dem weltlichen Denken erscheinen sie als skurril und pathetisch. Beispielhaft dafür ist, wie etwa Christian Heidrichs profundes und umfangreiches Buch Die Konvertiten – Über religiöse und politische Bekehrungen (Hanser, München/Wien, 2002) eine gewisse Unruhe im Feuilleton ausgelöst hatte, frei nach dem Motto: „Haben wir das gebraucht? Ist das wirklich ein Thema?“ Die Konvertiten zeigen aber durch ihren oft sehr teuer erkauften Schritt, dass es eben nicht egal ist, woran man glaubt.

Ein Tabuthema

Unter allen Tabuthemen unserer Tage ist jedoch ein Religionswechsel der brisanteste: Die Konversion von Juden zur Katholischen Kirche. Zu erfolgreich war die durchgeführte Verdunkelung des Evidentesten, nämlich der inneren Ausrichtung des Alten Bundes auf den „Neuen Bund“ (Jer 31, 31-34).

Das Karfreitagsgebet der Kirche für die Juden wurde durch die generelle Rehabilitierung des altüberlieferten Messritus (in dem um die Bekehrung der Juden gebetet wird) im Jahr 2007 zum Ärgernis: Ein Gebet als Politikum? Die Verkündigung des christlichen Glaubens unter Juden wurde von jüdischer Seite mit emotionalen Worten verurteilt und seitens der Kirche praktisch eingestellt.

Seit Jahrzehnten hört man aber gleichzeitig seitens desselben kirchlichen Lehramtes und der akademischen Theologie, dass das Neue Testament im Alten wurzle und dass die Kirche ohne Judentum gar nicht zu verstehen sei, dass also beides jeweils zusammengehöre. Die einschlägige Konzilserklärung Nostra aetate (1965) ist, näher betrachtet, ein mühsamer Kompromiss konträrer Positionen und alles andere als ein verständlicher und stimmiger Text.

Die Verwirrung ist also groß, das Thema tabuisiert, die Sachkenntnis nicht immer vorhanden.

Dem schafft die gegenständliche Publikation Abhilfe.

Ein Strom von Konvertiten

Eine eindrucksvolle Liste von zum Teil prominenten jüdischen Konvertiten im 19. und 20. Jahrhundert belegt das Selbstverständlichste und Offenkundigste, nämlich, dass die Verkündigung der alttestamentlichen Propheten zu Jesus Christus führt und dass die innere Logik der hebräischen Bibel die Zuwendung zum menschgewordenen Logos, der „in sein Eigentum kommt“ (Joh 1, 11), nahelegt.

Damit soll übrigens nicht geleugnet werden, dass die Motivation der Konvertiten im deutschen Sprachraum des späten 19. Jahrhunderts und danach oft nicht immer rein religiös gewesen sein wird. Der Wunsch, in einer mehrheitlich formell christlichen (katholischen oder protestantischen) Gesellschaft (vermeintlich oder wirklich) „dazuzugehören“ oder die Absicht, gesellschaftlichen Ressentiments auszuweichen und den Aufstieg nicht zu behindern, mag oft ausschlaggebend oder in verschiedenen Anteilen doch „dazugemischt“ gewesen sein. (Am Beispiel Edmund Husserls z.B. kann man auch den Fall studieren, dass eine eher äußerlich abgewickelte, protestantische Taufe später zu einem tiefer erfassten Glauben führt. Darüber Prälat Johannes Oesterreicher, siehe unten) Die Frage des Assimilationswillens ohne religiösen Glauben würde für eine gründlichere historische Studie berücksichtigt werden müssen.

Hier ist aber, vom Buch vorgezeichnet, die aus rein religiösen Gründen vollzogene Konversion Thema. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sich die betreffenden Menschen ihren Schritt oft sehr viel kosten lassen, bis hin zu einem Bruch mit ihrer Familie oder der Beendigung der Berufslaufbahn. Diese Art der Konvertiten betätigt sich dann auch selbst missionarisch – und liegt ihrer Umgebung anfänglich manchmal etwas aufdringlich in den Ohren. „Konvertiten sind lästig“, wie der bekannte Konvertit André Frossard selbst einmal sagte.

Zurück zur historischen Einordnung:

Das II. Vatikanische Konzil hat zwar, wie oben gesagt, eine gewisse Diskontinuität in die kirchliche Lehre gebracht („gewisse“ deswegen nur, weil niemals formell ein Glaubensinhalt bzw. ein Dogma revidiert wurde) – ob das aber den Strom an Konvertiten reduziert hat, kann hier nicht erhoben werden. Er ist jedenfalls nicht versiegt.

Die gewissermaßen größtmögliche Konversion ist von der Religion der Ablehnung des menschgewordenen Logos hin zum Glauben an eben diesen. Daher ist sie auch die aufsehenerregendste – bezeichnenderweise auch bei laut verkündeter und geforderter Religionsfreiheit und in einem angeblich so religionsindifferenten Zeitalter.

Roy Schoeman – ein hebräischer Katholik

Wenden wir uns daher dem Autor (bzw. eigentlich Kompilator) des jetzt vorzustellenden Buches zu: Roy Schoeman ist der Sohn deutsch-jüdischer Eltern, die der Verfolgung durch die Nazis entkamen, die Mutter nur sehr knapp. Er wuchs in einer suburb von New York City auf und studierte das Judentum bei prominenten Rabbinern. Er absolvierte Studien am Massachusetts Institute of Technology und an der Harvard Business School. 1992 wurde er nach intensiven geistlichen Erfahrungen und einigen Wirrungen durch Taufe und Firmung in die Katholische Kirche aufgenommen. Sein erstes Buch Salvation is from the Jews: The Role of Judaism in Salvation History from Abraham to the Second Coming (2003) wurde 2007 auf Deutsch publiziert: Das Heil kommt von den Juden: Gottes Plan für sein Volk (St. Ulrich Verlag, Augburg).

„Honey from the Rock“ – Honig aus dem Felsen, der Titel dieses Buches, bezieht sich auf Psalm 81, 16: Gott werde sein Volk, wenn es auf ihn hörte, „mit Honig aus dem Felsen sättigen“. Die im Buch vorgestellten sechzehn Konvertiten bekennen, in Christus diese „sweetness“ gefunden zu haben.

Der Titel spielt formal übrigens auf ein älteres Buch mit Portraits von jüdischen Konvertiten an. Im Jahr 1952 brachte der Konvertit und Priester Msgr. Johannes Oesterreicher (1904 – 1993) sein berühmtes Werk Walls are Crumbling – Seven Jewish Philosophers Discover Christ mit sieben Porträts jüdischer Denker, die Christus „entdeckt“ haben und von denen einige auch die Taufe angenommen haben, heraus (dieser Titel bezieht sich seinerseits auf den Epheserbrief des Apostels Paulus, demgemäß Christus durch seinen Tod „die trennende Wand der Feindschaft“ zwischen Juden und Heiden niedergerissen hat: Eph 2, 14). Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch der interessante Sammelband von Univ.-Prof. Prälat Ferdinand Holböck, Wir haben den Messias gefunden. Die selige Edith Stein und andere Judenkonvertiten vor und nach ihr, Salzburg 1986, 2. Aufl., 1987.

Schoeman präsentiert die historischen Personen Alphonse Ratisbonne, Hermann Cohen (P. Augustinus Maria vom Heiligsten Sakrament), David Goldstein, Sonia Katzmann (Sr. Mary Samuele), Charlie Rich, Redemptoristen-Pater Arthur B. Klyber und den Rabbiner Eugenio Israele Zolli. Portraitierte Zeitgenossen sind Ronda Chervin, David Moss, Rosalind Moss, Judith Cabaud, Marilyn Prever, Pater Peter Sabbath, Steven Block, Bob Fishman und Schoeman selbst. Meist kommen sie selbst zu Wort, manche Informationen sind vom Kompilator.

Ein breites Spektrum an Charakteren kommt dabei zum Ausdruck. Alle sind zwar intelligente und ernsthafte Menschen, einige sogar eher schwerblütig, manche sind humorvolle Geister mit Schalk und Witz – manche kennen beides. Auffällig ist, dass in allen Portraits ausgesprochen sympathische Persönlichkeiten zum Vorschein kommen.

Beispielhaft soll aus jeder der beiden Gruppen, der historischen bzw. der zeitgenössischen Personen, eine vorgestellt werden:

Der „Rabbi von Rom“

Der vielleicht prominenteste Konvertit ist Eugenio Pio Zolli (geborener Israel Anton Zoller), der „Rabbi von Rom“ (so auch die deutsche Ausgabe seiner auf Englisch erschienenen Autobiographie Before the Dawn, ital. Prima dell‘ alba). Er wurde 1881 in Brody, Österreichisch-Galizien, heute Ukraine, geboren und nach Lebensstationen in Wien, Triest und Padua 1938 zum Oberrabbiner Roms ernannt.

Sein Weg führte ihn nach vielem Nachdenken, Studieren und Meditieren von Kindheitstagen an über eine außerordentliche innere Erfahrung während seiner Zeit als Rabbiner in die Kirche:

„Es war am Versöhnungstag im Herbst 1944 und ich stand einer religiösen Zeremonie im Tempel vor. Der Tag neigte sich und ich war völlig alleine inmitten einer großen Zahl von Menschen. Ein Gefühl stellte sich ein, als würde Nebel in meine Seele ziehen. Er wurde immer dichter und ich verlor völlig den Kontakt zu den Menschen und Dingen um mich herum. Und genau dann sah ich mit meinem inneren Auge eine ansteigende Wiese in saftigem Grün. In dieser Wiese sah ich Jesus Christus, weißgekleidet und über seinem Haupt den blauen Himmel. Ich erfuhr den größten inneren Frieden. (…) In meinem Herzen fand ich die Worte: ‚Du bist zum letzten Mal hier‘. Ich erwog sie mit der größten Gelassenkeit meiner Seele. Die Antwort meines Herzens war: So ist es, so soll es sein, so muss es sein. (…) Einige Tage später gab ich meine Stellung in der Israelitischen Gemeinde auf und ging zu einem relativ unbekannten Priester, um Unterricht zu bekommen. Einige Wochen vergingen bis zum 13. Februar, als ich das Sakrament der Taufe empfing und in die Katholische Kirche, den Mystischen Leib Christi, eingegliedert wurde.“

Er wurde zusammen mit seiner Frau getauft (die Tochter folgte ein Jahr später) und nahm als Taufnamen den von Papst Pius XII. und dessen Papstnamen an. Damit wollte er dem Papst, der unermessliche und risikoreiche Leistungen zur Rettung der römischen Juden erbracht hatte, Dankbarkeit und Verehrung erweisen. Zolli wurde aus der Synagoge ausgestoßen, die Zeitschrift der Israelitischen Gemeinde erschien mit Trauerrand.

Aufgrund der massiven und hochemotionalen Kritik an seinem Schritt fragte er sich: „Ist die Konversion eine Untreue, eine Untreue gegenüber dem zuvor bekannten Glauben?“, worauf er die Antwort gab: „Glaube ist eine Anhänglichkeit, nicht an eine Tradition, eine Familie oder einen Stamm, nicht einmal an ein Volk. Es ist eine Anhänglichkeit unseres Lebens und unserer Taten an den Willen Gottes, wie er jedem in der Intimität des Gewissens geoffenbart wird. Konversion besteht in der Antwort an einen Ruf Gottes.“

Nach Jahren akademischer Tätigkeit als Professor für Bibelwissenschaft starb er am 2. März 1956, dem 80. Geburtstag seines großen Freundes, Papst Pius XII.

Bezeichnend ist, dass diese bemerkenswerte Geschichte heutzutage sowohl in kirchlichen als auch säkularen Kreisen weitestgehend unbekannt ist. Das ist wohl kein Zufall.

Damit zu den Zeitgenossen:

Eine Konvertitin mit Humor

Der humorvollste Beitrag im Buch ist der von Marilyn Prever, die ihre Odyssee durch Sekten und Gruppen pointenreich und mit souveräner Selbstironie schildert: Vom Sh’ma Yisrael zu Hare Krishna zu Ave Maria. Geben wir ihr selbst das Wort:

„Zuerst lebten wir in der 57. Straße [Brooklyn], die italienisch und – natürlich – katholisch war. Die Katholiken waren sehr nett zu uns (…). Jeder hat sich förmlich ein Bein ausgerissen, um gegenüber unserer Religion Respekt zu zeigen – obwohl wir gar keine hatten. (…) Die einzig negative Erfahrung, die ich mit Katholiken hatte, war, als mich jemand aus dem italienischen Freundeskreis schlug, weil ich ‚Christus getötet‘ hätte. ‚Das war nicht ich, das war mein Opa!‘, antwortete ich, aus einem vagen Wissen heraus, dass es zwischen unseren Vorfahren Schwierigkeiten gegeben hatte. Aber das waren Erwachsenenprobleme. Wir waren am nächsten Tag schon wieder Freunde.“

Die Krise der Pubertät führt sie in die Rebellion gegen die Gedankenwelt der Eltern, die Lektüre von Freud, Darwin, Nietzsche und Bertrand Russell stürzt sie in eine Krise. Heirat und die Ankunft ihrer Kinder können die nagende Frage nach dem Lebenssinn nicht beantworten. Sie übersiedelt mit ihrer Familie ins heilige Land: „Ich werde trotzdem eine Sache über unsere Zeit in Israel erwähnen: Ich bin dort echt religiös geworden. Ich wurde Buddhistin.“

Das konnte natürlich nicht lange halten. Die Wende kam nach exzessiver Lektüre: „Ich denke, das, was mich rettete (unter der Gnade Gottes), waren Bücher. (…) Die buddhistischen und hinduistischen Schriften – wenigstens soweit ich sie verstand, was nicht viel war – gaben mir wenigstens eine Idee davon, was ein ernsthaftes, diszipliniertes und auf das Eine konzentriertes Leben sein soll. Sie bestätigten für mich die grundlegende Moralität des Naturgesetzes, das ‚in unsere Herzen geschrieben ist‘. (…) Die Autoren, die mich schließlich nach Hause in die Kirche führten, waren im Wesentlichen drei: C. S. Lewis, G. K. Chesterton und die hl. Teresa von Avila. (…) Juden scheinen eine spezielle Nähe zur hl. Teresa zu haben, vielleicht, weil sie selbst teilweise jüdischer Abkunft war.“

Marilyn Prever und ihr Mann kommen über die Vermittlung einer evangelikalen Gemeinde zum Glauben an Christus, geraten aber dann in die Sekte der „Kinder Gottes“. Danach wendet sich ihr Mann an eine hasidische jüdische Gemeinde, um mit ihnen über die Interpretation des Alten Testamentes zu diskutieren. Das Gespräch mit dem jüdischen Bibelexperten hat einen paradoxen Effekt: „Anstatt, dass es uns zurück ins Judentum geführt hätte, führte es uns schließlich zum katholischen Glauben, weil es uns veranlasste, unsere Interpretation des Neuen Testamentes, besonders der paulinischen Briefe, in Frage zu stellen. (…) Zu diesem Zeitpunkt stellten wir zu viele Fragen, wie man sich vorstellen kann, um noch in einer fundamentalistischen oder evangelikalen Kirche willkommen zu sein.“ Schließlich beschreitet die Familie, wenn auch auf zwei Gruppen aufgeteilt, den Weg in die Katholische Kirche. Dort erlebt sie so vieles, dass die Autorin noch weitere Publikationen ankündigt.

Unkenntnis des Glaubens und dessen Behebung

Was in dem Bericht heraussticht, ist ein Satz, der sich als symptomatisch für viele im Buch dargestellte Personen erweist. Frau Prever erzählt über die Unterweisung, die sie als Kind über die Bibel erhalten hat. Die Bedeutung und Tragweite dieser Geschichten wird ihr aber nicht vermittelt: „Es ist mir nie eingefallen, irgendjemand um eine Erklärung dieser Dinge zu bitten.“ Das ist der springende Punkt in mangelhafter religiöser Unterweisung, nicht nur im Judentum: Alles ist auf die Autorität der Autoritäten hin zu glauben, aber Inhalte, Zusammenhänge, Hintergründe, ja die innere Logik selbst, werden nicht erklärt. Als einzig wichtig wird es dargestellt, Bräuche einzuhalten – von wo die Bräuche kommen und ob sie gegebenenfalls weniger wichtig sind als zentrale Glaubensinhalte und Gebote, wird nicht thematisiert. Zu Recht sagen daher viele der portraitierten Personen auf die eine oder andere Weise, sie seien gar nicht „richtig“ jüdisch gewesen, was die Religion betrifft. Manche haben auch überhaupt nie praktiziert.

Was den Rezensenten doch verblüfft hat, ist eben die Tatsache, dass fast alle der genannten Konvertiten in Jugend und Erwachsenenalter nur oberflächliche oder gar keine Kenntnisse der Bibel hatten: Des Neuen Testamentes ohnedies nicht, aber auch des Alten Testamentes, der „hebräischen Bibel“, wie manche auch sagen, nicht. Man feierte Pessach, hielt vielleicht den Sabbat ein und beachtete die Speisevorschriften. Oder auch nicht. Worum es im Glauben Israels im Kern geht, wusste aber keiner.

Es ist also kein Charakteristikum der zeitgenössischen Katholiken alleine, dass sie sich in Glauben, Bibel und Tradition nicht auskennen. Der Weg zur Wahrheit führt aber über die Aneignung der Glaubensinhalte: „Wer die hl. Schrift nicht kennt, kennt Christus nicht“, sagte der hl. Bibelübersetzer Hieronymus. Hier aber sind Menschen, die wissen, wem sie geglaubt haben und von der nagenden Unruhe zum inneren Frieden gelangt sind.

Resümee

Es ist dem Kompilator des Buches und dem Verleger, dem Jesuitenpater Joseph Fessio, Gründer und Chef des Verlags Ignatiuspress, San Francisco, zu danken, diese interessanten und lehrreichen Biographien einem breiteren Publikum bekannt gemacht, damit ein Tabu überwunden und historisches Dunkel erhellt zu haben. Nicht zuletzt geht es auch, wie eingangs erwähnt, um die Ehre von Papst Pius XII. und die volle historische Wahrheit. Nur die Wahrheit kann frei machen.

Honey from the Rock – Sixteen Jews Find the Sweetness of Christ, compiled by Roy Schoeman, Ignatius, San Francisco, 2007. 289 Seiten.
Leider (noch) keine deutsche Übersetzung.
www.ignatius.com

MMag. Wolfram Schrems, Linz und Wien, katholischer Theologe und Philosoph, kirchlich gesendeter Katechist. Umfangreiche Vortrags- und Publikationstätigkeit.

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Die Tschechen machen Freude, die Tschechen machen Sorgen drucken

Die tschechische Linke hat einen argen Dämpfer bekommen – an Stelle des von vielen internationalen Medien schon bejubelten Wahlsieges. Statt dessen haben die nördlichen Nachbarn massenweise zwei Parteien gewählt, die von Milliardären über Nacht auf der grünen Wiese gegründet worden waren. Daraus kann man gleich mehrere Lektionen ableiten.

Eine erfreuliche Lektion: Die bisherigen – rechten – Regierungsparteien haben zwar das Land in einen im Vergleich mit vielen anderen Ländern exzellenten wirtschaftlichen Zustand gebracht. Sie sind aber zu Recht schwer abgestraft worden. Denn zumindest in Tschechien wird von den Wählern Korruption nicht stillschweigend geschluckt. Gut so.

Während ja etwa in der benachbarten Stadt Wien die Bestechung willfähriger Medien mit hunderten Millionen Steuer-Euro von den Wählern ebenso ignoriert wird wie die Zuschiebung eines PR-Auftrags um weitere 130 Millionen an den – vorsichtig ausgedrückt – sehr SPÖ-nahen Bohman-Verlag. Anders formuliert: Politische Sauberkeit ist den tschechischen Wählern ein Anliegen, aber nicht den Wienern.

Noch eine erfreuliche Lektion: Die tschechischen Sozialdemokraten schneiden noch schwächer ab als die österreichischen oder deutschen. Auch das spricht zumindest aus einem Punkt für die große Weisheit der Wähler: Hatten die Sozialdemokraten doch vor der Wahl ganz offen angekündigt, mit Hilfe der Kommunisten regieren zu wollen.

Das hat ihnen sehr geschadet.

Denn die Tschechen wissen noch sehr genau, was für ein Menschenschlag Kommunisten sind. Bis vor einem Vierteljahrhundert haben diese Tausende wegen ihrer politischen Ansichten ins Gefängnis geworfen, haben Hunderte Menschen ermordet, haben einem ganzen Volk die Freiheit geraubt, und haben das einst im Vergleich zu Österreich reiche Land in arge Armut gestürzt. Dabei war die Tschechoslowakei das einzige Land Europas, wo die Kommunisten anfangs demokratisch eine Mehrheit errungen hatten.

Wenig hilfreich für die Sozialdemokraten sind aber auch die schweren inneren Zerwürfnisse in der Partei. Sie landeten daher mit 20 Prozent nur ganz knapp am ersten Platz. Wähler wählen niemanden Zerstrittenen. Hauptschuld an diesen Zerwürfnissen trägt der sozialdemokratische Staatspräsident Zeman. Er führt seit Jahren einen unbarmherzigen Feldzug gegen seine innerparteilichen Gegner (zumindest dann, wenn er gerade nüchtern ist).

Diese Spaltung hätte die Sozialdemokraten sogar dann schwer belastet, wenn sie wie geplant zusammen mit den Kommunisten oder anderen Linksparteien die Mehrheit gehabt hätten (die anderen Linksparteien sind aber nicht einmal ins Parlament gekommen).

Noch eine erfreuliche Prognose: Die tschechischen, deutschen und österreichischen Wahlen sind auch ein positiver Vorgeschmack auf die 2014 fälligen EU-Wahlen: Da wird es sicher keinen Linksruck geben.

Neben diesen erfreulichen Nachrichten von der tschechischen Verwandtschaft gibt es freilich auch zwei unerfreuliche. Die eine ist eben das Machtverständnis von Präsident Zeman. Es wollte und will ohne Rücksicht auf parlamentarische Mehrheiten einen Regierungschef nach eigenem Gutdünken einsetzen. Solche Pläne eines Staatspräsidenten sind in einer europäischen Demokratie ungehörig und einmalig (wenn man einmal von kurzfristigen, aber – angeblich wegen der heftigen Kommentarkritik des Tagebuch-Autors – nie realisierten Überlegungen eines Thomas Klestil aus dem Jahr 2000 absieht).

Zeman hingegen hat einen solchen frechen Demokratiebruch aber schon einmal begangen: Er hat vor ein paar Monaten eine Regierung gegen die Mehrheit des Parlaments inthronisiert. Dagegen hat es erstaunlicherweise keinen Protest aus der EU gegeben.

Das ist nur damit erklärbar, dass Zeman eben ein Sozialist ist. Es sind ja immer nur die Linksfraktionen (grün, rot, linksliberal nach LIF-Art), die ständig mit Schaum gegen die innenpolitischen Verhältnisse in einzelnen Mitgliedsstaaten agitieren. Wie etwa einst gegen Österreich oder zuletzt gegen Ungarn. Obwohl es dort keinerlei mit Tschechien vergleichbare Verletzungen der Demokratie gibt.

Das, was Herr Zeman da neuerlich tun will, hat übrigens zuletzt ein gewisser Franz Josef getan. Es ist überraschend, dass ein tschechischer Präsident ausgerechnet den bei seinen Landsleuten ungeliebten „alten Prochazka“ zum Vorbild zu nehmen versucht.  

Ebenfalls problematisch – wenn auch nicht ganz so schlimm wie Zemans Verhalten – ist ein weiterer Aspekt dieser Wahlen: Die einzigen wirklichen Wahlsieger sind zwei von reichen Unternehmern neu gegründete Parteien. Sie haben 19 beziehungsweise 7 Prozent errungen. Das erinnert lebhaft an zwei ebenfalls neu ins österreichische Parlament gekommene Parteien. Solche früher unbekannten Parteien finden heute zunehmend Unterstützung von Protestwählern. Freilich: Klare inhaltliche Gestaltungsvorstellungen über ihre hohlen Phrasen hinaus haben sie bisher nicht.

Das intellektuelle Vakuum dieser derzeitigen Erfolgsparteien zeigte sich in Tschechien schon in den ersten Stunden nach der Wahl. Die Siegerpartei kündigte dort nämlich sofort an, nicht regieren, sondern in Opposition gehen zu wollen. Dadurch hat vorerst keine mögliche Koalition eine Mehrheit.

Das aber kann genauso wie Zemans Verhalten die Demokratie zerstören. Es ist jedoch kein tschechisches Spezifikum. Denn in immer mehr Ländern findet man Parteien, die nur bei Wahlen reüssieren, aber keineswegs regieren wollen. Oder höchstens irgendwann einmal, wenn ihnen die Wähler eines Tages die absolute Mehrheit geben sollten.

Das aber werden wohl weder die Herrn Babis und Okamura (in Tschechien) noch Herr Grillo (in Italien), noch die Herren Stronach oder Strache schaffen.

Kritisieren und gegen alles zu sein ist bequem und populär. Eine politische Perspektive für das jeweilige Land ist das aber nicht.

Das führt vielmehr immer zur gleichen Konsequenz: zu notdürftigen Koalitionen zwischen Mitte rechts und Mitte links. Nach Deutschland und Österreich droht das nun auch in Tschechien. Und wenn dann einmal auch diese einst „großen“ Koalitionen keine Mehrheit mehr haben, dann droht dem Land die Unregierbarkeit. Die einen haben keine Mehrheit. Die anderen wollen nicht regieren. Wem auch immer das nutzen soll.

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Der Schmied-Fries drucken

Das wird wohl die allerteuerste Hinterlassenschaft der Claudia Schmied. Eine unter ihrer Hauptverantwortung – wenn auch natürlich formal vom Parlament – beschlossene Neuregelung der Restitution von Kulturgütern führt zu der in keinem anderen Land denkbaren Situation: Viele Kulturgüter müssen nun ein zweites Mal restituiert werden. Das dürfte jetzt auch den Beethovenfries von Gustav Klimt als weitaus wichtigsten Teil der Wiener Secession treffen.

Dabei ist den Erben der einstigen Eigentümer keinerlei Vorwurf zu machen. Sie berufen sich nur auf geltendes Recht. So wie man ja auch keinem Frühpensionisten einen Vorwurf machen kann, weil er nicht mehr arbeitet. Der Vorwurf gilt immer nur dem opportunistischen Gesetzgeber, der das eine wie das andere ermöglicht hat.

Schmied hat 2009 für das Gesetz viel Beifall bei den (mit zwei Ausnahmen) ökonomisch, historisch, politisch und juristisch ahnungslosen Kulturjournalisten bekommen. Was ihr wohl nicht sehr unangenehm war (und kurzfristig billiger als die vielen Inserate, mit denen sie viele Medien von ihrer Schulpolitik „überzeugte“). Diese Journalisten hatten in ihrer Mehrzahl die von Rot und Grün verbreitete Mär geglaubt, dass Österreich erst durch die neue Restitution endlich aus einem perpetuierten Nationalsozialismus und Räuberdasein befreit würde. Seit sie merken, was sie – und natürlich vor allem Schmied – damit ausgelöst haben, stottern sie freilich nur noch betreten herum.

Der Beethofenfries der Secession wird jetzt wohl zurückgestellt werden müssen. Da hilft auch die juristische Argumentation nichts, dass es hier ja um ein immobiles Kunstwerk ginge. Da der Fries jedoch keineswegs immer fix befestigt gewesen war, zieht das Argument schon allein aus diesem Grund nicht.

Was viele, über die Schulzerstörerin Schmied hinaus, nicht begreifen: Das ist der Unterschied zwischen dem zu Tausend Prozent zu unterstützenden Anspruch aller NS-Opfer (und ihrer Nachfahren) auf volle Entschädigung einerseits und dem moralisch absolut korrekten Anspruch Österreichs darauf, dass österreichische Kulturgüter auch in Österreich bleiben.

Diese Gesetzesregelung wurde schon nach dem ersten Weltkrieg geschaffen. Sie war von Anfang an – trotz der damaligen gewaltigen Not, die man mit Kunstexporten lindern hätte können, – ein notwendiges Instrument. Nur so konnte der Ausverkauf der österreichischen Kultur verhindert werden. Solche Gesetze gibt es in den allermeisten Ländern der Welt.

Es ist daher auch absolut nichts Unmoralisches daran, dass Österreich dieses Gesetz auch nach dem zweiten Weltkrieg voll in Geltung belassen hat. Schon auf Grund der Vorgeschichte (die damals primär den plötzlich verarmten Adel getroffen hat) ist es absolut absurd, daraus eine antisemitische Haltung abzuleiten. Noch absurder ist es, jetzt die Dinge so darzustellen, als ob da ein Ausfuhrverbot willkürlich verhängt worden wäre.

Richtig ist: Dieses Kulturgüter-Ausfuhrverbot ist schlecht für die Eigentümer. Es schmälert ganz eindeutig den Wert ihres Besitzes. Das ist aber in Österreich genauso wie in allen anderen Kulturländern. Das war vor der Nazi-Zeit genauso wie nachher, auch wenn politische-korrekte Dummköpfe es heute als spezifische Bosheit gegen die NS-Opfer darstellen wollten. Zugleich haben die Erben bei der ersten Restitution einen durchaus namhaften Preis für die Überlassung des Werkes an die Republik erzielt.

Daher ist es einfach absurd, wenn Österreich auf Grund des Schmied-Gesetzes nun Dinge zum zweiten Mal restituiert, nur weil beim ersten Mal dieses Ausfuhrverbot schmerzhaft gewesen ist. Besonders skurril wird diese Regelung dann, wenn die Republik damals den Empfängern der Kulturgüter einige davon abgekauft hat, während im Gegenzug für andere, gleichzeitig erhaltene Objekte eine Ausfuhrgenehmigung erteilt worden ist. Auch das war kein Antisemitismus, sondern in aller Regel ein fairer Deal.

Die Kulturgüter sind zuvor jedenfalls immer ohne Auflage in volles Eigentum restituiert worden. Das Thema eines Verkaufs einzelner Objekte an die Republik – meist an irgendein Museum – hing nicht mit der Restitution zusammen, sondern kam erst wegen des allgemein gültigen Ausfuhrverbots ins Spiel. Dieses gesetzliche Verbot ist dann – gleichsam in einem umgekehrten Akt – für einzelne Objekte auf Antrag der betroffenen Familien außer Kraft gesetzt worden.

Besonders absurd ist, wenn heute ein damals bestandener Geldbedarf als Argument ins Spiel gebracht wird, weswegen der Fries – oder andere Objekte – an die Republik verkauft worden sind. Das ist doch immer der Normalfall. Es ist fast immer der Bedarf an dem erzielbaren Geld, der einen Verkäufer motiviert.

Erzählt man Kunstexperten aus anderen Ländern, etwa auch aus Deutschland, die nunmehrige österreichische Rechtslage, so können die nur den Kopf schütteln. Das gibt es in keinem anderen Land.

Nochmals sei ausdrücklich betont: Auch wenn das furchtbare Leid durch den Holocaust nie mehr gut oder gar rückgängig gemacht werden kann, so ist doch völlig klar: Bei allen materiellen Gütern, die von den Nazis geraubt, beschlagnahmt oder sonstwie entwendet worden sind, ist eine vollständige Rückstellung am Platz. Wie sie ja in allen bekannten Fällen auch stattgefunden hat. Beim Beethovenfries geht es jedoch um eine neuerliche, eine zweite "Rückstellung" von Gütern, die nach der Rückstellung an Österreich verkauft worden sind.

Diese erfolgt eben nur deshalb, weil es seit 2009 ein erstaunliches Gesetz so ermöglicht. Und das ist eben vor allem deswegen zustandegekommen, damit eine der unglückseligsten Ministerinnen der Nachkriegszeit ein paar gute Rezensionen in der Kulturjournalistenszene erhält.

Übrigens: Restituierte Kulturgüter, die nicht an die Republik, sondern an Privatpersonen verkauft worden sind, bleiben voll und unbestritten in deren Eigentum. Auch das zeigt, dass das Schmied-Gesetz mit Gerechtigkeit überhaupt nichts zu tun hat.

PS: Hätte Österreich eine führungsstarke Regierungsspitze, würde jetzt sehr rasch eine Überarbeitung des unglücklichen Schmied-Gesetzes erfolgen. Aber eben: hätte. Die SPÖ ist diesbezüglich sowieso fanatisch und blind. Und die ÖVP hat seit dem Ausscheiden von Franz Morak keinen einzigen Kulturexperten mehr in ihren Reihen.

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Gut gemeint: Der Papst, die Sparsamkeit und die Effizienz drucken

Stündlich wird mit der Maßregelung des Bischofs von Limburg durch den Papst gerechnet. Der muss wohl handeln, will er nicht seinen binnen kurzem errungenen Ruf der persönlichen Bescheidenheit und Sparsamkeit gefährden. Nur: Wie sieht es mit der Sparsamkeit des Papstes selbst aus? Was kann man heute schon über die Effizienz seiner vielen gutgemeinten und weitpublizierten Aktionen sagen, außer dass sie gut gemeint waren? Ein näherer Blick auf diese zeigt: Gut gemeint ist noch keineswegs immer gut gelungen.

Der argentinisch-italienische Papst hat zwar im Gegensatz zu seinem deutsch-trockenen Vorgänger ein charismatisches Talent für Ausstrahlung und Symbole. Aber bisweilen sollte man auch nüchtern hinter die Symbole blicken und deren Wirkung prüfen.

Wohl meist publiziertes Symbol war der Entschluss des neuen Papstes, nicht in den von vielen seiner Vorgänger benutzten päpstlichen Gemächern zu wohnen, sondern in einem vatikanischen Gästehaus. Das ist für viele der Inbegriff der Bescheidenheit. Durchaus möglich, dass dieses Gästehaus tatsächlich bescheidener ist als die mit viel Geschichte und wohl auch Einrichtung belasteten päpstlichen Räume. Durchaus nachvollziehbar auch, dass Franziskus deren Abgeschiedenheit nicht sonderlich liebt.

Nur eines ist diese Wohnsitzwahl sicher auch: teurer als die Benutzung der alten Papstzimmer. Denn ein vatikanisches Gästehaus ist nichts anderes als ein Hotelbetrieb. Auch geistliche Menschen in violett oder Purpur müssen für dessen Benutzung zahlen, wenn sie ein paar Tage in Rom wohnen wollen. Und wenn dort ein oder mehrere Räume eben nicht mehr vermietet werden können, dann ist das ziemlich schlecht für dieses Gästehaus. Aus örtlichen wie aus Sicherheitsgründen kann der Vatikan aber nicht gleichsam ersatzweise die alte Papstwohnung vermieten. Die steht ungenützt und leer.

Gut gemeint war es aber, gewiss.

Gut gemeint waren auch die anfangs in aller Welt heftig und begeistert kommentierten Telefonanrufe des Papstes bei Menschen, die ihm Briefe oder Mails geschrieben haben. Welch ein wunderbares Gefühl, wenn plötzlich der Papst anruft. Nur: Dem Papst schreiben täglich auch Tausende andere. Darauf antworten aber so wie bisher nur Mitarbeiter im Namen des jeweiligen Papstes.

Jetzt aber werden all diese Menschen, die auch weiterhin nur solche Antworten bekommen, bitter enttäuscht sein. Was früher nicht der Fall war. Denn jetzt rechnet fast jeder Briefschreiber zumindest insgeheim mit dem Anruf eines „Francesco“ aus Rom. Damit ist aber im Ergebnis die Beglückung einzelner mit der Enttäuschung einer tausendfachen Vielzahl erkauft. Von den Spaßvögeln gar nicht zu reden, die angeblich schon Wetten abschließen, mit welcher besonders skurril erfundenen Geschichte es ihnen gelingen könnte, den Papst an den Apparat zu bekommen.

Gut gemeint, gewiss.

Gut gemeint war auch der demonstrative Besuch des Papstes auf Lampedusa, also auf jener italienischen Insel, vor deren Küste Schlepperschiffe die transportierten „Passagiere“ ins Meer setzen (weil sie ja nicht sonderlich gerne anlegen). Nur sehr naive Menschen können es für einen Zufall halten, dass seit diesem Besuch viel mehr Afrikaner – die ja alle daheim vom Papst-Auftritt gelesen, gehört und gesehen haben – die Überfuhr nach Lampedusa versuchen als in früheren Monaten und Jahren.

Gut gemeint, gewiss.

Gut gemeint sind wohl auch die Predigten des Papstes gegen Armut, Hunger und Profit. Nur wird dadurch noch nichts geändert. Viel sinnvoller wäre es gewesen, wenn der Papst klar gesagt hätte, was im Kampf gegen Hunger und Armut wirklich geholfen hat: Das war der Kapitalismus, die Marktwirtschaft, der Rechtsstaat.

Dieser Zusammenhang ist leicht beweisbar. Je mehr ein Land an der wirtschaftlichen Globalisierung teilnimmt, je mehr es die Mechanismen des Marktes wirken lässt, je sauberer und schlanker eine staatliche Verwaltung ist, je weniger sich islamische Geistliche in die Politik einmischen können, je mehr Möglichkeiten die Einzelinitiative jedes Menschen im Vergleich zu Anordnungen der Regierung hat, umso erfolgreicher ist ein Land. Ob man den Erfolg nun am Kampf gegen Hunger und Krankheiten misst oder an einer höheren Lebenserwartung. Aus solchen Ländern will dann übrigens auch kaum noch jemand auswandern. Egal, ob Richtung Lampedusa oder sonstwo hin.

Aus den Texten des früheren Papstes hat man all dieses Wissen und die damit verbundene Weisheit auch herauslesen können. Aus denen des jetzigen Papstes kann man nur herauslesen, dass er es wirklich gut meint, dass er aber nicht wirklich eine Ahnung hat, wie all das denn überhaupt  zusammenhängt. Man sollte es ihm nicht wirklich vorwerfen: Ich glaube nicht, dass man in Argentinien in den letzten Jahrzehnten irgendwo wirtschaftlich Nachahmenswertes lernen konnte. Dazu hätte man schon über die lange Grenze mit Chile nach Westen fahren müssen. Die Tradition der katholischen Kirche, dass man eigentlich immer ein schlechtes Gewissen haben muss, dass nie etwas von Menschen Unternommenes auch gut gelungen sein kann, ist vielleicht nicht ganz hilfreich zur Beurteilung der Effizienz von Entwicklungspolitik.

PS.: Um nicht missverstanden zu werden: Das alles ist weder direkt noch indirekt eine Unterstützung für die von allen Medien berichtete Verschwendungssucht des Limburger Bischofs. Sein Verhalten sollte für kirchliche Würdenträger in alle Zukunft abschreckend sein. Nur eines darf man dem Bischof zubilligen: Sehr viele Bischöfe leben in Gebäuden, deren Errichtung durch noch viel mehr Bauprunk und noch höhere Kosten geprägt gewesen ist. Die Päpste tun das erst recht. Aber dennoch war das die beste Investititon, die jemals in Rom getätigt worden ist. Oder Salzburg: Man stelle sich den Rang der Stadt vor ohne die Prachtbauten der früheren Fürsterzbischöfe. Nur sind eben die Salzburger und all die anderen Bischöfe heute mit (vor allem für die Kirche!) gutem Grund nicht mehr „Fürsten“. Da passt der Prunk nicht mehr. Und das ist gut so. In Hinblick auf die Vergangenheit können Christen aber jedenfalls weiterhin durchaus stolz sein auf all die einmaligen Zeugnisse der architektonischen und sonstigen Kulturleistungen im Namen der Kirche. Über Tausend Jahre waren Mönche und Bischöfe die weitaus wichtigsten Träger der Zivilisation und jeder Form von Kultur in einem lange recht unzivilisierten Kontinent gewesen. Und manch ein Bischof glaubt halt, noch in diesen Zeiten zu leben.

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Nationalratswahlergebnisse seit 1945 drucken

Ergebnisse österreichischer Nationalratswahlen seit 1945 im Überblick in Prozent (in Klammer Mandate)

 

Jahr Beteiligung SPÖ ÖVP FPÖ Grüne BZÖ KPÖ LiF/
NEOS
Stronach
1945 94,3 (165) 44,6 (76) 49,8 (85) 5,4 (4)
1949 96,8 (165) 38,7 (67) 44,0 (77) 11,7 (16)* 5,1 (5)
1953 95,8 (165) 42,1 (73) 41,3 (74) 10,9 (14)* 5,3 (4)
1956 96,0 (165) 43,0 (74) 46,0 (82) 6,5 (6) 4,4 (3)
1959 94,2 (165) 44,8 (78) 44,2 (79) 7,7 (8)
1962 93,8 (165) 44,0 (76) 45,4 (81) 7,0 (8)
1966 93,8 (165) 42,6 (74) 48,3 (85) 5,4 (6)
1970 91,8 (165) 48,4 (81) 44,7 (78) 5,5 (6)
1971 92,4 (183) 50,0 (93) 43,1 (80) 5,5 (10)
1975 92,9 (183) 50,4 (93) 42,9 (80) 5,4 (10)
1979 92,2 (183) 51,0 (95) 41,9 (77) 6,1 (11)
1983 92,6 (183) 47,6 (90) 43,2 (81) 5,0 (12)
1986 90,5 (183) 43,1 (80) 41,3 (77) 9,7 (18) 4,8 (8)
1990 86,1 (183) 42,8 (80) 32,1 (60) 16,6 (33) 4,8 (10)
1994 81,9 (183) 34,9 (65) 27,7 (52) 22,5 (42) 7,3 (13) 6,0 (11)
1995 86,0 (183) 38,1 (71) 28,3 (52) 21,9 (41) 4,8 (9) 5,5 (10)
1999 80,4 (183) 33,2 (65) 26,9 (52) 26,9 (52) 7,4 (14)
2002 84,3 (183) 36,5 (69) 42,3 (79) 10,0 (18) 9,5 (17)
2006 78,5 (183) 35,3 (68) 34,3 (66) 11,0 (21) 11,0 (21) 4,1 (7)
2008 78,8 (183) 29,3 (57) 26,0 (51) 17,5 (34) 10,4 (20) 10,7 (21)
2013 74,9 (183) 26,8
(52)
24,0
(47)
20,5 (40) 12,4 (24) 3,5 (0) 5,0 (9) 5,7 (11)

Anmerkung: FPÖ bis 1953 WdU

Jeweils nur Wahlergebnisse angegeben, etwaige Abspaltungen/Umbenennungen während der laufenden Legislaturperiode sind nicht angeführt.

Quelle: BMI

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Wladimir Putin und Japan, die große Chance: Der Schatz den Putin nur zu heben braucht drucken

In einer Medienwelt die voller Schlagzeilen über Syrien, Präsident Obama, über die Wahlen in Österreich und Deutschland ist – ist am anderen Ende der Welt, im äußersten Osten Asiens – ein alter Konflikt genauso ungelöst wie unbeachtet. Da gibt es zwei große und wichtige Player auf der Weltbühne, beide Mitglied der G8, einer der beiden ist sogar ständiges Mitglied im UN-Weltsicherheitsrat, und diese beiden Nationen haben sehr schwierige – um nicht zu sagen gestörte – Beziehungen zueinander: Russland und Japan.

Seit dem Friedensvertrag von San Francisco 1951 gibt es Streit zwischen den beiden Ländern über die vier südlichsten Inseln des Kurilen-Archipels (wobei wichtig anzumerken ist, dass nach japanischer und amerikanischer Auffassung diese vier Inseln nicht zu den Kurileninseln gehören).

  • Etorofu; russisch: Iturup: 3.184,0 km², ca. 6.100 Einwohner
  • Kunashiri; russisch: Kunaschir: 1.498,8 km², ca. 8.200 Einwohner
  • Shikotan; russisch: Schikotan: 253,3 km², ca. 2.100 Einwohner
  • die Habomai-Gruppe; russisch: Chabomai : 99,9 km², unbewohnt
  • Summe der Flächen: 5.036 km² (im Vergleich: das österreichische Bundesland Burgenland umfasst 3.965 km²)

(Bild: Google-Maps)

Derzeit – und seit 1945 – werden alle Inseln des Kurilen-Archipels sowie die vier umstrittenen Inseln von Russland beansprucht.

Die entscheidenden historischen Vorgänge – wie sich der Konflikt anbahnte

  • Vom 4. - 11. Februar 1945 war die Konferenz von Jalta, wo Stalin versprach, in den Krieg gegen Japan einzutreten. Jedoch erst ein halbes Jahr später, am 8. August 1945, löste er sein Versprechen ein – als Japan praktisch schon besiegt war; zwei Tage nach dem Atombombenabwurf über Hiroshima, einen Tag vor Nagasaki. Japan kapitulierte am 14. August, ohne dass die Rote Armee etwas Nennenswertes dazu beigetragen hätte.
  • Trotzdem bekam Stalin als „Belohnung“ von Roosevelt/Truman und Churchill das nördliche Korea bis zum 38. Breitengrad und das Kurilen-Archipel sowie die vier umstrittenen Inseln (dies war alles japanisch besetzt).
  • Am 18. August 1945, also nach der bereits am 14. August erfolgten Kapitulation Japans gegenüber den USA, begannen sowjetische Truppen mit der Besetzung der gesamten Inselgruppe der Kurilen und der vier umstrittenen Inseln im Süden.
    Nur auf den drei nördlichsten Kurileninseln, Atlassowa (anderer Name: Alaid), Schumschu und Paramuschir gab es japanische Garnisonen und heftige Kämpfe. Die übrigen Inseln wurden kampflos besetzt. Die dort bis dato lebende japanische Minderheit emigrierte mit der japanischen Armee nach Japan, um dem kommunistischen Regime zu entgehen.
  • Am 12. September 1945 kapitulierten die letzten japanischen Truppen. Der Krieg war damit beendet.
  • Am 8. September 1951 wurde der Friedensvertrag von San Francisco geschlossen. Die Sowjetunion unterzeichnete den Vertrag nicht, auch bedingt durch den Koreakrieg.
    Der Vertrag stellt in Artikel 2(c) fest, „dass Japan alle Rechte, Titel und Ansprüche aufgibt bezüglich der Kurilen und des Teils von Sachalin und ihm benachbarter Inseln, die Japan im Vertrag von Portsmouth 1905 abgetreten worden waren“. Es wurden keine exakten geographischen Grenzen der Kurilen festgelegt, allerdings verstanden und akzeptierten die Teilnehmer an der Friedenskonferenz die Position Japans, dass die vier in der Diskussion stehenden Inseln nicht zu den Kurilen gezählt würden.
  • Die USA bekräftigten dies in einer Note an die UdSSR vom 23. Mai 1957, die feststellte, dass das Wort „Kurilen“ im Vertrag von San Francisco und im Abkommen von Jalta die Chabomai-Gruppe, Schikotan, Kunaschir und Iturup weder einschließe, noch, dass solch ein Einschluss beabsichtigt gewesen sei.

Japan unterstreicht diese Auffassung auch durch seine Bezeichnung der vom Konflikt betroffenen Inseln als „nördliche Territorien“ anstatt als „südliche Kurilen“.

Die Haltung Japans

Die japanische Haltung lässt sich auch verstehen, wenn man sich mit der jahrtausendealten Mythologie dieses nur ganz gering christianisierten Landes befasst, wo die Götterwelt, die Entstehung der Erde sowie die Entstehung Japans als unmittelbar verbunden betrachtet wird:

In dieser Mythologie wird beschrieben, dass die japanischen Inseln direkt vom ursprünglichen Götterpaar Izanagi (= Mann) und Izanami (= Frau) geschaffen wurden:

Das Urgötterpaar Izanagi und Izanami, die sowohl Geschwister als auch ein Ehepaar sind, steht zunächst auf der schwebenden Himmelsbrücke und beobachtet das Chaos unter sich. Schließlich rührt Izanagi mit einem Speer im Wasser umher, und als er den Speer zurückzieht, fallen salzige Tropfen zurück ins Wasser und eine Insel – Onogoroshima – entsteht. Das Götterpaar steigt nun auf das neu entstandene Land herab, errichtet einen „Himmelspfeiler“ und vollführt eine Art Hochzeitsritus. Daraufhin entstehen zahlreiche Inseln, darunter auch die acht großen Inseln Japans, sowie eine große Anzahl von Göttern.

Ich denke, dass es diese Mythologie ist – die unglaublich fest im kollektiven japanischen Unterbewusstsein verankert ist –  die alle japanischen Regierungen an den vier umstrittenen Inseln festhalten ließ.

Die bilateralen Beziehungen bis heute

Der ungelöste Streit zwischen Russland und Japan wegen der vier südlichsten Inseln hat bis heute zur Folge, dass kein Friedensvertrag (sondern nur eine Waffenstillstandserklärung) zwischen den beiden Ländern abgeschlossen wurde – auch nach 68 Jahren noch nicht!

Dies führt dazu, dass die Beziehungen zwischen Japan und Russland bis heute unterkühlt sind. Nur in großen Zeitabständen von etlichen Jahren macht man Staatsbesuche, die Seltenheitswert haben.

Im Vergleich dazu möge man die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland, zwischen Deutschland und den USA, sowie zwischen Japan und den USA betrachten – in all diesen Fällen gab es im vorigen Jahrhundert intensivste Kampfhandlungen und dennoch sind all diese Beziehungen zwischen den genannten Ländern als „gut“ bis „sehr gut“ zu bezeichnen. Mit dementsprechend erfreulichen Folgen, was die Wirtschaft und den gegenseitigen Handel der jeweiligen Länder betrifft.

Ich denke, dass es sehr wohl so ist, dass es „befreundete Nationen“ geben kann und auch gibt. Und das sind keine inhaltsleeren Begriffe.

  • Einzelpersonen können befreundet sein. (1. Ebene)
  • Familien können miteinander befreundet sein. (2. Ebene)
  • Clans und Stämme können miteinander befreundet sein. (3. Ebene)
  • Völker und Nationen können miteinander befreundet sein. (4. Ebene)

Bisher war es in den letzten 68 Jahren der Fall, dass so etwas zwischen Japan und Russland nicht zustande kam. Aber dies kann sich ändern, vielleicht rascher als manche glauben. Im April 2013 besuchte der japanische Premier Shinzo Abe den russischen Präsidenten Putin, und es wurde wieder über die Verhandlungen für einen ‚Friedensvertrag Russland & Japan gesprochen. Diese Verhandlungen ziehen sich seit Jahrzehnten äußerst zäh hin.

Natürlich liegt die Frage auf der Hand, warum dieser Streit um die vier Inseln zwischen den beiden großen Nationen Russland und Japan bis jetzt nicht beigelegt wurde:

Prestige, innenpolitische Gründe sowie vermutete Rohstoffe und Fischreichtum sind sicherlich die Hauptgründe. Russland machte einmal ein Angebot, in dem es zwei der umstrittenen Inseln dafür anbot, dass diese gemeinsam von Japan und Russland wirtschaftlich genutzt werden sollen. Dafür sollte dann ein Friedensvertrag abgeschlossen werden.

Dieses Angebot wies Japan zurück. Es beruft sich auf einen bilateralen Handels- und Grenzvertrag von 1855, in dem diese Inseln als japanisch anerkannt worden waren.

Man kann davon ausgehen, dass es in beiden Ländern Gruppen gibt, die den jeweiligen Staatschef aus Gründen des (russischen bzw. japanischen) Nationalismus und des damit verbundenen Prestigedenkens von einer Verhandlungslösung abhalten wollen und dementsprechend Druck ausüben.

Noch stärker ist wahrscheinlich der Druck, der von industrienahen Lobbies beider Länder ausgeht, der ebenfalls einer Verhandlungslösung entgegensteht. Die Situation gleicht also auch im Jahr 2013 immer noch einem gordischen Knoten.

Wladimir Putin als außergewöhnlicher Politiker

Präsident Wladimir Putin ist jetzt 60 Jahre alt und nun schon circa 14 Jahre in höchsten Machtpositionen in Russland (als Präsident bzw. als Premier). Es ist gewiss nicht falsch zu sagen, dass Putin jetzt, 2013, am Zenit seines Lebens und am Zenit seiner politischen Laufbahn ist.

Er hat mit seiner Partei „Einiges Russland“ die gesamte riesige Russische Föderation machtpolitisch eisern im Griff: Im Parlament (Duma), in den Verwaltungsbehörden, in allen Medien, in den Großstädten, in den Regionen, durch die Justiz, Polizeiapparat, Militär durch die Geheimdienste usw. usf.

Um es kurz zu fassen: Die Russische Föderation ist heute eine „Putinokratie“, also ein Staat, der zwar formal alle Organe eines demokratischen Staats aufweist, wobei darin durch unzählige Macht- und Personalstrukturen aber sichergestellt ist, dass sich an der beinahe absoluten Macht von Präsident Wladimir Putin in absehbarer Zukunft nichts ändern wird.

Und genau in dieser Situation liegt die Chance von Wladimir Putin: Er kann den gordischen Knoten, der 68 Jahre lang den Friedensvertrag mit Japan verhindert hat, durchschlagen:

Putin kann diese vier Inseln Iturup; Kunaschir; Schikotan und Chabomai ganz einfach Japan zurückgeben! Ein derart unangefochten regierender und machvoller Präsident wie Putin es heute, 2013, ist, der kann das!

  • Putin kann sich über eventuellen Widerstand seitens der Industrie, die an den Bodenschätzen dieser Inseln interessiert ist, und der Fischfangindustrie ganz einfach hinwegsetzen.
  • Putin kann sich über den Widerstand der russischen Nationalisten ganz einfach hinwegsetzen.
  • Auch Ministerpräsident und Parteivorsitzender Dmitri Medwedew, der in seiner Zeit als Präsident eine kompromisslose Haltung zu den vier umstrittenen Inseln einnahm, wird sich dem erklärten Willen seines Chefs Putin zweifellos beugen.
  • Und auch bei allfälligem Widerstand seitens des russischen Außenministeriums: Der Außenminister Sergei Lawrow und seine Beamten – sie sollten sich eingedenk sein, dass Ihre Position einzig und allein vom Wohlwollen des Präsidenten abhängig ist. Soll heißen: Im Fall des Falles genügt ein Federstrich von Präsident Putin und sie werden ihre Positionen los sein.

Putin und der japanische Premier Abe können gemeinsam auf der Grundlage der Rückgabe der Inseln an Japan ein für beide Seiten annehmbares Paket schnüren und den Weg für den Abschluss eines Friedensvertrags freimachen. Es wäre ein historischer Durchbruch nach 68 Jahren Stillstand.

Das Ergebnis, das Putin mit Hilfe der gesteuerten Medien präsentieren könnte

  • Russland anerkennt nach reiflicher Überlegung den Standpunkt von Japan, der auf dem bilateralen Vertrag von 1855 beruht, an. Die Landnahme auf den Kurilen und den vier umstrittenen Inseln von 1945 durch die Rote Armee unter dem Einfluss Stalins wird geringfügig rückgängig gemacht.
  • Russland gibt von den 17.075.400 km² seines Territoriums nur knapp 0,3 Promille ab, nämlich 5.036 km². Was ist das im Vergleich zu den riesigen Landmassen Sibiriens und den davor gelagerten Inseln?
  • Die Kurilen-Inselgruppe (nach japanischer Definition), mit einer Ausdehnung von 5.320 km² verbleibt bei Russland.
  • Auf dem Gebiet der übergebenen vier Inseln würde ein russisches Konsulat eingerichtet werden, weiters würden die dortige Verwaltung, Schulwesen, Ausbildungswesen und Gerichtsbarkeit zweisprachig sein (ganz ähnlich wie in Südtirol).
  • Die vier Inseln bleiben auf Dauer entmilitarisiert, wobei dieser Begriff genau definiert wird.
  • Für die russischstämmige Bevölkerung auf den vier Inseln wird eine Vereinbarung geschaffen, die den Besuch des russischen Territoriums ohne Visum ermöglicht.
  • Durch bilaterale Verträge werden regelmäßige Schiffsverbindungen, eventuell Fährverbindungen, von den vier Inseln sowohl in Richtung Japan als auch in Richtung Russland eingerichtet.
  • Wirtschaftliche Tätigkeiten von russischen Unternehmen auf den vier Inseln sind nach Maßgabe von bilateralen Verträgen zwischen den beiden Nationen möglich.
  • Durch die Unterzeichnung eines Friedensvertrags, der einer solchen Einigung über die vier südlichsten Inseln unmittelbar folgen würde, würden sich bisher ungeahnte Möglichkeiten auf dem Gebiet des Handels, der Wirtschaftskooperation, der wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Zusammenarbeit ergeben.

Die positiven Folgen, die man realistischerweise erwarten kann

Man braucht nicht allzu viel Phantasie, um sich auszumalen, wie zwei hochentwickelte Nationen, die eine hat 143 Millionen, die andere 126 Millionen Einwohner, auf allen möglichen Gebieten zusammenarbeiten könnten: Luft- und Raumfahrt, Schiffbau, Fahrzeugbau, Kernkraftwerke, Universitäten, Medizin-Knowhow und Gesundheitswesen, Tourismus usw. – diese Liste lässt sich noch um vieles verlängern. Nachdem das Kriegsbeil endlich begraben ist, steht einer Freundschaft und intensivem Handeln und Wirtschaften zwischen diesen beiden Nationen nichts mehr im Weg.

Ein Friedens- u. Kooperationsvertrag könnte viel positive, kreative Energie freisetzen, so ähnlich wie wenn ein Elektromagnet, der zuerst auf „Abstoßung“ geschaltet war, plötzlich auf „Anziehung“ umgeschaltet wird.

Beide Nationen würden profitieren: politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich, gesellschaftlich… Die beiden Länder sind einander in manchem ähnlich, z.B. sind beide in einer Wirtschaftskrise, und haben eine stark alternde Bevölkerung und ein demografisches Problem. Aber sie ergänzen sich auch: Russland hat sehr viele Rohstoffe und eine etwas unterentwickelte verarbeitende Industrie, Japan hingegen hat so gut wie keine Bodenschätze, dafür aber eine der besten (Export-) Industrien.

Wladimir Putin könnte als derjenige Präsident in die Geschichte eingehen, der diesen historischen Friedensschluss endlich erreichte. Der frühere Präsident Jelzin war zu schwach dafür, Gorbatschow hatte zu viele andere dringende Themen, um die er sich kümmern musste, und davor war der Kommunismus in der Sowjetunion ein unüberwindliches Hindernis für eine Friedenslösung mit Japan.

Wladimir Putin könnte sich auch den Respekt seitens der gebildeten, urbanen Schichten vor allem in den Großstädten Moskau und St. Petersburg erwerben. Wahrscheinlich würde er Alexei Nawalny und dessen Freunden und sogar den Menschen im Umfeld von Pussy Riot einen gewissen Respekt auf Grund seines außenpolitischen Weitblicks abnötigen.

Man sollte auch daran denken, welche geographische und damit emotionale Distanz zwischen diesen Städten und den vier winzigen Inseln besteht: eine sehr große. Für die politischen Prozesse in Russland sind aber sicherlich die Metropolen im europäischen Teil Russlands maßgeblich.

Für Putin, der gewiss ein Experte in geopolitischer Strategie ist, kommt noch etwas besonders zum Tragen:

Mit einem Friedensschluss und einem Beseitigen der Spannung mit Japan kann er – und somit ganz Russland – auf Jahrzehnte hinaus ein Signal setzen, um den weltweiten Hegemonialanspruch der USA in die Schranken zu weisen. Und er könnte auch der Volksrepublik China signalisieren, dass Russland sich außer China auch noch andere Partner in Fernost sucht.

Man kann davon ausgehen, dass weder die USA noch die VR China – vom strategischen Standpunkt -– erfreut sein würden, wenn sich Russland und Japan einigen und umfassende Verträge miteinander abschließen würden.

Es wäre für Russland und Japan eine Win-Win-Situation, die sich auch auf den Weltfrieden positiv auswirken würde. Und der Macht der dominanten USA, VR China sowie Indien wären Grenzen gezogen. da es Gegengewichte geben würde.

Jetzt wo alle Welt in den Nahen Osten und in die USA blickt:

Wladimir Putin und ebenso Japans Premier Shinzo Abe könnten die Welt überraschen: Mit Sicherheit ist es kein Problem, die Verhandlungen möglichst im Verborgenen zu führen und dann nach einer Einigung mit einer gut inszenierten Veranstaltung an die Öffentlichkeit zu treten.

Beispiele von erfolgreichen Gebietsveränderungen im völkerrechtlichen Sinn

  1. Südtirol: Die Abtrennung Südtirols von Österreich nach der Niederlage des 1. Weltkriegs war zweifellos eine Ungerechtigkeit. Nach langem Leiden Südtirols und seiner Bevölkerung wurde 1946 das Gruber-De-Gasperi-Abkommen in Paris unterzeichnet und nach weiteren Jahrzehnten an Zwistigkeiten wurde schließlich 1992 das Südtirol-Paket finalisiert und Österreich gab die Streitbeilegungserklärung gegenüber der UNO und Italien ab. Am Status Südtirols zweifelt heute kaum jemand und es gibt, wenn überhaupt, nur geringfügige Unzufriedenheiten. Die Entwicklung Südtirols ist eine Erfolgsgeschichte.
  2. Das Saarland: Nach dem verlorenen 2. Weltkrieg war das Gebiet, das vorher zum Deutschen Reich gehörte, zunächst eine französische Besatzungszone, danach eine Art französisches Protektorat, das wirtschaftlich an Frankreich angeschlossen war. 1955 gab es eine Volksabstimmung, wodurch das Saarland der noch jungen Bundesrepublik Deutschland beitrat. Am Status des Saarlands zweifelt heute niemand mehr und es gibt keine Unzufriedenheit. Die Entwicklung des Saarlands ist eine Erfolgsgeschichte.
  3. Die Teilung der Tschechoslowakei: Seit Gründung der Tschechoslowakei im Jahre 1918 waren die Slowaken unzufrieden und fühlten sich gegenüber den bevölkerungsmäßig stärkeren Tschechen benachteiligt. Im Oktober 1968 wurden zwei Teilrepubliken und eine föderative Verfassung geschaffen. Nach dem Ende des Kommunismus zeichnete sich bald ab, dass der föderative Staat Tschechoslowakei auf Dauer keinen Bestand mehr haben würde. Zu den ersten Zerwürfnissen kam es während des sogenannten „Gedankenstrich-Krieges“ um die Landesbezeichnung. Von April 1990 bis Ende 1992 hieß das Land Die Tschechische und Slowakische Föderative Republik.
    Interessenskonflikte zwischen den beiden Landesteilen führten 1992 zum Ende der Tschechoslowakei. Ohne Referendum wurde vom Parlament die Auflösung der Föderation zum 31. Dezember 1992 und damit die Bildung der beiden neuen Staaten Tschechien und Slowakei mit 1. Januar 1993 beschlossen. Am Status der beiden Staaten zweifelt heute niemand mehr und es gibt keine Unzufriedenheit. Die Entwicklungen der beiden Völkerrechtssubjekte Tschechien und Slowakei sind Erfolgsgeschichten.

Ing. Herbert Sutter, Jahrgang 1956, arbeitet in einer Wiener Immobilienfirma.

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Die Ideen der Österreichischen Schule als Grundlage einer Gesellschaft freier Bürger drucken

Dem Ruf der veröffentlichten Meinung nach immer mehr hoheitlicher Regulierung aller Lebensbereiche kommt die Politik nur allzu gerne nach. Von der Benzinpreisbildung bis zur Ladenöffnung, von einer „gerechten“ Entlohnung bis zu „angemessenen“ Mieten – so gut wie nichts soll und darf der freien, privatrechtlichen Vereinbarung mündiger Bürger überlassen bleiben.

Wilhelm Röpke (1899 – 1966): „Eines von beiden wird früher oder später weichen müssen: das freie Gesellschafts- und Wirtschaftssystem oder der heutige Wohlfahrtsstaat.“

Ludwig von Mises (1881 – 1973): „Man kann Liberalismus nicht ohne Nationalökonomie verstehen. Denn der Liberalismus ist angewandte Nationalökonomie, ist Staats- und Gesellschaftspolitik auf wissenschaftlicher Grundlage.“

Was gilt schon der Prophet im eigenen Land – noch dazu in einem, in dem „verantwortliches“ Denken allein Politikern, Beamten und staatsabhängigen Intellektuellen überlassen bleibt und wo kritisches Denken zunehmend als Verrat am „Gemeinwohl“ gilt?

Von den Protagonisten der Österreichischen Schule ist hierzulande heute gerade einmal Friedrich August Hayek, dank des 1974 an ihn verliehenen Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften, bekannt. Allenfalls noch Eugen von Böhm-Bawerk ist manchen ein Begriff. Wenigstens als Portrait, das die letzte gültige 100-Schilling-Banknote zierte. Carl Menger, Friedrich von Wieser oder Ludwig Mises dagegen sind der breiten Öffentlichkeit in Österreich heutzutage weitgehend unbekannt. Mit Murray Rothbard oder den Namen der rezenten Vertreter der Österreichischen Schule weiß allenfalls eine kleine Gemeinde ideengeschichtlich interessierter Zeitgenossen etwas anzufangen. In den USA oder in Großbritannien – Ländern mit Jahrhunderte alter liberaler Tradition – liegen die Dinge anders…

Am Beginn der Österreichischen Schule stand die akademische Auseinandersetzung mit der deutschen „Historischen Schule“, zu deren wichtigsten Protagonisten Werner Sombart, Luigi Brentano und der Kathedersozialist Gustav von Schmoller zählten. Der von Carl Menger 1883 angestoßene „Methodenstreit“ stand im Mittelpunkt dieser Kontroverse. Die historische Schule sah keine Möglichkeit, eine konsistente, von Zeit und Ort unabhängige Wirtschaftstheorie zu entwickeln. Sie konzentrierte sich stattdessen auf die Betrachtung eng umgrenzter Untersuchungsbereiche und versuchte, empirisch gewonnene Erkenntnisse induktiv auf andere Zusammenhänge – von Deutschland auf das größere Ganze – zu übertragen.

Der „Vater“ der Österreichischen Schule, Carl Menger (1840 – 1921), ersann eine logisch deduktive Methode, die den Wert konsistenter Theorien betont und die eine bloße Sammlung empirischer Daten, die niemals allgemein gültigen Erklärungswert besitzen können, vergleichsweise gering schätzt. 1871 erschien Mengers Werk „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“, mit welchem er der bis dahin herrschenden klassischen Werttheorie eine „Grenznutzenbewertung“ entgegensetzte. Es ist ein historisch reizvolles Detail, dass Carl Menger Lehrer und Freund des 1889 durch Suizid zu Tode gekommenen österreichischen Thronfolgers, Kronprinz Rudolf, war. Hätte der die Chance gehabt, seine durch Menger beeinflussten Ideen umzusetzen – wer weiß, welchen Weg die k.u.k. Monarchie – ja ganz Europa – in der Folge eingeschlagen hätte und was unseren Vorfahren erspart geblieben wäre…?

Eugen von Böhm-Bawerk (1851-1914), der zweite große Geist der „Austrians“ war nicht nur als Gelehrter, sondern auch in der Politik tätig. Von 1895 bis 1904 wurde er drei Mal, nach einer Beamtenkarriere im Finanzressort, als Finanzminister ins Kabinett berufen. Im Anschluss daran lehrte er bis zu seinem Tode Finanzwissenschaften an der Universität Wien. In seiner Amtszeit als Finanzminister sah er sich einer ausgeglichenen Gebarung der Staatsfinanzen, die er u. a. durch die Einführung einer direkten Einkommenssteuer (mit einem Spitzensatz von fünf Prozent!) erreichte, sowie einer strikten Golddeckung der Währung verpflichtet. Nach seinem wissenschaftlichen Hauptwerk „Kapital und Kapitalzins“ veröffentlichte er unter dem Titel „Macht oder ökonomisches Gesetz?“ eine kleinere Publikation, in welcher er den Nachweis führte, dass auch ein Staat sich der Gültigkeit wirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten nicht entziehen kann.

Ludwig von Mises (1881 – 1973), ein Schüler Böhm-Bawerks, war der wohl produktivste Geist aus dem Kreise der Protagonisten der Österreichischen Schule. Angesichts seiner staatskritischen Haltung nimmt es nicht Wunder, dass er zeitlebens niemals eine seinem brillanten Geist angemessene Position auf universitärem Boden erlangte. Das Motto „Wes´ Brot ich ess´ des Lied ich sing“ war seine Sache nicht. 1922 veröffentlichte er – ein Jahr nach der Ausrufung der „Neuen ökonomischen Politik“ durch Lenin (die eine Rücknahme zahlreicher Kollektivierungsmaßnahmen unter dem Eindruck katastrophaler Versorgungsmängel brachte) – ein umfangreiches Werk mit dem Titel „Die Gemeinwirtschaft“ (in der englischen Version: „Socialism“).

Darin führt er den stringenten Nachweis für die – angesichts des Fehlens von Marktpreisen – Unmöglichkeit einer Wirtschaftsrechung in der sozialistischen Planwirtschaft. Eine zentral gelenkte Kommandowirtschaft ist zur willkürlichen Preisfestsetzung, zur systematischen Fehlallokation der Ressourcen und damit zu Verschwendung, Ineffizienz und Wohlstandsvernichtung verurteilt. Es ist bemerkenswert, dass bis zum heutigen Tage keine nennenswerte akademische Erwiderung dieses Frontalangriffs auf die Planwirtschaft vorliegt. Mises selbst durfte die empirische Bestätigung seiner Thesen – den Zusammenbruch des Realsozialismus – nicht mehr erleben.

Mit seinem 1929 – noch vor dem „Schwarzen Freitag“ – erschienenen Text „Kritik des Interventionismus“ zeigte dieser Mann geradezu seherische Gaben. Er beschrieb darin jene durch staatliche Geldmengenausweitung und Wirtschaftsgängelung ausgelöste Dynamik, die schließlich in Börsencrash und jahrelanger Depression ihre notwendigen Konsequenzen fand. Dass es den Staatsinterventionisten anschließend auf ganzer Linie geglückt ist, dieses ausschließlich ihrer Politik geschuldete Desaster zu einer „zyklischen Krise des Kapitalismus“ umzudeuten und daraus die Notwendigkeit noch drastischerer Eingriffe in den Markt abzuleiten, ist ein schlechterdings nicht zu überbietender Treppenwitz der Geschichte. Mises´ Hauptwerk ist das 1940 erschienene Werk „Nationalökonomie“ (in der erweiterten englischsprachigen Fassung: „Human Action“). Darin legt er eine umfassende Theorie menschlichen Handelns vor, die weit über den Bereich der Ökonomie hinaus greift.

Der wirkungsmächtigste Nationalökonom des 20. Jahrhunderts, John Maynard Keynes, hat die Auseinandersetzung mit den „Austrians“ indes klar für sich entschieden. Seit den Dreißiger Jahren dominieren seine als „Keynesianismus“ kanonisierten Ideen bis heute die Wirtschaftspolitik. Er hat es verstanden, mit seinem Plädoyer für umfassende staatliche Interventionen in die Wirtschaft die politische Klasse und große Teile der tendenziell marktkritisch und antikapitalistisch eingestellten Intellektuellen auf seine Seite zu ziehen. Zwischen den beiden Weltkriegen setzten nationale Regierungen diesseits und jenseits des Atlantiks konsequent keynesianische Ideen ins Werk.

Die „ordentliche Beschäftigungspolitik des dritten Reiches“ unterschied sich nur marginal vom „New Deal“ der Roosevelt-Administration. Beide setzten auf Staatsverschuldung zugunsten von Arbeitsbeschaffungsprogrammen, massive „soziale Umverteilung“ und vermeintliche Kaufkraftsicherung für die Massen. Marxistische und nationalsozialistische Wirtschaftslenkung sind mit freiem Auge kaum voneinander zu unterscheiden – eine Tatsache, auf die Ludwig Mises schon in den Vierzigerjahren mit Nachdruck hinwies (acht von zehn Programmpunkten des „Kommunistischen Manifests“ wurden von den Nationalsozialisten umgesetzt. Lediglich die Abschaffung des Grundbesitzes und des Erbrechts fehlten noch). Liberale „österreichische“ Konzepte hatten – insbesondere unter den Bedingungen eines in den 40er-Jahren weltweit grassierenden Kriegssozialismus – keine Chance.

Die modernen Vertreter der Österreichischen Schule

Erst nach dem 2. Weltkrieg wurden die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der „Austrians“ – wenn auch nur zum Teil und für jeweils kurze Zeit – z. B. unter der Federführung des Wirtschaftsministers Ludwig Erhard in Deutschland, unter Margaret Thatcher im Vereinigten Königreich, unter Ronald Reagan in den USA und vom Regime Augusto Pinochets in Chile umgesetzt.

Friedrich August von Hayek, (1889 – 1992) ein Schüler L. Mises´, ist der bis heute prominenteste Protagonist der Österreichischen Schule. Seinen Weltruhm begründete er mit dem 1944 erschienen Werk „The Road to Serfdom“ (Der Weg zur Knechtschaft), in welchem er, unter dem Eindruck des Kriegssozialismus, eine eindringliche Warnung vor dem Abgleiten in den Totalitarismus formuliert. Die Veröffentlichung des Textes durch „Readers Digest“ im Jahr 1945 verhalf dem Buch – und dessen Autor – zu weltweiter Popularität. Von größter Bedeutung für sein Werk ist die These von der „Anmaßung von Wissen“, an dem jede zentral planende Macht scheitern muss. 1974 erhält er für „… seine bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der Geld- und Konjunkturtheorie …“ den Nobelpreis für Wirtschaftwissenschaften. Das offizielle Österreich – das Kreisky/Androsch-Regime ist damals auf keynesianischem Kurs – schweigt zu diesem Erfolg eines Landsmannes; es gibt keinerlei Ehrung Hayeks. Seine Thesen finden (in Teilen) ihre reale Umsetzung in der „neoliberalen” Politik Margaret Thatchers im Vereinigten Königreich (insbesondere in deren Kampf gegen die Hegemonie der Gewerkschaften) und den „Reaganomics“ in den USA.

Der in New York geborene Murray Newton Rothbard (1926 -1995) ist der erste nicht aus Europa stammende „Austrian“. Wie sein Mentor Mises versteht er sich eher als politischer Philosoph, denn als Wirtschaftswissenschaftler. Während Hayek und Mises erklärte Vertreter des „Minimalstaatskonzeptes“ waren, lehnt Rothbard jede staatliche Autorität dem Grunde nach ab und wird zum Vordenker einer staatsfreien Ordnung, des „Anarchokapitalismus“. Er steht dabei auf jenem gedanklichen Fundament, das von der spanischen Scholastik und von John Locke (1632 – 1704) gelegt wird, dessen Philosophie strikt dem Konzept des Naturrechts folgt. Rothbards Gedanken basieren auf der Vorstellung von angeborenen, unveräußerlichen Rechten, über die jedes Individuum verfügt und der Locke´schen Idee des „Eigentums an sich selbst“. Wesentliches Kennzeichen seiner Philosophie ist das „Nichtaggressionsprizip“, welches besagt, dass kein Mensch das Recht hat, auf andere Zwang und Gewalt auszuüben oder das Recht, in seinem Namen Zwang und Gewalt auszuüben, an andere zu delegieren. Damit steht er in fundamentalem Widerspruch zu jedem politischen System, dessen Wesen in der Ausübung von Zwang und Gewalt liegt.

Hans-Hermann-Hoppe (geb. 1949) ist einer der bekanntesten lebenden Vertreter der Österreichischen Schule. In Deutschland geboren, unterrichtete er ab 1986 an der Universität von Las Vegas/Nevada Volkswirtschaftslehre. Mit seinem Werk „Demokratie, der Gott der keiner ist“ legt er 2003 eine vernichtende Demokratiekritik vor. Wie sein Lehrer Rothbard plädiert auch er für eine staatsfreie Privatrechtsgesellschaft, deren Konzept er u. A. im genannten Buch skizziert. Der an der Universität Madrid lehrende Jesús Huerta de Soto (geb. 1956), der an der Universität Angers/Frankreich wirkende Jörg Guido Hülsmann (geb. 1966) und Philipp Bagus („Die Tragödie des Euro“) bilden heute die jüngste Generation von Wirtschaftswissenschaftlern, die in der Tradition der Österreichischen Schule stehen. Sie alle haben hochinteressante Abhandlungen zur Geldtheorie vorgelegt, denen – im Lichte der aktuellen Entwicklungen – größte Bedeutung zukommt.

Hoppe meint, wohl zu Recht, dass die Fehler der Massendemokratie nicht auf dem Boden dieses Systems behoben werden können und fordert eine „Nachfolgelösung“. Er meint damit eine (im „Endausbau“) staatsfreie Privatrechtsgesellschaft, in welcher miteinander konkurrierende Agenturen jene Aufgaben wahrnehmen, die der Staat im Laufe der Zeit übernommen hat (z. B. Bildung, Unfall- Kranken und Pensionsversicherung, Straßenbau, Energieversorgung, Rechtsprechung und Sicherheitsproduktion).

Zu glauben, die Schuld der in der „freien westlichen Welt“ (was für ein zynischer Witz!) in den letzten Jahren unübersehbaren Fehlentwicklungen allein einer durch und durch verkommenen Politikerkaste zuschreiben zu können, wäre verfehlt. Die Korruption beginnt vielmehr beim Wahlberechtigten, der, von den vermeintlichen Segnungen des Demokratismus und der vom Wohlfahrtsstaat scheinbar garantierten Sicherheit gegen sämtliche Fährnisse des Lebens geblendet, seiner eigenen Entmündigung, Ausplünderung und Unterdrückung bedenkenlos Vorschub leistet.

Darüber nachzudenken, wie das kurz vor dem Einsturz stehende Gebäude des Wohlfahrtsstaates vor dem Kollaps bewahrt werden könnte, ist verlorene Liebesmüh. Ein bis in die Grundmauern defektes Bauwerk ist durch das bloße Aufbringen einer neuen Fassade einfach nicht zu sanieren. Ein Abriss bis auf die Grundmauern wird sich nicht vermeiden lassen – falls beabsichtigt ist, seine Bewohner davor zu bewahren, bei dessen Zusammenbruch verschüttet zu werden. Andernfalls kann weitergewurstelt werden wie in den letzen Jahren…

Die wohl einzig brauchbare Alternative zum allsorgenden Wohlfahrtsstaat besteht nicht im „Nachtwächterstaat“ (© Ferdinand Lasalle), sondern in einer staatsfreien Privatrechtsgesellschaft.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Was für uns zählt, hat keinen Preis! drucken

„Satanische Verse“ wider die „reine“ Ökonomie des Mainstreams, vorgetragen von Tomáš Sedlacek. Es gehört zu der bitteren Wahrheit des schleichenden Kulturverfalls, dass auch in der Wirtschaftswissenschaft Vorlesungen über die Entwicklungsgeschichte der Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre kaum noch gehalten werden. An die Stelle der Dogmengeschichte ist die „reine“ Ökonomie getreten mit ihrem „ökonomischen Kalkül“ von Nutzen und Aufwand, Kosten und Ertrag, „pleasure and pain“ (W. St. Jevons). Mathematik, Ökonometrie, Modelltischlerei haben sich derart verselbständigt, dass der Verlust ihres Bezugs zur Realität nun schon von den Klagemauern der Massenmedien widerhallt.

Als Musterbeispiel dürfen hier die Voraussagen der hochkarätigen Experten der „Troika“ (IWF, EZB, EU) über die Entwicklung von Griechenlands Wirtschaft angeführt werden, die, kaum veröffentlicht, gleich wieder revidiert werden mussten. Die Versuche, die Entwicklung des Bruttosozialprodukts auf zehntel Prozentpunkte genau vorauszusagen, ruft heute nur noch Kopfschütteln hervor.

Ist Ökonomie Wissenschaft? Nicht im naturwissenschaftlichen Sinn!

Angesichts dieser Leerstelle, den der universitäre Lehrbetrieb offen lässt, darf es uns nicht wundern, dass sich das Buch eines jungen Ökonomen (Jg. 1972) zum Bestseller mausern konnte, welches die herkömmlich gelehrte und praktizierte „reine“ Theorie in Frage stellt oder, wenn wir noch deutlicher werden dürfen, als Humbug entlarvt. Wenn nämlich nach Auguste Comte „der Zweck aller Wissenschaften die Voraussage ist“, dann ist die Ökonomie keine Wissenschaft. „Die letzte Wirtschaftskrise hat erneut gezeigt, dass die Ökonomen die Zukunft einfach nicht vorhersagen können“. (S. 379).

Der Autor, der sich nach dem Urteil vieler seiner Kollegen zu solchen Aussagen „erfrecht“, der Tscheche Tomáš Sedlácek, ist kein meckernder „misfit“ (Ungustl), sondern Chefökonom der größten tschechischen Bank. Er ist Mitglied des Nationalen Wirtschaftsrates. Er hält Vorlesungen an der Prager Karls-Universität und wird laufend zu Gastvorlesungen an namhaften Universitäten in den USA, der Schweiz und sogar Österreich eingeladen. In Yale, Oxford, Cambridge oder London gilt er gar als Kanone („big gun“) und Popstar unter den Ökonomen. Während der Amtszeit von Vaclav Havel war er Berater des Präsidenten, und ihm hat er auch das Vorwort zu seinem Buch „Die Ökonomie von Gut und Böse“ zu verdanken.

In der deutschen Edition ist der Untertitel weggeblieben, der in der tschechischen Originalausgabe und auch in der englischen Übersetzung angeführt ist: „Die Frage nach dem Sinn und nach der Bedeutung des Wirtschaftens vom Gilgameschepos bis zur Finanzkrise“. Mit Fug und Recht darf Tomáš Sedlácek behaupten, er habe mit diesem Buch eine „Kulturgeschichte der Ökonomie“ für gebrannte Kinder geschrieben, die mit der Krise von heute nicht fertig werden. Und dass er das auch noch auf kreative, einfallsreiche und humorvolle Weise getan hat, macht sein Buch zu einer ernsten, bedenkenswerten und zugleich amüsanten Lektüre.

Die falsche Auffassung der Ökonomie als Grund für die Krise

„Einer guten Theorie hält die Wirklichkeit nicht stand“, hat uns Hegel gelehrt. Leider gilt sein Satz auch für schlechte Theorien. In ihnen erkennt Tomáš Sedlácek den eigentlichen Grund für unsere Misere. Unsere Wirtschaftsauffassung ist einfach falsch. Wir betrachten Wirtschaft nicht mehr als Teil unserer Kultur und Zivilisation, sondern glauben, wir könnten sie sich selbst überlassen, irgendeine mystische, geheimnisvolle „unsichtbare Hand“ sorge dafür, dass die Bäume des Eigennutzes in den Himmel des Gemeinwohls wachsen. Wir glauben, die Wirtschaft funktioniere wie ein Mechanismus, nach Regeln der Physik.

Wie bei der Konstruktion eines Automotors ethische Vorschriften nichts zu suchen haben, so verhielte es sich auch mit dem „Wirtschaftsmotor“, der, wenn richtig konstruiert, nach den Mechanismen des Marktes abläuft. Ethische Normen oder „Werte“, so die Auffassung der meisten Ökonomen von Adam Smith bis zu den „Austrians“ (Mises, Hayek etc.), könnten den reibungslosen Ablauf nur stören. Doch, so die These von Sedlacek, in jeder wirtschaftlichen Entscheidung, ob sie nun ein Manager trifft oder der Käufer einer Banane, ist Moral mit im Spiel. „In every purchase, every managerial decision there is moral impact on others”, schärfte er den „Leaders of Tomorrow” in St. Gallen (Schweiz) ein.

Was ist eigentlich ist „wertvoll“ oder „gut“?

Wie konnte es dazu kommen, fragt sich Tomáš Sedlácek, dass eine Wissenschaft, in der „Werte“ eine so große Rolle spielen, „Werte außen vor lässt“, wie man heute neudeutsch sagt? Es ist für ihn geradezu „paradox, dass ein Gebiet (Anm.: gemeint ist die Ökonomie als Wissenschaft), das sich vorwiegend mit Werten beschäftigt, wertfrei sein will“. Er kann Milton Friedman nicht verstehen, für den die Ökonomie eine „positive Wissenschaft“ zu sein hat, „wertneutral“, „die Welt so beschreiben(d) wie sie ist, nicht wie sie sein sollte“ (S. 18). „Im wirklichen Leben“, wendet Tomáš Sedlácek ein, „ist die Ökonomie keine positive Wissenschaft“, die meisten Wissenschafter versuchen sie nur dazu zu machen, um „lästigen Grundfragen – das heißt der Metaphysik – aus dem Wege zu gehen“ (S. 19).

Ein schwerer, doch treffender Vorwurf! Indem wir die Grundfragen nicht mehr stellen, wissen wir auch nicht, ob das, was wir tun, verlangen, veranlassen, eigentlich „gut“ oder „böse“ ist. Ist hohes Wachstum des BIP gut oder sollten wir uns bescheiden mit dem, was wir bereits haben und die ständige Unzufriedenheit aufgeben (vgl. . 400)? Sollen wir Konkurrenz anheizen oder runinöse und halsabschneiderische Konkurrenz dämpfen? Müssen wir über Monopole und hohe Preise, wie Friedrich August von Hayek es vertritt, sub specie aeternitatis froh sein, weil sie den verschwenderischen Umgang mit nichterneuerbaren Rohstoffen hintanhalten oder sollen wir die Rohstoffkonzerne zwingen, sie billig auf den Markt zu bringen, um unsere gegenwärtigen Lebenshaltungskosten zu Lasten der Versorgung künftiger Generationen zu senken? Dürfen wir (ethisch gesehen) alles machen, was wir (technisch) machen können, z.B. die Gene von Pflanzen manipulieren, Tiere oder gar Menschen klonen? Was ist eigentlich überhaupt der Zweck der Ökonomie? Wofür nehmen wir die ganzen Anstrengungen auf uns? Doch wohl nur, um ein gutes Leben zu führen. Doch was ist das, das „gute Leben“?

Die Ökonomie und das gute Leben

Die Antwort geben uns nicht Graphiken, Tabellen, ökonomische Kalküle von Nutzen und Aufwand oder mathematische Modelle, mit denen unsere Lehrbücher voll gestopft sind. Wir finden die Antworten viel eher in unseren Annahmen, Vor-Urteilen, Überzeugungen, Ideologien, Welt-Anschauungen, philosophischen Erkenntnissen und zuletzt sogar in unseren religiösen Überzeugungen. Wirtschaft ist nämlich, so die triviale, doch wahre Aussage von Tomáš Sedlácek, eine kulturelle Erscheinung, ein Produkt unserer Zivilisation.

Dem sollten Ökonomen Rechnung tragen, sie sollten die Grenzen ihres Fachs überschreiten, fordert er. Die Ökonomie kann nämlich nicht verstanden werden ohne „Einbettung“ in die Gesellschaft, also in ihre Gestaltung durch Religion, Philosophie, Wissenschaft, Kunst, Ethik, Moral, Recht, Politik, Machtverhältnisse, staatliche Strukturen, bildungsmäßige Voraussetzungen der Bevölkerung, Arbeitsauffassung, demographische Entwicklung, Stand der Technik, Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen.

Der Mensch, ein unnatürliches Wesen

Das war schon immer so. Im Gilgamesch-Epos wird vor mehr als viertausend Jahren das beschrieben, was wir heute „Stadtwirtschaftspolitik“ nennen. Der Held des Epos, Gilgamesch, will das Leben in der Stadt Uruk für die Bewohner sicherer und angenehmer gestalten. Um sie gegen die Bedrohung von außen zu schützen, umgibt er sie mit einer Mauer und zieht so eine Grenze gegen die drohende, unheimliche, von Dämonen und bösen Geistern beherrschte Umgebung, den undurchdringlichen „Wald“. Gilgamensch scheut den Wald nicht, er holzt ihn ab und zeigt uns Späteren, dass „die Natur existiert, um den Städten und Menschen Rohstoffe und Produktionsmittel zu liefern“ (S. 40).

Hier werden wir Zeugen einer wichtigen geschichtlichen Veränderung: Die Menschen fühlen sich in einem unnatürlichen, künstlichen Konstrukt, in der von ihnen gebauten Stadt, wohl. Gilgamesch lehrte uns, uns als Geschöpfe zu begreifen, „für die es natürlich ist, unnatürlich zu sein“ (S. 342). „Die Natur ist nicht mehr der Garten, … in den er (der Mensch) gesetzt wurde, um den er sich kümmern und in dem er wohnen sollte, sondern nur noch ein Reservoir natürlicher Ressourcen“ (S. 41). Sie liefert Bauholz. Innerhalb der Stadtmauern können sich Reichtum und Wohlstand entwickeln, die Bewohner können sich spezialisieren, Handwerk und Handel blühen auf, durch Erziehung und Zivilisation wird der Mensch aus der Abhängigkeit von der Natur oder, wie Marx schrieb, „aus der Idiotie des Landlebens“ befreit, er gewinnt an „Menschsein“.

Doch das hat seinen Preis: Je mehr Zivilisation, desto abhängiger wird der Mensch von der Gesellschaft (vgl. S. 46). So wie Gilgamesch verhalten wir uns gegenüber der Natur: Wir beuten sie nur noch aus. Und das auf Kosten künftiger Generationen. In „Global 2000“ haben im Auftrage des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter tausende Experten eindrücklich beschrieben, wie wenig nachhaltig wir mit unseren Lebensgrundlagen umgehen.

Was uns die Juden lehren

Zu einem der interessantesten Kapitel des Buches gehört jenes über den Einfluss der Juden, welchen sie seit dem Alten Testament bis zum heutigen Tage auf unsere ökonomischen Auffassungen ausüben. „Die Juden“, so gleich der erste Satz des relevanten zweiten Kapitels, „haben bei der Entwicklung der heutigen europäisch-amerikanischen Kultur und ihrer Wirtschaftssysteme eine Schlüsselrolle gespielt – doch weder die führenden Fachbücher zu ökonomischen Ideen noch andere Wirtschaftstexte haben ihnen viel Platz eingeräumt“ (S. 65). Dabei „können wir den Einfluss des jüdischen Denkens auf das gegenwärtige Stadium der freien Marktwirtschaft gar nicht überbewerten“ (S. 121). Der Autor, so sei hier eingeschoben, verwendet die Bezeichnungen Jude, Hebräer oder Israeli synonym. Mit den führenden Köpfen, die wirtschaftsgeschichtliche Fragen diskutieren, ist er sich über die ausschlaggebende „Bedeutung des Beitrags des jüdischen Denkens und seiner Rolle bei der Entwicklung der modernen kapitalistischen Ökonomie“ einig. Die Juden sind es, die den Himmel auf die Erde holten: „Die hebräische Religion ist also stark mit dieser Welt verbunden, nicht mit irgendeiner abstrakten Welt“ (S. 67).

Die Juden bringen uns die Idee des Fortschritts, ihr Zeitverständnis ist linear, nicht, wie für Gilgamesch, zyklisch, Zeit hat für sie Anfang und Ende. Am Ende kommt der Messias, bringt allen Völkern das „gute Leben“, das Paradies auf Erden, Wohlstand und ewigen Frieden. Mit dem Kommunismus hat Marx diese religiöse Vorstellung in eine säkularisierte Form gebracht.

Reichtum ist keine Schande

Für Juden ist Reichtum keine Schande, ihre Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob, die Begründer des Judaismus, waren alle reich. Reichtum, auch wenn er nur der Befriedigung durch und durch irdischer Bedürfnisse diente, betrachteten die Hebräer als Ausdruck der Gnade Gottes. Sich an äußeren Gütern zu erfreuen und leibliche Bedürfnisse zu befriedigen, ist für Juden keine Sünde, ist doch auch die materielle Welt von einem guten Gott erschaffen. Askese und Armut gehören nicht zu den von Juden gepflegten Tugenden.

„Die Religion des Alten Testaments agierte nicht als asketische Religion, sie untersagte irdische Freuden nicht. Ganz im Gegenteil“ (S. 97). Die Helden der Juden sind keine Heiligen, sondern eher „Trickster“ (S. 75) und manches Mal heroisch Leidende wie Ijob und Jesaja. Sie machten aus ihren Königen und Herrschern keine Götter, sondern wiesen ihnen ihre Fehlbarkeit nach und unterwarfen sie scharfer Kritik. Sie verließen sich lieber auf die Richter, die weniger Exekutivmacht hatten. Politik konnte hinterfragt werden, sie ist alles andere als unfehlbar.

Heute wird Politik und Politikern kaum noch Vertrauen entgegengebracht oder Kompetenz zugetraut. Und was die Ablehnung von Askese für den Konsum bedeutet, braucht hier nicht besonders hervorgehoben zu werden, haben wir doch die Konsum-Ankurbelei und das Güterwachstum zu einer säkularen Religion gemacht.

Wir sind in die Wachstumsfalle hineingetappt und glauben, Güterfülle bedeute mehr Glück und Zufriedenheit. Wir merken gar nicht, wie teuer sie oft erkauft ist. Manchmal nämlich durch Schulden, die uns zu Sklaven machen.

Nur noch Arbeitstier?

Nicht weniger bedeutsam ist die Einstellung zur Arbeit. Anders als bei den Griechen, ist für Juden Arbeit ursprünglich nicht mit Erniedrigung verbunden. Arbeit im Paradies sollte Adam Spaß machen, ihm war die ganze Schöpfung zur Pflege anvertraut, er „herrschte über die Fische des Meeres über die Vögel des Himmels, die Tiere, die sich auf dem Lande regen“, sie alle folgten ihm aufs „Wort“. Der Mensch sollte als Vollender der Schöpfung fungieren. Leider hat sich das mit dem Sündenfall geändert. Vertrieben aus dem Paradies, muss er nun „sein Brot im Schweiße seines Angesichts essen“. Arbeit wurde zum Fluch, der Mensch zum „Roboter“. Robotnik ist das slowakische Wort für „Arbeiter“.

Doch nach jüdischer Auffassung soll der Mensch nicht zum Arbeitstier werden, noch soll die Ökonomie die Gemeinschaft zerstören. Wie Gott bei seiner Schöpfungsarbeit, so sollte auch der Mensch am siebenten Tage ruhen, nachdenken und sich sammeln. Im siebenten Jahr sollte der Boden ausruhen und nicht bebaut werden. Alle sieben Jahre sollten auch die Hebräer, die durch hohe Schulden in die Sklaverei gefallen waren, von ihren Herren aus der Sklaverei und in die Freiheit entlassen werden. Alle sieben mal sieben, also nach 49 Jahren sollten alle Schulden erlassen werden und das Land an die ursprünglichen Stammesfamilien zurückgegeben werden.

Das Wachstum des BIP war also nicht das letzte Ziel aller wirtschaftlichen Aktivitäten, die „Sabattökonomie“ beschränkte es, sogar auf Grund strikter göttlicher Gebote. Gesetzliche Ruhetage, Bodenbrache, Forderungsverzicht, Restitution, ist das ökonomisch vernünftig? Sicher nicht. Ökonomen würden ja zwecks Optimierung am liebsten die Pausen in einer Sinfonie streichen, spottet Vaclav Havel im Vorwort, Pausen „ sind ja schließlich zu nichts gut, sie halten nur den Lauf der Dinge auf, und die Mitglieder des Orchesters können doch nicht dafür bezahlt werden, dass sie nicht spielen…“ (S. 10).

Glück lässt sich nicht messen

Für die Wirtschaftsauffassung der Griechen haben Poesie und Philosophie größte Bedeutung. Zur Arbeit sind wir Menschen nach Hesiod verdammt durch die Strafe, welche die Götter über den „krummgesinnten Prometheus“ verhängten, der ihnen das Feuer raubte. Tiere brauchen kein Feuer, wir brauchen es zum Leben. Manches Mal verbrennt es uns. So wie in Sodom und Gomorra, Hirsoshima, Nagasaki, Fukushima, Tschernobyl.

Pythagoras lehrte uns Zahlen („numbers“) zu schätzen, aber Zahlengläubigkeit kann man auch übertreiben. Das, worauf es im Leben ankommt, „Glück“, messen sie nicht. Was Glück ist, haben uns Sokrates, Platon und Aristoteles beizubringen versucht – nämlich ein fortwährendes Streben nach dem „Guten“ im persönlichen Leben wie in der Gesellschaft.

Sie räumten jeden Zweifel aus über das, was denn das Gute sei, nämlich das Göttergleiche, ewig Wahre, Schöne und Gerechte. Es sollte Menschsein und Ordnung im Staate bestimmen. Doch das Gute, so lehrten sie es uns, wird einem nicht geschenkt. Zu erreichen ist es nur durch große Anstrengung, Führung und Erziehung zur Tugend. Weisheit, Gerechtigkeitssinn, Klugheit, Tapferkeit, Maßhalten und die überschießenden Triebe zähmen, das gelte es zu entwickeln und dazu müsse auch der Staat, die ganze Politik und selbst die Wirtschaft in die Pflicht genommen werden.

Es gibt kein gutes Leben im falschen

Den Griechen war bewusst, dass der Mensch, dieses „zoon politicón“, dieses auf die „polis“, die Gemeinschaft oder Gesellschaft angewiesene „Tier“, den gut geführten Staat braucht, um ein gutes Leben führen zu können. Die Staatsführung sollte deshalb den „Weisen“ vorbehalten werden, denn „bevor nicht die Philosophen Könige werden oder die Könige Philosophen“, sei an ein Ende der ärgsten Übel im Staate nicht zu denken.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wo Demagogen herrschen – Platon nennt sie „Volksverführer“ – ist mit dem guten Leben Schluss. Bald zweieinhalb Jahrtausende nach Platon und Aristoteles findet Theodor Adorno für die Einsicht dieser beiden griechischen Meisterdenker in die Notwendigkeit einer rechtgestalteten und -geführten „Polis“ (= Stadt, Gesellschaft, Gemeinschaft, Staat) die prägnante Formulierung: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“

Für manche Güter gibt es keinen Markt

Allergrößten Einfluss auf die Entwicklung der modernen Ökonomie hat das Christentum genommen. „Ohne das Christentum“, so die gewagte These von Tomáš Sedlácek, „wären die heutigen westlichen Demokratien mit ihrer freien Marktwirtschaft kaum denkbar“ (S. 170). Dem Christentum ist es gelungen, wesentliche Elemente des jüdischen und griechischen Denkens aufzunehmen, mit seinem Erlösungsglauben eine neue Dimension hinzuzufügen und so zur „Entwicklung der europäisch-amerikanischen Zivilisation“ (S. 170) wesentlich beizutragen.

Zumindest lehrte es uns, den weltlichen Dingen nicht Priorität zuzuerkennen, denn hier auf Erden haben wir keine ewige Heimstätte. Zum Unterschied zum Judentum wird Armut gepriesen. Für das Heil der Seele gibt es keinen Markt, was für uns von wirklichem Wert ist – Freundschaft, Liebe, Selbstzufriedenheit – kann man nicht kaufen. Reichtum öffnet keine Tür zum Himmelreich, der Reiche kommt nicht durchs Nadelöhr.

Gerechtigkeit ist in der Welt nicht zu haben

Neunzehn von dreißig Gleichnisreden Jesu schneiden ökonomische Fragen in einer Weise an, die Ökonomen vor den Kopf stößt. Die Arbeiter im Weinberg erhalten abseits jeder Form von Gerechtigkeit gleichen Lohn für ungleiche Leistungen. Die Verschwendung des Verlorenen Sohnes wird vom Vater dem Fleiß seines Bruders vorgezogen. Der barmherzige Samariter verzichtet auf Kompensation. Die wieder gefundene Drachme wird sogleich verfeiert. Die zwei Münzen, welche die arme Witwe in den Opferkasten wirft, sind mehr wert als die vielfach größere Spende des Wohlhabenden. Die überreiche Ernte einzulagern, wird als wenig sinnvoll bezeichnet. Sich um die Nahrung für den nächsten Tag zu sorgen, erscheint überflüssig, die Sperlinge, für die der Herr sorgt, tun es ja auch nicht (S. 180).

Von überragender Bedeutung ist die Streichung von Schulden. Der Betende bittet den Herrn um die Vergebung seiner Schuld und verspricht auch seinen Schuldigern zu vergeben. Die Schuldner werden von Christus „losgekauft“, und das sogar unter Opferung des eigenen Lebens. Heute halten wir das Versprechen der Schuldvergebung ein, indem wir unsoliden Staaten und Banken ihre Schulden erlassen und sie mit Unsummen loskaufen, die umso größer sind, je mehr sie versagt und je unökonomischer sie gehandelt haben.

Den Gestrauchelten aufzuhelfen, gehört zum Liebesgebot. Unsere ganze moderne Gesellschaft, so Tomáš Sedlácek, „kann ohne die ungerechte Vergebung von Schulden nicht funktionieren“ (S. 174). Marktwirtschaft und Wettbewerbsregeln werden in der Krise ohne Hemmung außer Kraft gesetzt.

Glück ist ein Geschenk

Das Schenken und die „Gnadengabe“ gehören zum Christentum wie das Amen zum Gebet. Die Erlösung ist kostenlos, wir können sie uns nicht „verdienen“, weder durch gute Werke noch Taten (S. 174f). Für Menschen, die sich nahe stehen oder in einer Gemeinschaft zusammenleben, spielt Geld und Bezahlung gar keine oder höchstens eine sehr untergeordnete Rolle.

„Freunde sind Menschen, die sich gegenseitig so viel schulden, dass sie vergessen wie viel“ (S. 178). Ihre Beziehung in Geld oder Preisen auszudrücken, gilt als „vulgär“. Der Vorwurf der „Profitgier“ wird als kränkend empfunden. Privateigentum ist kein absolutes Recht, „die Erde gehört allen gemeinsam“, die Ausübung von Besitzrechten steht unter dem Gemeinwohlvorbehalt (vgl. S. 193).

In den frühchristlichen Gemeinschaften „nannte keiner von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam“ (S195, unter Bezug auf Apostelgeschichte 2, 44 – 4, 35). Tomáš Sedlácek ist der Ansicht, dass die Kommunisten den Christen die Idee des Gemeineigentums verdanken, fügt allerdings hinzu, die Geschichte zeige, „dass die marxistische Vision vom Kommunismus keine funktionierende Alternative zum Kapitalismus bieten konnte“ (vgl. S. 195).

Den idealen Staat gibt es nicht

Mit der Verurteilung der irdischen Welt als „civitas diaboli“ durch Augustinus wurde uns für immer eingeprägt, dass es auf dieser Erde weder den idealen Staat geben, noch den Bürgern der „civitas terrena“ Gerechtigkeit zuteil werden kann. Das Böse kann nicht ausgerottet werden, Unkraut und Weizen gedeihen nur gemeinsam. Das „laissez faire, laissez passé, le monde va de lui même“ der Liberalen findet nach Tomáš Sedlácek hier einen seiner Ursprünge. Noch ältere hat er bei den Stoikern und Aristophanes entdeckt (vgl. S. 203).

Mehr Wirklichkeitssinn als von Augustinus erhielt das Christentum erst durch Thomas von Aquin (1225-1275) und die von ihm vorgenommene „Taufe“ des Aristoteles. Statt Weltverneinung erfolgt jetzt Weltbejahung. „Gott ist in allen Dingen“ (Summa theologica, I, 8, Art. 1), alles was Dasein hat, ob lebendig oder nicht, ob materiell oder geistig, ob vollkommen oder armselig, ja, ob gut oder böse, ist „heilig“ (S. 199), „denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut“ (S. 200).

Ontologisch gesehen, ist jedes Phänomen (Ding, Tatsache), wenn auch noch so unvollkommen und verzerrt, Ausdruck seines „Wesens“ (Noumenon), und dieses ist immer „gut“. „Es existiert kein Böses an (und für) sich“, es gibt kein Heil ohne Unheil, kein Licht ohne Dunkel, „selbst Satan, die Verkörperung des Bösen, spielt eine Doppelrolle: In seiner bösen Rolle hat er die Funktion zu etwas Gutem beizutragen“ (S. 204), er ist „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ (S. 205).

Kein Böses ohne das Gute: Gott pflügt mit dem Teufel

Hier wagt sich Tomáš Sedlácek außerordentlich weit vor. Die größten Gräueltaten wurden, wenn auch irrtümlich, in dem Bemühen begangen, irgendetwas Gutes zu bewirken (S. 202). „Selbst die großen Übel (wie der Holocaust und die Hexenverbrennungen) werden unter dem Vorwand (rhetorisch, aber auch aus Überzeugung vieler heraus) begangen, dass hinter diesem Bösen ein größeres Gutes steht (die Nazis führten an, das deutsche Volk brauche einen größeren Lebensraum, die Inquisitoren, sie würden die Welt durch ihr Handeln vom Bösen befreien).“ Die Einfügungen in Klammer finden sich im Original!

Diese Passage hat Tomáš Sedlácek den Vorwurf des Antisemitismus eingetragen, doch damit wird er wohl fertig werden. Seine zugespitzte Aussage entspricht nicht nur katholischer Lehre, sondern der Logik. „Es ist unmöglich, Böses zu tun, ohne dass es etwas Gutes gäbe, um dessentwillen man das Böse tut“ (S. 201, unter Berufung auf Thomas v. Aquin, Summa contra gentiles, III. Buch, Kapitel 4, 6-7).

Der Vernunft eine Gasse, doch ohne Vorfahrt

Durch Thomas von Aquin wurden Vernunft und Logik gegenüber dem Glauben ihr Recht eingeräumt. Eine Tat, die für die spätere, „wissenschaftlich“ geprägte Zivilisation und ihre Ökonomie ausschlaggebend wurde. Anders als für Martin Luther, für den die Vernunft „des Teufels Braut“ und eine „Metze“ ist (S. 209), besteht der Aquinate darauf, dass natürliche Vernunft und rechter Glaube sich niemals widersprechen können, denn Gott, der ja selbst Geist ist und sich im Logos der Schöpfung offenbart, täuscht weder sich noch uns. Auflehnung gegen die Vernunft ist gleichbedeutend mit der Auflehnung gegen Gott.

Der „Vernunft als Vertretung Gottes im Menschen“ kommt es zu, zu herrschen, nicht auf sie zu hören und entsprechend zu handeln ist für Thomas „Sünde“ (S. 210). Eine höhere Anerkennung kann der Vernunft nicht zuteil werden, sie ist Ausgangspunkt für den „Rationalismus“, der in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft bald triumphieren sollte. Durch übertriebene Rationalisierung wurden Großbetriebe, Verwaltungen und Büros für viele Arbeitnehmer zu frustrierenden, „stählernen Gehäusen der Hörigkeit“ (Max Weber), die ihnen die Lebensfreude nahmen und sie zu Eskapisten machten.

Der Mensch, das gesellige Wesen, braucht Ordnung und Führung

Besondere Beachtung verdient das Hohelied der Gemeinschaft, mit dem Tomáš Sedlácek, gestützt auf Thomas von Aquin, jede individualistische Gesellschaftsauffassung, wie sie heute in liberalen Kreisen gang und gäbe ist, in die Schranken weist. „Es ist aber die natürliche Bestimmung des Menschen, das für gemeinschaftliches und staatliches Leben erschaffene Geschöpf zu sein, das gesellig lebt“, weil es anders seinen Zweck nicht erreicht und auch nicht an den Kulturgütern teilnehmen kann, welche die Gesellschaft ihm bietet. „Wenn er (der Mensch) jedoch in einer Gesellschaft lebt und deren Vorteile nutzen will, muss er Teil der Ordnung sein, die es der Gesellschaft ermöglicht, ein gemeinsames Ziel anzustreben“ (S. 212). Als Teil der Ordnung muss er sich der Führung der Gesellschaft, die auf das gemeinsame Wohl Bedacht nimmt, unterordnen, denn „wo kein Regent ist, zerstreut sich das Volk“ (S. 209, unter Berufung auf Buch der Sprüche 11, 14).

Die Gesellschaft braucht also einen „Steuermann, der am Ruder steht“ (S. 209). Wenn jeder nur auf das bedacht ist, was ihm nützt, würde die Gesellschaft auseinander geraten, „falls nicht eben jemand da wäre, der für das Sorge trägt, was das Wohl der Gesellschaft betrifft“ (S. 209).

Was bleibt außer dem Zweifel?

Die auf die lutherische Verneinung der Autorität von Vernunft und Kirche folgenden politischen Wirren, der dreißigjährige Glaubenskrieg (1618-1648), ließen Zweifel an allem aufkommen, was bis dahin durch Offenbarung, Dogma, Sitte, Recht, Brauchtum oder breiten Konsens als gesicherte Wahrheit galt. Diesen Zweifel griff einer der schärfsten Denker jener Zeit auf, René Descartes (1596 – 1650).

Er ließ nur eine einzige Gewissheit zu, dass er – wie auch jeder andere Mensch – es nämlich selbst ist, der da zweifelte und nach Erkenntnis des Wahren ringt: Cogito ergo sum.

Das „Ich“ oder „Subjekt“, ausgesetzt einer Vielfalt von äußeren Eindrücken, Erfahrungen und Einflüssen unterschiedlichster Art und Stärke, wie konnte es da zu einer allen gemeinsamen und von allen anerkannten Wahrheit gelangen, einem Wissen, dass jedem zugänglich sein sollte? Mit der Stellung dieser Frage leitete Descartes das bis heute andauernde „wissenschaftliche Zeitalter“ ein. Ab nun setzte sich wissenschaftliches Denken zum Ziel, „eine Methode zur Untersuchung der Welt durchzudrücken, die keinen Zweifel zuließ und frei von jeder subjektiven, disputablen Dimension war“ (S. 215).

Das war nur möglich durch Beschränkung auf die „körperlichen“ Teile der Welt, die mit den Sinnen erfasst, gezählt, gemessen und gewogen, deren Bewegungen im Raum beobachtet und zueinander in Beziehung gesetzt werden konnten. Wissenschaft war von nun an nur das, was beobachtet und durch Experiment bewiesen werden konnte. „Unsichtbaren Dingen“, von denen im Credo die Rede ist, oder „Werte“, die auf subjektiven Empfindungen und Urteilen beruhen, waren von da an keine Gegenstände der „science“ mehr.

Die Gegenstände oder „Objekte“ der Wissenschaft, die physischen Körper, zerlegte die Atomistik in ihre kleinsten Teile, die Mechanistik erfasste ihr Zusammenwirken, die aufgefundenen Regelmäßigkeiten wurden als Naturgesetze formuliert und ausgedrückt in einer kulturunabhängigen, allen gemeinsamen Sprache: der Mathematik.

Das ökonomische Kalkül

Tomáš Sedlácek sieht in dieser kartesianischen Beschränkung und Methode „den großen Durchbruch, besonders für Ökonomen“. Der kleinste Teil der Wirtschaft ist das Individuum, das nicht mehr teilbare „Atom“ der Gesellschaft, das so gut es nur kann, seinen „Nutzen“ sucht, mithin der berühmte „homo oeconomicus“. Seine hedonistische (A-)Moral stammt von Epikur. Seine mathematische und mechanistische Seite verdankt er Descartes. Der homo oeconomicus „ist ein mechanisches Konstrukt, das gemäß unfehlbaren mathematischen Prinzipien und durch reine Mechanik funktioniert“ (S. 218).

Das Individuum, „der Mensch wird nicht im Kontext der Gesellschaft definiert“ (S. 226), er wird reduziert „auf ein mechanisch-mathematisches Kalkül“, auf „eine mathematische Gleichung: kalt, distanziert, für alle gleich, historisch und räumlich konstant“ (S. 226). Für eine Rechenmaschine ist es gleich, ob sie in China oder in der Schweiz ihre ökonomischen Kalküle von Nutzen und Aufwand, Ertrag und Kosten, Lust und Unlust, ausführt. „Das einheitliche, fundamentale und alles erklärende Prinzip, zu dem die Ökonomie bei nahezu jeder Gelegenheit neigt, ist verständlicherweise das Selbstinteresse“ (S. 219), der Egoismus, die Selbstsucht.

In allem sein Selbstinteresse zu verfolgen, gehört seit Descartes zum Prinzip der Wirtschaftstheorie des Mainstreams. Die herkömmliche Theorie besteht darauf, keine ethische Wissenschaft zu sein und daher zwischen Gut und Böse nicht zu unterscheiden. Moralische „Werturteile“ verbannt sie in die subjektive Sphäre.

Die Verwandlung von Amoral in Moral

Der Zynismus dieses Systems findet eine kaum überbietbare Darstellung in der berühmten „Bienenfabel“ des Bernhard von Mandeville, durch welche private Unmoral und Laster („private vices“) als Beitrag zum Gemeinwohl („public benefits“) gefeiert werden. Als sie 1723 in zweiter Auflage erschien, rief sie eine riesige Kontroverse hervor, denn alle Gutmenschen und Moralprediger der damaligen Zeit sahen sich der Heuchelei angeprangert und überführt.

„Mandeville begründete die Auffassung, dass der materielle Wohlstand umso größer ist, je mehr Laster es gibt. Das ursprünglich universelle Konzept des Zusammenhangs zwischen Ethik und Ökonomie, dem wir schon im Alten Testament begegnen, wird auf den Kopf gestellt“ (S. 230). Er „war derjenige, der das Konzept in das westliche Mainstream-Denken einführte, dass moralische Laster des Einzelnen dem Ganzen wirtschaftlichen Wohlstand bringen können“ (S. 231).

Er, „nicht Smith, muss als erster moderner Ökonom gelten“ (S. 231). Seine These: „Es gibt keinen Handel ohne Betrug, keine Obrigkeit ohne Bestechung und Korruption“ (S. 232). Sie sind Bedingung für eine florierende Gesellschaft. Wenn der Luxus zusammen mit den oberen, lasterhaften Gesellschaftsschichten schwindet, haben die „kleinen Leute – Bauern, Diener und Dienstmädchen, Schuhmacher und Schneider – unter der gesunkenen Nachfrage zu leiden“ (S. 233).

„Stolz, Luxus und Betrügerei
Muss sein, damit das Volk gedeih …
Mit Tugend bloß kommt man nicht weit;
Wer wünscht, dass eine goldene Zeit
Zurückkehrt, sollte nicht vergessen:
Man musste damals Eicheln essen“.

Mit der Pflege der Kardinaltugenden wird kein Suppentopf gefüllt und kein Rock genäht (vgl. S. 235). Auf welches Wirtschaftssystem haben wir uns da eigentlich eingelassen? Wagen wir es, diese Frage überhaupt noch zu stellen?

Durch die unsichtbare Hand wird aus Gier Fortschritt

Die Wandlung oder Transsubstantiation von Selbstinteresse in Gesamtinteresse, Eigennutz in Gemeinnutz, Eigenwohl in Gemeinwohl geschieht, so unser neuer Glaube, durch eine mystische, geheimnisvolle, „unsichtbare Hand“ („invisible Hand“), deren wunderbares Wirken Mandeville einige Jahre vor Adam Smith wiederentdeckt hat. Und auch dem Markt ordnet er hohe Bedeutung zu. „Nach Ansicht von Mandeville sind die Märkte nicht nur Koordinatoren der menschlichen Interaktionen, sondern (sie) können auch persönliche Laster in öffentliche Vorteile verwandeln“ (S. 239).

Selbst Gier, dargebracht auf dem Altar des Marktes, wird zum „Heilsgut“ oder „Sakrament“: Gier ist „notwendige Bedingung für den Fortschritt einer Gesellschaft“ (S. 238).

„Mandeville war eindeutig ein Befürworter des hedonistischen Programms“. Ja „er ging sogar noch weiter als die Hedonisten: Unsere Nachfrage muss immer weiter wachsen, denn das ist … der einzige Weg zum Fortschritt. In dieser Hinsicht ist die moderne Ökonomie aus seinem Denken erwachsen“ (S. 238). Nie mehr sollten wir zufrieden sein mit dem, was wir haben, denn das würde Stillstand bedeuten. Der „Bliss Point“ (Sättigungspunkt) wird umso schneller höher geschraubt, je mehr wir uns ihm nähern. Massen arbeiten in Jobs, „die sie hassen, nur damit sie kaufen können, was sie gar nicht wirklich brauchen“ (S. 299).

Ist Ziel der Wirtschaft mehr Wirtschaft? Wie kann mehr Wirtschaft ökonomisch sein? Hängt Ökonomie nicht mit dem richtigen Haushalten zusammen, dem Kräftesparen, dem „Optimieren“? „Wenn die Ökonomie ihr Ziel verliert, bleibt uns nur noch eines – ein Wachstum, das nichts kennt als sich selbst, da es kein Ziel als Maßstab hat“ (S. 301). Ist Ziellosigkeit unser Ziel? „Die ganze Produktion scheint eine Leere zu füllen, die sie selbst erzeugt“ (S. 303).

Der schizophrene Adam Smith

Joseph Schumpeter, der in seinem Leben der größte Don Juan, der größte Herrenreiter und der größte Nationalökonom werden wollte (und bedauerte, die beiden ersten Ziele nicht erreicht zu haben), hatte für einen Hagestolz wie Adam Smith, der nie mit einer anderen Frau als seiner Mutter verkehrte, und die Schönheiten und Leidenschaften des Lebens nur aus Literatur kannte, nichts übrig. Er sprach ihm auch als Nationalökonom jede Originalität ab, „denn keine einzige analytische Idee oder Methode und kein analytisches Prinzip“ hätte er neu hervorgebracht (S. 263). Er war sich darin mit Friedrich August von Hayek einig, der sich weigerte, in Adam Smith einen großen Ökonomen zu sehen (ebenda).

Der Historiker Norman Davis hält den kauzigen Schotten gar für einen „chaotischen Mann“, der in Edinburgh zu wiederholten Malen halb nackt auf den Straßen herumlief und schwadronierte, mit seltsam affektierter Stimme und wie in Trance hitzig mit sich selbst debattierend, bei seiner Mutter wohnte und nie eine Chance hatte, eine Frau zu finden (vgl. S. 243). Tomáš Sedlácek – und mit dieser Ansicht ist er keineswegs allein – hält ihn gar für schizophren (vgl. S. 253). Lehnt Smith doch in seinem Buch über die Theory of Moral Sentiments Selbstsucht und Eigeninteresse als verwerflich ab, während er sie in den Wealth of Nations als „die einzige, offenbar ausreichende Verbindung zwischen den Menschen“ ansieht und zur Notwendigkeit von Sympathie, gegenseitigem Wohlwollen und moralischen Gefühlen als Kitt der Gesellschaft „kein einziges Wort sagt“ (S. 252). 

Für Sedlácek kann Smith als Moralphilosoph gelten, „nicht als Ökonom“. Zum „Vater der klassischen Nationalökonomie“ wurde Smith nur bei Freunden der kartesianischen Engführung dieser Wissenschaft, welche bis heute in der Nutzenmaximierung des Egoisten ihr einigendes und einziges Prinzip sehen.

Die Entleerung des Nutzenbegriffs macht die meisten Lehrbücher zur Makulatur

Diesen Freunden wirft Tomáš Sedlácek vor, den Nutzenbegriff derart von allem Inhalt entleert zu haben, dass er jede Bedeutung verlor. Johan Hus maximiert seinen Nutzen, indem er lieber die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen in Kauf nimmt, als seine „ketzerischen“ Überzeugungen zu widerrufen. Ob die Tschechen je diese Tragödie als Verletzung ihres Nationalstolzes überwunden haben und was sie für ihren Sonderweg durch die europäische Geschichte auch wirtschaftlich bedeutete, interessiert Nationalökonomen nicht. Für sie hat Johan Hus seinen Nutzen genauso selbstsüchtig maximiert wie Judas, der seinem Herrn untreu wurde und ihn um 30 Silberlinge verriet.

Den Trick, Selbstsucht moralisch als Laster zu verurteilen und sie in das eher salonfähige, neutralere und weniger anstößige Eigeninteresse „umzutaufen“ (vgl. S. 251), gelang bereits Adam Smith, dem „Moralphilosophen“. Seine Moralphilosophie, so sei nebenbei bemerkt, basierte er im Übrigen, ganz ähnlich wie sein Freund David Hume, auf „Gefühlen“ („sentiments“), ohne zu erkennen, dass irrationale Gefühle niemals imstande sind, eine verbindende und verbindliche Form von Gesellschaftsethik hervorzubringen.

Für Thomas Hobbes war dieses Unvermögen der Grund, nach dem Leviathan zu rufen, der festlegt, was als Gut oder als Böses gilt und der das mit dem Monopol auf Gewalt im Staat auch durchsetzt: auctoritas facit legem.

Gary S. Becker bekam 1992 seinen Nobelpreis für die absurde These, dass alle menschlichen Entscheidungen, seien es wichtige wie die Ehe, oder auch nebensächliche wie der Kauf einer Kinokarte, durch den ökonomischen Ansatz abgedeckt werden. Wie alle Ökonomen des Mainstreams brachte er damit die Ansicht zum Ausdruck, „dass jeder – ganz egal was er macht – seinen Nutzen maximiert“ (S. 279).

Doch was bedeutet das Wort „Nutzen“? „In der Flut der ganzen mathematischen Definitionen haben unsere >strengen< Lehrbücher aber leider vergessen, zu definieren, was der Begriff >Nutzen< eigentlich bedeutet“.

Das geschah ganz mit Absicht, denn wenn ihre Verfasser „eine Definition des Nutzens liefern würden, würden die Studenten schnell das Interesse an ihren Büchern verlieren“ (S. 280). Sie wären bloß noch Makulatur. Die Jahre, die sie Studenten zwingen, sich mit tausenden von Optimierungsrechnungen zu befassen, täuschen darüber hinweg, dass ihr Erkenntnisgewinn auf tautologischen Leerformeln beruht, nach dem Muster „TautoUtlity, MaxU“ (S. 279).

Ob der Homo oeconomicus untätig herumsitzt, mit seinen Kindern plaudert, schläft oder arbeitet, er kann gar nicht anders, als in allem, was er macht, seinen Nutzen zu maximieren. Damit tappen die Ökonomen in die poppersche Falle der Unüberprüfbarkeit ihrer Modelle: Wenn es für den homo oeconomicus ausgeschlossen ist, seinen Nutzen nicht zu maximieren, sind Theorie und Modelle, die sein Verhalten erklären wollen, „de facto sinnlos“ (S. 283), sie können nicht „falsifiziert“ werden.

Heute macht sich sogar der Nobelpreisträger Paul A. Samuelson – nach Sedlácek der „orchestrator of the orchestration“ des uniformen Mainstream-Denkens ganzer Generationen von Studenten aller Kontinente – über den tautologischen Inhalt des „Gesetzes von Angebot und Nachfrage“ lustig: Warum ist der Preis von Schweinefleisch so hoch? Weil der Preis für Futtermais so hoch ist. Und warum ist Preis für Futtermais so hoch? Weil der Preis von Schweinefleisch so hoch ist!

Ökonomie ist keine wertfreie und empirische, sondern eine normative Sozialwissenschaft

„Blasphemische Gedanken“ überschreibt Tomáš Sedlácek den zweiten und letzten Teil seines Buches. Blasphemisch sind die geäußerten Gedanken, weil sie allen wesentlichen Annahmen und Methoden der herkömmlichen Wirtschaftstheorie und ihren prominentesten Vertretern widersprechen. Wir fassen hier seine wichtigsten Aussagen zusammen.

Für Tomáš Sedlácek ist die Ökonomie keine empirische Wissenschaft. Es gibt in ihr keine „Gesetzmäßigkeiten“, die sich aus Erfahrungen, Beobachtungen oder Zeitreihen ableiten ließen. Mit ökonometrischen Methoden lassen sich keine Kausalverhältnisse feststellen, z. B. lässt sich die Inflation nicht immer durch die Geldmenge erklären. „Die Benutzung ökonometrischer Modelle für die Projektion der wahrscheinlichen Ergebnisse verschiedener politischer Entscheidungen … gilt weithin als nicht zu rechtfertigen oder sogar als Hauptursache der Probleme, die in letzter Zeit aufgetreten sind“ (S. 366, unter Berufung auf Jeffrey Sachs, Christopher Sims und Stephen Goldfeld: Policy Analysis with Econometric Models, Cambridge 1997, S 107).

 „Mathematik ist eine reine Tautologie.“ (S. 363). „Numerische Einheiten … tragen ihre Existenz in sich, beziehen sich auf nichts, verweisen auf nichts, repräsentieren nichts, stehen für nichts, zeigen nichts an und bedeuten nichts außer sich selbst“ (S. 361). Mathematik hat zur äußeren Welt von sich aus keine Verbindung, die entsteht erst in unserem Kopf. Mathematik benutzen wir als Sprache zur sehr eingeschränkten Beschreibung der Welt.

Wir können die Sonne als Kreis beschreiben, doch sie ist für uns weit mehr. So ist es auch mit mathematischen Modellen. Sie bilden die Realität, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt ab. Ihre Ergebnisse sind nur logische Ableitungen aus getroffenen Annahmen. Ändern sich die Annahmen – und die ändern sich im Zeitverlauf immer – dann auch die Ergebnisse. Mathematische Modelle eignen sich daher auch nicht für Prognosen. Kein mathematisches Modell konnte vor dem Zusammenbruch von Märkten schützen (S. 356).

Die Ökonomie ist keine wertfreie, positivistische Wissenschaft. Sie trifft Aussagen über das, was „ist“ (Analyse), was sein „soll“ (angestrebter Zustand, Ziel) und über die Wege (Maßnahmen, Politik), wie das „Soll“ erreicht werden kann. Urteile über „wirtschaftlich“ und „unwirtschaftlich“, „produktiv“ oder „unproduktiv“, „effizient“ oder „ineffizient““, „exzellent“ oder „dürftig“, „gut oder böse/schlecht“, sind grundsätzlich normativ oder „value loaded“ (Nobelpreisträger Gunnar Myrdal), sie orientieren sich an „Vollkommenheitszuständen“.

Der kartesianische Ansatz der herkömmlichen Ökonomie ist nicht zu halten. Das isolierte, an allem zweifelnde „Ich“ existiert nicht. Die individualistische Gesellschaftsauffassung, derzufolge die Gesellschaft nur eine Summe von Individuen ist, entspricht nicht der Realität.

Der Mensch ist von seiner Natur her ein Gemeinschaftswesen, er wurde „geschaffen als Mann und Frau“ (Genesis 1, 27), er existiert nur als „geselliges Wesen“, als animal culturalis et socialis. Er ist kein „Individuum“, sondern „Person“, in welcher der Geist der Gemeinschaft „tönt“, durchklingt und Ausdruck findet.

Die einzelne Person handelt daher immer nur als „Gemeinschaftswesen“, als „Organ“ einer Gemeinschaft, in deren Auftrag und für diese. Auch das Individuum, der einzelne Mensch, ist kein Homo oeconomicus, der selbstsüchtig seinen Nutzen abwägt, sondern er ist eine Person, die ihre Aufgaben und Pflichten gegenüber der Gemeinschaft mehr oder minder gut erfüllt und dafür von dieser entsprechend geachtet und gesellschaftsüblich (z.B. Beamtengehaltsschema, Kollektivvertrag, im Familienverband häufig auch nichtmonetär!) belohnt wird.

Wie die einzelne Person, so steht auch die ganze Wirtschaft im Dienst des Gemeinwohls, des Bonum commune. Wirtschaftlich primär ist darum nicht das Wohl des Einzelnen, sondern des „Ganzen“. Das „Ganze“, die Gemeinschaft, hat den Vorrang vor den Teilen, den „Angehörigen“, den „Mitgliedern“. Ihre Aktivitäten und Besitztümer stehen unter Gemeinwohlvorbehalt. Den Nachweis für diesen Vorrang bringt Tomáš Sedlácek im kulturgeschichtlichen Teil seines Buches (Gilgamesch, Judentum, Griechentum, Christentum).

In den Bereich der Wirtschaft fällt die Bereitstellung der äußeren Mittel, welche für die Erreichung der von der Gemeinschaft oder „Gesellschaft“ vorgegebenen Ziele notwendig sind. Obwohl betroffen, entscheidet über diese Ziele nicht das einzelne Individuum, es nimmt höchstens Teil an diesen Entscheidungen und beeinflusst sie als mitbestimmendes Glied der Gemeinschaft.

Alle wesentlichen, wirtschaftlich relevanten Entscheidungen werden nicht nach Nutzenkalkülen getroffen, sondern „politisch“ nach den Zielen oder Bedürfnissen der jeweiligen Gemeinschaft (der Nutzen von „to put a man on the moon“ ist keine Rechengröße!). Entschieden wird von den Repräsentanten der Gemeinschaft darüber, welcher Aufwand oder welche Kosten vertretbar erscheinen, und welche nicht. Politische Entscheidungen werden gefällt im politischen „Prozess“. „Die“ Wirtschaft kann in diesem Prozess nur ihren Sachverstand einbringen, der sich auf die Bereitstellung der Mittel bezieht.

Mit Paul Feyerabend warnt Tomáš Sedlácek vor den „Irrwegen der Vernunft“. Der Versuch, die Realität an falsche Denkansätze und Modelle anzupassen und zu vergewaltigen, ist nicht nur für die Wirtschaft von Nachteil, er kann ganze Kulturen und Völker „abschaffen“. Beide fordern auf, die Spanischen Stiefel auszuziehen, die uns an Grenzüberschreitungen hemmen und wieder mehr auf unsere innere Stimme zu hören, welche neue Wege weist: „Farewell to reason“, „anything goes.“ (vgl. S. 396).

Ein Plädoyer für „wildes Denken“

Mainstream-Ökonomen werden sich damit abfinden müssen, dass sie von Fachkollegen herausgefordert werden, welche mit Tolkiens „Herr der Ringe“ oder dem Film „Matrix“ die Ökonomie neu interpretieren.

Solche Fachkollegen warnen vor einem Volk wie die „Orks“, dessen Angehörige wie verrückt daran arbeiten, das Bruttoinlandsprodukt zu steigern und dunklen Mächten als willige Vollstrecker dienen. Die Vertreter dieser neuen Generation von Fachkollegen halten es lieber mit den Elben, jenen Zauberwesen, die in ihren Träumen, Geschichten und Mythen leben und vieles, was sie an Wertvollem besitzen, aus der Vergangenheit schöpfen. Sie schätzen immaterielle Güter höher als materielle und wissen, dass geistiges Kapital der wichtigste Produktionsfaktor ist, um, wie Tomáš Sedlácek meint, „alles nach oben zu ziehen“.

Er und seine Freunde sympathisieren mit den „Auserwählten“ im Film, die Widerstand gegen die „Matrix“ leisten, die die Menschen durch eine hochkomplexe Computersimulation in einer virtuellen Welt gefangen hält, welche Realität suggeriert und von den Gefangenen als „Energielieferanten“ auch noch erhalten wird. Sie loben den Hacker „Neo“ – heute Assange, Manning, Snowden – der das System knacken will, jedoch verfolgt und vom Agenten des Systems, (Adam?) Smith, erschossen wird. Im Film wird der Tote durch den Kuss seiner Komplizin und Freundin „Trinity“ wieder auferweckt. Er fängt dann an, ein paar Menschen aus der „Matrix“ zu befreien, um dann bald nach Art des Superman in den Lüften zu entschwinden. Die biblische Geschichte wird so den Kindern von heute nahe gebracht, freut sich Tomáš Sedlácek, und auch darüber, dass die Zahl seiner Hörer in der Welt von Tag zu Tag wächst.

Vielleicht hängt mit dem Durchbruch, den er durch sein Buch erzielt hat, zusammen, dass nun auch „The Other Austrians“ (T. Ehs, 2011), sehr zum Missfallen der Linken und Liberalen, neues Interesse erwecken. Diese „anderen Österreicher“ – schon 1953 hat F. A. Graf von Westphalen für die Kongressbibliothek der USA einige von ihnen gewürdigt – haben nie aufgehört, eine „ganzheitliche“ oder christlich-naturrechtliche Nationalökonomie zu vertreten, welche größten Wert auf die „Einbettung“ von Mikro- und Markroökonomie in Kultur, Politik und Soziales gelegt hat.

Erinnert sei hier nur an Johannes Messner, Anton Orel, Leopold Kohr, Ferdinand Graf von Degenfeld-Schonburg, Othmar Spann, Walter Heinrich, Wilhelm Andreae, Ferdinand A. Graf von Westphalen, Anton Tautscher, Fritz Ottel, Erich Hruschka, Erich Loitlsberger, Joseph Kolbinger, Michael Hofmann, Hans Bach, J. H. Pichler, Anton Schöpf, Adolf H. Malinsky, Geiserich E. Tichy, Ernest Kulhavy, Walter Sertl u. v. a.

Obwohl nach 1945 zu einer „unerwünschten Forschungsrichtung“ zählend, haben sie sich nicht davon abhalten lassen, sich vielfach mit äußerster Schärfe gegen die individualistisch-liberale Gesellschaftsauffassung, die naturwissenschaftlichen Methoden in den Sozialwissenschaften und die neoklassischen Theoreme zu wenden. Im Unterschied zu Tomáš Sedlácek, haben sie ihr eigenes „wildes Denken“, mit dem sie zahlreiche Durchbrüche schafften, durch Ringen um System in geordnete Bahnen gezwungen. Ihre unzähligen Schüler danken es ihnen noch heute.

Tomáš Sedlácek: Die Ökonomie von Gut und Böse, Carl Hanser, München 2012, 447 Seiten. (Übersetzung aus dem Amerikanischen von Ingrid Proß-Gill), ISBN 978-3-446-42823-2, Euro 24,90

Friedrich Romig lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Er verfasste u.a. „Wirtschaft der Mitte“ (Salzburg), „Die Theorie der wirtschaftlichen Zusammenarbeit“ (Berlin), „Die ideologischen Elemente der neoklassischen Theorie – eine Auseinandersetzung mit Paul A. Samuelson“ (Berlin), „Vier Traktate über das Wesen des Konservativismus“ (Wien), „Die Rechte der Nation“ (Graz), „Der Sinn der Geschichte“ (Kiel).

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Die Todsünden des klassischen Liberalismus drucken

Friedrich August von Hayek verdanken wir die folgende Einsicht: „Der echte Liberalismus zeichnet sich dadurch aus, dass er die nicht auf politischem Zwang beruhenden Konventionen des gesellschaftlichen Zusammenlebens als wesentliche Faktoren für die Erhaltung einer sozialen Ordnung betrachtet.“ Der Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 1974 stellt das im Gegensatzpaar von Kosmos und Taxis in seinem Opus Magnum „Die Verfassung der Freiheit“ dar.

Kosmos bezeichnet das, was er eine „spontane Ordnung“ nennt – eine, wenn man so will, „informelle“ Ordnung, die nicht in Gesetzesform gegossen sein muss, die aber jedenfalls nicht oktroyiert wird. Beispiel: die Sprache. Der Begriff Taxis dagegen bezeichnet die (staatliche) Sphäre von Befehl und Gehorsam. In der Sicherung der Rechte des Bürgers mittels einer strikten Beschränkung (der staatlichen) Macht, erblickten die Vertreter des klassischen Liberalismus den Schlüssel zur Bewahrung der Freiheit.

Hans-Hermann Hoppe, einer der prominentesten lebenden Vertreter der „Austrian School“ und radikaler Staatskritiker, sieht den ersten fundamentalen Fehler des klassischen Liberalismus darin, dass er sich – anstatt konsequent Freiheit und Eigentum der Bürger zu schützen – auf die Seite des Staates stellt, der gewaltsam in deren Eigentum eindringt, indem er – ohne Zustimmung der Betroffenen – von ihm festgelegte Zwangsabgaben (Steuern) erhebt. Denn der Staat „… eine durch zwei typische Charakteristika geprägte Agentur: den Anspruch, innerhalb eines begrenzten Territoriums monopolistischer „Rechtsetzer und Letztentscheider“ zu sein; und dem Recht, Zwangsabgaben einzuheben,“ schafft das ihm genehme Gesetz, anstatt Recht zu suchen und zu finden – ein fundamentaler Widerspruch zur klassisch-liberalen Forderung nach der Rule of Law.

Stefan Blankertz kommt in seinem 1997 erschienen Aufsatz „Wie liberal kann ein Staat sein?" zu folgendem Befund: „Missachtung des Eigentumsrechts führt zu einer nicht freiwilligen Interaktion. Diese ist die Struktur der Herrschaft. Prinzipiell kann von jedem Menschen Herrschaft ausgeübt werden. Die Wegnahme oder Zerstörung von Eigentum (eingeschlossen das Eigentum der Selbstbestimmung) ist kriminell, nicht weil es gegen ein Gesetz, sondern weil es gegen das Recht verstößt. Kriminell verhält sich jeder Mensch, der mit Gewalt in die Entscheidungen anderer Individuen interveniert.“ Er liefert damit eine einleuchtende Begründung für das libertäre „Nichtaggressionsaxiom“.

In keiner sozialen Gruppe würde einem Einzelnen je das Recht zugestanden, auch in Streitfällen, in die er selbst involviert ist, als Schiedsrichter zu fungieren. Der Staat jedoch nimmt sich dieses Recht unwidersprochen heraus. Im Fall einer Auseinandersetzung eines Bürgers mit dem Staat entscheidet immer der Staat in letzter Instanz. Der Staat als parteilicher, enteignender Eigentumsschützer – ein offensichtlicher Widerspruch!

Einen zweiten Kardinalfehler des klassischen Liberalismus sieht Hoppe in dessen völlig unkritischer Parteinahme für die Demokratie. Der historische Grund dafür liegt auf der Hand: Die Privilegien des Königs sollten verschwinden. Allerdings wurden im antimonarchistischen Überschwang die persönlichen Privilegien des Monarchen durch funktionelle Privilegien der demokratischen Funktionsträger ersetzt. Dieser Gedanke wird von Bertrand de Jouvenel in seinem Buch „On Power“ bereits Ende der 1940-er Jahre elaboriert ausgeführt. Die Grundannahme, dass Liberalismus und Demokratie natürliche Verbündete wären, ist ein sich hartnäckig haltender Mythos, der durch die Fakten längst widerlegt ist. Totalitärer als die zunehmend alle Lebensbereiche regulierende Demokratie hat kein absoluter Monarch jemals agiert. Den Bürgern sogar vorzuschreiben, auf welche Weise sie ihr Stiegenhaus zu beleuchten haben, oder was und wo sie rauchen oder trinken dürfen, ist selbst den übelsten autokratisch regierenden Tyrannen niemals in den Sinn gekommen.

Während ein Monarch sein Land als Privateigentum betrachtet und „nachhaltig“ bewirtschaftet – schließlich hat er ein dynastisches Interesse an dessen Werterhaltung – folgt das Denken demokratisch gewählter Funktionäre gänzlich anderen Erwägungen. Der demokratische Politiker ist nämlich dem angestellten Unternehmensmanager vergleichbar, nicht aber dem einen Betrieb führenden Eigentümer! Er hat folglich größtes Interesse daran, innerhalb der kurzen, ihm zugestandenen Funktionsperiode das Maximum an Ertrag herauszuholen, zu dessen Gunsten er langfristige Ziele vernachlässigt. Er denkt eben nur in Vier- oder Fünfjahreszyklen.

Die von Karl Popper (in seinem Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“) formulierte Überlegung, dass Demokratien die Möglichkeit bieten, schlechte Funktionäre abzuwählen und durch bessere zu ersetzen, ist durch die Realität nicht zu belegen. Der Grund liegt in den völlig unterschiedlichen Funktionsweisen der Sphären von Markt und Politik. Zum Verständnis dieses Umstandes lesenswert ist das 1914 erschienene Buch „Der Staat“ von Franz Oppenheimer. Er definiert darin zwei Arten, Einkommen zu erwerben: Erstens das wirtschaftliche Mittel, also den freien Austausch von Waren oder Dienstleistung gegen Geld – ein Verfahren, bei dem beide Seiten gewinnen. Zweitens das politische Mittel – die gewaltsame Enteignung der einen Seite durch die andere – ohne, dass den Enteigneten dafür ein Anspruch auf eine konkrete Leistung erwächst. Während aber den wirtschaftlichen Wettbewerb stets die Besten gewinnen – zum Wohl des Konsumenten – siegen im politischen immer die Übelsten: Diejenigen, die am besten lügen und betrügen können – zum Schaden der Bürger.

Politiker sind skrupellos, der Staat produziert Ungüter

Der Schuster, der Kaufmann und der Zahnarzt – sie liefern aus freien Stücken nachgefragte Leistungen. Sie und alle anderen auf dem Markt tätigen Akteure schaffen Werte – Güter. Hier kann ein Wettbewerb der Nachfrageseite nur Vorteile bringen – unabhängig davon, ob diese nun in niedrigeren Preisen oder in höherer Qualität ihren Niederschlag finden. Der Staat dagegen produziert – nichts.

Man könnte es noch pointierter formulieren, indem man sagt, er produziert nicht nur keine Güter, sondern sogar Übel, also „Ungüter“. Da das so ist, kann ein Wettbewerb in der politischen Sphäre nie zu etwas Gutem führen! Hoppe: „Es kann kein öffentliches Interesse an einen Wettbewerb bestehen, wer der effizienteste KZ-Kommandeur oder der brutalste Räuber ist.“ Schon Kirchenvater Augustinus wusste um dieses Problem, als er dem Staat attestierte, unter Umständen nichts anderes zu sein als eine Räuberbande (zitiert von Papst Benedikt XVI. bei seinem Besuch im Deutschen Bundestag am 22. September 2011).

In einer Erbmonarchie besteht die Möglichkeit, dass zufällig ein dafür charakterlich, geistig und körperlich geeigneter, oder wenigstens „netter“ Mensch auf den Thron gelangt (in Preußen und Großbritannien war es mehrfach der Fall, dass solche Persönlichkeiten die Krone trugen. Österreich hatte leider weniger Glück). Im demokratischen Wettbewerb dagegen würde ein „netter Mensch“ niemals eine Chance haben zu obsiegen. Den demokratischen Wettstreit gewinnen stets die skrupellosesten Individuen. In Österreich etwa hatten anständige Biedermänner wie Josef Klaus oder Josef Taus gegen Bruno Kreisky keine Chance. Was die große, weite Welt angeht, reicht ein Blick auf Figuren von Abraham Lincoln über Georges Clemenceau bis Jacques Chirac. Wer kennt heute noch die Namen ihrer einstigen Gegner?

Das demokratische Prinzip ist nur auf unterster Ebene sinnvoll anzuwenden – also in kleinen Gemeinden, wo jeder jeden kennt und daher die Gefahr einer institutionalisierten Ausbeutung einer Minderheit durch die Mehrheit gering ist (was auch der gerne – kontrafaktisch – als Generalanwalt des Demokratismus zitierte Jean-Jacques Rousseau genau so sah!). Der klassische Liberalismus dagegen – und das ist ein weiterer seiner Kardinalfehler, hatte als Ziel stets eine Weltregierung im Blick.

Da das Wesen der Demokratie in der Aneignung fremden Eigentums mittels Stimmzettels liegt, kann man sich unschwer ausmalen, was angesichts der internationalen Bevölkerungsverteilung in einem solchen Fall heute geschehen würde: Eine asiatisch dominierte Koalitionsregierung würde den in Europa und den USA vorhandenen Wohlstand nach Fernost umverteilen – immerhin leben dort und in Ozeanien mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung!

Der klassische Liberalismus hat einfach übersehen, dass die Demokratie – als Gegenentwurf zur Monarchie – zu einer weithin unbeschwerten Akzeptanz staatlicher Machtansprüche führt: Immerhin bietet sich Krethi und Plethi eine zumindest theoretische Möglichkeit, selbst einmal an die Schalthebel der Macht zu gelangen, was in einer dynastischen Monarchie unmöglich wäre. Die Chimäre der möglichen eigenen Beteiligung an den Staatsgeschäften bildet somit einen billigen Trostpreis für die zunehmende Ausbeutung durch den Staat.

Die Entkoppelung von Recht und Verantwortung einerseits, von individuellen Ansprüchen und Verpflichtungen andererseits, ist im demokratischen Wohlfahrtstaat am Beginn des 21. Jahrhunderts nahezu vollständig verwirklicht. Der Schutz der Rechte des Individuums ist dem Streben nach (wirtschaftlicher Ergebnis-) Gleichheit geopfert worden. Freiheit und Gleichheit sind eben schlicht unvereinbare Ziele.

Der größte Triumph des klassischen Liberalismus bestand wohl in der Sezession von dreizehn amerikanischen Kolonien von deren Mutterland England. Dieses Ereignis liegt mehr als 200 Jahre zurück. Seit damals ging es mit ihm bergab. Spätestens seit Beginn des Ersten Weltkriegs ist der klassische Liberalismus – großteils selbstverschuldet – weltweit mausetot…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien. 

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Das Internet und die Zukunft der Demokratie drucken

Über die Zukunft nachzudenken ist, wenn man die Sache ernst nimmt, ein schwieriges Geschäft; schon die Vergangenheit richtig zu analysieren hat so seine Probleme: Muss man doch wohlbegründete Hypothesen haben, welche gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen, technologischen Faktoren (Variablen) den Gang der Ereignisse mit großer Wahrscheinlichkeit bestimmt haben bzw. bestimmen werden. Ein sicheres Wissen um die Zukunft ist, was die menschliche Gesellschaft etwa im Jahr 2025 betrifft, nicht möglich.

Das gilt sogar für ihren demographischen Aufbau. Das gilt für ihre politischen Werthaltungen. Das gilt für die technischen Tools, die in 12 Jahren zur Verfügung stehen werden. Oder haben Sie im Jahre 2000 auch nur geahnt, was Sie mit Ihrem Handy zwölf Jahre später alles in Sekundenschnelle empfangen und senden können, oder wer aller Ihre Botschaften beobachten und gegebenenfalls analysieren kann?

Und dennoch kann man verschiedene Annahmen machen, wie die nähere bzw. weitere Welt in 10-12 Jahren aussehen wird. Fast alle Menschen tun das; implizit oder explizit: jeder Unternehmer, jede Familie, die z.B. ein Haus baut, jede Gemeinde, die vorsorgt, jede Institution, die noch länger überleben will.

In dieser ausklingenden Legislaturperiode wird der Begriff der Partizipation noch mit herkömmlichen Verfahren der „direkten Demokratie“ diskutiert: Die Instrumente des „Volksbegehrens“, der „Volksbefragung“, der „Volksabstimmung“ – und ihr Verhältnis zueinander – spielen eine dominierende Rolle; ebenso der mögliche (verstärkte) Einfluss der Wähler auf die Kandidatenauswahl.

Ich erspare mir eine durchaus mögliche Kritik am Einsatz von Volksbegehren und Volksbefragung, wie sie in der jüngeren und ferneren Vergangenheit und in der Gegenwart praktiziert worden sind. Die Erinnerung daran, wer die Fragen formuliert, wie sie formuliert sind, und wozu die Ergebnisse (etwa der letzten Wiener Volksbefragung) ge- und missbraucht werden, mag genügen.

Für eine wertende Kurzcharakteristik fehlt mir etwas, was mir selten fehlt: die Worte. Also kurz und neutral: Was gefragt wurde, wie gefragt wurde und wie interpretiert wurde, oblag der Wiener Koalitionsregierung. Es war Partizipation zum Abgewöhnen.

Das periodische Auftauchen des Partizipationskonzepts hat – auch in Österreich – eine lange Geschichte. Erinnern Sie sich an den Slogan der Durchflutung aller Lebensbereiche mit Demokratie (K. Blecha). Dieser machte als Sozialforscher auch ernsthaft den Vorschlag, man solle die Demoskopie als Instrument der Demokratie nutzen. Angesichts der Verwendung von Umfragen im politischen Marketing sträubt sich beim bloßen Gedanken daran mein nicht mehr vorhandenes Haupthaar. Abgesehen davon, dass auch bei Umfragen die Fragen „von oben“ kommen und der Befragung kein Prozess der systematischen Information, der Überlegung und Willensbildung vorausgegangen ist. Die Demoskopie ist keine neutrale Institution, die die „Vox populi“ wertfrei widergibt – auch wenn sie manchmal vorgibt, eine Abbildungsmaschine zu sein, die fast auf Knopfdruck die sogenannte öffentliche Meinung, die dann in den Medien „erscheint“, abzubilden.

Oft stellt sie, in Zahlen ausgedrückt, etwas dar, was es vor der Befragung gar nicht gegeben hat: Sie summierte Reaktionen auf Fragen, die sich der Einzelne nie bewusst gestellt hat; das ist „öffentliche Meinung“, die es als wahrnehmbares Phänomen nur durch das Instrument der Meinungsforschung gibt – und nirgends sonst, außer später in den Medien.

Nein, das Instrument der Meinungsforschung ist kein Demokratieersatz, keine wünschbare Form der Mitwirkung, wie sie für eine Demokratie immer wieder gefordert wird (zu ihrer Vitalisierung, zur Stärkung der Verantwortlichkeit, um die Bereitschaft, Entscheidungen mitzutragen zu erhöhen, ja um konkrete Entscheidungen zu legitimieren).

Die Geschichte der Bürgerbeteiligung

Der Gedanke, die Bürger einer Demokratie, den demos, entscheidend entscheiden zu lassen, ist alt; so alt wie die athenische direkte Demokratie. Die Griechen haben bekanntlich nicht nur die Demokratie entdeckt, sondern auch die Politik, also die Kunst, durch öffentliche Auseinandersetzung Entscheidungen zu erreichen und diesen dann zu gehorchen.

Elias Canetti hat das so gedeutet, dass der Kampf nicht mehr physisch ausgetragen wird und mit der Vernichtung eines Kontrahenten endet, sondern durch das Zählen von Stimmen. Joseph Schumpeter sah in demokratischen Verfahren eine Methode, die darauf abzielt, eine entscheidungsfähige Regierung hervorzubringen. Andere betonten, dass Wahlen dazu zwingen, zwischen miteinander konkurrierenden Expertengruppen/Eliten/Parteien zu wählen.

Bei den griechischen „Erfindern“ war die Sache noch etwas komplexer und zugleich einfacher. In der Volksversammlung wurden nicht nur Beamte auf Zeit gewählt, meist ein Jahr (so kamen im Lauf der Zeit viele dran und erwarben „Erfahrung“). Es wurden auch auf Antrag einzelner Sprecher (die meisten hörten wohl nur zu) konkrete Entscheidungen getroffen. Nur wenige waren stimmberechtigt. Und Teilnahme war gefordert. So heißt es in einer berühmten Perikles-Rede: „Denn einzig bei uns heißt einer, der daran (an den staatlichen Dingen) überhaupt keinen Teil nimmt, nicht ein stiller Bürger, sondern ein nutzloser“. Wer sich nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmert, der war ein „Idiot“ (nicht in unserem Sinne).

Die Teilnahme, die Teilhabe an den politischen Entscheidungen gehörte zu einem „guten Leben“. Von diesem Ideal sind wir heute weit entfernt. Die Selbstverwirklichung wird im „privaten Leben“ angestrebt; zu ihrer Realisierung ist – wohl nach Auffassung der meisten Menschen, die in demokratischen Ländern leben – die regelmäßige, aktive Teilnahme am politischen Leben nicht nötig. Vielfach beschränkt man sich auf den einschlägigen Medienkonsum, auf das Haben (und Wechseln) von Meinungen, auf gelegentliche Gespräche im engeren Lebenskreis, auf die Teilnahme an Wahlen.

Oft wird die Lethargie der Bevölkerung beklagt. „Politikverdrossenheit“ und Desinteresse werden analysiert und es wird nachgedacht, wie man diesen als gefährlich empfundenen Phänomenen entgegenwirken könnte. Dabei wird oft übersehen, dass eine gewisse Lethargie der Bevölkerung durchaus ihr Gutes hat. Eine permanenten Erregung aller über alles wäre auf die Dauer unerträglich, eine Dauerpartizipation vermutlich lähmend, eine ständige Mobilisierung eher ein Kennzeichen einer revolutionären Atmosphäre.

Wie so oft, ist das richtige Maß an politischer Teilnahme der Bevölkerung zu bestimmen. Es liegt zwischen den Extremen der völligen Apathie und der Dauererregung – leider ohne Gedenkstein. Und es ist ziemlich sicher abhängig von unreflektierten Traditionen, gesellschaftlichen Trends, aktuellen Ereignissen und technischen Möglichkeiten.

Einstellung der Österreicher zur direkten Demokratie

Versuchen wir – anhand rezenter sozialwissenschaftlicher Studien und Beobachtungen – einen Blick auf die gegenwärtige Situation zu werfen, auf die Rahmenbedingungen für mehr Teilnahme am politischen Geschehen jenseits von Wahlen: Da sind zum einen Einstellungen/Werthaltungen, zum anderen technische Voraussetzungen zu beachten. Nur ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung interessiert sich eingestandenermaßen „sehr stark“ für Politik (12 Prozent), ein weiteres Drittel (33 Prozent) bezeichnet sich als „einigermaßen interessiert“.

Das sind (abhängig von der Problemlage) sehr variable Größen. Interesse drückt sich u.a. im einschlägigen Medienkonsum, in Gesprächen über politische Ereignisse, in (schwankenden) Beteiligungsraten bei diversen Wahlgängen, aber auch in Einstellungen zu Instrumenten der direkten Demokratie aus. Auf Grund der Ergebnisse des letzten „Demokratievolksbegehrens“ („Mein Oe“) könnte man glauben, dass an einem Mehr an Partizipation nur wenig Interesse besteht; aber das wäre ein Fehlschluss.

Die geringe Unterzeichnerzahl hat viele Ursachen: Eine davon ist der Umstand, dass nicht ein inhaltliches, sondern ein formales Thema (Verfahrensfragen) angesprochen wurde. Dieses ist „kühler“, erfordert „Kennerschaft“, stellt Verfahren als Lösung politischer Fragen zur Diskussion. Bei der Abstimmung zum Bundesheer war hingegen – entgegen den Erwartungen vieler politischer Beobachter/Meinungsforscher – die Beteiligung hoch (obwohl das Interesse am Bundesheer üblicherweise gering ist, traditionelle Parteistandpunkte irritierenderweise verlassen worden waren und das Thema in Zeiten einer Schuldenkrise kaum von brennender Aktualität war).

Obwohl nur ein kleiner Teil der österreichischen Bevölkerung als politisch „stark interessiert“ gelten kann, gilt: Mehr als 50 Prozent finden, dass Instrumente der direkten Demokratie verstärkt zum Einsatz kommen sollten (Herbst 2012), etwa 4/10 finden, man sollte mit dem Ausbau der direkten Demokratie eher vorsichtig vorgehen.

Nur eine knappe Mehrheit findet (in einer Umfrage, in der naturgemäß ohne viel Reflexion, ohne Abwägung nach Konfrontation mit pro und contra-Argumenten geantwortet wird), dass die Bevölkerung nicht automatisch über Verfassungsgesetze abstimmen können soll (falls ein entsprechend starkes Volksbegehren das „erzwingt“). Immerhin 45 Prozent halten eine Abstimmung in einem solchen Fall für wünschenswert.

Für zwei Drittel ist auch eine Abstimmung über Menschenrechte vorstellbar, für fast ebenso viele eine über Steuern und Gebühren. Zwar hält man (ebenso oft) die Warnung für berechtigt, dass bei „verpflichtenden Volksabstimmungen“ (nach entsprechend starken Volksbegehren) viele Entscheidungen am Parlament „vorbei“ fallen. Aber dennoch: Geht nicht „alles Recht vom Volk aus“? Ist nicht das Volk der Souverän (das hat man so gelernt)?

Ja, und rund die Hälfte der Bevölkerung wäre für den Vorschlag, dass man sich via Internet an Volksbegehren beteiligen kann. Demokratische Partizipation per Mausklick, Mitwirkung at our finger tips. Beppe Grillo lässt grüßen. Sein Erfolg mit seiner bizarren Internet-Utopie zeigt, welche Folgen das Versprechen von Mitwirkung durch moderne Mittel unter bestimmten Voraussetzungen (radikale Enttäuschung durch „herkömmliche Politik“) haben kann.

Die „Schwarmintelligenz“ und die „flüssige" Demokratie

 

 

In seiner „besten aller möglichen Welten“ befreit die „Schwarmintelligenz“ den „entmündigten Bürger“ von „vermittelnden Instanzen“. Er träumt von einer radikalen Form der Demokratie, „ohne Parteien, ohne Regierung“, in der (Web-)Bürger über das Netz Kandidaten wählen, Gesetze diskutieren und beschließen. Nachzulesen in dem Buch „5 Sterne“ (von Dario Fo, Beppe Grillo, Gianroberto Casaleggio). Über Demokratie und die Zukunft Europas.

Das Internet ist modern; es ist Teil des Lebens. Hilfsmittel für alles und jedes. Für Information und Kommunikation, für Ein- und Verkäufe, für Bewertungen und Einholung von Bewertungen, für Sammlung und Speicherung von Erfahrungen anderer Menschen, für Austausch mit Gleichgesinnten, für die Organisation von Events, für Instant-Abreaktion in einem Shitstorm … usw. Vor 20 Jahren war es erst wenigen gebrauchs-geläufig. Heute würde sein Zusammenbruch bei vielen Menschen Entzugserscheinungen auslösen.

94 Prozent (2012) haben persönlich die Möglichkeit aufs Internet zuzugreifen. Fast 80 Prozent davon tun das zumindest einmal täglich von zuhause aus. 40 Prozent der User gebrauchen es auch für politische Information (Medienangebote, Blogs, politische Kommunikation). 45 Prozent sind bei einem sozialen Netzwerk angemeldet; weitere 8 Prozent gleich bei mehreren. Rund knappe 2/3 haben ein Smart-Phone mit Internetzugang. Die praktischen Voraussetzungen für „Grillini“ aller Spielarten sind somit einigermaßen gegeben.

Aber mit der Verfügbarkeit von technischen Mitteln steigt nicht automatisch das politische Interesse, das Engagement, der Informationsgrad über Konsequenzen politischer Entscheidungen. Interesse, Engagement, Informiertheit sind vielmehr ein Resultat eines längeren Prozesses, einer politischen Sozialisation. Am Anfang steht oft (nicht immer) das Aufwachsen in einem politischen Milieu (eher abnehmend), die regelmäßige Beschäftigung mit öffentlichen Themen (medial bzw. im sozialen Austausch), Betroffenheit durch ein Problem (beruflich oder privat), die Politisierung durch ein Thema (Atom, EU, Sterbehilfe), das „überpersönliche“ Fragen, z.B. ethische Fragen berührt und längere Zeit in der Öffentlichkeit diskutiert wird.

Auch diese Sozialisation wird sich künftighin im Netz abspielen und andere Formen des politischen Lernens ermöglichen als bisher vorhanden. An einem Beispiel ausgedrückt: Bisher schrieb man (und tut es noch) bei besonderer Erregung Leserbriefe oder Briefe an Abgeordnete (mühsam). Heute reagiert man „spontan“ (und leicht) via E-mail; Treffen in Selbsthilfegruppen oder mit „Gleichgesinnten“ erforderten früher einen längeren Such- und Organisationsprozess – heute sucht und findet man auf Knopfdruck (wenn man weiß, was man sucht).

Und dabei vermischt sich, vom Einzelnen oft unbemerkt, der private und der öffentliche „Raum“. Schließlich „agiert“ man oft von „zuhause“ aus und ist doch vielen öffentlich sichtbar. Die Probleme, die die Verwischung der Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem aufwirft, seien hier nur angedeutet: „Öffentliches Auftreten“ hat eine gewisse Verbindlichkeit, folgt anderen Verhaltensregeln und Rollenmustern als privates Agieren. „Im Netz“ benimmt man sich oft wie eine private oder auch anonyme Person und ist doch zumindest potentiell in einer sichtbaren Öffentlichkeit. Und manche wundern sich, dass sie gesehen werden, wenn sie sich in einer belebten Fußgängerzone blicken lassen. Es ist keine Frage, ob die Möglichkeiten des Netzes für die öffentlichen Angelegenheiten, die „res publica“, genutzt werden. Es ist nur die Frage, wie dies mittel- und langfristig geschieht und wie sich die politische Kultur dadurch verändert.

Viele mit den Fragen „direkter Demokratie“ befasste Menschen, auch sogenannte „Fachleute“, denken in konventionellen Bahnen, wenn sie über Möglichkeiten der Nutzung der „electronic tools“ (Internet & Co) nachdenken: Sie sprechen über die „Wahlen per mouse-click“, wie sie im Baltikum teilweise schon üblich sind; wie sich ein solches Angebot auf die Wahlbeteiligung z.B. bei Hochschülerschaftswahlen auswirken würde; über die mögliche Benachteiligung der nach wie vor „internetfernen“ Bevölkerungsschichten; über Gefahren, die durch eine mögliche „Instant-Politik“, die extrem stimmungsbeeinflusst ist, drohen.

Seltener reflektiert man die Möglichkeiten, die mit den neuen Mitteln gegeben sind – und deren Realisierung freilich wohlüberlegt sein will (was, wie).

Da gibt es z.B. die Möglichkeit, politische Vorhaben frühzeitig einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen; und die Stellungnahmen und Expertisen vieler einzuholen (weit über den Kreis der derzeitigen „Begutachter“ hinaus). „Crowd Intelligence“ heißt das. An einem solchen Prozess könnten unterschiedliche „Anrainergruppen“ teilnehmen: Solche, die nur anonym mitdiskutieren wollen; solche, sie sich durch fachliche Kenntnisse oder berufliche Qualifikation ausweisen (Freilich: Wer bestimmt die?); solche, die unmittelbar vom Problem betroffen sind (Wer definiert das?).

Eine andere Form der politischen Partizipation entwickelt sich unter dem etwas irreführenden Begriff „Liquid democracy“. Da wird nicht einfach abgestimmt, sondern es wird ein politischer Prozess bei einer definierten Gruppe (Parteimitglieder, Gemeindebürger, definierte Betroffene) in Gang gesetzt. Vorschläge werden zu einer bestimmten Frage gemacht – und modifiziert. Man kann seine „Stimme“ an Vertrauensleute delegieren und auch wieder entziehen. Der Diskussionsprozess und seine Schritte und Ergebnisse sind für alle Beteiligten transparent und erst am Schluss erfolgt allenfalls eine Abstimmung.

Geeignet erscheint mir ein solches Modell für regionale Diskussionen/Fragen/Projekte. Die Beteiligung setzt Engagement, Betroffenheit etc. voraus; so wie sich weiterbilden Bildung voraussetzt, erfolgreiche Informationssuche, das Wissen, was man sucht usw.

Das Netz vergisst nicht

Sich als „Konsument“ im Netz zu bewegen ist – nach verhaltensmäßig kurzer Zeit – für sehr viele Menschen geradezu selbstverständlich geworden. Dabei benützt man etwas, dessen Mechanismen und Nebenwirkungen man kaum versteht: Man bestellt Bücher (und wundert sich, dass man wenig später artverwandte Publikationen angeboten bekommt); man erledigt seine Bankgeschäfte online und verlässt sich darauf, vom Rest der Welt unbemerkt zu bleiben; man bucht Flüge und Reisen, spielt im Internet, googelt (statt ins Lexikon zu schauen), dokumentiert auf Facebook & Co jeden kleinen Lebensschritt, kauft und verkauft usw.

Im „Mitbewusstsein“ ist zwar präsent, dass man Spuren hinterlässt, dass „das Netz nicht vergisst“, dass die eigenen Daten gesammelt und verwertet werden können – aber Verhaltenskonsequenzen hat dieses „Mitbewusstsein“ kaum. „Kein Mensch weiß, wie viel Chemiker an ihn denken“, heißt es im metaphorischen Sinn bei Paul Valery. Nun, man weiß nicht, wer sich aller für die „Spuren im Netz“ interessiert, aber man ist erschrocken, wenn man merkt, wer aller Gelegenheit hat beziehungsweise bekommt, darauf zuzugreifen. Nicht nur „internationale Skandale“, auch die permanenten, allgemein gehaltenen Warnungen von offiziellen oder selbsternannten Datenschützern tragen zur Irritation bei. Das Gerücht um „big data“ macht die Medienrunde („dein Verhalten ist komplett vorhersagbar“, du bist durchsichtig“, „wenn man die Daten verknüpft, entsteht der gläserne Mensch“ etc.). Ich wage die (leichte) Prognose, dass derartige Botschaften in Hinkunft zunehmen werden.

Das schafft unter Umständen Probleme für elektronische politische Partizipation. Es mag einem ja (hierzulande!) ziemlich egal sein, ob jemand via Amazon & Co erfährt, welchen Krimi man gekauft hat, in welchem Hotel man gewohnt, welchen YouTube-Beitrag man sich angesehen hat. Welche politischen Stellungnahmen man abgegeben hat, mit wem man über Politik kommuniziert hat, wie man „gewählt“ oder abgestimmt hat: Das aber sollte in aller Regel – außer man will an die Öffentlichkeit treten – geheim bleiben.

Wenn man, so meine These, im Netz als „politisches Wesen“ agiert – in welcher Form auch immer – will man darauf vertrauen können, dass die Daten „sicher“ sind, und dass kein Missbrauch betrieben werden kann (durch Verknüpfung oder Weitergabe). Man will sicher sein, dass Daten nur zu dem Zweck genutzt werden, den man bei seiner Beteiligung im Sinn hatte.

Man möchte vertrauen können; muss vertrauen können. Aber Vertrauen ist eine „veränderliche Variable“. „Veränderliche Variable“ das ist eine Bezeichnung aus der Statistik. Sie bezeichnet z.B. im Experimente jene Größe, deren Variation beobachtet wird, während sich die Rahmenbedingungen ändern. In meinem Beruf als Sozial- und Marktforscher hat man es oft mit der „veränderlichen Variable Vertrauen“ zu tun: So geht es bei vielen Studien um die Frage: „Was konstituiert bzw. gefährdet Vertrauen in Personen (z.B. Politiker), Parteien und andere Institutionen, in Berufsstände, in Marken, Medien, in die Politik oder die Wirtschaft oder gar in die Zukunft“.

Ich will kurz verdeutlichen, wie weit verbreitet das Verlangen nach Vertrauen ist, wie allgegenwärtig im Alltag und in spezifischen Lebenswelten. Es ist im Kern ein Verlangen nach konstanten Verhältnissen, die man kennt. Neues, vom Vertrauten Abweichendes, kann Gefahr bedeuten und mehr als nur das psychische Gleichgewicht stören.

Ein Kind braucht „vertraute“ Personen, sogenannte „Bezugspersonen“, denen es vertrauen können will; es braucht sie nicht nur im Säuglingsalter. Störungen dieses „Urvertrauens“ haben oft lang andauernde negative Folgen. Jugendliche wollen ihren Freunden vertrauen können, dass sie „verstanden“ werden. Lehrer aller Spielart müssen das Vertrauen der ihnen Anvertrauten/der sich ihnen Anvertrauenden gewinnen, um ihrer Rolle gerecht werden zu können. Permanente Skepsis würde gerade in einer arbeitsteiligen Gesellschaft alle notwendigen Abläufe blockieren. Man möchte darauf vertrauen, dass sich die anderen an die gleichen Regeln halten (im Spiel und im Straßenverkehr – siehe „Vertrauensgrundsatz“). Man möchte seinem Partner vertrauen können – auch der chronisch Eifersüchtige, der die Vertrauensbasis durch Kontrollwahn zerstört.

Die „Vertrauensfrage“ ist allgegenwärtig

Man möchte dem Arzt vertrauen, den man aufsucht, dem Handwerker, den man beauftragt, der Bank, der man sein Geld hoffentlich nur temporär überlässt, der Pensionsversicherung, in die man für spätere Zeiten einzahlt, ja auch den Politikern, die für das Gedeihen von Staat, Land oder Gemeinde sorgen sollen. Man möchte „der Wissenschaft“, deren Haus bekanntlich viele Räume hat, vertrauen können, den Medien, die man zur Information nutzt; ja und auch dem eigenen Glauben (ob es sich nun um eine säkulare oder religiöse Weltanschauung handelt).

Die Aufzählung war klarerweise nicht vollständig. Sie sollte nur vor Augen führen, dass „vertrauen können“ allüberall gebraucht wird. Ohne zu vertrauen ist jegliches Handeln schwierig. Ständig zu prüfen, ob man den Bezugspersonen, den Freunden, den Vorgesetzten, den Ärzten, den Wissenschaftlern, den Beamten etc. vertrauen kann, ist praktisch unmöglich; selbst für den habituellen Skeptiker.

Manche Leser werden sich bei dem einen oder anderen Punkt meiner Aufzählung gesagt haben: „ja aber wie soll man denn „denen“ vertrauen können“? Und dennoch ist es bis zu einem gewissen Grad geradezu notwendig. Man lebt nicht nur auf Grund der eigenen Erfahrung. Nicht in der „vertrauten Welt“, schon gar nicht in der „gedeuteten Welt“ (Rilke).

Wenn man politische Partizipation mittels moderner Kommunikationstechniken geordnet auf den Weg bringen will, spielt das Vertrauen in jene Institutionen, die Strukturen und Rahmenbedingungen dafür bereitstellen, eine Schlüsselrolle.

Fragen Sie sich selbst, welchen Institutionen, welcher Einrichtung sie vertrauen würden, wenn es um ihre allfällige politische Partizipation geht; und wie unbedingt das Vertrauen ist. Wodurch kann es allenfalls erschüttert oder gar zerstört werden? Ist es ein Vertrauen auf Zeit (z.B. für einen bestimmten, zeitlich begrenzten Prozess) oder „für immer“? Ist es „blindes“ Vertrauen oder muss es durch gute Argumente gerechtfertigt sein.

Bekanntlich können sich nicht nur Technologien ändern, sondern auch politische Systeme. Daten, die theoretisch unsterblich sind, weil sie nie gelöscht werden, können unbeabsichtigte Folgen haben.

Man darf nie aus dem Auge verlieren, wozu politische Partizipation letztlich dienen soll: Es ist ein altes, ehrwürdiges Ziel, das unter ganz anderen Bedingungen „erfunden“ wurde. Teilnahme am politischen Leben ermöglicht eine Selbstentfaltung, Verwirklichung, die für das „zoon politicon“ charakteristisch ist. Nicht allein (und durch Konsum) wird der Mensch glücklich, sondern erst im Zusammenleben und -wirken mit seinesgleichen. Das Mitwirken stärkt das Vertrauen und das Gefühl, mitverantwortlich zu sein. Hehre Ziele … Es wird vertrauen-können vorausgesetzt, um Vertrauen zu stärken.

Es sind nicht nur technische Lösungen, die vertrauensbildende Wirkungen haben; es muss wohldurchdachte Gesetze geben, die Missbrauch verhindern. „Leaks“ (auch späte) müssen durch Datenlöschung unmöglich werden. Man muss „Bremsen“ in die möglichen Partizipationsprozesse einführen – um nur einige Beispiele zu nennen.

Viele Fragen bleiben offen. Es wird darauf ankommen, sich/einander die richtigen Fragen zu stellen und keine allzu schnellen Expertenantworten darauf zu geben.

Rudold Bretschneider ist seit Jahrzehnten in diversen Cheffunktionen bei GfK (früher Fessel-GfK) tätig und einer der prominentesten Marktforscher und politischen Analysten des Landes.

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Ein nie begangenes Attentat drucken

Die Genugtuung ist Erhard Hartung anzusehen. Ebenso wie Peter Kienesberger und Egon Kufner, zwei Kameraden aus dem Kreis einstiger Südtirol-Aktivisten, widerfährt ihm aufgrund von Forschungsergebnissen des Militärhistorikers Hubert Speckner endlich Gerechtigkeit. In jungen Jahren hatte sich Hartung, Spross einer alteingesessenen Tiroler Familie, im legendären BAS engagiert, dem „Befreiungsausschuss Südtirol“.

Ziel war ein wagemutiger Kampf für die Einheit des nach dem Ersten Weltkrieg geteilten Tirol. Diese Idealisten wollten – vor allem in den 1960-er Jahren – mittels Anschlägen auf italienische Einrichtungen die Weltöffentlichkeit auf das nicht anders als „Besatzungsregime“ zu nennende Gebaren Italiens in Südtirol aufmerksam machen und traten für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts ein. Am Abend des 24. Juni 1967 stiegen die drei zur Porzescharte auf, zum Grenzkamm zwischen dem Osttiroler Bezirk Lienz und der italienischen Provinz Belluno.

Dort sollte die Gruppe, wie Kienesberger berichtet, mit von der italienischen Seite aus aufgestiegenen BAS-Aktivisten aus Südtirol Kontakt aufnehmen und einen verwundeten Kameraden zur Behandlung nach Österreich bringen. Als das vereinbarte Funkkontaktsignal ausblieb und stattdessen das kurze Aufleuchten eines Lichts zu sehen war, vermutete Kienesberger eine Falle des italienischen Geheimdienstes, brach das Vorhaben ab und kehrte mit seinen Kameraden zu deren Ausgangspunkt in der Gemeinde Obertilliach zurück, wo sie eine Stunde nach Mitternacht jenes Fahrzeug bestiegen, mit dem sie gekommen waren.

Just am Morgen des 25. Juni sollen – den offiziellen Ermittlungen zufolge – auf der Porzescharte vier italienische Soldaten zu Tode gekommen sein. Aufgeschreckt durch eine nächtliche Detonation seien sie zum Grenzübergang geeilt, wo – wie im Jahr zuvor – ein Strommast gesprengt worden war. Einer der Männer, der Alpini-Soldat Armando Piva, war demnach durch eine vergrabene Sprengfalle schwer verletzt worden und noch am selben Tag gestorben. Einer eingeflogenen Spezialeinheit soll dasselbe passiert sein: Carabinieri-Hauptmann Francesco Gentile und die Fallschirmjäger Mario di Lecce und Olivo Dordi hätten eine zweite Sprengfalle ausgelöst und seien dabei getötet, ein vierter Soldat, Marcello Fagnani, schwer verwundet worden.

Politische Justiz in Italien

Des von Politikern und Medien so genannten „blutigsten Attentats des Südtirol-Terrorismus“ wurden der im Zusammenhang mit früheren BAS-Aktionen bekannte Elektrotechniker Kienesberger, der bis dahin unauffällige Arzt Dr. Hartung sowie der Unteroffizier des österreichischen Bundesheeres Kufner bezichtigt und schließlich angeklagt. In Florenz wurden Kienesberger und Hartung zu lebenslänglicher, Kufner zu 24 Jahren Haft verurteilt; die Urteilssprüche ergingen 1971 in Abwesenheit der Angeklagten und fußten auf Gesetzen aus der Zeit des Faschismus.

Aufgrund von Erkenntnissen deutscher und österreichischer Höchstgerichte verstieß das florentinische Verfahren ebenso wie andere vor italienischen Gerichten geführte Südtirol-Prozesse vor allem dadurch, dass die Angeklagten nicht zur Hauptverhandlung geladen wurden und ihnen weder die Anklageschrift noch das Urteil zugestellt worden war, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).

In Österreich wurden die drei hingegen freigesprochen. Der Freispruch war – wider alle staatsanwaltschaftlichen Bemühungen, die Täter mittels Schuldnachweis zu überführen – letztlich auf das durch Gutachten untermauerte Hauptargument der Verteidigung zurückzuführen, wonach die ihnen zur Last gelegten Taten im vorgegebenen Zeitrahmen nicht hatten durchgeführt werden können. Wozu die Anwälte ein Weg-Zeit-Diagramm ins Feld geführt hatten, mit dem sie die Geschworenen für ein „in dubio pro reo“ gewinnen konnten.

Die italienische Verurteilung ist indes nach wie vor in Kraft. Die drei gelten als „Terroristen“, und dies nicht nur in Italien, wo sie, reisten sie ein, mit Verhaftung rechnen müssten, sondern auch weithin in der Publizistik und, was ebenso schlimm ist, in der wissenschaftlichen Südtirol-Historiographie. Der Historiker Hubert Speckner, der sich drei Jahre lang intensiv mit der „Causa Porzescharte“ befasst hat, kommt nun zu einem anderen Urteil.

Neue historische Erkenntnisse

Er hat in dieser Zeit alle verfügbaren österreichischen Akten eingesehen, methodisch vorbildlich aufbereitet und ausgewertet. Dazu gehören auch für die Republik „sicherheitsrelevante“ und „streng geheime“, wie die Protokolle der Geheimverhandlungen zwischen den österreichischen und italienischen Sicherheitsbehörden in Zürich (ab Sommer 1966), von denen Nationalrat und Justizministerium allenfalls marginal in Kenntnis waren und die den Anwälten der Beschuldigten seinerzeit vorenthalten worden sind.

Speckner hat dann nach zwei ausführlichen Ortsbegehungen mit Fachleuten sowie gründlichen Analysen seine Schlüsse gezogen. Für ihn ist es höchst zweifelhaft, ob die vier Opfer überhaupt auf der Porzescharte zu Tode gekommen waren. Weder die österreichische noch italienische Seite haben Totenscheine, Obduktionsbefunde oder eine amtliche Tatortbeschreibung in den in Österreich geführten Verfahren vorgelegt.

Zeugen aus Österreich, wie Innenminister Dr. Franz Hetzenauer, ein gebürtiger Tiroler und der Osttiroler Bezirkshauptmann Dr. Othmar Doblander, die nach der Tat unabhängig voneinander den Tatort besichtigten, wurden nicht zu den Prozessen geladen. Hartung, pensionierter Anästhesie-Professor der Uni-Klinik Düsseldorf, sagt, was Speckners Forschungen bestätigen: „Die Berichte dieser Persönlichkeiten wurden offensichtlich bewusst zurückgehalten. Sie belegen, dass der angebliche Tatort ungeschützt war und anders ausgesehen hatte, als er Tage später von einer italienisch-österreichischen Kommission vorgefunden wurde“.

Der ehemalige österreichische Justizminister Prof. Dr. Hans Richard Klecatsky ist heute wie damals davon überzeugt, dass es sich bei dem „angeblichen Attentat um eine rein inneritalienische Manipulation auf der Porzescharte“ gehandelt hat. Plausibel begründet lautet daher eine von Speckners Schlussfolgerungen, dass die Soldaten vielmehr auf dem unweit gelegenen Kreuzbergsattel, wo laut Zeugenaussagen eine Verminungsübung italienischer Heereseinheiten stattgefunden hatte, einem Unfall zum Opfer gefallen und herbeigeschafft worden sein könnten, um im damals angespannten bilateralen Verhältnis Rom-Wien Österreich der „Begünstigung von Terroristen“, ja selbst des „Staatsterrorismus“ zu bezichtigen. Das angebliche „Porze-Attentat“ hatte Italien zum Vorwand genommen, um als Gründungsmitglied sein Veto gegen den Beginn von Verhandlungen über Österreichs EWG-Assoziierungsbegehr einzulegen.

Verschwörung des Gladio-Netzwerks

Es passte auch nur allzu gut in die damalige „Strategie der Spannung“. Diese „Strategia della tensione“ wurde von verschwörerischen Kreisen betrieben, die in geheim(bündlerisch)en Vereinigungen neofaschistischen Zuschnitts wie „Ordine nuovo“ und „Avanguardia Nazionale“ organisiert waren. Sie waren auch verankert in Teilen italienischer Dienste sowie im geheimen „Gladio“-Netzwerk des Militärs. Sie wollten (letztlich erfolglos) die gesellschaftliche Unterfütterung für einen Wechsel in Italien hin zu einem autoritären Regime vorbereiten.

An führender Stelle in Südtirol wirkte dabei das Gladio-Mitglied Dr. Silvano Russomanno mit, der just in den Zürcher Geheimgesprächen den Vertretern österreichischer Sicherheitsbehörden gegenübergesessen war. Es war ein Ziel der italienischen Dienste, mittels fingierter Anschläge die Südtiroler Freiheitskämpfer zu diskreditieren. Sie wollten damit – nicht ohne Wissen und Zustimmung, ja sogar auf Geheiß politischer Verantwortungsträger – politisch Druck auf Österreich ausüben. Darin involvierte oder gar Regie führende Leute des Gladio-Netzwerks hatten als Teil der geheimen italienischen „Stay behind“-Einheiten das zusätzliche Interesse, die Spannungsmomente zu erhöhen, ein Bedrohungsbild zu erzeugen und die Südtirol-Aktionen im Sinne ihrer Umsturzpläne zu instrumentalisieren.

Es gab daher im Rahmen der „Strategie der Spannung“ durchaus nicht wenige „getürkte“ Attentat(sversuch)e. Senator Marco Boato ließ im 1992 veröffentlichten parlamentarischen Untersuchungsbericht auch auf Südtirol bezogene auflisten. Höchst aufschlussreich sind Passagen, in denen die Namen der besonders in die Südtirol-Aktionen involvierten Personen aufgelistet sind – zu ihnen zählt besagter Russomanno. Der Carabinieri-Oberst Amos Spiazzi spricht davon, dass „der Staatsapparat in den Südtirol-Terrorismus involviert gewesen“ sei.

Der venezianische Untersuchungsrichter Felice Casson deckte 1990 aufgrund seiner Recherchen in den Archiven des Militär-Abschirmdienstes SISMI die Existenz einer „geheimen komplexen Struktur innerhalb des italienischen Staates auf“. Er machte 622 Gladio-Mitglieder namhaft. Er fand heraus: Sowohl Mitarbeiter des SISMI respektive der Vorgängerorganisation SID, die 1964 auf den aufgelösten SIFAR gefolgt war, neofaschistische Organisationen wie „Avanguardia Nazionale“ und „Ordine Nuovo“, wie auch Teile des Gladio-Netzwerks, die unter anderem in Gruppierungen wie API (Associazione Protezione Italiani) und MIA (Movimento Italiani Alto Adige) wirkten und zu denen auch „Gladiator“ Russomanno gehörte, hatten von den 1960-ern bis in die 1980-er Jahre „zahlreiche politisch motivierte Terroranschläge und Morde in Italien begangen“.

Verwicklungen der Geheimdienste

Oberster Drahtzieher war General Giovanni De Lorenzo, ursprünglich Leiter des Militärgeheimdienstes SIFAR, danach Kommandeur der Carabinieri-Truppe, aus der heraus er Vertrauensleute ins Gladio-Netz einschleuste. Der „Gladio-Prozess“ 1994 in Rom warf ein bezeichnendes Licht auf die Umtriebe De Lorenzos und seiner Mannen, auch in Südtirol. Angeklagt waren unter anderen General Paolo Inzerilli, ehemaliger SISMI-Chef und Kommandeur der illegalen Gladio-Einheiten sowie das Gladio-Mitglied Francesco Stoppani. Eigens dazu angeworben, sollte Stoppani Kienesberger entweder nach Italien entführen oder liquidieren. Inzerillo hatte in dem Verfahren die früheren Minister Ruffini (Inneres) und Rognoni (Verteidigung) beschuldigt, von alldem gewusst zu haben.

Peppino Zangrando, als Präsident der Belluneser Anwaltskammer von hoher Reputation, stellte in der „Causa Porzescharte“, in der er jahrelang recherchiert hatte, ein Attentat des BAS in Abrede. 1994 wollte er den Fall neu aufrollen, sein Wiederaufnahmeantrag scheiterte aber an der Staatsanwaltschaft.

Die angebliche Täterschaft bedurfte im Licht all dieser damals aufwühlenden Vorgänge zwingend einer neuen Durchleuchtung. Dieser Aufgabe hat sich Hubert Speckner auf methodisch zu rühmende Weise unterzogen. Er förderte mit seiner prägnanten Studie neue Einsichten und Erkenntnisse zu Tage, an denen in Hinkunft niemand vorbeikommen wird, der ernst genommen werden will. Seine überzeugenden Darlegungen sollten nicht zuletzt auch dazu führen, jenes obskure florentinische Urteil aus der Welt zu schaffen, mit dem Erhard Hartung, Peter Kienesberger und Egon Kufner 1971 gänzlich wahrheits- und rechtswidrig für eine nicht begangene Tat verurteilt und damit zu Mördern gestempelt worden sind. Sie bedürfen dringend der öffentlichen Rehabilitierung.

Herrolt  vom Odenwald ist deutsch-österreichischer Historiker und Publizist.

Biblographische Angaben

Hubert Speckner: „Zwischen Porze und Roßkarspitz …“ Der „Vorfall” vom 25. Juni 1967 in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten, Wien (GraWis) 2013, ISBN 978-3-902455-21-5; 368 S. € 29,70

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Depressiv, dekadent und überflüssig: Europa 2013 drucken

Der große Historiker Walter Laqueur mag mit seinen 92 Jahren nicht mehr lange unter uns weilen. Aber die Weisheit, mit der er dieser Tage Europa analysiert hat, geht wohl weit über die Spanne seines Lebens hinaus. Es ist wohl das klügste, aber auch bestürzendste Interview gewesen, das man in den letzten Jahren über Europa lesen konnte.

Dabei ist das, was Laqueur da in einem Interview mit dem „Spiegel“ gesagt hat, in fast jeder Zeile von großer, ja verzweifelter Liebe zu Europa geprägt. Er spricht in vielem das aus, was man selber für die Zukunft des Kontinents fürchtet.

Vergnügungspark für die Neureichen aus anderen Kontinenten

Dennoch klingt seine Zukunftsvision aufs erste und oberflächlich recht harmlos. „Die Möglichkeit, dass Europa ein Museum oder ein kultureller Vergnügungspark für die Neureichen der Globalisierung wird, ist nicht völlig von der Hand zu weisen.“ Dies ist in Wahrheit ja heute schon der beherrschende Eindruck, den die Städte des Kontinents vermitteln.

Prinzipiell ist das – auch für den Historiker Laqueur – ja nichts Schlechtes: „Das Ausscheiden aus der Champions League ist nicht das Ende.“ Nur sollte man sich dessen eben auch bewusst sein. Denn „dann wäre es vielleicht auch ratsam, die freigiebige Verteilung von guten Ratschlägen an andere Länder etwas einzuschränken und die eigenen Leistungen weniger pathetisch zu beschwören.“

Laqueur sieht das aus der weit vom Objekt der Betrachtung zurücktretenden Perspektive des Analytikers (und sicher auch seines eigenen Alters): „Aufstieg und Zerfall von Reichen sind Konstanten der Geschichte.“ Das erinnert stark an Oswald Spengler, der schon am Beginn des vorigen Jahrhunderts den Untergang des Abendlandes prophezeit hat. Für Laqueur ist diese Perspektive entweder eine Konsequenz des Alterungsprozesses Europas oder die Folge seines Wohlstandes; dieser habe eine furchtsame Gesellschaft herausgebracht, die allen Konflikten ausweichen will und alle Warnsignale missachtet, durch die sie ihren Wohlstand gestört fühlt.

„Bevor der Zusammenbruch kommt“

Man sollte sich bei der Beurteilung nicht durch seine die relative Stabilität Europas in den letzten Jahrzehnten täuschen lassen: „Es gibt immer ein retardierendes, beharrendes Moment, bevor der Zusammenbruch kommt.“ Europa hoffe auf ein Wunder – wende aber jenes Rezept an, dass auf längere Sicht den geringsten Erfolg verspreche: „ein bisschen Reform hier, ein Stück Flickschusterei da und eine Dosis business as usual.“ Dahinter habe Europa aber das Gefühl für die klare und unmittelbare Gefahr verloren, welche seine Krise bedeutet. Der europäische Antiamerikanismus, „der auf der Linken wie auf der Rechten stets latent geblieben ist“, habe nämlich den Blick auf die eigenen Schwächen Europas verstellt, so Laqueurs unbarmherziges Urteil.

Die Europäer bleiben lieber in Deckung. Sie versuchen gar nicht mehr, wieder zu einer politischen Großmacht aufzusteigen. Aber: „Die Europäer haben noch nicht begriffen, dass es keinen Schutz vor den Folgen der Weltpolitik gibt.“ Ein Rückzug biete keine Sicherheit vor den Konsequenzen.

Europa sei von einer unerklärlichen Willenlosigkeit erfasst. Die europäische Krise sei nämlich keineswegs vorrangig eine Schuldenkrise. „Europäische Werte mögen noch so oft angerufen und angepriesen werden – Willensschwäche, Trägheit, Ermüdung, Selbstzweifel, mangelndes Selbstvertrauen, das läuft auf die psychologische Diagnose eines schwachen Egos hinaus.“

Den Umgang mit Rüpeln und Schurken lernen

Diese Ängstlichkeit strahle Europa naturgemäß auch nach außen aus. „Das merken die Rüpel, und das spüren auch die Hilfsbedürftigen.“ Laqueur verlangt von Europa, dass es endlich zur Kenntnis nehmen solle, in einer Welt zu leben, „in der allzu oft das Chaos herrscht, nicht das internationale Völkerrecht.“ Es müsse daher lernen, sich nach zwei verschiedenen Methoden in der Welt zu verhalten: „einmal nach solchen, die den Umgang untereinander regeln“; jedoch „wenn es um die Rüpel und Schurken geht, die noch nicht den aufgeklärten Zustand der Postmoderne erreicht haben“, dann sollte Europa begreifen, das ganz andere Methoden notwendig sind.

Zweifellos könnte man auch Europas unsichere Reaktion in der aktuellen NSA-Überwachungskrise so interpretieren. Die Europäer sehen in diesem Zusammenhang immer nur brave und anständige Bürger als Opfer, die Amerikaner (und zum Teil Briten) haben hingegen immer Schurken und Schurkenstaaten als Ziel all der Abhöraktionen vor ihrem Auge. Daher fällt es Europa auch so furchtbar schwer, mit den Amerikanern einen Konsens bei der Interpretation der Geheimdienstaktionen zu erzielen.

Zurück zu Laqueurs Bilanz. Sie ist jedenfalls deprimierend. Europa habe seinen moralischen Kredit weitgehend verspielt, fürchtet er. „Es scheut sich Sanktionen zu verhängen; es tut sich unendlich schwer, in Krisen außerhalb Europas zu intervenieren; es hat seine weitgehende Ohnmacht sogar bei Kriegen im eigenen Hinterhof bewiesen.“

Spielball der Weltpolitik

Europa spiele zwar in Wirtschaft und Handel weiterhin eine Rolle. „Aber bis heute steht der Kontinent politisch und militärisch nicht auf eigenen Füßen.“ Das wäre aber nur möglich, wenn global die Machtpolitik keine Rolle mehr spielten würde. „Die Konflikte sind jedoch nicht zurückgegangen, der Fanatismus und die Leidenschaft in ihnen brennen weiter“. Das mache es daher fragwürdig, ob der Gedanke einer europäischen Unabhängigkeit von der Weltpolitik realistisch ist.

Europa erweise sich angesichts der heraufziehenden Stürme vielmehr als hilflos und werde zu einem Spielball dieser Weltpolitik.

Brillante und mutige Gedanken zur Lage des Kontinents und der Union, die einem viel zum Nachdenken geben. Am beklemmendsten ist aber wohl, wie weit diese Gedanken ganz offensichtlich von der Realität Europas, von den Themen seiner Wahlkämpfe und von der Denkwelt seiner Politiker entfernt sind.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Amerika, Russland: Gibt’s noch einen Unterschied? drucken

Amerika wie Russland setzen ihre Justiz in schockierendem Umfang als machtpolitisches Instrument ein. Aber dennoch bestehen zwischen den den beiden Staaten signifikante Unterschiede: Russland unter Putin hat die von Gorbatschow und Jelzin errungene Qualifikation als demokratischer Rechtsstaat (im Anfangsstadium) bereits total verspielt. Was von den USA sicher nicht gesagt werden kann, auch wenn dort die Geheimdienste einen erstaunlich rechtsfreien Raum genießen. Und im Vergleich zu beiden Staaten, aber vor allem zu Russland ist das, was sich in der österreichischen Strafjustiz abspielt, wenigstens noch irgendwie mit dem Grundgedanken des Rechtsstaats verwandt. Trotz allem.

Zur Verteidigung Amerikas muss man sich bewußt machen: Im Falle Snowden prallen zwei wichtige Rechtsgüter aufeinander, die beide wichtig sind. Das eine ist der Schutz der Bürger vor Terroristen. Das andere ist der Schutz der Privatsphäre und des Briefgeheimnisses in allen elektronischen Varianten der Kommunikation.

Ich würde dabei sogar – so wie ja viele andere Menschen abseits der Medien auch – den Schutz vor Terroristen für eindeutig wichtiger ansehen. Zum einen ist das die größere Bedrohung. Zum anderen ist eine echte Abschirmung elektronischer Kommunikation gegenüber unerwünschten Mitlesern sowieso technisch illusorisch.

Den Missbrauch solcherart erlauschter Informationen kann man nur ganz anders bekämpfen: durch strenge Bestrafung von Beamten, die das dabei erworbene Wissen unerlaubt verwenden (ob gegen Geld oder aus anderen Motiven); und vor allem durch einen extrem hohen Schutz der Meinungsfreiheit. Mich macht mehr besorgt, dass in Europa diese Meinungsfreiheit durch EU und nationale Gesetze immer stärker eingeengt wird, als das Wissen um die Geheimnislosigkeit des Internet und dessen auch von Geheimdiensten genutzten elektronischen Möglichkeiten.

Wenn man alles frei sagen kann, dann reduziert sich auch die Bedrohung durch Lauschprogramme.

Freilich: Mit absoluter Sicherheit haben die amerikanischen Lauscher ihr Wissen auch im Interesse großer amerikanischer Konzerne genutzt. In dieser Perspektive schwindet auch wieder rasch ein Großteil der Sympathie für Lauscher, den man noch hätte, wenn es nur um die Abwehr von Terroristen, Islamisten & Co gegangen wäre.

Die Dienste erstrecken aber ihre Aktivität auch auf Industriespionage, die Beobachtung neuer Technologien und die Konditionen von Angeboten bei internationalen Ausschreibungen. Noch mehr geht es um die Denunziation von Wettbewerbern: Es gibt schon viel zu viele Fälle, wo europäische Konzerne gegenüber amerikanischen Konkurrenten ins Hintertreffen geraten sind, weil sie (angeblich oder nur behaupteterweise) Auftraggeber in Drittländern bestochen haben. Nichts ist beispielsweise leichter, als die nationalen Strafbehörden etwa in Deutschland durch anonyme Anzeigen über Bestechungsvorgänge auf Exportmärkten zu informieren. Diese Strafbehörden arbeiten in ihrer bürokratischen Korrektheit dann ganz alleine den Rest ab und zertrümmern die Exportchancen der deutschen Firmen, während sich die Amerikaner ins Fäustchen lachen können.

Wer mehr weiß, wird das Wissen auch einsetzen. Punkt. Und niemand kann verhindern, dass die Amerikaner mehr wissen.

Da geht es um Riesenaufträge, um Arbeitsplätze, also national gesehen um edle und hehre Ziele. Warum sollte Amerika Skrupel haben, diesen zu dienen?

Was aber kann das ausspionierte Opfer tun, also insbesondere Europa?

  • Es kann Versuche der individuellen Abschirmung gegen Hacker&Co unternehmen. Die haben aber wohl nur begrenzte Chancen.
  • Es kann den Amerikanern sagen: Das geht nicht, bitte kein Spionage auf unserem Boden, bitte beachtet unsere Gesetze. Die Szene wird kurz auflachen und nach außen Besserung geloben, während natürlich im Wesentlichen alles weitergeht.
  • Es kann Gleiches mit Gleichem vergelten. Das heißt, dass auch Europa gegen amerikanische Konzerne massive elektronische Wirtschaftsspionage beginnt und dortige Bestechungsfälle dann vor die Justiz bringt. Europa wird sich dabei freilich schwerer tun als die Amerikaner, an die notwendigen Informationen zu kommen: Sind doch fast alle relevanten Player in der Internet-Welt amerikanische Firmen, die zwangsläufig an einer recht kurzen Leine der US-Regierung hängen und die daher immer primär mit dieser kooperieren werden.
  • Und Europa kann schließlich auch sagen: Da in Sachen Korruption Waffengleichheit nicht herstellbar ist, und da auch Europa auf seine eigenen Überlebens-Interessen schauen muss, wird es europäischen Firmen wieder erlaubt, Empfänger in anderen Ländern zu bestechen. So wie es in der Vergangenheit immer der Fall war. Die Korruption außerhalb Europas zu bekämpfen, ist schließlich Aufgabe der dortigen Behörden und nicht jene der Exporteurländer.

Das alles sollte ohne jeden geheuchelten Moralismus europaweit ausdiskutiert werden. Der Versuch etwa von Rotgrün in Deutschland, daraus ein Wahlkampfthema zu machen, ist lächerlich. Denn auch rotgrüne Regierungen haben – im Interesse des notwendigen Antiterrorkampfes – mit amerikanischen Diensten exzellent und vertraulichst kooperiert.

Es bleibt also Nüchternheit am Platz: elektronische Spionage kann nicht verhindert werden; Geheimdienstarbeit ist im Kampf gegen den Terror unverzichtbar. Es kann nur um eine Schadensminimierung gehen.

Im internationalen Vergleich ist aber auch ganz klar: Große Länder wie Russland und China spionieren genauso hemmungslos wie Amerikaner oder Briten, auch wenn es dort derzeit keinen auspackenden Überläufer wie Snowden gibt. Bei Russen und Chinesen würden irgendwelche Aufdeckungsaktionen ein weit geringeres Echo auslösen. Denn sowohl chinesische wie russische Aktionen (siehe etwa die elektronischen Großangriffe auf die baltischen Staaten) werden von den westlichen Medien als irgendwie selbstverständlich behandelt.

Vor allem aber sollte man sich bewusst machen: So übel der amerikanische Druck ist, der rund um den auspackenden Spion Snowden ausgeübt wird, mit der Zertrümmerung der Demokratie durch Putin ist das alles nicht vergleichbar. Niemand wird in den USA unter fadenscheinigsten Vorwänden weggesperrt, sobald er zu einer politischen Gefahr für Präsident Obama wird. In Russland hingegen ist eine politische Herausforderung an Präsident Putin eine sicherer Weg ins Gefängnis.

In Russland gibt es nicht einmal einen Hauch einer Tradition richterlicher Unabhängigkeit. Hier werden Oppositionspolitiker, Rechtsanwälte und Journalisten nicht nur um ihren Job gebracht, sondern reihenweise bedroht, eingesperrt oder umgebracht, wenn sie dem System Putin gefährlich werden könnten. Der Unrechtscharakter Russlands zeigt sich auch an seiner Spitzenreiterrolle bei Beschwerden vor dem Menschenrechtsgerichtshof (28.000 waren allein im Vorjahr anhängig!).

Und jetzt muss eben auch Alexej Nawalny so wie viele andere ins Lager. Trotz seiner vorübergehenden Freilassung nach der ersten Instanz eines absurden Prozesses gibt es keine Zweifel an Nawalnys Schicksal. Der Mann ist eine Bedrohung Putins und gehört daher weg. Der Mann ist charismatisch, beredt und jung – konnte aber zuletzt meist nur noch als Blogger oder auf offener Straße seine Kritik äußern, weil fast alle Medien auf Regierungslinie liegen.

Das scheint zwar oberflächlich der Situation in Österreich zu ähneln. Da gibt es aber noch immer gewaltige Unterschiede. Hierzulande geht es "nur" um die Bestechlichkeit der Medien und ihre Selbstbeschädigung durch einen fast geschlossenen Linkskurs; hierzulande gibt es hingegen (noch?) keinerlei Aktionen der Justiz gegen unabhängige Blogger.

Dass Russland jetzt die Härte verschärft, hat aber noch einen anderen aktuellen Grund: die Energiepreise. Wirtschaftlich hat das Land in den letzten Jahren von deren Höhe profitiert. Putin konnte die Massen mit den im Westen erzielten Einnahmen ruhig stellen. Jetzt aber gehen die Gaspreise steil nach unten, weshalb die Einnahmen schrumpfen werden. Daher wird die Partei der Macht nichts mehr verteilen können. Was sie wieder „zwingt“, auf autoritären Kurs zu wechseln.

Was genau „zwingt“ aber Putin? Nun, das tut vor allem die totale Ablehnung der Möglichkeit eines demokratischen Wechsels. Ein solcher ist für die herrschenden Geheimdienstoffiziere schlicht undenkbar. Wer einen Wechsel will, ist eo ipso ein Verbrecher. Im Kommunismus war er zuletzt prinzipiell ein Geistesgestörter. Das ist Putin zwar bisher noch nicht eingefallen, könnte aber auch noch kommen.

In Russland war Jelzin der einzige, der jemals in der ganzen Geschichte wirklich halbwegs freiwillig zurückgetreten ist. Man denke nur an die vielen ermordeten Zaren, die noch viel unsanfter geendet haben.

Und noch etwas „zwingt“ die herrschende Clique an der Macht zu klammern: Bei deren Verlust müssten sie nämlich fürchten, dass ihre Korruption aufgedeckt würde. Und Putin ganz besonders.

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90 Jahre Tolomeis Assimilierungsprogramm drucken

Dieser Tage jährte sich zum 90. Mal der Tag, an dem Ettore Tolomei sein 32-Punkte-Programm zur Assimilierung der Südtiroler im Bozner Stadttheater verkündete.

Auch wenn die Südtiroler inzwischen Rom einige Rechte abgerungen haben, so lebt der Geist Tolomeis bei den italienischen Politikern weiter: Noch heute gelten in Südtirol faschistische Gesetze. Die von ihm erfundenen Ortsnamen sind gesetzlich, die deutschen nur geduldet. Die Denkmäler aus Mussolinis Zeiten werden vom Staat geschützt. Wenn Italien den Tag der Befreiung vom Faschismus feiert, dann meint man den vom deutschen Faschismus, nicht vom italienischen. Das merkt man besonders in Südtirol – dort ist der Exerzierplatz des italienischen Faschismus.

Nicht nur die Berlusconi-Partei mit ihren Postfaschisten ist zutiefst nationalistisch, auch die Sozialdemokraten. 1920 lehnten sie im Parlament die Annexion Südtirols noch strikt ab. Der stellvertretende Ministerpräsident und Finanzminister Luzzatti bot der Südtiroler Delegation des Deutschen Verbandes sogar die Rückgliederung zu Österreich an. Heutzutage empfinden die Vertreter der Partito Democratico (PD) hingegen die Zustände als ihre Italianitá und die Annexion als kein Unrecht (siehe Abstimmverhalten am 08.05.2012 im Bozner Landtag und Unterstützung des Alpinitreffens am 12./13.05.2012).

Roms Politiker betrachten, ganz im Sinne Tolomeis, die Autonomie nicht als Minderheitenschutz, sondern als Regionalpolitik, bei der man Regelungen nach Belieben kippen kann. Die Autonomie sei angeblich eine inneritalienische Angelegenheit. Allein deshalb habe, so Felix Ermacora in seinem Buch „Südtirol – Die verhinderte Selbstbestimmung“, die Autonomie Südtirols keinen Vorbildcharakter. Er bezeichnete diese Autonomie als „ein Modell zur friedfertigen Auslöschung einer Volksgruppe“. Ermacora wies auch auf die Tatsache hin, dass es auf Betreiben Mussolinis und Tolomeis bis zum heutigen Tag eine „Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis“ gibt, wodurch Südtirol durch Italien geknebelt und bevormundet wird.

Mario Monti hat sich über Gesetze und Vereinbarungen hinweggesetzt und die Autonomie bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Auch vom sozialdemokratischen Ministerpräsident Letta dürfte nichts Gutes zu erwarten sein: Ein „neues“ Mailänder Abkommen ist nicht in Sicht. Das vom Südtiroler Landtag verabschiedete und von der Opposition heftig kritisierte Toponomastik-Gesetz wird von Rom angefochten. Das bestehende Südtiroler Schulsystem steht auf der Kippe…

Die Kompromisse der romtreuen SVP, die fast bis zur Selbstverleugnung gingen, konnten diesen Trend nicht aufhalten. Das Südtiroler Volk steht bei der bevorstehenden Befragung zur Selbstbestimmung und im Oktober 2013 bei den Landtagswahlen vor der Wahl, ob es die schleichende Assimilierung im Sinne Tolomeis hinnehmen oder ob es Rom selbstbewusst die Stirn bieten will.

Äußerungen italienischer Politiker betreffend Südtirol

Der designierte Außenminister Franco Frattini (Forza Italia) am 25.04.2008 in der „Tiroler Tageszeitung“: „Man muss und kann das Südtiroler Statut im europäischen Sinne revidieren. Die EU sieht keine auf ethnischer Basis gegründeten regionalen Gebiete vor. Ich bin daher auch gegen eine Euregio Tirol.“

Renato Brunetta (Popolo della Liberta), Minister für öffentliche Verwaltung, am 08.02.2009 in der „Il Gazzettino“: „Regionen mit Sonderstatut müssen der Vergangenheit angehören… In drei bis fünf Jahren wird alles anders sein. Regionen, die bis dato Privilegien besitzen, darf es bis dahin nicht mehr geben.“

Giorgio Napolitano, Staatspräsident, bezweifelte in einem Kommuniqué vom 11.02.2011 die Existenz einer österreichischen Minderheit in Südtirol.

Mario Monti, Ministerpräsident, am 26.10.2012 im „Kurier“: „Ich glaube dadurch, dass 1992 der Konflikt vor der UNO gelöst wurde, gibt es keine Notwendigkeit für so eine Rolle Österreichs. Wir reden hier von inneritalienischen Problemen, da braucht es keine Kompetenzen für Wien.“ Süffisant ergänzte er: „Die Provinz Südtirol hat im Rahmen der italienischen Verfassung alle Möglichkeiten, um ihre Positionen durchzusetzen.“

Im Vorfeld der Parlaments- und Senatswahlen im Februar 2013 kündigten Luigi Bersani und Francesco Palermo (PD) an, die Südtiroler Autonomie vom „ethnischen Ballast“ befreien zu wollen.

Der Autor ist Deutscher, EDV-Spezialist und auf Grund der Zugehörigkeit seines Vaters zur bedrohten sorbischen Volksgruppe und als ehemaliger Mitkämpfer der DDR-Bürgerrechtsbewegung in Sachen Minderheitenschutz besonders engagiert.

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Wenn die Welt nur immer so erfreulich wäre! drucken

Es gibt auch Gutes und Mutiges, Kluges und Zukunftweisendes in Politik und Gesellschaft, im In- wie im Ausland. Zwar gerät es uns ob der Fülle an negativen Entwicklungen und kritischen Beobachtungen bisweilen aus dem Blick. Umso wichtiger ist es, regelmäßig ganz bewusst auch die positiven Exempel vor den Vorhang zu holen. Als nachahmenswerte Beispiele eben.

Da ist etwa Lettland zu loben. Es hat ein Verbotsgesetz erlassen, das sowohl die Verwendung von Nazi-Symbolen wie auch von Zeichen der kommunistischen Sowjetunion gleichermaßen unter Strafe stellt, und die Leugnung des Holocausts genauso wie der sowjetischen Verbrechen. Natürlich stört das viele restaurative Kräfte im Putin-Russland und unsere linken Dummköpfe sowieso. Aber dieses Gesetz ist die einzige gerechte Form eines Verbotsgesetzes, wenn man schon nicht den Mut zur liberalen Alternative einer Freigabe aller Schwachsinnigkeiten hat (wie es etwa in den USA der Fall ist, wo daher auch die Abhöraktionen nicht solche Folgen haben könnte wie in Europa). Aber nur zu einer einzigen Phase der Geschichte skurrile Ansichten zu verbieten, wie etwa in Österreich, ist ein unakzeptabler Verstoß gegen jeden Maßstab von Gerechtigkeit und Anstand.

Da sind der deutsche und estnische Staatspräsident zu loben, die gemeinsam bei einem Staatsbesuch das Lied "Die Gedanken sind frei" angestimmt haben, also die ergreifende Hymne jedes freien, liberalen Denkens. Andere Bundespräsidenten wären wohl nur zum kollektiven Anstimmen der Internationale bereit, der Hymne der Unfreiheit und des millionenfachen Mordes.

Da sind die Bosnier zu loben: Sowohl (islamische) Bosniaken wie (katholische) Kroaten wollen dort – gegen den Widerstand der (orthodoxen) Serben – ein Denkmal für Franz Ferdinand errichten. Der k. und k. Thronfolger ist ja in Bosnien von einem serbischen Fanatiker ermordet worden. Dieser Mord war 1914 Auslöser (freilich nicht Ursache) eines im Grund mehr als 30-jährigen Weltkrieges. Die Bosnier wollen damit eine klare Haltung zeigen: Es war keineswegs die Mehrheit der Bosnier, die hinter dem Terroranschlag gestanden ist. Das ist respektvoll anzuerkennen – auch wenn ich prinzipiell Denkmäler nicht mag. Sind sie doch nicht nur meist hässlich, sondern auch schon viel zu zahlreich.

Da sind die Briten zu loben. Sie haben es nach zehnjährigen Bemühungen geschafft, einen islamischen Hassprediger nach Jordanien abzuschieben. Jahrelang haben „Menschenrechtler“ das verhindert, weil der Mann in Jordanien ja eventuell gefoltert werden könnte. Tod und Verderben, die immer wieder von britischen Moslem-Extremisten ausgegangen sind, haben diese Menschenrechtler hingegen noch nie gestört.

Da ist das amerikanische Höchstgericht zu loben, weil es das Land wieder einen Schritt weg von der Political correctness zum Leistungsprinzip geführt hat. Diese P.C. hat sich dort – ähnlich wie bei uns – vor allem in den Universitäten eingenistet, wo bei der Einschreibung neuer Studenten zunehmend „affirmative“ Regulierungen in Geltung gekommen sind. Mit verständlicheren Worten: Angehörige von Minderheiten kamen durch diese Programme viel leichter, mit viel geringeren Anforderungen als sonstige Amerikaner in jene Unis hinein. Nun hat der Supreme Court dem ein erstes Stoppsignal entgegengesetzt, das freilich noch in etlichen weiteren Prozessen präzisiert werden muss.

Da ist der langjährige New Yorker Bürgermeister Giuliani zu loben, weil er zum Unterschied von vielen anderen Wahrheiten ausspricht. Er macht die – in den USA ja noch mehr als in Europa verbreitete – „Political correctness“ mitverantwortlich für islamistisch motivierte Anschläge, etwa jenen auf den Boston-Marathon. Haben doch schon vor dem Anschlag Indizien auf die Täter hingewiesen.

Da ist sogar einmal das oberste russische Gericht zu loben: Es verlangt, dass Schulkleidung weltlichen Charakter haben muss. Dass also in Schulklassen Kopftücher nichts verloren haben. Das ist umso signifikanter, als in Russlands Südregionen mancherorts schon Frauen ohne Kopftuch auf der Straße attackiert werden. Bei uns darf man hingegen die Tatsache nicht einmal diskutieren, dass staatlich bezahlte Religionslehrer auf Mädchen massiven psychologischen Druck ausüben, solche Kleidung zu tragen.

Da sind wieder einmal die Schweizer Stimmbürger und ihr Engagement zu loben. Sie haben binnen kurzem die Unterschriften für ein Referendum gegen eine 150-prozentige Erhöhung der Autobahn-Maut zusammengebracht. Dabei wird die Schweizer Autobahn-Maut durchaus zur Gänze für den Straßenbau und deren Erhaltung verwendet. Man stelle sich nun vor, auch in Österreich gäbe es eine direkte Demokratie. Das wäre hier im Kampf gegen den ständig tieferen Griff der Obrigkeit in unsere Geldtaschen noch viel wichtiger. Das gilt ganz besonders für Wien. Hier haben ja die saftigen Gebührenerhöhungen keineswegs nur die notwendigen Ausgaben gedeckt, sondern auch das Rathaus-Budget (mit seinen gigantischen ideologischen Verschwendungen) und die diversen Reptilienfonds zur Bestechung von wohlwollendem Journalismus.

Da ist die deutsche Regierung zu rühmen: Sie erhebt Einspruch gegen den Plan der EU-Kommission, die das letzte Wort über die Schließung einer Bank erhalten will. Das verstoße gegen die EU-Verträge und die deutsche Verfassung, so Berlin ganz massiv. Und Österreich? Da wird das Problem nicht einmal diskutiert, weder von Regierung noch von Banken. Wahrscheinlich hat man es nicht einmal erkannt – oder will es nicht ansprechen, weil diese Regierung wohl keinen Konsens zustandebringt.

Da ist – um endgültig in Österreich zu bleiben – einmal auch die ÖVP zu loben. Sie ist in den turbulenten Juni-Wochen beim Gleichbehandlungsgesetz nicht wie bei anderen Materien unter dem Druck der SPÖ umgefallen. Diese wollte ja Vermieter zwingen, ihre Wohnungen künftig nur noch politisch korrekt zu vergeben. Und nicht etwa nach der freien Entscheidung und freien Verfügung des Wohnungseigentümers über sein Eigentum. Nach den Plänen der SPÖ wären nicht nur Vermieter und Arbeitgeber in ununterbrochenen Beweisnotstand und unter Erpressungsdruck der politisch korrekten oder schwulen Agitatoren geraten, sondern beispielsweise auch jüdische Hoteleigentümer, wenn sie Veranstaltungsräume nicht an radikalmoslemische Gruppen vermieten wollten.

Da ist einmal auch die Lehrergewerkschaft zu loben. Sie schlägt ein neues Gehaltsmodell vor, das auch leistungsorientierte Bestandteile enthält. Alleine das Wort „leistungsorientiert“ ist ein totaler Bruch nicht nur mit dem bisherigen Dienstrecht, sondern auch mit dem sonst üblichen Verhalten von Gewerkschaften. Übrigens muss man den Lehrervertretern auch zustimmen, wenn sie als Vorbedingung für die längere Verweilpflicht in Schulen zuerst ordentliche Arbeitsplätze (=Schreibtische mit Mindestausstattung) verlangen. Oder verlangen SPÖ, Grüne und Medien ernsthaft, dass Lehrer ohne Arbeitsplatz an ganzen 60 Zentimeter Konferenztisch jede Woche viele Stunden verbringen müssen? Es ist überhaupt rätselhaft, wieso diese Gruppen ernsthaft glauben, dass ihnen ihr ständiges Lehrerprügeln Wähler oder Leser zutreibt. Haben doch Lehrer bei allen mir bekannten Umfragen ein weit besseres Image als Politiker und Journalisten. Auch wenn keineswegs alle von ihnen Vorzeigestücke sind. Auch wenn NACH Einrichtung der notwendigen Arbeitsplätze die Lehrer-Präsenzzeiten durchaus erhöht werden können.

Da muss man einmal auch die ÖBB loben. Nicht weil sie gelernt hat, wie einfach man sich mit einer Mitgliedschaft in der Industriellenvereinigung auch gleich lobende Gutachten einkaufen kann. Und schon gar nicht dafür, dass die ÖBB-Angestellten künftig einfach weniger Stunden arbeiten, weil man ihrer zu viel hat (nachdem man ständig neue aufgenommen hat!). Sondern weil ihr Projekt, die russischen Breitspurbahnen nach Wien zu führen, absolut sinnvoll und zukunftsträchtig ist. Dabei geht es gar nicht so sehr um die romantische Perspektive, eines Tages eine lange Bahnreise von Wien bis Peking oder Wladiwostok ohne Umsteigen antreten zu können, sondern vor allem um die Aufwertung Wiens und Österreichs als internationalen Knotenpunkt. Die ist aber dringend notwendig, nachdem sich das Gas-Projekt Nabucco der OMV in Luft aufgelöst hat; und nachdem die österreichischen Steuerhöhen (welche Rotgrün und neuerdings auch Blau noch weiter erhöhen wollen) immer mehr europäische Headquarters aus Wien vertreiben.

 

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Buchrezension: Wider die Wirklichkeitsverweigerung drucken

Der Soziologe Volker Kempf liefert mit diesem Buch eine zusammenfassende Würdigung des 1984 verstorbenen Widerparts der Frankfurter Schule, des „Antisoziologen“ und scharfen Kritikers der 68er-Bewegung, Helmut Schelsky. Begriffe wie „die skeptische Generation“ oder „die nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ wurden von ihm ebenso geprägt wie „Sprachherrschaft“, ein Phänomen, das heute unter der Bezeichnung „Political Correctness“ bekannt ist.

Der Buchtitel zielt auf Schelskys Attacke auf die 68-er Revolutionäre und deren Kritiklosigkeit gegenüber sozialistischen Politverbrechern vom Schlage Maos, Ho Chi Minhs oder Ché Guevaras ab. Niemals haben sich die – nach ihrem überaus erfolgreichen „Marsch durch die Institutionen“ – längst in hohe und höchste Staatsämter gelangten einstigen Revoluzzer, von den Gräueltaten ihrer Vorbilder distanziert. Die moralinsauren linken Spießer kritisierten indes ihrerseits Schelsky scharf dafür, während der NS-Zeit zu den vielen Mitläufern gezählt zu haben, die ihre Zukunft (und ihre Sicherheit) nicht durch Systemkritik gefährden wollten.

Kempf schildert detailliert den Werdegang Schelskys und die Hochschullandschaft im Deutschland der Nachkriegszeit, die offensichtlich einer Schlangengrube glich. Karrieren wurden hier (da hat sich bis heute wenig geändert!) häufig nicht von wissenschaftlicher Seriosität bestimmt, sonder vielmehr auf politische Zuverlässigkeit und Zeitgeistkompatibilität gegründet.

Thomas Hobbes´ pessimistisches Menschenbild bestimmte maßgeblich das Denken Schelskys. Für ihn war der britische Herold unbeschränkter und unbeschränkbarer Staatsmacht „der erste Intellektuellenkritiker“ – eine hochinteressante, wenn auch ungewöhnlich erscheinende Perspektive. Seine Arbeit war überaus breit angelegt und erstreckte sich auf so unterschiedliche Gebiete wie Familie, Sexualität, Jugendbewegung und -protest, sowie „Herrschaftsansprüche“ der Intellektuellen. Letzteren warf er vor, „…den Herrschafts- und Handlungsformen des Klerus in früheren Zeiten [zu] entsprechen“ – und sich damit zu einer neuen Priesterkaste aufzuschwingen.

Dieser Teil seiner Arbeit lässt Schelskys Werk heute hochaktuell erscheinen. Der Einfluss einer über die völlig unbeschränkte Deutungshoheit verfügenden, parasitär lebenden Intellektuellenkaste, die jeden Bezug zum Leben außerhalb geschützter Werkstätten verloren hat und die aus der lichten Höhe ihrer großzügig eingerichteten Elfenbeintürme dem zwar gemeinen, immerhin aber produktiv tätigen Volk unentwegt vorschreibt, wie und was es zu denken hat, ist heute zweifellos größer als zu seiner Zeit.

Der „Herrschaft durch Sprache“ stand Schelsky also kritisch gegenüber. In Abwandlung eines Zitats des deutschen Staatsrechtlers Carl Schmitt formuliert er: „Souverän ist, wer den Sachverhalt definiert“. Wie wahr! Was würde der Gelehrte, der von den totalitären Tendenzen des Gender Mainstreaming und den damit verbundenen, nicht nur sprachlichen, Anmaßungen noch keine Vorstellung hatte, dazu wohl zu sagen haben?

Wider die Wirklichkeitsverweigerung
Helmut Schelsky Leben – Werk – Aktualität
Volker Kempf
Olzog-Verlag, München 2012
224 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-7892-8355-2
€ 29,90

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Wir sind jetzt alle Keynesianer! drucken

1971, im selben Jahr, als der damalige US-Präsident Nixon die Bindung des Dollars an das Gold aufkündigte und damit de facto die größte Enteignungsaktion der Weltgeschichte inszenierte (ein Coup, der interessanterweise bis heute keine entsprechende Würdigung erfahren hat!), bekannte er freimütig, „jetzt ein Keynesianer“ zu sein. In der Tat setzte „Tricky Dick“ auf die von John Maynard Keynes, dem bis in unsere Tage wirkungsmächtigsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, propagierte Politik hoher Steuern und schuldenfinanzierter Staatsausgaben.

Dessen Theorie besagt, dass der Staat – zum Ausgleich der für private Wirtschaftsakteure typischen Irrationalität und in Zeiten des Nachlassens deren Investitionstätigkeit – alles tun muss, um einer deflationären Entwicklung entgegenzuwirken. Zu diesem Zweck ist hemmungslos und unter allen Umständen Geld unter die Leute zu bringen – indem etwa das Graben und wieder Zuschaufeln von Löchern staatlich finanziert wird. Vollbeschäftigung ist in jedem Fall sicherzustellen. Genau deshalb sei eine deflationistische Politik schlicht des Teufels.

Zum ebenso leidenschaftlich wie faktenwidrig ins Treffen geführten historischen „Beweis“ dafür wird behauptet, dass der deutsche Reichskanzler Heinrich Brüning, der von 1930-1932 eine Deflation zugelassen hatte, damit schließlich dem Nationalsozialismus den Weg bereitet habe. Diese von keinerlei Seriosität belastete Kritik übersieht völlig, dass die Politik Brünings bereits auf dem besten Wege war, die Wirtschaft Deutschlands wieder auf eine gesunde Basis zu stellen. Zudem ging der Stimmenanteil der Nationalsozialisten während der Zeit seiner Regierung von 37 auf 33 Prozent zurück. Die tatsächlichen Wegbereiter des NS-Regimes hörten auf alle möglichen Namen. Der des „Deflationskanzlers“ Brüning war mit Sicherheit nicht darunter…

Dass bis heute jeder empirische Nachweis für die angeblichen Segnungen einer inflationistischen Politik fehlt, an deren Ende ja niemals Prosperität und Vollbeschäftigung, immer aber ein gewaltiger Schuldenberg steht, ficht keinen der politischen Akteure an. Sie setzen weiterhin unbeirrt auf Keynes´ Voodoo-Ökonomie.

Anders als in den USA traten auf der europäischen Seite des Atlantiks einst nur linke Parteien für eine Konjunkturbelebung mittels Schuldenwirtschaft ein. Heutzutage gilt das längst nicht mehr. „Wir sind alle Keynesianer“ – in diesen Chor stimmen heute so gut wie alle politischen Parteien zwischen Helsinki und Valetta, Portugal und Polen ein – inklusive derer, die über die beeindruckende Chuzpe verfügen, sich zu allem Überfluss auch noch „liberal“ zu nennen (wie etwa die deutsche FDP). Wir haben es gegenwärtig mit einem späten, dafür aber weltweit vollständigen Triumph des 1946 verstorbenen britischen Magiers zu tun.

Es versteht sich von selbst, dass die zu 99 Prozent aus geschützten Werkstätten in Regierungsämter gestolperten wirtschaftspolitischen Leichtmatrosen in den Staatskanzleien keine Alternativen zum „Deficit spending“ kennen – schon gar nicht, wenn Wahlen heraufziehen und spießige Sparsamkeit im Arsenal der politischen Parteien nichts verloren hat. Da ist vielmehr das großzügige Ausschütten von Wohltaten angesagt, was – angesichts der bekannten Unbedarftheit einer soliden Wählermehrheit in Wirtschaftsfragen – gute Aussichten auf einen weiteren Verbleib am steuerfinanzierten Futtertrog eröffnet.

Da die Regierenden, mangels attraktiver Alternativen, also wild entschlossen sind, ihr segensreiches Wirken nach den Wahlen fortzusetzen, buttern sie davor gerne erhebliche Mittel in so genannte „Konjunkturpakete“. Sie versuchen damit die Illusion zu erwecken, einer dräuenden Rezession tatsächlich ein Schnippchen schlagen zu können. 1,6 Milliarden Euro sind es, die jetzt nach dem Willen der rotschwarzen Regierungsparteien in Österreich in „konjunkturbelebende Maßnahmen“ fließen sollen. Darunter ist – wie könnte es anders sein – nichts weiter als die Konservierung von Überkapazitäten in der Bauwirtschaft zu verstehen, was keinerlei Effekte für die Wohlstandsentwicklung im Lande erwarten lässt – zumindest keine positiven!

Die phantastische Wirkung exzessiver – schuldenfinanzierter – Bautätigkeit kann man beispielsweise in Japan bewundern, wo seit mehr als 20 Jahren die letzten Quadratmeter unbebauter Fläche zugepflastert werden. Fazit: Keine Konjunktur – dafür aber Staatsschulden jenseits der 200-Prozent-Marke.

Der unerschütterliche Glaube, dass durch das Zubetonieren von Landschaften oder durch „Investitionen“ in die Bahninfrastruktur (z. B. in ebenso scheußlich anzuschauende wie funktional mangelhafte Monstrositäten wie den Wiener Zentralbahnhof) Impulse für eine Aufwertung des Standortes und die Schaffung von (selbsttragenden, nicht steuersubventionierten!) Arbeitsplätzen gelingen könnte, stirbt nie. Es handelt sich dabei inzwischen um eine „wissenschaftlich fundierte Tatsache“, die von listigen Etatisten erfolgreich in die Hirne gläubiger Demokraten implantiert wurde…

Dass staatliche Projekte, sofern sie mit tatsächlich vorhandenem Geld finanziert werden, zu einer Verdrängung privater Investitionen führen, ist allein schon schlimm genug. Denn, auch wenn viele das nicht glauben können: Das vorhandene Geld kann nur einmal ausgegeben werden. Entweder Privatpersonen investieren es – auf Grund ihrer freien Entscheidung in für von ihnen bevorzugte Projekte, oder Politbonzen finanzieren damit – ohne sich damit aufzuhalten, die Zustimmung der Eigentümer der Kohle einzuholen – die Mehrung ihres Ruhmes. Entsprechend sehen die Entscheidungen aus: Butter oder Kanonen.

Noch weit schlimmer wird es, wenn für staatliche Brot-und-Spiele-Lustbarkeiten Gelder verbraten werden, die – noch dazu bei einer bereits bestehenden Überschuldung – über Kredite bereitgestellt werden. Denn damit ist, zusätzlich zum genannten, unheilvollen Verdrängungseffekt, eine materielle Umverteilung verbunden, die weit in die Zukunft reicht. Für die Regierenden fällt der Nutzen infolge des Stimmenkaufs augenblicklich an. Für die Schulden indessen muss jemand anderer geradestehen. Wer sollte das sein, wenn nicht die kommende(n) Generation(en)?

Im eben erschienen Buch „Krise der Inflationskultur“ richtet der deutsche Ökonom Guido Hülsmann seinen Scheinwerfer auf die zahlreichen, der keynesianischen Konjunkturtheorie inhärenten Fehler. Deren schwerster dürfte wohl darin bestehen, dass Ausgaben, die getätigt werden, ohne dafür auf eine entsprechende Ersparnisbildung zurückgreifen zu können, stets negative Konsequenzen nach sich ziehen. Es bleibt – anders als uns Politik und Hauptstromökonomie weismachen wollen – niemals ohne nachhaltig schädliche Konsequenzen, wenn Geld aus dem Nichts geschaffen und etwa für „Konjunkturpakete“ verpulvert wird…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Permanente Revolution: Totalitarismus im Zeitalter des internationalen Bürgerkriegs drucken

Das nun erstmals in deutscher Sprache vorliegende Werk des 1933 aus Deutschland emigrierten Soziologen und Historikers Sigmund Neumann ist insofern bemerkenswert, als es 1942 publiziert wurde. Das war also ein Zeitpunkt, da noch keineswegs absehbar war, in welcher Weise sich der ständig eskalierende Zweite Weltkrieg weiter entwickeln würde.

Dieses Buch stand stets im Schatten jener der Totalitarismusforscherin Hannah Arendt, die mit Werken wie „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ weltweite Berühmtheit erlangte. Dem hierzulande wenig bekannten Autor gebührt indes Respekt dafür, mit „Permanente Revolution“ als erster eine vergleichende Untersuchung verschiedener Formen des Totalitarismus vorgelegt zu haben. Er konzentriert sich dabei auf die Entwicklung in Deutschland, Italien und der Sowjetunion. Spanien, andere europäische Diktaturen und Japan finden nur am Rande Erwähnung.

Dass Neumann den Hauptteil seiner Arbeit einer Analyse der Ereignisse in Deutschland widmet, hat ihm nach dem Krieg einige Kritik eingetragen: Er habe sich bei der Beurteilung der Entwicklung der Sowjetdiktatur deshalb zurückgehalten, weil diese damals zum Kreis der gegen die Achsenmächte kämpfenden Alliierten zählte.

Neumann sieht in den drei untersuchten Fällen den vorangegangenen Ersten Weltkrieg als eine der Hauptursachen – ja geradezu als Bedingung – für den weiteren Weg in den Totalitarismus, so unterschiedlich dieser auch verlaufen sein mag. Fünf Kernelemente identifiziert der Autor als in jedem der gewählten Beispiele gleichermaßen verwirklicht:

  1. das Versprechen von Sicherheit und Stabilität
  2. permanente Aktion statt eines konsistenten Programms
  3. eine pseudodemokratische Legitimierung
  4. die Geburt der Totalitarismus als „Kind des Krieges“ und
  5. das Führerprinzip

„Das erste Ziel des Totalitarismus ist es, die Revolution zu verewigen und zu institutionalisieren.“ So schreibt Neumann in der Einleitung. Die Institutionalisierung ist erforderlich, da ein klares Ziel – abseits von vagen Verheißungen, alles besser zu machen – fehlt. Aktionismus wird zum Ersatz für ein Programm. Die Entwicklung, die der Begriff Diktatur seit der Antike genommen hat, wird durch deren „modernen“ Anspruch auf Permanenz deutlich. Die für den Alltag moderner Diktaturen typische Durchdringung aller Lebensbereiche mit Politik ist ebenfalls ein Element, das den Despotien vergangener Zeiten fehlt.

„Vier Kriegsjahre hatten eine Kultur der Gewalt hervorgebracht.“ Besonders im besiegten, durch „Versailles“ gedemütigten und gesellschaftlich zerrütteten Deutschland, standen die Bedingungen für eine totalitäre Entwicklung demnach günstig.

Im Gegensatz zu den Nationalsozialisten verfügten die Kommunisten über ein vollständiges Weltbild. „Der Bolschewismus war die Revolution der radikalen Intelligenz.“ Der Kampf gegen Großgrundbesitzer, die Kontrolle über die Industrieproduktion und die Beendigung des Krieges sind zentrale Elemente der Sowjetrevolution. Dass die Umsetzung der von Karl Marx nicht mit praktischen Handlungsanweisungen versehenen Theorie auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, findet in der 1921 von Lenin ausgerufenen „Neuen Ökonomischen Politik“ ihren Ausdruck. Damit wird, sehr pragmatisch, ein Teil der vorangegangenen Kollektivierungsmaßnahmen wieder rückgängig gemacht.

Italien, das „Land der Städte, nicht der Metropolen“, sieht Neumann – wie Deutschland – als „verspätete Nation“. Das Land befand sich nach dem ersten Weltkrieg in einem recht frühen Stadium des Kapitalismus. Eine Parteienstruktur, wie im weiter entwickelten England, Frankreich oder Deutschland, existierte nicht. Politische Fraktionen basierten auf persönlicher Gefolgschaft, nicht auf einem Programm. Obgleich das Land zu den Siegermächten des Ersten Weltkrieges zählt, ist den meisten Italienern klar, dass seine „Triumphe eher seinen ruhmreichen Verbündeten geschuldet“ sind, als eigenen Anstrengungen. Dies wird zur Quelle nationaler Minderwertigkeitskomplexe. Der faschistische Schlachtruf „Wer ein Schwert hat, hat auch Brot“, fällt bei den durch die Nachkriegsdepression am schwersten getroffenen Gesellschaftsgruppen auf fruchtbaren Boden – bei jungen Facharbeitern und Angestellten.

Neumann analysiert Herkunft und Werdegang der Führer der drei totalitären Bewegungen und hebt die wichtige Rolle von deren Stellvertretern für die innere Organisation ihrer Parteien hervor. Er weist außerdem darauf hin, dass es sich – insbesondere bei den nationalsozialistischen Revolutionären der ersten Stunde – um, im Vergleich zum politischen Establishment, durchwegs junge Männer handelt.

Das Phänomen der Masse, das Wesen des Einparteienstaats, die institutionellen Rahmenbedingungen zur Kontrolle der Massen und die Konsequenzen des für den Totalitarismus sinnstiftenden, permanenten Krieges, sind weitere Schwerpunkte des Buches. In der von den Westmächten bis 1939 betriebenen Politik des „Appeasement“ sieht der Autor eine Konsequenz der völligen Fehleinschätzung des seinem Wesen nach auf permanente Expansion gerichteten Nationalsozialismus´. Das Dilemma Deutschlands, das im Nationalsozialismus seinen letzten Ausdruck findet, fasst Neumann so zusammen: „Es ist das Herz Europas, sein Bollwerk gegen den Osten, und gleichzeitig der große Fremde inmitten der europäischen Zivilisation.“

In einer zwanzig Jahre nach der Ersterscheinung geplanten zweiten Auflage geht es Neumann um einen „Weg zur Theorie des Totalitarismus“. Wegen des frühen Todes des Autors kommt dieses Projekt über den Rahmen einer Konzeption nie hinaus.

Aus heutiger Sicht erscheint es – angesichts der unverkennbar totalitären Tendenzen in den Imperien beiderseits des Atlantiks – befremdlich, dass der Autor die Gefahr des Totalitarismus´ ausschließlich mit autokratischen Regimes verbindet, nicht aber mit Demokratien. Autokratische Regimes können jedoch in mancher Hinsicht durchaus „liberal“ sein (man denke an Chile unter Augusto Pinochet, in dem ein radikal wirtschaftsliberaler Kurs gefahren wurde, von dem das Land heute noch profitiert), während (am Ende alle?) Demokratien sich mehr und mehr zu geschlossenen Zwangserziehungsanstalten für ihre Bürger aufschwingen. Stalin, Mussolini oder Hitler jedenfalls dachten niemals daran, ihren Bürgern das Rauchen zu verbieten oder vorzuschreiben, auf welche Weise sie ihre Wohnungen zu beleuchten hätten. Die politischen Führer der EU sind da aus völlig anderem Holz geschnitzt. Die Frage zu beantworten, weshalb das so ist, bleibt rezenten Totalitarismusforschern vorbehalten…

Permanente Revolution
Sigmund Neumann
LIT-Verlag 2013
472 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-64312046-5
49,90 €

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Pädophile Altlasten auch in Österreichs Grünbewegung drucken

Die deutschen Grünen müssen sich derzeit einem dunkeln und unrühmlichen Kapitel ihrer Vergangenheit stellen. In den 80-er Jahren haben Teile der Ökopartei die Legalisierung von Pädophilie gefordert. Dieses unappetitliche Thema ist nach über 20 Jahren nun von den Medien aufgegriffen worden und beschäftigt derzeit die deutsche Öffentlichkeit. An Österreichs Grünen ist diese Debatte bisher spurlos vorübergegangen. Zu unrecht.

Denn auch in den heimischen Grünbewegungen gab es Bestrebungen, Sex mit Kindern zu entkriminalisieren. In einem „Programm zur Sexualität“ der Alternativen Liste Wien aus dem Jahr 1984 heißt es etwa: „Wir treten ein für das Recht eines/r jeden auf Homosexualität, auf die freie und selbstbestimmte Verbindung zwischen jedem/jeder und jedem/jeder, unabhängig von Geschlecht und Alter und frei von sonstigen Regeln und Einschränkungen.“

Die Alternative Liste war eine der beiden Vorgängerorganisationen der Grünen, wobei die Wiener Landesgruppe politisch besonders weit links stand. Wie ihr Positionspapier zur Sexualität in mehreren Passagen beweist, haben sich verschiedene Gruppen innerhalb der heimischen Öko-Bewegung Mitte der 80-er für Pädophilie stark gemacht. Im Programm zur Sexualität, das vom Plenum der ALW beschlossen worden ist, heißt es weiter:

„Noch immer existieren in Österreich diskriminierende Gesetze gegen sexuelle Kommunikation der Kinder mit Erwachsenen:
§ 206 Beischlaf mit einer unmündigen Person
§ 207 Unzucht mit Unmündigen

WIR VERLANGEN: Die sofortige und ersatzlose Streichung aller Gesetze, die die Einschränkung, Reglementierung oder diskriminierende Unterdrückung der Sexualität bedeuten. In Handlungen sexueller Kommunikation, die dem freien Einverständnis aller Beteiligten (also auch der Kinder) entspringen, darf kein demokratischer Gesetzgeber sich einmischen (…)“

Was die Alternativen als diskriminierendes Gesetz und was unter sexueller Kommunikation mit Kindern verstehen, verdeutlicht dieser § 206 des Strafgesetzbuches: „Wer mit einer unmündigen Person den außerehelichen Beischlaf unternimmt, ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.“

Die ALW hat ihre Position zur Sexualität im Übrigen fast wortident vom Programm der Homosexuellen Initiative, kurz HOSI, übernommen. Die Forderungen nach legaler Pädophilie wurden dem damaligen Zeitgeist entsprechend unter dem Vorwand der sexuellen Befreiung der Kinder erhoben. Schließlich sei die Asexualtität der Kinder nur ein Mythos, heißt es im ALW-Programm. Deshalb setze man sich „gegen die Beschneidung elementarster Persönlichkeitsrechte der Kinder, also auch des Rechts auf selbstbestimmte Sexualität“ ein. Mit pseudoemanzipatorischen und revolutionären Phrasen versuchte man die widerlichen Bedürfnisse und Forderungen pädophiler Gruppen zu tarnen.

Das gestehen nun auch die deutschen Grünen ein. Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, der sich in den 8o-ern ebenfalls für legalen Sex mit Kindern eingesetzt haben soll, räumt nunmehr ein: „Man habe da von einvernehmlichen und gleichberechtigten pädophilen Beziehungen gefaselt und über die strukturelle Asymmetrie zwischen Erwachsenen und Kinder hinwegschwadroniert".

Und auch die Leitfigur der europäischen Grünbewegung, Daniel Cohn-Bendit, dessen Vergangenheit die laufende Debatte in Deutschland ausgelöst hat, gesteht nun ein, dass seine Einlassungen von jedem Pädophilen als moralischer Persilschein für Kindesmissbrauch gelesen werden könnten. Cohn-Bendit hatte im Buch „Der große Basar" erotische Spiele mit Kindern in seiner Zeit als Erzieher in einem alternativen Kinderladen Ende der 70-er Jahre beschrieben. Jetzt behauptet er allerdings, dass die Beschreibungen nur seiner Fantasie entsprungen seien, er habe bloß provozieren wollen. Die linken Mainstreammedien geben sich mit dieser Erklärung, die doch etwas nach einer Schutzbehauptung klingt, nur allzu bereitwillig zufrieden.

Wie auch immer, die systematischen Missbrauchsfälle in der deutschen Odenwaldschule oder in der burgenländischen Mühl-Kommune zeigen, dass im alternativ-linken Milieu über Kindesmissbrauch nicht nur „schwadroniert“ worden ist.

Die Relativierungsversuche der grünlastigen deutschen Medien, man müsse die Aussagen Cohn-Bendits im Kontext des damaligen Zeitgeistes sehen und beurteilen, greifen schon deshalb nicht, weil es eben Politiker und Aktivisten wie Cohn-Bendit waren, die für dieses Klima und diesen Zeitgeist die Verantwortung (mit)tragen. Schon im Sinne der vielen Opfer wäre eine umfassende, ehrliche und von ideologischen Interessen unabhängige  Aufklärung dringend erforderlich. Das gilt auch für Österreich, wo die ebenfalls überwiegend grün-affinen Mainstreammedien dieses unappetitliche Thema bisher links liegen gelassen haben. Und aus eigenem Antrieb melden sich die Grünpolitiker offensichtlich nicht zu Wort. Nur keine Wellen, so kurz vor den Nationalratswahlen.

Dabei wäre die deutsche Diskussion auch ein idealer Anlass, sich mit den pädophilen Strömungen und Tendenzen in der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Zumal die Grünen gerne und oft andere politische Gruppen und Institutionen (etwa die katholische Kirche) für ihre mangelnde Bereitschaft kritisieren, sich kritisch der eigenen Vergangenheit zu stellen. Nun haben die österreichischen Grünen die Gelegenheit zu beweisen, wie sie mit den Leichen in ihrem eigenen Keller umgehen. Es ist eine Art Lackmustest, wie es um die Moral und die Glaubwürdigkeit der Ökopartei tatsächlich bestellt ist.

Mag. Werner Reichel ist Journalist und Autor aus Wien. 2012 ist „Die roten Meinungsmacher – SPÖ-Rundfunkpolitik von 1945 bis heute" im Deutschen Wissenschaftsverlag erschienen. Derzeit arbeitet er an einem Buch über Geschichte, Politik, Ideologie und Ziele der österreichischen Grünen.

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Die Armen werden immer ärmer: unwahr und gelogen drucken

Immer mehr Menschen werden immer ärmer. Tausende Leitartikel, Sonntagspredigten und Politikererklärungen werden in ganz Europa auf diesen Satz und seine Konsequenzen aufgebaut. Meistens will man damit schlechtes Gewissen erwecken, damit man noch mehr Schulden machen, noch mehr Steuern erhöhen kann. Zum Nutzen der Sozialindustrie und der eigenen Klientel. Nur stimmt der eingangs stehende Satz nicht. Ganz und gar nicht. Das Gegenteil stimmt: Die Menschheit befindet sich trotz ihrer Vergrößerung in Milliardendimensionen nachweislich im steilsten Aufwärtskurs ihrer Geschichte. Lediglich Europa hat es vorgezogen zu stagnieren.

Das Erstaunliche: Diese wichtigste und erfreulichste Botschaft seit Menschengedenken wird von den Medien und der Politik weitgehend ignoriert. Sie leben nämlich (fast) alle von den negativen Nachrichten. Und sie wollen schon gar nicht zugeben, dass der Zuwachs an Lebensqualität genau jenen Faktoren zu danken ist, die sie und andere Gutmenschen ständig verurteilen.

Armut und Hunger nehmen ab, die Lebenserwartung steigt

Faktum ist, dass in den letzten Jahrzehnten die Lebenserwartung (mit wenigen Ausnahmen wie das kommunistische Nordkorea, wie das in Korruption versinkenden Russland oder das von einem senilen Diktator gequälten Zimbabwe) jedes Jahr um einige Monate länger wird. Faktum ist, dass es kaum noch Hungersnöte in der Welt gibt, die jahrtausendelang fixer Teil der Conditio humana waren. Und ebenso Faktum ist, dass die ersten Jahre des neuen Jahrtausends seit 2000 „den schnellsten Rückgang der Armut in der Geschichte der Menschheit gebracht haben“.

Dieses Zitat stammt wohlgemerkt nicht von einer Schönfärbeagentur, sondern aus einer mehr als unverdächtigen Quelle: aus der neuen Millenniumsstudie der UNO.

Der Einfluss der Sozialindustrie-Profiteure

Über diese Studie und diese Fakten wird nur erstaunlich wenig geredet. Denn ganz offensichtlich ist das Interesse vieler an der Armuts-Behauptung größer als an der Wahrheit. Die Sozialindustrie lebt ja vom schlechten Gewissen all jener, die keine Probleme haben, sich täglich sattzuessen, ein wohnliches Heim zu besitzen, hie und da auf Urlaub zu fahren und ihre Kinder in die Schule schicken können. Und sie lebt hervorragend davon, weil eben die Zahl und der Anteil dieser für schlechtes Gewissen empfänglichen Menschen ständig größer werden.

Gewiss, die Sozialindustriellen können auf Knopfdruck Einzelbeispiele von schrecklichen Einzelschicksalen präsentieren. Seriöse Studien gehen hingegen von der gesamten Menschheit aus. Nur so lassen sich gesamthafte Aussagen machen. Tatsache ist, dass die absolute Zahl der Armen trotz Bevölkerungsexplosionen in den letzten zwei Jahrzehnten mehr als halbiert worden ist. Die relative noch viel mehr.

So mancher weitblickende Europäer denkt schon daran, in welchem Zustand sich das heute noch so viel von Armut redende Europa selbst befinden wird, wenn einmal viele Länder Asiens Europa überholen. Das wird noch in diesem Jahrhundert passieren. Auch viele Länder Lateinamerikas und Afrikas erzielen seit Jahrzehnten ein höheres Wachstum als die EU. In Europa schauen hingegen die Zukunftserwartungen dank Geburtenverweigerung, Schulden, Sozialstaat, Abgabenhöhe und Überregulierungen gar nicht gut aus.

Entwicklungshilfe ist ein Irrweg

Umso wichtiger wäre es, die Faktoren zu kennen, die der Dritten Welt zu einem solchen Erfolg verholfen haben. Der politisch am häufigsten genannte Faktor hatte dabei aber keine entscheidende Bedeutung: die Entwicklungshilfe. Die hat zwar sicher auch etliches Positives bewirkt. In der Summe aber hat sie nicht nur Korruption und Fehlentwicklungen vermehrt, sondern in den am meisten unterstützten Ländern deren Wachstum beschädigt. Entwicklungshilfe löst nämlich einen sozialökonomischen Hospitalismus aus: Man muss nur laut genug jammern, und schon wird einem von außen geholfen.

Eigene Anstrengungen und Lernprozesse sind hingegen bei der Entwicklungshilfe-Rhetorik kein Thema, ja sogar schädlich. Nützlich ist es hingegen, möglichst oft von Kolonialismus (der schon zwei Generationen her ist), Neokolonialismus (was auch immer das genau sein soll) und Global Warming (wobei jede Infragestellung der diesbezüglichen Thesen streng verfolgt wird) zu reden sowie die absurde Behauptung zu verbreiten, der Reichtum anderer Teilnehmer des Welthandels wäre die Ursache der eigenen Armut.

All diese so gerne verbreitete Rhetorik ist jedoch Nonsens. Würde sie stimmen, müssten ja Länder wie Nordkorea, die sich fast zur Gänze vom Welthandel abkoppeln, besonders gut dastehen. Das müsste auch in jenen Ländern der Dritten Welt der Fall sein, die nie Kolonien waren. Umgekehrt kann diese Rhetorik auch nicht erklären, warum in vielen Statistiken ausgerechnet die Schweiz und Singapur an der Spitze stehen, die nie Kolonien hatten.

Die Rezepte eines Welt-Erfolgs

Was aber hat wirklich die Menschheit vorangebracht? Die wichtigsten Elemente des globalen Erfolgsrezepts:

  1. Die moderne Hygiene (etwa Trinkwasser- und Abwasser-Versorgung) hat viermal so viel zur Verlängerung der Lebenserwartung beigetragen wie die moderne Medizin. Trotzdem hat auch diese eine positive Auswirkung insbesondere auf die Erhöhung der Lebensqualität.
  2. Die moderne Landwirtschaft kann ein Vielfaches jener Massen ernähren – und sogar mit Fleisch versorgen! –, als vor wenigen Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten irgendjemand zu hoffen gewagt hätte. Dabei waren moderne Züchtungen, Genveränderungen, Pflanzenschutzchemie, Kunstdünger und viele andere wissenschaftliche Methoden im Spiel. Mit den von den vielen NGOs rund um die Grünen verfochtenen Zurück-zur-Natur-Methoden wären hingegen Hunderte Millionen verhungert.
  3. Alleine das bei uns heute so verpönte DDT hat viele, viele Millionen Menschen gerettet.
  4. Der Menschheit steht heute mehr Energie denn je zur Verfügung. Wachsender Energieverbrauch von der Dampfmaschine bis zu den Atomkraftwerken war und ist untrennbar mit jeder Verbesserung der Lebensdauer und -qualität verbunden.
  5. Viele Fehlentwicklungen konnten verhindert oder gestoppt werden, weil als Ergebnis der neuen Grundrechte vor allem die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Wissenschaft die Fortsetzung von Irrwegen meist rasch beendet haben. Umso schlimmer sind die zunehmenden europäischen Versuche, diese zentralen Grundrechte im Zeichen der Political correctness zu reduzieren und durch die Gleichstellung mit „sozialen“ Grundrechten (Recht auf Gesundheit usw.) total zu relativieren.
  6. Bis auf den Islam verzichten heute erstmals alle Religionen auf Gewalt und offensive Missionierung.
  7. Die Zahlen der Eroberungskriege, die blutigen Folgen von nationalistischem und ideologischem Expansionismus sind im historischen Vergleich stark zurückgegangen.
  8. Gesellschaftliche Ungleichheit ist zwar kein erstrebenswertes Ziel. Aber dort, wo sie zugelassen wird, hat sie sich als starker Antrieb erwiesen. Denn nur in ungleichen Gesellschaften hat es Sinn, sich anzustrengen, damit man zu den erfolgreichen zählt. Das ist in Feudalgesellschaften nicht möglich, wo die aristokratische Abstammung entscheidet und nicht die Leistung. Aber in einer offenen Gesellschaft ist es extrem hilfreich, Reichtum zuzulassen. Nichts treibt den Erfolg eines Landes mehr voran. Und daher ist auch nichts dümmer, als die Reichen durch Hochsteuern zu vertreiben, wie etwa jetzt in Frankreich. Umgekehrt war es viel schlauer, einem Gates, einem Stronach, einem Mateschitz zu erlauben, reich zu werden, als sie von Anfang an daran zu hindern. Und abertausenden anderen. Viele von ihnen finanzieren dann Stiftungen und Spenden mit viel besserer Wirkung, als es die von Beamten und Politikern verteilten Steuergelder jemals haben.
  9. Und last not least ist der Liberalismus zu nennen, egal ob man ihn Neo-, Alt-, Paläo- oder Wirtschaftsliberalismus nennt. Die Entfesselung der Kräfte des „Kapitalismus“, wie er von seinen Feinden genannt wird, also die Dynamik der eigenen (genauer: der familiären) Interessen von Milliarden Menschen: All das hat mehr für die Menschheit getan als alle anderen Faktoren zusammen.

Jede Vielfalt ist zentral verwalteten Staaten und Unionen überlegen

Nur mit all diesen Faktoren war es möglich, das Wissen und Können von so vielen Menschen zu aktivieren. Diese Summe ist selbst dem klügsten zentralistischen Fünfjahresplaner um ein Vielfaches überlegen. Natürlich passieren auch ohne Planwirtschaft Fehler, Dummheiten, Gaunereien. Aber in liberaler Vielfalt und Freiheit setzt sich das Bessere – eben meist auch das Gewinnträchtigere – viel rascher durch als in einem zentralverwalteten Staat oder in einer solchen Union. In einem zentralistischen Gebilde dauert es viel zu lange, bis eine Planungsbehörde einmal eingesteht, dass sie auf dem Holzweg unterwegs gewesen ist. Wenn sie es überhaupt tut.

Und Europa? Jahrhundertelang war der Kontinent nicht zuletzt auf Grund der Vielfalt seiner Staaten und Nationen, vielleicht auch wegen seines Klimas, sicher auch durch Christentum, Judentum, Aufklärung und das Erbe der griechisch-römischen Antike allen anderen weit überlegen. Heute jedoch ist Europa alt und müde geworden. Es kann sich offensichtlich nicht mehr aus den lähmenden Banden eines trügerischen Wohlfahrtssystems retten. Es muss daher zumindest am Beginn des neuen Jahrtausends im Gegensatz zu den letzten 2000 Jahren allen anderen Regionen den Vortritt lassen. Ob das noch einmal revidiert werden kann, werden erst unsere Nachfahren wissen. Sofern es solche überhaupt gibt.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Ist Südtirol das Waisenkind der europäischen Wertegemeinschaft? drucken

Durch die Napoleonischen Kriege Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die Ideen der Französischen Revolution nach ganz Europa getragen. Hierfür waren besonders die intellektuellen Kreise des Bürgertums empfänglich. Die Auswirkungen waren in den Ländern höchst unterschiedlich, denn mit der militärischen Niederlage Napoleons wurde eine Phase der Restauration des Feudalismus und des Absolutismus eingeleitet.

Italien war zu dieser Zeit in viele Fürstentümer zersplittert. Um 1815 formierte sich eine Bewegung zur Einheit und Freiheit dieses Landes, die auch „Risorgimento“ genannt wird. Ein bekannter Vertreter war Giuseppe Mazzini. Nach mehreren Kriegen wurde die Einheit Italiens errungen: Am 17.03. 1861 wurde das „Königreich von Italien“ ausgerufen. Südtirol (einschließlich Welschtirol) und Venetien gehörten nicht dazu.

Mit der Gründung der Organisation „Italia Irredenta“ („Unerlöstes Italien“) durch Matteo Renato Imbriani-Poerio im Jahre 1877 wurde die Risorgimento-Bewegung durch den Irredentismus abgelöst. Dieser verlangte die Einverleibung von Welschtirol, Triest, Friaul und Istrien, nicht aber die des heutigen Südtirols. Höhepunkt dieser äußerst aggressiven Bewegung waren die Gebietsforderungen an die Schweiz in Bezug auf das Tessin und Graubünden in den 20-er und 30-er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Ettore Tolomei, der von vielen als „Totengräber Südtirols“ bezeichnet wird, ging über die Ziele des Irredentismus hinaus und propagierte, dass auch Südtirol italienisch sei. Seit 1901 begann er fieberhaft, alle Namen von Orten, Bergen, Tälern und Flüssen in Südtirol ins Italienische zu übersetzen. Er bestieg 1904 den Klockerkarkopf und nannte ihn „Vetta d´Italiá“ („Spitze Italiens“), nur um der Welt vorzugaukeln, Südtirol sei schon immer italienisch gewesen. Die Tatsache, dass dort 1910 nur 7.339 Italiener (2,9 Prozent der Bevölkerung) lebten, wurde geflissentlich verschwiegen.

1915 fiel Italien seinen Bündnispartnern – dem Deutschen Kaiserreich und Österreich-Ungarn – militärisch in den Rücken. Als Lohn für den Vertragsbruch verlangte Italien von den Siegermächten das südliche Tirol als Kriegsbeute. Dabei kam den italienischen Militärs die Vorarbeit von Ettore Tolomei sehr gelegen. Der Leiter der italienischen Delegation, Vittorio Emmanuele Orlando, präsentierte den Siegermächten eine manipulierte Landkarte, wo sämtliche Orts- und Flurnamen Südtirols nur auf Italienisch angegeben wurden. Damit sollte die „Italianítá“ Südtirols bewiesen werden.

In Hinblick auf den Kriegsgegner Österreich-Ungarn, der zuweilen als „Vielvölkergefängnis“ bezeichnet wurde, prägte der damalige US-Präsident Woodrow Wilson den Begriff „Selbstbestimmungsrecht der Völker“. Wilson wollte eine „Berichtigung der Grenzen Italiens nach den genau erkennbaren Abgrenzungen der Volksangehörigkeit“ (14-Punkte-Programm). England und Frankreich waren in ihrem kolonialen Denken so befangen, dass sie nicht auf die Idee kamen, dass auch ihre Kolonien, geschweige denn Tirol, gemeint sein könnten. Hinzu kam der Wille dieser beiden Alliierten, ihren ehemaligen Kriegsgegnern maximal zu schaden. Ein gemäßigterer Umgang mit den Unterlegenen hätte vielleicht mit dazu beigetragen, einen zweiten Weltkrieg zu verhindern.

Südtirol wurde Opfer von Täuschung und kolonialem Denken. Als Wilson von diesem Täuschungsmanöver erfuhr, war der verhängnisvolle Vertrag bereits unterschrieben. Der Präsident war sehr betrübt, dass sich der Geburtsort seines Helden Andreas Hofer dadurch plötzlich in einem fremden Land befand. Hofer war die einzige Persönlichkeit, die sich offen und kompromisslos gegen die Fremdherrschaft durch Napoleon gestellt hatte. Von Wilson ist der sich selbst tröstende Ausspruch verbrieft: „Die deutschen Tiroler sind ein herzhaftes Volk, und ich hege keinen Zweifel daran, dass sie selbst imstande sein werden, das zu ändern.“

Durch den Vertrag von Saint-Germain fiel das südliche Tirol an Italien. Mit dem Erstarken des italienischen Faschismus im Jahre 1921 begann eine schwere Zeit für die Südtiroler. Erinnert sei an den „Bozner Blutsonntag“ und an den „Marsch auf Bozen“. Am 15.07.1923 im Stadttheater von Bozen präsentierte Ettore Tolomei sein 32-Punkte Programm und kündigte an, die deutsche Kultur und Sprache mit Stumpf und Stiel auszurotten. Es wurden etliche Dekrete zur Unterdrückung der Südtiroler erlassen, die Kultur- und Sozialkassen ausgeplündert und alle Schutzhütten konfisziert. Zudem wurden tausende Italiener in Südtirol angesiedelt.

Um die Identität der Südtiroler zu zerstören und die Daseinsberechtigung der Italiener zu unterstreichen, wurden Denkmäler aus der k. u. k. -Zeit zerstört und faschistische, geschichtsfälschende, Bauten errichtet. Die bekanntesten sind das Siegesdenkmal, das Haus des Faschismus und die Beinhäuser in Gossensaß, Mals und Innichen. Letztere sollen die Nachwelt glauben lassen, dass italienische Truppen im 1. Weltkrieg am Alpenkamm Südtirol vor den Aggressoren aus dem Norden heldenhaft verteidigt haben. In Wirklichkeit verlief die Front weit südlich der Grenze des jetzigen Südtirols.

1939 schlossen Mussolini und Hitler ein Abkommen zur Umsiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung nach Deutschland ab. Mit der „Option“ wollte Rom den Südtirolern endgültig den Garaus machen. Durch den Ausbruch des 2. Weltkrieges kam dieses Vorhaben ins Stocken. Hitler opferte Südtirol zwecks eines Militärbündnisses mit Italien.

Die Situation nach 1945

Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Südtiroler ein zweites Mal bestraft, nur weil Italien die Seite gewechselt, und die Österreicher – bedingt durch Hitlers erzwungenen Anschluss an Deutschland – auf der „falschen“ Seite gekämpft hatten. Der Staat Österreich existierte seit 1938 nicht mehr. Somit fehlte der Interessensvertreter Südtirols bei den Nachkriegsverhandlungen. Resultierend aus der brutalen Unterdrückung der Südtiroler durch die Italiener wurde Südtirol Italien, dieses Mal unter der Bedingung der Gewährung einer Autonomie, zugeschlagen. Italien unterlief den Pariser Vertrag in der Art und Weise, dass es die Autonomie auch auf die Region Trentino ausweitete. In der neu geschaffenen Provinz Trentino-Südtirol befanden sich die Südtiroler plötzlich in der Minderheit. Die Regionalregierung beschloss Gesetze über ihre Köpfe hinweg, was zur Verbitterung und zum Unmut führte.

Während sich das nördliche Westeuropa in der Nachkriegszeit eines wirtschaftlichen Aufschwungs und der gewonnenen Freiheit erfreute, fiel Italien, insbesondere Südtirol, in alte Zustände zurück. Dank der Generalamnestie für alle Faschisten und ihre Kriegsverbrechen durch den Justizminister (und späteren KP-Vorsitzenden) Palmiro Togliatti im Jahre 1946 kam es zu einer Renaissance des italienischen Faschismus. 1957 brachte man in Bozen am Haus des Faschismus die letzten Mussolini-Reliefs an.

Rom dachte gar nicht daran, den Südtirolern die Rechte zu geben, zu denen es sich laut Pariser Vertrag verpflichtet hatte. Es setzte seine Politik der Assimilation fort. Angesichts dieser Ausweglosigkeit kam es 1957 auf Schloss Sigmundskron zu einer Demonstration von 35.000 Südtirolern. Sepp Kerschbaumer gründete 1959 den Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) und organisierte Bombenanschläge. Die Meinungen über die Aktivisten der BAS mögen auseinander gehen. Ihr Verdienst, die Weltöffentlichkeit auf die ungelösten Probleme in Südtirol aufmerksam gemacht zu haben, ist aber unbestritten. Einige Aktivisten kamen durch Folterung um, andere leben noch heute im Exil.

In der Südtiroler Volkspartei (SVP) haben Persönlichkeiten wie Alfons Benedikter, Hans Dietl und Dr. Egmont Jenny Silvius Magnago gedrängt, eine Autonomieregelung zu erwirken, die völkerrechtlich verbindlich ist. Je länger die Bombenattentate andauerten, umso mehr kam es zum Verschleiß bei der SVP und bei den Unterhändlern Österreichs und umso mehr konnte sich Italien als Opfer darstellen. Nur so ist der überhastete Abschluss des Südtirol-Paketes (Zweites Autonomiestatut, das ab 1972 in Kraft trat) zu verstehen. Aus Angst, die Südtiroler könnten sich ein Beispiel an der Wiedervereinigung Deutschlands nehmen, erfüllte Italien nach 20 Jahre langer Verzögerung im Jahre 1992 (fast) alle Punkte dieses Vertrages. Österreich gab darauf vor der UNO eine Streitbeilegungserklärung ab, was aber nicht die Aufgabe seiner Schutzmachtfunktion bedeutet.

Jetzige politische Lage

Die erkämpfte Autonomie brachte Südtirol Wohlstand und relativen Frieden zwischen den Volksgruppen. Die SVP gab sich der Illusion hin, ohne Eingriffe Roms in die Autonomie leben zu können. Spätestens 2006 platzte dieser Traum wie eine Seifenblase. Das nationalistisch-faschistische Gedankengut ist in weiten Teilen der italienischen Bevölkerung noch tief verankert. Daraus resultiert ein Unverständnis für ethnische Minderheiten. So sagte am 05.02. 2013 Michaela Biancofiore, Parteifreundin von Berlusconi, der italienische Faschismus hätte den Südtirolern viel Gutes – wie etwa sanitäre Anlagen – gebracht… Als Landeshauptmann Durnwalder ankündigte, nicht zur 150-Jahresfeier der Staatsbildung Italiens zu erscheinen, gab es einen Sturm der Empörung. Die Südtiroler haben Italiener zu sein, basta!

Staatspräsident Napolitano schrieb an Durnwalder einen Brief, dessen Inhalt streng geheim gehalten wird. Per Pressemitteilung ließ er am 11.02.2011 wissen, dass er die Existenz einer „österreichischen Minderheit“ bezweifelt und „dass auch die Bevölkerung deutscher Sprache italienisch ist und sich mit großer Mehrheit so fühlt“. (Ein Jahr zuvor gab es eine Befragung, wo 95 Prozent der deutschen Südtiroler angaben, sich nicht mit Italien zu identifizieren.) Ist Napolitano wirklich so ahnungslos oder ignoriert er eine unbequeme Wahrheit?

Im Frühjahr 2013 trafen sich Napolitano und der deutsche Bundespräsident Gauck drei Mal. Dabei wurde auf der Pressekonferenz betont, dass Deutschland und Italien in einer „Wertegemeinschaft“ leben. Leider wurde seitens der Korrespondenten dieser Begriff nicht intensiv hinterfragt. Denn dann würden sich zwei grundverschiedene Auffassungen herauskristallisieren: Napolitano ist für einen Nationalstaat, wo Minderheiten an den Rand gedrängt werden, und Gauck ist ein Mensch der Freiheit. Allerdings lässt sich Napolitano nicht in die Karten schauen. So unterschreibt er Gesetze, die die Autonomie untergraben und ruft öffentlich zur Respektierung der Autonomie auf…

Francesco Palermo, Politiker des linken Partito Democratico, kündigte im Februar 2013 an, „ethnischen Ballast“ aus der Autonomie Südtirols zu entfernen. Jedoch aufgepasst: Der Proporz ist eine der friedensstiftenden und wichtigsten Grundsäulen der Südtiroler Autonomie!

Die Italiener waren in der Vergangenheit oft genug unsichere Kantonisten, die Verträge nur solange einhielten, solange sie für sie vorteilhaft waren. Daher muss man sich schon die berechtigte Frage stellen: Was ist das Wort eines italienischen Politikers wert?

Bedenklich sind auch die Aussagen von Ministerpräsident Monti am 25.10.2012 gegenüber der österreichischen Tageszeitung „Kurier“. Dort stellte er die Schutzmachtfunktion Österreichs in Frage und bezeichnete die Auseinandersetzungen um die Autonomie als „inneritalienische Angelegenheit“. Damit sagte er ganz offen, was italienische Spitzenpolitiker schon immer gedacht haben. Erinnert sei an eine Bemerkung des „Spiegel“, Ausgabe 46 von 1966, „Deutsch san mir“: „Sie stehen heute da, wo sie vor zwanzig Jahren auch standen, angewiesen auf den guten Willen der Italiener, die jede Konzession nicht als Pflicht aus dem Pariser Abkommen von 1946 ansehen, sondern als freiwilliges innerstaatliches Geschenk.“ Diese Aussage ist auch deshalb so brisant, weil bereits Ettore Tolomei in seinem Programm zur Assimilierung der Deutsch-Südtiroler am 15.07. 1923 gefordert hatte, dass das Ausland sich nicht in das Südtirol-Problem einzumischen habe.

Zeit zu handeln!

Wenn es nach den italienischen Politikern ginge, dann soll Südtirol zu einer ganz normalen, recht- und schutzlosen Provinz degradiert werden und nur der Name „Autonome Provinz Südtirol“ übrig bleiben. Die Autonomie Südtirols soll zu einer Worthülse verkommen und das Pariser Abkommen unterlaufen werden. Italien hat bis heute nicht alle Punkte seiner sich daraus ergebenen Verpflichtungen erfüllt (z. B. bloß Duldung deutscher Ortsnamen, einseitige Geschichtsdarstellung in Südtiroler Schulen, Diskriminierung von Deutsch-Südtiroler Fußballspielern durch Schiedsrichter).

Unter dem Vorwand der EU-Sparvorgaben hatte Mario Monti etliche Notstandsgesetze erlassen, wie zum Beispiel das „Decreto Salva Italia“ („Dekret zur Rettung Italiens“) vom 6. Dezember 2011, womit reihenweise Autonomie-Gesetze unterschiedlichen Ranges ausgehebelt werden. Gegenüber dem „Kurier“ sagte er süffisant: „Die Provinz hat im Rahmen der italienischen Verfassung alle Möglichkeiten, um ihre Positionen durchzusetzen.“ In der Zwischenzeit werden unumkehrbare Tatsachen geschaffen und die Italienisierung vorangetrieben.

Seit der Annexion Südtirols durch Italien wurden die Werte der Französischen Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Völker in unterschiedlicher Intensität vergewaltigt. Die Südtiroler werden ungefragt und gegen ihren Willen im italienischen Staatenverband gehalten. Die europäischen Staaten haben auf dem Altar der „guten wirtschaftlichen Beziehungen zu Italien“ die Werte geopfert, die sie eigentlich alle verbinden sollten.

Der Ist-Zustand Südtirols ist nicht gottgegeben. Erfreulicherweise hat in Südtirol die Diskussion zum Thema „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ derart an Intensität zugenommen, dass den Spitzenpolitikern der SVP Angst und Bange wird. Die von dem Südtiroler Schützenbund organisierte Veranstaltung „Jetzt! Für mehr Freiheit und Unabhängigkeit!“ am letzten Wochenende hat der Welt die Aufbruchsstimmung der Südtiroler gezeigt.

Die Partei Südtiroler Freiheit gab der Universität Innsbruck den Auftrag, ein Gutachten betreffs des Selbstbestimmungsrechtes Südtirols zu erstellen. Die Arbeit von Prof. Hilpold brachte zwar nicht den erhofften Freifahrtschein für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes, sie ist aber auch nicht als abschlägiger Bescheid zu verstehen, wie ein paar SVP-Funktionäre frohlocken. Diese haben offenbar das Gutachten nicht bis zum Ende durchgelesen. Jeder Fall hat seine Spezifität. Deshalb gibt es keinen Automatismus in puncto Anerkennung. Wichtig ist, dass ein Volk, welches sich abspalten will, möglichst mit einer Stimme spricht. „Aus einer Illusion kann damit Realität werden.“ (Abschnitt 5: Externe Selbstbestimmung: Illusion oder Wirklichkeit?)

Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Südtiroler den Ernst der Lage begreifen und an der von der Südtiroler Freiheit organisierten Befragung zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes im Herbst 2013 teilnehmen. Durch ein eindeutiges Votum der Südtiroler zum „Los von Rom!“ und im Windschatten der Freiheitsbewegungen in Schottland und in Katalonien kann Europa und somit auch Italien zu einem Umdenken bezüglich des Selbstbestimmungsrechts der Völker gezwungen werden.

Der Autor ist Deutscher, EDV-Spezialist und auf Grund der Zugehörigkeit seines Vaters zur bedrohten sorbischen Volksgruppe und als ehemaliger Mitkämpfer der DDR-Bürgerrechtsbewegung in Sachen Minderheitenschutz besonders engagiert.

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Der Hass ist links, ebenso wie Denunziation und Meinungsknebelung drucken

Wer links genug ist, ist über jede Kritik, ja auch über jedes Recht erhaben. Diese Regel gilt in vielen Bereichen unterschwellig – aber immer öfter jetzt auch schon oberschwellig. Ohne dass irgendeine rechte Gaunerei damit verteidigt werden soll, wird immer klarer: Polemik und Hass, Denunziation und Desinformation sind heute ganz überwiegend links. Und die Bestrebungen, die Meinungsfreiheit endgültig zu beenden, sind sogar exklusiv links.

Die Generation G in den Medien (der brillante deutsche Publizist Bok hat sie so getauft: G wie Gutmensch, Global und Greenpeace) unterstützt das alles völlig kritiklos. Sie führt das linke Gedankengut als Nachfolgerin der 68er organisch weiter. Ihre Methode: Jede noch so schwindlige und einseitige „Studie“ von Greenpeace, Arbeiterkammer, Amnesty, Armutskonferenz und wie all die sonstigen linken Vereine heißen, die von unserem Geld gedeihen, wird groß und als unbestreitbare Wahrheit berichtet. Wenn hingegen ein rechter (ÖVP-, FPÖ-, BZÖ-, TS-)Politiker etwas sagt, wird sofort auch schon in der scheinbar objektiven Nachricht wilde Polemik verpackt.

Aber längst geht es um mehr als um die organisierte Desinformation durch linkslastige Medien. Es geht um organisierte Gewalt, Einschüchterung und Meinungsfreiheit. Aber auch das hat mit den Medien zu tun: Das kann sich nur deshalb so sehr ausbreiten, weil die Medien so einäugig berichten.

Ein Beispiel der linken Gewaltaffinität sind die zahlreichen kriminellen Taten des links-grünen Vorfelds gegen farbtragende Studenten, egal ob nun schlagend oder katholisch. Immer öfter werden von Wien bis Deutschland deren „Buden“ und Mitglieder, sobald sie sich auf der Straße als solche zu erkennen geben, attackiert und verletzt beziehungsweise beschädigt. Zuletzt am 8. Mai. Vom Polizeipräsidenten, dem Genossen Pürstl, werden nach solchen Zwischenfällen nicht etwa die Täter gesucht, sondern die Opfer beschimpft (Nur zur Klarheit: Ich bin bei keiner Verbindung in irgendeiner Form Mitglied, weil ich persönlich mit Trachten aus dem 19. Jahrhundert nichts anfange. Aber ich habe mein ganzes Leben Farbstudenten als gesellschaftlich positiv engagierte und in keiner Weise rechtswidrige Personen kennengelernt).

Ein anderes Beispiel – zwar einen Kontinent weiter, aber aus haargenau der gleichen linken Denkwelt kommend: Beamte der amerikanischen Steuerbehörden haben ganz gezielt scharfe Steuerprüfungen gegen alle Vereine durchgeführt, die als „patriotisch“ oder Teil der Tea Party galten. Jetzt ist das zwar aufgeflogen, und einige kurze Tage lang ist sogar ein wenig diskutiert worden, ob Barack Obama davon gewusst hat. Eigentlich jedoch nur mit dem besorgten Unterton, ob ihm das am Ende schaden könnte. Aber das ist gar nicht das zentrale Thema. Das besteht vielmehr in der Tatsache, dass sich unter Obamas – von politisch korrekten Menschen laut als ethisch besonders wertvoll bejubelten – Regierung ein solcher Geist breitmachen konnte. Ein Geist, der alles für sakrosankt hält, was „gegen Rechts“ ist. Also einschließlich krimineller Methoden.

Ein weiteres Beispiel ist die Überwachung der Mails und Telefone der größten amerikanischen Nachrichtenagentur AP. Diese hatte einige für die Regierung unerfreuliche Dinge enthüllt. Worauf die Regierung des so nett wirkenden Barack Obama mit einer Brutalität, die man einst nur in kommunistischen Staaten oder unter Mubarak & Co gekannt hätte, die gesamte Redaktion zu überwachen begann. Big Brother Barack. Richard Nixon war ein Waisenkind dagegen.

Das nächste Beispiel finden wir wieder in Europa. Hier stoßen wir bei den Grünen – vor allem in Deutschland – auf eine massiv päderastische Vergangenheit. Diese findet sich keineswegs nur in den autobiographischen und von seiner Fraktion nie beanstandeten Texten der 68-er Ikone Cohn-Bendit; dieser wurde übrigens gerade mit einer Auszeichnung und einer Festrede des Linksjournalisten de Weck gefeiert. Die grüne Liebe zur Päderastie findet sich vielmehr auch in ihren ganz offiziellen Parlamentsanträgen, diese Tätigkeit doch straffrei zu stellen.

Ein anderes Beispiel klingt im Vergleich dazu harmlos, ist aber letztlich ebenfalls sehr folgenschwer. Das ist die Grüneuphorie in zahllosen österreichischen Zeitungskommentaren. Da werden die katastrophalen Ideen der grünen Wirtschafts- und Sozial-Politik total ignoriert (bedingungsloses Grundeinkommen und dergleichen); ebenso deren totalitärer Tugendfuror; ebenso ihre gewalttätige Vergangenheit; ebenso die weitgehende Deckungsgleichheit der grünen Positionen und Kampagnen mit denen der Kommunisten. Und jetzt wird sogar so getan, als ob Grün der Zukunftstrend wäre.

Dabei haben die Grünen lediglich in zwei Bundesländern gewonnen, wo sie als Folge des schwarz-roten Antagonismus den Vorsitz in wichtigen U-Ausschüssen bekommen haben. Womit sie sich dort als Sauberkeitspartei positionieren konnten. In Wien hingegen, wo man erstmals grüne Kommunalpolitik ganz konkret erlebt, sind sie bei den Umfragen auf steiler Talfahrt. Und noch steiler ist diese an den Universitäten: Dort sind die Grünen in den letzten Jahren von 29 auf unter 16 Prozent gesunken. Bei den Großen schreibt man bei einem solchen Abstieg von Katastrophe, bei den Grünen wird das einfach medial weggeschwiegen.

Komplett von Grünen durchsetzt sind so gut wie alle Institutionen, die "Umwelt" im Titel haben (auch dort, wo die Grünen nicht an der Regierung beteiligt sind). So auch das deutsche Umweltbundesamt in Dessau. Dises hat nun zu endgültig totalitären Methoden gegriffen: Es publiziert die Namen aller "Klimawandelskeptiker in Deutschland", also die Namen von Journalisten und Wissenschaftlern, die behördlich nicht erwünschte Positionen vertreten. Im alten Rom hat man das Proskriptionslisten genannt. Die sind nur oberflächlich harmloser als das, was vor einigen Monaten ein Grazer Musikwissenschafter gefordert hatte: nämlich gleich direkt die Todesstrafe für sogenannte Klimaskeptiker (die Staatsanwälte hat natürlich ein solcher Mordaufruf nicht interessiert).

Als kleines weiteres Beispiel kann ich mein eigenes Tagebuch nehmen. Da darf ich mich regelmäßig über linke Gäste freuen, die mich als „senilen Dolm“ bezeichnen. Oder die Ex-Bundeskanzler Schüssel „widerliche Dreckssau“ nennen.

Noch viel schlimmer ist das, was sich im Leserforum des rot-grünen Zentralorgans Standard“ abspielt. Diese Hass-Orgien sind nun in einem ganzen e-book dokumentiert worden, bei dessen Lektüre einem geradezu übel wird (auch wenn die Autoren die Ton- und Stimmungslage der „Standard“-Leser mit Humor erträglich zu machen versuchen). Man bekommt ein ziemlich deutliches Bild, wie gut und moralisch die selbsternannten Gutmenschen wirklich sind.

Ein weiteres Beispiel für linken Schmutz sind fast sämtliche Wahlkämpfe. Da wurde Wolfgang Schüssel von einem SPÖ-nahen Sudelmagazin eine erfundene illegale Pflegerin unterschoben, die eine alte Frau im Familienkreis gepflegt hätte. Da wird jetzt aus der gleichen Ecke der Dienstvertrag der Spindelegger-Ehefrau in die Öffentlichkeit gespült (ein absolut nicht problemloser Vertrag, nur schaut sich eben niemand die Verträge und Plagiate linker Politiker an). Da wird gerade jetzt in Deutschland ein Buch auf den Markt gebracht, das Angela Merkel wegen ihrer Mitgliedschaft in der einstigen Ostgewerkschaft einen Strick drehen will. Und, jede Wette, die Menge des Schmutzes wird bis September da wie dort noch zunehmen.

Ganz typisch für die Grünen war auch ein kürzlich in Deutschland kursierender Facebook-Eintrag eines Grünpolitikers. „Schade, dass die NSU-Gruppe sich nicht solche vorgenommen haben“ – und dazu wurde ein Photo des FDP-Chefs Rösler gezeigt. („Die NSU-Gruppe“ ist die Neonazi-Bande – man sollte sie keineswegs beschönigend „Gruppe“ nennen –, die über viele Jahre Morde an zugewanderten Türken begangen hat). Dass der Mann daraufhin von den Grünen ausgetreten ist, sei der Vollständigkeit halber hinzugefügt; aber er sah in seinem Text auch danach bloß eine „Überreaktion“. Und der Eintrag bleibt wohl signifikant für die Hass-Stimmung bei den deutschen Grünen. Er erinnert auch an die blutigen, ganz ähnlich gelagerten Hassorgien aus dem linken Eck, nachdem die vorvorletzte Innenministerin plötzlich verstorben ist.

Während ausschreibungsfreie Agenturaufträge schwarzer Ministerien nicht nur im ORF, sondern auch in vielen anderen Medien landauf, landab scharf und breit berichtet und kritisiert werden, kommt Claudia Schmied völlig kritiklos davon. Dabei hat sie mindestens 1,5 Millionen an „Experten“ aus dem SPÖ-Umfeld vergeben. Natürlich ohne jede Ausschreibung. Dabei hat sie allein mindestens 670.000 Euro an die überaus SPÖ-nahe Agentur Ecker und Partner bloß für die „Koordination“ der Propaganda zugunsten der „Neuen Mittelschule“ ausgegeben.

Diese Agenturaufträge interessieren dennoch keinen Staatsanwalt. Was rechtswidrig ist. Denn selbst, wenn die Ecker-Leistung werthaltig gewesen sein sollte, was dubios ist, darf dennoch ein Ministerium kein Steuergeld für Propaganda gegen die Gesetze ausgeben. Und die NMS-Propaganda hatte unbestreitbar massive Elemente einer parteipolitischen Bewerbung der Zwangsgesamtschule für alle. Im Gesetz steht jedoch das Gegenteil, nämlich das achtjährige Gymnasium.

Zugleich werden die sogar etwas kleineren Aufträge der Telekom an eine FPÖ-nahe Agentur gerade von der einäugigen Staatsanwaltschaft in einem großen Prozess aufgerollt. Ich bin sehr dafür, dass das bestraft wird (falls die Agentur-Leistungen nicht ihr Geld wert waren, sondern nur aus parteipolitischer Liebedienerei vergeben worden sind). Aber der wirkliche Skandal ist, dass die Selbstbedienungsmentalität einer Partei gegenüber dem mehrheitlich staatskontrollierten Unternehmen Telekom groß dramatisiert wird, während die Selbstbedienungsmentalität einer anderen Partei gegenüber anderen staatskontrollierten Unternehmen von der gleichen Staatsanwaltschaft unter den Teppich gekehrt wird. Das geschieht etwa beim einstigen Griff der Herren Faymann und Ostermayer in die Kassen von Asfinag und ÖBB. Auch diese Staatsfirmen mussten – noch viel mehr – Geld für Dinge zahlen, die einzig der Partei und Faymann genutzt haben. Und die zumindest im Fall ÖBB dem Unternehmen sogar geschadet haben. Aber die einen sperrt man ein, die anderen werden Bundeskanzler. Quod licet Iovi, non licet bovi.

Ist dem Leser noch nicht übel genug ob all des linken Hasses, ob all der Einäugigkeiten, ob all der grün-roten Zerstörung des demokratischen Rechtsstaats? Dann sollte man sich noch zu Gemüte führen, was die Sozialisten im EU-Parlament fordern (Sie werden übrigens von Hannes Swoboda geführt, der auch aus der Wiener Rathaus-Partie kommt, welche Österreich schon Faymann und Ostermayer beschert hat und die sich seit Jahrzehnten über Recht und Ordnung erhaben dünkt.). Nach den roten Wünschen sollen künftig Parteien, welche die „Werte der EU nicht respektieren“ mit Strafzahlungen belegt werden.

Das ist nichts anderes als eine Bestrafung jener Parteien, welche die falsche Meinung haben. Dabei wird wohlweislich nicht einmal definiert, was denn überhaupt die Werte sind, die wir künftig wie einst den Geßler-Hut respektieren müssen. Genügt es dreimal täglich zu sagen: „Hoch die EU und ihre Werte“? Oder muss man künftig auch ganz detailliert sagen: „Hoch das Glühbirnenverbot; Hoch die unbegrenzten Schuldenhaftung; Hoch die Zuwanderung; Hoch die vielen die Meinungsfreiheit einschränkenden Political-Correctness-Regeln der EU; Hoch die ständig größer werdende Zahl der EU-Kommissare; Hoch die Geldverschwendung durch einen doppelten Sitz der EU-Parlaments; Hoch das undemokratische Parlament, in dem ein maltesischer Abgeordneter nur einen Bruchteil der Wähler einer deutschen braucht; Hoch das (geplante, aber vorerst wieder schubladisierte) Verbot von Salatöl-Flaschen in Restaurants; Hoch der Milliardenbetrug mit EU-Förderungen von den mediterranen Ölbäumen bis zu den österreichischen Almen!“?

Aber das alles ist eh nur der Vorschlag einer Minderheitsfraktion, sagen jetzt wohl manche. Sie sollten sich nicht täuschen. Die EU-Kommission hat den Vorschlag nämlich schon gierig aufgegriffen und will ihn zwingend realisieren.

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Bücherverbrennungen damals und heute drucken

Vor 75 Jahren haben Nazis am Salzburger Residenzplatz rund 1.200 Bücher öffentlich verbrannt. Am Scheiterhaufen landeten vorwiegend Werke jüdischer und katholischer Autoren. Der Initiator der Bücherverbrennung – SS-Mann Karl Springenschmid – in seiner Feuerrede: „Verbrannt, vernichtet sei alles, was an klerikaler Knechtung und jüdischer Verderbnis den Aufbruch einer wahrhaft deutschen Kultur behinderte.“

Ein Hass-Ritual, ein symbolisches Zeichen der Auslöschung von Meinungsfreiheit und Menschenleben. Hinter der öffentlichen Zerstörung eines Buches steht nämlich immer auch die Drohung, gleiches dem Autor anzutun.

Ein dunkles Kapitel, das sich nicht wiederholen darf. In Salzburg hat die „Initiative Freies Wort“ vor einigen Tagen der Bücherverbrennung am 30.April in Salzburg mit zahlreichen Lesungen, Vorträgen und Aktionen gedacht. Angesichts der aktuellen Entwicklungen in Europa ist eine solche Gedenkveranstaltung durchaus wichtig und sinnvoll. Allerdings nur, wenn man die richtigen Lehren aus dem Geschehenen zieht, den richtigen Bezug zur Gegenwart herstellt und sein Handeln und seine Politik dementsprechend ausrichtet. Andernfalls sind solche Gedenkveranstaltungen nur abgenutzte sinnentleerte Rituale, Bühnen auf denen sich die Protagonisten als mutig, engagiert, couragiert inszenieren dürfen. Nach dem Motto, ja wenn wir damals gelebt hätten, was wären wir nicht für furchtlose und schneidige Widerstandskämpfer gewesen. Ähnlich wie auf einem Kinderfasching, wo sich die Kleinen unter der Obhut von Kindergärtnerinnen als Bat- oder Spiderman verkleiden und so tun, als hätten sie Superkräfte.

Sich mutig, edel und als Held fühlen, ohne etwas zu riskieren, ein geistiges Wellness-Programm für Opportunisten. „Voraussetzung für die Konjunktur des virtuellen Antifaschismus ist das Fehlen des realen Faschismus“, hat es Henryk M. Broder auf den Punkt gebracht. Johannes Gross, einer der klügsten deutschen Journalisten, schrieb: „Je länger das Dritte Reich tot ist, umso stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen.”

Wer der Bücherverbrennungen während der NS-Zeit gedenkt, der muss auch gegen die neuen Formen dieses Ungeists auftreten. Alles andere ist Schmierentheater, Parolen und Mahnungen wie „Wehret den Anfängen“, „Nie wieder“ oder „Die Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“ verkommen sonst zu hohlen Phrasen. Und es gibt genügend aktuelle Gründe und Anlassfälle, um gegen die neuen Formen der Bücherverbrennungen in Europa auf die Barrikaden zu steigen.

So hat etwa der tschechische Künstler Martin Zet unter dem Motto „Deutschland schafft es ab“ dazu aufgerufen, 60.000 Exemplare des Thilo Sarrazin-Bestsellers  „Deutschland schafft sich ab“ einzusammeln und für einen „guten Zweck“ zu recyceln, sprich zu vernichten. Die Neosozialisten waren von dieser „originellen“ Aktion begeistert. Zahlreiche linke Gruppierungen und staatsnahe Institutionen unterstützen anfangs mit großem Engagement  die Büchervernichtung für die „gute Sache“. Das hatten wir doch schon.

Diejenigen, die zur Büchervernichtung aufrufen, haben stets „überzeugende“ Argumente und „hehre“ Ziele. Auch daran hat sich nichts geändert. Dass nach dem Aufruf, Sarrazins Bücher zu vernichten, die Journalistin Mely Kiyak in der Frankfurter Rundschau die Eskalationsschraube weiter anzog und Sarrazin als „lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur“ bezeichnete, kann deshalb nicht verwundern. Bücherverbrennungen beinhalten eben immer auch die Drohung, den Autor zu vernichten. Die Entmenschlichung des Feindes ist ein Schritt in genau diese Richtung.

Wer die dominante Ideologie und den Zeitgeist kritisiert, wird von den Funktionseliten und ihren Wasserträgern verfolgt, geächtet und in der rechtsextremen Ecke entsorgt. Die mittlerweile unüberschaubare Anzahl an Dogmen, Verboten und Sprachregelungen der im Kern totalitären Öko-Gender-Multikulti-Ideologie dürfen nicht angezweifelt oder in Frage gestellt werden! Sie sind mittlerweile sakrosankt.

Ideologie geht vor Fakten

Auf Ketzer und Zweifler reagieren die unbefleckten Hüter der politisch korrekten Moral stets gereizt und aggressiv.  Davon können nicht nur Prominente wie Thilo Sarrazin oder Eva Herman ein Lied singen, die Liste derer, die ins soziale Abseits gedrängt, kriminalisiert und mundtot gemacht wurden, weil sie die falsche Meinung hatten, wird immer länger. Um möglichst effektiv gegen Abweichler vorgehen zu können, werden immer neue Gesetze mit sehr weitem Interpretationsraum (Stichwort: Verhetzung) erfunden. Wurde das in Salzburg thematisiert oder gar angeprangert, oder erstreckt sich die Freiheit des Andersdenkenden eben doch nur auf das linke politische Spektrum?

Dienen die damaligen Bücherverbrennungen gar dazu, die immer weiter fortschreitende Einschränkung eines offenen gesellschaftlichen Diskurses und der Meinungsfreiheit in Europa zu verteidigen und rechtfertigen? Schließlich meinte die Hauptrednerin der Gedenkveranstaltung, die Journalisten Barbara Coudenhove-Kalergi: Der Antisemitismus von heute heißt Antiislamismus.

Und eben weil diese Behauptung in vielerlei Hinsicht falsch und haltlos ist, wurde sie von den Neosozialisten aus strategischen Gründen zum politisch-korrekten Dogma erhoben, um sie so gegen jeden Einwand und gegen Sachargumente zu immunisieren. Sie dient den Apologeten der Multi-Kulti-Ideologie nun als Totschlagargument, um alle Zweifler und Kritiker kurz und schmerzlos zum Schweigen zu bringen. Wer nicht freudig im Zug der Lemminge mit marschiert und Beifall klatscht, ist ein Nazi. Punkt.

Auch das platte Gutmenschen-Klischee, dass der gemeine Österreicher in der Regel ein dummer unverbesserlicher Rassist sei, bedient Frau Coudenhove-Kalergi in ihrer Rede: „Als vor einigen Wochen in Wien ein Einheimischer eine afrikanische Frau vor die U-Bahn stieß, weil sie seiner Meinung nach auf dem Bahnsteig zu laut telefonierte, wurde er von einem österreichischen Gericht freigesprochen. (…) Nur wenige Zeitungen haben die Geschichte für wert befunden, um darüber zu berichten. (…) Heimat und Volkstum gegen Weltbürgertum.“

Das ist gleich doppelt falsch. Zum einen wurde der Mann nicht freigesprochen, sondern zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt. Aber wer will sich schon eine tolle Story durch Fakten ruinieren. Zum anderen ist auch die Behauptung unrichtig, dass nur wenige Zeitungen über den Fall berichtet haben. Das Gegenteil ist wahr. Von den Gratis-Boulevardblättern bis zu den Qualitätszeitungen haben praktisch alle heimischen Blätter ausführlich und breit über die Attacke und den Prozess berichtet (30 Sekunden googlen hätten genügt, um das festzustellen). Bezeichnend ist auch, dass fast alle Medien in diesem Fall wie selbstverständlich von Rassismus ausgegangen sind.

Aber die Behauptung passt eben so schön in die klischeehafte Gutmenschenwelt.

Es ist in Wahrheit vielmehr so, dass die sich rasant häufenden brutalen Prügel-Attacken gegen junge autochthone Männer in Deutschland und Österreich von den Mainstreammedien weitgehend ignoriert und verharmlost werden und es fast nur noch jene Fälle mit tödlichem Ausgang überhaupt in die Zeitungen schaffen (wie etwa die Fälle Daniel S. oder Jonny K). Das stört die Mahner und Bedenkenträger aber offenbar nicht. Da ist man gerne großzügig. Wenn man Verbrechensopfer nicht für seine politischen Ziele instrumentalisieren kann, dann ignoriert man sie einfach.

Dass immer mehr Medien den Lesern und Sehern die Vornamen und Herkunft der Täter vorenthalten, ist natürlich keine (Selbst)Zensur, sondern bloß eine notwendige erzieherische Maßnahme, um für mehr Gerechtigkeit, Frieden und Verständigung zu sorgen. Amen.

Der selektive Umgang von und mit Medien

Die vielen Profiteure des politisch-korrekten Systems haben schließlich nicht das geringste Interesse daran, dass der gemeine Bürger hinter die bunt bemalten Fassaden des potemkinschen Multi-Kulti Dorfes blickt. So schön ist es dort wirklich nicht. Deshalb berichten die Mainstreammedien nur noch verzerrt, lückenhaft und selektiv. Die Wahrheit ist dem Menschen doch nicht mehr zumutbar. Presse- und Meinungsfreiheit ja, aber Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen, wie linke „Anti“-Faschisten gerne argumentieren. Und was Faschismus ist, bestimmt die politisch-korrekte Elite im Alleingang.

Deshalb wird eines der letzten relevanten liberal-konservativen Printmedien im deutschsprachigen Raum, die unbequeme Schweizer Weltwoche, permanent vor Gericht gezerrt. Erst wenn das letzte Widerstandsnest vernichtet und eine linke Medien-Monokultur hergestellt worden ist, sind die Neosozialisten glücklich. Mit Bücherverbrennungen – in welcher Form auch immer – haben sie in Wahrheit wenig Probleme, es müssen nur die „richtigen“  Bücher brennen.

Da Printmedien und Rundfunksender fast alle auf Linie sind, findet kritischer Journalismus fast nur noch im Internet statt. Sehr zum Ärger der politischen Eliten. Auf nationaler und europäischer Ebene gibt es aus diesem Grund längst Bestrebungen, diese Lücke endlich zu schließen. Während missliebige Meinungen verboten werden, werden genehme gefördert und belohnt. Da immer mehr Mainstream-Zeitungen aufgrund von Leser- und Anzeigenschwund in finanzielle Schwierigkeiten geraten, sollen sie nun unter dem Deckmantel der Meinungsvielfalt und des Qualitätsjournalismus mit Steuergeldern wieder aufgepäppelt werden.

So fordern die deutschen Grünen eine „staatlich unabhängige Stelle zur Förderung des Journalismus“ und die SED-Nachfolgepartei Die Linke will „eine staatsferne, öffentliche Finanzierung von Qualitätsjournalismus“. Der war gut. Anders ausgedrückt, die politisch-korrekten Dorftrommler sollen mit Steuergeldern künstlich am Leben gehalten werden. Zuckerbrot für die Claqueure, Peitsche für die Widerspenstigen. Mit Meinungsvielfalt und -freiheit hat das nur noch wenig zu tun.

In solch einem Klima ist es für die politische Elite ein Leichtes, die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu steuern und zu beeinflussen. Deshalb wissen mittlerweile (fast) alle braven Untertanen, dass an der Finanz- und Wirtschaftskrise die bösen Neokapitalisten und Spekulanten schuld sind; dass Windräder gut und Atomkraftwerke schlecht sind; dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen nur ein gesellschaftliches Konstrukt sind; dass es allen besser geht, wenn man die Reichen enteignet; dass die Grünen stets auf der richtigen Seite stehen; und dass alle Konservativen, Kapitalisten und Rechten abgrundtief böse und schlecht sind.

All das sind dank der flächendeckenden Propaganda der Mainstream-Medien und unseres linken Bildungssystems mittlerweile allgemein anerkannte und akzeptierte Wahrheiten. Wer sie anzweifelt, ist krank (hat eine Phobie), dumm, durchtrieben und ein Nazi. Das ist ziemlich praktisch, weil man keine Bücher mehr verbrennen muss. Es gibt ohnehin kaum noch jemanden, der kritische Bücher schreiben oder verlegen will bzw. kann.

Der freie Austausch von Gedanken über gesellschaftliche Umstände und Entwicklungen ist für die herrschende Elite immer ein Ärgernis. Das ist schon immer so gewesen. Freie Geister werden deshalb immer mit dieser Schicht in Konflikt geraten. Dieses Problem haben die meisten Journalisten, Intellektuellen, Autoren, Künstler und Bedenkenträger aber ohnehin nicht.

Werner Reichel ist Journalist und Autor aus Wien. Vor kurzem ist sein Buch „Die roten Meinungsmacher – SPÖ-Rundfunkpolitik von 1945 bis heute" im Deutschen Wissenschaftsverlag erschienen.

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Südtirol im Umbruch: Los von Rom findet Widerhall drucken

In Freiluft-Cafés entlang der Passer-Promenade sitzen Touristen und blinzeln in die Sonne. Gäste, die das am reißenden Gebirgsfluss gelegene Städtchen Meran vor allem wegen der von alters her gesundheitsfördernden Trauben-Kur aufsuchen, genießen ihr erstes Glas. Urplötzlich durchbricht rhythmischer Peitschenknall von Goaslschnöllern die wohltuende Leichtigkeit selbstgenügsamen Daseins. In Gruppen ziehen rot-weiße Fahnen schwenkende Weiberleit und Mander am Kurhaus vorbei zum Sandplatz, die einen in Tracht, die andern in Freizeitkleidung, nicht wenige im Festtagsgewand.

Rundum sind Stände errichtet worden, Funktionäre Südtiroler Parteien sowie Vertreter des Südtiroler Heimatbunds (SHB) diskutieren mit interessierten Passanten und drücken ihnen Broschüren in die Hand. Folkloristisch-musikalische Darbietungen sorgen für gute Stimmung, Volkstanzgruppen und Schuhplattler lösen einander ab.

Aus Flandern sind Flaggenschwinger auf dem Meraner Sandplatz, ein Traditionsverband aus dem Veneto marschiert im Trommelschlagschritt vorüber und gerät ob der Klänge der „Scottish bagpipers“ (Dudelsackspieler) beinahe aus dem Schritt. Der isländische Chor „Heklurnar“ trägt wehmütige Lieder aus dem Freiheitskampf gegen die Dänen vor. Und bald tanzen Einheimische und Gäste nach fetzigen Rhythmen der krachledern gewandeten Musikgruppe „VolxRock“. Womit sich zeigt, dass eine höchst politisch motivierte Initiative, der die Zukunft Südtirols am Herzen liegt, binnen kurzem den Charakter eines Volksfestes angenommen hat, bei dem sich mehr als zehntausend Besucher aus nah und fern auf dem erstmals in Südtirol stattfindenden „Unabhängigkeitstag“ ein farbenfrohes Stelldichein geben.

Eine in ein fröhliches Fest eingebettete Kundgebung – das ist es, was die Initiatoren unter Führung des traditionsreichen Südtiroler Schützenbunds (SSB) beabsichtigten. Unter dem Motto „Jetzt! Für mehr Freiheit und Unabhängigkeit" wollten sie zeigen, dass die Tiroler südlich des Brenners über ihre Zukunft nachdenken und sich anschicken, sie selber in die Hand zu nehmen.

Nicht in einem Aufmarsch seiner Kompanien und Bataillone unter Trommelwirbel wie im Jahr zuvor, der die italienischen Sicherheitsbehörden zu einem ausnahmezustandsartigen Aufgebot an Staatspolizei, Geheimdienstlern und Carabinieri veranlasste, sollte sich der Schützen-Auftritt erschöpfen, sondern ein Fest verschiedener Völker sollte es werden, die eines gemeinsam haben: Sie treten für die Unabhängigkeit und Freiheit ihrer Heimat ein. Die kurzweilige Festivität ist zweifellos ebenso gelungen wie die lautstarke Bekundung des politischen Willens Tausender, denen es um das „Los von Rom“ bitter ernst ist.

„Die Krise hat in den letzten Jahren viele wachgerüttelt, der Wunsch nach einem freien Südtirol wird immer größer“, sagt eine selbstbewusst auftretende junge Frau. „Wir haben unsere eigene Sprache und unsere eigene Kultur. Wir sind keine Italiener, und das soll auch so bleiben“, unterstützt sie ein junger Mann, dessen T-Shirt die Aufschrift „Dem Land Tirol die Treue“ trägt, und fügt hinzu: „Wir sind gegen unseren Willen bei diesem Staat.“ „Es gab bis vor kurzem Leute, die keine Befürworter der Unabhängigkeit waren, aber viele haben jetzt ihre Meinung geändert“, ergänzt seine Freundin. „Wir wollen über unsere Zukunft frei entscheiden können, und den Weg dorthin möchten wir frei wählen. Wir wollen uns nicht vor uns selber fürchten, vor der eigenen Freiheit, Selbstbestimmtheit und vor dem eigenen Mut“, ruft Verena Geier, eine kesse Marketenderin, den Teilnehmern zu, die sie namens des SSB begrüßt.

Bart De Valck aus Flandern und Matteo Grigoli aus dem Veneto legen Beweggründe für den Kampf ihrer Volksgruppen um Unabhängigkeit dar. Christopher White aus Schottland klärt über das für 2014 festgelegte Unabhängigkeitsreferendum in Schottland auf. Anna Arqué aus Katalonien und Enaut Arretxe Agirre aus dem Baskenland berichten unter tosendem Applaus vom Freiheitskampf ihrer Landsleute. Für die Isländer, die 300 Jahre lang unter dänischer Fremdherrschaft standen und dann die lang ersehnte Freiheit erlangten, spricht Jóna Fanney Svavarsdóttir und ermuntert die Südtiroler, die „erst“ seit 95 Jahren zu Italien gehören. Klaus Tschütscher, ehemaliger Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein, vermeidet zwar Äußerungen, welche ihm als „Separatismus-Empfehlung“ ausgelegt werden könnten, zeigt aber anhand seines Landes (nur 160 Quadratkilometer Fläche und lediglich 37.000 Einwohner) auf, wie lebensfähig ein Kleinststaat sein kann. Sympathie für das Begehr von Organisatoren und Zuhörerschaft lässt er dabei durchaus durchblicken.

Selbstbestimmung auf dem Vormarsch

Ob die Südtiroler Verfechter einer Freistaatslösung, wie die dortigen Freiheitlichen, Liechtenstein zum Vorbild nehmen; ob das Ziel, wie es die Partei Süd-Tiroler Freiheit ansteuert, die Vereinigung mit Tirol und damit Rückgliederung nach Österreich ist; oder ob es diffuser ist, wie bei der Bürger Union, die von einer „wahren Europaregion Tirol“ spricht – zweierlei eint die Landtagsopposition: Sie verlangt die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts und folgt der Devise „Weg von Italien“.

So bereitet die Süd-Tiroler Freiheit für Herbst ein Selbstbestimmungsreferendum vor und sammelt eifrig Unterschriften für die „Internationale Kommission Europäischer Bürger“ (ICEC), welche sich für die formale Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts als Grund- und Menschenrecht einsetzt. Mehr als 50 000 Menschen haben bereits die Erklärung „Ich unterstütze die Initiative für das Recht auf Selbstbestimmung aller europäischen Völker, welches von der Europäischen Union formal als Grund- und Menschenrecht anerkannt werden sollte, und fordere Unterstützung für alle Europäer, ihre Nationen und Institutionen, sollten sie die Ausübung dieses Rechts in Anspruch nehmen wollen" unterzeichnet, was im Zeitalter des Internets selbstverständlich auch unter https://www.europeancitizensdecide.eu/petition.php?language=8 möglich ist.

Die drei oppositionellen Landtagsparteien stellen sich damit vehement gegen die seit 1945 in Südtirol regierende Sammelpartei SVP, deren Ziel das Erringen der „Vollautonomie“ ist. Darunter versteht sie, „im Zusammenwirken mit Österreich“ Italien Zuständigkeiten auf den Politikfeldern Bildung, Steuern und innere Sicherheit (eigene Polizei) abzutrotzen, somit den Weg der „inneren Selbstbestimmung“ weiter zu beschreiten. Womit die SVP allerdings eingesteht, dass die von ihr bisher als „beste Autonomie der Welt“ gerühmte Selbstverwaltung der Provinz Bozen-Südtirol eine Teil-, allenfalls eine Halbautonomie ist, welche Rom in den vergangenen beiden Jahren nahezu bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt hat.

Elmar Thaler, Landeskommandant des SSB, prangert das Zaudern vieler Verantwortungsträger an. Viele Südtiroler wünschten sich als Ziel die „Loslösung von Italien“ und wollten Taten sehen, dies zu erreichen. Es gebe dafür kein fertiges Rezept, schon gar kein Patentrezept, Wege täten sich aber nur auf, wenn man sich entschlösse, sie zu gehen. Thaler unterstreicht die starke Bindung zu Nord- und Osttirol sowie zum „Vaterland Österreich“: „Woher würden wir die Forderung nach Selbstbestimmung nehmen, wenn wir nicht Teil eines abgetrennten Volkes, nämlich des Tiroler Volkes wären. Darauf und auf nichts anderes stützt sich unser moralischer Anspruch auf die Selbstbestimmung.“ Südtirol sei eine der wirtschaftlich stärksten Provinzen Italiens, verliere aber immer mehr den Anschluss an deutsche und österreichische Bundesländer und hinke ihnen immer mehr hinterher.

Seine viel beachtete Rede beendete der SSB-Landeskommandant mit den Worten: „Deshalb werden wir alles daran setzen, dass in unserem Land Schluss ist mit italienischen Verhältnissen.“

„Vollautonomie“ immer weniger glaubwürdig

Italien greift massiv in die Selbstverwaltungsrechte der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol ein. Mit Dekreten und Erlässen wird die dortige Landesregierung zur finanziellen Alimentierung des römischen Finanzbedarfs zur Bewältigung der Überschuldung des Staates gezwungen. Seit Jahrzehnten schieben Italiens Regierungen – egal wer sie jeweils stellt – einen Schuldenberg vor sich her, der rund 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmacht. Die Regierung Monti hatte allen 20 Regionen und 103 Provinzen aufgegeben, nicht nur selbst zu sparen, sondern er kürzte ihnen zudem die dringend benötigten Zuweisungen aus Rom, ohne die sie ihren Aufgaben kaum nachkommen können.

Bozen-Südtirol und die Nachbarprovinz Trient trifft es dabei überproportional hart. Beide sind aufgrund der politisch-historischen Nachkriegsentwicklung unter dem Dach der Autonomen Region Trentino-Alto Adige „vereint“. Sie sollen doppelt bluten, wobei sich soeben herausstellte, dass es den trickreichen Trentinern gelang, sich bei ihrem Anteil geschickt um zwei Fünftel der eigentlich von beiden Provinzen aufzubringenden und nach Rom zu transferierenden Gesamtsumme herumzudrücken. Für Südtirol allein hat das römische Oktroy zur Folge, dass die Landesregierung für 2013 und 2014 auf gut 850 Millionen Euro verzichten muss – bei einem Landeshaushaltsvolumen von rund fünf Milliarden.

Was ihr Monti aufbürdete, bricht nicht nur das 2010 in Kraft getretene „Mailänder Abkommen“, demzufolge 90 Prozent aller Südtiroler Steuereinnahmen direkt in Bozen verbleiben. Das römische Vorgehen verletzt auch das Autonomiestatut von 1972, mit dem der Jahrzehnte währende Südtirol-Konflikt beendet worden war und Italien Österreichs Schutzfunktion für die Südtiroler anerkannt hatte.

Dieses Abkommen ist nun infrage gestellt: Zum einen verstößt Rom damit, dass es Südtirol finanz-, sozial- und steuerrechtliche Bürden auferlegt, ohne das Einvernehmen mit der dortigen Landesregierung sowie dem Landesparlament gesucht zu haben, klar gegen das Autonomiestatut. Zum andern bedrohen Aussagen, wonach es bezüglich Südtirols um „inneritalienische Probleme“ gehe und die Schutzfunktion Österreichs überholt sei – wie sie just der außerhalb Italiens als Hoffnungsträger erachtete Monti von sich gab – die Respektierung einer internationalen vertraglichen Verpflichtung Italiens.

Damit ist man im Verhältnis Rom-Bozen wieder jener düsteren politischen Existenzform nahe, wie sie vor der formellen, auf UN-Resolutionen aus den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts fußenden italienisch-österreichischen Streitbeilegung bestand, als Rom Südtirol stets als inneritalienische Angelegenheit hingestellt hatte.

Da mögen Landeshauptmann Luis Durnwalder und der Chef der seit 1945 in Bozen regierenden Südtiroler Volkspartei (SVP), Richard Theiner, noch so sehr betonen, Rom habe die Autonomie zu respektieren und Wien schlage sich dafür in die Bresche. Viele Südtiroler besänftigen sie damit ebenso wenig wie ihre eigene Sorge darüber, dass Roms Politik den deutsch-tiroler Oppositionsparteien Aufwind verschafft und die Los-von-Rom-Stimmung begünstigt.

Zwischen Brenner und Salurner Klause gewinnt damit eine Diskussion darüber an Breite, ob der Ende des Ersten Weltkriegs von Italien annektierte und diesem im Friedensvertrag von St. Germain-en-Laye 1919 zugeschlagene südliche Landesteil Tirols im Stiefelstaat verbleiben oder seine Zukunft anderswo suchen sollte. Die Antworten der politischen Kräfte, die in Bozen, Innsbruck und Wien das Sagen haben, lauten: Mit der EU-Mitgliedschaft Österreichs und dem Entfall der Grenzkontrollen habe der Brenner seinen Charakter als „Unrechtsgrenze“ verloren.

SVP schwächelt zunehmend

Und die SVP sieht die Zukunft des Landes in der „Dynamisierung der Autonomie“ – trotz der von Rom betriebenen Kastration. Doch die „Sammelpartei“ SVP hat in den letzten Jahren merklich an Strahlkraft eingebüßt. Ihre Position ist seit der Landtagswahl 2008 geschwächt. Ein Skandal im Landesenergieversorger SEL AG, befördert durch personelle Verflechtungen mit ihr, haben der SVP enorm geschadet.

Derlei hat es unter Silvius Magnago, dem „Vater der Autonomie“, niemals gegeben. Die seit 1945 regierende Partei ist ausgelaugt, führungsschwach, von Flügelkämpfen durchgeschüttelt und durch Skandale angeschlagen. Die SEL-Affäre belastet Durnwalder, ohne den in der Südtiroler Politik seit 1989 nichts lief. Er tritt indes mit Ende der Legislaturperiode ab, weshalb die Parteibasis im Blick auf die Landtagswahl im Herbst unlängst den Spitzenkandidaten für die Nachfolge bestimmte – wobei sich Parteichef Theiner zuvor selbst aus dem Rennen genommen hatte. Es obsiegte Arno Kompatscher, der außerhalb Südtirols unbekannte Bürgermeister der Gemeinde Völs am Schlern, über seinen Mitbewerber Elmar Pichler, den Landesrat und früheren Parteiobmann.

In der Bevölkerung ist das Vertrauen in die „Sammelpartei der deutsch- und der ladinischsprachigen Südtiroler“ geschwunden. Sie weigert sich, über politische Alternativen zur angeblich „weltbesten Autonomie“ auch nur nachzudenken. Trotz deren von Rom aus betriebener Aushöhlung. Von Silvio Berlusconi über Monti bis zum Ex-Kommunisten Pier Luigi Bersani ist stets die Rede davon, den Provinzen und Regionen mit Sonderstatut  „(Autonomie-)Privilegien“ zu nehmen. 

Und Neu-Senator Francesco Palermo, den sich Parteichef Theiner aufgrund seines – in der SVP umstrittenen und mit dem Scheitern Bersanis höchst fragwürdig gewordenen – Wahlabkommens mit dem linken Partito Democratico (PD) quasi wie eine Laus in den Pelz setzen ließ, bekundete, die Autonomie sei vom „ethnischen Ballast zu befreien“.

Solche Aussagen müssten eigentlich alle Warnlampen aufleuchten lassen. Weit gefehlt. Stattdessen nimmt die SVP hin, dass Rom nicht nur seine vertraglich verbrieften Verpflichtungen nicht einhält; es nimmt offenbar auch ungerührt zur Kenntnis, dass Italien zu den Fußkranken Europas zählt. Und Südtirol damit selbst Teil des Pilzbefalls ist.

Wie es nach der Not-Wiederwahl Giorgio Napolitanos zum Staatspräsidenten und unter dem neuen Ministerpräsidenten Enrico Letta politisch weitergeht, der einer höchst brüchigen „großen Koalition“ aus PD und Berlusconis PdL vorsteht, erahnt man. Daher wird an Eisack und Etsch das „Los von Rom“ stärker, hinter dem sich Freiheitliche (fünf Sitze), Süd-Tiroler Freiheit (zwei Sitze) und Bürger Union (ein Sitz) trotz gelegentlicher, meist personeller Reibereien vereinen. Auch in der Südtiroler Jugend findet dies verstärkt Gehör, und sogar unter Wirtschaftstreibenden wird die Option eines eigenständigen „Südtirol außerhalb Italiens“ nicht (mehr) verworfen. 

Herrolt  vom Odenwald ist deutsch-österreichischer Historiker und Publizist.

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Hurra, Der Sozialismus ist mausetot drucken

Das ist im Grund die schönste Nachricht des Jahrzehnts: Die Sozialistische Internationale wird zu Grabe getragen.

Die SPD als größter Geldgeber kürzt ihre Gaben an die SI auf ein Zwanzigstel. Die an ihren Rockschößen hängenden Parteien wie die SPÖ tun Ähnliches. Schwer korrupte SI-Funktionäre, skandalöse Mitglieder wie die früheren ägyptischen oder tunesischen Regierungsparteien und eine völlige inhaltliche Leere haben diesen Schritt ausgelöst.

Das alles heißt nichts anderes als: Der Sozialismus ist tot! Das hat in Wahrheit Dimensionen, wie wenn die katholische Kirche keinen Papst mehr wählen würde. Oder wenn sich alle Mafia-Bosse der Polizei stellen wollten.

Ein kleiner Schritt, der ein großer für die Menschheit ist. Das ist schon mehr als ein herzliches Hurra wert.

Jetzt gründen einige dieser bisherigen S-Parteien halt ein neues Vereinchen mit dem Adjektiv „progressiv“. Nun denn: Sie haben ja in den letzten Jahren den schleichenden Tod des Sozialismus schon mit etlichen Adjektiven übertünchen wollen, wie „sozialdemokratisch“ oder „liberal“ (letzteres war ein besonders frecher Diebstahl, aber die Sozialisten werden es wohl als Mundraub in höchster Not gesehen haben).

Die Linken haben jedoch ihr eigentliches Problem wohl noch immer nicht begriffen: Sie haben keine historische Rolle mehr. Ihr Identitätsmerkmal der letzten Jahrzehnte – ständig unter der Parole des die gesamte Zukunft verkaufenden Wohlfahrtsstaates immer noch mehr Schulden zu machen – ist endgültig am Ende. Geistig wie ökonomisch. So wie es vorher Verstaatlichungen, Enteignungen, Gewerkschaftsbewegung, Kampf gegen die Kirche und Liquidierungen der Leistungsträger als Signale des Sozialismus waren. Auch der Internationalismus ist schon lange verblichen, waren die Überreste des Sozialismus doch zuletzt fast überall die eines sehr nationalen Sozialismus.

Köstlich nur, wie die Funktionärsschicht, also die einzige Gruppe der Profiteure des Wohlfahrtssystems, jetzt verzweifelt nach neuen Orientierungen sucht. Grünismus? Caritas-kommunistisch? Unpolitisch? Vom Erdboden verschwunden sind sie ja nicht. Denn Populismus ist unsterblich.

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Paneuropa – wie eine falsche Idee zur erzwungenen Realität werden soll drucken

Im Rahmen des in Wien im November 2012 veranstalteten Festaktes zu 90 Jahren „Paneuropabewegung" wurde der Präsident des Europäischen Rates, Hermann van Rompuy, mit dem „Europapreis Coudenhove-Kalergi" ausgezeichnet. Der Preisträger bedankte sich mit einer bemerkenswerten Rede, in welcher er auf die von Graf Coudenhove-Kalergi in den 20er Jahres des vorigen Jahrhunderts vorgetragenen Ideengrundlagen einging. Die Paneuropabewegung habe lange vor 1945 den „intellektuellen Nährboden" vorbereitet, der „die Idee eines vereinten Europa für viel mehr Menschen als jemals zuvor möglich machte."

Noch heute bestimme diese Idee Entwicklung, Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union. Coudenhove-Kalergi habe bereits damals die noch immer gültige Frage gestellt, ob denn „Europa in seiner politischen und wirtschaftlichen Zersplitterung seinen Frieden und seine Selbständigkeit den wachsenden außereuropäischen Weltmächten gegenüber wahren kann – oder es gezwungen ist, sich zur Rettung seiner Existenz zu einem Staatenbunde zu organisieren?"

Diese Grundsatzrede des Präsidenten des Europäischen Rates, des höchsten Gremiums der EU, ist Anlass genug,  auf die Ideen von Coudenhove-Kalergi abwägend näher einzugehen.

Vereinigte Staaten von Europa nach dem Muster der USA

Über die Finalité der paneuropäischen Bestrebungen räumt Coudenhove-Kalergi jeden Zweifel aus: „Die Krönung der paneueropäischen Bestrebungen wäre die Konstituierung der Vereinigten Staaten von Europa nach dem Muster der Vereinigten Staaten von Amerika." Wie nahe dieses Ziel bereits ist, beschreibt Hermann van Rompuy mit „Europas politischer Reise, von einem Markt und Handelsblock hin zu einer politischen Rechtspersönlichkeit in voller Blüte mit ihrem eigenen Parlament, ihrer eigenen Währung, ihrer eigenen Flagge, einer gemeinsamen Außenpolitik.“

In seiner euphorischen Feststimmung übersieht van Rompuy, dass  an dieser Reise  längst nicht alle Staaten des europäischen Kontinents teilgenommen haben, dem Europäischen Parlament  noch immer die legislative Gewalt fehlt,  der Europäischen Währungsunion einstweilen nur 17 von derzeit 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union beigetreten sind, von einer gemeinsamer Außenpolitik nur in Ansätzen die Rede sein kann und die europäische Flagge von manchen Mitgliedern auf ihren Regierungsgebäuden nicht aufgezogen wird.

Die geistige Basis der „Europäischen Nation“

Coudenhove-Kalergi träumte von einer „Europäischen Nation“ als der geistigen Basis der Vereinigten Staaten von Europa. Europa sei geistig „verbunden durch die christliche Religion, durch die europäische Wissenschaft, Kunst und Kultur, die auf christlich-hellenischer Basis beruht. Die gemeinsame europäische Geschichte begann mit dem Römerreich und der Völkerwanderung, fand ihre Fortsetzung in Papsttum und Feudalismus, Renaissance und Humanismus, Reformation und Gegenreformation, Absolutismus und Aufklärung, Parlamentarismus, Industrialismus, Nationalismus und Sozialismus.“ Diese „abendländische Kultureinheit gibt uns das Recht, von einer europäischen Nation zu sprechen, die sprachlich und politisch in verschiedene Gruppen gegliedert ist.“ Über die Zugehörigkeit zu seiner Nation hinaus, sollte jeder „gute Deutsche, Franzose, Pole und Italiener auch ein guter Europäer sein.“

Es fällt heute zunehmend schwer, in diesem Konglomerat von divergenten geschichtlichen Einflussfaktoren die europäische „Kultureinheit“ zu entdecken, welche die „Nation Europa“ begründen könnte. Die drei Hügel, auf denen einst die Wahrzeichen Europas standen – Akropolis, Golgatha und Kapitol – sind abgetragen, eingeebnet und unsichtbar geworden. Die einstigen Geistesgrößen der Griechischen Philosophie gelten heute als „Feinde der offenen Gesellschaft“, die Kreuze werden abgehängt, die römische Rechtskultur wich positivistischer Willkür.

„Europa schafft sich ab“, diagnostizierte der Altabt des Stiftes Heiligenkreuz im Sommer 2011. „Der Untergang Europas ist besiegelt, weil es sich mit seiner heutigen modernen Weltanschauung, die sich aus einer pervertierten Aufklärung entwickelt hat, verrannte“ (Gregor Graf Henckel von Donnersmarck). Geprägt ist diese „moderne Weltanschauung“ vom Geist des Antichristen, den Papst Franziskus sogar mit der Teufelsanbetung in Verbindung bringt. Sicher kein tragfähiges Fundament für Paneuropa und die „europäische Kultureinheit“!

Religionsbekenntnis und Nationalität müssen „Privatsache“ werden

Mit Coudenhove-Kalergi möchte auch Hermann van Rompuy für Europa „die Herzen der Menschen gewinnen“ und ihrer Denkweise den „Stempel Europa aufdrücken.“ Coudenhove-Kalergi wollte erreichen, dass Paneuropa „Wurzeln“ schlägt „in den Herzen und Köpfen der Europäer… Das paneuropäische Gemeinschaftsgefühl, der europäische Patriotismus muss Platz greifen als Krönung und Ergänzung des Nationalgefühls.“ Um das zu erreichen sei die „Trennung von Nation und Staat“ notwendig, und zwar so, wie Religion und Kirche vom Staat getrennt wurden: „Jeder Kulturmensch muss daran arbeiten, dass wie heute die Religion, morgen die Nation zur Privatsache jedes Menschen wird.“

Es sei eine Schande, dass heute Menschen wie einst für ihre Religion, so heute für ihre Nation „leben und sterben, morden und lügen“ würden. Die Nation sei „ein Reich des Geistes“, das nicht durch Grenzpfähle begrenzt werden könne. „Die deutsche Nation endet nicht an der Reichsgrenze: Österreicher und Südtiroler, Deutschböhmen, Deutschpolen und Deutschschweizer gehören ihr nicht minder an als Preußen und Bayern.“ Staatsbürgerliche Pflichten müssen von jedem Bürger erfüllt werden, „ohne je die kulturelle Zugehörigkeit zu seiner eigenen Nation zu verleugnen.“

Man kann Coudenhove-Kalergi vom Vorwurf der Ambiguität bei der Behandlung der nationalen Frage nicht freisprechen. Abgesehen davon, dass die Trennung von Kirche und Staat oder von Religion und Politik nach katholisch-orthodoxer wie römisch-katholischer Lehre eine Häresie darstellt. Papst Franziskus: „Das, was einer auf der Kanzel sagt, bezieht sich auf die Politik mit Großbuchstaben geschrieben, das ist die Politik, die Werte berücksichtigt; aber die Medien pflegen oft das Gesagte aus dem Zusammenhang zu reißen und es zugunsten der Parteipolitik an die Modeströmungen anzupassen.“

Einerseits fordert Coudenhove-Kalergi „europäischen Patriotismus“ und europäisches „Nationalgefühl“, um Europa als „Vereinigte Staaten“ begründen zu können; auf der anderen Seite plädiert er für die Trennung von Staat und Nation. Nationalistische Politik ist für ihn die „Totengräberin der europäischen Kultur“, doch laufen seine ganzen Vorschläge auf eine nationalistische Politik für „Paneuropa“ hinaus. Abgesehen von diesem Widerspruch, sind die Nationalstaaten ja „kein überständiger Restbestand des 19. Jahrhunderts, sondern eine in 2000 Jahren gewachsene Struktur und die lebendige Wirklichkeit des heutigen Europa. (Thilo Sarrazin)“ Verständlich, dass ganz in diesem Sinne der Ministerpräsident Großbritanniens, David Cameron, die Europäische Union aufforderte, „den Wert nationaler Identität anzuerkennen  und  die Diversität der europäischen Nationen als Quelle der Stärke zu schätzen.“

Europa, ein Machtzentrum der Welt

Coudenhove-Kalergi fürchtete, dass ohne „ihre Einigung die europäischen Staaten binnen kurzem von den wachsenden Weltmächten verschlungen werden“ Neben den vier anderen großen Weltzentren – dem panamerikanischen, dem britischen, dem russischen und dem ostasiatischen – könne Europa nur durch einen Zusammenschluss seiner die Zersplitterung bewirkenden Nationalstaaten sich behaupten. Entweder erfolge die Einigung freiwillig oder gewaltsam, durch Eroberung.

Als Coudenhove-Kalergi  1923 sein Buch schrieb und herausbrachte, sah er Europa durch Russland wie auch durch die amerikanische Wirtschaftskraft bedroht. Der Zusammenschluss „aller Staaten, von Polen bis Portugal“ sei die einzige Chance, wie Europa seine Selbständigkeit, sein Kolonialreich, seine Kultur und seine Zukunft noch retten könne.

Das Argument wird heute noch immer mit Vehemenz vertreten, doch es verliert zusehends an Überzeugungskraft. Nicht nur haben weit über hundert Kolonialvölker nach 1945 ihre Unabhängigkeit errungen, sondern auch der Zerfall des Sowjetimperiums sowie Jugoslawiens hat zur Entstehung von neuen Nationalstaaten geführt. In Ostasien widerspricht der Aufstieg relativ kleiner und in der Weltwirtschaft erfolgreicher „Tiger-Staaten“ der These Coudenhove-Kalergis, „Kleinstaaterei“ führe zum Untergang. Im Nahen Osten ist der erst 1948 gegründete Staat Israel ein Musterbeispiel, welche Macht Kleinstaaten in der Welt ausspielen können.

Zollunion unter sozialistischer Kontrolle

Dürftig sind die Vorstellungen Coudenhove-Kalergis auf wirtschaftlichem Gebiet. In der von den Schutzzöllen profitierenden Nationalindustrie sieht er einen wichtigen Gegner seiner Paneuropabestrebungen. Würde durch europäischen Zusammenschluss die Kriegsgefahr verschwinden, gäbe es keinen Grund mehr für national geschlossene Wirtschaftsgebiete und Autarkie, von denen monopolartige Treibhausindustrien profitierten. Freihandel und freie Konkurrenz würden nicht nur die europäischen Konsumenten mit besseren und billigeren Waren versorgen, sondern jene Industrien neue Märkte gewinnen lassen, welche die Konkurrenz nicht zu fürchten brauchen. Die Gefahren, die von Monopolindustrien und Trustbildungen ausgehen, könnten gebannt werden „durch eine sozialistische Kontrolle, die in Europa leichter durchzuführen ist als in Amerika, weil hier der Sozialismus über mehr Macht verfügt.“

In den über die Grenzen hinausdrängenden „paneuropäischen Monopolindustrien“  und dem „internationalistischen Sozialismus“ sieht Coudenhove-Kalergi starke Antriebskräfte für die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa, ebnet doch dort „die natürliche Vervollkommnung des kapitalistischen Systems … den Weg zum Sozialismus.“, jenem „Sozialismus, der die ganze Welt regeln wird“ und „die Menschheit wie von anderen Ausbeutungsfesseln auch befreien (wird) von den hemmenden zwischenstaatlichen Zollschranken.“

Coudenhove-Kalergi sollte mit diesem Hinweis auf die Verbindung von Monopolkapitalismus und Sozialismus Recht behalten. So berichtete Wolfgang Böhm jüngst über das 1983 erfolgte „Treffen der wichtigsten Konzernchefs von Philips über Siemens, Fiat, Volvo bis Nestlé, um die Idee eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes zu forcieren. Dieser „European Round Table“ fand Gehör beim sozialdemokratischen Kommissionspräsidenten Jacques Delors.“ 1986 öffneten „die einheitlichen Europäischen Akte“ den Weg zum Binnenmarkt.

Jetzt werden über „das mit Abstand wichtigste Projekt der Aufbau einer gemeinsamen transatlantischen Freihandelszone zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union“ noch im Sommer 2013 Verhandlungen aufgenommen. Inzwischen mehren sich die Stimmen der Auguren, die nach dem bereits 1993 erfolgten Beschluss über die „Agenda 21“ der UNO sogar eine Weltregierung im Entstehen sehen, welche die nachhaltige Entwicklung der Weltwirtschaft („sustainable development“) durch umfassende Regelungen und Kontrollen sichern soll.

Der Einspruch gegen dieses grundfalsche, eben auch von Coudenhove-Kalergi vertretene, liberale Konzept „gemeinsamer Märkte“, erfolgt jetzt nicht nur von Nationalökonomen alter Schule, sondern sogar von den Intelligenteren unter den Juristen. Sie sehen im Binnenmarkt einen „Grundfehler der Integration“ und wenden sich „gegen die Freihandelsdoktrin. (Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider)“ Der Eindruck drängt sich auf, die Politikversager möchten den ob seiner horrenden Arbeitslosigkeit gescheiterten, von der Bevölkerung nicht mehr mitgetragenen europäischen „Binnenmarkt“ durch die Flucht in den noch größeren „Nato-Markt“ kompensieren

„Welt-Union“ statt „Europäischer Union“? Das kann die Fahrt in den Abgrund nur beschleunigen.

Die Führung Europas durch den neuen Adel

Die bemerkenswerten Feststellungen zur Verbindung von Kapitalismus und Sozialismus durch gemeinsame Interessen bahnen den Weg zum Verständnis der elitären Vorstellungen Coudenhove-Kalergis über die politische Führung Europas, ihre Rekrutierung und Zusammensetzung.

Einen guten Zugang zu diesen Vorstellungen erhält der Leser durch eine kleine Schrift, die Coudenhove-Kalergi 1922 unter dem Titel „Adel“ veröffentlicht, aber wohl schon 1920 fertiggestellt hat. Die Schrift gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil ist die Rede vom „rustikalen und urbanen Menschen“. Er enthält Gegenüberstellungen von Landmensch und Stadtmensch; Junker und Literat; Gentleman und Bohemien; Inzucht und Kreuzung; heidnischer und christlicher Mentalität.

All diese Charakterisierungen sind amüsant zu lesen. Der rational denkende Stadtmensch habe den organisch denkenden Landmenschen abgelöst, der Literat und Geistesmensch den geistig minderbemittelten Junker und Blutadel verdrängt, der Bohemien den Gentleman. Der Rustikalmensch sei vielfach ein Produkt der Inzucht, der Urbanmensch eher ein Mischling, in dem sich Vielseitigkeit, geistige Regsamkeit, Freiheit von Vorurteilen und Weite des Horizontes verbinden. Schon diese in Kurzform wiedergegebenen Gegenüberstellungen lassen erkennen, wem die Führung in Zukunft gehören wird: Nicht dem „Blut- und Schwertadel“, sondern dem „Hirnadel“.

Der Held und der Heilige

Von besonderem Interesse in diesem ersten Teil ist der letzte Abschnitt mit der Gegenüberstellung von heidnischer und christlicher Mentalität, den wir weitgehend zitieren wollen.

„Heidentum stellt Tatkraft, Christentum Liebe an die Spitze der ethischen Wertskala.“ Christentum will das Raubtier Mensch in ein zahmes Haustier verwandeln, während Heidentum den Menschen zum Übermenschen umschaffen will. Im Mittelalter lebt das Heidentum als ritterliche, in der Neuzeit als imperialistische und militaristische Weltanschauung fort. Offiziere, Junker, Kolonisatoren, Industriekapitäne sind die führenden Repräsentanten modernen Heidentums. Tatkraft, Tapferkeit, Größe, Freiheit, Macht, Ruhm und Ehre: das sind die Ideale des Heidentums;

während Liebe, Milde, Demut, Mitleid und Selbstverleugnung wahre christliche Ideale sind. Allgemeingültiger heidnischer Individualismus ist nur in dünn bevölkerten Erdstrichen möglich, wo der Einzelne sich behaupten und rücksichtslos entfalten kann, ohne gleich in Gegensatz zu seinen Mitmenschen zu geraten. In übervölkerten Gegenden, wo Mensch an Mensch stößt, muss das sozialistische Prinzip gegenseitiger Unterstützung das individualistische Prinzip des Daseinskampfes ergänzen und zum Teil verdrängen.

Christentum und Sozialismus sind internationale Großstadtprodukte. Das Christentum nahm als Weltreligion seinen Ausgang von der rasselosen Weltstadt Rom; der Sozialismus von den national gemischten Industriestädten des Abendlandes. Beide Äußerungen christlicher Mentalität sind auf Internationalismus ausgerichtet, welcher die Zukunft bestimmen wird.

Christentum und Judentum

„Das Christentum, ethisch von jüdischen Essenern (Johannes), geistig von jüdischen Alexandrinern (Philo) vorbereitet, war regeneriertes Judentum. Soweit Europa christlich ist, ist es (im ethisch-geistigen Sinne) jüdisch; soweit Europa moralisch ist, ist es jüdisch. Fast die ganze europäische Ethik wurzelt im Judentum. Die prominentesten und überzeugtesten Vertreter christlicher Ideen, die in ihrer modernen Wiedergeburt Pazifismus und Sozialismus heißen, sind Juden … Der theokratischen Idee der Identifikation von Politik und Ethik ist das Judentum im Wandel der Jahrtausende treu geblieben: Christentum und Sozialismus sind beides Versuche, ein Gottesreich zu errichten. Vor zwei Jahrtausenden waren die Urchristen, nicht die Pharisäer und Sadduzäer, Erben und Erneuerer mosaischer Tradition; heute sind es weder die Zionisten noch die Christen, sondern die jüdischen Führer des Sozialismus: denn auch sie wollen, mit höchster Selbstverleugnung, die Erbsünde des Kapitalismus tilgen, die Menschen aus Unrecht, Gewalt und Knechtschaft erlösen und die entsühnte Welt in ein irdisches Paradies wandeln. Diesen jüdischen Propheten der Gegenwart, die eine neue Weltepoche vorbereiten, ist in allem das Ethische primär: in Politik, Religion, Philosophie und Kunst.“

Charakterstärke verbunden mit Geistesschärfe prädestiniert den Juden in seinen hervorragendsten Exemplaren zum Führer urbaner Menschheit, zum falschen wie zum echten Geistesaristokraten, zum Protagonisten des Kapitalismus wie der Revolution.

Das demokratische Zwischenspiel und sein Ende

Nicht minder anregend ist der zweite Teil dieser kleinen Schrift, der mit „Krise des Adels“ überschrieben ist. Er besteht aus 5 Abschnitten und wird mit einem „Ausblick“ abgeschlossen.

Gleich der erste Abschnitt „Geistesadel statt Schwertherrschaft“ hat es in sich. „Unser demokratisches Zeitalter“, schreibt Coudenhove-Kalergi, „ist ein klägliches Zwischenspiel zwischen zwei großen aristokratischen Epochen: der feudalen Aristokratie des Schwertes und der sozialen Aristokratie des Geistes. Die Feudalaristokratie ist im Verfall, die Geistesaristokratie im Werden. Die Zwischenzeit nennt sich demokratisch, wird aber in Wahrheit beherrscht von der Pseudo-Aristokratie des Geldes.“ Das Schwarzpulver bedeutete das Ende der Ritterschaft, der Buchdruck gab dem schriftstellernden Geist Machtmittel von ungeheurer Tragweite.

„Der Einfluss des Blutadels sank, der Einfluss des Geistesadels wuchs. Diese Entwicklung, und damit das Chaos moderner Politik wird erst dann ein Ende finden, bis eine geistige Aristokratie die Machtmittel der Gesellschaft: Pulver, Gold, Druckerschwärze, an sich reißt und zum Segen der Allgemeinheit verwendet. Eine entscheidende Etappe zu diesem Ziel bildet der russische Bolschewismus, wo eine kleine Schar kommunistischer Geistesaristokraten das Land regiert und bewusst mit dem plutokratischen Demokratismus bricht, der heute die übrige Welt beherrscht und korrumpiert.“

Dürfen wir hier, Coudenhove-Kalergi ergänzend, anmerken, dass manche nicht unbegründet vermuten, die kommunistische Geistesaristokratie sei in die Glaspaläste der Europäischen Union eingezogen, habe den Stuhl des Kommissionspräsidenten eingenommen und führe nun auch den Vorsitz im Europäischen Parlament? Und mit China würde diese „kommunistische Geistesaristokratie“ bereits eine Weltmacht regieren, von deren Wohl und Wehe der „Westen“ weitgehend abhängig sei? Hat demnach Coudenhove-Kalergi mit der Bemerkung recht, Kapitalismus und Kommunismus seien „beide rationalistisch, beide mechanistisch, beide abstrakt, beide urban“, im Grunde also verwandt? Offen bleibt für uns die Frage, ob aus dieser geistigen Verwandtschaft von Kapitalismus und Sozialismus tatsächlich, wie Coudenhove-Kalergi vermutet, ein neuer Geistesadel erwächst, dem die Führung Europas anvertraut werden kann?

Die Krise des Adels

Mit der Erfindung des Schwarzpulvers hat der Schwertadel endgültig ausgespielt. Der Ritter wurde vom Pferd geschossen. Der Blutadel, der einst seine Ländereien verwaltete und bodenständig war, kam bei Hofe mit der Dekadenz in Berührung und verdarb. Der Geistesadel aus Literatur, Wissenschaft, Kunst wurde vom korruptionistischen Kapitalismus „vergiftet“, „Schule und Presse sind heute beide in den Händen einer ungeistigen Intelligenz.“

Auch die „Geldaristokratie“, die Plutokratie, welche die Macht an sich riss, befindet sich „gegenwärtig in einer Verfallsperiode.“ Ihr war es gelungen, ihre Herrschaftsform hinter einer demokratischen Fassade aufzurichten, die Staatsmänner zu ihren Marionetten zu machen und ihnen die Richtlinien der Politik durch Bestechung zu diktieren. Herabgekommen zur Schieber- und Spekulantenaristokratie, droht der kapitalistischen Plutokratie durch den Bolschewismus und Sozialismus eine Katharsis, welche sie zwingt, soziale Forderungen mehr und mehr zu berücksichtigen. Der gemeinsame Tanz von Kapitalismus und Sozialismus hat schon begonnen.

Der unverzichtbare Adel

Trotz aller Verfallsformen ist Adel unverzichtbar: „Will die Menschheit vorwärts schreiten, braucht sie Führer, Lehrer, Wegweiser; Erfüllungen dessen, was sie werden will; Vorläufer ihrer künftigen Erhebung in höhere Sphären. Ohne Adel keine Evolution. Eudämonistische Politik kann demokratisch – evolutionistische Politik muss aristokratisch sein. Um emporzusteigen, um vorwärts zu schreiten sind Ziele nötig; um Ziele zu erreichen, sind Menschen nötig, die Ziele setzen, zu Zielen führen: Aristokraten.“ Das Zwischenspiel der Demokratie „entstand aus Verlegenheit: nicht deshalb, weil die Menschen keinen Adel wollten, sondern deshalb, weil sie keinen Adel fanden.“

„Von der europäischen Quantitätsmenschheit, die nur an die Zahl, die Masse glaubt, heben sich zwei Qualitätsrassen ab: Blutadel und Judentum. Voneinander geschieden, halten sie beide fest am Glauben an ihre höhere Mission, an ihr besseres Blut, an menschliche Rangunterschiede. In diesen beiden heterogenen Vorzugsrassen liegt der Kern des europäischen Zukunftsadels: im feudalen Blutadel, soweit er sich nicht vom Hofe; im jüdischen Hirnadel, soweit er sich nicht vom Kapital korrumpieren ließ.“

Die Überlegenheit ihres Geistes „prädestiniert“ die Juden „zu einem Hauptfaktor zukünftigen Adels“ und zur „Menschheitsführung. Bei ihnen ist seit jeher „das Gemeinsame, Verbindende und Primäre nicht die Nation, sondern die Religion. Im Laufe des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung traten in diese Glaubensgemeinschaft Proselyten ein, zuletzt König, Adel und Volk der mongolischen Chazaren, der Herren Südrusslands. Von da an erst schloss sich die jüdische Religionsgemeinschaft zu einer künstlichen Volksgemeinschaft zusammen und gegen alle übrigen Völker ab. (Richard N. Coudenhove-Kalergi nimmt hier Bezug auf das Buch seines Vaters, Dr. Heinrich Coudenhove-Kalergi: Antisemitismus )“

Die Jahrhunderte währende Verfolgung und Ausrottungsversuche durch das europäische Christentum [Anm.: Die erst mit dem Zweiten Vatikanum einsetzende Reflexion und Reaktion der römisch-katholischen Kirche auf diesen Vorwurf hat ihre Glaubwürdigkeit zutiefst erschüttert und sogar zur Änderung ihrer liturgischen Texte und Riten geführt] haben das Judentum gestählt und einem Ausleseprozess unterzogen, der es „zu einer Führernation der Zukunft erzogen“ und „zu einem geistigen Adel entwickelt“ hat. Das Judentum wird deshalb der Schoß sein, „aus dem ein neuer, geistiger Adel Europas hervorgeht; ein Kern um den sich ein neuer, geistiger Adel gruppiert“.

Lenin und Trotzki, der neue Adelstyp

Dieser neue Adel rekrutiert sich beileibe nicht nur aus dem Judentum. Coudenhove-Kalergi schwebt ein neuer Adelstyp vor, der aus „einem kleinen Rest sittlich hoch stehenden Rustikaladels und eine(r) kleinen Kampfgruppe revolutionärer Intelligenz“ besteht. „Hier wächst die Gemeinschaft zwischen Lenin, dem Mann aus ländlichem Kleinadel, und Trotzki, dem jüdischen Literaten, zum Symbol: Hier versöhnen sich die Gegensätze von Charakter und Geist, von Junker und Literat, von rustikalem und urbanem, heidnischem und christlichem Menschen zur schöpferischen Synthese revolutionärer Aristokratie.“ Der nicht korrumpierte Landadel hat eine Fülle vitaler Kräfte in tausendjähriger Symbiose mit der Natur gesammelt und aufgespeichert Gelingt es, diese gesteigerte Lebensenergie ins Geistige zu sublimieren, dann könnte vielleicht der nichtjüdische Adel der Vergangenheit  zusammen mit dem jüdischen Geistesadel Anteil nehmen am Aufbau des Adels der Zukunft, der sich durch alles „Hervorragende an Schönheit, Kraft, Energie und Geist“, an „Unbeugsamkeit des Willens, Seelengröße und Selbstlosigkeit“ auszeichnet.

Man kann über dieses neue „Herrschervolk“, diese neue „Herrenrasse“, deren Bildung Coudenhove-Kalergi sogar mit eugenischen Züchtungsmethoden fördern wollte, leicht die Nase rümpfen, doch die Bildung von Führungseliten gehört zu den unverzichtbaren Aufgaben staatlichen Überlebens. Auch wenn man die Verbindung von altem Adel und Sozialismus – ob nun „katholischem“ oder „jüdischem Sozialismus“ – ablehnt, so sollte zumindest das Faktum ein wenig des Nachdenkens wert sein, dass seine Kaiserliche und Königliche Hoheit, Otto von Habsburg, die Präsidentschaft der Paneuropabewegung nach dem Tode von Coudenhove-Kalergi übernommen hatte.

Sein Sohn Karl gehört dem Präsidium der Paneuropa-Union seit 1994 an. Unterstützt wurden und werden sie von vielen Angehörigen des Hochadels, die politische und soziale Verantwortung zu ihrem Anliegen gemacht haben. Darüber hinaus sind heute etwa einhundert Abgeordnete zum Europäischen Parlament Mitglieder der Paneuropa-Union.

In zahlreichen Querverbindungen wird die Zusammenarbeit mit den in den USA beheimateten Einflussgruppen gepflegt. Damit wird von der Paneueropabewegung dem Umstand Rechnung getragen, dass die Europäische Union heute nur noch als „euroasiatischer Brückenkopf der USA“ (Zbigniew Brzezinski) fungiert. Die von Hermann van Rompuy eingangs gestellte Frage, ob denn Europa seinen Frieden und seine Selbständigkeit den anderen Weltmächten gegenüber wahren kann, hat sich damit ebenso erledigt wie die Vorstellung Coudenhove-Kalergis, Europa könne durch Zusammenschluss zu einer auf der globalen Bühne mitspielenden Weltmacht werden. Denn trotz Europäischer Union ist Europa, wie Coudenhove-Kalergi schon 1923 befürchtete, „politisch und militärisch zum Schachbrett der Welt“ und anderen Großmächten hörig geworden.

Die Vereinigten Staaten von Europa – eine „idée fausse“

„Europa als politischer Begriff besteht nicht.“ Diese, wenn auch von ihm bekämpfte Einsicht, die Coudenhove-Kalergi 1923 vortrug, ist heute so gültig, wie sie es immer war. In seiner Geschichte war Europa nie eine staatliche Einheit, weder unter der Herrschaft Roms, noch unter den Kaisern und Päpsten des Mittelalters. Ganz zu schweigen von den gescheiterten Versuchen, die Napoléon, Stalin oder Hitler zur Neuordnung Europas unternommen haben.

Nach ihrer von Freiherrn von der Heydte so beredt beschriebenen „Geburtstunde des souveränen Staates“ im 13. Jahrhundert, hat die Entwicklung zu Nationalstaaten bis heute nicht an Fahrt verloren. Es ist einfach Utopie zu glauben, dass selbstbewusste Völker wie die Briten, Irländer, Holländer, Franzosen, Spanier, Italiener, Dänen, Schweden, Norweger, Finnen, Polen oder Tschechen ihre Souveränität an einen europäischen Bundesstaat abtreten. Selbst Vielvölkerstaaten wie Österreich, Belgien oder gar die Schweiz denken nicht daran, ihre staatliche Existenz aufzugeben.

Europa ist ein opakes, intransparentes, vergiftetes Wort, missbraucht zur Irreführung und zur Verschleierung politischer Zwecke. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ – selten hat ein Satz die Runde gemacht, der an Unsinnigkeit kaum zu überbieten ist. Europa „scheitert“ nicht einmal, wenn die EU sich auflöst! Die europäischen Völker und ihre Staaten werden auch ohne übergestülpte Zwangsjacke in Frieden weiterleben, solange jedenfalls wie die NATO ihn wahrt.

Völker sind Völker. Niemand hat das Recht, ihnen ihre Existenz in der von ihnen bejahten staatlichen Form zu verweigern. Weder kulturell noch politisch gibt es ein Substrat, das für die Vereinigten Staaten von Europa die notwendigen Ligaturen oder Bindekräfte beistellen könnte. Es gibt kein „europäisches Volk“. Die Abstimmungen über die Europäische Verfassung haben das dort, wo sie stattfinden konnten (Irland, Frankreich, Holland), eindeutig bewiesen. Heute kann die EU nur noch durch ständigen Rechtsbruch am Leben gehalten werden (Paul Kirchhof, Jürgen Stark).

Die EU steht vor einem Scherbenhaufen und muss zusehen, wie in vielen Staaten die Bevölkerung protestiert, Gewerkschaften mit Streiks das Land lahm legen, Parlamente gestürmt, Banken belagert, Schaufenster eingeschlagen, Geschäfte geplündert, Autos, Barrikaden und Häuser angezündet werden und ganze Stadtviertel außer Kontrolle geraten. Ein Europa, in dem es notwendig ist, Knüppel, Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschosse  einzusetzen, um das Versinken in Anarchie zu verhindern, ist das das Europa, das Coudenhove-Kalergi erträumte? Sicher nicht!

Es ist an der Zeit, Alternativen ins Auge zu fassen und den Völkern nicht länger das Naturrecht  auf Existenz in den von ihnen im Laufe der Geschichte gebildeten poltisch-staatlichen Einheiten zu verweigern. Europa der Vaterländer, das Konzept de Gaulles, ist das, was von den Völkern akzeptiert wird: Kooperation auf gleicher Augenhöhe, nicht aber die Vereinigten Staaten von Europa!

Der Autor ist Dozent für Theoretische Volkswirtschaftslehre und Politik. Er war Mitglied der Europakommission der Österreichischen Bischofskonferenz. Seine letzten Publikationen: Die Rechte der Nation (2002, slowakisch 2008), Der Sinn der Geschichte (2011), ESM-Verfassungsputsch in Europa (2012). 

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Ezzes aus Europa, Überleben in Israel drucken

Wer als Europäer in diesen Tagen in Israel ist, wird vielleicht über eine scheinbar völlig periphäre Beobachtung am meisten verblüfft sein: Bei den diversen Fußballübertragungen der Champions-League freute sich mindestens die Hälfte der zahllosen jungen Menschen vor den öffentlichen Fernsehern lautstark über die deutschen Tore (andere gab es ja kaum). Das heißt zumindest: Deutschland ist für sie nicht mehr automatisch das böse Feindesland aus lauter Tätern, für das man keine Sympathien haben kann.

Das zeigt aber auch: Die Israelis leben in der Gegenwart und Zukunft. Die Katastrophe des Holocaust ist für die Jungen Vergangenheit, fast gleich weit weg wie die Zerstörung des Jerusalemer Tempels durch die alten Römer (an die im heutigen Israel von Staat und Glauben durchaus auch oft erinnert wird). Gegenwarts- und Zukunftsorientierung aber heißen nicht nur Fußballfreude, sondern auch: Leben mit Terrorismus, mit Fanatismus und Kriegsgefahr rundum – aber auch heftiger Zwist über die eigene Zukunft Israels.

Die Summe dieser Gefahren geht auch Europa unmittelbar an – wenngleich dieses wie immer alles Unangenehme verdrängt. Ganze Bücher lassen sich mit einer Analyse der Lage des heutigen Israel füllen. Dennoch kann keines eine problemlose und für alle Seiten positive Lösung des Nahostproblems anbieten. Da tut eine total subjektive und wenn man so will anekdotische Annäherung an den Konflikt und seine Zerlegung in einige – keineswegs umfassende – Einzelbeobachtungen vielleicht gut.

Luftangriffe und Zusammenleben

Fast jede solcher Beobachtungen ist eine der Diskrepanzen. Eine davon ist in diesen Tagen die Gleichzeitigkeit heftiger israelischer Luftangriffe auf Syrien mit dem – anscheinend oder scheinbar – friedlichen Nebeneinander von Moslems und Juden in Israel wie auch auf der Westbank. Trotz der Luftangriffe vermeidet Israel zugleich erstaunlicherweise alles, um im Konflikt irgendwie Partei zu ergreifen, denn man weiß eigentlich selbst nicht, ob der Iran-Alliierte Assad oder die stark fundamentalistisch geprägten Gegner die Gefährlicheren sind.

Zu diesem Nebeneinander kommen noch die Christen, in diesen Tagen besonders zahlreich. Sie reichen von den Scharen amerikanischer Baptisten, die zur Volltaufe im Jordan Schlange stehen, bis zu den insbesondere rund um das soeben stattgefundene orthodoxe Osterfest unüberschaubaren Massen aus Osteuropa. Nirgendwo mischen sich Weltreligionen mit derartiger Intensität und Glaubenskraft und erwecken den Eindruck, den von allen propagierten Frieden zwar ernst zu meinen – aber zugleich die anderen Religionen eigentlich nicht zur Kenntnis zu nehmen (es sei denn, man ist Fremdenführer oder Souvenirverkäufer).

In den Straßen Israels mischen sich jedenfalls die sonstigen Todfeinde offenbar problemlos. Da gehen streng moslemisch gekleidete Frauen und ihre Männer ebenso wie liberale oder orthodoxe Juden, ohne dass man merken würde, dass hier die explosivste Konfliktfront der Welt auf Tuchfühlung geht. Problemlos toleriert Israel auch antiisraelische Plakate der palästinensischen Kommunisten oder großformatige islamische Warnungen an alle Ungläubigen, dass sie in die Hölle kämen. Auch wenn davon viel nur Oberfläche sein mag: In Israel findet man jedenfalls Toleranz wie nur in einer kleinen Minderheit der Staatengemeinschaft (ich würde jedenfalls niemandem empfehlen, in irgendeinem moslemischen Staat Warnungen vor dem Islam zu plakatieren).

Hinter der Mauer eine andere Welt

Und dennoch spürt man da und dort die darunterliegende Spannung. Die zeigt sich etwa an Sicherheitskontrollen am Eingang zu Kaufhäusern. Die zeigt sich etwa an der hässlichen Betonmauer, die Israel zu seinem Schutz von Nord bis Süd errichtet hat. Zwar kann man sie nach meist eher harmlosen Kontrollen passieren. Aber auf der anderen Seite dominieren plötzlich Auto-Nummernschilder, von denen man in Israel zuvor kein einziges gesehen hat. Im Westen gibt es nur „gelbe“ Tafeln, im Osten fast nur weiße. Araber dürfen aus Sicherheitsgründen nie mit Autos nach Israel kommen. Alleine dies zeigt, dass hier zwei weit voneinander entfernte Welten nebeneinanderliegen.

Unerquicklich? Gewiss. Aber zugleich muss man wissen: Seit die Mauer steht – freilich nicht entlang der früheren israelischen Grenze, sondern zum Teil tief auf dem Gebiet der Westbank –, hat es in Israel fast keinen der früher so häufigen Terroranschläge gegeben. Man fühlt sich beim Flanieren in Straßen Jerusalems oder anderer Städte heute mindestens so sicher wie bei einem Marathon in Boston. Würden da nicht bisweilen einige junge Männer mit einer automatischen Waffe am Nebentisch sitzen – Soldaten beim abendlichen Ausgang – und würde man nicht Zeitung lesen, könnte man fast vergessen, in der explosivsten Region der Welt zu sein.

Kinder kriegen als nationale Pflicht

Die nahöstlichen Realitäten zeigen sich auch an ganz anderen Stellen: etwa an den Geburtenzahlen. Aus dem altgewordenen Europa kommend, stößt man in Israel auf ein blutjunges Land. Zahlreiche Kinder zu kriegen ist für ein Volk, dessen Auslöschung vor 70 Jahren beschlossene Sache gewesen ist, eine natürliche Selbstverständlichkeit, ja eine nationale Pflicht, jedenfalls eine Strategie der Selbsterhaltung. Das zeigen auch die Zahlen: Die Österreicher sind heute im Durchschnitt 43 Jahre alt, die Israelis hingegen 29.

Alles klar? Nicht ganz, denn Jugend allein wird Israel nicht retten. Ist doch die arabische Umgebung ebenso jung wie Israel oder sogar noch viel jünger. Demographisch kann Israel im Konflikt mit seiner bedrohlichen Umgebung also nur mithalten, nicht die Überhand gewinnen.

Und noch ein Einwand: Die kinderreichste und damit am schnellsten wachsende Gruppe in Israel sind die Orthodoxen. Bei ihnen hat – im Schnitt! – jede Familie über sieben Kinder. Aber gerade die Söhne der Orthodoxen absolvieren in der Regel nicht den für israel überlebenswichtigen Militärdienst. Denn Thora-Studenten sind von diesem befreit. Streng orthodox zu sein, heißt nämlich im Grund, sich ganz dem Studium der heiligen Schriften zu widmen. Damit ist fast jeder junge Orthodoxe ein Thora-Student.

Das wird aber langsam für die Mitbürger untragbar; denn schon zehn Prozent der israelischen Jugendlichen entkommen solcherart dem Militär. Was die anderen hörbar erzürnt. Die Politik versucht zwar zunehmend intensiver, das zu ändern, hat es aber bisher nicht geschafft. Dazu ist die Parteienlandschaft zu zerstritten. Dazu sind die Stimmen der Orthodoxen an der Wahlurne schon viel zu gewichtig.

Gekommen, um zu bleiben

Ähnlich ist es mit dem Stimmgewicht der nationalistischen Siedler. Sie leben auf der palästinensischen Westbank in mit Stacheldraht umgebenen Siedlungen, meist nachdem sie das Land Arabern abgekauft haben. Sie sind wohl das härteste Problem am Weg zu einer friedlichen Lösung. Längst ist es politisch absolut undenkbar geworden, dass Israel einen Abriss der Siedlungen akzeptieren würde. Selbst ein Stopp des weiteren Ausbaus ist von Israel immer nur kurzfristig zugestanden worden.

 Auch der oft vorgeschlagene Gebietstausch ist nur auf dem Papier ein tauglicher Kompromiss. Denn abgesehen davon, dass Israel auf Dauer die Jordangrenze zu Jordanien kontrollieren will, bliebe dann für die Palästinenser nur ein Fleckerlteppich, der eher die Karikatur eines Staates wäre.

Im Grund ist es völlig klar: Viele Israelis sind auf die Westbank gekommen, um zu bleiben und am Ende die ganze Westbank unter Kontrolle zu bekommen. Die dortigen Araber sind aber keinesfalls willens zu gehen.

Zu viele Hypotheken für ein kleines Land

Das ist eine unlösbare Differenz. Damit ist aber der Hypotheken auf der Zukunft des (allzu vielen Religionen) Heiligen Landes noch lange kein Ende.

  • Dazu kommt etwa auch die tiefe Spaltung zwischen den Juden europäischer Herkunft, jenen orientalischer Herkunft und in den letzten Jahren insbesondere jenen osteuropäischer Herkunft (Diese Kluft ist derzeit gerade an einem heftigen israelweiten Streit ablesebar, welche Persönlichkeiten neue Schekel-Noten zieren sollen: Dieser Streit lässt im Vergleich sogar die Euro-Europäer als geradezu einträchtig erscheinen).
  • Dazu kommt die verständliche Sorge der Israelis vor einer Atombombe in den Händen des Iran, eines unberechenbaren Landes, das immer wieder von fanatisierten islamistischen Emotionen dominiert wird.
  • Dazu kommt das fast komplette Umschlagen der anfangs liberal wirkenden arabischen Revolutionen in totales Chaos und die Dominanz atavistischer Dogmatiker.
  • Dazu kommt die Enttäuschung in Israel über die Entwicklung im Gazastreifen nach dem freiwilligen und kompletten Abzug der israelischen Armee und Siedler. Denn der Judenstaat wird von dort immer wieder so intensiv beschossen wie von sonst keiner Seite. Der Abzug ist für die Palästinenser keine Friedensgeste der Israelis, sondern ihr eigener Triumph.
  • Dazu kommt die Herrschaft der von besonderer Aggressivität geprägten Hisbollah im Südlibanon. Die Verschiebung moderner Waffen aus syrischen Beständen zur Hisbollah ist ja exakt der Anlass der gegenwärtigen israelischen Luftangriffe auf Syrien.

Ist mit diesen Arabern Friede überhaupt möglich?

Aus vielen solchen Aspekten formt sich die in den letzten Jahren stark gewachsene israelische Überzeugung: Mit diesen Arabern ist ohnedies ein verlässlicher Friede undenkbar; Konzessionen bringen nichts; wir können nur mit der eigenen, also vor allem militärischer Stärke überleben.

Aus diesem Grund hat Israel auch die jüngsten arabischen Vorschläge eines Gebietstausches mit den Westbank-Palästinensern abgelehnt. Das schafft insbesondere in Europa Enttäuschung. Freilich haben die Israelis ein starkes Argument für ihre Ablehnung: solange die Gegenseite nicht den Judenstaat als solchen anerkennt, gibt es keinen Grund zu eigenen Konzessionen. Die Gegenseite ist aber emotional noch in den 40er Jahren und sieht eigentlich keinen Grund, dass in lange rein islamisch kontrollierten Gebieten nun ein Judenstaat besteht.

Für die Israelis inzwischen viel wichtiger als die Emotionen der Araber sind ihre erstaunlichen Fortschritte im Energiesektor: Denn gewaltige Gasfunde vor der israelischen Küste sind dabei, das von seiner Nachbarschaft isolierte Land energiemäßig autark zu machen. Und Energie und Wasser sind ja die beiden entscheidenden Rohstoffe für fast jedes Land.

Nie wieder Masada

Zugleich ist man immer wieder beeindruckt über die emotionale Stärke des „Nie wieder!“ unter den Israelis. Zwar ist natürlich auch der Holocaust ein Teil des „Nie wieder!“, aber für den Mitteleuropäer ist es schon sehr erstaunlich, dass ebenso auch die gesamte Geschichte der Juden emotional präsent und von diesem "Nie wieder!" getragen ist. So werden israelische Soldaten gerne auf der (eigentlich in der Westbank liegenden) Bergfestung Masada angelobt, wo im ersten Jahrhundert rund Tausend Juden monatelang den anstürmenden römischen Legionen als letzter Rest des alten jüdischen Volkes standhielten, bis sie sich schließlich in den Freitod flüchteten, nachdem ihre militärische Lage unhaltbar geworden war. Nur wer den darauf Bezug nehmenden Ruf „Masada darf nie wieder fallen!“ versteht, versteht die heutige Identität Israels.

Insgeheim fragt man sich, wie viele europäische Politiker verstehen Israel wirklich ganz (soweit irgendein Volk überhaupt „ganz“ zu verstehen ist)? Denn auf Schritt und Tritt wird einem im Nahen Osten klar: Eigentlich zählt Europa im Nahen Osten nichts. Höchstens Deutschland, Großbritannien und Frankreich werden von Israelis und Arabern registriert, die angeblich gemeinsame EU-Außenpolitik und die restlichen EU-Länder sind ebensolche Marginalien wie etwa auch die UNO.

Mitzureden hat nur, wer auch spürbare militärische Relevanz hat. Und die haben am Ende einzig und allein die Amerikaner und der eigene Kampfeswillen. Gute oder schlechte Ezzes aus Europa hingegen haben ungefähr den Wert des Salzes aus dem Toten Meer, also vom tiefsten und daher versalzensten Punkt der Erdoberfläche, der sich bezeichnenderweise zwischen Israel und der arabischen Welt befindet.

Europa hat in dem Konflikt, der für seinen Frieden zweifellos der weitaus gefährlichste ist, praktisch nichts mitzureden. Eine ernüchternde Bilanz.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Infamie schmerzt – zumindest die anderen drucken

Von Italien bis zu den Grünen wird in diesen Tagen mehr denn je nach der Devise gehandelt: Frechheit siegt – und damit die Dummheit gleich mit. Nur noch das an ein paar knappen Stimmprozenten hängende Überleben Angela Merkels steht offensichtlich dem endgültigen Ausbruch des gesamteuropäischen Wahnsinns als letztes Hindernis noch im Wege. Einige Beispiele alleine aus den jüngsten Stunden Europas, die den Triumph von Frechheit und Dummheit zeigen:

Da reist der neue italienische Regierungschef Enrico Letta durch den Kontinent, um stolz zu verkünden: „Wir haben unseren Teil gemacht.“ Mit anderen Worten: Nach unendlich langen Wahl-, Krisen- und Chaos-Monaten hat Italien jetzt zwar eine neue Regierung, noch dazu eine mit einer starken Parlamentsmehrheit. Diese denkt aber dennoch nicht daran, noch irgendwelche Reformen zu beschließen. Wie nun auch dieser Satz des neuen Premiers beweist. Nicht einmal unmittelbar nach Amtsantritt bermüht er sich, irgendeinen Handlungsbedarf zu sehen, der über die paar Monate des Mario Monti hinausgeht.

Da kritisiert die niederösterreichische Arbeiterkammer die novellierte Zukunftsvorsorge: „Im Bereich der Altersvorsorge ist kein Platz für Spekulation.“ Die AK meint damit Aktien, in die ein Teil der Zukunftsvorsorge investiert werden muss. Mit anderen Worten: Für die AK ist jede Investition üble Spekulation. Nur der immer tiefere Genossen-Griff in die Börse der Steuerzahler ist das nicht.

Da tut es den Niederösterreichern die Wiener AK an Intelligenz gleich: Sie verlangt, dass die Grundsteuer – die AK und SPÖ bekanntlich kräftig erhöhen wollen – künftig kein Teil der Betriebskosten mehr ist. Die Grundeigentümer sollen die Steuer gefälligst selber tragen. Wie sind doch die Genossen schlau und weise! Dieser Vorschlag wird nämlich mit Garantie eine Wirkung haben: Es werden noch ein paar Zehntausend Wohnungen weniger auf den Markt kommen. Denn warum sollte sich noch irgendjemand die Mühe antun, eine Wohnung zu vermieten oder gar zu bauen? Begreift das die AK nicht – oder ist es gar das, was sie eigentlich erreichen will? Weil dann alle um eine Gemeindewohnung betteln müssen.

Da zeigt die italienische Komikerpartei von Beppe Grillo, welch faschistischen Geistes sie ist. Da wurde ein Senator ausgeschlossen, weil er – ein Fernsehinterview gegeben hat. Nicht der Inhalt, sondern das Interview an sich war das Delikt. Bei der italienischen Neinsagerpartei darf nämlich nur noch der Chefkomiker mit seinen wirren Sprüchen öffentlich auftreten, alle anderen dürfen dazu nur noch nicken. Und ein erschreckend großer Teil der Italiener mag das so.

Da ist es im Parlament Venezuelas zu Handgreiflichkeiten gekommen. Wer auch immer angefangen hat, der Anlass ist unbestritten: Der Parlamentspräsident hat den Oppositionsabgeordneten einfach das Rederecht entzogen, weil sie die Regierung nicht als rechtmäßig ansehen. Das ist also die Vorstellung der lateinamerikanischen Linken von Demokratie: Wer anders denkt, soll nicht einmal reden dürfen. Und unsere Salondummköpfe, die sich bisweilen auch als Intellektuelle bezeichnen, applaudieren solchen Ländern.

Da ist in Griechenland schon wieder gestreikt worden. Vielleicht wäre es für die Medien einfacher, es nur noch zu melden, wenn dort einmal alle arbeiten sollten. Hauptsache, Resteuropa zahlt dafür.

Da kümmert sich in Österreich die grüne Hauptfrau Glawischnig keine Sekunde um finanzielle Banalitäten. Dazu zählt etwa die Antwort auf die Frage, wer für ihre Vorschläge eigentlich zahlen soll: Denn sie verlangt 1450 Euro Mindestlohn für jeden, sowie eine gleichzeitige Senkung der Sozialversicherungsbeiträge. Auf die goldene Uhr hat sie irgendwie vergessen. Aber das wird schon noch.

Da hat in der Sowjetunion der alte Geheimdienstler Putin nun den nächsten Schritt zurück in den Stalinismus vollzogen. Nach der Stalin-Hymne, dem Sowjetstern, den Plänen für schulischen Wehrunterricht hat er nun auch den Titel „Held der Arbeit“ wieder eingeführt. Als einer der ersten bekam diesen ausgerechnet Dirigent Waleri Gergijew. Was Gergijew sicher im Ausland bei allen Freunden der alten Sowjetunion beliebt machen wird.

Da hat in Tirol eine neue Liste unter der VP-Dissidentin Anna Hosp auf Anhieb über 9,5 Prozent geschafft und sogar die Freiheitlichen überholt. Durchaus ein stolzes Ergebnis. Jedoch sprengt sich die Liste noch vor der ersten Landtagssitzung selber in die Luft. Hosp bekommt nämlich kein Mandat. Sie hat zwar die weitaus meisten Vorzugsstimmen erhalten, aber auf Grund der Wahlarithmetik müsste jetzt irgendeiner ihrer neuen Parteifreunde zugunsten von Hosp verzichten. Jedoch denkt keiner der Nobodys daran zu verzichten. Sie brabbeln vielmehr alle etwas von „Wählerwillen“. Mit dieser Groteske steht „Vorwärts Tirol“ schon wieder ganz hinten.

Da werden die Hinweise auf frühere Untaten des grünen Promis Daniel Cohn-Bendit immer dichter. Die haben offensichtlich in erstaunlich vielen sexuellen Kontakten mit Kindern bestanden. Aber grüne Seilschaften wissen sich immer zu helfen: Wo es nur geht, ist ganz zufällig jetzt alles einschlägige Archivmaterial über Cohn-Bendit mit einer Sperre belegt worden. Das einzig Blöde: Dieses Material müsste herausgegeben werden, wenn Cohn-Bendit jemanden klagt, der ihn Kinderschänder nennt. Daher braucht man keine Sorge zu haben: Der Mann klagt mit absoluter Sicherheit nicht. Und die Grünen erregen sich weiter mit großer Lust und Empörung über zum Teil viel harmlosere Vorfälle in katholischen Heimen.

Da kommt einem auch gleich der französische Präsident Hollande in den Sinn. Der Vorkämpfer der Schwulenehe meidet jetzt öffentliche Auftritte, wo es geht. Denn viele Franzosen wagen es, dem unbeliebtesten Präsidenten aller Zeiten bei seinen Auftritten deutlich ihre Meinung zu sagen. Die keine gute ist. Dabei bereiten seine Regisseure alles so gut vor: In einem Museum haben sie sogar ein Bild verhängen lassen, das möglicherweise hinter Hollande auf den Fernsehbildern zu sehen gewesen wäre. Der Grund: Das Bild zeigt das Martyrium einer christlichen Heiligen. Jeder aufrechte Linke kann da nur sagen: Pfui! Und er versteht aus ganzem Herzen, dass Hollande nun lieber gleich seine Auftritte absagt, bevor er in die Nähe solcher Zumutungen kommt, und kritischer Bürger zusätzlich.

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Thatcher und die Würde drucken

Rund um das würdige und berührende Begräbnis für Margaret Thatcher, Europas zweifellos größte Nachkriegspolitikerin, gab es einige widerliche Unwürdigkeiten.

Eine davon waren die Handvoll Demonstranten aus der linksradikalen Szene. Wer sich nicht einmal bei einem Begräbnis benehmen kann, hat sich endgültig als letztklassig entlarvt.

Genauso letztklassig waren aber auch alle Medien, die den Namen Thatchers nicht ohne den miesen Zusatz „umstritten“ abzudrucken oder auszusprechen imstande waren. Umstritten sind für diese Medien offenbar alle erfolgreichen Liberalen und Konservativen, wie Thatcher eine war, nie aber ein linker Politiker.

Zumindest merkwürdig war aber auch, wie einige andere linke Journalisten reagierten, die merkten, dass Thatcher zu populär und erfolgreich war, um noch verdammt zu werden: Sie machten schnurstracks Labour zum Erben der Eisernen Lady.

Gewiss seltsam. Aber das soll mir dennoch recht sein, wenn Europas Sozialdemokraten (aller Parteien) ihre Länder statt durch ständig schlimmer werdendes Schuldenmachen wieder im Sinne Thatchers zu reformieren versuchen: durch Zerstörung von korporatistischen Monopolen, insbesondere jenem der Gewerkschaften (in Österreich müsste man auch Wirtschafts- und Arbeiterkammer hinzufügen), durch Zerstörung von Gemeindemonopolen (man denke nur an die SPÖ-Profite durch die diversen Rathaus-Firmen mit ihren horrenden Tarifen), durch Privatisierungen, durch Zurückdrängen der europäischen Machtallüren, durch Steuersenkungen, durch Verwaltungsabbau, durch Förderung von Klein- und Mittelbetrieben. Wenn sie all das tun, dann kann man den sozialdemokratischen Parteien nur gratulieren.

Einige ihrer Politiker wie Tony Blair haben es ja in der Tat auch versucht. Nur haben sie am Ende spüren müssen, dass die Kraft der um ihre Macht bangenden Gewerkschaften wie auch der ideologisch Bornierten in den Linksparteien immer viel größer ist als die Kraft der Vernunft.

Eines können freilich auch intelligente Sozialdemokraten heute Thatcher nicht mehr nachmachen: einen essenziellen Beitrag zum Kollaps des Kommunismus. Der ist nämlich schon besiegt. Hoffentlich (die Reaktion der Straße und etlicher Medien auf ihren Tod lässt ja ein wenig zweifeln).

 

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Rezension: Return to Order von John Horvat drucken

Die Liste an Büchern zur Wirtschaftskrise ist lang und wird angesichts der Verstetigung der Krise beständig länger. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen behandeln die sich zu Wort meldenden Autoren lediglich die strukturelle Dimension der Systemkrise. Dementsprechend werden zu ihrer Überwindung nahezu ausnahmslos strukturelle Reformvorschläge unterbreitet, die normalerweise in ihren Schlussfolgerungen stark ideologisch gefärbt sind. Die einen sehen in einem Mehr an staatlichen Regulierungen das wirtschaftspolitische Allheilmittel, die anderen fordern ebenso undifferenziert „mehr Markt“ und entlang dieser ermüdend simplifizierenden Argumentationsketten erschöpfen sich die meisten Diskussionen.

Eine in jeder Hinsicht hervorstechende Ausnahme ist das Buch „Return to Order“ des US-Amerikanischen Autors John Horvat. Seine umfassende Analyse baut auf der unserem materialistischen Zeitalter verloren gegangenen grundlegenden Einsicht auf, dass die Seele als Lebensprinzip alles Lebendigen den menschlichen Körper bewegt. Je nachdem, ob die Seele geordnet oder ungeordnet ist, bringt sie andere Verhaltensweisen und in weiterer Folge unterschiedliche gesellschaftliche Institutionen hervor. Den engen Zusammenhang zwischen Seelenverfassung und Staatsverfassung, zwischen innerer (Un-)Geordnetheit und äußerer (Un-)Geordnetheit hat bereits Platon in seiner „Politeia“ ausführlich dargelegt.

Daher verortet John Horvat die Wurzel der wiederkehrenden Wirtschaftskrisen richtigerweise in der ungeordneten Seelenverfassung des modernen Menschen. Der Autor des rezensierten Werkes weist dieser Ungeordnetheit den Begriff der zügellosen Maßlosigkeit (engl. „frenetic intemperance“) zu und erkennt in dieser jenes herausragende Laster, das die Wirtschaft und die Gesellschaft aus dem Gleichgewicht bringt. Ein klassischer Fall zügelloser Maßlosigkeit ist das vom ungeordneten Gewinn- und Konsumstreben motivierte Eingehen exzessiver Risken.

Der sich von moralischen, kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Beschränkungen Befreiende ist durch diesen emanzipatorischen Befreiungsakt jedoch entgegen den verlockenden Verheißungen zu einem Getriebenen seiner unsteten Leidenschaften geworden und damit alles andere als frei. Denn wahrhaft frei ist eine Person, die Ursache ihrer selbst ist und durch die Übung der Tugend der Mäßigung Herr seiner Triebe, Leidenschaften und Begierden ist. Der dem Laster Verfallene ist hingegen nicht Herr seiner selbst. Biblisch ausgedrückt: Der Sünder ist der Sünde Knecht (vgl. Joh 8, 34). Weiterhin charakterisiert John Horvat den neuzeitlichen Menschen dahingehend, dass er das Angenehme dem Guten, die Quantität der Qualität, sowie die kurzfristige Bedürfnisbefriedigung um jeden Preis der umsichtigen Bewirtschaftung vorzieht.

Einen Gutteil seines Erstlingswerks widmet John Horvat der Skizzierung jener gesellschaftlichen Ordnung, zu deren Rückkehr er den Leser ermuntern möchte. Dieses Unterfangen ist gleichermaßen verdienstvoll wie schwierig, weil die von ihm vertretene christlich-organische Gesellschaft kein dem Menschen von außen oktroyiertes Gesellschaftssystem ist, das Freiheit durch die Errichtung bestimmter Strukturen verspricht. In eben dieser Annahme, dass der Mensch „sozial-institutionell bedingt“ sei, macht der deutsche Historiker Thomas Nipperdey den Wesenskern der Utopie fest. Utopien fordern nicht die Gesinnungsänderung des Einzelnen als unabdingbare Voraussetzung für eine Gesellschaftsreform, sondern locken mit dem verführerischen Versprechen, dass der gute Mensch eine Folge der richtigen gesellschaftlichen Strukturen sei.

In Zeiten des grassierenden Subjektivismus, der die Existenz objektiver und allgemeinverbindlicher sittlicher Normen bestreitet, mahnt Horvath daher nichts Geringeres als eine kopernikanische Wende ein. Die christlich-organische Gesellschaft ist somit die Frucht der Verinnerlichung jener Prinzipien, die das christliche Abendland als zeitlos und unveränderbar erkannt hat. Zu diesen unwandelbaren Prinzipien sind die vier Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung sowie die drei christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe zu zählen.

Horvat gelingt es außerordentlich gut, die fundamentale Kluft zwischen dem neuzeitlichen Systemdenken und der abendländischen Vorstellung von Organizität herauszuarbeiten. Organizität bedeutet zum einen, dass der Mensch sein Mensch-Sein nur in den natürlichen Bindungen der Gemeinschaft entfalten kann. Die einzelnen Glieder einer Gesellschaft bedürfen einander so wie die Zellen, Glieder und Organe eines menschlichen Körpers aufeinander angewiesen sind. Der Mensch ist eben nicht, wie das individualistische Menschenbild behauptet, ein fertiges Individuum, das als solches dem Anderen gegenübertritt und in diesem Gegenübertreten nicht weiter zur Vollkommenheit geformt wird.

Organizität bedeutet aber auch, dass in der Befolgung der genannten zeitlosen Prinzipien das gesamte Gemeinwesen – und die es bildenden untergeordneten Gesellschaften wie die Familie, die Gemeinden, die Vereine, die Berufsstände und die Regionen – das ihnen zustehende Eigenleben entfalten können, wobei sich die innere Verfasstheit der einzelnen Gesellschaften wie auch das enge Beziehungsgeflecht zwischen diesen Gesellschaften an die verändernden äußeren Rahmenbedingungen ebenso anpassen kann. Dies steht im fundamentalen Widerspruch zur gegenwärtig dominierenden mechanistischen Auffassung, die die Gesellschaft wie den Einzelnen in vorgegebene Abläufe zwängt und durch Individualisierung, Standardisierung und Zentralisierung familiäre, lokale, regionale und nationale Identitäten zerstört.

Vorbild Mittelalter

Das Buch räumt zudem mit vielen, von der Aufklärung in Umlauf gebrachten Fehlurteilen über das Mittelalter auf. So hat das Mittelalter schließlich die Sklaverei überwunden. Zum einen deshalb, weil das Christentum jeder Person als Geschöpf Gottes die ihr daraus resultierende Würde zuerkennt und zum anderen, weil das Christentum im Unterschied zur heidnischen Antike die körperliche Arbeit wertschätzt. Unabhängig vom Berufsstand ist jeder Mensch dazu berufen, an der Vervollkommnung der sehr guten Schöpfung aktiv mitzuwirken. Unbeschadet der damaligen Missbräuche, die aufgrund der Neigung zur Sünde im Diesseits nie vollständig zu vermeiden sind, zielte die mittelalterliche Feudalordnung auf die umfassende Verwirklichung eines auf konkreten personalen Beziehungen und wechselseitigen Dienst- und Treueverhältnissen beruhenden Zusammenlebens, das die innertrinitarische Liebesgemeinschaft als Urbild jeder Gemeinschaft vor Augen hatte. Diese menschliche Komponente ist, so John Horvat, in der neuzeitlichen Wirtschaftsauffassung verloren gegangen, weil das Gewinnmaximierungsprinzip menschliche Beziehungen auf zeitlich begrenzte Nutzenbeziehungen reduziert und die mechanistische Wirtschaftstheorie im wahrsten Sinne des Wortes geist- und seelenlos ist.

Wie die noch immer von unzähligen Touristen bestaunten Bauwerke jener Epoche wie Kathedralen, Burgen und Schlösser eindrucksvoll bezeugen, kannte das Mittelalter einen regen technologischen Fortschritt, der im Unterschied zur Neuzeit jedoch nicht auf die heidnische Trias des „Schneller, Höher und Weiter“ abzielte. Die Hinwendung der menschlichen Seele zum Schönen, Guten und Wahren manifestierte sich an der formvollendeten Bauweise und der meisterhaften Ausgestaltung durch die unzähligen (Kunst-)Handwerker dieser Epoche. Es ist unmittelbar einsichtig, dass die Menschen jener Epoche von einem gänzlich anderen Geist bewegt waren – alles wurde zur höheren Ehre Gottes verrichtet – als dies seit dem Hereinbrechen des „Geist des Kapitalismus“ (Max Weber) der Fall ist, der beispielsweise gesichtslose, ausschließlich der wirtschaftlichen Verwertung dienende Wolkenkratzer hervorbringt.

Dennoch hängt John Horvat weder einem verklärenden Romantizismus an noch fordert er das Unmögliche, das Zurückdrehen der Zeit. Das Mittelalter ist eine abgeschlossene Epoche der Vergangenheit, in dem jene Ordnungsprinzipien, deren Rückgewinnung Horvat vorschlägt, bislang am vortrefflichsten verwirklicht worden sind. Insofern ist die Auseinandersetzung mit dem Mittealter hilfreich, um die Verwerfungen und Verirrungen der Gegenwart klarer erkennen zu können. Ein weiterer Pluspunkt dieses Buches sind die zahlreichen farbigen Abbildungen, die dem zeitgenössischen Leser helfen, ein tieferes Verständnis von der verblichenen christlich-organischen Gesellschaftsauffassung in der eingänglichen Sprache der Bilder zu erlangen, deren bauliche, künstlerische, gesellschaftliche und institutionelle Überreste uns in Europa (noch) vielfach begegnen. Aber niemals verliert der Autor die Gegenwartsbezogenheit seines Anliegens aus den Augen; und weil er der Gesellschaft gerade kein System überstülpen möchte, wird die Wiederbelebung der zeitlosen Prinzipien einer christlich-organischen Gesellschaft im 21. Jahrhundert andere Formen hervorbringen als vor 1000 Jahren.

Obschon sich „Return to Order“ speziell an die US-Amerikanische Öffentlichkeit wendet, ist dieses Buch aufgrund seiner grundlegenden Ausführungen zum christlich-abendländischen Ordnungsdenken auch für Nicht-Amerikaner eine gewinnbringende Lektüre. John Horvat ermutigt den Leser, diese Ordnung der Dinge im 21. Jahrhundert erneut zum Leben zu erwecken. Glück, Ruhe und Frieden, nach denen sich der Mensch sehnt, sind letztlich allesamt Früchte dieser inneren wie äußeren, von Gott geschaffenen Ordnung.

Gregor Hochreiter: Vorstand – Oekonomika-Institut für angewandte Ökonomie und christlich-abendländische Philosophie

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Die Bank Austria und ihre Altlasten drucken

Was steckt hinter dem Spruch zweier Schweizer Gerichte, dass die Bank Austria für den Schaden haftet, der nach den Geldschiebereien der dubiosen Geschäftsfrau Rudolfine Steindling zurückgeblieben ist?

Nun, einen Hintergrund haben wir im Grund alle gewusst: Die Zeiten des real existierenden Sozialismus haben auch ökonomisch viele düstere Geheimnisse und Netzwerke gehabt. Die östlichen Kommunisten haben so manche Ausbeutung der ihnen Unterworfenen (einschließlich brutalster Zwangsarbeit) dazu benutzt, um internationale Vermögen zur Verfügung der Bonzen anzuhäufen. Dabei hat das so neutrale Österreich sehr oft eine diskrete und keineswegs saubere Rolle gespielt. Diese Rolle kann man am besten mit „gezieltes Wegschauen“ umschreiben.

Auch die Verbindungen zwischen der DDR und dem Linksextremismus im Westen sind inzwischen da und dort schon offenkundig geworden. Die inzwischen verstorbene Steindling, über die viele DDR-Sauereien gelaufen sind, war eine bekannte Geberin von (eigenem oder fremdem?) Geld für Österreichs Kommunisten. Die Mörder aus der Baader-Meinhof-Bande sind von der DDR finanziell unterstützt worden. Und sie haben im Arbeiter- und Bauernstaat auch immer wieder ein ungefährdetes Rückzugsgebiet gehabt, aus dem sie dann zu neuen Verbrechen in den Westen aufgebrochen sind.

Intensiv aufklärungsbedürftig wären aber auch die engen Verbindungen von Länderbank und Zentralsparkasse mit diesem Filz. Dass da jetzt die Bank Austria für den entstandenen Schaden haftet, zeigt ja nur die Oberfläche der Affäre. Dahinter steckt nach den Erkenntnissen der Schweizer Gerichte insbesondere die Tatsache, dass die damaligen Vorläufer der heutigen Bank Austria einseitig mit Steindling und KPÖ kollaboriert haben. Und sie taten dies offensichtlich bewusst gegen die Interessen der Bundesrepublik, die ja zum Zeitpunkt, da das Geld verschwunden ist, schon eindeutige Rechtsnachfolgerin der DDR gewesen ist.

Welche tieferen Querverbindungen gibt es da? Immerhin waren ja Länderbank und Zentralsparkasse komplett unter Kontrolle der SPÖ gestanden, die sich auch unter der 1991 erfolgenden Fusion zur Bank Austria nahtlos fortsetzte und erst in diesem Jahrtausend langsam auflöste. Zu dieser rein parteipolitischen Geschichte der 90er gehört ja auch, dass von Viktor Klima dann der Bank Austria die Creditanstalt mit all ihren stillen Reserven zugespielt worden ist. Dennoch musste die überpolitisierte Megabank dann zuerst Richtung Deutschland und von dort aus Richtung Italien verkauft werden.

Offenbar haben in diesem roten Sumpf Anfang der 90er Jahre auch in der Bank Austria manche lieber mit der KPÖ (oder Frau Steindling?) kooperiert als mit der Bundesrepublik. Wir werden es wohl nie im Detail erfahren. Denn die wirklichen Sauereien der Nachkriegsrepublik sind so fest unter den Teppich gekehrt, dass sie wohl niemand mehr da herausbringt. Die Zunft der Historiker befasst sich weiterhin lieber mit der – für sie offenbar überraschenden, sonst aber allgemein bekannten – Tatsache, dass die Philharmoniker auch unter den Nazis heftig und wunderschön aufgespielt, ebenso wunderschön spielende Juden verjagt und mit den Nazis innig getechtelt haben.

Der heutigen Bank Austria ist nur ein Vorwurf zu machen: dass sie nicht von sich aus die eigenen roten Flecken der Vergangenheit intensiv untersuchen lässt. Aber dazu sitzen wohl in den mittleren Rängen noch zu viele Altgenossen aus jenen Jahren, als dass diese Vergangenheit bewältigt werden könnte.

PS.: Gäbe es nicht so viele Bank-Austria-Inserate in allen Zeitungen, würden wir übrigens auch viel mehr Recherche-Energie rund um ein anderes Thema lesen und hören: nämlich rund um die – sagen wir freundlich: etwas nachlässige – Kontrolle der Bank in Hinblick auf jene Gelder, die mit ihrer Hilfe zum Megabetrüger Madoff geflossen und dort verschwunden sind. Aber auch in dieser Frage gibt es zum Glück wenigstens noch recht hartnäckige Gerichte.

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Griechenland – einmal anders betrachtet drucken

Vom Film „Alexis Zorbas“ war ich Mitte der 1960er Jahre als Gymnasiast zum ersten Mal fasziniert. 1975 lernte ich meine spätere Frau kennen, eine Griechin aus dem Norden des Landes. 1977 besuchten wir zum ersten Mal gemeinsam ihre Heimat. In den Folgejahren waren wir mindestens einmal jährlich auf Urlaub in Griechenland. Seit meiner Pensionierung 2011 verbringen wir fast die Hälfte des Jahres in Griechenland. Und trotzdem – ich bin immer noch am Lernen, wenn es darum geht, die griechische Mentalität zu verstehen.

Letztendlich münden alle Beobachtungen in der Frage: Warum verhalten sich die Griechen so anders als wir Mitteleuropäer? Zum einen muss man festhalten, dass es wohl keine Mittel- oder sonstigen Europäer gibt, die so viel Herzlichkeit vermitteln können wie die Griechen. Von dieser Warte her betrachtet kann man schnell auf die Griechen neidisch werden. Zum anderen gibt es wohl nur wenige Mittel- oder sonstige Europäer, die so „anders“ sein können, wie es die Griechen oft sind. Zumindest anders, als wir das erwarten. Wahrscheinlich erwarten wir uns von den Griechen, dass sie sich ähnlich rational verhalten sollten, wie wir es gelernt haben und dann treffen wir auf manchmal irrationale Spontaneität und Impulsivität. Es mag vielleicht keinen Sinn machen, aber es hat allemal Charme.

So fragte ich kürzlich meinen jahrelangen Freund und Griechenland-Mentor, warum sich denn beispielsweise die jungen Griechen, die sich jetzt mit einer Rekordarbeitslosigkeit konfrontiert sehen, nicht um Arbeit in anderen Ländern bemühen, beispielsweise in Deutschland. Mehr hätte ich nicht fragen müssen, um eine umfassende Vorlesung von meinem Freund zu bekommen.

Das liegt, sagte er, an der „griechischen Psyche“. Griechenland sei eine Gesellschaft, so fuhr er fort, die sich von ihrer Geschichte überfordert fühlt. Dazu kommt noch, dass Griechen zumindest bisher eine überfürsorgliche und total verwöhnende Erziehung (vor allem seitens der griechischen Mütter) erfuhren, was nicht unbedingt zur optimalen Entfaltung einer Persönlichkeit beiträgt.

Mein Freund empfahl mir das Büchlein „Über das Unglück, ein Grieche zu sein“ von Nikos Dimou, das 1975 erschienen war. Es besteht aus 193 Aphorismen auf nicht einmal 70 Seiten. Als ich es las, musste ich mich an „Die Österreichische Seele“ von Prof. Erwin Ringel erinnern.

Dimou schreibt (sehr unterhaltsam!), dass die Griechen bis ins 18. Jahrhundert eine Mischung von Türken, Albanern, Slawen, Walachen, etc. etc. waren, die auf relativ primitive Weise in einem kargen Land ums Überleben kämpften. Wenn man sich beispielsweise ein Bild von Athen zur Zeit des Kampfes um die Unabhängigkeit anschaut, dann sieht man ein türkisches Dorf mit circa 4.000 Bewohnern und mit einer Akropolis, die den Türken als Waffendepot diente (angeblich wollte man sogar die Akropolis niederreißen). Und dann – so schreibt Dimou – kamen die Deutschen und Engländer und redeten diesen einfachen Menschen ein, dass sie nicht Türken, Albaner, Slawen, Walachen oder was sonst noch waren, sondern stattdessen die direkten Nachfahren der großen Hellenen!

Dimou leitet daraus das Kernproblem der heutigen Griechen ab – eine Mischung aus einem nationalen Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn.

Griechen „bewerben“ sich nicht; sie „lassen sich umwerben“, erklärte mir mein Freund. Griechen ignorieren die Realität, weil – wie Dimou schreibt – die Griechen mit der Realität nicht fertig werden würden. Mein Freund wies mich darauf hin, dass die Griechen in den Schulbüchern ihre Geschichte seit der Unabhängigkeit teilweise umgeschrieben haben. Da lernen die jungen Griechen, dass ihre Vorfahren direkte Nachkommen der großen Hellenen waren, die sich in einem mutigen Befreiungskrieg erfolgreich gegen die Türken durchgesetzt haben. Dass auf dem heutigen Territorium Griechenlands immer nur Griechen lebten; etc.

Laut meinem Freund ist das eine gewaltige Dehnung der Realität. Im heutigen Nordgriechenland (Makedonien) war beispielsweise vor dem Bevölkerungsaustausch mit den Türken der Anteil der Griechen nur 45 Prozent. Und die Griechen haben, so sagte mein Freund, so Einiges an ethnischen Säuberungen durchgeführt, damit das heutige Griechenland „ganz griechisch“ sein konnte (bis heute weigert sich Griechenland angeblich, eine systematische Erfassung der Minderheiten, die vor allem im Norden ganz gewaltig sind, zu machen).

Unvereinbar mit dem übrigen Europa?

Mein Freund erklärte, dass sich aus all diesen Strömungen eine nationale Psyche ergibt, die mit dem rationalen Westen sehr wenig und mit der protestantischen Ethik aber schon gar nichts zu tun hat. Interessanterweise gilt das für die Griechen in Griechenland. Sobald griechische Auswanderer beispielsweise Fuß auf amerikanischen Boden setzen, saugen sie buchstäblich über Nacht die amerikanische Arbeitsethik auf.

Mein Freund behauptet, dass ein Griechenland-Kenner vor 40 Jahren sagen hätte müssen: „Liebe EU, liebe Griechen – bitte nehmt zur Kenntnis, dass Ihr nicht zusammen passt. Euch trennen Kulturwelten! Ihr werdet Euch gegenseitig zerreiben!“ Und vor 20 Jahren hätte man sagen müssen: „Liebe Griechen, seid vorsichtig mit dem Euro; der könnte Euch umbringen“. Offenbar hat es in der elitären EU keine Griechenland-Kenner gegeben.

Mein Freund weigert sich, die Flinte ins Korn zu werfen und fatalistisch über Griechenlands Zukunft in der Eurozone zu spekulieren. Deswegen kommt er immer wieder mit Ideen, wie es Griechenland vielleicht doch noch schaffen könnte (wohl wissend, dass solche Ideen wohl nie umgesetzt werden könnten). Trotzdem meint er, dass über kurz oder lang Griechenland wieder zur Drachme zurückkehren wird/muss.

Eine deflationäre Anpassung in jenem Ausmaß, das Griechenland benötigt, wäre selbst für das aufgeklärteste Volk eine enorme Herausforderung. In Griechenland wird dadurch – wie man sieht – die Situation immer nur schlimmer. Manchmal gewinnt man den Eindruck, als wollten die Griechen der Troika beweisen, dass ihre Maßnahmen nicht funktionieren können, nur damit sie als Opfer bestätigt werden.

Mein Freund legt Wert darauf, seine obigen Ausführungen über die „griechische Psyche“ etwas zu qualifizieren. Bis zu einem gewissen Grad wächst heute schon eine neue junge Generation heran. Das sind junge Griechen, die weniger von den Mythen der Vergangenheit, sondern vom Studium an Universitäten geprägt sind. Junge Griechen, die Fremdsprachen hervorragend beherrschen. Junge Griechen, mit denen man ganz vernünftig über Griechenland diskutieren kann, ohne dass sie in narzisstische Wutanfälle gegen die Ausländer (vor allem gegen die Deutschen) geraten. Das sind aber – leider für Griechenland – auch jene jungen Griechen, die ihre Heimat verlassen wollen, um sich anderswo besser verwirklichen zu können.

Zum Schluss erwähnt mein Freund die griechischen Eliten. Das seien Eliten, von denen sich die Eliten anderer Länder etwas abschauen könnten: bestens gebildet; international versiert; höchst kultiviert; Eliten eben. Aber leider sind es auch Eliten, die bisher immer meinten, dass das Land für sie da sei und nicht umgekehrt.

Klaus R. Kastner
Vier Jahrzehnte Bankmanagement in sechs Ländern (Österreich, Deutschland, England, USA, Chile, Argentinien), davon 1980-87 in Chile/Argentinien als Country Manager vor Ort einer der größten amerikanischen Gläubigerbanken; Studien an Harvard und INSEAD; derzeit in Griechenland tätig.
 

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Thatchers Tod macht nostalgisch drucken

Mit Margaret Thatcher ist wohl die erfolgreichste und wichtigste europäische Reformerin der Nachkriegszeit gestorben. Dabei war sie bei persönlichen Begegnungen alles andere als eine sympathische Person.

Ihr Kampf für einseitige britische EU-Rabatte hat ihr außerhalb des Vereinigten Königreichs wenige Sympathien eingebracht. Und zumindest Linke ärgern sich bis heute zutiefst, dass Thatcher eigentlich nur als große Siegerin des Falkland-Krieges innenpolitisch so lange bedeutsam sein konnte.

Aber genau dieser Zufall verhalf Thatcher zu der Möglichkeit, ein zutiefst verkommenes Land wieder um Jahrzehnte nach vorne zu bringen. Sie wagte es, sich dem damals auf den Inseln besonders stark bremsenden gewerkschaftlichen Terror entgegenzustellen. Und sie hat diesen Krieg gegen  monatelange Bergarbeiter-Streiks gewonnen.

Sie privatisierte große Bereiche der maroden Wirtschaft. Was fast überall ein großer Erfolg wurde. Endlich mussten auf Dieselloks keine Heizer mehr mitfahren wie in der Zeit vor Thatcher. Lediglich die Schieneninfrastruktur musste angesichts der großen, aus den Vor-Thatcher-Jahrzehnten geerbten  finanziellen Probleme wieder verstaatlicht werden; der Investitionsbedarf war nach Generationen der Vernachlässigung einfach zu groß. Hingegen hat auch keine der späteren Labour-Regierungen im Schlaf daran gedacht, irgendeine der sonstigen Privatisierungen zurückzunehmen, also auch nicht die des gesamten Personen- und Lastzugverkehrs. Dazu waren diese viel zu erfolgreich und stark nachgefragt.

Der konzessionslos durchgestandene Bergarbeiterstreik war der entscheidende Knackpunkt gewesen, der die britische Wirtschaft endlich reformierte. Das Land war bis zu Thatcher durch eine schrumpfende Arbeitsmoral und eine total veraltete Industrie geprägt, die nicht wie die deutsche die totale Modernisierung in Wiederaufbau und Wirtschaftswunder erlebt hatte.

Thatcher hat dadurch einer ganzen Generation von Briten neuen Wohlstand beschert. Dass sie das unter häufiger Zitierung des in London lebenden Wiener Philosophen und Ökonomen Friedrich August Hayek, ihres Lieblingsdenkers, gemacht hat, sollte zumindest erwähnt werden. An internationalen Persönlichkeiten hat sie hingegen außer Ronald Reagan niemanden wirklich anerkannt.

Gewiss ist Thatcher auch in so manchem gescheitert. Beim Nordirlandkonflikt etwa war es erst John Major, der die entscheidenden Weichenstellungen vornahm. Auch hat sie niemals genau den Platz Großbritanniens zwischen den USA und Europa definieren können. Sie hat es auch nicht geschafft, das total verstaatliche britische Gesundheitswesen zu modernisieren. Ebensowenig konnte sie das bis heute von leistungsschwachen öffentlichen Gesamtschulen geprägte Schulwesen reformieren, wo nur die Privatschulen die notwendige Qualität bringen. Und zweifellos waren ihre letzten Jahre im Zeichen einer schweren Altersdemenz alles andere als erfreulich.

Weniger gegen sie als gegen die Feministinnen spricht die Tatsache, dass diese mit einer so starken Persönlichkeit wie Thatcher überhaupt nichts anfangen können, sondern lieber alte kommunistische Ikonen aus der Mottenkiste verehren. Thatcher hingegen war eine klare Konservative mit liberalem Mut. Sie ist durch sensationell starke Sprüche bekannt geworden wie: „Dem Kampf um Frauenrechte verdanke ich nichts." Aber auch: „Wenn Sie in der Politik etwas gesagt haben wollen, fragen Sie einen Mann; wenn Sie etwas erledigt haben wollen, fragen Sie eine Frau." Ebenso legendär war ihr Lob für die Fähigkeiten einer Hausfrau.

Während Linke und Feministinnen sie hassten, ist sie für eine ganze Generation von Briten zum erklärten Idol geworden. Sie hat erledigt. Sie hat Führungsqualitäten gehabt. Sie hat jungen, auch keineswegs sehr politischen Frauen wie den „Spice Girls“ ein unnachahmliches Vorbild gegeben. Sie war aber auch für die tapfer gegen die Verfolgung kämpfenden osteuropäischen Dissidenten ein über den Eisernen Vorhang hinweg strahlender Leuchtturm der Freiheit gewesen, zum Unterschied von vielen anderen knieweichen europäischen Politikern.

Das Tragische ist heute: Weit und breit ist in Europa keine Persönlichkeit mit ähnlichen Fähigkeiten und Stärken mehr zu sehen. Auch Angela Merkel hat in Sachen „Dauerrettung“ und „Energiewende“ wohl zu viele Fehler begangen, um Thatcher an Bedeutung gleichzukommen.

 

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Die Kirche und ihre Rolle in der Welt drucken

Nicht nur weil Ostern ist: Die katholische Kirche steht so stark im allgemeinen Interesse wie schon lange nicht. Dank des Papst-Rücktritts, der genauso wie die Persönlichkeit des Nachfolgers eindrucksvolle Demut signalisiert. Dank der Tatsache, dass das neue Kirchenoberhaupt erstmals aus der Dritten Welt kommt. Dank der immer stärkeren Desorientierung der Menschen, die aber eigentlich nach einem festen Halt suchen. Aber auch dank der brutalen Attacken von Islamisten auf Christen, und dank eines radikal-antikirchlichen Volksbegehrens aus dem linksradikalen Eck.

Das ist eine gewaltige Chance. Das könnte Aufbruchsstimmung vermitteln – die es in einigen Pfarren in Österreich schon seit längerem tatsächlich gibt. Sie ist meist, aber nicht immer von starken Priesterpersönlichkeiten geprägt, denen nur eines gemeinsam ist: Sie sehen so wie der neue Papst ihre Aufgabe nicht im Schimpfen auf andere Teile der Kirche, auf Linke oder Rechte, sondern im Dienst an der Gemeinschaft. Gewiss: Nicht jeder hat auch Charisma, wie es die Päpste Franziskus und Johannes Paul II. gehabt haben. Aber auch der büchertrockene Benedikt hat als Gelehrter eine wichtige Funktion gehabt. Auch wenn ihm organisatorisch und disziplinär manches außer Kontrolle geraten ist.

Zu Recht werden da manche sagen: Aber die üblen Verbrechen, die – auch – von Funktionsträgern der Kirche begangen worden sind! Und die auch wohl noch heute da und dort begangen werden!

An diesen Untaten gibt es nichts zu deuteln. Sie haben stattgefunden, so wie in allen anderen Bereichen menschlicher Aktivität auch. Aber es gilt Klarheit herzustellen: Nirgendwo in der Bibel wird behauptet, dass jemand automatisch deshalb ein besserer Mensch wäre, weil er Priester oder Ordensfrau ist. Diesen Eindruck hat nur ein falscher Klerikalismus zu erwecken versucht.

Bei Kirche und Christentum geht es letztlich um ganz anderes als um die menschliche Qualität der Priester: Es geht vor allem um den Auftrag an jeden einzelnen zu einer an Werten, an Idealen, an konkreter Nächstenliebe orientierten Lebensführung; und es geht um die Suche nach Wahrheit, Freiheit und Transzendenz.

Dieser Wahrheit ist die katholische Kirche deutlich nähergerückt, seit sie klar sagt, dass nichts Teil des Glaubens sein könne, was der Vernunft widerspricht. Damit ist auch der tiefe Graben überwunden, der sich einst zwischen Kirche und Aufklärung, zwischen Kirche und Liberalismus aufgetan hatte. Wobei man bei der Aufklärung genausowenig an die blutigen Exzesse der Französischen Revolution denken darf, wie beim Liberalismus an die geistige Beschränktheit eines Liberalen Forums in Österreich und bei der Kirche an die Missbräuche in manchen Konvikten.

Bei allen überwiegt heute bei weitem der positive Beitrag für den Zustand der Menschheit. Was man von den großen Totalitarismen des Nationalsozialismus, Kommunismus und Islamismus ganz und gar nicht sagen kann – auch wenn das deren Propagandisten ständig zu verwischen versuchen.

Daher ist auch das Kirchenvolksbegehren aus dem linken Eck ein ganz übler Beitrag für die Zukunft dieses Landes. Wenngleich es von der Freimaurerpartie im ORF heftig unterstützt wird, ist es in vielen Punkten verlogen.

So verdreht das Gerede von angeblichen Privilegien der Kirche alles, was der christliche wie jüdische Glaube für Land und Menschheit tut, ins Gegenteil:

Nur in den von ihnen geprägten Kulturen haben sich Freiheit und Wissenschaft in so hohem Ausmaß entwickeln können (trotz allem, was man in beiden Bereichen oft sorgenvoll beobachten muss). Nur dort gibt es (trotz aller feministischen Attacken) eine Gleichberechtigung von Frauen. Nur dort sind so früh alle Sklavenhaltergesellschaften verschwunden. Nur dort gibt es heute die weltweit größte Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit. Ist das alles Zufall oder ist es nicht viel mehr klare Konsequenz der christlich-jüdischen Werte?

Christlich motivierte Menschen haben die gewaltigsten Kunstschätze der Menschheit geschaffen, von der Musik bis zur Malerei. Es wäre beispielsweise ein riesiger kultureller, und nicht zuletzt touristisch-ökonomischer Schaden für Österreich, würde die Kirche nur noch jene Klöster und Gotteshäuser erhalten und pflegen, die sie für ihre eigenen Zwecke benötigt. Für die Kirche wäre das hingegen kein Schaden, sondern eine gewaltige Ersparnis.

Allein dieser Wert übersteigt bei weitem das, was die Kirchen aus Budgetmitteln bekommen. Wobei das ja nur ein Ersatz für jene ökonomischen Werte ist, die der Kirche von den Nazis weggenommen worden sind. Und die einst in hohem Ausmaß von frommen Spendern gestammt haben, die noch geglaubt haben, über ihr Privateigentum frei verfügen zu können. Es ist daher wohl kein Zufall, dass die Attacken der Linken auf die Kirchen auch in hohem Ausmaß Hand in Hand gehen mit deren Attacken auf das Privateigentum schlechthin. Sie bekämpfen alles, wo nicht der Staat, also möglichst sie selber, die Macht hat. Und da sind Kirche wie Eigentum die größten Hindernisse.

Die linke Hetze gegen die Kirche

Eine besonders infame Attacke der Linken richtet sich gegen christliche Schulen, Altersheime und Spitäler: Statt täglich den Trägern zu danken für ihren Beitrag zum Allgemeinwohl, wird dagegen gehetzt. Dabei kommt jeder Schüler, jeder Patient, jeder Pflegebedürftige dort die Allgemeinheit viel billiger als in staatlichen Einrichtungen. Wollen die linken Kirchenhetzer diese wirklich alle auf die Straße setzen? Oder soll das Defizit der Republik um einige Milliarden größer werden, nur damit man der Kirche scheinbar eines auswischen kann?

Gewiss kann man nachdenken über die Art des Religionsunterrichts: Wäre es nicht auch für die Kirche viel sinnvoller, dass die jungen Menschen wie in anderen Ländern dazu in Pfarrgebäude kommen müssten, und nicht total orientierungslose Religionslehrer in die Schulen? Es ist wohl auch über die Art des Kirchenbeitrags zu diskutieren: Ist nicht der in immer mehr Ländern übliche Kultus/Kultur-Beitrag sinnvoller, bei dem ohne eigene Einhebungs-Bürokratie automatisch ein Teil der Einkommensteuer einem vom Steuerpflichtigen frei zu nennenden Zweck zufließt? Einer Kirche (wenn man sie zumindest für Heirat, Taufe und Tod in Anspruch nehmen will), einem Denkmalamt, einem Atheistenverein . . .

Kardinal Schönborn hat – offenbar schon vom neuen Papst beeinflusst – ja zu Recht für eine viel stärkere Distanz zwischen Kirche und Staat plädiert. Auch wenn er bisher nicht danach gehandelt hat. Solche Distanz hat der Kirche weltweit immer gut getan, auch wenn sie in Österreich das fast nie wirklich praktiziert hat.

Man denke nur an die vollen Kirchen 1945 in Österreich nach dem Ende der nazistischen Kirchenhasser. Man denke an Polen, die Slowakei oder Slowenien, wo die Kirche als Zuflucht gegen eine Fremdherrschaft besonders stark geworden ist (ja, auch die nationale Identitätssuche war dabei wichtig – aber die ist ja nur für Linke etwas Böses). Man denke an das Aufblühen der katholischen Kirche in den Perioden einer extrem blutigen laizistischen Herrschaft in Mexiko oder Spanien, beziehungsweise die christliche Stärke nach Jahrhunderten der islamischen Herrschaft in Spanien. Man denke an die Kraft der Christen im kommunistischen Vietnam oder im islamistisch bedrohten Afrika. Und man kann fast sicher sein, dass das Christentum in seinen allerersten drei Jahrhunderten vor allem deshalb so stark gewachsen ist, weil es die einzige und daher besonders gefürchtete Antithese zu den damaligen Herrschern war.

Man denke umgekehrt an das Schwächeln der protestantischen Kirchen Nord- und Westeuropas, wo sie als Staatskirchen rapide an Bedeutung verloren haben. Dabei haben gerade die Protestanten nach Luther vielerorts als Antithese zum Kaiser Zulauf gefunden.

Man könnte im Grund die Geschichte der letzten Tausend Jahre vor allem als ein ständig wechselndes Näher- und Auseinanderrücken zwischen Kirche und Staat interpretieren. Die Kirche als Antwort auf die unbeschränkte Willkür der Herrscher: Siehe Canossa, siehe die Zweischwertertheorie.

Die Kirche, der Glaube war die erste relevante und große Antithese zur Allmacht von Staaten. Sie wurde genau dadurch (und durch viele Bibelworte) zur ersten Verkörperung der Idee von Freiheit und persönlicher Verantwortung. Und genau dies hat beispielsweise der neue Papst auch in der Antithese zur linksliberalen Populisten-Herrschaft der Kirchner-Familie gelebt.

Alte Äbte in einer alten Denkwelt

Umso erstaunlicher ist es, wie ein niederösterreichischer Abt (der sich bisher immer in der Nähe der Mächtigen gezeigt hat) in dieser Situation in einem Radio-Interview spricht. Statt sich massiv mit dem Kirchenvolksbegehren auseinanderzusetzen, mit der islamisch getriebenen Christenverfolgung, mit dem Fehlverhalten einzelner Menschen, mit den immer an der Spitze der Kirchverfolger stehenden Grünen (und deren gegenwärtigen Generalangriff auf das Konkordat) hat der Mann zu einer Generalattacke auf die „Wirtschaft“ ausgeholt. Populistischer geht’s nimmer.

Er definiert nicht, was „Wirtschaft“ eigentlich ist (denn würde er nachdenken, dann müsste er erkennen, dass es wir alle sind!). Er begreift nicht, dass die Politik den Karren in den Dreck gefahren hat, und will der Politik, die er nur oberflächlich tadelt, noch viel mehr Macht verschaffen. Er begreift nicht, dass die Freiheit des individuellen Agierens die dringend notwendig Antithese zur immer größeren Allmacht der Politik, also der Parteien ist. Er begreift nicht, dass das Vorbild des Papstes in persönlicher Demut, Bescheidenheit und Nächstenliebe sowie im Mut, Menschen an ihre individuelle Verantwortung zu erinnern, besteht und nicht in irgendwelchen politischen Konstruktionen. Er hat nicht gehört, dass die Worte des Papstes vor allem gegen „eine verweltlichte Kirche“ gerichtet sind. Statt dessen will der Propst von Herzogenburg noch näher an die Welt, also die Politik heranrücken.

Aber jedes Mal, wenn ich solche politisierenden Kirchenmänner gefragt habe, welches konkrete Wirtschafts- und Politikmodell denn ihrer Meinung nach verwirklicht werden soll, kneifen sie und flüchten sich in das Argument: Wir sind ja keine Ökonomen. Eh nicht. Aber sie sollten halt auch nicht so tun, als ob sie es wären. Die Kirche hat ja auch irgendwann einmal eingesehen, dass sie nicht die Hüterin der Astronomie oder der Evolution ist. Also sollte sie es auch bei der Wirtschaft nicht.

Sie hat ja ohnedies von der Nächstenliebe bis zur Transzendenz gewaltige Aufgaben, denen sich viele Männer und Frauen jenseits des Scheinwerferlichts mit neuer Kraft stellen.

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Der miese Antisemit Karl Renner: Eine Entlarvung drucken

Es ist wohl die wichtigste historische Demaskierung der Nachkriegszeit. Es ist auch die endgültige Demaskierung der Parteilichkeit, der mangelnden Objektivität und der Unwissenschaftlichkeit der an den Universitäten herrschenden Zeitgeschichtler und insbesondere der verlogenen Pseudomoralisten beim "Standard" und der SPÖ-Untergruppe namens die "Grünen". Die Demaskierung erfolgte durch den Historiker Franz Schausberger und findet sich Schwarz auf Weiß im neuen Jahrbuch für Politik 2012.

Dass Schausberger einst ÖVP-Politiker gewesen ist, ändert nichts am Gewicht seiner Aussagen. Denn er arbeitet fein säuberlich mit präzisen Fußnoten, Quellen und Belegen. Und seine Schlussfolgerungen muss man ja nicht teilen. Was auch ich nicht tue.

Er fordert nämlich die Umbenennung des Karl-Renner-Rings. Ich bin jedoch gegen JEDE Umbenennung, aber dafür, keinerlei Ehrungen mehr für Menschen durch Straßenbezeichnungen oder Denkmäler vorzunehmen, egal ob lebendig oder tot. Jedoch die rotgrüne Stadtverwaltung in Wien verschwendet ständig unser Geld für Umbennungen und für neue Denkmäler. Sie tut dies etwa durch die bewusste Provokation in Form eines Deserteurdenkmals, das Helden und Heilige gleichgewichtig zu Verbrechern und Feiglingen ehrt.

Seit Erscheinen des Schausberger-Textes ist über Nacht die Demontierung des zweimaligen Staats/Bundespräsidenten Karl Renner durch präzise Quellenarbeit irreversibel geworden. Schausberger fördert zahllose Dinge zutage, welche das herrschende rotgrüne Zeitgeschichtsunwesen insbesondere an der Wiener Uni bisher unter den Tisch geschwiegen hat.

Dabei ist Schausberger ein weiteres besonders schlimmes Renner-Zitat aus 1945 entgangen. Damals hat sich dieser Mann aus seinem gemütlichen Haus in Gloggnitz, wo er all die Schrecken der Nazi-Jahre wie auch den Krieg gemütlichst überstanden hat, Stalin in widerlichster Art angedienert, indem er ihm die gemeinsame Herrschaft von Kommunismus und Sozialismus über Österreich versprochen hat.

Umso präziser und umfassender ist Schausberger mit einer unglaublichen Fülle von Zitaten über den jahrzehntelang ständig herausbrechenden Antisemitismus des Karl Renner. Schausberger arbeitet dabei zu Recht auch den Unterschied zwischen Renner und Karl Lueger heraus, dessen ebenfalls zahllosen antisemitischen Zitate zu einer Zeit gefallen sind, als es weit und breit noch keinen Adolf Hitler und die Realität seines Verbrecherstaates beziehungsweise seiner Partei gegeben hat. Das wäscht zwar den insbesondere von den Grünen, also von den notorischen SPÖ-Wasserträgern ins Visier genommenen Lueger nicht rein. Das macht aber die Schuld Renners doppelt schwer. Er muss in den Zwanziger und Dreißiger Jahren längst gesehen haben, was Hitler bedeutet.

Es würde zu weit führen, alle von Schausberger gesammelten Zitate wiederzugeben. Sie wiederholen sich im Kern ständig. Aber die Fülle zeigt, dass sie einer objektiven Zeitgeschichtsforschung niemals entgangen sein können.

Ich beschränke mich hier auf wenige. Etwa jenes über den gerade vom knalllinken "Standard" attackierten Leopold Kunschak, den Renner – nach dem Anschluss! – in einem Jubelaufsatz über den Nationalsozialismus "landesverräterischer Umtriebe" bezichtigte. Solche Attacken waren nicht nur verlogen und mies, sondern hatten damals mehr als konkrete Lebensgefahr für den Betroffenen bedeutet.

Renner war also auch ein ganz übler Denunziant. Er bejubelte den Hitlerstaat aus Überzeugung und ohne Druck, wie mehrere seiner Aussagen in Hinblick auf seinen Ja-Aufruf zu Hitlers Anschluss-"Volksabstimmung" beweisen. Er hat diesen Aufruf auch in privaten Gesprächen mit Anti-NS-gesinnten Menschen für richtig erklärt, also keineswegs unter Druck gehandelt. Ja noch mehr, Renner wollte damals sogar mit Plakaten für den Anschluss werben, was dann sogar den Nazis zuviel des Guten (Schlechten) war. Auch das deckt Schausberger auf.

Die erste Republik eines freien Österreichs war für Renner hingegen nur eine "zwanzigjährige Irrfahrt des österreichischen Volkes". Besonders scharf waren seine antisemitischen Attacken auf Wirtschaft und Christlichsoziale.

Bundeskanzler Seipel bezeichnete er als "Judenliberalen in der Soutane"; die Christlichsozialen als "Vorkämpfer des jüdischen internationalen Großkapitals". Die Banken waren bei Renner in vielen öffentlichen Aussagen grundsätzlich immer "jüdisch", ebenso das "Kapital", ebenso der "Manchester-Liberalismus", ebenso die "Schleichhändler". Dass es all diese Phänomene natürlich auf jüdisch wie nichtjüdisch gegeben hat, war Renner völlig egal. Und der damaligen Sozialdemokratie, die sich heute als soviel gutmenschlich ausgibt. Was ihr auch die vielen linken Historiker und Journalisten nachplappern. Widerlich.

(In dem wie immer eine tolle Fundgrube darstellenden Jahrbuch gibt es übrigens einen besonderen Schwerpunkt über das Thema Korruption. Das Jahrbuch ist längst zur wichtigsten politikwissenschaftlichen Publiktation des Jahres geworden. Böhlau-Verlag).

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Der Anschluss, die Philharmoniker und die grüne Taktik drucken

Weil im März 1938 einzig und allein die katholischen Konservativen Österreichs die letzte Bastion gegen Hitler gebildet haben, wird beim 75-jährigen Gedenken von rechts außen und links außen wieder einmal heftig an der Geschichte herummanipuliert. Und Scheinthemen werden ganz zufällig gerade rechtzeitig in den Vordergrund gerückt, um von der eigenen damaligen Rolle abzulenken.

Ja, auch die Linke tut das. Denn bei der Mehrheit der damaligen Sozialdemokraten war der Hass auf den Ständestaat und auf den Klassenfeind leider deutlich größer als die Aversion gegen die Nazis, gegen die nationalen Sozialisten, mit denen man sich seit 1934 bisweilen sogar verbündet gefühlt hat. Aber darüber redet man heute naturgemäß nicht gerne.

Freilich sollte man keinesfalls verallgemeinern. Klügere Sozialdemokraten wollten durchaus gemeinsam mit den verhassten Schwarzen gegen die viel größere Gefahr aus dem „Reich“ kämpfen. Heroisches Musterbeispiel war Franz Olah, der einzige Österreicher, der sowohl vom Ständestaat, von den Nazis und dann den Sozialisten in ein Gefängnis geworfen worden war. Der nach den Nazis aber in seiner Weisheit und Anständigkeit vor allem die Kommunisten als größte Bedrohung erkannt hat und der bereit war, sowohl Schwarze wie ehemalige Braune als Menschen zu akzeptieren.

Links außen wie rechts außen behaupten hingegen in erstaunlicher Einigkeit, dass alle oder jedenfalls eine große Mehrheit der Österreicher Hitler zugejubelt hatten. Wofür es freilich keinerlei Beweise gibt. Ein Gegenbeweis ist etwa die Tatsache, dass der Hauptgrund für den deutschen Einmarsch ja genau die von Schuschnigg geplante Volksabstimmung über die Selbstständigkeit Österreichs gewesen ist. Um ihre schmähliche Rolle damals und seither zu übertünchen, plappern Rechts- und Linksradikale davon, dass die Opferthese widerlegt worden sei. Was wirklich nur ein unhistorisches Geplapper auf beiden Seiten ist, auch wenn viele – viel zu viele – Österreicher schon vorher und erst recht nachher in Hitlers Lager gestanden sind.

Aber Opfer gab es sehr wohl, und zwar jede Menge. Das waren die zahllosen jüdischen und nicht jüdischen Gegner der Nazis, die umgebracht wurden, die ins KZ geschleppt wurden, die fliehen mussten, die wie meine Eltern ihren Job verloren. Oder die sich verzweifelt daheim einschlossen, weil sie spürten, was auf Österreich zukam. Und Opfer waren Regierung und Republik, deren verzweifelte Hilferufe bis zur letzten Stunde von aller Welt ignoriert wurden. Bis auf Mexiko. Was nicht viel half.

Für das Ausland wie die rechten Helfershelfer Hitlers und die aus Hass gegen Schuschnigg tatenlos dabei gestandenen Linken ist es natürlich wunderbar, wenn sie und ihre geistigen Nachfahren nun so tun können, also ob alle Österreicher Täter gewesen wären. Dadurch lösen sich ihre eigenen damaligen Fehler und ihre Mittäterrolle ins Nichts auf.

Bei all den Gedenkreden und -artikeln dieser Tage lässt sich noch an einem anderen Detail die Manipulationsabsicht  nachweisen: Es ist zwar voll legitim, kritisch auf den „Heil Hitler“-Pro-Anschluss-Aufruf des Wiener Erzbischofs Innitzer einzugehen. Das wird aber zur skandalösen Manipulation, wenn dabei dreierlei unterdrückt wird: Erstens, dass sich auch ein Karl Renner ganz freiwillig öffentlich (und zum Unterschied von Innitzer ohne das Motiv, die eigenen Gläubigen schützen zu wollen) zum Anschluss bekannt hatte. Zweitens, dass derselbe Innitzer dann noch im gleichen Jahr im Zentrum der größten und einzigen Anti-Hitler-Demonstration Österreichs gestanden war. Und dass drittens am lautesten von allen die evangelische Kirche Österreichs in Hitler den Befreier vom katholischen Joch emphatisch bejubelt hat (ja genau die, die heute so besonders auf links tut).

Ersatzobjekt Philharmoniker

Aber da der März 1938 eben für viele Linke eigentlich ein unerquickliches Datum ist, wurde nun raffiniert ein anderes Thema hochgespielt. Und zwar haben das vor allem die Grünen getan, die ja im Grunde immer die besseren Sozialisten sein wollen. Sie haben neuerdings die Wiener Philharmoniker voll ins Visier genommen. Und der ORF spielt, wie bei jeder grünen Kampagne, begeistert mit.

Selbstverständlich waren 1938 auch die Philharmoniker total von den Nazis übernommen worden. So wie es eben bei jeder größeren wie kleineren Institution des Landes passiert ist. Es ist geradezu widerlich und lächerlich, jedes Mal groß auf erstaunt zu machen: Was, auch die Philharmonikers sind total eingebräunt worden? Auch dort sind sofort die Juden und Andersdenkende hinausgeworfen worden? Auch dort wurde groß auf Hitler-Jubel gemacht? Nein, das überrascht uns aber wirklich. Das muss jetzt groß aufgearbeitet werden.

Und vor allem: Dazu müssen die heutigen Philharmoniker – die natürlich weder mit den Tätern noch den Opfern jenes Jahres irgendwie ident sind – aber nun wirklich kräftig in die Kasse greifen. Dazu müssen ein paar – natürlich stramm linke – Historiker den nächsten dicken Forschungsauftrag bekommen.

Dieses Businessmodell lässt sich wohl ewig fortsetzen. Man denke nur alleine an die Eisenbahn. Jede Strecke, jeder Bahnhof muss noch ordentlich zahlen, damit von den sonst vielleicht arbeitslosen Historikern noch die ja bisher völlig unbekannte Tatsache aufgearbeitet werden kann, dass über diese Strecke, durch diesen Bahnhof die Züge ins KZ und an die Front gerollt sind. Und wie ist es mit den Postämtern? Mit jedem einzelnen Fußballverein? Jedem einzelnen Dorf? Haben die schon alle an die grünen Historiker gezahlt? Und irgendwann werden auch die paar hitlerschen Autobahn-Meter entdeckt und von empörten Historikern aufgegraben werden. Vermutlich auf Kosten der Asfinag.

Und was ist mit dem Neujahrskonzert?

Aber zurück zu den Philharmonikern: Da wird jetzt zwar auf grüne Anordnung jede einzelne Biographie, jedes einzelne Notenblatt, jeder einzelne Gastdirigent, jedes Instrument erforscht werden. Aber das einzige wirklich große und bekannte Überbleibsel aus der Nazi-Zeit bleibt überall unerwähnt: Das ist das Neujahrskonzert, das in jener Zeit mit durchaus politischer Intention erfunden worden ist. Das aber wird verschwiegen.

Dieses Neujahrskonzert ist noch von jedem Bundespräsidenten seither stolz als staatsmännischer Schauplatz verwendet worden. Es ist nicht nur für das Orchester, sondern auch für den ORF die große Cash-Cow. Dazu herrscht aber das peinliche Schweigen. Verlogener geht’s nimmer.

Bleiben nur noch zwei Fragen. Erstens: Kann man noch einmal einen Dirigenten, einen Musiker, eine Aufnahme auch aus jener Zeit für gut finden, ohne gleich als Wiederbetätiger entlarvt zu werden? Kann einem ohne schlechtes Gewissen noch Musik gefallen, die auch die Nazis gespielt haben?

Und zweitens: Sind wir wirklich schon so verblödet, wie es scheint? Da wird jedes winzige Detail aus jener Zeit mit großer Inbrunst zum Inbegriff des größten Verbrechens aller Zeiten erklärt. Da scheren wir uns aber überhaupt nicht darum, wo es heute, nicht vor 75 Jahren, neue Ansätze zum Totalitarismus gibt, zur Intoleranz gegen Andersdenkende, zur Einschränkung der Meinungsfreiheit, zur Treibjagd gegen Missliebige, zur Verlogenheit, zur Kriegshetzerei. Begreifen wir nicht, dass das große Verbrechen beim nächsten Mal wahrscheinlich nicht genau die gleichen Uniformen wie damals anhaben wird, aber genauso gefährlich werden könnte?

 

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Der kleine dritte Weltkrieg drucken

Er dauert nicht lange, sieht aber heftige Schlachten mit modernstem Kriegsgerät – und die Kampfhandlungen umspannen den gesamten Planeten Erde.

8. März 2013 – ein Sprecher der südkoreanischen Regierung droht der nordkoreanischen Führung die komplette Auslöschung an, falls sie eine nukleare Attacke auf den Süden wagen sollte. Nur Stunden zuvor hatte Nordkorea mit einer atomaren Vernichtung südkoreanisch-amerikanischer Kommandozentren gedroht. Worauf der UN-Sicherheitsrat erstmals einstimmig eine Resolution verabschiedete – mit weiteren Verschärfungen der seit den jüngsten nordkoreanischen Atom- und Raketentests bereits ziemlich harten Sanktionen. Das Regime unter der Führung des jungen Kim Jong-Un antwortet mit der Aufkündigung des Waffenstillstandes von 1953, mit dem der 1950 durch eine kommunistische Attacke auf den Süden ausgelöste Koreakrieg gestoppt werden konnte.

Reine Rhetorik, Kraftmeierei, in der sich der kommunistische Norden seit langem übt – gestärkt durch eine wachsende Atomrüstung? Und ist der kapitalistische, demokratische Süden Koreas nun auf diesen Wagen harscher Worte aufgesprungen, weil es sonst absolut gar nichts gibt, mit dem man die „Verrückten“ in Pjöngjang in die Schranken weisen könnte?

Wenn es nur so einfach wäre. Worte können leicht eskalieren. Und irgendwann verliert jemand an der seit 1953 bestehenden Waffenstillstandslinie am 38. Breitengrad die Nerven und schießt scharf. Dann könnte der Norden mit einer Atombombe den für eine Panzerarmee undurchdringlichen Minengürtel „freischießen“ und die Reste der im Süden noch stationierten US-Truppen vernichten und die Marineeinheiten der 7. US-Flotte im Gelben Meer versenken.

Seit Wochen sind wieder gemeinsame Manöver Südkoreas mit den USA an Land und auf dem Meer im Laufen. Wieder haben Teile der 7. US-Flotte im Pazifik ringsum Stellung bezogen – von Okinawa bis hinter Taiwan und hinunter nach Australien. Seit Jahren berichten höchstrangige Überläufer aus Nordkorea, dass das Regime in Pjöngjang nicht deshalb so aggressiv vorgeht und u. a. freihändig südkoreanische Schiffe versenkt, um ein paar Barrel Öl und Getreide zu erpressen, sondern dass man dort alles auf eine einzige Karte setzt: Nämlich Südkorea zum geeigneten Zeitpunkt per Überraschungsangriff zu überrennen. Das war die Politik Kim Il Sungs seit 1945 und wurde von seinem Sohn Kim Jong-Il fortgesetzt. Nun scheint dem erst im Vorjahr installierten Enkel Kim Il Sungs – Kim Jong-Un – der Kamm geschwollen zu sein und er könnte auf einen Angriff seiner Millionenarmee setzen.

Das Warten auf den Tag X enerviert den Westen seit dem 15. Jänner 1975, als auf einem ganz anderen Schlachtfeld in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus – tausende Kilometer weiter im Süden – 1600 nordvietnamesische Panzer, unter Bruch des Friedensvertrages von Paris aus dem Februar 1973, aus heiterem Himmel über den 18. Breitengrad preschten und Südvietnam im Sturmlauf bis Saigon binnen dreier Wochen eroberten.

Die Armee Südvietnams war damals gut gerüstet und trainiert gewesen. Aber die Machtzentrale in Washington D.C. war durch den Rücktritt von Richard Nixon im Zuge der Watergate-Krise geschwächt und das US-Parlament nicht mehr bereit, nach zehn Jahren Krieg in den Dschungeln Südostasiens auch nur das Leben eines einzigen weiteren Amerikaners für ein westlich orientiertes Südvietnam zu opfern. Den Flugzeugträgern wurde per Eilbeschluss verboten, in die Kampfhandlungen einzugreifen. Dabei wären die russischen T-72 Panzer für die amerikanischen lasergesteuerten Bomben ein leichteres Ziel gewesen als die früher im Dschungel versteckten Vietkong, mit dem Effekt, dass die Südvietnamesen ihre teuren Waffen hinschmissen und sich den Truppen General Giaps massenweise ergaben. Ein tolles Lehrstück auch für die Militärkamarilla in Nordkorea. Jetzt, 2013, ist man am Ziel lang gehegter Wünsche. Mit nachweislich mindestens zehn Atombomben in der Rückhand kann Nordkorea einen Überfall auf Seoul wagen.

Alle sind sehr besorgt, was nun kommen mag. Die Südkoreaner an erster Stelle; ein voller Krieg auf ihrem Territorium würde sie sehr schwer treffen. Die Amerikaner, die noch mit ein paar tausend Mann nahe dem 38. Breitengrad stehen und wohl die ersten Ziele für die schwere Artillerie von 11.000 an der Grenze stationierten nordkoreanischen Haubitzen wären. Japan, das mit der Möglichkeit rechnen muss, dass in seinem Perimeter abermals Atombomben zum Einsatz kommen. China, das in den letzten drei Jahren still und leise 300.000 Mann in seiner Nordprovinz zusammengezogen hat, ohne deutlich zu sagen, ob sie eine Warnung an die Adresse Nordkoreas sein sollen oder gar eine stillschweigende Rückenstärkung für ein militärisches Abenteuer. Zuletzt das mit seiner sibirischen Fernost-Provinz ebenfalls betroffene Russland, dem es nicht egal sein kann, ob es in unmittelbarer Nähe seines Pazifikhafens Wladiwostok zu nuklearen Kampfhandlungen kommt.

Gefahrenherd Iran

Und es ist eben dieses Russland, das in diesen Tagen eines asiatischen Nervenspiels in einer anderen Weltecke mit zwei Problemen zu kämpfen hat. In seinem langjährigen Satrapen Syrien herrscht Bürgerkrieg und Russland droht dort seinen Kriegshafen Latakia und seinen Einfluss generell zu verlieren – wie nach der US-Invasion im Irak im Frühjahr 2003.

Als Zweites droht ein israelischer Militärschlag auf die Atomanlagen im Iran. Das wäre weit weg von Korea, aber nicht ohne Zusammenhang. Denn der fanatische islamische Fundamentalist Mahmud Ahmadinejad – am 8. März beim Begräbnis des venezolanischen Liders Hugo Chavez in Caracas – vertritt voller Überzeugung die Meinung, dass Israel zerstört werden muss, und dass diese Tage der Entscheidung nun vor der Tür stünden. Und er sagt das wahrscheinlich nicht von ungefähr. Denn der Iran ist seit langem mit Nordkorea verbündet und die Vermutung steht im Raum, dass die Steinzeitkommunisten vom anderen Ende der Welt nicht nur Baupläne für eine Atombombe geliefert haben, sondern auch ein, zwei Stück echter, einsatzbereiter Hardware.

Israelische Jets haben am 6. September 2007 einen von Nordkoreanern errichteten Plutoniumreaktor in Syrien eingeäschert, was andeutet, dass der Iran – so wie die Amerikaner 1945 – auf zwei verschiedenen Wegen eine Atomwaffe entwickelt – und neben einer Uran-Bombe auch noch den Besitz einer Plutoniumbombe anstrebt. Während viele gut meinende, friedensbewegte Menschen im Westen noch überlegen wollen, ob der Iran überhaupt an nuklearen Waffen arbeitet, hat Teheran weitere Uran-Zentrifugen unterirdisch errichtet. Nun hat auch die internationale Atombehörde IAEA den Alarmknopf gedrückt. Die deutliche Verschärfung der Sanktionen gegenüber Teheran durch die Vereinten Nationen und einzelne Großmächte scheint also das erwartete Ergebnis gebracht zu haben – nämlich keines.

Diese Faktenlage hat Israel von Anfang an in seinem Kalkül gehabt und sich vorbereitet. „Wir werden einen nuklearen Iran nicht dulden“, hieß die Losung in allen politischen Parteien. Israel schärfte sein Schwert – unter Präsident Bush mit offener amerikanischer Hilfe, unter Barack Obama verdeckt. Eine lückendichte Raketenabwehr gegen ballistische Geschoße – „Iron Dome“ – wurde installiert, die Amerikaner lieferten dafür das hochsensible Radarsystem, stellten es in die Negev-Wüste und bemannen es – gegen das Versprechen, den Iran nicht vorzeitig anzugreifen. Vorzeitig heißt für die Israelis: Warten mit einem Angriff auf die iranischen Atomeinrichtungen, bis wirklich klar ist, dass die Sanktionen nicht greifen.

Sobald eine ballistische Rakete mit einem Sprengkopf an der Spitze sich zwei Meter über den Staub der iranischen Wüsten erhebt, wissen das die Computer in der Negev-Wüste und schießen das Projektil ab. Aber auch seine eigenen Abwehrraketen hat Israel weiterentwickelt. Das „Arrows“-System ist mittlerweile sogar bei den Amerikanern heiß begehrt. Im Herstellen von Mittelstreckenraketen, Cruise-Missiles und Kampfdrohnen sind die Techniker in Tel Aviv nunmehr Weltmeister. Elektronik und Software sind zu israelischen Exportschlagern geworden. Technologien, die sich auch in den Bildscannern österreichischer Druckereien und Werbeagenturen finden oder in den neuartigen Biotechlabors in Wien. Im vergangenen Herbst bewiesen die Abwehrraketen in der einwöchigen „Gaza-Krise“ ihre Leistungsfähigkeit. Ein Großteil der feindlichen Projektile wurde abgeschossen oder landete elektronisch fehlgeleitet in Meer und Wüste.

In Israel gehören militärische Übungen in großem Stil seit dem Amtsantritt von Ahmadinejad im Iran zur Routine. Fast wöchentlich fliegt eine Rotte von Kampfjets mit Tankflugzeugen von Tel Aviv bis Gibraltar und retour, dann wieder üben 100 Bomber Angriffsmanöver auf Kreta, Zypern oder Sardinien. Der Zivilschutz errichtet Zeltlager von Haifa bis Eilath mit allem, was dazugehört: Großküchen, Operationssälen und Lagern für Gasmasken. Die Kommentatoren halten das für bloße Abschreckung und für ein Druckmittel zum Durchsetzen von Sanktionen. Die Sanktionen sind nun da, die Wirkung aber lässt nach wie vor auf sich warten.

Ahmadinejad hingegen hat keinen Zweifel daran gelassen, dass Tel Aviv komplett zerstört werden wird, falls Israel die iranischen Atomanlagen angreift. Wie kann er so etwas sagen? Mit konventionellen Bomben gelingt das sicher nicht. Wenn er nicht nur prahlt, dann bedeuten seine Worte möglicherweise, dass er bereits im Besitz einer einsatzfähigen Atombombe ist. Die hätte der Iran wohl aus Nordkorea beschafft, oder aus Pakistan, oder aus den unmittelbar nach der Wende zeitweise unbewachten Depots der zerfallenden Sowjetunion. „Israel muss vorsichtig sein“, sagte er in einem Interview mit dem Spiegel vor Jahren, „Eine Bombe genügt, um den kompletten Staat Israel auszulöschen. Der Iran ist aber auch mit 10 Atombomben nicht zu vernichten.“ Was die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton 2009, kaum im Amt, veranlasst hat, von einer totalen Zerstörung des Iran zu sprechen. Als Senatorin hatte sie in ihrem Staat New York auch eine Million Staatsbürger jüdischen Glaubens zu vertreten.

Die Lage spitzt sich weltweit zu

Israel nimmt diese Sprüche nicht auf die leichte Schulter. „Ahmadinejad ist ein neuer Hitler,“ heißt es in Jerusalem, „Und Hitler hat alles durchgeführt, was er je angekündigt hatte.“ Es war ein jüdisches Psychiaterteam in New York, das 1942 für Präsident Franklin D. Roosevelt auf 1200 Seiten festhielt, wie der verhaltensgestörte Maniker in Berlin tickte. Sie haben ein Meisterwerk abgeliefert, das von den alliierten Strategen leider kaum beachtet wurde. Denn in der Philosophie der damaligen Zeit war nicht Hitler der Gegner, sondern Deutschland. Jede einzelne psychologische Prognose der New Yorker Forschungsgruppe Hitler hatte sich bewahrheitet. Sogar einen Putschversuch von Wehrmachtsoffizieren sahen sie voraus. Die Nachfahren dieses New Yorker Teams im heutigen Tel Aviv haben sich wahrscheinlich ebenso wissenschaftlich genau ein Bild von Ahmadinejad gemacht. Ihr Verdikt: „Er ist ein neuer Hitler“. Einer, der noch dazu daran glaubt, dass ein Krieg die Wiederkehr des 12. Imam herbeiführen wird. Das hat er sogar vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen der Welt mitgeteilt. Nicht auszuschließen, dass er, Ahmadinejad, sich selber für den Mahdi hält, für die Inkarnation des Propheten, für den Messias der neuen islamischen Zeit.

Die Schlinge um den Iran zieht sich zu. Mit einem Militärschlag Israels ist zu rechnen, sobald feststeht, dass eine iranische Atombombe im Eigenbau einsatzbereit sein könnte. In Israel wollte man vorher zwei Wahlen hinter sich bringen – die eigenen und die amerikanischen. Am 20. März hat sich der US-Präsident angesagt, vordergründig, um für einen endgültigen Stopp der israelischen Siedlungstätigkeit auf den Territorium der West-Bank zu „werben“, aber wahrscheinlich wohl vor allem, um das eigene Ultimatum Barack Obamas an Teheran – 31. März – zu besprechen. Hier könnte sich entscheiden, ob die USA bei einem Militärschlag auf die Atomforschungszentren mitmachen werden.

Und das zu einer Zeit, in der es im Fernen Osten ebenfalls nach Krieg riecht. Bei einem Regimewechsel in Teheran im Gefolge eines israelischen Angriffes würde es für Pjöngjang ziemlich eng werden, wenn sich seine unter der Tuchent entwickelten nuklearen Verbindungen mit dem Iran offenbarte. Es lässt sich nicht voraussagen, was zuerst kommt, ein Angriff Nordkoreas auf Südkorea oder ein Angriff Israels auf den Iran. Da beide Schauplätze „unter der Tuchent“ ineinander wirken, spricht viel dafür, dass es ziemlich zur gleichen Zeit ablaufen wird. Ein Krieg an beiden Enden der Erde mit nuklearen Komponenten. Irgendwann kurz davor, dazwischen oder danach wählt Rom einen neuen Papst!

Paul Fischer ist Journalist und Vorstandsmitglied des Wiener Akademikerbundes.

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Der letzte Tag eines Papstes drucken

Jetzt ist auch noch das Gasthaus in Rom, wo Joseph Ratzinger einst gelegentlich gegessen hat, medial vielerorts porträtiert worden. Nichts symbolisiert deutlicher die krampfhafte Hilflosigkeit der Öffentlichkeit, mit einer Institution zurecht zu kommen, die nicht von dieser Welt ist. Noch weniger sind die meisten Medien mit dem Phänomen eines aus Bescheidenheit zurücktretenden Papstes fertig geworden, von dem wir vermutlich nach dem großen und bewegenden Abschied nicht mehr viel zu sehen bekommen werden.

Die Medien haben die Kirche nie begriffen. Sie waren aber zugleich immer absolut fasziniert von einer geheimnisvollen Institution mit großem historischen Atem, bei der man nicht ständig durch Pressekonferenzen eines Parteiobmannes oder Ministers informiert – beziehungsweise meist desinformiert wird. Daher haben sie, insbesondere die italienischen Zeitungen, mit großer Gier jedes Gerücht und selbst die wildesten Spekulationen veröffentlicht.

Umgekehrt begreift aber auch die Kirche nicht die Rolle der Medien. Wie mit ihnen umgehen? Es ist ja auch kein Zufall, dass beim Nachlesen der Konzilsdokumente jenes über die Medien das weitaus schwächste und platteste ist. Den Umgang mit dieser Medienwelt hat der einstige Konzilstheologe Ratzinger viel weniger verstanden als etwa der polnische Papst, der sein Pontifikat weniger mit Theologie als mit Charisma geprägt hat.

Gibt es aber überhaupt eine richtige Umgangsform zwischen den Medien, die auf Inszenierung, auf Schlagzeilen, auf Gschichteln aus sind, und einer Institution, die zumindest im Prinzip für Wahrheit, Freiheit und Transzendenz steht? Man darf zweifeln.

Der Umgang wird umso schwieriger, als auch die Kirche selbst meist nicht die Spannung zwischen ihrem hehren prinzipiellen Ziel und Anspruch auf der einen Seite und ihren oft sehr diesseitigen Akteuren auf der anderen Seite zu überbrücken versteht. Daher stehen dann stehlende Kammerdiener, sich in schwulen Zirkeln treffende Vatikan-Prälaten und kindesmissbrauchende Mönche alleine im Scheinwerferlicht. Hat doch die Kirche sehr oft und sehr lange den Eindruck zu erwecken versucht, als ob das Hehre ihres Anspruchs auch automatisch ihre Akteure zu besseren Menschen machen würde.

Dieser Eindruck ist auch theologisch in keiner Weise gerechtfertigt. Selbst manche Päpste der langen Kirchengeschichte waren böse, katastrophale Persönlichkeiten. Daher ist es auch nicht sehr weise, wenn der Wiener Kardinal in fast jeder Wortmeldung der letzten Tage dem Heiligen Geist die Verantwortung für durchaus menschliche Personalentscheidungen zuschiebt.

Es würde der Kirche am besten tun, wenn sie wieder viel stärker die logische und oft gewaltige Diskrepanz zwischen ihrer geistigen Dimension und dem durchaus irdischen Personal zu akzeptieren und klarzulegen bereit ist. Sie verkörpert ja den Glauben an Gott und nicht jenen an irgendeinen Kaplan oder Kardinal oder Papst.

Daher sollte die Kirche nicht ständig den lieben Gott für alles Mögliche bemühen. Von den Schulnoten bis zum Wetter. Denn sonst wird sie von der unbeantwortbaren Frage überrollt, wie Gott die vielen Katastrophen zulassen kann, die auch zahllosen Guten und Unschuldigen Leid und Tod bereiten. Ob das nun große Naturkatastrophen sind oder Massenmorde wie jene in Auschwitz oder im Gulag.

Die Kirche darf aber natürlich dennoch auch die Mittel der diesseitigen Welt für ihren Auftrag einsetzen. Das mag das Theater sein, das etwa die barocken Jesuiten für kirchliche Zwecke entdeckt hatten; das mag die Liturgie sein, die sie seit Jahrtausenden als Mittel der Inszenierung ihres transzendenten Kerns verwendet; das mag die kulturelle Vielfalt zwischen Afrika, Asien oder Europa sein; das mag die seit dem Mittelalter verwendete Kirchenmusik sein; das mag die Kraft der Mystik sein.

Aber trotz all dem wird sie nur dann auch von Nichtgläubigen respektiert werden, wenn sie sich auch selbst vor allem anderen und immer als etwas im Kern über diese Welt Hinausweisendes begreift. Solange sie das tut, bleibt sie die wichtigste Institution der Weltgeschichte. Und sich selbst treu. Freilich wird sie dann aber auch automatisch immer Hassobjekt sein. Für Kommunisten, für Nationalsozialisten, für militante Atheisten, für geifernde Boulevard-Journalisten.  Mit anderen Worten gilt aber auch: Nur solange die Kirche Hassobjekt ist, wird sie kein beliebiges Etwas sein. Nur dann kann sie auch geliebt werden.

Hinter dieser Herausforderung verschwimmen viele heute so laut diskutierte Fragen zu Details. Wie es etwa das Thema verheiratete Priester ist, um nur eine einzige zu nennen. Solche hat es ja in Wahrheit in der römischen Kirche immer gegeben, von den unierten, also papsttreuen Ostkirchen bis zu den neuerdings zum Katholizismus übergetretenen anglikanischen Geistlichen.

Benedikt XVI., der intellektuelle Papst und große Theologe, hat all diese Zusammenhänge gespürt und kommuniziert. Als Person hat er aber erst durch seinen Rücktritt wirklich Emotionen ausgelöst. Solche waren ihm eigentlich Zeit seines Lebens unangenehm. Er sah – und sieht – Emotionen nur gegenüber Gott, Kirche und Religion als gerechtfertigt an. Eben weil er die Kirche immer als etwas ganz Anderes begriffen hat.

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Fußnote 412: Die Rückkehr des Latein drucken

Die Sprache war schon totgesagt worden. Aber sie lebt und lebt auf.

Es ist nur eine kleine Meldung, die von den meisten Medien übersehen worden ist. Aber sie ist erstaunlich und erfreulich. In den deutschen Gymnasien wählen derzeit wieder 30 bis 33 Prozent der Schüler Latein. Vor 15 Jahren sind es nur noch unter 20 Prozent gewesen. Das kann man wohl nur in einer Richtung interpretieren: Gerade bei den Jungen wächst wieder die Sehnsucht nach den Wurzeln unserer Kultur. Und die liegen in hohem Ausmaß bei der Antike, ihren Sprachen, ihrer Zivilisation und ihrer Rechtskultur. Römer und Griechen haben zusammen mit dem Christentum Europa um Galaxien nach vorne geworfen, während viele andere Kulturen erst durch die Kontakte mit ihnen den Weg aus dem Dunkel der Geschichtslosigkeit fanden.

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Ideengeschichte Europas im 20. Jahrhundert drucken

„Demokratie … ist institutionalisierte Ungewissheit“: Mit diesen Worten endet Jan-Werner Müllers Buch „Das demokratische Zeitalter. Eine politische Ideengeschichte Europas im 20. Jahrhundert“ (Suhrkamp 2013). Es ist ein Streifzug durch das an politischen Extremen reiche vergangene Jahrhundert. Seine Protagonisten sind Wissenschaftler, Agitatoren, Revolutionäre, Politiker, Philosophen, Schriftsteller – und ihre Ideen. Viele Gedanken sind „schlagend geworden“, manche dann sogar tödlich.

Es wurde für viele Bewohner Europas eine „bittere Erfahrung, dass die gelehrten Worte der Philosophen, so unverständlich und absurd sie dem Durchschnittsmenschen auch erscheinen mochten, auf ganz unmittelbare Weise ihr Schicksal bestimmen konnten“ (Czes?aw Mi?osz). Politische Glaubenslehren aller Art wurden produziert; nachgerade zwanghaft. Sie sollten die jeweilige politische Herrschaft – die existierende oder angestrebte – legitimieren und ihre Taten oder Untaten rechtfertigen. Dabei wurde oft auf der Klaviatur „demokratischer“ Werte gespielt; auch von jenen, die eine liberale parlamentarische Demokratie verachteten: Von den Ideologen der „Volksdemokratien“, die eine kommunistische klassenlose Gesellschaft versprachen ebenso wie von den Faschisten, die einen „Volksstaat“ theoretisierten.

Ursprünge der radikalen „politischen Religionen“

Im ersten Teil seines Buches beschäftigt sich Jan-Werner Müller vornehmlich mit den marxistischen, faschistischen und nationalsozialistischen Ideen (und ihren Trägern), die allesamt – aus unterschiedlichen Gründen – durch eine Abwendung von der „liberalen Demokratie“ gekennzeichnet waren. Sie betonten ursprünglich, manche stärker, andere weniger stark – Gleichheit (nicht nur vor dem Gesetz), eine echte Einbeziehung in die politische Gemeinschaft, eine auf Dauer gestellte Teilhabe an der Politik, einen Kollektivkörper (eine „gesäuberte“ Nation oder ein sozialistisches Volk). Manche glaubten dafür einen „neuen Menschen“ erfinden/schaffen zu müssen – und wenn es denn sein musste, mit Gewalt.

„Alles Radikale, alles Gewaltsame schien bereits unmöglich in einem Zeitalter der Vernunft“. Mit diesem Satz bezog sich Stefan Zweig 1942 auf die Vorkriegsjahre bis 1914. Die Kriegsjahre zeigten die Wirklichkeit des gedanklich „Unmöglichen“; und sie begünstigten die Entwicklung von Ideen, die schon vor dem Großen Krieg existiert hatten: Des Marxismus, der nun neue, höchst verschiedenartige Blüten trieb; die Absage an die Ideen der Aufklärung, die ideologische Verherrlichung der Gewalt (z.B. bei George Sorel. Er wurde von Rechten und Linken gepriesen und „genutzt“; sein Beispiel zeigt, dass man auch als kleiner Provinzbeamter durch Schriften Revolutionäre inspirieren kann).

Auch der Rassismus wurde gedanklich lang vor dem Weltkrieg grundgelegt. Es ist nicht das geringste Verdienst dieses Buches, auf die Möglichkeiten solcher „Spätzündungen“ aufmerksam zu machen, auf die Quellen, die im günstigen Augenblick auszubrechen beginnen.

Vielfach illustriert ist die Rolle der Intellektuellen bei diesen Ideen- und Produktionsprozessen: Oft als notwendige und zu gewinnende „Second-hand-dealer“ (A. v. Hayek), manchmal als „Ingenieure der menschlichen Seele“ (J. Stalin), oft als akademische Schüler, die ihren Lehrer (M. Weber) entsetzten (G. Lukacs und E. Bloch), andere als ambitionierte oder tatsächliche Chefideologen (G. Gentile), wieder andere als Dissidenten, die nicht mit der Macht schwammen, sondern – höchst risikoreich – gegen sie ankämpften (J. Pato?ka, V. Havel, A. Michnik).

Das Zeitalter der „politischen Religionen“ (E. Voegelin) war auch nach dem 2. Weltkrieg nicht vorbei. Die Faszination, die der Kommunismus für viele Eurokommunisten (Italien, Frankreich) hatte, bestand auch dann noch fort, als im östlichen Teil Europas der Glaube an ihn im Verschwinden begriffen war.

Die praktische „Europäische Ideologie“

Aber die praktische Politik war vielerorts mit anderen Fragen beschäftigt. Mit Fragen des Wiederaufbaus, der Sicherheit, der Vermeidung eines Rückfalls in totalitäre Strategien. Verfassungsgerichte sollten die neue Ordnung als ganze schützen und individuelle Rechte gewährleisten (Österreich war das dritte Land – nach den USA und Kanada – das einen eigenen Gerichtshof damit beauftragte). Für „undemokratisch“ hielt dies Hans Kelsen, anders als viele Gegner, nicht.

Eine „neue Ideologie“ müsse eine europäische sein, verkündete K. Adenauer 1952 und De Gasperi bezeichnete die europäische Föderation „als einen Mythos … im Sinne Sorels … dieser Mythos ist ein Mythos des Friedens“. Also wieder einmal Sorel…

Es entwickelte sich zunehmend und lagerübergreifend ein Glaube an „technokratische“ Lösungen für soziale und ökonomische Probleme. Die Ideale der Arbeiterselbstverwaltung blieben in den meisten Ländern auf der Strecke.

Bemerkenswert ist die Einschätzung des Autors bezüglich der Christdemokratie. Er nennt sie „die wichtigste ideologische Innovation der Nachkriegszeit und eine der bedeutendsten des 20. Jahrhunderts überhaupt“. Sie trat für Subsidiarität und ein Europa ein, das „in seinem christlich-humanistischen Erbe vereint wäre, wobei über Details nicht allzu viel diskutiert wurde, solange sie unterm Strich auf Antikommunismus hinausliefen“.

Sie erklärte die Menschenrechte für unverzichtbar für eine wirklich katholische Weltanschauung; man scheute sich nicht „in der Mitte zu regieren und mit den Methoden der Rechten die Politik der Linken zu betreiben“ (G. Bidault).

Wirtschaftsliberale und sozialkonservative Katholiken fanden einen Kompromiss: „Wenn erstere die traditionelle Moral akzeptieren, fänden sich letztere mit dem Markt ab – so lautete der Deal“.

1968: Ursachen und Folgen

Die „Allerweltsparteien“ entstanden; langweilig, aber auch weniger gefährlich. Auch den Ideen der 68-er Bewegung(en) widmet der Autor einige Seiten. Er hat diese Zeit – so wie die davor – nicht erlebt, sondern erlesen. Sanfter Spott ist unverkennbar.

Für konservative und liberale Antitotalitäre hatten damals allerdings die Alarmglocken geschrillt, schließlich schienen „die Studenten das Parlament so sehr zu verachten, wie es die Links- und Rechtsextremen in den 1920er Jahren getan hatten." 68 schien die Webersche These zu bestätigen, dass die Herrschaft unpersönlicher Mächte wie der Technik, stets eine hocherregbare subjektivistische Kultur als vermeintliches Gegengewicht auf den Plan ruft. Er verweist aber auch auf die Verachtung, ja Wut, die die 68er mitunter von kommunistischen Intellektuellen erfuhren (P.P. Pasolini 1968: „Die Journalisten aus aller Welt (mitsamt/denen vom Fernsehen) / lecken euch (wie man glaube ich immer noch sagt in der Sprache der Uni), den Arsch. Ich nicht, Freunde / Ihr habt Gesichter von Vatersöhnchen“).

Auf die existierenden Verfassungen hatte 68 ff keine Auswirkungen. Auf die Sitten, so meint der Autor, schon. Manche diagnostizieren, dass die sozialen Beziehungen von Kindern und Eltern, Lehrern und Schülern, Vorgesetzten und Arbeitern aufgeschlossener geworden sind (U. Eco). Man kann sich auch fragen (J.W. Müller), ob es nicht auch ohne 68 zu einer Liberalisierung gekommen wäre. N. Luhmann formulierte als trockenes Resumeé: „Nach 68 konnte man über den Rasen laufen“.

Dissidenten im Kommunismus

Man mag über die gelegentlich geäußerte These streiten, dass es in Westeuropa auf die Intellektuellen immer weniger ankam. Für Mittel- und Osteuropa gilt sie mit Sicherheit nicht. Die Strategien der Dissidenz in den „Volksdemokratien“ waren relativ neu. Sie bestanden nicht in neuen Ideologien oder Kampfschriften, sondern u.a. in einer Art Rechtspositivismus mit unausgesprochenen politischen Absichten. Die „sozialistischen“ Regierungen (nicht alle) hatten die Helsinki-Schlussakte von 1975 unterzeichnet und damit auch den „Menschenrechtskorb“ (missachteten oder verhöhnten sie ihn gar im Stillen? Henry Kissinger tat es immerhin öffentlich).

Schon in den 60er Jahren hatte es in der Sowjetunion Versuche gegeben, mit radikalem „zivilen Gehorsam“ zu operieren. Jessenin-Wolpin versuchte eine „Revolutionierung der Art und Weise, wie Revolutionen gemacht werden“. Nach der Festnahme der Schriftsteller A. Sinjawski und J. Daniel organisierte er am „Tag der sowjetischen Verfassung“ eine Demonstration. Auf Flugblättern wurde „zur strikten Einhaltung der Gesetze“ aufgerufen, auf Spruchbändern zu: „Respektiert die sowjetische Verfassung!“ – Nach herrschender Sitte wurde er verhaftet und in die Psychiatrie eingewiesen.

Ein Jahrzehnt später trat die Charta 77 mit dem Anspruch auf, dem tschechoslowakischen Staat dabei zu „helfen“, die Helsinki-Schlussakte umzusetzen. Es war eine Konzentration auf Rechte, die der Strategie zugrunde lag. Man nahm die Regierung beim Wort. Den traditionellen politischen Kampf hielt man für aussichtslos; den Aufbau einer „Parallelgesellschaft“ nicht; nach 1989 übernahmen viele Länder, sehr zur Enttäuschung westlicher Linker, das Modell westlicher Demokratien und – oft in stärkerer Ausprägung als in Westeuropa – marktliberale Methoden.

Conclusio

Ein Buch wie dieses zeigt in der möglichen Kürze (ohne Anhang ca. 400 Seiten) das Aufkommen und Erodieren politischer Ideen (ihre Träger und ihre Opfer). Es vermittelt – ähnlich wie Tony Judt’s „Postwar“ – den Glauben (nein, nicht die Gewissheit!), dass wir in diesem Europa in einer besseren Zeit leben (das glaubten, siehe Stefan Zweig, auch viele Menschen vor 1914). Der Autor bemerkt nach diesem Streifzug, dass „wir mehr als einmal sahen, wie die Europäer das Vertrauen in liberaldemokratische Politik verloren haben … Es könnte sie die Dauerhaftigkeit und Flexibilität ihrer Art und Weise, seit 1945 Politik zu machen, mit einem gewissen (zweifellos gedämpftem) Gefühl des Vertrauens in vergangene Errungenschaften und zukünftige Möglichkeiten erfüllen“.

In der Nachbetrachtung ist es eine faszinierende Geschichte, voll von Aufbruchsstimmung und Scheitern, von wahnsinnigen Konstrukten und bemühten Visionen, von Visionären und Schurken.

Der Autor ist Professor für politische Theorie und Ideengeschichte in Princeton. Der professorale Ton fehlt ihm – und das macht das Buch so gut lesbar, ja geradezu spannend; aus seiner Abneigung gegenüber manchen Ideenproduzenten macht er kein Hehl, viele behandelt er mit Ironie, aber stets versucht er ihre Botschaft und deren Motivation klar zu beschreiben. Es ist ein Buch, das politisch interessierte Menschen lesen sollten. Es hält einige Überraschungen und Erinnerungen für sie bereit.

Rudold Bretschneider ist seit Jahrzehnten in diversen Cheffunktionen bei GfK (früher Fessel-GfK) tätig und einer der prominentesten Marktforscher und politischen Analysten des Landes.

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Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg: Die Juden in Wien drucken

Am 21. Februar war das religiöse Oberhaupt der jüdischen Gemeinde Österreichs im Wiener Club Unabhängiger Liberaler zu Gast. Der für seine Intelligenz und seinen feinen Sinn für Humor bekannte, aus einer Rabbinerfamilie mit ungarischen Wurzeln stammende Mann, hat nach dem Studium der Mathematik und Statistik in Wien in Jerusalem ein Rabbinatsstudium absolviert.

In seinen Vortrag schilderte er in höchst kurzweiliger Form persönliche Erfahrungen, Beobachtungen und Anekdoten aus dem Leben seiner Gemeinde in Wien.

Zwar habe er sich vorgenommen, die Shoah nicht anzusprechen, doch komme er darum nicht ganz herum. Immerhin sei es nach dem Kriege notwendig gewesen, die stark dezimierte Kultusgemeinde völlig neu aufzubauen. Die geringe Zahl der verbliebenen und wiedergekehrten Juden mache eine materielle Unterstützung jüdischer Einrichtungen durch öffentliche Stellen notwendig. Einiges – nicht alles – habe sich in den letzten Jahrzehnten zum Besseren gewendet. Insbesondere durch die „Waldheim-Krise“ bedingt, habe es ein Umdenken, eine Beschäftigung breiter Kreise der Bevölkerung mit Juden betreffenden Fragen gegeben.

Erstmals sei zu dieser Zeit akzeptiert worden, dass Österreich nicht ausschließlich das erste Opfer der Hitler´schen Aggression gewesen sei. Er bestätigte zwar, dass Österreich als Staat ein Opfer war. Aber viele Österreicher hätten damals Schuld auf sich geladen.

Das „Jewish Welcome Service“ biete jedes Jahr rund 100 ehemals in Österreich ansässigen, heute in aller Welt lebenden Juden die Möglichkeit, ihre unfreiwillig verlassene Heimat wieder zu sehen. Mit Wien verbinde viele dieser Menschen eine Art „Hassliebe“. Viele von ihnen hätten durchaus nicht nur die schlechten Zeiten in Erinnerung, die sie hier erlebt hatten.

In Österreich lebende Juden müssten sich einfach damit abfinden, Höhen und Tiefen im Zusammenleben mit der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung zu erleben. Die jüdische Gemeinde sei zum Teil dadurch größer geworden, dass aus dem Osten (der ehemaligen Sowjetunion) stammende Emigranten – die Wien zunächst nur als Durchgangsstation betrachtet hatten – ihren ursprünglichen Plan, nach Israel, England oder die USA weiterzureisen, aufgegeben hätten und hier „hängen geblieben“ seien. Es sei nicht immer einfach, solche, aus zum Teil sehr fremden Kulturen (wie etwa aus Usbekistan) stammende Menschen hier zu integrieren. Integration bedeute jedenfalls nicht, deren Wurzeln völlig zu kappen. Ganz im Gegenteil sei es vielmehr wichtig, damit behutsam umzugehen und den Menschen ausreichend Zeit zu geben, sich der neuen Heimat anzunähern.

Die derzeit rund 8.000 Köpfe zählende jüdische Gemeinde Wiens sei daher sehr vielfältig, sowohl hinsichtlich ihrer „religiösen Observanz“, als auch im Hinblick auf ihre Abstammung. „Grundsätzlich muss nicht jedes Vorurteil schlecht sein“. So sei es eben auch ein populäres Vorurteil, dass „die Juden immer zusammenhalten.“ Zu vielfältig und gegensätzlich seien indes die Interessen der einzelnen Gruppen. Die aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden Juden hätten bei den letzten Wahlen innerhalb der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) rund 25 Prozent der Wähler gestellt.

Dass der amerikanische Journalist, Fotograf und Filmemacher Edward Serotta (der Mann hat im Jahr 2000 das „Zentrum zur Erforschung und Dokumentation jüdischen Lebens in Ost- und Mitteleuropa”, Centropa, gegründet) soeben eine hohe Auszeichnung aus der Hand von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer erhalten hat, werte er jedenfalls als ein ermutigendes Zeichen für die verbesserte Integration der Juden in Österreich.

Fragebeantwortung: Die drei D

Nach seinem Vortrag stand der Oberrabbiner für Fragen aus dem zahlreich erschienenen Publikum zur Verfügung.

Die Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus lehne er ab. Selbstverständlich müsse man an Israel Kritik üben dürfen, ohne sich deshalb den Vorwurf einzuhandeln, ein Antisemit zu sein. Allerdings sei bei jeder Kritik das „Kriterium der drei D“ zu beachten:

  • Es dürften bei der Beurteilung Israels keine Doppelstandards zur Anwendung kommen;
  • das Land sei nicht zu dämonisieren;
  • schließlich dürfe seine Existenz nicht delegitimiert werden.

Dass etwa das Simon Wiesenthal-Zentrum in New York Jakob Augstein vom „Spiegel“ für dessen Israel-Kritik einen Platz unter den Top-Ten-Antisemiten zugewiesen habe, halte er für überzogen. Er selbst rate bei diesem Thema zu mehr Gelassenheit. Im Übrigen habe das Thema eine kräftige Auseinandersetzung innerhalb der jüdischen Gemeinde bewirkt.

Die Frage der Wehrdienstfreistellung für orthodoxe Juden in Israel sollte neu überdacht werden. In den 1960er-Jahren wäre es um etwa 500 Personen gegangen, deren Dienstfreistellung leicht zu verkraften war. Heute dagegen ginge es um die hundertfache Zahl und da stelle sich die Sache anders dar. Es meine, man sollte das ändern…

Das Verhältnis zu den christlichen Religionen – insbesondere zu evangelischen Kirche – sei gut. Die beiden letzten Päpste hätten „sehr konservativ begonnen“, dann aber doch zu einem offenen Kurs – auch in ihrem Umgang mit den Juden – gefunden. Die Entscheidung Benedikts XVI., zurückzutreten, respektiere er. Es handle sich schließlich um einen „Rationalisten“, der für sich entscheiden habe, das in Amt und Würden ertragene Siechtum seines Vorgängers nicht selbst erleben zu wollen.

Den von Gegnern der Juden häufig zitierten „bösen Stellen im Talmud“ halte er gerne die lichtvollen, positiven entgegen. Viele dieser unangenehmen Passagen wären nur im Zeitbezug zu verstehen und hätten sich heute erledigt.

Dem in Wien errichteten Abdullah-Zentrum („Gott sei Dank war ich bei der Eröffnung gerade nicht in Wien“) stehe er unaufgeregt gegenüber. Er sehe jedenfalls keine davon ausgehende Gefahr. „Wir werden das aufmerksam verfolgen“ (sic!).

Das kürzlich erschienene Buch mit dem Titel „Rede an uns“ von Peter Menasse (in welchem dieser, selbst Mitglied der Kultusgemeinde, die Juden auffordert, den Blick nach vorn zu richten und sich nicht ewig an der Shoah abzuarbeiten) sehe er mit gemischten Gefühlen. Immerhin lebten immer noch einige Überlebende und auch deren Nachkommen könnten an dem Thema nicht einfach vorbeigehen.

Den Antisemitismus in Österreich sehe er eher als „Randproblem“. Dass Jörg Haider sich mit dem Literaten Sichrowsky einen Juden an Bord holte, habe signalisiert, dass er nicht als Antisemit gelten wolle. Dass H. C. Strache Israel besucht habe, wäre ebenso zu interpretieren. Früher hätten Antisemiten jedenfalls den Vorwurf nicht zurückgewiesen, welche zu sein…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Der Antisemitismus der SPÖ drucken

Darf man Israel kritisieren? Ganz sicher. Genau so wie jeden anderen Staat. Aber diese Kritik kippt eindeutig in raffiniert versteckten Antisemitismus, wenn ungleiche Maßstäbe angewendet werden. Wenn also Israel Dinge vorgeworfen werden, über die man anderswo skrupellos hinwegsieht.

Und genau das tut die außenpolitische Sprecherin der SPÖ, Christine Muttonen. Die aus welchem Grund immer mit dieser wichtigen Funktion beauftragte Frau verlangt, dass Waren aus der Westbank, also aus den von Israel besetzten und teilweise von israelischen Siedlern kultivierten Gebieten, künftig extra gekennzeichnet werden müssen.

Es ist aber extrem geschmacklos und historisch zumindest ahnungslos, wenn hierzulande jemand nach Sonderkennzeichnung für die Produkte von Juden ruft. Das klingt schon sehr heftig nach einem „Kauft nicht bei Juden!“ Und immerhin ist die SPÖ noch immer die größte Partei des Landes.

Aber die Besetzung der Westbank ist doch völkerrechtswidrig, werden da die Genossen einwenden. Doch selbst wenn man das so sieht (wofür es gute plausible Gründe gibt, jedoch ebenso etliche Gegenargumente), müsste man als seriöser Staat völkerrechtlich konsequent sein und wissen: Auch die Besetzung Nordzyperns durch die Türkei ist völkerrechtswidrig. Auch die Besetzung großer Teile Georgiens und Moldawiens durch die russische Armee ist völkerrechtswidrig. Auch die Unterdrückung der Tibetaner und Uiguren durch China ist zumindest grob menschenrechtswidrig. Um nur einige Beispiele zu nennen.

Aber nirgends ruft die SPÖ nach einer Sonderkennzeichnung von Waren, die dort her kommen. Was das „Kauft nicht bei Juden“ doppelt zum Skandal macht. Freilich: Die von der SPÖ, pardon dem Rathaus mit Steuergeldern finanzierten Propaganda-Institute wie das sogenannte Dokumentationsarchiv werden sich wohl hüten, das Verhalten der SPÖ als das zu bezeichnen, was es ist: purer Antisemitismus. Man ist ja nicht der Feind seiner eigenen Subventionen. Obwohl diese Institute sonst hinter jedem Baum einen Nazi wittern, sofern er kein eigener Parteigenosse ist.

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Tatort ORF drucken

Der Wien-Tatort „Zwischen den Fronten“ war nicht nur ein dilettantisches Machwerk der Sonderklasse, sondern zeigt auch die links-linke politische Schlagseite der Beteiligten.

Da darf der Laiendarsteller und SPÖ-Wahlhelfer Harald Krassnitzer gegen ein rechtsradikales Netzwerk namens „Semper Veritas“ ermitteln. Dieses rechtsradikale Netzwerk besteht allerdings nicht aus Neonazis, nein – viel schlimmer: Die dumpfen Verschwörer haben ein Dollfuß-Bild in ihrer Hütte hängen und das Kruckenkreuz als Symbol. Auch diese Brachial-Politbezüge konnten das schwache Konzept nicht retten, ganz im Gegenteil: Der krampfhaft gutmenschliche Subtext wirkte einfach lächerlich.

Dass dieser Tatort im Februar (!) ausgestrahlt wird ist sicher auch nur ein Zufall; und dass der links-grüne Kabarettist Alfred Dorfer – total outrierend – einen der Dollfuß-Verschwörer spielt, soll wohl eine zusätzliche Pointe sein. Es ist erstaunlich, was man für seine Zwangsgebühren so vorgesetzt bekommt.

Prof. Dr. Herbert Kaspar ist Herausgeber der ACADEMIA, der Zeitschrift des österreichischen Cartellverbandes.

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Der Lueger-Kannibalismus, Zusatztafeln und die dummen Bürgerlichen drucken

Das Lueger-Denkmal wird nun von einem SPÖ-Historiker mit einer Zusatztafel versehen. Und die ÖVP tut und textet eifrig mit. Nachdenken tut sie freilich nicht. Denn die Idee ist eine absolute Schnapsidee, die nur taktischen Interessen der Rathaus-Genossen dient. Denn niemand kann beantworten, warum es eigentlich nur bei Lueger eine Zusatztafel geben soll. Wenn man schon damit anfängt.

Was ist etwa mit dem roten Stadtrat Julius Tandler, der sich für die Tötung von „lebensunwertem Leben“ ausgesprochen hatte, und der 1930(!!), also absolut freiwillig, ins kommunistische Russland emigriert war? Was ist mit Karl Renner und seinem – nicht erpressten! – Aufruf, für den Anschluss an Hitler-Deutschland zu stimmen? Was ist mit Karl Marx, dessen Ideologie zur Rechtfertigung von millionenfachem Mord gedient hat? Was ist mit den vielen gefeierten Komponisten und Künstlern, die sich in der großen Mehrheit in ihren politischen Äußerungen gegen Rechtsstaat oder Demokratie gewendet haben? Was ist mit dem Wiener Rathaus, in dem auch blutbesudelte Machthaber amtiert haben? Was ist mit dem Denkmal für die sowjetische Armee, die neben dem Verdienst der Befreiung des Landes vom Nationalsozialismus auch viele schreckliche Verbrechen gegen völlig unschuldige Österreicher auf ihrem Konto hat?

Diese Liste ließe sich fast unendlich fortsetzen. Sie würde das Tagebuch fast in ein Jahrbuch verwandeln. Für all diese Menschen und Organisationen gibt es Denkmäler, Sonderbriefmarken, Gemeindebau- und Straßenbezeichnungen sonder Zahl. Aber keine Zusatztafeln, die auch auf deren dunkle Seiten verweisen würden.

Was hat es nun mit Lueger selbst auf sich? Er hat unbestreitbar hemmungslos den Antisemitismus breiter Wiener Schichten auf seine Mühlen gelenkt. Dieser Antisemitismus war damals im Kleingewerbe und im Klerus weit verbreitet. Er war vor allem ökonomisch fundiert, hatte aber auch einen christlichen Anstrich. Den hatten ja viele christliche Kirchen bedauerlicherweise bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Diese Schichten fühlten sich durch die aufblühende – und eben stark mit jüdischen Eigentümern identifizierte – Industrie und Finanzwelt, sowie die damit eng verbundene Technik und Naturwissenschaft existenziell bedroht. Dass erst all diese Neuentwicklungen den Wohlstand der Zukunft ermöglicht haben, ist zwar Tatsache. Das war aber dem damaligen, noch stark dem mittelalterlichen Zunftdenken verhafteten und tatsächlich vor einem starken Schrumpfungs- und Veränderungsprozess stehenden Kleingewerbe völlig wurscht. Und damit auch Lueger, der die Stimmen dieser Gewerbetreibenden brauchte.

Dieses Verhalten war absolut hässlich. Dem stehen freilich für eine seriöse Betrachtung aus dem Blickwinkel des 21. Jahrhunderts vier große Aber gegenüber: Erstens gibt es keinen einzigen Hinweis, dass sich Lueger in irgendeiner Weise für irgendeine Form der Gewalt ausgesprochen hätte; daher ist es mehr als unfair, dass ihn die Linke immer wieder mit dem Holocaust zu identifizieren versucht.

Zweitens war Lueger unbestreitbar der größte Bürgermeister der Geschichte Wiens; er hat aus der Stadt eine moderne, blühende – und alle Segnungen der Technik und Wissenschaft begeistert aufgreifende! – Weltmetropole gemacht: Das war eine unvergleichliche Leistung, wenn man an die Dumpfheit denkt, die seither das Wiener Rathaus geprägt hat. Lueger hat die Liberalen zwar vor dem Wahltag bekämpft, aber nachher großteils ihre Politik fortgesetzt.

Drittens wiederholen sich heute gerade auf der Linken die dunklen Seiten Luegers. Dazu gehört nicht nur ihr aggressiver Antizionismus, der nur in der linken Selbstdarstellung nichts mit Antisemitismus zu tun haben will. Dazu gehört vor allem der seit der Achtundsechziger Bewegung enorm große Kampf der Linken gegen Industrie, Technik und weite Bereiche der Naturwissenschaft. Dieser Kampf ist längst nicht nur bei den Grünen zu finden, sondern auch bei den Roten. Und er hat mit unterschiedlicher Intensität auch die Blau-Orangen und die Schwarzen infiziert.

Und viertens führt von Luegers scharfem verbalem Antisemitismus eine direkte geistige Linie zu Bruno Kreisky. Dieser hat, obwohl selbst jüdischer Abstammung, noch NACH dem Holocaust in einem so widerlichen Ton über die Juden generell gesprochen, dass einem nur übel werden konnte. Also müsste auch vor dem Kreisky-Forum und -Archiv in der Armbrustergasse eine Zusatztafel angebracht werden. Blöderweise ist aber in diesen Institutionen ausgerechnet jener Oliver Rathkolb seit Jahrzehnten intensiv und führend aktiv, der nun die Lueger-Tafel texten soll.

Begreift die bürgerlich dominierte Bezirksvertretung der Inneren Stadt all diese Zusammenhänge nicht? Ist sie wirklich so schwachsinnig, dass sie, wie behauptet wird, dieses Projekt unterstützt? Durchschaut sie nicht den Hauptantriebsmotor der Rathausgenossen, nämlich dass die wirklichen Leistungen für Wien fast ausschließlich von Habsburgern, liberalen Bürgermeistern wie Cajetan Felder und christlich-sozialen wie Lueger geschaffen worden sind? Nur deren Hinterlassenschaft lockt jährlich Millionen Touristen und große Kongresse in die Stadt. Die Touristenmassen vor dem – in roten Broschüren ständig bejubelten – Karl-Marx-Hof oder dem „Neuen Wien“ haben sich hingegen in so engen Grenzen gehalten, dass man sie in ein einziges Taxi stecken könnte.

Die Linke praktiziert klassische Aggression zur Übertünchung eines schweren Minderwertigkeitskomplexes. Rot-Grün setzen daher seit Jahrzehnten primär ganz stark auf Habsburg-Kannibalismus, Neoliberalen-Hatz und Lueger-Hass. Sie tut dies noch aus einem zweiten Grund: Rot-Grün braucht diese Geschichtsklitterung – bei der die total links gewendeten Wiener Historiker-Institute servil zu Diensten stehen – auch deshalb, um sich wenigstens irgendwo moralisch überlegen vorzukommen. Bricht doch ihre zweite Identitäts-Säule, der exzessive Wohlfahrtsstaat, gerade dramatisch unter der von ihm ausgelösten Schuldenlast zusammen.

PS.: Genau wegen dieses Lueger-Hasses haben die Rathausgenossen übrigens in den letzten Jahrzehnten auch alles getan, um nicht durch die Nennung einer U-Bahn-Station an jenen Bürgermeister zu erinnern. Das gilt für die Station „Schottentor“ unter dem (jetzt freilich aus dem gleichen Motiv umgetauften) Lueger-Ring; diese Namensgebung war alles andere als praktisch, wird „Schottentor" doch von vielen Nicht-Wienern oft mit „Schottenring“ verwechselt. Das gilt noch viel mehr für die Benennung der unter dem Lueger-Platz gelegenen Station „Stubentor“; hat doch vor der U-Bahn fast niemand mehr gewusst, was das Stubentor gewesen sein soll.

PPS.: Steckt hinter der Zusatztafel-Idee vielleicht auch die Hoffnung auf neuen Geldsegen für die Historiker, nachdem sie schon bei der Aufarbeitung des Schicksals fast jedes Vereins, jeder Firma in der Zeit des Nationalsozialismus Aufträge erhalten haben?

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Gewaltmonopol und Minderheiten – Polemik gegen den ,Rechtsstaat´ drucken

„Sie würden kein Auto stehlen.
Sie würden keine Handtasche stehlen.
Sie würden nicht Geld fälschen, Kinder entführen oder Killerdrohnen schicken.
Warum aber lassen wir dann all diese Dinge die Regierung tun?
Regierung ist kein „opferloses Verbrechen"!

Diese Botschaft richtete Jeffrey Tucker, vormals Vizepräsident des Ludwig von Mises Instituts in Auburn/Alabama und nunmehriger Chef des Internetbuchhandelshauses „Laissez Faire Books“, an die stetig wachsende Glaubensgemeinschaft der Staatsanbeter.

Starker Tobak, nicht wahr? Allerdings werden selbst mustergültige Untertanen, die mit anarchistischem Gedankengut gar nichts anfangen können, nicht umhinkommen einzuräumen, dass an Tuckers Zitat etwas dran ist. Denn Tatsache ist, dass eine überwältigende Mehrheit der Menschen tatsächlich nicht zur Kriminalität neigt – schon gar nicht zur initiierten Anwendung von Gewalt gegen ihre Mitmenschen. Wäre es anders, die Menschheit wäre längst ausgestorben.

Dennoch ist jede Untat, die sich dem Normalsterblichen ganz selbstverständlich verbietet – und zwar auch ohne hoheitliche Vorschriften – Staatsagenten nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten! Der Staat stellt, leider nicht nur in James-Bond-Filmen, vielen seiner Mitarbeiter eine Lizenz zum Töten aus. Ein Notwehrrecht gegen in seinem Auftrag tätig werdende Beamte gibt es nicht. Wer etwa sein rechtmäßig erworbenes Eigentum gegen einen amtshandelnden Polizisten zu verteidigen sucht, muss mit seiner Exekution rechnen – ganz ohne Gerichtsverfahren! Sollte der Witwe eines von den Schergen Leviathans liquidierten Bürgers anschließend Lust verspüren, sich auch noch verhöhnen zu lassen, darf sie sich zu diesem Zweck an das zuständige, staatliche Gericht wenden…

Der 1989 verstorbene amerikanische Naturforscher und Philosoph Edward Abbey fasste den Sachverhalt so zusammen:
„Wenn Sie sich weigern, ungerechte Steuern zu zahlen, wird Ihr Eigentum konfisziert.
Wenn Sie Ihr Eigentum verteidigen, werden Sie verhaftet.
Wenn Sie sich der Verhaftung widersetzen, werden Sie niedergeknüppelt.
Wenn Sie sich dagegen wehren, werden Sie erschossen.
Dieses Verfahren ist bekannt als Rechtsstaatlichkeit.“

Der Staat tritt, im von Abbey geschilderten Fall, nicht als Verteidiger von Leib, Leben und Sicherheit des Bürgers auf (also in dem Sinne, für den er da sein sollte), sondern ganz im Gegenteil! Er geht mit Gewalt gegen Menschen vor, die niemandem Unrecht zugefügt haben und deren einziges „Verbrechen“ darin besteht, ihr Eigentum behalten zu wollen. Denn „gerechte Steuern“ sind natürlich ein Oxymoron. Es gibt sie ebenso wenig, wie es „ehrliche Beute“ eines Raubüberfalls oder eine „politisch korrekte Vergewaltigung“ gibt. Steuern waren stets, sind und bleiben Diebstahl.

Ist die Existenz eines Monopols zur Rechtssetzung und Gewaltausübung schon dann problematisch und widersprüchlich, wenn anständige Menschen an dessen Schalthebeln agieren, so vervielfachen sich die Gefahren, wenn dem nicht so ist. In der Welt des real existierenden Gewaltmonopols dürfte das in ungefähr 100 von 100 Fällen der Fall sein.

Das nationalsozialistische Deutschland war, wie wir von Kindesbeinen an gelernt haben, ein Unrechtsstaat. Keinem aufrechten Demokraten würde es heute in den Sinn kommen, den Unrechtscharakter staatlicher Maßnahmen zur Zeit des Hitlerregimes zu bestreiten. Wen kümmert es da schon, dass dessen Regierung auf demokratische, rechtmäßige und verfassungskonforme Weise ans Ruder kam? Wer macht sich schon Gedanken darüber, dass der „Führer“ auf dem Höhepunkt seiner militärischen Erfolge – also etwa nach dem vollständigen Triumph über Frankreich – bei einer demokratischen Wahl vermutlich eine ¾-Mehrheit erreicht hätte (und damit ein Maß an Legitimation, dessen sich keine unserer Tage amtierende Regierung erfreut)?

Wie man es auch dreht und wendet: Ein zwischen damals und heute bestehender, struktureller Unterschied von Organisationen und Verwaltung des Staates, ist mit freiem Auge kaum zu erkennen. Kreuzbrave deutsche Beamte – keine geborenen Unmenschen und Mörder – mutierten nach dem 30. Januar 1933 über Nacht zu willigen Vollstreckern eines brutalen, antibürgerlichen, antiliberalen Totalitarismus´ (in Österreich war es am 13. März 1938 so weit). Wer ist naiv genug zu glauben, dass exakt dasselbe nicht jederzeit wieder geschehen könnte? Wer oder was sollte einen zu allem entschlossenen Polit-Desperado denn stoppen? Was sollte etwa eine linke Volksfrontregierung davon abhalten, ihr Gewaltmonopol – so wie damals unter dem Applaus der veröffentlichten Meinung – zur Unterdrückung und Verfolgung unliebsamer Minderheiten einzusetzen? Und – falls sie dazu willens wäre – würde der Polizeiapparat einer solchen Regierung tatsächlich die Gefolgschaft verweigern? Wohl kaum!

Minderheiten waren und sind der Gewalt eines (demokratisch „legitimierten“) Machtmonopolisten ebenso rechtlos wie wehrlos ausgeliefert. Biedere Polizeibeamte sehen weg, wenn bestimmten Minderheiten angehörende Mitbürger vom Mob drangsaliert und gedemütigt werden – oder sie fungieren am Ende selbst als aktive Werkzeuge derartiger Aktivitäten. Und um dem Fass die Krone aufzusetzen, werden für die durch organisierte Unrechtshandlungen entstandenen Kosten auch noch deren Opfer verantwortlich gemacht.

Der Akademikerball als warnendes Beispiel

Wien, am 1. 2. 2013. Einige Hundert Mitglieder freiheitlicher Burschenschaften und deren Begleiterinnen schicken sich an, den Akademikerball in der Wiener Hofburg zu besuchen. Auf dem Weg ins Balllokal werden sie von einer dreifachen Zahl gewaltbereiten Pöbels mit Schmähungen überhäuft, bespuckt und mit Farbbeuteln beworfen. Das Motto scheint zu lauten: „Besser ein Geschwür am After, als ein Deutscher Burschenschafter.“ Selbstverständlich war diese „Demonstration“, von der bereits im Vorfeld klar war, dass es zu Ausschreitungen kommen würde, behördlich genehmigt. Auf die beamteten Genossen ist Verlass.

Zur Klarstellung: es geht hier nicht um die Verharmlosung oder Relativierung weit schlimmerer Unrechtshandlungen in der Vergangenheit. Es geht auch nicht um unangemessene Vergleiche von Äpfeln mit Birnen. Es geht allein darum, die durch die Existenz eines Gewaltmonopolisten entstehende Problematik der Entrechtung von Randgruppen, die den Machthabern und deren Propagandisten unliebsam sind, aufzuzeigen.

Die Wiener Polizei war – im Februar 2013 – nicht in der Lage (oder nicht willens?), einen kleinen, politisch unliebsamen Teil der Gesellschaft, der sich keines Unrechts schuldig gemacht hat (die rechten „Burschis“), wirkungsvoll vor den Attacken gewalttätigen Abschaums zu beschützen. Der Polizeichef der Stadt Wien befand es anschließend sogar für geraten – nicht ohne das unverhüllte Wohlwollen der (mittels Subventionen und Inseraten) gleichgeschalteten Hauptstrommedien – die Opfer der von linken Radaubrüdern inszenierten Exzesse zu verspotten, indem er sie faktisch zu Tätern erklärte. Man hätte, so der wackere Beamte, schließlich einen anderen Zugang zum Balllokal wählen können (was faktisch unmöglich war, da auf allen zur Verfügung stehenden Zugangswegen der linke Mob lauerte). Am liebsten, so ließ der Polizeikapo sich vernehmen, wäre es ihm, wenn dieser Ball – angesichts der damit notorisch verbundenen Ausschreitungen – gar nicht erst stattfinden würde. Klar, schuld ist der mit Dreck Beworfene, nicht der Werfer. Daher ist natürlich ersterer zu bestrafen. Etatistische Logik vom Feinsten. Ob der Genosse Kommissar – pardon – Landespolizeipräsident, sich ähnlich äußern würde, wenn es sich um ein von Burschenschaftern belagertes Gschnas der sozialistischen Gewerkschaftsjugend handelte, darf bezweifelt werden.

Nochmals: Es geht hier nicht um das Kleinreden oder Relativieren weit schwerwiegenderer Übergriffe auf eine andere Minderheit in einer anderen Zeit. Es geht auch nicht um Sympathiekundgebungen für deutschnationale Vereine (welche dem Autor dieses Beitrags schwer zu unterstellen sein wird) Es geht – ganz grundsätzlich – um das Verhalten des Gewaltmonopols gegenüber jeder unliebsamen Minderheit. Damals wie heute ist das völlige Desinteresse der beamteten Amtsträger schwer zu übersehen, die Rechte der Bürger – und zwar ohne Ansehen ihrer Person – zu beschützen.

Die historische Parallele ist einfach unübersehbar!

Fazit: Wer meint, in einer Demokratie wären politisch unerwünschte Minderheiten vor gewalttätigen Übergriffen sicher, freut sich vermutlich auch jedes Jahr auf den Osterhasen und das Christkind. Wer meint, der Staat würde für den Schutz von Sicherheit und Eigentum seiner Insassen sorgen, ist vollends auf dem Holzweg. Der territoriale Machtmonopolist kennt nur ein einziges Ziel, das er rücksichtslos verfolgt: sein unaufhörliches Wachstum. Das war immer so und das wird sich wohl auch niemals ändern.

Eine systembedingt auf Unrecht gegründete Rechtsagentur – welche Segnungen hätte der Bürger von einer derart dubiosen Organisation zu erwarten…?

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Der Papst tritt zurück … es lebe der Papst drucken

Klar, die Meldung über den Rücktritt Benedikts XVI. hat uns alle sehr erschüttert. Weil wir einen großen kirchenhistorischen Moment erleben. Weil wir diesen Mann kennen und wissen, dass er sich so eine Entscheidung mit großer Tragweite sicher nicht leicht gemacht hat. Und vielleicht auch ein wenig, weil es so völlig überraschend kam, mitten im Jahr das Glaubens und ohne, dass irgendein Vati-geleaked hat oder eine gut informierte Quelle Andeutungen gestreut hat.

Einige meiner Freunde, mit denen ich telefonierte (ich hatte am Tag des Rücktritts viele solche Gespräche, wie man sie nur an bedeutsamen Tagen hat, wo Freunde einfach miteinander sprechen wollen) – waren ratlos. Andere waren euphorisch über den Mut und die Konsequenz. Einige waren wütend und nahmen dem Papst diesen Schritt übel. Alle waren bewegt.

Ich denke, auch Benedikt wusste, dass innerhalb weniger Stunden jeder Katholik weltweit darüber sprechen würde. Wer kann ermessen, wie oft er das Für und Wider erwogen hat? Zumal er ein so aufrechter, ein so korrekter, ein so der Verantwortung verpflichteter Mensch war und ist? Ich weiß das für mich, weil ich ihn persönlich kennen lernen durfte, ihn für meine Doktorarbeit interviewt habe und auch so über die Jahre immer wieder getroffen habe.

Mir hat etwas geholfen, was der St.Pöltner Diözesanbischof Küng dem ORF gesagt hat: „Der Geist Gottes hat die Kirche nie verlassen und das wird sich auch jetzt so zeigen." Das ist etwas ungemein Tröstliches. In der Bewegung darüber, dass uns „unser" deutschsprachiger Papst genommen ist, vergessen wir oft, wie lange die Geschichte mit den Päpsten schon währt und auf wie unglaubliche Weise doch das Wirken dieses geheimnisvollen Geistes in schon viel schwierigeren Momenten die Kirche getragen hat. Es kam immer ein neuer Papst, der richtige für die neue Zeit, und so wird es wieder passieren und (unter uns gesagt) auch noch lange, nachdem wir alle zu Staub zerfallen sind. Das hat etwas ungemein Tröstliches und Stützendes. Wir dürfen uns allerhöchstens für einen Monat verwaist fühlen, dann ist alles wieder beim „Neuen Alten". Denn wir glauben, dass wir von Gott getragen sind.

Der Papst tritt zurück – es lebe der Papst.

Dr. Eduard Habsburg-Lothringen ist Autor, Drehbuchschreiber und Medienreferent von Bischof Klaus Küng.

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Maria Schaumayer – und danach? drucken

Der Tod von Maria Schaumayer ist nicht nur ein Abschied von der zweifellos bedeutendsten Österreicherin der letzten Jahrzehnte. Er zeigt auch, wie klein alles ist, was ihr nachgefolgt ist, in der Nationalbank, aber auch sonst im wirtschaftlichen und politischen Führungspersonal dieses Landes.

Der Respekt für Schaumayer bezieht sich auf ihre persönliche Integrität, auf ihre Bescheidenheit, auf ihre vielen wohltätigen Initiativen, auf ihre historische Aufrichtigkeit, auf ihr umfassendes ökonomisches Wissen und ihr finanzpolitisches Verständnis, aber zugleich auch auf ihre Standfestigkeit, die untrennbar mit diesem Land verbunden war, mit seinen Interessen, aber auch mit der Kirche, der sie sich stets eng verbunden gefühlt hatte.

Von all den vielen schönen Gesprächen, die ich mit ihr führen durfte, ist mir am stärksten ihr Rückblick auf die 50er Jahre in Erinnerung: Wie ihre Generation damals nach den langen Jahren des Nationalsozialismus, der Besatzung und der Not verzweifelt war, vielfach ans Auswandern dachte – und wie dann fast schlagartig die durch den Staatsvertrag wiedergewonnene Freiheit plötzlich Optimismus, Selbstsicherheit und Zukunftsfreude ausbrechen ließ.

Das ist vielleicht das, was Österreich am dringendsten bräuchte: neues Bewusstsein vom Wert und der Notwendigkeit der Freiheit – und eine Generation mit Menschen wie Maria Schaumayer, die sich mit Tatkraft, aber auch der lehrreichen Erinnerung an die Notzeiten der Zukunft stellt. Diese Generation tritt jetzt endgültig ab. Was folgt ihr nach?

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Das Bundesheer und seine Reform drucken

Es gab in Österreich seit dem verdienstvollen Wiederaufbau des Bundesheeres nach 1945 eine einzige wirkliche Heeresreform; eine, die den Namen auch tatsächlich verdient hat. Jene des Generals Spannocchi, die ab den 1970er Jahren umgesetzt wurde (Emil Graf Spannocchi, 1916?-?1992). Sein Konzept der „Raumverteidigung“ war gescheit, für das klein gewordene Österreich maßgeschneidert und sowohl mit den finanziellen Möglichkeiten des Landes vereinbar, als auch den militärischen Erfordernissen entsprechend.

Ein System, das auf die Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht gestellt war, ausgestattet mit einem zentralen Kader aus Berufsoffizieren, mit Miliztruppen und mit einer dem Zivilstand entnehmbaren Truppenreserve mit Reserveoffizieren. Mehrere Monate Miliz-Grundwehrdienst wurden mit diversen Truppenübungen ergänzt, welche in die zwanzig Folgejahre der „Bereitschaft“ fielen. So wären im Fall einer Krise dann rund 240.000?Mann eingeübt, das heißt, theoretisch auch kampfbereit gewesen.

Nach Spannocchi wurde dann heruntergewirtschaftet, Schritt für Schritt – nicht in Verantwortung der Militärs gelegen, sondern in jener der immer weiter nach links driftenden politischen Kaste. Nach 1989 wurde das Heer auf einen Krisenstand von 150.000?Mann und nach 1998 auf 110.000?Mann vermindert. In der nach Kreisky übelsten Zeit republikanischer Destruktionspolitik fanden sich dann durch Kanzler Schüssels famose „Bundesheer-Reformkommission“ die ohnehin zunehmend verringerten Truppenübungen noch weiter reduziert.

Da ohne Übungen eigentlich auch keine „Bereitschaft“ mehr besteht, also die praktikable Einsatzmöglichkeit einer Reserve dahinschwindet, ist das Heer nunmehr auf eine potentielle Größe von 55.000?Mann abgebaut (was sich aus 13.000 Berufssoldaten, 3500 für eine bestimmte Zeit verpflichteten Soldaten, 11.000 jeweils frischen Rekruten und den noch einberufbaren Abgerüsteten ergibt). Schon unter Schüssel also, dem nachgesagt wird, sehr den Wünschen der USA zugewandt gewesen zu sein, wurde die Richtung auf ein minimiertes „Berufsheer“ (=Söldnertruppe) eingeschlagen. Seither wird auch umfassend de facto unersetzliches militärisches Gerät verramscht und werden die entsprechenden Liegenschaften verkauft. So hat man bereits rund 750?Panzer abgestoßen beziehungsweise verschrottet; darunter, besonders erwähnenswert, 60?Leopard-Kampfpanzer, zentrale Ressource einer effizienten Landesverteidigung. Vom neuen Kampfflugzeug „Eurofighter“ haben wir jetzt – Konsequenz früherer und derzeitiger Trottelwirtschaft im Verteidigungsressort – nahezu um den gleichen Stückpreis 15 statt 18?Exemplare, dafür aber ohne Nachtsichtsystem.

Und als nächstes zum Verkauf ausgeschriebenes Kasernengelände ist jenes in Wien-Breitensee vorgesehen, mit etlichen denkmalgeschützten Objekten darauf, die dann wahrscheinlich der inzwischen zum allgemeinen Polit-Standard gehörenden Grundstücksspekulation zum Opfer fallen werden. Die jetzige Heeres-Debatte ist Folgeprodukt vorangegangener und andauernder Fehlentscheidungen; warum dramatisch falsch, militärisch schwachsinnig und den Interessen des Landes völlig zuwiderlaufend gehandelt wird, soll hier ausgeführt sein.

Zur Heeresdebatte…

Die Wehrpflicht abschaffen, den „Jungen“ die „Sinnlosigkeit“ eines „öden“ Militäralltags ersparen, ihnen nicht wertvolle Monate ihres Lebens „stehlen“, eine „Berufsarmee“ einführen – das ist zur Zeit die Argumentationslinie der Sozialisten. All dies ist im Grunde auch der alte Klassenkampf, in diversen Wahlkampfauftritten jüngster Zeit reaktiviert – die Abneigung der Linken allem Militärischen gegenüber, das nicht völlig von ihr kontrolliert wird. Natürlich entspräche ein bestausgerüstetes und bestfinanziertes Berufsheer höchster Qualität einer Stärkung der Landesverteidigung; in etwa so, wie der Umzug vom Gemeindebau ins Palais Schwarzenberg eine Verbesserung der Wohnqualität bedeuten würde. Allerdings ist es eine Frage des Geldes.

Das Heeresbudget wird ständig gekürzt. Der momentane Verteidigungsminister (Sozialist und Zivildiener) vertritt die Idee das Heer, mir nichts dir nichts, in eine reine Berufsarmee von etwa 15.000?Mann umzuwandeln. Dieses Projekt kann mit den Begriffen zu wenig (in Bezug auf die Sicherheitsbedürfnisse des Landes) und zu teuer (in Bezug auf das zur Verfügung stehende Geld) charakterisiert werden. Bis jetzt rekrutiert sich das Heer kostengünstig aus den wehrpflichtigen Bürgern aller Schichten Österreichs; die Wehrpflicht spart Geld und ermöglicht dennoch eine partiell hinreichende militärische Ausbildung der Einberufenen. Die Qualität der militärischen Ausbildung, zumindest, was den Offizier anbelangt, ist in Österreich übrigens immer noch exquisit und hält jedem internationalen Vergleich stand.

Das projektierte „Berufsheer“ aber würde sich bei Wegfall der Wehrpflicht in Anbetracht des zu erwartenden Soldes (1200,-?€ pro Soldat und Monat, wenn es hoch kommt) wohl nahezu ausschließlich aus sozial Deklassierten rekrutieren; wenn man überhaupt die Leute dafür zusammenbekäme. Da stellt sich dann tatsächlich die Frage nach der Qualität. Und für diese gibt es anscheinend schon europäische Vorgaben – die Engländer sollen mittlerweile zahlreiche Rekruten für ihr Berufsheer aus den Gefängnissen holen; die Belgier haben einen Veteranenverein mit arbeitslosen Frühpensionisten kreiert; und die Spanier werben Analphabeten aus Lateinamerika.

Überdies käme bei uns dazu, dass der zum Heeresdienst als Alternative bestehende und mittlerweile bei Rettung und Pflege auch bewährte Zivildienst mit diesem Modell liquidiert würde. Dass ein „freiwilliger bezahlter Sozialdienst“, den sich einige unbedarfte Linke vorstellen, ebenso wenig funktionieren würde, wie ihr Bundesheer „light“, ist völlig absehbar; auch hier wären zur Einrichtung eines zum jetzigen auch nur vergleichbar effizienten Dienstes auf Angestelltenbasis enorme Gelder notwendig, die man kaum auftreiben wird können.

Warum brauchen wir das Bundesheer überhaupt? Selbst wenn wir davon ausgehen, dass klassische Bedrohungen von außen, wie sie in Zeiten der Existenz der kommunistischen Hegemonie über das östliche Mitteleuropa noch gegeben waren, auf längere Sicht nicht zu erwarten sind, so bleiben zentrale Sicherungsaufgaben des Staates bestehen, für die im Notstandsfall das Heer einzusetzen ist. Wie etwa: Der Schutz der Energieinfrastruktur, also Leitungen, Umspannwerke, Pipelines; der Schutz des Trinkwassersystems; der Schutz der Verkehrseinrichtungen, also Flughäfen, Bahnhöfe, Schienen, Straßen, Brücken; der Schutz der Behörden; der Schutz der Kulturgüter; der Katastropheneinsatz; ein allfälliger Grenzschutz.

Dass die verfügbaren Polizei- und Feuerwehreinheiten zahlenmäßig dafür nicht ausreichen, wird deutlich, wenn man pro Bundesland rund tausend Objekte als solcherart schützenswert annimmt, was wahrscheinlich recht gering veranschlagt ist. Eine in der Schweiz durchgeführte Sicherungsübung, den Flughafen von Zürich-Kloten betreffend, benötigte alleine schon 7000 Mann. Wie sehr solche Sicherungsaufgaben aktuell bleiben, belegen etwa die häufiger werdenden und kaum behinderten Buntmetalldiebstähle am heimischen Bahnnetz. Und nachdenklich stimmen sollte es, wenn man liest, dass die auf ihre Landesverteidigung hohen Wert legende Schweiz unlängst Manöverannahmen mit dem Titel „Instabiles Europa“ wählte.

Dass die von den Vertretern des „Fortschritts“ nun angestrebte miniaturisierte „Berufsarmee“ wesentlichen Aspekten einer Landesverteidigung kaum gerecht werden könnte, ist völlig offenkundig. Es geht also bei der Reduzierung des Heeres auf eine reine Berufsarmee ganz gewiss nicht um Interessen des Landes. Beim näheren Hinsehen ergeben sich aber andere Interessensgefüge.

… und ihren Hintergründen

Was mag der Sinn solch einer neu eingeführten Berufsarmee sein? Für die Wahrnehmung jener Aufgaben, für welche an sich das Bundesheer zuständig wäre, wird sie zu klein sein. Wofür sie völlig ausreichen würde, wäre aber der Einsatz „Out of area“, der „Auslandseinsatz“ also. Es sind derzeit die USA, die bei ihren zahlreichen militärischen „Sicherungsoperationen“ zur „Verteidigung von Frieden und Demokratie“ in allen Erdteilen eine gesteigerte personale und budgetäre Entlastung durch die „Partnerstaaten“ erheischen. Dieser in Washington vertretene Ansatz wird uns solcherart kommuniziert, dass „Sicherheit im Verbund mit anderen“ anzustreben sei.

In dieses politische Wollen ist etwa die „NATO-Partnerschaft für den Frieden“ einzuordnen, oder auch die „breite Beteiligung“ von rund 50?Staaten, darunter Österreich, an der Besetzung Afghanistans. Man könnte die Sachlage auch undiplomatischer formulieren und zur Auffassung gelangen, dass die USA – beziehungsweise die sie eigentlich beherrschenden Oligarchen – zur Führung ihrer diversen Rohstoffkriege vermehrt auf die Mittel ihrer Vasallenstaaten in Europa zurückzugreifen wünschen. Zum Beispiel auf leicht einsetzbare Kontingente für ausgelagerte unangenehme Besatzungsaufgaben.

In dieses Bild passt auch der Besuch des sozialistischen Verteidigungsministers im Oktober 2012 im Pentagon. Antreten zur Befehlsausgabe? Die hierzulande gepflogene Außenpolitik ist lange schon von den Höhen zur Zeit Figls und Raabs in morastige Abgründe geraten. Unter Kreisky war sie so sowjetorientiert, dass Österreich auf den strategischen Karten des schon erwähnten Pentagons angeblich dem Ostblock zugerechnet wurde. Damals hätte man den völlig legitimen Kampf Amerikas gegen die weltweite kommunistische Expansion unterstützen müssen. Heutzutage sind es die USA, die weit über die ihnen zustehende Sphäre hinaus eine globale Bevormundungs- und Ausbeutungswirtschaft betreiben. Heute wäre gegen diese Politik zu optieren, statt, wie es in unserer Republik der Fall ist, sich bedingungslos den Zumutungen aus Washington zu fügen.

Zur Wehrpflicht

Wehrpflicht gab es bis zur Heeresreform des Marius schon im alten Rom; auch bei den Germanen galt eine Gefolgschaftsverpflichtung der Freien. Im Mittelalter setzte sich dies in gewisser Weise in wehrpflichtartigen Diensten des Bauern gegenüber dem Grundherrn fort und der feudale Lehensmann hatte dem Lehensherrn ohnehin Heerfolge zu leisten. Erst das späte Mittelalter im Übergang zur Neuzeit brachte die allmähliche Ablösung solcher Wehrdienste durch die vermehrte Anwerbung von Söldnern, die (wie bei den Legionen des antiken Imperiums) als gut geübte Kriegshandwerker gegen Bezahlung eingesetzt wurden.

Wallenstein schuf auf dieser Basis das stehende Kaiserliche Heer, welches das bestausgerüstete und disziplinierteste seiner Zeit war, dessen enorme Kosten allerdings von ihm vorgestreckt und dann vom geschlagenen Gegner bezahlt wurden. Ausnahmen in dieser Entwicklung bestanden auch – so etwa in der Schweiz und in Tirol, wo ein Großteil der Bevölkerung den Brauch, Waffen zu führen, beibehielt. Söldnerheere erleichtern den Krieg, wenn man ihre Bezahlung durch andere erzwingen kann. Sie erschweren (zumal teuer, wenn gut) den Krieg, wenn man selbst für die Kosten aufkommen muss.

Die „allgemeine Wehrpflicht“ kam dann mit den Terror- und Expansionskriegen, welche die französische Revolution über Europa brachte; die „Levée en masse“, die jeden Franzosen und jede Französin auf den Kampf für die revolutionäre Republik dienstverpflichtete, entsprach dem totalitären Ungeist der Ideologie der „Aufklärung“. Im völlig gerechtfertigten Widerstand gegen die Revolution griff dann – das Scharnhorst-Konzept – auch Preußen nach seiner verheerenden Niederlage auf die Wehrpflicht der Männer aller Stände zwischen 20 und 40?Jahren zurück, was ihm schließlich die siegreiche Führung des Freiheitskampfes von 1813-1814 ermöglichte. Auch Spanien und Tirol erwiesen während der französischen Unterdrückung in der Revolutionszeit die hohe Wirksamkeit des Widerstandes einer Bevölkerung unter Waffen.

Nach den Kriegen zu Anfang der zweiten Hälfte des 19.?Jahrhunderts wurde die Wehrverpflichtung (für den Mann und in gewissen Altersgrenzen) in den meisten Staaten Europas etabliert, was auch eine erhebliche Steigerung des Ansehens des Soldatenstandes mit sich brachte. Das Abnehmen dieses Ansehens im heutigen Europa zeigt sich etwa in den weitgehend unbestraften niederträchtigen Äußerungen und Maßnahmen von politischen Funktionären gegen militärische Tradition und das zugehörige Totengedenken. Und dies korrespondiert selbstverständlich mit den gegenwärtigen Tendenzen diverser Regierungen, sich der Wehrpflicht möglichst zu entledigen.

Und dies hat auch mit den öffentlich nicht ausgesprochenen, aber klar erkennbaren Absichten des etablierten Systems zu tun, die Bevölkerungen weitgehend zu entwaffnen und vom Militärischen fernzuhalten. Angesichts der mittels „Finanzkrise“ vorgenommenen Ausplünderung eben dieser Bevölkerungen und dem drohenden Herannahen europaweiter Unruhen, werden zusätzlich zu den von „außen“ einwirkenden politischen Vorgaben so auch die mit diesen zusammenklingenden „innenpolitischen“ Aspekte deutlich. Statt allgemein rekrutierter Milizarmeen soll also die jederzeit auch im „Inneren“ einsetzbare Soldtruppe aufgestellt werden.

Es wird der „plötzliche“ dringliche Wunsch gewisser (und gewiss nicht dem allgemeinen Wohl verpflichteter) Kreise nach Abschaffung der Wehrpflicht nur zu verständlich. Und neben den zahlreichen anderen guten Gründen empfehlen wir gerade auch deshalb und in Zeiten wie diesen ein „Ja“ zur Beibehaltung der Wehrpflicht und des Zivildienstes bei der „Volksbefragung“ am 20.?Jänner?2013. Das Tirol von 1809 soll uns hier ein ermutigendes Beispiel sein.

Nur ein wehrhaftes Volk vermag, dem Unrecht mit Widerstand  entgegenzutreten.

Albert Pethö

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Die Lehren von Onkel Dagobert drucken

In Anlehnung an Ebenezer Scrooge, die Hauptperson in Charles Dickens´ Roman „A Christmas Carol“, heißt der habgierige und geizige Onkel von Donald Duck im amerikanischen Original Scrooge McDuck. Anno 1947 trat die Figur erstmals in Erscheinung. Nachdem die bereits einige Jahre zuvor geborenen Helden Donald, Daisy, Tick, Trick und Track propagandistisch gegen die bösen Nazis im Einsatz waren, wurde nun – in der Zeit einer nach dem kostspieligen Krieg notwendig gewordenen Staatsfinanzkonsolidierung – Dagobert als das prototypische Feindbild eines amoralischen Finanzkapitalisten in Stellung gebracht.

Jedem Konsumenten der Disney´schen Cartoons sind Onkel Dagoberts „Geldspeicher“, in denen er Gold und Bargeld hortet, ebenso ein Begriff, wie sein krankhafter Geiz. Doch Geiz und das Horten von Geld (das eine der beiden möglichen Formen des Sparens darstellt) – sind es ja eben nicht, die den Finanzkapitalisten kennzeichnen. Denn der bunkert sein Geld nicht im Tresor, sondern er lässt es „arbeiten“. Zudem investiert der Finanzkapitalist außerdem meist geliehenes – von den Banken aus dem Nichts geschaffenes – Geld, was ihn von Onkel Scrooge deutlich unterscheidet. Der kann Schuldenmacherei bekanntlich nicht ausstehen.

So ergibt sich ein widersprüchliches Bild, das durch einen zweiteiligen, in den Sechzigerjahren produzierten Cartoon verstärkt wird, der auf Youtube zu findend ist:

Erster Teil
Zweiter Teil

Onkel Dagobert erklärt in dem kurzen Streifen seinen drei Enkeln Funktion und Wesen des Geldes, des Wirtschaftens, und des Budgetierens. Dass Geld zirkulieren müsse, ist eine der erteilten Lektionen. Das ist trivial, wenn es um die Erklärung geht, weshalb es Geld als intermediäres Tauschmittel überhaupt gibt. Anders könnte es seine Funktion ja nicht erfüllen. Dass eine Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes zu einer Steigerung des Wohlstands führt, ist indessen ein Fehlschluss. Dass Tischler, Schuster und Bäcker deshalb reicher werden sollen, weil ihre Produkte rascher miteinander tauschen, erscheint nicht besonders logisch.

Richtig dagegen ist Dagoberts Lob des Sparens, da damit die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, nachhaltig profitable Investitionen zu finanzieren. Dass es dazu „stabilen Geldes“ anstatt schuldbasiertem Fiat Moneys bedarf, stimmt ebenfalls. Umso schmerzlicher, dass gleich darauf dennoch staatliches Schuldgeld gepriesen wird, das durch nichts weiter als durch „Vertrauen in die Regierung“ unterlegt ist…

Dass für den passionierten Geldsammler Scrooge McDuck Inflation eine „Schweinerei“ ist, liegt wiederum auf der Hand. Und recht hat er: Nichts eignet sich besser dafür, Sparer zu enteignen und langfristige Anlagen zu entwerten, als diese Art einer unsichtbaren Steuer, von der Milton Friedman einst gesagt hat sie sei „…die einzige Form der Besteuerung, die ohne Gesetzgebung ausgeführt werden kann.“ Auch mit seinem Plädoyer für eine solide Haushaltsführung und Budgetplanung aller Haushalte liegt der alte Geizkragen mit dem Nasenzwicker goldrichtig. Es geht eben einfach nicht lange gut, mit Ausgaben zu leben, welche die Einnahmen laufend übersteigen.

Dass „Gutes niemals gratis ist“, ist ebenfalls eine Weisheit, die sich die Umverteilungsenthusiasten in Regierungen und Staatsbürokratien hinter die Ohren schreiben sollten. Es gibt einfach kein freies Mittagessen. Irgendjemand (sicher nicht die Regierenden!) hat immer die Rechung zu bezahlen. Und dass schließlich „weises Investieren eine Kunst“ ist, wird jeder bestätigen, der bereits Geld verloren hat, weil er auf das falsche Pferd gesetzt hat.

Eloquente Hauptstromökonomen beten uns seit 1936, jenem unseligen Jahr, in dem John Maynard Keynes seine „General Theory of Employment, Interest and Money“ publizierte, unentwegt vor, dass man mittels Konsumexzessen breiten Wohlstand schaffen könne. Ein logischer Fehler, der auf einer unterstellten Kausalität basiert: Reiche Menschen konsumieren viel, also ist es der Konsum, der reich macht. Onkel Dagobert weiß es allerdings besser: Zur Wohlstandsbildung bedarf es eines Kapitalstocks. Und der kann nur durch das Mittel des Konsumverzichts aufgebaut werden…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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SN-Kontroverse: KPÖ-Wahl drucken

Unter dem Titel “Kontroverse” gibt es in jeder Freitag-Ausgabe der Salzburger Nachrichten eine Doppelkolumne, in der Katharina Krawagna-Pfeifer und ich jeweils zum gleichen, von der SN-Redaktion vorgegebenen Thema schreiben. Und zwar ohne dass man gegenseitig die Texte vorher kennt.

Diese Woche steht die “Kontroverse” unter dem Titel:

Ist es legitim, die KPÖ zu wählen?

 

In der Folge finden Sie die beiden – unverändert wiedergegebenen – Kolumnen. Dadurch soll dieser kreativen und spannenden Idee auch hier ein Forum gegeben werden.

Legitimität und sattelfeste Demokraten

 

Katharina Krawagna-Pfeifer war Innenpolitikerin der SN, Innenpolitikchefin sowie Leiterin des EU-Büros des “Standard” und SPÖ-Kommunikationschefin. Sie arbeitet jetzt als Publizistin und Kommunikationsstrategin (kkp.co.at).

Natürlich ist es legitim, die KPÖ zu wählen. Es handelt sich dabei weder um eine nach dem NS-Gesetz verbotene Partei, noch steht sie, wie es einst Andreas Khol (ÖVP) über die FPÖ gemeint hat, "außerhalb des Verfassungsbogens". Das hat bekanntlich weder Khol noch die ÖVP dran gehindert, im Jahr 2000 eine Koalition mit der FPÖ einzugehen. Wohlgemerkt als drittstärkste Partei.Die Folgen sind bekannt: Wolfgang Schüssel wurde Kanzler und die schwarz-blaue Ära ist in erster Linie ein Fall für die Korruptionsstaatsanwaltschaft. Wobei Khol zugute zu halten ist, dass er Schüssels "Superidee", Karl Heinz Grasser zum ÖVP-Chef zu machen, letztlich verhindert hat.

Dass die KPÖ im steiermärkischen Landtag 2010 zwei Sitze und nun in Graz Platz zwei erobert hat, zeigt, wie sehr das Wahlvolk vom oben geschilderten Spiel angewidert ist. Die "Kummerln" haben in der "grünen Mark" gezeigt, dass Politik anders ausschauen kann. Statt Privatisierungen auf Teufel komm raus, Selbstbereicherung einiger weniger oder dubiosen Beschaffungsvorgängen - Konzentration auf die alltäglichen Probleme der Menschen wie z.B. Wohnungsnot oder Ängste vor dem sozialen Abstieg.

Auf KPÖ-Drängen wurde der Regress bei der Sozialhilfe in der Steiermark abgeschafft; die Fristen für die Entscheidung über Anträge auf Sozialhilfe auf drei Monate verkürzt. Menschen in akuter Not müssen nicht mehr ein halbes Jahr auf die Gewährung von Hilfeleistungen warten. In Graz profilierte sich die KPÖ in erster Linie über den Mieterschutz und die Sanierung von Substandardwohnungen. Ämter und hoch dotierte Positionen scheinen Ernest Kaltenegger & Elke Kahr nicht so wichtig. Die Grazer KPÖ-Chefin meint: "1800 Euro monatlich reichen mir völlig."

Dass sie der ÖVP als stimmenstärkster Partei den Anspruch auf den Bürgermeistersessel nicht streitig macht, weist die KPÖ-Spitzenfrau zudem als sattelfestere Demokratin als Schüssel, Grasser & Co. aus.

 


Völkermord wird salonfähig

 

Andreas Unterberger

 

Der Kommunismus war zusammen mit dem Nationalsozialismus das weitaus übelste Verbrechenssystem der letzten 200 Jahre. Im Schatten eines zwar rhetorisch human klingenden, aber ökonomisch absurden Ideologiegebäudes hat eine Ideologen- und Funktionärs-Clique jahrzehntelang den halben Globus mit ihrem menschenverachtenden Machtsystem überzogen.

Dieses beruhte auf organisiertem Terror und Massenvernichtung ganzer Völker. Ihm sind in Europa und Asien unvorstellbare 80 bis 100 Millionen unschuldiger Menschen zum Opfer gefallen.

In Osteuropa ist das ganze morsche Gebäude vor 23 Jahren in einer tapferen Erhebung der Menschen zusammengebrochen. Aber bis heute werden im Zeichen des Kommunismus in Nordkorea oder Kuba Menschen aus politischen Gründen verfolgt, inhaftiert, ermordet.

Und bis heute muss dort die Bevölkerung darben. China hat wenigstens die skurrilen Wirtschafts-Ideen des Kommunismus entsorgt, was einen steilen Aufstieg ermöglicht. Der Machtterror geht aber auch in China weiter.

Wie kann es da anständige Menschen in Österreich unberührt lassen, wenn in der zweitgrößten Stadt jeder Fünfte eine kommunistische Partei wählt? Diese war ja nicht einmal bereit, sich wenigstens durch eine Namensänderung oberflächlich von den kommunistischen Verbrechen zu distanzieren.

Was für katastrophale Versäumnisse passieren da an Schulen und Universitäten, wenn so vielen Menschen jedes Wissen über den Kommunismus fehlt? Werden dort die enormen Ähnlichkeiten zwischen real existierendem Sozialismus (wie ihn die Kommunisten gerne nannten) und National-Sozialismus verwischt? Welchen ökonomischen Unsinn verbreiten Medien, wenn so viele Menschen ausgerechnet die Wohnungspolitik als Motiv nennen, warum sie KPÖ gewählt haben? Dabei hatte gerade Osteuropas Wohnungsnot das Scheitern des Kommunismus besonders deutlich demonstriert.

 

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Stadt des Aufbruchs in die Vergangenheit drucken

Wenn in der zweitgrößten Stadt Österreichs 20 Prozent die Kommunisten wählen, müssten österreichweit eigentlich die Alarmglocken läuten. Aber der ORF beruhigt statt dessen: Die Wähler der Kommunisten haben eh nicht kommunistisch gewählt. Aha.

Die Grazer Wahl ist trotz dieser linken Beschwichtigungs-Strategien ein katastrophales Signal. Und sie zeigt: Die Menschen sind nur in erstaunlich geringem Maße imstande, aus der Geschichte zu lernen. Die jüngere Zeitgeschichte wird den Österreichern nur sehr selektiv vermittelt.

Denn Tatsache ist, dass der kommunistische Terror im vergangenen Jahrhundert an die 80 bis 90 Millionen Todesopfer gefordert hat. Tatsache ist, dass unter allen Totalitarismen der kommunistische zeitlich am wenigsten lang zurückliegt. Tatsache ist, dass sich die Kommunistische Partei Österreichs weit weniger als alle anderen politischen Lager von den eigenen blutigen Vorfahren distanziert hat – bis hin zur Beibehaltung des blutig belasteten Namens.

Gerade jene, die immer so viel von Vergangenheitsbewältigung und Geschichtsaufarbeitung reden, verstummen beim Thema Kommunismus total. Das zeigt, dass sie es nie ehrlich gemeint haben. Dazu kommt, dass der ORF massiv kommunistisch unterwandert ist. Das gilt insbesondere für die Magazin-Sendungen auf Ö1, aber auch in Hinblick auf die politischen Redaktionen, die sich viele Jahre sogar von einem Kommunisten vertreten haben lassen.

Besonders grotesk ist, dass laut Wähleranalysen vor allem das Thema Wohnen und Mieten ausschlaggebend für die Wahl der KPÖ gewesen ist. Aber eigentlich kein Wunder: Nirgendwo in österreichischen Schul- oder Geschichtsbüchern wird die katastrophale Wohnsituation vermittelt, die 1989 in sämtlichen kommunistisch regierten Ländern geherrscht hat, sodass nur jene davon wissen, die sie etwa bei Reisen damals selbst noch kennenlernen konnten.

Der Großteil der Häuser war seit dem Weltkrieg nicht mehr in irgendeiner Weise renoviert worden. Betrat man sie, bekam man den Eindruck einer seit Jahrzehnten verlassenen Baustelle, die dem Verfall preisgegeben wird. Putz stürzte herunter. Beleuchtungskörper funktionierten nicht mehr. Junge Familien mussten oft ein Jahrzehnt nach der Eheschließung warten, bis ihnen wenigstens eine winzige Wohnung zugewiesen wurde. Und die einzigen Neubauten jener Zeit waren grässliche Plattenbauten, die heute reihenweise abgerissen werden müssen, weil niemand in ihnen wohnen will.

Das alles ist die zwangsläufige Folge von kommunistischer Wohn- und Mietpolitik, die glaubt, auf die angeblich halsabschneiderischen Eigentümer verzichten zu können. Die vorspiegelt, Wohnen dürfe nichts kosten.

Das ist also das, was jeder fünfte Grazer ganz offenbar will oder wofür er zumindest seine Stimme abgegeben hat. Es waren übrigens peinlicherweise primär Männer, die kommunistisch gewählt haben, obwohl Männer sonst immer gern so tun, als ob sie historisch gut Bescheid wüssten. Aber sie wissen es nicht besser.

Niemand möge übrigens sagen, dass es ja nicht jeder fünfte, sondern nur jeder zehnte Grazer gewesen wäre, der da bei KPÖ sein Kreuz gemacht hat. Hat doch nur die Hälfte wirklich gewählt. Dieses Argument zählt aber nicht. Denn Nichtwähler übertragen all ihre Rechte wissentlich an jene, die auch wirklich wählen gehen; sie werden von diesen mit unbeschränkter Vollmacht vertreten.

Schmerzhaft ist das Ergebnis für Schwarz, Rot und Grün. Alle verloren kräftig. Die SPÖ ist mit nur noch 15 Prozent in keiner Großstadt so schwach wie in dem einst von ihr regierten Graz. Sie setzt damit ihre Niederlagenserie konsequent fort. Die Grünen wiederum sind ja schon seit langem immer nur bei Umfragen gut, nicht bei Wahlergebnissen.

Auch die ÖVP muss bittere Wunden lecken. Zwar liegt sie trotz des Verlustes von 5 Prozent mit mehr als einem Drittel der Stimmen für schwarze Verhältnisse noch immer sensationell gut. Sie wird auch mit Sicherheit wieder den Bürgermeister stellen. Aber sie hat sich mit der absoluten Mehrheit ein nun blamabel weit verfehltes Wahlziel gesetzt. Und vor allem war Graz die fast einzige Chance der Spindelegger-Truppe, im hiermit begonnenen Wahljahr wenigstens irgendwo ein echtes Plus zu schreiben. In Kärnten, Tirol und wohl auch bei der Nationalratswahl scheint das derzeit hingegen aussichtslos. Und selbst Niederösterreich werden die Schwarzen wohl nur mit einem blauen Auge halten können.

Klar auf der Zugewinnerseite sind hingegen die Blauen und Piraten (auch wenn beide in den letzten Monaten schon von einem höheren Plus geträumt haben dürften).

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Marktwirtschaft versus konservative Wirtschaftsauffassung drucken

Der Tagebuchbetreiber teilt Friedrich Romigs wirtschaftstheoretische Vorstellungen über weite Strecken nicht. Denn sie beruhen auf einem völligen Missverständnis von Marktwirtschaft, einem Ignorieren der durch sie erzielten Wohlstandsvermehrung und dem Fehlen jeder Wertschätzung für die Freiheit als zentralem Wert (auch des Christentums). Die liberalen Ökonomen waren auch die einzigen, die von Anfang konsequent die Schulden-Ansammlung in der EU sowie die diversen Rettungspakete kritisiert haben. Romigs Vorstellungen einer durch Stände und Kammern regulierten Ökonomie sind nicht nur im einstigen Ständestaat total gescheitert.
Die begeisterte Zitierung von Linksaußen-Ökonomen wie Kurt Rothschild zeigt trotz Romigs eigentlich konservativ-katholischen Hintergrunds die große Nähe seines Theorieansatzes zu sozialistischem Denken. Dieses war in der Geschichte immer die sichere Garantie für allgemeine Verarmung. Dennoch präsentiert das Tagebuch in der Folge Romigs Text ohne jede weitere Anmerkung, weil er eine konsistente Zusammenfassung einer sonst kaum noch so artikulierten Weltsicht darstellt, weil er jedenfalls als interessante Herausforderung gelten kann, und weil Mainstream-Medien solchen Sichtweisen keinerlei Artikulations-Chancen bieten. (a.u.)

„Marktwirtschaft" ist ein Kind des Liberalismus, Liberalismus ein Kind der Aufklärung.[i] Das Projekt der Aufklärung ist die Lostrennung („Emanzipation") des Menschen von Gott und schließlich von jeglicher Autorität unter Rekurs auf die als „mündig" angenommene einzelmenschliche Vernunft[ii].

Was eigentlich ist „Marktwirtschaft"?

Die auf sich selbst gestellte („autonome") menschliche Vernunft, die sich nicht mehr als Manifestation des göttlichen Logos versteht, muss ihr Prinzip in sich selbst finden, um auf die Frage, was vernünftig sei, antworten zu können. Wir bezeichnen das als „Rationalismus"[iii].

Vernünftig, „rational" ist für den Rationalismus zuletzt nur das, was Lust verschafft (die Nationalökonomen nennen es „Nutzen", „Bedürfnisbefriedigung", „Ertrag", „Wohlfahrt") und Unlust (Missnutzen oder „Disutility", „Mühe", „Arbeit", „Aufwand", „Kosten") meidet[iv]. Das handlungsbestimmende Prinzip der Vernunft ist nach rationalistischer Auffassung das ökonomische Kalkül von „pleasure and pain“, „utility and disutility", „Nutzen und Aufwand", „Ertrag und Kosten"[v].

Insoweit der Mensch rational handelt – und nur dann handelt er als „aufgeklärter" Mensch, als animal rationale – ist er homo oeconomicus. Sein ganzes Dichten und Trachten, alles was er tut, zielt auf Lustgewinn („Profit") sowie auf den Erwerb von äußerem Reichtum und Macht ab, die beiden Mittel, um sich jeden Wunsch zu erfüllen („Macht ist Münze"). Genau das sind denn auch die Antriebsmotive der „Marktwirtschaft": „Die Gier nach Profit und das Verlangen nach Macht"[vi].

Das Streben des Einzelnen nach Profit (Lustgewinn, Reichtum) und Macht, stößt auf das gleichartige Streben der Mitmenschen, d. h. auf Konkurrenz. Sie ist das regulative Prinzip, welches das Verhältnis der Menschen zueinander bestimmt, und der Markt der „Ort", auf dem der Wettbewerb ausgetragen wird. „Marktwirtschaft" wird daher häufig mit „Wettbewerbswirtschaft" gleichgesetzt.

Wettbewerb (z.B. im Sport) bezweckt Auslese der Besten nach Regeln oder Normen. Solche (Spiel-)Regeln oder Normen „organisieren" den Wettbewerb („die Wettbewerbsveranstaltung") und bestimmen, wer beim Wettbewerb auf Grund seiner alle anderen Konkurrenten überragenden Leistung („Performance") als Sieger gelten und als der Tüchtigste („Beste", „Stärkste", „Schnellste") den Siegespreis erhalten soll. Auf dieser Idee des Wettbewerbs beruht die der „Marktwirtschaft" zugeschriebene Leistung oder „Funktion", das Hauptproblem der Nationalökonomie, die „Allokation knapper Ressourcen", optimal zu lösen.

Die Ressourcen wandern zum „besten Wirt", zu den tüchtigsten Unternehmen, zu den kaufkräftigsten Käufern, zu den „Orten" des höchsten Ertrages (z.  B.  Kapital in die Länder mit dem höchsten Realzinsniveau) – allerdings nur unter einer Voraussetzung: Die Auslese der Besten und die Wanderung der Ressourcen dürfen nicht gestört, der Wettbewerb nicht „verzerrt", in den Markt nicht „eingegriffen" werden. Jedenfalls nicht anders als mit „marktkonformen" oder „wettbewerbsneutralen" Mitteln. Der  Markt soll „frei" sein. Nur wenn Markt und Wettbewerb sich selbst überlassen bleiben, können sie ihre „Selbstregulierungsfunktion" erfüllen. „Marktwirtschaft" ist daher politisch immer mit der Forderung nach „Laissez faire", und durch sie mit dem Liberalismus verbunden. „Der Markt braucht keinen Meister", hier wirkt der Automatismus der „Selbstorganisation", die „spontane Ordnung" (F. A. v. Hayek), die „invisible hand" (A.  Smith). Einzig die Spielregeln und Normen, unter denen der Wettbewerb stattfinden und seine Auslesefunktion erfüllen soll, sind festzulegen.

Wettbewerb ist Krieg

Wie im sportlichen Wettbewerb, so gibt es auch in der wirtschaftlichen Konkurrenz Sieger und Besiegte, in der Wirtschaft jedoch u. U. mit fatalen Konsequenzen für den Unterlegenen. In der Marktwirtschaft – und das ist der Sinn des Wettbewerbs als Ausleseveranstaltung – soll der Unterlegene auf dem Markt nicht zum Zuge kommen, er soll vom Markt verdrängt und ferngehalten werden. Marktwirtschaftlicher Wettbewerb ist daher immer Verdrängungswettbewerb, Kampf um Marktanteile und Marktkontrolle (insbesondere auch der Marktzugangskontrolle).

Als Verdrängungswettbewerb tendiert Wettbewerb dazu, sich selbst aufzuheben, d.h.: Er tendiert zum Monopol. Wettbewerb ist Kampf ums Monopol, um Vorzugsstellungen, um Kontroll- und Machtpositionen, ähnlich wie in der Parteiendemokratie. Sie ist das politische Korrelat zur „Marktwirtschaft".[vii]  Die moderne Industriegesellschaft stellt sich dem Betrachter denn auch in der Tat als eine „Welt von Monopolen"[viii] dar, die, wenn nicht gerade Waffenstillstand (z. B. auf Grund von Kartellvereinbarungen) zwischen einigen von ihnen herrscht, sich alle gegenseitig bekriegen und unter ihre Kontrolle bringen wollen.

Kriege, so wissen wir aus Erfahrung, werden durch (Unternehmens-) Strategien, Ausrüstungen (Waffen, Munition, logistische Einrichtungen), (Mitarbeiter-) Truppen und Kampfgeist („Motivation", Begeisterung, „Identity") entschieden. Militärische Termini haben seit langem Einzug in die Hörsäle, Lehrbücher und Führungskader der Wirtschaft gehalten.  Kein Wunder, dass da einer der klügsten Nationalökonomen seinen Studenten empfohlen hat, Clausewitz' „Vom Kriege" zu studieren[ix]. Was sie dort lernen würden: Strategie, Aufmarschplanung, Angriff, Überraschung, Umgehung, Tarnung, Täuschung, Umzingelung, Einkesselung, Grabenkampf, Belagerung, Zermürbung, Ausfall, Rückzug etc., das alles sei viel realitätsnäher als alle ökonomischen Modelle und Theoreme.

Die theoretische Form, in der sich die „soziale Marktwirtschaft" heute darstellt, ist die „Neoklassik". Das Überraschende nun ist – und deshalb ist K. W. Rothschild rückhaltlos zuzustimmen – dass es kein einziges mikro- oder makroökonomisches neoklassisches Grundtheorem gibt, das modernen wissenschaftstheoretischen Ansprüchen sowohl in logischer wie empirischer Hinsicht genügen würde und die erforderlichen Tests bestanden hätte. Kein einziges! Mit anderen Worten: Es gibt kein einziges „ökonomisches Gesetz", dessen kausal-mechanische Eindeutigkeit empirisch bewiesen wäre. Was wir heute in der neoklassisch ausgerichteten Nationalökonomie betreiben, ist im Wesentlichen „angewandte Mathematik" oder, wie H. Albert den Nationalökonomen spöttisch vorhielt, „Modellplatonismus"[x], Modellschreinerei ohne Realitätsbezug[xi].

Markt, Angebot und Nachfrage gibt es nicht

Das viel berufene „Gesetz von Angebot und Nachfrage" zur Bestimmung der Preise erwies sich als Tautologie.[xii] In der Praxis gibt es keine Angebots- und Nachfragekurven (in deren Schnittpunkt der Preis zu finden ist).  Die Unternehmer (Anbieter) können nicht einmal die Frage beantworten, was denn eigentlich ihr Produkt tatsächlich „kostet".[xiii] Die Kostenrechnungen und Kalkulationssysteme, die man ihnen einredete, brachten Resultate hervor, die eine „Mischung aus viel Dichtung und wenig Wahrheit"[xiv] darstellen, geeignet, „jenen Preis zu rechtfertigen, der erzielbar ist".[xv]

Die „Gesetze über die Zu- oder Abnahme der Grenzrate der Substitution", mit denen die Theorie erklärt, wie Verbraucher sich verhalten und Haushalte ihre Budgets verwalten, lösten bei den Betroffenen (Hausfrauen, Konsumenten), je nach dem Grade des Verständnisses, erstauntes Kopfschütteln oder Lachkrämpfe aus. Am Ende mussten selbst die Neoklassiker die Idee einer geschlossenen Preistheorie aufgeben und zugestehen, dass die von ihnen aufgestellten „Marktgesetze" nicht ausreichen, um das Zustandekommen von Preisen zu erklären.[xvi]

Und dann verloren sie auch gleich noch den Marktbegriff, sie konnten ihn nicht mehr definieren! Sie hatten den einen „Markt" solange in Teil- und Elementenmärkte zerlegt, bis er sich verflüchtigte und nur noch „Verhaltensweisen" und „individuelle Kundenbeziehungen" übrig blieben. Schon vor rund fünfzig Jahren kam von einem mit neoklassischen Methoden arbeitenden Nationalökonomen daher die Empfehlung, „den Marktbegriff nicht mehr zu verwenden".[xvii] Er ist nichts als ein flatus vocis.

„Marktwirtschaft" ohne „Markt"? Wo sollten da die Marktgesetze herkommen, auf die man sich immer berief, wenn Betriebe geschlossen und Arbeiter auf die Straße geworfen wurden? Denn das Problem, das sie zu lösen versprach, das Problem der Arbeitslosigkeit, diese Geißel des Kapitalismus, bekam die neoklassische Theorie und „Synthese" nie in den Griff. Der Keynes'schen Revolution ging der Atem aus.

Die Theorie zur Bestimmung des Volkseinkommens und der Beschäftigung durch Sparen und Investieren erwies sich als eine „metaphysische Konzeption".[xviii]  Die Annahmen über die „Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals", den „Hang zum Verbrauch" und die „Liquiditätsvorliebe" waren nichts als „Catchwords", welche die unverantwortliche Ausweitung der Budgetdefizite begründen halfen. Sie fachten die Inflation an,  versteinerten die Strukturen und schwächten die Wettbewerbsfähigkeit. Als man damit auch die Arbeitslosigkeit nicht mehr in den Griff bekam, ließ man die Keynes'sche Theorie fallen.

Politiker kamen ans Ruder, welche die „Sanierung" der Budgets versprachen, und versatile Ökonomen aus dem klassischen Lager, die „Monetaristen", sprangen ihnen bei, die ihnen ein altes Museumsstück, die „Quantitätstheorie des Geldes", frisch abgestaubt und hochglanzpoliert, als Neuheit verkauften. Jetzt waren „schlanker Staat", Privatisierung und Deregulierung angesagt. Das Problem der Arbeitslosigkeit ließ sich damit zwar auch nicht lösen, aber die Schuld daran konnte man wenigstens auf die Vorgänger im politischen Amte abschieben, die keinen budgetären „Spiel"raum für Ankurbelungsmaßnahmen übrig gelassen hatten. Wirtschaftspolitik pendelte zwischen „Gas geben" und „Bremsen".

Der Leser, der bis hierher durchgehalten hat und Bilanz zieht, wird sich fragen, was denn das Ganze soll? Eine Theorie ohne Praxisrelevanz? „Gesetze" ohne Beweis?  Begriffe ohne Substanz? Was wird denn dann mit dieser Worthülse „Marktwirtschaft" bezweckt?

Die Antwort klingt, als würde sie aus der linken Suppenküche kommen:

„Marktwirtschaft" ist Ideologie! Ihr Zweck ist die Verschleierung und Verdeckung von Machtpositionen, Machterwerb, Machtkämpfen, Machtsicherung, Machtkontrolle. Sie soll das Nachdenken darüber ausschließen oder ablenken, wie die moderne Industriegesellschaft tatsächlich funktioniert, wie, durch wen und zu wessen Gunsten sie motiviert und kontrolliert wird. Kommt Kritik dennoch auf, so wird sie unter Hinweis auf „Selbstregulierung" und „Laissez faire", auf „Sachzwänge" und „Globalisierung", auf „Gemeinsamen Markt" und „internationale Vereinbarungen" abgetan.  Statt angesichts der schrecklichen Verwüstungen unserer Umwelt politisch zu handeln, wird das „Laissez faire" zur Maxime der Politik. Die Berufung auf die sich selbst regulierenden „Marktgesetze" ist Ausdruck der Resignation der classe politique vor einer Entwicklung in Gesellschaft und Wirtschaft, die sie selbst in Szene gesetzt hat.

Kennzeichnend für diese Entwicklung zur modernen Industriegesellschaft ist die totale Verschmelzung von Großindustrie, Geschäft, Rüstung, Forschung, Technik, Massenproduktion, -konsum, -unterhaltung, -kommunikation, -manipulation, Staatsbürokratie und Politik.[xix] Das gesamte Ausbildungs- und Erziehungssystem des „Produktionsfaktors" Mensch ist auf die Bedürfnisse der Großindustrie abgestellt. Die Großforschung, inzwischen selbst zu einer Industrie geworden, wird vom Staat unterhalten: Elektronik, Weltraumfähren, Satellitenkommunikation, Atomforschung, Genforschung, sie alle sind „social costs of private enterprise". Die Industriegesellschaft dient nicht den Bedürfnissen des Menschen, sondern ihren eigenen Bedürfnissen. Ihre Rationalität manifestiert sich in ihren höchsten Formen in der Destruktion („Atomgesellschaft"), in der Verschwendung („Gesellschaft im Überfluss") und in der Verdinglichung des Menschen („Entfremdung").[xx]

Das Verdikt Pius XI.

Die moderne Dreifaltigkeit von Naturwissenschaft, Technik und Industrie – Erwin Chargaff macht hierauf wiederholt aufmerksam – arbeitet mit immer größerer Beschleunigung („Wachstumsraten") an der Zerstörung der Welt. Die liberalkapitalistische „Marktwirtschaft" und die mit ihr verbundene neoklassische Theorie sind nichts anderes als der ideologische Überbau für die „Struktur der Sünde", wie Johannes Paul II. sie klarsichtig benennt. Die Verbrämung der „Marktwirtschaft" mit „sozialen" oder „ökologischen" Attributen ändert nichts an diesem  harten Verdikt. Es ist so gültig wie jenes, das Pius XI. vor 80 Jahren mit einer Prägnanz ausgesprochen hat, die erschauern lässt:

„Das ist ja der Grundirrtum der individualistischen (= neoklassischen, F. R.) Wirtschaftswissenschaft, aus dem alle Einzelirrtümer sich ableiten: in Vergessenheit oder Verkennung der sittlichen Natur der Wirtschaft glaubte sie, die öffentliche Gewalt habe gegenüber der Wirtschaft nichts anderes zu tun, als sie frei und ungehindert sich selbst zu überlassen (= Laissez faire.  F. R.); im Markte, das heißt im freien Wettbewerb besitze diese ja ihr regulatives Prinzip… Die Wettbewerbsfreiheit – obwohl innerhalb der gehörigen Grenzen berechtigt und von zweifellosem Nutzen – kann aber unmöglich regulatives Prinzip der Wirtschaft sein.

Die Erfahrung hat dies, nachdem die verderblichen individualistischen Theorien in die Praxis umgesetzt wurden, bis zum Übermaß bestätigt … Am auffallendsten ist heute die geradezu ungeheure Zusammenballung nicht nur an Kapital, sondern an Macht und wirtschaftlicher Herrschgewalt … Zur Ungeheuerlichkeit wächst diese Vermachtung der Wirtschaft sich aus bei denjenigen, die als Beherrscher und Lenker des Finanzkapitals unbeschränkte Verfügung haben über den Kredit und seine Verteilung nach ihrem Willen bestimmen. Mit dem Kredit beherrschen sie den Blutkreislauf des ganzen Wirtschaftskörpers; das Lebenselement der Wirtschaft ist derart unter ihrer Faust, dass niemand gegen ihr Geheiß auch nur zu atmen wagen kann.

Diese Zusammenballung von Macht, das natürliche Ergebnis einer grundsätzlichen zügellosen Konkurrenzfreiheit, die nicht anders als mit dem Überleben des Stärkeren – das ist allzu oft des Gewalttätigeren und Gewissenloseren – enden kann, ist das Eigentümliche der jüngsten Entwicklungen.

Solch gehäufte Macht führt ihrerseits wieder zum Kampf um die Macht, zu einem dreifachen Kampf: Zum Kampf um die Macht innerhalb der Wirtschaft selbst; zum Kampf sodann um die Macht über den Staat, der selbst als Machtfaktor in dem Interessenkampf eingesetzt werden soll; zum Machtkampf endlich der Staaten untereinander … (= Imperialismus, F. R.) … Der freie Wettbewerb hat zu seiner Selbstaufhebung geführt; an die Stelle der freien Marktwirtschaft trat die Vermachtung der Wirtschaft; das Gewinnstreben steigerte sich zum zügellosen Machtstreben. Dadurch kam in das ganze Wirtschaftsleben eine Grausen erregende Härte".[xxi]

Kein Kommunist, so meinte Maurice Thorez in seiner historischen Ansprache vom 26.  Oktober 1937, habe den „Wirtschaftsliberalismus" je so heftig kritisiert wie Pius XI.[xxii]

Die Konservative Wirtschaftsauffassung

Für die konservative Auffassung ist Wirtschaft „Leistungsgemeinschaft" im Dienste der Gesellschaft, genauer noch „ein Gebäude rangordnungsmäßig gegliederter Leistungen von Mitteln für Ziele".[xxiii] Diesem Begriff zufolge unterscheidet konservative Wirtschaftstheorie:

  1. Die der Wirtschaft von der Gesellschaft vorgegebenen Ziele, zu deren Erreichung die von der Wirtschaft bereitzustellenden Mittel notwendig sind. Zu diesen Mitteln gehören nicht nur solche, welche die „Bedürfnisse" der einzelnen Menschen („Konsumenten") „befriedigen" (z.B. Nahrung, Kleidung, Wohnung), sondern auch Weltraumfähren, SDI (Raketenabwehr-)-Systeme, Atomraketen, Neutronenbeschleuniger zur Erzeugung von Nobelpreisen, Gefängnisse, Kirchengebäude, Wasserwerfer der Polizei, Überwachungssysteme bei Grenzübertrittsstellen; Güter also, die von der neoklassischen Theorie in der Regel ausgeklammert werden.  Welche Mittel bereitzustellen sind, darüber entscheidet nicht die „Wirtschaft", sondern die Gesellschaft in ihren der Wirtschaft vorgeordneten „Kultursachbereichen" (mit ihren „Haushalten" und „Budgets").
  2. Die Leistungsarten oder Funktionen: Organisatorische Leistungen (Wirtschaftssystem, Wirtschaftsverfassung, Wirtschaftsordnung, Wirtschaftsrecht, Besteuerungssystem, Geld-, Währungs- und Kreditsystem), Vorleistungen (Erfinden und Lehren), Hervorbringungsleistungen (Kreditschöpfung und Kreditgewährung, Handel, Lagerhaltung, Transport, Erzeugung, Schadensverhütung und Versicherung).
  3. Die Leistungsgebilde oder Sozialwirtschaftsstufen, die jeweils alle Leistungsarten in spezifischer Weise darstellen oder „ausgliedern" (Weltwirtschaft, Großraumwirtschaft, Volkswirtschaft, Regionalwirtschaft, Verbandswirtschaft, Betriebswirtschaft, Hauswirtschaft).
  4. Die Leistungs- oder Wirtschaftsgrundlagen: Der Mensch als Verrichtungsträger, die Natur (Boden, Bodenschätze, Wald, Wasser, Pflanzen- und Tierarten, Mikro- und Makroklima), Wissenschaft und Technik
  5. Die Leistungsgrößen, Leistungs„werte" oder Preise
  6. Die Vorrangverhältnisse, insbesondere der Vorrang der Ziele vor den Mitteln, der Mittel vor den Leistungsgrundlagen, der höheren Leistungen und Wirtschaftsstufen vor den niedrigeren, der Leistungen vor den Leistungsgrößen.
  7. Die Wirtschaftspolitik als Inbegriff von organisatorischen Maßnahmen zur Umbildung der Wirtschaft zwecks Effizienzsteigerung oder Festigung der Gesellschaft.

Nach ihren grundsätzlichen Absichten („Schlüsselbegriffen"), ist konservative Wirtschaftspolitik: Wirtschaftsausbaupolitik (z.B. Entwicklungspolitik, „Vollbeschäftigungspolitik"), Dezentralisationspolitik (z.B. Großstadtauflockerungspolitik); Struktur(krisen)politik, Stabilisierungspolitik (z.B. Konjunkturpolitik); Kreativitäts(anregungs)politik (z.B. Innovationspolitik).

Konservative Ordnungspolitik erschöpft sich nicht in Wettbewerbspolitik oder Marktordnung: Im Vordergrund steht nicht die „Konkurrenz", sondern die Förderung der Zusammenarbeit oder „Kooperation" der einzelnen Wirtschaftsgebilde nach den Prinzipien Selbsthilfe (solidarische Hilfe), Selbstverwaltung (Subsidiarität) und Gemeinwohlwahrung (Gesamtwohlfahrt, bonum commune, sittliche Bindung). Ihr regulatives Prinzip ist nicht die Konkurrenz, sondern die Gerechtigkeit (Angemessenheit, Entsprechung, iustitia commutativa et distributiva).[xxiv]

Durch die Politik der Zusammenarbeit wird die Wirtschaft „formiert" oder „durchorganisiert", d.h. verbandlich gegliedert. Je kräftiger die Verbände entfaltet und hierarchisch gegliedert sind, desto besser funktioniert die Selbstverwaltung, der Interessenausgleich zwischen den Verbänden und die Zusammenarbeit mit dem Staat.

Verband schluckt Staat

Der Staat kann sich auf seine eigentlichen Hoheitsaufgaben zurückziehen und die wirtschafts- und sozialpolitischen Angelegenheiten der (sozial-)partnerschaftlichen Regelung der Wirtschaftsverbände weitestgehend überlassen, die, im Gegensatz zur Staats- und EU-Bürokratie, den zu solchen Regelungen gemeinsamer Angelegenheiten notwendigen Sachverstand besitzen. Hoheitliche Eingriffe sind dann nur erforderlich, wenn der Interessenausgleich versagt oder das Gemeinwohl verletzt wird.

Je nach geschichtlicher Situation wurden von praktisch allen westlichen Industriestaaten ordnungspolitische Maßnahmen gesetzt und Einrichtungen geschaffen, durch welche die gemeinwohlorientierte Verbandsbildung angetrieben und die Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft verbessert und geregelt wurde.

Erinnert sei hier nur an den „Reichswirtschaftsrat" der Weimarer Republik (wegen seiner Zusammensetzung ein Fehlschlag), an die heutige relativ geordnete „Repräsentation organisierter Interessen" in der BRD, an das schweizerische „Vernehmlassungsverfahren" und die „Friedensabkommen", an die österreichische „Sozialpartnerschaft", an den „Sozialökonomischen Rat" in den Niederlanden, an die „Planification a la franVaise", an die „Camera Corporativo" in Portugal (unter Salazar eingerichtet), an das wenig nachahmenswerte System des „Lobbying" in den USA, das jedoch ergänzt wird durch die „Hearings".

Immerhin zeigen diese wie auch andere, zum Teil äußerst erfolgreichen Ansätze, dass kein Staat allein auf den „Marktmechanismus" vertraut. Allzu viele Wahlmöglichkeiten hat der Staat ja heute nicht mehr: Entweder überlässt er die Kontrolle des „Marktes" den Großunternehmungen mit allen Nachteilen für das Gemeinwohl, die im ersten Abschnitt beschrieben wurden; oder er kommt seiner Gemeinwohlaufgabe nach und fördert die gemeinwohlorientierte Verbandsbildung nach den oben beschriebenen Prinzipien. Die dritte Möglichkeit: Sozialisierung und zentrale Planung, wird nach dem Scheitern der realsozialistischen Experimente heute ja kaum noch jemand in Betracht ziehen.

Die neoklassische Theorie hat zu den Verbänden und ihren Funktionen praktisch keinen Zugang.  Für sie sind Verbände Träger von privater Macht, welche die Märkte kontrollieren und die Konkurrenz fernhalten wollen (also Kartelle oder Monopole). Um ihr Ideal von der möglichst vollständigen Konkurrenz- und Marktfreiheit durchsetzen zu können, würden die Vertreter der Neoklassik daher am liebsten alle Verbände auflösen, womöglich auch die Gewerkschaften. Alles, was sie damit erreichen, ist die Kontrolle der Märkte durch jene Mammutunternehmungen, die übrig bleiben, wenn die Konkurrenz ihre Auslesefunktion erfüllt hat.

Die Ziele konservativer Wirtschaft

Jede Gesellschaft ist umso lebendiger und reicher, je mehr die kleinen Gemeinschaften und Verbände entwickelt und differenziert sind. Daher Dezentralisationspolitik, Auflockerung, Betonung der Unterschiedlichkeit, „Spezifizität" statt Gleichheit und Uniformierung.  Daraus ergibt sich als anzustrebendes Bild konservativer Wirtschaft:

  1. Humane Arbeits- und Konsumwelt: Förderung von Klein- und Mittelbetrieben („small is beautiful"), Dezentralisation von Großbetrieben (Werkaussiedelung, Gruppenarbeit, Vollfertigung statt Fließbandarbeit, Automation zwecks Entlastung von stumpfsinniger Repetitivarbeit), Förderung gediegener, gesunder und dauerhafter Produkte und des persönlich geprägten Bedarfes, Zurückdrängung der Massenproduktion und Massenunterhaltung, des Massentourismus etc.
  2. Humane Wohnwelt: Förderung der Großstadtauflockerung, Eigenheim- und Gartenstadtbewegung, Zurückdrängung der Mietskasernen und Slums, Förderung der Nachbarschafts-, Dorf-, Bezirks- und Heimatkultur.
  3. Bändigung von Wissenschaft und Technik: Auflösung der militärisch-technisch-industriellen Superstrukturen, Förderung naturnaher und humaner Wirtschaftstechniken, regenerativer Kreisläufe, intermediärer Techniken.
  4. Schutz der Natur, sorgfältiger Umgang mit den Naturgrundlagen; Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, Schonung der Bodenschätze und Energiereserven, Bekämpfung des Waldsterbens und der Großrodungen, Reinhaltung der  Seen, Flüsse, Meere und Grundwasserreserven; Erhaltung der Tier- und Pflanzenarten, naturnahe Züchtungsmethoden, tiernahe Stallhaltung, Bekämpfung der Klimaverschlechterungen (Ozonbelastung, Treibhauseffekt) und der Luftverschmutzung.
  5. Umfassende Förderung der Zusammenarbeit auf allen Ebenen (betrieblich, regional, national, international), zwischen allen Leistungsträgern, Klassen und Schichten, ihren Verbänden und Vertretungen. Zurückdrängung der überbordenden Konkurrenz, des Klassenkampfes, der Interessenkonflikte, der Machtkonzentrationen, des Wirtschaftsimperialismus.
  6. Zusammenwachsen und „Formierung" der Verbände zu einem ideellen „Wirtschaftskörper", der die gegenseitige Abhängigkeit und Aufeinanderangewiesenheit aller am Wirtschaftsleben partizipierenden Glieder bewusst, überschaubar und gestaltbar macht und hierbei Eigeninitiative (Selbsthilfe, Eigenvorsorge, Privateigentum) und Selbstverwaltung (Selbstbestimmung, Freiheit) mit Gemeinwohlorientierung (Sozialprinzip) verbindet.

Die Bausteine aus der Tradition

Die Tradition der konservativen Wirtschaftsauffassung[xxv] reicht bis in die Antike zurück. Sie hat ihre Vertreter und Schulen in jeder geistesgeschichtlichen Epoche und findet in der Gegenwart immer mehr Freunde. Die Beiträge von tausenden Verfassern müssten genannt werden, doch mögen hier einige Andeutungen genügen:

Grundlegend ist Platons „Staat" mit seiner Lehre von der Einheit oder Ganzheit der Seinsordnung, Staatsordnung (= Ständeordnung) und Tugendordnung.
Die Summen des Hl. Thomas v. Aquin mit ihrer Lehre vom  „gerechten Preis" und der Güterlehre. Auf Thomas fußt weitgehend die Katholische Soziallehre mit den Enzykliken der Päpste.
Fichtes „Geschlossener Handelsstaat", der in seiner Stringenz den Gegensatz der konservativen Auffassung zur „offenen" oder „freien" Markt- oder Konkurrenzwirtschaft ganz deutlich macht.
Adam Müllers „Elemente der Staatskunst" mit ihrer Lehre vom „idealischen" oder geistigen Kapital der Nation.
Friedrich Lists „Nationales System der politischen Ökonomie" mit der für alle Wirtschaftspolitik bis heute unverlierbaren „Lehre von den produktiven Kräften".
Die ältere und jüngere historische Schule (Roscher, Knies, Hildebrand, Schmoller) mit ihrer Abkehr von jedem Modelldenken und der Betonung des „geschichtlichen Wachstums der Ordnungen" in Abwehr konstruktivistischer und funktionalistischer Ordnungsversuche der Wirtschaft.
Die soziologische Richtung der Nationalökonomie mit Werner Sombart und Max Weber, an der Spitze Othmar Spanns und Walter Heinrichs „universalistische" oder „ganzheitliche" Schule, die das am gründlichsten durch gearbeitete System der konservativen Wirtschaftstheorie bisher geliefert hat.
Die „institutionelle" Richtung, die vor allem in den USA vertreten ist (Th. Veblen, J. K. Galbraith).
Die auf J. M. Keynes zurückgehende, jedoch weiterentwickelte „strukturanalytische" Schule mit ihrer Input-Output-Rechnung (W. Leontief).
Die kulturmorphologische Schule (E. Egner, B. Laum, F. Perroux), die grundlegende Einsichten in nichtmonetäre Transaktionen (Stichwort: „Schenkende Wirtschaft") gebracht hat.
Die ökologische Richtung mit der Lehre von den „sozialen Kosten" (W. K. Kapp). Die „gemeinwirtschaftliche Schule" mit der Untersuchung von Kommunalbetrieben (G. Weisser, H. Ritschl).
Die "Raumwirtschaftslehre" mit ihrer Betonung von Standortfaktoren und „zentralen Orten" (A.  Lösch).

Ganz allgemein lässt sich sagen, dass Autoren, die sich intensiv mit Spezialfragen und wirtschaftspolitischen Problemen befassen (z. B. Internationale Organisationen, Währungs- und Kreditpolitik, Agrarpolitik, Marketing, Unternehmungsführung, Haushaltswirtschaft usw.), allein schon vom Sachgehalt ihrer Arbeiten her, sich vielfach konservativen Auffassungen nähern. So verfügt etwa die Betriebswirtschaftslehre über ihre eigene konservative Tradition, die sie heute ganz bewusst und mit äußerster Schärfe der auf der neoklassischen Mikroökonomie fußenden Privatwirtschaftslehre (E. Gutenberg) gegenüberstellt (H.  Nicklisch, K. Oberparleiter, E. Schäfer, F. Schönpflug, J. Kolbinger, R. Fürst, R.-B. Schmidt, H. Ulrich, H. A. Simon). Ähnliches ließe sich wohl aus jedem Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft berichten.

Paradigmenwechsel?

Durch ihre ganz bewusste Unterordnung unter die geistig-kulturell-sittlichen Dimensionen der Gesellschaft stellt sich die konservative Wirtschaftsauffassung der wichtigsten Aufgabe unserer Zeit: Der „Versittlichung" von Wirtschaft und Gesellschaft oder, um es mit den Worten von Johannes Paul II. auszudrücken, der „Überwindung der Strukturen der Sünde", zu denen der Liberalismus und die liberalkapitalistische Marktwirtschaft samt der sie begleitenden neoklassischen Theorie zweifellos gehören[xxvi].

Im Westen ist sie weithin herrschend geworden, ihre geistigen Wurzeln hat diese Struktur in der Aufklärungsphilosophie. Auf den Denkeinstellungen der „Aufklärung" (Verneinung der Transzendenz, Nichtunterscheidung von Sein und Seiendem, Ablehnung jeder Metaphysik), ihren Denkmustern (Individualismus, Hedonismus, Utilitarismus, Rationalismus) und ihren Denkmethoden (naturwissenschaftlich-technisch-mathematisches Verfahren –Positivismus, kritischer Rationalismus) beruht die „Krise der Neuzeit"[xxvii] mit ihren geradezu lebensbedrohenden Zerstörungen und reduzierten Zukunftserwartungen.[xxviii]

In der Entwicklung der Wirtschaftswissenschaft sind es vier Momente, die auf eine Ablösung der liberalkapitalistischen Marktwirtschaftstheorie hoffen lassen:

  1. Die ganzheitliche Sicht: Es besteht heute in der Theorie ein Zug zur Totalanalyse, zur Erfassung der allseitigen („interdependenten") Bezogenheit aller Einzelerscheinungen und Nebenerscheinungen des wirtschaftlichen Prozesses, so heute vor allem die Beachtung ökologischer, landschaftlicher, sozio-kultureller und technischer Aspekte und Folgen von wirtschaftlichen Projekten und Entscheidungen.
  2. Die Bildung „ganzheitlicher" Institutionen: Schon durch ihre Zusammensetzung schaffen sie die Voraussetzung dafür, dass Projekte oder wirtschaftspolitische Maßnahmen nach allen Seiten und Interessengesichtspunkten hin abgewogen werden (sozialökonomische Räte, sozialpartnerschaftliche Beiräte, Kammern, Körperschaften öffentlichen Rechts usw.)
  3. Die Entwicklung ganzheitlicher Methoden der Wirtschaftsanalyse: Der Bedarf dieser Institutionen wie auch die ganzheitliche Sicht fordern Methoden, die den All-Zusammenhang der einzelnen Wirtschaftszweige und Haushalte sichtbar und die quantitativen Wirkungen von Maßnahmen der Wirtschaftspolitik abschätzbar machen (Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Systemanalysen, Input-Output-Tabellen u.a m.)[xxix]
  4. Die Abwertung des Ökonomischen: Es treten heute immer mehr Bewegungen auf, welche die Ansprüche der „Industriegesellschaft" in die Schranken weisen (Naturschutz, Greenpeace, biologisch-dynamischer Land- und Gartenbau, Gartenstadtbewegung, Aktion ziviler Ungehorsam, Besetzung von Kraftwerksbaugelände, Verhinderung von Straßenprojekten, Bürgerinitiativen u.v.a.). Solche Bewegungen sind Symptome dafür, dass immaterielle, soziale und kulturelle Werte wie Gesundheit, Lebensqualität, „Selbstverwirklichung", persönliche Freiheit und Würde gegenüber Einkommen und Konsum von materiellen Gütern an Bedeutung gewinnen[xxx].

Im gleichen Ausmaß, in dem diese konservativ-ganzheitlichen Denkweisen und Methoden sich durchsetzen, verdrängen sie „Marktwirtschaft" und Neoklassik. Der Paradigmenwechsel, von der „Aufklärung" zum „Konservativismus", scheint sich langsam zu vollziehen. Wie lange der Prozess der Ablösung dauern und von welchen Rückschlägen er betroffen werden wird, kann heute niemand sagen. Eines aber wissen wir heute ganz sicher: „Aufklärung" und Liberalismus, konsequent zu Ende gedacht, führen zu Chaos und Anarchie[xxxi], zur Zerstörung der Natur,[xxxii] zur Auflösung der Ordnungen und letzten Endes zur „Abschaffung des Menschen".[xxxiii] [xxxiv]

Der Autor lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Er veröffentlichte zuletzt „Die Rechte der Nation“ (Stocker, Graz 2002), „Der Sinn der Geschichte“ (Regin-Verlag, Kiel 2011) und „ESM-Verfassungsputsch in Europa“ (Schnellroda 2012).

Endnoten

[i]Die gründlichste Klärung dieses Zusammenhangs von sozialer Marktwirtschaft, (Neo-)Liberalismus und Aufklärung findet sich  bei E. E. Nawroth: Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, Heidelberg 1961. N. kommt zu dem Schluß, daß es sich beim Neoliberalismus nicht um eine Neuschöpfung, sondern um die Renaissance altliberaler Konzepte handelt, die in keiner einzigen Grundfrage über das geistige Niveau der Aufklärungsphilosophie hinausgekommen ist (S 425). N. setzt sich mit den deutschen Vätern des Neoliberalismus  auseinander (F.  A. v. Hayek, A. Müller-Armack, W. Eucken, W. Röpke, F. Böhm). Im angelsächsischen Bereich firmiert der Neoliberalismus unter "Neoklassik". Die Schlußfolgerungen N's. gelten in gleicher Weise wie für den Neoliberalismus und die "soziale Marktwirtschaft" (social market economy) auch für die "neoklassische Nationalökonomie".  Vgl. dazu: F. Romig: Die ideologischen Elemente in der neoklassischen Theorie - Eine kritische Auseinandersetzung mit Paul A. Samuelson, Berlin 1971, insbes.  S 10; unabhängig kommt zu gleichartigen Aussagen jetzt H. Arndt: Irrwege der Politischen Ökonomie, München 1979. A. behandelt das Schrifttum in seiner ganzen Breite.

[ii]Vgl. Stichwort: "Aufklärung", in: H. Schmidt: Philosophisches Wörterbuch, 20.  Aufl. (neu bearb. v. G. Schischkoff), Stuttgart 1978, S. 45f. Dort bes. zu beachten die Hinweise auf "Rationalismus" und "Liberalismus", die mit der "Aufklärung" untrennbar zusammenhängen. Einen guten und ausführlicheren Überblick bietet F.Schalk: Die europäische Aufklärung, in: Propyläen Weltgeschichte, Bd. 7, Frankfurt 1986 (Neudruck), S. 469-512.

[iii] Vgl. Stichwort: "Rationalismus", in: Phil.  W. B., a. a. O. (FN 2), S 551: "Der Rationalismus ist die Denkweise der Aufklärung … "

[iv] Lustmaximierung (Hedonismus) als letztes Ziel des Rationalismus folgt aus seiner sensualistischen (materialistischen) Geisteslehre: Nihil est in intellectu quod non fuerit in sensu (J. Locke) Dieser Grundsatz zieht sich von Hobbes über  Marx bis zu den Evolutionisten durch die gesamte Aufklärung. Vgl. O. Spann: Philosophenspiegel-Die Hauptlehren der Philosophie begrifflich und geschichtlich dargestellt, 3. Aufl. (mit einem Nachwort von G. Schischkoff), Bd. 13 der Othmar Spann-Gesamtausgabe, Graz 1970, S 35.

[v] Die Reduktion des "rationalen" Denkens auf das "ökonomische Kalkül" von "pleasure and pain" (Jevons) läßt sich über A. Smith bis zum neo-epikuräischen Eudämonismus des Th. Hobbes zurückzuverfolgen.  Vgl.  K. Muth: Geschichte des abendländischen Geistes, Berlin 1950, Bd. 2, S. 221, S. 400, S. 421.  Die gesamt neo-klassische "Mikroökonornie" ist in ihrem Kerne nichts anderes als "Nutzenkalkül" von Tausch- oder "Substitutions-Möglichlkeiten ("Optionen", Wahlhandlungen). Politisch begründet das Offenhalten der Substitutionsmöglichkeiten die Forderung nach Erwerbsfreiheit, Eigentumsfreiheit, Gewerbefreiheit, "offene" Märkte, "freie" Marktwirtschaft sowie die Abwesenheit von "Macht" und "Zwang". Auf die Tautologie, die dadurch entsteht, ein machtfreies Marktmodell zu konstruieren und dann, um des Funktionierens willen, politisch die Elimination der Macht zu fordern, hat nachdrücklich hingewiesen K. W. Kapp: The Social Costs of Private Enterprise, Cambridge, Mass. 1950, S. 240

[vi] Johannes Paul II: Enzyklika über die soziale Sorge der Kirche "Sollictudo rei socialis", Rom 1987 (abgek.  SRS) n. 37: Zwei Verhaltensweisen kennzeichnen die heutigen "Strukturen der Sünde": "die ausschließliche Gier nach Profit und das Verlangen nach Macht" die beide "unauflöslich verbunden sind" und "die wahre Natur des Bösen" ausmachen.

[vii] Der Zusammenhang von "Marktwirtschaft" und Demokratie" wird gerade von Neoliberalen oder "Ordo"-Liberalen ("freiheitliche" Wirtschaftsordnung - "freiheitliche" Gesellschaftsordnung) immer wieder betont.  Doch auch hier wirkt so etwas wie die "Dialektik der Aufklärung": In der neoliberalen Konzeption wird aus "Wettbewerbsfreiheit" "Wettbewerbszwang", daher das Verbot von Kartellen, Zusammenschlüssen und anderen Verbänden als Formen "privater Macht". F. Ottel: Wirtschaftspolitik am Rande des Abgrundes, Frankfurt 1957, ist diesem Sachverhalt nachgegangen.

[viii] J. Robinson: The Economics of Imperfect Competition, London 1933 (repr. 1948).

[ix] Vgl.  K. W. Rothschild: Preistheorie und Oligopol, in: A. E. Ott (Hrsg.), Preistheorie, Köln 1965, S. 360.

[x] H. Albert: Modell-Platonismus. Der neoklassische Stil des ökonomischen Denkens in kritischer Beleuchtung, in: Sozialwissenschaft und Gesellschaftsgestaltung. Festschr. f. G. Weisser, Berlin 1963,  S 45.

[xi] Wie ein roter Faden zieht sich die Sorge um den Realitätsbezug durch die "Presidential Addresses", die von den bekanntesten Wirtschaftswissenschaftern aus dem angloamerikanischen Bereich jeweils zu Jahresende an die American Economic Association gerichtet und anschließend in The American Economic Review veröffentlicht werden.  Gegen die zunehmende Spezialisierung und Trivialisierung werden "Economics of economics" gefordert, also die Anwendung des ökonomischen Kalküls von Nutzen und Aufwand auch auf die Theorienproduktion der Nationalökonomen. Das erinnert an die J. Schumpeter zugeschriebene Bemerkung, von der Arbeit der Nationalökonomen entfielen 10 Prozent auf die Aufstellung neuer Theorien, 90 Prozent auf ihre Widerlegung, das Ergebnis nähere sich Null.  Heute stimmt das sicher nicht mehr: mindestens 50 Prozent ist für das gedankenlose Wiederkäuen von unbewiesenen Grundtheoremen in Lehrveranstaltungen und Textbüchern anzusetzen. "Papageiengeschwätz" nennt das eine der berühmtesten Nationalökonominnen, J. Robinson. Um diesen  Tendenzen - Realitätsferne, Trivialisierung, Verschwendung von Ressourcen -   gegenzusteuern, wäre es marktwirtschatlich konsequent - wenn auch eine kleine Revolution  auslösend -  nicht nur "Economics of economics" zu fordern, sondern Wissenschaft und Forschung samt Lehrbetrieb und Universitäten zu privatisieren und die staatliche Subventionierung einzustellen. In diese Richtung gehen die Vorschläge zweier so bedeutender Kritiker am heutigen "Wissenschaftsbetrieb" wie E. Chargaff und P. Feyerabend (vgl. E. Chargaff: Kritik der Zukunft.  Stuttgart 1983, S 35ff; P. Feyerabend: Irrwege der Vernunft (engl. Farewell to Reason), Frankfurt 1989, bes.  S 381 ff. Wie immer, so ist es auch hier mit marktwirtschaftlichen Prinzipien" zu Ende, wenn "vested interests" betroffen sind.

[xii] Zu diesen, aus der Tatsache des Wirtschaftskreislaufes und der Interdependenzen abgeleiteten und auf den ersten Blick nicht gleich plausiblen Sätzen sowie zu den folgenden Beispielen: F. Romig, a.a. O. und H. Arndt, a. a. O. ( beide FN 1).

[xiii] J. Robinson: Doktrinen der Wirtschaftswissenschaft - Eine Auseinandersetzung mit ihren Grundgedanken und Ideologien (engl.  Economic Philosophy), München 1965,S 118.

[xiv] So der führende deutsche Kostentheoretiker und -praktiker P. Riebel: Das Rechnen mit Einzelkosten und Deckungsbeiträgen, in: Zeitschrift. f. handelswissenschaftliche  Forschung, Köln schon 1959, S.  237: "Es gibt in jeder Wissenschaft Fragen. die aus der Natur der Sache heraus nicht beantwortet  werden können.  Dazu gehört die naheliegende, aber laienhafte Frage: Was kostet die Leistungseinheit?"

[xv] J. Robinson a.a.O. (FN 13), S. 169.  Der Sarkasmus ist nicht zu übersehen.

[xvi] Vgl.  H. v. Stackelberg: Grundlagen der theoretischen Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl., Tübingen 1951, S. 220f.

[xvii] H. Sanmann: Marktform, Verhalten, Preisbildung bei heterogener Konkurrenz, in: Jb. f. Sw., Bd. 14, Göttingen 1963, S 59. Ganz folgerichtig verwendet die konservative Wirtschaftstheorie den Begriff "Leistungswechsel" für "Markt" und nimmt die Funktionen in den Blick, die mit diesem verbunden werden.

[xviii] J. Robinson, a. a. O., (FN 13), S 118

[xix]Überaus anschaulich dargestellt durch J. K. Galbraith: Die moderne lndustriegesellschaft (engl.  The New lndustrial State), München 1968.

[xx] Hierzu noch immer grundlegend H. Marcuse: Der eindimensionale Mensch. Studien zur fortgeschrittenen Industriegesellschaft (engl. One-Dimensional Man), Berlin 1968, 3. Aufl.  Ihn zitiert  Paul Vl. in seiner "Ansprache an die Internationale Arbeiterorganisation (ILO)" in Genf, am 10.  Juni 1969, n. 20, in: Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands (Hrsg.): Texte zur katholischen Soziallehre, 8. Aufl., Bornheim 1992, S 451

[xxi]Pius XI.: Enzyklika über die gesellschaftliche Ordnung, ihre Wiederherstellung und Vollendung nach dem Heilsplan der Frohbotschaft "Quadragesimo anno".  Rom 1931, n. 88 und 105-109.

[xxii] Hirtenbrief der Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten von Amerika über den marxistischen Kommunismus vom Nov. 1980 (dtsch.), Bonn 1980, Anm. 3. Verdienstvollerweise hat A. Mohler  wieder in Erinnerung gerufen, wo der eigentliche Feind des Konservativen zu finden ist: im Lager der Liberalen. Hier gilt es sich zu absoluter Klarheit durchzuringen und jeden Kompromiß zu vermeiden (vgl.  A. Mohler: Liberalenbeschimpfung.  Sex und Politik, Der faschistische Stil, Gegen die Liberalen - Drei Politische Traktate, Essen 1989, S. 132).

[xxiii]      Wir folgen hier der universalistisch-konservativen Theorie 0. Spanns und seiner Schule, von der Armin Mohler meint, sie habe der Konservativen Revolution "das durchgearbeitetste Denksystem geliefert" (A. Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932, Darmstadt 1972 (2. Aufl.), S 203. Als Standardwerk konservativer Wirtschaftspolitik darf gelten: W. Heinrich: Wirtschaftspolitik, 2 Bde., Berlin 1964-1967 (2.  Aufl.); eine kurze Gesamtübersicht bietet F. Romig: Wirtschaft der Mitte.  Eine Einführung in die "Wirtschaftspolitik" von Walter Heinrich, Stifterbibliothek, Bd. 72, Salzburg 1955.  Eine populäre Einführung in das Spannsche System wurde vorgelegt von W. Becher: Der Blick aufs Ganze - Das Weltbild Othmar Spanns, München 1985; in den "Monographien zur österreichischen Kultur und Geistesgeschichte" liegt als Bd. 4 jetzt vor: J. H. Pichler (Hrsg.): Othmar Spann oder Die Welt als Ganzes, Wien 1988.  Dort auch eine Bibliographie der wichtigsten Arbeiten aus der Spann-Schule (S 279-285).  Eine Othmar Spann-Gesamtausgabe in 21 Bänden ist erschienen In der Akademischen Druck- und Verlagsanstalt in Graz, 1963-1979.

[xxiv] Vgl. F. Romig: Theorie der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, Berlin 1966. Dort auch eine Tabelle als Überblick über das ganzheitliche System von Gesellschaft und Wirtschaft (S 92).

[xxv] In der Iehrgeschichtlichen Darstellung schließen wir uns weitgehend an: 0. Spann: Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre auf lehrgeschichtlicher Grundlage. In einem Nachwort weitergeführt v. W. Heinrich. (Bd. 2 der Othmar Spann-Gesamtausgabe), 28. Aufl.,Graz 1969 .

[xxvi] Johannes Paul II. benennt als "Strukturen der Sünde" für den Westen den liberalistischen

Kapitalismus und für den Osten das "System, das sich am marxistischen Kollektivismus orientiert".  Vgl. Enzyklika SRS (FN 6), n. 20.

[xxvii] Für die Aufhellung der geistigen Hintergründe dieser Krise noch immer lesenswert: René Guénon: Die Krise der Neuzeit (franz. La Crise du Monde Moderne), Köln 1950

[xxviii] Aus dem bereits uferlosen Schrifttum seien zwei Hauptwerke hervorgehoben: Bericht an den Präsidenten: "GLOBAL 2000", Frankfurt 1981 (12.  Aufl.); World Comission on Environment and Development: Our Common Future (abgek.  Brundtland-Bericht), Genf 1989 (12.  Aufl.). In beiden Berichten umfangreiche Literaturangaben.  Der letztgenannte Bericht klingt wie ein Verzweiflungsschrei (bes.  S. X f).  Die Zerrüttung der Umwelt schreitet seit Jahren fort und beschleunigt sich ständig.  Effektive Maßnahmen, die geeignet wären, die Entwicklung einzubremsen oder gar zu stoppen, scheitern zumeist an den unterschiedlichen Interessenlagen der einzelnen Länder.

[xxix] Die Nichteinbeziehung des Verzehrs an natürlichen Ressourcen (z.  B. Erdöl) oder der Beeinträchtigung der Lebensqualität, ferner die Nichtberücksichtigung von marktvermeidenden Leistungen (z.  B.  Haushaltsarbeit) in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen führen zu falschen Aussagen (etwa über die "Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts"), Fehlschlüssen und Fehlmaßnahmen. Zum Teil werden solche Rechnungen angestellt, um Projekte plausibel zu machen, die auf Widerstand stoßen. Die Rede ist dann von "Umwegrentabilität" (z.B. von "Weltausstellungen"), "Spin-off-Effekten (bei der Raumfahrt und Rüstung). Intangible Kosten bleiben dabei meist unberücksichtigt, im Gegensatz zu den intangiblen Erträgen.

[xxx] Vgl. K. Lehmann: Gesellschaftlicher Wandel und Weitergabe des Glaubens, Bonn 1989, S 8

[xxxi] Sobald nicht Gott, sondern der "Mensch das Maß aller Dinge" ist, führt der Weg, einem Diktum F. Grillparzers zufolge, "von der Humanität  über die Nationalität zur Bestialität". Der Emanzipation von Gott entspricht die Emanzipation des Menschen von (den "Zwängen") der Gemeinschaft, die Auflösung der Familie, das Absterben des Staates, die klassenlose und herrschaftsfreie Gesellschaft, die Anarchie.Geistesgeschichtlich konsequent folgte auf Rousseau, Feuerbach, Marx, Bakunin und Kropotkin. Radikal gedacht, endet aller Liberalismus in Anarchismus. Dazu: K. Muth: Die Geschichte des abendländischen Geistes, Berlin 1950, insbes. Bd. 2, Kap.  VII: "Die Doktrin der Anarchie", S 283 ff. Das Ziel der Anarchie: die "herrschaftslose Gesellschaft", findet sich heute in allen "emanzipatorischen" Bewegungen der Gegenwart. so bei den "Grün-Alternativen" den "Basisdemokraten", den "Feministinnen", den "Revolutionären Marxisten", Kommunisten und Sozialisten. Ebenso bei den Liberalen (A.  Rüstow), Linksliberalen und Sozialdemokraten. Die Umsetzung folgt der  "Strategie des Kulturkampfes", von der vor allem Schulen, Universitäten, Kirchen, Massenmedien, Kunst und Unterhaltungsindustrie betroffen sind.  Ausführlich behandelt in: F. Romig: Der neue Kulturkampf - zur Strategie der Linken: Die "Revolution ohne Revolution", in: Neue Ordnung, H. 4-6, Graz 1988.

[xxxii] Vgl. F. Romig: Erwin Chargaff: Ein Monument des Widerstandes gegen die Dehumanisierung der Welt, - eine Hommage, in: Neue Ordnung , H. 4, Graz 1989, S. 9 f: Naturwissenschaft erforscht nicht die Natur, sie sprengt sie; sie löst keine Probleme, sie schafft sie. Dem Wissenschaftsbetrieb geht es nicht ums Wissen, sondern ums Geld. Hauptfunktion der Wissenschaft ist die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen für Wissenschaftler, die von den Universitäten ohne Rücksicht auf den Bedarf produziert werden. Die Wissenschaft wurde zu einer Ersatzreligion hochstilisiert, Forscher zu Quasi-Priestern geweiht, die Frage nach dem Sinn ihrer Tätigkeit, "und bestünde diese auch nur darin, eine Gesteinsprobe vom Mars zu holen", gilt als Tabubruch und Sakrileg. Eine kräftige Lobby sorgt dafür, daß dem Staat immer größere Geldmittel entrissen werden, die der Selbsterhaltung der Forschungsindustrie und ihrem krebsartigen Wachstum dienen. Zusammen mit der von ihr getriebenen Industrie ist sie dabei, die Erde unbewohnbar zu machen und alles Leben auszulöschen . Sie ist zur größten Bedrohung der Menschheit geworden.  Sie entstammt dem Ungeist der "Aufklärung", der dafür gesorgt hat, daß  "seit fast zweihundert Jahren ein Frösteln durch die Weit geht" (Warnungstafeln, Stuttgart 1982, S. 184). Ganz in diesem Sinn auch P. Feyerabend: a.a.O.  (FN 11): dort reiche Literaturangaben.

[xxxiii]J. Kardinal Ratzinger : Wider die Abschaffung des Menschen - Antwort zur Krise der Werte und der Moral, in: DIE PRESSE, Beilage SPECTRUM, Wien 5./6. Dez. 1987, S 1: "Der Prozeß, der... den Menschen zerstören wird, spielt sich unter Kommunisten und Demokraten ebenso auffällig ab wie unter Faschisten… Die entgegengesetztesten modernen Weltanschauungen haben den Ausgangspunkt der Leugnung des natürlichen Sittengesetzes und der Reduktion der Welt auf "bloße" Tatsachen gemein. … Es herrscht das Kalkül und es herrscht die Macht. Die Moral ist abgetreten, und der Mensch ist abgetreten".Ähnlich F. H. Tenbruck: Die unbewältigten  Sozialwissenschaften oder die Abschaffung des Menschen, Reihe "Zukunft und Herkunft", Bd. 2, Graz 1984, Abschnitt "Über die Abschaffung des Menschen", S 230ff.

[xxxiv] Die vorgetragene konservative Wirtschaftsauffassung steht in engster Verbindung mit der konservativen Bild vom Menschen. Vgl. F. Romig: Das Wesen des Konservativismus, CRITICON, H. 119, München  1990, 135ff

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Balkankriege: Der Wahrheit einen Weg drucken

Der Freispruch für die zwei kroatischen Generäle Gotovina und Markac durch den Internationalen Strafgerichtshof ist ein erstaunlich bahnbrechendes Urteil.

Denn damit ist weit über das persönliche Schicksal der beiden hinaus auch in einer Epoche der naiven und sich unter Juristen immer mehr verbreitenden politischen Korrektheit klargestellt: Ein Staat hat immer noch das volle Recht, sich gegen Angreifer, Revolutionäre und Insurgenten zu verteidigen. Damit ist zugleich auch klargestellt, dass keineswegs Serben und Kroaten (sowie Slowenen und Bosnier) in gleicher Weise schuld am jugoslawischen Bürgerkrieg wären, wie das linke Historiker und Pazifisten nun darzustellen versuchen.

Der außenpolitische Sprecher der SPÖ hat damals in einem Hintergrundgespräch mit dem amerikanischen Balkan-Sonderbeauftragten Richard Holbrooke, bei dem ich anwesend war, sogar wider alle Fakten die Kroaten als Hauptschuldige bezeichnet. Was empörend war – und besonders infam, weil es unter dem Schutz der Vertraulichkeit erfolgte.

Erste Konklusion: Keineswegs immer, aber manchesmal eben doch hat der Blick der Geschichte auch etwas mit der Wahrheit und den wirklichen Fakten zu tun.

Zweite Konklusion: Zweifellos hat aber auch das viel kooperativere internationale Verhalten der Kroaten seit dem Krieg die Serben in ein schlechtes Licht gerückt. Das serbische „Alleine gegen die ganze Welt“ ist halt nicht unbedingt eine weise Politik.

PS.: Peter Schieder hat übrigens noch viele weitere Verdienste: Er hat heldenhaft den Kampf des Europarates gegen undemokratische Umtriebe in Liechtenstein angeführt. Und er ist zum großen Helden der schwul-lesbischen Lobby geworden.

 

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Die Ibiche des Kranikus drucken

Neulich hatte ich ein lustiges Erlebnis. Auf einer Kilometeranzeige eines Autos stand die Zahl „1648". Und ich dachte – hmmm, 1648. Vermutlich würde ein Großteil der Menschen heute bei dieser oder ähnlichen Zahlen (753, 333, 1618) gar nichts (mehr) sehen.

Als wir jung waren, jammerten unsere Eltern immer darüber, dass wir nichts mehr auswendig lernen würden – Gedichte, Jahreszahlen, den Anfang der Ilias. In ihrer Jugend sei das normal gewesen. So normal, dass es fast zu jedem „klassischen" Gedicht, unter welchem Generationen von Schülern gestöhnt haben, eine „Witzversion" gab – zumeist ziemlich flach, aber mehr brauchte man ja im Druckkochtopf des Klassenzimmers nicht: „Die Ibiche des Kranikus", oder die Kurzform des „Tauchers"? „Gluck gluck gluck weg war er". Pruhahah.. Ich hatte in meiner Gymnasialzeit den Eindruck, dass wir damals immer noch genug lernten, bezweifle aber, dass das heutzutage auch nur ansatzweise noch der Fall ist. Meine Kinder lernen kaum noch auswendig.

Dabei gibt es wenig, das so sehr ein Zeichen gegen die internetbedingte Kahlschlag-Verflachung des menschlichen Geistes ist wie das auswendig lernen eines Gedichtes. Es ist nachgewiesen, dass längeres Arbeiten am Bildschirm die Fähigkeit zu komplexem Denken reduziert. Wer aber ein Gedicht aus der Zeit Schillers nicht nur in der Schule lesen, sondern verinnerlichen muss, setzt ein starkes Zeichen.

Wer sich die Mammut-Mühe macht, die „Kraniche des Ibikus" aus dem Jahr 1797 zu memorisieren, der erwirbt nicht nur kurz, sondern für sein ganzes Leben (!) die Fähigkeit, in die Denkwelt des endenden 18. Jahrhunderts einzutauchen. Und lernt ein wirklich tolles Gedicht mit supernatural twist am Ende. Machen Sie mal den Test, was Sie noch wissen. Ich behaupte, Sie bekommen noch einiges aus der Schulzeit zusammen. Zudem: Wann darf man heutzutage noch mit ganz entspannten Gesicht „Busen" sagen? („doch dem war kaum das Wort entfahren/ wollt er's im Busen gern bewahren…"). Na bitte.

Ich habe damals Gedichte gelernt, übrigens nicht gezwungenermaßen, ich konnte z. B. den „Totentanz" von Goethe und viele andere schöne Balladen. Wer jemals darüber stöhnte, den Anfang von „De bello gallico" auswendig lernen zu müssen oder den Beginn der Odyssee (ich spreche zu den humanistisch gedrillten unter meinen Lesern), kann sich jederzeit, zumindest für einige Absätze, rund 3.000 Jahre in der Denkwelt zurückversetzen. Das ist was in einer Zeit, in der 2010 schon ein alter Hut ist.

Ähnliches gilt für Jahreszahlen. Ich habe mit meinen Kindern einmal einen Zahlenstrahl ab der Zeit Jesu bis heute gezeichnet und wesentliche Ereignisse mit ihnen durchgegangen – und war erstaunt, wie viele Jahreszahlen ich noch im Hinterkopf hatte. Jahreszahlen aber schenken uns die Fähigkeit, Geschichte zu umfassen, ins Gedächtnis zu rufen, zu ordnen. Wie der unvergleichliche Otto v. Habsburg oft zu sagen pflegte: „wer nicht weiß, woher er kommt, weiß nicht, wohin er geht, weil er nicht weiß, wo er steht." Und all das, was die letzten rund 3000 Jahre geschehen ist, hat enorm viel mit uns zu tun. Nicht nur mit der Gesellschaft und der Welt, sondern mit jedem einzelnen von uns. Allerdings – ich muss diese Zahlen einmal im Schweiße meines Angesichts lernen.

Wir meinen, nichts mehr (auswendig) wissen zu müssen, weil wir alles auf unserem Handy im Internet nachsehen können. Mich haben immer jene Geschichten von Menschen fasziniert, die einige Monate oder Jahre in Isolationshaft zubringen mussten. Ohne Handy, das gab es erstaunlicherweise noch nicht. Glücklich diejenigen, die sich einen inneren Tagesablauf anlegen konnten, mit Balladen, die sie wiederholen, mit Geschichts- und Literaturstunden. Geordnet mit regelmäßigen Gebeten.

Alles auswendig. Alles immer abrufbar. Auch ohne Strom.

Wissen sie, ob Sie mal in Guantanamo eingesperrt sein werden? Mich motiviert das enorm. Auf geht's. Setzen Sie ein Zeichen. Der nächste Balladenschatz steht irgendwo im Regal und fängt Staub. Oder googlen Sie das Gedicht, wenn es nicht anders geht. Oder laden Sie meinetwegen auf youtube eine Lesung herunter und hören Sie sie so lange, bis Sie sie auswendig können.

Es lohnt sich.

PS: Was denken Sie, wenn der Kilometerzähler auf 800, 1740, 1871, 31 springt?)

Dr. Eduard Habsburg-Lothringen ist Autor, Drehbuchschreiber und Medienreferent von Bischof Klaus Küng. 

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Fußnote 375: Jetzt haben wir wieder etwas zu bewältigen! drucken

„Die Fünfziger Jahre“ des ORF, viel beworben, mit großem Aufwand produziert – dagegen ist „Braunschlag“ eine akribische Schilderung der Realität. Der Zeitgeschichtsunterricht des ORF ist ein einziges Ärgernis.

Worum es geht bei diesem großen ORF-Projekt über die 50er, 60er und 70er, das ist in den letzten Bemerkungen der ersten Folge klar geworden. Nachdem das Land, seine Menschen und ihr Leben in den 50ern in Wort und Bild polemisch heruntergemacht waren, wurde frohlockt: „Erst mit dem Ende der 60er Jahre sollte alles besser werden“. Natürlich: Wenn endlich nur mehr Sozialisten das Sagen haben.
Diese schrecklichen 50er hingegen waren eine einzige Schande - wo ganz Österreich nur über die Vergangenheit schwieg, wo es weiterhin ein Nazi-Land war, wo die Frauen Schürzchen trugen und Torten produzierten, wo man vom Auto träumte. Und nur wenige, wie die große Zeitgeschichtlerin Senta Berger uns belehrte, nicht die „Rose vom Wörthersee“, sondern Jazz hörten.
Ach was war dieses Österreich, was waren diese Österreicher doch schrecklich! Danke, lieber ORF, für diese grandiose Geschichtslektion!
Wir werden auch diese Vergangenheit endlich bewältigen müssen.
Man könnte das alles als eine weitere missglückte, dumme ORF-Sendung abtun, für die wir unsere Zwangsbeiträge abliefern dürfen. Aber: Geschichte schreibt, wer die Macht hat, sie zu fälschen. Und wenn derjenige auch noch im Namen eines nebulosen Bildungsauftrags zuschlägt und statt Tatsachen, Zusammenhängen und historischen Entwicklungen ein Zerrbild liefert, dann ist das gefährlich.
Hier wird indoktriniert, politisch korrekt gefälscht und großspurig Geschichte umgeschrieben. Für junge Menschen ist es aber ein glaubhaft scheinendes Abbild der damaligen Wirklichkeit. Deshalb kann man über diesen Aberwitz nicht einfach kommentarlos hinweggehen.
Man hätte sich im Übrigen das Geld für diesen Schund sparen können. Eine Wiederausstrahlung von Hugo Portischs „Österreich II“ wäre billiger gewesen. Und viel gescheiter.

 

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Der fünfte November: Ein denkwürdiger Jahrestag drucken

"Remember, remember the Fifth of November
Gunpowder, treason and plot;
I know of no reason why gunpowder treason
Should ever be forgot.“

Am fünften November des Jahres 1605 wurde ein Anschlag verhindert, der, wäre er geglückt, vermutlich ein politisches Erdbeben ausgelöst hätte – vergleichbar mit jenem, das die Attacken auf die Zwillingstürme des World Trade Centers im Jahr 2001 nach sich gezogen haben. Es geht um den „Gunpowder Plot“ auf das englische Parlamentsgebäude, dessen auf der Insel heute noch vielerorts gedacht wird.

Die Absicht des britischen Offiziers Guy Fawkes war es, einen Sprengstoffanschlag zu verüben, dem die gesamte politische und geistliche Elite Englands zum Opfer fallen sollte. Zu diesem Zweck wollte er am Tag der Parlamentseröffnung, wenn, neben großen Teilen des Hochadels und des hohen Klerus, auch König Jakob I. nebst Familie anwesend war, eine gewaltige Menge von zuvor im Keller des Gebäudes deponierten Schwarzpulvers zur Explosion bringen.

Der Plan scheiterte in letzter Sekunde durch den Verrat eines Mitverschwörers und hatte die Hinrichtung aller daran Beteiligen zur Folge.

Die Motive Guy Fawkes´ – nach Meinung von Witzbolden mit Sinn für britischen Humor – „der einzige Mann, der je ein Parlament in ehrlicher Absicht betreten hat“, bleiben an dieser Stelle unbeachtet. Es geht stattdessen um die Beschäftigung mit den Konsequenzen der Tat – wäre sie geglückt.

Wäre der Anschlag tatsächlich ausgeführt worden, hätte er England ins Chaos gestürzt. Der kollektive Ausfall der gesamten politischen Elite wäre schwer, wenn nicht unmöglich, zu verkraften gewesen. Da die Staatsgeschäfte damals – wie in jeder Monarchie mit starker Position des Königs – in den Händen eines kleinen Personenkreises ruhte, gab es auch keine jederzeit bereit stehende „Reservearmee“ potentiellen Ersatzpersonals. Ein intelligent, entschlossen und rücksichtslos ausgeführter Coup hätte es daher ermöglicht, schlagartig eine entscheidende Weichenstellung – in welcher Richtung auch immer – vorzunehmen.

Heute ist das anders: Die in modernen Demokratien alle Lebensbereiche durchdringende Politisierung der Gesellschaft bringt es mit sich, dass ein vergleichbarer Terroranschlag so gut wie keine nennenswerten Konsequenzen hätte. Würde Guy Fawkes heute in Österreich zuschlagen und 183 Abgeordnete, zwei Dutzend Minister und Staatssekretäre und den Bundespräsidenten zusammen ins Jenseits befördern – was hätte er gewonnen? Ein paar Tage danach wäre alles beim Alten: Anstatt der ersten wäre eben die zweite Garnitur am Ruder. Schließlich gibt es Abertausende von Möchtegernabgeordneten, -ministern und -präsidenten, die jederzeit dazu bereit stehen, an dem Punkt weiterzumachen, an dem man die Aktivitäten ihrer Vorgänger unterbrochen hat.

Angesichts der Jahrzehntelang erwiesenen Reformresistenz des rezenten Politsystems im Land der Hämmer, in dem selbst eine klitzekleine Verwaltungsvereinfachung – ganz zu schwiegen von einer veritablen Verfassungsreform – am Beharrungsvermögen von Tausendschaften wohlbestallter Privilegienritter scheitert, dürfte die Antwort auf die Frage, ob dessen vergleichsweise hohe „Regenerationsfähigkeit“ gut oder schlecht ist, nicht allzu schwer fallen…

Ludwig Mises stellt in „Die Bürokratie“ fest: „Wer seinen Mitmenschen nicht zu dienen in der Lage ist, will sie beherrschen." Ob das im Jahr 1605 auch auf Jakob I. zutraf, sei dahingestellt. Betrachtete der sich doch schließlich als von „Gottes Gnaden“ in sein Amt berufen. Zumindest theoretisch und durch glückliche Umstände bedingt konnte zu seiner Zeit tatsächlich ein charakterlich, geistig und körperlich dafür geeigneter Mensch an die Macht gelangen und diese behutsam und zum Vorteil seiner Untertanen einsetzen.

In der Massendemokratie dagegen gelangen – dank völlig verkehrter Anreize und Selektionsmechanismen – stets die skrupellosesten und gefährlichsten Individuen an die Macht. Ein aufrichtiger und ehrlicher Akteur hat im Wahlkampf einer modernen Demokratie, in der die Stimmen gezählt und nicht (mehr) gewogen werden, keinen Funken einer Chance, gewählt zu werden. Folglich wimmelt es in den politischen Führungszirkeln einer Massendemokratie von zu ehrlicher Arbeit ebenso unwilligen wie unfähigen, verschlagenen und bösartigen Individuen, die außerhalb dieses Habitats niemals in Führungspositionen gelangen würden.

Die meisten anständigen Menschen dagegen pflegen sich von der Politik möglichst weit fernzuhalten…

Fazit: Guy Fawkes würde sich unserer Tage wohl eher der Rosenzucht widmen. Dass nach dem Vorbild seines Konterfeis angefertigte Masken heute von linken Adoranten überbordender Staatsmacht getragen werden, wenn sie sich auf den Weg machen, die Wallstreet zu okkupieren, darf als Treppenwitz der Geschichte verbucht werden und wirft ein grelles Licht auf die Geschichtsvergessenheit unserer Tage…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Europa der Vaterländer – Vaterland Europa: Zehn Thesen drucken

Der konservativ-katholische Publizist und Denker trug die folgenden zehn Thesen bei einer Veranstaltung der Johannes-Messner-Gesellschaft in Wien vor. Diese Thesen haben mit ihrem anti-aufklärerischen, antiliberalen und anti-EU-Impetus viel Aufsehen und Widerspruch erregt. Das Tagebuch stellt sie daher hier zur Diskussion.

1. Die EU leugnet von ihrem ganzen Konzept her das Naturrecht der europäischen Völker auf nationale Existenz

Sie bezeichnet sich selbst als Schritt auf dem Weg zur Neuen Weltordnung, dem Ordo novus saeculorum. Ohne Respekt vor dem Naturrecht auf nationale Existenz verliert der Mensch seine kulturelle Identität, er wird zum vaterlandslosen Gesellen.

In seiner großen Rede vor der Generalversammlung der UNO vom 5. Oktober 1995 monierte Johannes Paul II. die Vernachlässigung der Rechte der Nation: „Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die 1948 angenommen wurde, hat ausführlich die Rechte der Persönlichkeit behandelt. Aber es gibt noch keine ähnliche internationale Vereinbarung, die angemessen die Rechte der Nationen aufgegriffen hätte“. Das Recht auf Existenz „schließt für jede Nation auch das Recht auf die eigene Sprache und Kultur ein, durch die ein Volk sich ausdrückt und die das fördern, was ich als die ihm eigene geistige Souveränität nennen möchte“. Dazu gehöre „das Recht (der Nation) ihr Leben nach den eigenen Überlieferungen zu gestalten, ihre Zukunft aufzubauen und für eine angemessene Ausbildung ihrer jüngeren Generation zu sorgen“. Gerade durch die Anerkennung der Rechte der Nation könne dem „explodieren Bedürfnis nach Identifikation und Überdauern“ Rechnung getragen werden.

In seiner Enzyklika Laborem exercens (über die menschliche Arbeit) lässt der Papst durchblicken, dass „die Volksgemeinschaft – auch wenn sie noch nicht die ausgereifte Form einer Nation erreicht hat – nicht nur die große, wenn auch mittelbare `Erzieherin´ jedes Menschen ist (da ja jeder sich in der Familie die Gehalte und Werte zu eigen macht, die in ihrer Gesamtheit die Kultur einer bestimmten Nation ausmachen), sondern sie auch die große und historische Inkarnation der Arbeit aller bisherigen Generationen verkörpert. All das bewirkt, dass der Mensch seine tiefste menschliche Identität mit der Zugehörigkeit zu einer Nation verbindet“.

Johannes Messner merkt an, dass die Nation „nicht treffender als mit Hegels Ausdruck `objektiver Geist´ gekennzeichnet werden (kann), weil sie unabhängig von jedem Einzelnen besteht, während doch jeder Einzelne darin geistig wurzelt". Im Volkstum, den Lebensformen, Sitten, Gebräuchen und Traditionen „erlebt sich das Volk als Gemeinschaft, lebt es die Gemeinschaft kraft institutioneller Bindungen und gibt es der geistigen Welt seiner Gemeinschaft die Dauer über die Generationen hinweg". Hier wird es sich „seiner Verbundenheit im gemeinsamen Schicksal" bewusst, nährt es die „Erinnerung … an seine gemeinsame Geschichte, an gemeinsame Bedrängnisse, Kriege und Siege, an seine Heldengestalten in näherer und ferner Vergangenheit, an die Krieger, Heiligen und Staatsmänner, durch die sich das Volk zu gemeinsamen Idealen aufgerufen sieht", so Johannes Messner in seinem berühmten „Naturrecht“.

Demgegenüber möchten die Ideologen eines Vereinten Europa den Nationalstaat in die Ecke des historisch Überholten rücken. Doch zu glauben, dass Briten, Dänen, Schweden, Polen oder Tschechen ihre Souveränität an einen europäischen Bundesstaat abtreten würden, ist Illusion. Selbst für Bundesstaaten wie Deutschland, Österreich, Belgien oder Spanien ist es einfach absurd zu glauben, sie würden praktisch alle wesentlichen Zuständigkeiten nach Brüssel übertragen und ihren Staat als leere Hüllen zurücklassen. Es wäre ja das auch gar nicht wünschenswert, denn Europa lebt und schöpft seine Stärke aus der Vielfalt – „l´Europe, c´est la diversité“, so der spanische Philosoph Salvador de Madariaga. Die durch die EU verfolgte Politik der Auflösung der Nationalstaaten ist eine „idée fausse“. Ihre Verbreitung gilt es zu verhindern.

2.  Wenn die Völker abgeschafft werden, schafft Europa sich ab

„Nicht nur Deutschland schafft sich ab, ganz Europa schafft sich ab“, bemerkte der Altabt von Heiligenkreuz, Gregor Graf Henkel von Donnersmarck, in einem Interview in einer Berliner Zeitung im Juni 2011. Er nahm dabei Bezug auf das Buch Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“.

Beide führten demographische Gründe ins Treffen. Die durch Zuwanderung gefüllten Leerräume führen zum Phänomen der „Ethnomorphose“, stellte der Wiener Zoologe und Verhaltensforscher, Antal Festetics de Tolna, schon vor Jahren fest. Wir erleben sie heute hautnah, denn „Neukölln ist überall“ (Bürgermeister von Neukölln Heinz Buschkowski).

3. Europa hat Christus verlassen, deshalb stirbt Europa. Ganz allein deshalb.

Dies notierte Dostojewski bereits 1871 in sein Tagebuch und machte dabei tiefere als bloß demographische Gründe geltend. 2007 gab Papst Benedikt XVI. in der Hofburg vor dem diplomatischen Corps und maßgeblichen Politikern seiner Befürchtung Ausdruck, dass in Europa wohl bald „nur noch die Steine vom Christentum reden“.

4. Der Untergang Europas ist besiegelt, weil es sich mit seiner heutigen modernen Weltanschauung, die sich aus einer pervertierten Aufklärung enrwickelt hat, verrannte

… bemerkte der schon erwähnte Altabt Gregor Henkel von Donnersmarck in drastischer Form. In der Tat ist die „Aufklärung“ (Enlightenment, Illumination) jene Geistesströmung der Neuzeit und Moderne, welche das Christentum abgelöst hat. Die drei Hügel, auf denen Europa einst erbaut war – Akropolis, Golgatha, Capitol – hat die „Aufklärung“ abgetragen. Jetzt ist die Rede von den „Drei Hügeln“ ist nur noch Nostalgie.

Die philosophischen Zierden der „Akropolis“ und der ganzen Antike, Platon und Aristoteles, gelten jetzt als „Feinde der offenen Gesellschaft“ und wurden von Sir Karl R. Popper, dem heute maßgeblichen Ideologen der „Aufklärung“, mit dem Bannfluch belegt. „The Spell of Plato“ ist der Titel des ersten Bandes seines berühmten Buches über „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“.

Auf Golgatha, so die Ansicht vieler „aufgeklärter“ Geister, fand ein Gotteslästerer seine verdiente Strafe: Die Behauptung, Jesus sei „wahrer Gott vom wahren Gott“, wie es im Credo heißt, ist für die „Aufklärung“ und ihren „kritischen Rationalismus“ unannehmbar, die Menschwerdung Gottes für Baruch Spinoza, der die moderne Aufklärung begründete, „eine Absurdität.“ Deshalb darf es nicht verwundern, dass im Kontext der EU die Kirche nur noch ein Kümmerdasein führt, sie gilt als „humanistischer Tendenzbetrieb“, etwa so wie Greenpeace oder die Liga für Menschenrechte. Doch im Gegensatz zu anderen „zivilgesellschaftlichen“ Vereinen muss sie sich mit dem Vorwurf von Daniel Goldhagen und Jules Isaac herumschlagen, sie sei für Antisemitismus und Holocaust verantwortlich.

Und auch der dritte Hügel, das Capitol, der für das römische Recht und die ganze europäische Rechtskultur von einst stand, ist abgetragen. Der Gedanke des „Naturrechts“, auf dem diese Rechtskultur gründete, „gilt heute als katholische Sonderlehre, über die außerhalb des katholischen Raums zu diskutieren sich nicht lohnen würde, so dass man sich schon beinahe schämt, das Wort überhaupt zu erwähnen“, war von Benedikt XVI. im Deutschen Bundestag (22. Sept. 2011) zu hören.  Selbst Naturwidriges gilt heute als „Naturrecht“. Die Folge: Wir haben keinen Rechtsstaat mehr, der das grundlegende Naturrecht auf Leben schützt. Mehr noch: Auf bald jedem Gipfel brechen die Staatschefs das Recht. Heute lässt sich die EU nur durch permanenten Rechtsbruch halten, so vor kurzem der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof und der zurückgetretene Chefvolkswirt der EZB, Jürgen Stark. Wo aber das Recht nicht herrscht, herrschen Räuberbanden und Korruption.

5. Der Rückzug des Christentums macht den Raum frei für das Wirken des Antichtist

Nach Paulus und Johannes also für den Menschen der Gottlosigkeit, den Verwirrer, den Lügner und Menschenmörder von Anfang an. Heute zeigt sich der Antichrist, so Kardinal Biffi bei den Fastenexerzitien im Vatikan 2007, als Pazifist, Ökumeniker und Ökologe.

6. Aus der pervertierten Aufklärung sind die Ideologien – die diversen „-ismen“ – hervor gegangen, die Heilslehren des Antichrist:

Kommunismus, Sozialismus, Nationalsozialismus, Globalismus, Kapitalismus, Ökonomismus,  Multikulturalismus, Genderismus, Demokratismus, Liberalismus, Pazifismus, Ökologismus, Ökumenismus. Alle diese „-ismen“ beruhen auf dem falschen Menschen- und Gesellschaftsbild der „Aufklärung“, das durch drei Marksteine gekennzeichnet ist:  Leugnung der Wahrheit, Diktatur des Relativismus und Evolutionismus als Weltanschauung.

Jetzt macht sich der Individualismus in der Gesellschaftsauffassung breit, der Hedonismus in der Individualethik, der Utilitarismus in der Gesellschaftsethik. Die organische Gesellschaftsauffassung ist verpönt, Gemeinwohl geht nicht mehr vor Eigenwohl, soziale Gerechtigkeit gilt für Liberale vom Schlage eines Friedrich A. von Hayek oder eines Hans Kelsen als „Unwort“.

7. Marktwirtschaft steht im Gegensatz zur organischen oder korporativen Gesellschafts- und Wirtschaftsauffassung

Marktwirtschaft ist Wettbewerbswirtschaft, das heißt Kampf um Marktanteile durch Ausschaltung der Konkurrenz. Mit der Verdrängung vom Markt verliert der Konkurrent seine Existenzgrundlage. Das bringt in das ganze Wirtschafts- und Gesellschaftsleben „eine grausenerregende Härte“ (Pius XI.). Heute sind Motor der Wirtschaftsentwicklung die Gier nach Profit und das Verlangen nach Macht. Beides bringt „Strukturen der Sünde“ hervor, worauf Johannes Paul II. hinwies (Enzyklika Sollicitudo rei socialis).

Wir begegnen diesen Strukturen in der Verschmelzung von Staat und Hochfinanz, von Staat und Großkonzernen, von Staat und Großforschung, in dem „militärisch-industriellen Komplex der Rüstung“, vor dem einst US-Präsident Eisenhower warnte, in der  Massenproduktion, dem Massenkonsum, der Massenunterhaltung, dem „Tittitainment“. Adorno und Horkheimer konstatierten als „Dialektik der Aufklärung“ das Umschlagen von Rationalität in Irrationalität. Geradezu fanatisch wird gearbeitet an der Zerstörung der Welt durch ABC-Waffen.

Spitzentechnik erlebt ihre Aufgipfelung in der Destruktion von Atomkern und Zellkern. Unsere „Überflussgesellschaft“ (Galbraith) lebt nicht mehr vom Anbau, sondern vom Abbau, sie verschwendet immense Ressourcen und gefährdet die Umwelt (Global 2000). Für viele Menschen wurde Verdinglichung und Entfremdung zum Schicksal. Selbst ihre Organe wurden inzwischen zum Gegenstand des Handels. Zur geistigen Korruption gesellt sich die wirtschaftliche.

8. Der gemeinsame Markt hat in Europa keinen Frieden gebracht, sondern Chaos

Heute wankt das ganze politische System. Nach der Reihe zerbrechen Regierungen, die Bevölkerung protestiert gegen die auferlegten „Sparprogramme“, Parlamente werden gestürmt, Gewerkschaften legen das Land lahm, Banken werden belagert, Autos werden abgefackelt, Geschäfte geplündert, ganze Stadtviertel beginnen zu „brennen“. Kaum noch gelingt es Polizei und Schutztruppen mit Knüppeln, Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen das Versinken in die Anarchie zu verhindern. Das soll Frieden sein? Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU „kurz vor ihrer Implosion“, bemerkte Andreas Unterberger ganz zurecht, war nur noch lächerlich und absurd.

Die bürgerlichen Vertreter, welche dem Markt friedensstiftende Wirkungen zuschrieben, merkten gar nicht, dass sie der Ideologie des „historischen Materialismus“ aus Marxismus oder Kommunismus aufgesessen waren: Der ökonomische Unterbau, so diese Ideologie, sollte den kulturellen Überbau, die Rechts- und Friedensordnung bestimmen. Jetzt entwickelt sich die Europäische Union schrittweise zu einem „sanften Monster" (Hans Magnus Enzensberger), zu einer Art EUdSSR (Bukowski, Vaclav Klaus). Hermann Kardinal Groer nannte bereits 1991 in einem Interview für die September-Nummer der katholischen Monatszeitschrift „30 Tage“ die EU ein „infernalisches Reich“.

9. Was Not tut ist die Rückkehr zu den Ursprüngen der Politischen Philosophie (Aristoteles, Platon, Augustinus, Messner)

Wir sollten endlich richtig denken lernen, uns nicht mit Sonntagsreden über die hehren „Werte“ der EU: Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat, abspeisen lassen. Wie soll der Bürger in einem Staat frei sein, wenn der Staat, wie der Deutsche Finanzminister Schäuble jüngst anmerkte, selbst nicht frei und unabhängig ist? Was bedeutet „Demokratie“, wenn sie nur noch „Ramsch“ ist, wie der Kulturredakteur der FAZ, Frank Schirrmacher, im Hinblick auf verweigerte Volksabstimmungen in Griechenland anmerkte.

Was ist der Rechtsstaat wert, wenn das Recht von EU- und Staatswegen ständig gebrochen wird? „Nicht mit der Lüge leben“, forderte A. Solschenizyn einst die sowjetische Führung auf. Es sollte auch unser Motto werden, mit dem wir Lüge und Arroganz der abgehobenen EU-Elite bekämpfen.

10. Organische, korporative Volkswirtschaft verlangt Abkehr vom gemeinsamen Markt

… von der Globalisierung, und fordert Zurückfinden zum aristotelischen Begriff der relativen Autarkie, zu einem richtig verstandenen „geschlossen Handelsstaat" eines Fichte, weil nur er das Recht auf Arbeit zu familiengerechtem Lohn gewährleisten kann. Wir können nicht mit chinesischen Löhnen konkurrieren. Unsere Produktionen nach China zu verlagern, kann nur in einem Desaster enden.

Und wir dürfen unsere Jugend nicht auf dem Altar des Euro opfern (H.-W. Sinn). Die Währungsunion ist gescheitert (Präsident Vaclav Klaus), ihre Gründung geschah in einem Anflug von „kollektivem Wahnsinn“ (UK-Außenminister Hague). Ihre Mitglieder befinden sich nun in einem „brennenden Haus mit geschlossenen Türen“. Jetzt wird versucht den Brand mit Benzin zu löschen, d.h. mit noch mehr Schuldenmacherei.

Der Euro ist eine „Fehlkonstruktion“ (Merkel, Schäuble), weil sie völlig inhomogenen Volkswirtschaften eine Zwangsjacke verpasste, ohne sie vorher in eine politische Union zu zwingen. Die Konstruktion des Euro beruhte auf zwei Prämissen:

  1. Jedes Land entscheidet weiter selbst über seine Haushalts- und Fiskalpolitik (Prinzip der Haushaltssouveränität).
  2. Es muss die Verantwortung für die Resultate seiner Politik tragen, es gibt kein Bailout.

Die Prinzipien wurden alle gebrochen. Deshalb müssen wir jetzt zu einem Europa zurück, in dem das Wohlergehen einer Nation nicht davon abhängt, wie gut oder schlecht sich eine andere europäische Nation organisiert. Wir müssen wieder das Prinzip der „Nichteinmischung“ beachten. Nur so werden wir den europäischen Frieden sichern können. Denn der beruht auch darauf, zu respektieren, dass jede Nation in Europa nach ihrer eigenen Facon glücklich werden kann. „Germanic rules“ passen nicht für alle. Wirtschaftliche Ordnung wird in Europa erst wieder nach der Rückkehr zu eigenen Währungen herrschen. Wird das in Österreich nur von Strache, Stronach und Bucher begriffen? Es wäre traurig.

Der Autor lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Er veröffentlichte zuletzt „Die Rechte der Nation“ (Stocker, Graz 2002), „Der Sinn der Geschichte“ (Regin-Verlag, Kiel 2011) und „ESM-Verfassungsputsch in Europa“ (Schnellroda 2012).
Er trug die zehn Thesen in Kurzform bei einer Veranstaltung der Johannes Messner-Gesellschaft am 17. Oktober 2012 im Curhaus am Stephansplatz in Wien vor. Thema der Veranstaltung war „Europa der Vaterländer – Vaterland Europa“.

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Österreichs seltsamer Feiertag – oder: Was, bitte, ist der Rest? drucken

Das ist heuer wohl der groteskeste Nationalfeiertag der österreichischen Geschichte. Denn ringsum – von Frank Stronach bis Norbert Darabos – ist endgültig jedes Bewusstsein verloren gegangen, an was der Tag eigentlich noch erinnern sollte. Und nirgendwo zeigen sich neue Inhalte, die einem National-Feiertag noch echtes Leben einhauchen könnten. Mit einer nachträglichen Ergänzung.

Gewiss: Der 26. Oktober hatte es immer schon schwer. In vielen Schulen wird seit Jahren rund um ihn primär über die Optimierung schulfreier Tage zur Gewinnung satter Herbstferien getüftelt – hat doch die Schulzeit zu diesem Zeitpunkt schon fast unerträglich lange zwei Monate gedauert. Genauso skurril waren die Zeiten eines Bundespräsidenten Franz Jonas: Dieser reduzierte den 26. Oktober – vielleicht wegen des da meist noch erträglichen Wetters? – auf einen National-Wandertag. 

Auch sonst wissen die meisten Österreicher über den Nationalfeiertag nur genauso viel wie über Fronleichnam oder die Marienfeiertage: Es ist halt schul- und arbeitsfrei. Und das hat jeder gern – bis auf die paar, die sich um die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs Sorgen machen. Das Warum ist an jedem dieser Tage total egal.

Der Beschluss des Jahres 1955 über ein Neutralitätsgesetz war freilich von Anfang an ein recht dünner Feier-Anlass. War jenes Gesetz doch bloß der im Nachhinein entrichtete – erzwungene und insbesondere bei den damals noch prowestlichen Sozialdemokraten ungeliebte – Kaufpreis an die Sowjets für den Staatsvertrag und das Ende der Besatzungszeit. Und dieser Anlass ist heute überhaupt ins kaum noch erkennbare Dunkel der Geschichte versunken.

Dennoch erstaunt es, wenn ein Privatsender den Nationalfeiertag ausgerechnet zum James-Bond-Tag erklärt. Offenbar haben die Herrschaften dort auch jenseits des Neutralitätsgesetzes absolut Null Bezug zum Thema Österreich.

Dennoch wäre es schön, wenn sich die Inseratenbastler von Frank Stronach wenigstens ein bisschen über den Tag informiert hätten. Feiern sie doch in großflächigen Einschaltungen seltsamerweise, dass wir an diesem Tag „unsere langersehnte Unabhängigkeit bekamen“. Nur zur Aufklärung für die Stronachisten (auch wenn der Ex-Industrielle sicher im nächsten Jahr kein Geld mehr zur inseratenmäßigen Motivation der Zeitungen ausgeben wird, werden doch dann die Wahlen jedenfalls schon vorbei sein): Österreichs Unabhängigkeitserklärung stammt aus dem April 1945; Hitlers endgültige Niederlage aus dem Mai des gleichen Jahres; der Staatsvertrag ebenfalls aus einem Mai; und der genaue Zeitpunkt des Abzugs des letzten Besatzungssoldaten – also der allerletzte Anknüpfungspunkt einer Feier der Unabhängigkeit – ist zwar umstritten, aber jedenfalls auch schon vor dem 26. Oktober 1955 gewesen.

Aber zugegeben, in Kanada muss man solche Details nicht wirklich mitbekommen. Und die von Stronach inzwischen als Statisten angeworbenen Hinterbänkler waren bisher maximal als Event-Organisatoren aufgefallen und nicht als Experten in Sachen Österreich.

Trotz dieser kollektiven Ahnungslosigkeit um den 26. Oktober ist es aber immer noch verblüffend, wie der Verteidigungsminister diesen Tag des Neutralitätsgesetzes nutzt. Mit diesem Gesetz hat das Parlament ja 1955 geschworen: Österreich werde seine Neutralität und Unabhängigkeit „mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen“.

Norbert Darabos eskaliert hingegen ausgerechnet rund um die traditionelle Schau des Bundesheeres seine Propaganda für die Demontage des Heeres. Dieses sollte seiner Meinung nach (und jener der Kronenzeitung) nicht mehr mit allen zu Gebote stehenden Mitteln – also insbesondere mit allen wehrfähigen jungen Männern – das Land verteidigen, sondern mit Hilfe von „Profis“. Von denen weiß man freilich nur, dass es viel weniger Mann sein werden als heute. Und dass es vermutlich eine negative Auswahl jener jungen Menschen sein wird, die sonst keinen Job finden. Das wird das Heer vermutlich zu einem Söldnerhaufen von bildungsfernen Zuwanderern machen.

Darabos kämpft Jedenfalls groteskerweise für dieses Demontage des Heeres, ohne das Neutralitätsgesetz auch nur irgendwie in Frage zu stellen. Das wäre wenigstens ehrlich und konsequent.

Unabhängig von diesen Widersprüchlichkeiten ist festzuhalten: Dieses Gesetz stellt heute einen totalen Anachronismus dar. Es ist schon durch EU-Beitritt, durch die Teilnahme an der Nato-Partnerschaft für den Frieden, durch die Teilnahme an EU-Kampftruppen mit friedensschaffendem Auftrag weitestgehend ausgehöhlt worden. Es passt nicht mehr in Zeiten, wo Österreich statt an der Front zwischen Ost und West inmitten eines Rings von Nato- und EU-Ländern liegt. Daraus sollte man eigentlich Konsequenzen ziehen. Wir halten ja auch nicht mehr den Westfälischen Frieden oder die Konstantinischen Schenkungen für relevant.

Jetzt soll also auch noch die Wehrpflicht als letzte sichtbare Folge der Neutralitätsverpflichtung abgeschafft werden; und dennoch soll das – einst aller Welt notifizierte! – Neutralitätsgesetz weiter unverändert Teil der Verfassung und des Völkerrechts bleiben. Aber nicht einmal mehr ÖVP oder FPÖ wagen auch nur andeutungsweise daran zu erinnern, dass sie einst eine mutige Diskussion über diesen Anachronismus Neutralität begonnen hatten.

Aber was soll‘s: Das Land ist ja auch nicht imstande, sonst irgendwie die Grundlagen seiner Sicherheitspolitik zu behandeln. Bis auf Phrasen gibt’s da von keiner Seite etwas zu hören. So diskutiert auch niemand über die eventuellen Vorteile einer internationalen Arbeitsteilung bei Sicherheitsaufgaben.

Oder wird das obsolete Neutralitätsgesetz etwa gar nur deswegen nicht entsorgt, weil man sonst nicht wüsste, wann denn das Land sonst seinen Nationalfeiertag haben sollte? Und den braucht man ja offenbar unbedingt. Zumindest damit die österreichischen Botschafter im Ausland einen Tag haben, an dem sie zum großen Sektempfang laden können. Sonstige Zwecke des Nationalfeiertages in seiner heutigen Gestalt fallen mir ja in der Schnelligkeit nicht wirklich ein.

Der Beschäftigung mit der eigenen Geschichte geht man in Österreich  völlig aus dem Weg. Das Gerücht etwa, dass es schon vor 1918 ein Österreich – gar auch ein Haus Österreich – gegeben haben soll, wird von der heutigen Politikergeneration ja für völlig unglaubwürdig gehalten.

Die ÖVP hat die Befassung mit der Geschichte des Landes aufgegeben, ohne es auch nur zu bemerken.

Die Geschichtsinstitute der Universitäten sind in einem Hostile takeover von lauter Linken besetzt worden und produzieren nur noch Absolventen ohne Wissen, lediglich mit antifaschistischen „Kompetenzen“.

Die SPÖ hat nur noch eine einzige, jedoch für einen Nationalfeiertag wenig passende Geschichts-Sicht: Bis Franz Vranitzky habe das Land aus lauter Nazis bestanden. Diese geistern angeblich selbst im Heldentor noch herum – das in Wahrheit ein Spiegelbild der österreichischen Geschichte der letzten 200 Jahre ist, und das mit seinem wunderbaren Kaiser-Spruch von der Gerechtigkeit als Grundlage der Herrschaft heute noch Anlass zur Besinnung geben könnte.  Aber der geistergläubige Darabos möchte das Tor am liebsten einreißen.

Umgekehrt tragen die noch länger als die Sozialdemokraten deutschnational gewesenen Freiheitlichen heute wohl sogar schon Tag und Nacht rot-weiß-rote Unterhosen, um nur ja bei dem von den anderen Parteien leichtfertig vernachlässigten Heimat+Vaterlands-Thema Glaubwürdigkeit erobern zu können. Ein historisch gewachsenes und fundiertes Identitätsbewusstsein wird man aber auch bei ihnen nicht finden.

Aber was dieses Österreich eigentlich ist, wo es herkommt, wo es hingeht – das interessiert niemanden. Was bleibt von ihm angesichts der Massenimmigration? Wozu ist das Land da, außer dass es seinen Einwohnern noch ein paar Jahre gut geht, bevor Schuldenkrise, Überalterung, Kinderverweigerung und Reformunwilligkeit in den Abgrund führen? Weder die Politik und noch weniger die sogenannte intellektuelle oder literarische Szene diskutiert solche Fragen. Dort finden sich nur Typen, die sich als bezahlte EU-Propagandisten oder Österreich-Beschimpfer eine einträgliche Nische gefunden haben.

Österreich, das ist der Rest, dekretierten nach dem ersten Weltkrieg zynisch die französischen Sieger. Aber was nur ist heute dieser Rest?

 PS.: In das Bild eines geschichtslos gewordenen Österreichs passte auch der Umstand, dass der ORF am Feiertag ausgerechnet einen Nazi-Film aus dem Jahr 1939 spielte. Offenbar glauben die dummen ORF-Menschen, dass bei jedem Film, wo Hans Moser, draufsteht, auch Österreich drinnen ist. Dabei war es ein raffiniert und geschickt gemachter NS-Propagandafilm, der den Ostmärkern vermitteln sollte, dass sie sich von ihrer degenerierten und französisch sprechenden Vergangenheit abwenden und den neuen bodenständigen un erdigen Nachbarn zuwenden sollen.

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Fußnote 359: Und jetzt noch ein Deserteursdenkmal drucken

Zwei Linksradikale haben sich geeinigt: Auf dem Wiener Ballhausplatz wird ein Deserteursdenkmal errichtet. (mit nachträglicher Ergänzung)

Sie treiben ihre Provokationen immer weiter. Jetzt auch noch durch Auswahl jenes Platzes für ein Deserteursdenkmal, auf dem das Bundesheer regelmäßig aufzumarschieren hat. Damit wird Desertion als oberste Soldatenpflicht symbolisch auch für die Gegenwart gepriesen, zumindest wenn es nach dem Willen der Herrn Mailath und Ellensohn geht. Ob da eigentlich die Bundesregierung noch ein Wörtchen mitzureden hat, wenn der Platz vor dem Amtssitz der obersten Organe von drittklassigen Lokalpolitikern für ihre eigentümliche Geschichtsauffassung annektiert wird? Und: Wie objektiv und konsistent ist wirklich heute die Sicht auf die Deserteure? Selbst im zweiten Weltkrieg finden sich darunter ja positive und negative Extreme. Die Deserteurs-Bandbreite reicht von helden- und heiligenhaften Gegnern des Krieges wie einem Franz Jägerstätter bis zu jenen Männern, die vor der Verfolgung wegen eines Diebstahls oder eines Mordes davongelaufen sind. Und bis zu jenen, die sich etwa im Süden aus voller Überzeugung kommunistischen Partisanen angeschlossen und dann in deren statt Hitlers Diensten getötet haben. Die Jägerstätter waren – leider – in der Minderheit.

Was die Sache besonders ärgerlich macht: Seit Jahren haben sich Bundeskanzler und Bundespräsident erfolglos bemüht, den republiks-wichtigen Platz vom löchrigen Asphalt bis zur Beleuchtung sanieren zu lassen. Das aber ist bei der zuständigen Gemeinde Wien immer auf tote Ohren gestoßen. Jetzt weiß man endlich, wofür in Wien immer Geld da ist.

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Der Staat und das Gold drucken

Der Besitz von Gold garantiert die persönliche Freiheit, während deren größte Bedrohung vom Staat ausgeht. Gold bedeutet deshalb Unabhängigkeit, weil sein Wert nicht vom Gutdünken Dritter – etwa einer Regierung – abhängt.

Das ist eine der zentralen Erkenntnisse des deutschen Ökonomen Guido Hülsmann. Er unterrichtet an der Universität von Angers Volkswirtschaftslehre. Hülsmann skizzierte diese Erkenntnisse dieser Tage auf einer Konferenz der von Hans-Hermann Hoppe ins Leben gerufenen „Property and Freedom Society“ in Bodrum.

Geld besitzt – vor allen anderen Gütern – die höchste Form von Liquidität. Besonders wichtig ist der Aspekt seiner „Mobilität“. Wer sein Vermögen z. B. in Grundstücken oder Fabriken angelegt hat, kann diese – im Gegensatz zu Geld – nicht einfach davontragen. Gold und Silber sind „natürliches Geld“, das ohne Zutun einer Regierung zustande kommt. Ihr Wert liegt in der inhärenten „physischen Qualität“, der Edelmetalle, nicht aber in einer Verpflichtung durch Dritte. Seltenheit, nicht beliebige Vermehrbarkeit, und hohe Kosten zur Förderung dieser Elemente stellen deren dauerhafte Werthaltigkeit sicher. Unsere heute gebräuchlichen Banknoten dagegen sind von den Notenbanken ausgegebene Schuldtitel, die – bei Wegfall des in sie gesetzten Vertrauens – augenblicklich wertlos werden. Dass die EZB den auf Euro lautenden Geldbestand in einem einzigen Jahr (2011) um ein Drittel erhöht hat, sollte zu denken geben.

Das Geschäft des Staates besteht in der Ausübung von Zwang. Etwa im Zwang, ihm, dem Staat, Geld zu für ihn günstigen Bedingungen zu leihen. Das dazu eingesetzte Mittel ist das der „Finanziellen Repression“ [was künstlich niedrig gehaltene Zinsen bei gleichzeitigen Kapitalmarktrestriktionen bedeutet, wodurch „Fluchtbewegungen“ der Sparer und Anleger verunmöglicht werden sollen, Anm.].

Schon früh erkannten die Herrschenden, dass das Eintreiben von Steuern aufwendig, personal- und kostenintensiv ist. Es lag also nahe, sich zur Staatsfinanzierung zunehmend des Mittels der Kreditfinanzierung durch das aufkommende Bankenwesen zu bedienen. Auf der ständigen Suche nach Möglichkeiten, die Staatseinnahmen zu erhöhen, finanzierten die regierenden Häuser bis zum 18. Jahrhundert Alchemisten, die Gold aus unedlen Metallen herstellen sollten. Mit der Erfindung papierener Banknoten, die einfach und zu geringen Kosten herzustellen waren, stand den Herrschern plötzlich eine bis dahin unbekannte, neue Option offen: Die Schaffung von Geld aus dem Nichts. Das „Fiat Money“ war erfunden. Während Besteuerung und Konfiskation Widerstände und erhebliche Kosten verursachten, war und ist die Geldherstellung nun so billig wie nie zuvor.

Papier statt Gold – Inflation statt Wert

„Geldverdünnung“ – also eine Inflationierung der Währung, ging ab diesem Zeitpunkt wesentlich einfacher vonstatten, als zu Zeiten der Metallwährung – als der Aufwand, den eine Münzverschlechterung (eine Reduktion des Edelmetallanteils der Münzen) bedeutete, recht erheblich war.

Mit der Einführung von Papierwährungen ging der Erlass von „Zahlkraftgesetzen“ Hand in Hand, die das staatlich erzeugte Papiergeld monopolisierten und damit vor der Konkurrenz durch echtes Geld bewahr(t)en. Mit dieser Maßnahme verbanden sich zwei bedeutsame Konsequenzen:

Zum einen ein Geldmengenwachstum, relativ zum Nationalprodukt [durch den Wegfall jeder technischen Restriktion, wie im Falle einer Metallwährung, Anm.], wodurch der Geldwert abnimmt. Die bis dahin übliche Form des „hortenden Sparens“ ist damit, wie Hülsmann es ausdrückt „suizidal“: Über längere Zeiträume hinweg verringert sich, selbst bei relativ moderaten Inflationsraten, die Kaufkraft von Ersparnissen deutlich. Die Folge ist eine verringerte Spar- und eine erhöhte Konsumneigung, wodurch das Preisniveau weiter steigt.

Zum anderen, dass es für die Regierung leichter wird, Zugriff auf privates Geld zu erlangen – etwa indem dem Publikum „sichere“ Staatsanleihen verkauft werden. 2010 beliefen sich die Anteile privater „Investitionen“ in Staatsanleihen in England auf 26 Prozent, Deutschland 35 Prozent, USA 27 Prozent und Japan 46 Prozent der privaten Geldvermögen.

Historisch lassen sich folgende vier Phasen der Währungspolitik abgrenzen: Zunächst wird Gold zum alleinigen Zahlungsmittel erklärt. Das hat zur Folge, dass Geschäfte des täglichen Bedarfs aufgrund der hohen Werthaltigkeit des gelben Metalls nur schwer abzuwickeln sind. An dieser Stelle kommen die Banken ins Spiel, die im Staatsauftrag als Goldsubstitute fungierende Banknoten herausgeben.

Darauf folgt eine „Verdünnung“ des Goldstandards. Weg von einer 100-prozentigen Deckung der Goldsubstitute – hin zum System Bretton Woods mit indirekter Goldbindung.

Danach wird eine völlige Trennung der Währung vom Gold vollzogen und damit ein vollständiges Fiatsystem geschaffen [das war am 15. 8. 1971 der Fall, als US-Präsident Nixon den bis dahin garantierten Umtausch des US-Dollar gegen Gold aufkündigte. Eine Feinunze Gold kostete zu diesem Zeitpunkt 35 US-Dollar].

In der letzten Phase schließlich (von 1971 bis heute) wird von den Staaten ein erbitterter Kampf gegen den unabhängigen „Geldkonkurrenten“ Gold geführt – und dessen Wechselkurs mit allen zu Gebote stehenden Mitteln gedrückt. Der Grund dafür ist weniger darin zu suchen, dass steigende Goldkurse ein Spiegelbild der frivolen Geldpolitik der Notenbanken darstellen, sondern vielmehr darin, dass Gold dem Bürger ein Mittel in die Hand gibt, dem staatlichen Zugriff auf sein Vermögen auszuweichen…

Kollektive Korruption

Auch Thorsten Polleit, Chefvolkswirt des deutschen Goldhandelshauses Degussa, widmete sich dem Thema Geld. Der Titel seines Vortrags: „Was wissen Banker über Geld und Bankwesen?“

Der Ökonom stellte ein Zitat des Gründers des Bankhauses Medici an den Beginn: „Halte dich stets außerhalb des Auges der Öffentlichkeit!“ Unsere Zivilisation ist dadurch bedingt, dass die zwischen den Individuen bestehenden Unterschiede im Können und Wollen zur Basis der freiwilligen Kooperation, Arbeitsteilung und des Austauschs werden. Die Entstehung von Geld bedeutet eine wesentliche Verbesserung der Tauschmöglichkeiten. Nach Carl Menger entsteht Geld „spontan“, verfügt selbst über Warencharakter und ist grundsätzlich ein Gut wie jedes andere.

Als das Bankwesen entstand, waren seine Aufgaben klar voneinander getrennt: In Depositen- und Investmentfunktion. Der für Ausleihungen verlangte Zins bildete die kumulierte Zeitpräferenz der Bankkunden ab. In einer freien Marktwirtschaft sind die beiden Bankfunktionen stets streng voneinander getrennt.

Nach Franz Oppenheimer gibt es nur zwei Arten, sich Einkommen zu verschaffen: Durch Produktion oder durch Raub. Produktion ist das „wirtschaftliche Mittel“, Raub, das „politische“. Räuber können zum einen als „Roving Bandits“, d. h. mobil agieren. In diesem Fall ist ihnen das weitere Schicksal ihrer Opfer egal, da sie diese mutmaßlich nie wieder sehen. Ihre hohe Zeitpräferenz (jetzt oder nie!) veranlasst sie daher zu deren maximaler Ausplünderung.

Ein Räuber kann zum anderen „stationär“ agieren. In diesem Fall gedenkt er wiederzukehren und ein dauerhaftes Einkommen aus seinen Opfern zu pressen. Er wird daher weniger brutal vorgehen, da er diese nicht vollständig ruinieren will. Seiner niedrigeren Zeitpräferenz entspricht eine geringere Plünderungsintensität. Es kommt ihm darauf an, den Wohlstand der Beraubten nicht zu zerstören, sondern möglichst in einem Ausmaß zu erhalten, dass auch künftige Raubzüge ertragreich bleiben. Um wen es sich bei diesem „stationären Banditen“ handelt, ist klar.

Die Schaffung „öffentlicher Güter“ bedeutet die Berufung des Staates (der Regierung) zu deren Verwalter. Banker, als die natürlichen Verbündeten der Regierung, haben ihr Ziel – die Aufhebung von Depositen- und Kreditfunktion ihrer Unternehmen – längst erreicht. Da nach Einführung des Teilreservesystems keine Bank mehr vor einem „Run“ sicher sein konnte, war die Schaffung einer Zentralbank als „lender of last ressort“ die logisch folgende – ebenfalls längst verwirklichte – Forderung. Die Zentralbank dient in diesem System als „Sicherungsinstrument“. Nun bedurfte es nur noch des staatlichen Geldmonopols, um ein 100-prozentiges Fiat-Geldsystem zu schaffen.

Die einzige Erklärung, weshalb gegen dieses Geldsystem nicht revoltiert wird, ist die „kollektive Korruption“ unserer Gesellschaft. Den Bankern fällt beim Prozess der Korrumpierung eine entscheidende Rolle zu. Durch die Erzeugung der Illusion, Geld – und damit vermeintlich Wohlstand – aus dem Nichts schaffen zu können, stellen sie allerdings die Weichen in Richtung Inflation. Einmal auf diesen Pfad eingeschwenkt, gibt es faktisch keine Umkehr. Die Dosis der ständig neu zu schaffenden Geldmenge muss ständig weiter erhöht werden. Am Ende steht die Hyperinflation.

Der Weg dahin ist leicht nachzuvollziehen: Die Massendemokratie zieht die Einführung von Fiat Money nach sich. Und ein Fiat-Money-System endet letztlich in der Hyperinflation. Wie genau die Menschen darauf reagieren werden, ist schwer zu sagen. Deshalb wiederholte Polleit am Ende seines Vortrags das an den Beginn gestellte Medici-Zitat: „Halte dich stets außerhalb des Auges der Öffentlichkeit!“

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Heldengedenken drucken

Wenn islamistische Sektierer aus primitiver Bilderfeindlichkeit heraus die historischen muslimischen Grabdenkmäler und Moscheen von Timbuktu zerstören, wie es gerade geschieht, dann geht ein empörtes Raunen durch die Weltpresse. Ob dieses dazu beiträgt, Reste jenes bemerkenswerten afrikanischen kulturellen Erbes zu bewahren, wird sich erst erweisen; die Empörung ist allerdings gerechtfertigt.

Wenn sozialistische Sektierer aus primitivem Vergangenheitshass heraus die historischen Stätten des Gedenkens an unsere ruhmreiche alte Armee zu zerstören beabsichtigen, findet sich in den heimischen steuergeldfinanzierten „Intelligenz“- und „Kultur“-Gazetten keine Empörung. Nach Luegerring und -denkmal, Novaragasse, Kaiserbildern in der Akademie der Bildenden Künste und Dollfußgrab ist nunmehr einer der zentralen Gedenkorte für die Gefallenen der beiden Weltkriege ins Visier progressivistischer Denkmalstürmerei geraten – Krypta und Atrium des Äußeren Burgtors.

Jene fünfschiffige Toranlage, den Heldenplatz in Wien zur Ringstraße hin begrenzend, ist ein bedeutendes Werk des heimischen Biedermeier-Klassizismus, 1821-1824 als Hauptdurchfahrt der nach den Befreiungskriegen wiederhergestellten und erweiterten Stadtmauer sowie in Erinnerung an die Völkerschlacht von Leipzig errichtet. Im Ersten Weltkrieg widmete man die Burgtoranlage dem allgemeinen Gefallenengedenken; ab 1934 wird sie dann mit qualitativ hochwertigen Skulpturen künstlerisch anspruchsvoll ausgestaltet, so vor allem mit dem liegenden, aus rötlichem Marmor gehauenen Gefallenen des Ersten Weltkrieges in der Krypta; mit an den Wänden der seitlichen Stiegenaufgänge angebrachten beeindruckenden militärischen Kopfplastiken, die Nationalitäten der Monarchie darstellend. Oben im Atrium befindet sich ein Steinschnittfries, den Kaiserlichen Soldaten von der Zeit des 30jährigen Krieges bis zum Ersten Weltkrieg zeigend.

In der vom Heldenplatz her rechts gelegenen Krypta wird der toten Soldaten beider Weltkriege gedacht. Dort sind auch dem ermordeten Erzherzog-Thronfolger Franz-Ferdinand sowie Kaiser Karl Inschriften gewidmet. In der links gelegenen Kriegergedächtniskapelle wird an die Opfer des Österreichischen Widerstandes erinnert. Im Atrium verweist ein mittig angebrachter großer kupferner Lorbeerkranz auf die Militär-Maria-Theresien-Ordensritter. Auch die Namen der siegreichen Feldherrn und Schlachten der Kaiserlichen und Königlichen Armee sind hier eingemeißelt.

Nun wurde vom sozialistischen Verteidigungsminister, zu dessen Ressort die Gedenkstätte im Burgtor offenbar gehört, diesen Sommer eine plötzliche Suche nach in der Krypta seinerzeit verborgenen „Nazi-Botschaften“ eingeleitet; diese führte zu einem zur Sensation aufgebauschten Fund zweier im Betonsockel der zentralen Marmorskulptur eingemauerter harmloser Texte – deutschnational-pazifistischen Charakters – von den beiden das Denkmal schaffenden Bildhauern stammend. So wie in diversen Grundsteinen von umfangreicheren Bauvorhaben auch heute Botschaften aus der Entstehungszeit eingemauert werden, so haben der Bildhauer Frass und sein später sozialdemokratisch engagierter Gehilfe damals Gleichartiges getan.

Frass mag damit auch Zeugnis abgelegt haben, dass sein künstlerisches Können über seine politische Voraussicht zu stellen ist, aber das gilt ja auch für zahlreiche Künstler der Gegenwart. Beide Texte, die politischen Widersprüchlichkeiten der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg widerspiegelnd, sind jedenfalls frei von Gehässigkeiten. Ihr Fund allerdings wird nunmehr vom Verteidigungsministerium zum Vorwand genommen, eine „Umgestaltung“ der Krypta anzukündigen.

Mediale Zurufe aus den bekannten Ecken ertönen und schwärmen bereits von einer „radikalen Erneuerung“ des Heldendenkmals und, darüber hinausgehend, des Heldenplatzes überhaupt. Genaue Vorhaben werden anscheinend vorerst geheim gehalten, die Zielrichtung aber ist klar erkennbar: Einerseits die Zerstörung jenes dominant der großen alten Armee gewidmeten Heldengedenkens im Äußeren Burgtor, andererseits die Etablierung einer weiteren Betroffenheitskultstätte ungerechtfertigter linker Selbstbeweihräucherung. Man kann nur hoffen, dass Vizekanzler Spindelegger endlich aufwacht und auf die Notbremse steigt.

Albert Pethö, Dr. phil., Jahrgang 1956, ist Historiker und Buchautor sowie Herausgeber der Zeitschrift „Die Weiße Rose – Zeitschrift gegen den Zeitgeist“ (http://www.die-weisse-rose.at)

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EU-Kommissar fordert Eurobonds und damit das Ende der EU drucken

Es gibt viele Arten, sich einen Tag so richtig zu vermiesen. Man könnte aus dem Bett fallen und sich den Fuß brechen. Man könnte seine Steuererklärung machen. Oder man liest das Interview mit dem EU-Kommissar für Beschäftigung und Soziales, Laszlo Andor, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Der Text fängt schon mal damit an, dass der Berater der ehemaligen sozialistischen Regierung in Ungarn Deutschland die Schuld an der Krise in die Schuhe schiebt, weil dieses sich erdreistet, zu wettbewerbsfähig zu sein. Der sprichwörtliche Fleiß der Deutschen verstärke die Ungleichheiten in der Eurozone. Darum bräuchten wir unbedingt „Eurobonds“, also EU-weite Staatsanleihen.

Staatsanleihen (Government Bonds) wurden erstmals ausgegeben von der Bank of England Ende des 17. Jahrhunderts. Die Regierung brauchte kurzfristig viel Geld für einen Krieg mit Frankreich, das sie sich von ihren Bürgern über Anleihen ausborgte und Jahrzehnte später, wenn der Krieg vorbei ist, mit Zinsen zurückzuzahlen gedachte. In der Zwischenzeit können die Bürger diese Anleihen an der Börse nach Herzenslust kaufen und verkaufen. Die Zinsen errechnen sich versicherungsmathematisch nach dem Ausfallsrisiko – sprich je höher das Vertrauen, dass diese Schulden nach Ablauf der Anleihe tatsächlich bedient werden, desto niedriger die Zinsen.

Dieser Zusammenhang ist für den Ausgang von Kriegen und als Auslöser von Revolutionen weitaus entscheidender, als Historiker gemeinhin annehmen. Aber bleiben wir bei der Gegenwart. Seit dem zweiten Weltkrieg haben moderne Staaten die völlig neue Angewohnheit, in Friedenszeiten neue Schulden zu machen – besser bekannt als „Wohlfahrtsstaat“ –, statt nur die vom letzten Krieg zu bezahlen. Die Staatsanleihen finanzieren also nicht mehr das kurzfristige Engagement eines Krieges, das im Frieden über Steuern zurückbezahlt wird. Sie füllen die Lücke zwischen Steuereinnahmen und den allseits beliebten Beglückungen des auf Ewigkeit angelegten Sozialstaates.

Für die Zinsen ist es nun entscheidender denn je, wie ein Staat strukturell aufgestellt ist. Unsere Sorgenkinder im Süden zahlen etwa doppelt so viel wie wir, weil ihre Steuereinnahmen niedriger sind, ihre Sozialsysteme defizitärer laufen, ihre Staatsverschuldung höher ist und ihre Wirtschaft weniger wettbewerbsfähig ist. Was tun? Man könnte sich nun die „reicheren“ Länder im Norden zum Vorbild nehmen. Oder man führt erst mal Eurobonds ein, damit alle Staaten von Deutschland bis Griechenland gleich viel Zinsen zahlen und es am Kapitalmarkt wurscht ist, ob ein Staat sich ernsthaft bemüht, seinen Haushalt halbwegs in Ordnung zu halten.

Griechenland und Konsorten sind mit dem ESM fürs erste aus dem Schneider. Jedes Wirtschaftswunder braucht seinen Marshall-Plan. Profitieren wir nicht letztlich alle, wenn stabile Volkswirtschaften ihren Nachbarn kurzfristig unter die Arme greifen, damit sie wieder auf die Füße kommen? Mit den Eurobonds könnten sie auch wieder billiger Kredite aufnehmen.

Aber: Würden sie dieses Kapital nützen, um ihre strukturellen Probleme zu lösen, Reformen durchführen, um langfristig wettbewerbsfähiger zu werden?

Nicht die Spur! Die tun nicht mal als ob! Stattdessen „empfiehlt“ die EU-Kommission Deutschland de facto, seine Wirtschaftsleistung zu drosseln. Damit es die anderen nicht so schwer haben. Und sollte sich Deutschland nicht an wirtschaftspolitisch grandiose Vorschläge der Kommission halten, wünscht sich der ungarische Kommissar wörtlich „die nötigen Mittel, um gegen die Staaten vorzugehen, die nichts gegen die Ungleichheit im Euroraum unternehmen“.

Dieses Mittel will nicht im gesamteuropäischen Interesse Staatshaushalte genauer kontrollieren, damit die Gemeinschaft früher einschreiten kann, wenn Griechenland mit den Budgetzahlen mogelt. Nein, es soll den Deutschen auf die Finger klopfen, dass diese bitte ihre Wirtschaft an die Wand fahren sollen.

Die EU sollte den Frieden sichern, indem sie Wohlstand fördert und nicht vernichtet. Wenn sie diesen Pfad verlässt, verliert sie ihre Existenzberechtigung.

Elisabeth Hennefeld ist ein liberal-konservativer Geist an der Universität Wien (unter Artenschutz). 

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Ehrerbietung für das Grab des Engelbert Dollfuß drucken

Engelbert Dollfuß wurde 1892 in Niederösterreich als Sohn eines Bauern geboren; im 1. Weltkrieg war er K.u.K. Oberleutnant und erhielt die Silberne Tapferkeitsmedaille. Er war ein bei seinen Leuten überaus beliebter Offizier. 1923 promovierte er an der Universität Wien; 1931 wurde er Minister und von 1932 bis 1934 war er Bundeskanzler.

Er verteidigte mit außerordentlichem strategischem Weitblick und großem Mut das Land sowohl gegen die Bedrohung durch die rote als auch durch die braune Seite. Dank seiner Entschlossenheit war Österreich das erste Land der Welt, das sich bewaffnet und zunächst auch erfolgreich gegen Hitler zur Wehr setzte. In diesem Abwehrkampf fielen die Sozialisten, einmal mehr ihre völlige Unzuverlässigkeit unter Beweis stellend, der Regierung Dollfuß durch ihren Putschversuch vom Februar 1934 in den Rücken.

Schon lange hatte die „Sozialdemokratie“ auf eine gewaltsame Machtübernahme spekuliert und über Jahre hinweg landesweit ausgiebige Vorbereitungen dafür getroffen. Sie scheiterte an der Konsequenz und Unnachgiebigkeit des Bundeskanzlers, der den gefährlichen Aufstand rasch und mit relativ geringem Blutvergießen beenden konnte. Hätte sich die rote Seite durchgesetzt, so wäre aller Wahrscheinlichkeit nach Österreich unter Einsatz revolutionären Terrors in eine Rätediktatur verwandelt worden, um dann wohl schon 1934 in national-sozialistische Hände zu fallen.

Das hätte dreieinhalb Jahre mehr der politischen Verfolgung durch den National-Sozialismus bedeutet. 1943 hätte es dann wohl auch keine „Moskauer Deklaration“ zur Wiederherstellung Österreichs als souveränen Staat gegeben und 1955 keinen Staatsvertrag – und statt des Abzuges der Besatzungstruppen die dauerhafte Teilung des Landes in eine Ost- und eine Westzone. Dollfuß, der ungeachtet aller gegen ihn gerichteten Drohungen die Freiheit Österreichs wirkungsvoll weiter verteidigte, wurde im Sommer 1934 beim braunen Putschversuch ermordet; die schon damals angestrebte national-sozialistische Machtübernahme scheiterte trotzdem.

Die geniale Politik des Engelbert Dollfuß sicherte ungeachtet seines Todes dem Land bis zum März 1938 die Unabhängigkeit; maßgeblich durch das Ungeschick und den Verrat der Westmächte konnte dann das international völlig alleingelassene und dem „Appeasement“ ausgelieferte Österreich „angeschlossen“ werden. Das Opfer seiner selbst, das Engelbert Dollfuß für Österreich gebracht hatte, wirkte aber fort und zeigte seine segensreiche Wirkung für die Menschen des Landes gerade auch nach 1945. Dollfuß ist, seinerzeit zu Recht als Held und Märtyrer bezeichnet, der bedeutendste Bundeskanzler in der bisherigen Geschichte Österreichs.

Dass sein Grab derzeit der öffentlichen Verächtlichmachung durch die Sozialisten und Linksalternativen der Wiener Stadtregierung ausgesetzt ist, dass keine Briefmarken, Denkmäler und Straßenamen an ihn erinnern, zeugt von der Gehässigkeit der Linken gegenüber einem Mann, von dem sie historisch widerlegt wurde und beweist darüber hinaus den grotesken Undank dieser Republik gegenüber einem der wenigen wahrhaft Großen in der politischen Geschichte des Landes seit 1918.

Alber Pethö, Dr. phil., Jahrgang 1956, ist Historiker und Buchautor sowie Herausgeber der Zeitschrift „Die Weiße Rose – Zeitschrift gegen den Zeitgeist“ (http://www.die-weisse-rose.at)

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Ein Bundeskanzler als Lügner „nichts Neues“? drucken

Die SPÖ verhindert die Vorladung Werner Faymanns vor den Untersuchungsausschuss mit der Behauptung: Dabei würde eh „Nichts Neues“ herauskommen. Eine absolute Ungeheuerlichkeit. Als ob es nichts Neues wäre, dass sich ein Bundeskanzler und sein Adlatus Ostermayer nach der Formulierung der Staatsanwaltschaft mit „Schutzbehauptungen“ verantwortet haben, also mit Lügen. Als ob es nichts Neues wäre, dass selbst die – später von ihren Vorgesetzten ob ihrer Milde korrigierte – Staatsanwaltschaft Wien gegen führende Staatsmanager sowie Faymann und Ostermayer lediglich „im Zweifel“ auf eine Anklage verzichten wollte. Als ob es nichts Neues wäre, dass die Oberstaatsanwaltschaft festhält, Faymann beziehungsweise sein Ministerium hätten unbedingt einen Teil der ÖBB-Inserate in der Krone und in „News“ zahlen müssen. Als ob es nichts Neues ist, dass die Oberstaatsanwaltschaft den amtierenden Regierungschef (und einige andere) mit einem heftigen Untreue-Verdacht versieht. (Mit einer nachträglichen Ergänzung)

Die inzwischen durchsickernden Formulierungen der Staatsanwaltschaft – und noch viel mehr jene der vom Justizministerium aktivierten Oberstaatsanwaltschaft – zertrümmern komplett die von den beiden SPÖ-Politikern regelmäßig gestreuten Aussagen über eine Bestätigung ihrer Unschuld durch die Strafverfolger.

Ein weiteres schon definitives Ergebnis der Ermittlungen: Faymann und Ostermayer sind damit die ersten Bundespolitiker seit Kurt Waldheim, die sich öffentlich als Lügner bezeichnen lassen müssen. Sie haben keine Chancen, sich vor Gericht dagegen mit Erfolg zu wehren. Wikipedia: „Bei einer Schutzbehauptung handelt es sich um eine falsche Aussage, welche getätigt wird, um die eigene Schuld zu verbergen und einer Strafe zu entkommen. Der Begriff wird auch verwendet, um nicht direkt von einer Lüge sprechen zu müssen.“

Keine Zweifel: Die Inseratenaufträge kamen von Faymann

Auch die schlussendlich Faymann-freundliche Staatsanwaltschaft Wien ist in ihrem Bericht (vom März 2012) zu einem für Faymann zumindest politisch katastrophalen Schluss gekommen. Sie schreibt in etwas holprigem Deutsch, „dass die Artikel in der Kleinen Zeitung sowie News vom BMVIT, mithin den Beschuldigten FAYMANN und OSTERMAYER in Auftrag gegeben, von ihnen die Fakturierung an die ASFINAG AG bzw. ÖBB Holding AG angeordnet, und schlussendlich die Bezahlung für die beiden Artikel tatsächlich von den genannten Unternehmen vorgenommen wurde“. Faymann und Ostermayer haben hingegen öffentlich wie vor der Staatsanwältin immer geleugnet, dass sie da einen „Auftrag gegeben“ oder etwas „angeordnet“ haben.

Die Staatsanwaltschaft hat diese zitierten Erkenntnisse mit der Gewissheit ausdrückenden Formulierung eingeleitet: „Jedenfalls als erwiesen kann angenommen werden . . .“

Und weiter: Auch bei den Einschaltungen im „Gewinn“, im „Heute“ und im „VOR-Magazin“ liege „der dringende Verdacht einer solchen Vorgangsweise nahe“. Dennoch meinte die Staatsanwältin der Unterinstanz verblüffenderweise, dass diese Inserate „ausschließlich“ einen Nutzen für die ÖBB beziehungsweise Asfinag gehabt hätten. Daher wollte sie nicht anklagen.

Keine Anklage, nur weil Schaden nicht genau bezifferbar ist?

Bei der Serie bezahlter Artikel in der Krone konnte sie das dann doch nicht so kühn formulieren. Aber auch da sah sie keine Möglichkeit einer Anklage. Dabei steht für sie „außer Zweifel, dass diese (Kampagne) inhaltlich auch den Zweck hatte, eine positive Auswirkung auf die öffentliche Meinung über die Tätigkeit des Beschuldigten Werner Faymann in seiner Eigenschaft als Verkehrsminister zu erzielen, somit auch eine Bewerbung seiner Person darstellte“.

Aber leider, leider kann man das dennoch nicht anklagen: Denn auch ein Werbesachverständiger könne nicht mehr die diversen Effekte der Kampagne betragsmäßig feststellen.

Mit dieser Aussage dürfte die Staatsanwältin an sich wohl auch Recht haben: Denn die inzwischen eingetrudelten Gutachten kommen nun in der Tat zu dem Schluss, dass der Werbe-Effekt beziehungsweise Schaden Jahre nachher nicht mehr feststellbar ist.

Faymanns wahrer Nutzen

Dennoch macht der Bericht der Staatsanwaltschaft absolut fassungslos. Denn der wichtigste Zweck der Inserate und der größte Nutzen für Faymann werden nicht einmal indirekt angesprochen: Dabei geht es nicht mehr um die Frage, wie viel Werbe-Nutzen der konkrete Inhalt der Inserate (beziehungsweise bezahlten Artikel) für wen hatte. Viel wichtiger ist der Nutzen, den Faymann aus dem durch die Schaltungen gewonnenen generellen Wohlwollen der Verleger gewonnen hat. Dieser hat sich in der extrem Faymann-euphorischen generellen Berichterstattung zumindest einiger bedachter Medien niedergeschlagen.

Das weiß jeder Medien- und Werbeexperte in Österreich bis auf jene Handvoll, die direkt im Sold der SPÖ stehen. Das könnte auch jeder dazu befragte Gutachter leicht im Nachhinein feststellen. Das ist aber offenbar von der Staatsanwaltschaft nicht begriffen worden. Oder man wollte es nicht begreifen, weil dann ja auch einige Medienfürsten ins Zwielicht gekommen wären.

Wie viele Zeugen braucht es, um einen Roten aufzuwiegen?

Zum zweiten großen Bereich: Auch die Anschuldigung des einstigen ÖBB-Chefs Martin Huber gegen Ostermayer wurden von der Wiener Staatsanwaltschaft aufs erste scheinbar ernst genommen. Sie spricht davon, „dass diese im Hinblick auf die vorliegenden Ermittlungsergebnisse keineswegs als völlig fern jeder Realität betrachtet werden kann“.

Dabei geht es um die Aussagen Hubers und zweier Zeugen, die von Huber informiert worden sind. Ihnen zufolge hat Ostermayer vom ÖBB-Chef eine (weitere) erkleckliche Summe aus dem ÖBB-Budget zur „Disposition“ für Faymann verlangt. Das wurde von Huber aber als rechtswidrig abgelehnt. Er wollte nicht noch einmal in das geraten, wohin ihn schon die Bezahlung der früheren Kronenzeitungs-Inserate gebracht hat. Wenig überraschend war er dann kurz nach diesem Nein seinen Posten los.

Für diesen schweren Vorwurf sprechen jedenfalls drei weitgehend kongruente Zeugenaussagen. Dagegen spricht naturgemäß die Aussage des Beschuldigten Ostermayers, aber auch die des bei dem Gespräch ebenfalls anwesenden ÖBB-Aufsichtsratschefs Pöchhacker, eines weiteren SPÖ-Mannes. Obwohl ihr die Verantwortung Ostermayers wörtlich „befremdend anmutet“, verzichtete die Staatsanwältin deshalb auch in diesem Punkt auf eine Anklage.

Sie verwies als Begründung darauf, dass Huber seinen Vorwurf gegen Ostermayer erst drei Jahre nachher „öffentlich“ erhoben habe. Was sie mit diesem Umstand eigentlich zu begründen versucht, bleibt freilich eher kryptisch. Denn die anderen beiden Belastungszeugen sind ja von Huber schon viel früher informiert worden, halt nur nicht die Öffentlichkeit. Und Huber hatte bei seinem Hinauswurf aus den ÖBB mutmaßlich viele andere Sorgen als diese Episode.

Zusammen mit der Pöchhacker-Aussage kommt die Staatsanwältin aber zu dem Schluss, „dass ein Schuldnachweis gegen Dr. Josef Ostermayer im Sinne der Vorwürfe des Mag. Martin Huber im Zweifel nicht zu erzielen sei“.

Drei Zeugen gegen einen genügen also nicht. Dazu fällt einem die einstige Verurteilung zahlreicher SPÖ-Granden nach der Waldheim-Affäre ein. Damals hat fast die ganze Partei geleugnet, die „braunen Flecken“ auf Waldheim selbst inszeniert zu haben. Lediglich die Mitschrift einer einzigen SPÖ-Dissidentin aus einer Parteisitzung erhielt dann gegen die gesamte Parteiführung die Glaubwürdigkeit zugesprochen. Und so wurde Fred Sinowatz der erste strafrechtlich verurteilte Bundeskanzler der Republik.

Aber offenbar haben sich die Regeln der Beweiswürdigung seither ins Gegenteil verschoben. So wie in archaischen Rechtssystemen, wo das Zeugnis einer Frau nicht so viel wiegt wie das eines Mannes, wiegt bei uns halt die eines roten Zeugen schwerer als jenes dreier Nicht-Roter. So einfach sind offenbar die geheimen Grundregeln der Justiz.

Die Sicht der Oberstaatsanwaltschaft ist deutlich schärfer

Drei Monate später wird dann – nach Einwirkung des Justizministeriums – die Oberstaatsanwaltschaft aktiv. Aus ihrer Stellungnahme ist eine deutlich schärfere und kritischere Sichtweise erkennbar. Aber auch sie erkennt nicht, dass der wahre, beabsichtigte und viel größere Nutzen für Faymann in der generellen Beeinflussung der Berichterstattung bestimmter Medien gelegen ist.  

Genau aus diesem Grund hat sich Faymann ja auch selbst in die Vergabe der Inserate und Kooperationen eingemischt, selbst dann, wenn keine versteckte Werbung für ihn darin zu finden war. Das hat vor ihm noch nie ein Minister gemacht. Die direkte Werbung für Faymann durch den Inhalt der Inserate (beziehungsweise bezahlten Artikel) war hingegen nur ein Nebeneffekt, bei manchen von ihm entrierten Inseraten war gar keine Faymann-Werbung zu finden. Aber alle dienten dem Aufbau von Faymanns Macht- und Beziehungsnetzwerk.

Daher greift der inzwischen erteilte Auftrag an Gutachter viel zu kurz, die den Nutzen beziehungsweise Schaden dieser zur Gänze von ÖBB und Asfinag, also zu Lasten der Allgemeinheit, bezahlten „Inserate“ auf Faymann bzw. die ÖBB aufteilen sollten. Woran sowohl der von Ostermayer wie auch der von der Staatsanwaltschaft bestellte Gutachter in der Tat weitgehend gescheitert sind.

Aber immerhin wurde von der OStA die Einvernahme der diversen Asfinag-Vorstände angeordnet. Deren Einvernahme hatte freilich das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung der (Unter-)Staatsanwaltschaft schon im September 2011 empfohlen. Das hatte diese aber damals ignoriert. Statt dessen hat sie daraufhin viele Vernehmungen nicht mehr wie meist üblich durch die erfahrenen Kriminalbeamten vornehmen lassen, sondern selbst durchgeführt.

Bei den noch unbekannten Aussagen der Ex-Asfinag-Chefs steht nun die Frage im Zentrum, ob diese der Meinung sind, dass jene von der Asfinag nie geplanten oder beauftragten oder budgetierten Inserate trotzdem zum Nutzen der Asfinag gewesen waren. Bereits unbestritten scheint jedenfalls auch für die Oberstaatsanwaltschaft, dass Faymann plus Ostermayer als „Geschäftsführer ohne Auftrag“ aktiv geworden sind. Was beide freilich nicht so sehen.

Das Verkehrsministerium hätte zahlen sollen

Die OStA kommt insbesondere in Hinblick auf Inserate in „News“ zu einer Einschätzung, die extrem der vor kurzem veröffentlichten Sichtweise des Rechnungshofs gleicht. Beide sind nämlich der Meinung, dass unbedingt das Verkehrsministerium einen Teil der Inserate zahlen hätte müssen und keinesfalls die ÖBB die ganze Rechnung. Wörtlich schreibt die OStA:

„Ursprünglich war daher offenbar eine Kostenbeteiligung des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie zugesagt, welche im Hinblick auf die im doppelseitigen Interview erfolgte Erwähnung von Werner FAYMANN, Mag. Michael HÄUPL und Rudolf SCHICKER auch als sachgerecht zu beurteilen ist. Eine Rechtsgrundlage für die erst nachträglich erfolgte „Kostenübernahme“ durch die ÖBB ist dem Akteninhalt allerdings nicht zu entnehmen.“

Lassen wir dahingestellt, warum eigentlich das Verkehrsministerium und nicht die Wiener SPÖ für Interviews mit den beiden Kommunalpolitikern Häupl und Schicker zahlen hätte sollen. Denn auch für das Verkehrsministerium zählt die Bewerbung dieser beiden wohl nicht zu den verfassungsrechtlichen Aufgaben.

Jedenfalls müssen die ÖBB das Geld bei Faymann einklagen

Entscheidend ist aber die Sicht der OStA, dass die ÖBB zumindest zum Teil zu Unrecht belastet worden sind. Was sie nicht schreibt, ist die Folgerung daraus: Selbst wenn das Verfahren trotz allem nicht zu einer Verurteilung Faymanns führen sollte, könnten die ÖBB diesen Geldbetrag vom SPÖ-Chef einfordern. Ja, sie müssten das sogar, um nicht durch eine Unterlassung wieder in Untreue-Verdacht zu geraten.

Die ÖBB „beschließen“ Werbekampagnen sieben Monate nach deren Beginn

Ganz besonders widmet sich die Oberstaatsanwaltschaft der von Faymann beauftragten Kampagne in der Kronenzeitung. Sie zeigt ausführlich, dass  es keine wirksame Zusage einer Kostenübernahme durch die ÖBB gegeben habe. Ein kurzes Gespräch Faymann-Huber vor Beginn der Kampagne habe nicht den dazu notwendigen Beschluss des ÖBB-Vorstands ersetzen können.

Mit großer Schärfe arbeitet die OStA heraus, dass die Serie der bezahlten redaktionellen Artikel schon im Jänner 2007 begonnen habe. Hingegen habe es erst im September jenes Jahres den eigentlich notwendig gewesenen ÖBB-Vorstandsbeschluss gegeben (dieses zeitliche Auseinanderklaffen ist der Wiener Staatsanwaltschaft nicht aufgefallen).

Die OStA kommt aber auch zu einer klaren Analyse in Hinblick auf den Inhalt der Kronenzeitungs-Artikel. Sie hält fest, „dass diese (Kampagne) jedenfalls im Zeitraum vom Jänner bis Juli 2007 eine Vielzahl von Missständen der ÖBB aufzeigte und der Eindruck vermittelt wurde, dass ausschließlich der damalige BM Werner Faymann und das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie die Geschicke und Verbesserungen der ÖBB in Händen hätten. Erst ab dem Artikel vom 17. August 2007 war eine inhaltliche Änderung der Kampagne erkennbar, weil ab diesem Zeitpunkt auch Verantwortliche der ÖBB in Interviews zu Wort kamen und Produkte der ÖBB (z.B. verbilligte Ticketformen, moderne Lokomotiven, etc.) beworben wurden.“

Daraus geht klar hervor, dass die zwei ÖBB-Vorstände zumindest für diesen Zeitraum keinesfalls die Rechnung der Krone bezahlen hätten dürfen. Denn die OStA führt wörtlich aus:

„Diese nachträgliche Genehmigung erfolgte aus derzeit nicht nachvollziehbaren Gründen und wäre damit als taugliche Missbrauchshandlung im Sinne des $ 153 StGB zu beurteilen“. Das ist der Untreue-Paragraph. Dieser Vorwurf schwebt primär über den zwei damaligen ÖBB-Vorständen, aber damit natürlich zugleich auch über den mutmaßlichen Anstiftern Faymann und Ostermayer.

Und weiter: „Der für die ÖBB geschaffene Nutzen ist nämlich hinsichtlich des Zeitraums von Jänner bis Juli 2007 nicht erkennbar, weil einerseits in der Kampagne ganz überwiegend nur bestehende Missstände der ÖBB erwähnt wurden und andererseits diese – nach dem durch die Kampagne vermittelten Eindruck – nicht durch die Verantwortlichen des Unternehmens selbst, sondern durch den BM Werner FAYMANN oder das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie beseitigt werden würden.“

Und noch konkreter: „Davon abgesehen wäre allerdings eine volle Kostentragung durch die ÖBB keinesfalls als sachgerecht zu beurteilen.“ Denn jedenfalls sei „ein unmittelbarer Werbenutzen“ Faymann selbst zugute gekommen. Deshalb hätte eine dem jeweiligen Nutzer entsprechende Aufteilung der Kosten stattfinden müssen.

Auch der Erpressungs-Verdacht lebt

Und zu für Ostermayer schlechter letzt wurde auch die Einstellung des Verfahrens gegen ihn wegen Erpressung als zumindest verfrüht dargestellt.

Das alles ist ein mehr als gewaltiger Brocken, der Beschuldigten mit weniger Realitätsverdrängungs-Fähigkeit als Faymann und Ostermayer wohl längst die Luft geraubt hätte.

Aber die SPÖ hält das alles nicht einmal einer Befragung Faymanns unter Wahrheitspflicht im Parlament für wert. Und will uns einreden, das sei ohnedies „nichts Neues“. Für wie blöd halten uns die eigentlich?

Warum reagieren die beiden Rechtsparteien so wenig engagiert darauf? Warum protestieren die Grünen zwar dagegen, aber entfachen zugleich einen für niemanden nachvollziehbaren Rechtsstreit um eine andere Frage, der total vom Thema Faymann ablenkt? Womit wird die ÖVP erpresst, dass sie dem die Mauer macht? Und warum schweigen fast alle Medien? 

ERGÄNZUNG: Was meinem Gedächtnis entschwunden war: Auch Bruno Kreisky wurde strafrechtlich verurteilt: wegen (sehr!) übler Nachrede gegen Simon Wiesenthal wurde über ihn die damals sehr saftige Strafe von 270.000 Schilling verhängt. Offenbar bin auch ich ein Opfer der zahllosen sozialdemokratischen Propagandisten und Gaiographen unter den sogenannten Geschichts-Professoren und Journalisten, die solche Episoden verdrängen.

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Normalfall Staatsbankrott drucken

Nichts ist normaler als das Bankrott-Gehen eines Staates. Lediglich in Europa tun heute manche so, als ob das ein Weltuntergang samt Rückkehr der Weimarer Republik und Adolf Hitlers wäre. Die einen tun so aus Eigeninteresse, weil sie weiter schmerzfrei vom Geld anderer leben wollen. Die anderen verwechseln aus historischer Ahnungslosigkeit die rund um den Euro entfachte Propaganda-Versprechungen ewiger Stabilität mit den Fakten. In Wahrheit hat die Welt nämlich in den letzten zwei Jahrhunderten weit mehr als 300 Staatsbankrotte hinnehmen müssen.

Der letzte Bankrott, der wirklich globale Wellen auslöste, passierte vor genau zehn Jahren in Argentinien. Auch Tausende Österreicher verloren damals viel Geld, das sie in die – theoretisch – hoch verzinsten argentinischen Staatspapiere gesteckt hatten. Für die Argentinier selber war der Beginn des Jahrtausends noch viel dramatischer: Nach dem Zusammenbruch der Staatsfinanzen wurden Supermärkte und Geschäfte geplündert; mehr als die Hälfte der Bevölkerung stürzte in fundamentale Armut; jeder vierte Job ging verloren.

Vom reichsten Land der Welt ins Armenhaus

Der Bankrott des Landes war umso erstaunlicher, als Argentinien nach dem letzten Weltkrieg in etlichen Vergleichsstudien als reichstes Land der Welt eingestuft worden war. Andererseits hatte das Land in den noch nicht ganz zwei Jahrhunderten seiner Unabhängigkeit nicht weniger als sieben Mal schon Bankrott anmelden müssen. Und der nationale Hang zu leichtfertigen Versprechungen, also zum Populismus, wurde insbesondere in der Peron-Ära wieder offenkundig.

Was war geschehen? Nun, die Parallelen zu aktuellen Krisen sind keineswegs zufällig. Buenos Aires hatte in den Jahren vor dem letzten Kollaps 2001/02 die nationale Währung, den argentinischen Peso, in einem fixen Verhältnis an den Dollar geknüpft. Das schien Politik und Bürgern eine Zeitlang sehr vorteilhaft, weil das Geld endlich seinen Wert behielt.

Gleichzeitig hatten sich aber alle staatlichen Kassen wie ein Stabsoffizier verschuldet, sodass das Land am Ende mit fast 170 Milliarden Euros belastet war. In den letzten Wochen vor dem Zusammenbruch wechselten einander dann 2001/02 im Staccato gleich vier Staatspräsidenten mit verzweifelten, aber scheiternden Versuchen einer Sanierung im letzten Augenblick ab. Eine besonders üble Rolle spielten dabei Provinzen und Verfassungsgerichte. Beide weigerten sich zu sparen. Bis zuletzt wurden Spardekrete von den Höchstrichtern als Eingriff in wohlerworbene Rechte von Vorteilsnehmern abgeschmettert. Zugleich stürmten die Menschen, solange man für Pesos noch Dollar bekam, die Banken – sowie die Fähren und Busse zum Nachbarn Uruguay, wo sie ihr Geld in Sicherheit zu bringen versuchten. Der nächste Schritt war daraufhin geradezu zwingend: Alle noch verbliebenen Bankguthaben wurden eingefroren; und die Menschen konnten nur noch geringfügige Beträge wöchentlich abheben.

Mindestens ebenso interessant und lehrreich ist aber auch der Weg der überraschend schnellen Erholung: Die Bindung an den Dollar wurde aufgegeben; der Peso wurde dramatisch abgewertet; damit gab es kaum noch Konsum von Importprodukten; und das Land konzentrierte sich wieder auf den Ausbau seiner Wettbewerbsfähigkeit: Die Exporte boomten, vom traditionellen Fleisch bis hin zur neu aufgebauten Autoindustrie. Dadurch konnte Argentinien bis 2005 schon wieder seine gesamten Schulden an den Internationalen Währungsfonds zurückzahlen (die privaten ausländischen Gläubiger blieben hingegen unbefriedigt).

Und heute? Da beginnt sich das Land schon wieder wie in den 80er Jahren übermütig und nationalistisch mit Großbritannien wegen der Falkland-Inseln anzulegen.

Die Vergesslichkeit der Menschen

Die dramatischen Parallelen der argentinischen Entwicklung bis zum Jahr 2002 mit jener des heutigen Griechenland brauchen wohl nicht mehr in jedem einzelnen Punkt gesondert aufgezeigt  zu werden. Das was für die Argentinier die Bindung an den Dollar war, ist für die Griechen die Bindung an die D-Mark, auch Euro genannt. Beides ist für traditionell undisziplinierte Länder nicht zu stemmen gewesen. Übrigens haben auch die Griechen – die so wie die Argentinier am Beginn des 19. Jahrhunderts unabhängig geworden sind – eine sehr innige Langzeit-Liaison mit der Institution Bankrott: Der griechische Staat ist seit 1829 nicht weniger als fünf Mal bankrott gegangen.

Offenbar braucht der Homo sapiens regelmäßige schmerzhafte Lehrstunden, weil er die Lektionen der Wirtschaftsgeschichte allzu rasch vergisst. Denn anders als durch Vergesslichkeit kann man es nicht erklären, dass vernünftige Menschen Argentinien oder Griechenland jemals Geld geborgt haben. Wie es auch bei anderen Staaten schwer verständlich erscheint, dass sie ihre Anleihen meist sehr leicht an die Geldgeber verkaufen können.

Das hat freilich außer der Lernunfähigkeit der Menschen noch einen weiteren Grund: Die Staaten zwingen durch eine Vielzahl von Regulierungen Banken und Versicherungen, einen guten Teil ihrer Gelder bei staatlichen Institutionen anzulegen (Weshalb weise Ökonomen auch heftig vor den Folgen der gegenwärtigen Modewelle warnen, Versicherungen und Banken immer noch mehr zu regulieren).

Zuerst der Krieg, dann der Bankrott

Blickt man in die Geschichte der Staatsbankrotte, dann gibt es neben dem Ursachen-Komplex „Schuldenmacherei populistischer Regierungen sowie Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit“ noch einen zweiten häufig vorkommenden Typus: verlorene Kriege.

Einige Beispiele besonders markanter Staatsbankrotte:

  • Deutschland musste nach beiden Kriegen (1923 und 1948) unter der Last der Kriegskosten, Kriegsschäden sowie Reparationen den Bankrott erklären.
  • England hat 1345 die Bedienung seiner im hundertjährigen Krieg mit Frankreich angelaufenen Schulden bei den – vor allem – Florentiner Banken eingestellt.
  • Österreich musste 1811 unter der Last der an Napoleon zu leistenden Reparationen und seiner schon vorher angelaufenen Schulden die Zahlungsunfähigkeit erklären.
  • Auch Dänemark musste als Folge der napoleonischen Kriege – und Verzehnfachung des Geldumlaufs! – kurz danach den Bankrott erklären.
  • Das Ottomanische Reich (Türkei) musste 1876 als Folge vieler Kriege auf dem Balkan und gegen Russland die finanziellen Segel streichen.
  • Das kommunistisch gewordene Russland lehnte 1918 die Zahlung jeder Schuld des Zarenreichs ab.
  • Der spanische König Philipp II. (der von Schiller zugunsten des in Wahrheit debilen Don Carlos so böse hinuntergeschrieben worden ist) musste wegen seiner vielen Kriege gegen Ottomanen, Franzosen, Engländer, Niederländer sowie seiner kolonialen Expansion gleich dreimal den Bankrott ausrufen (bevor Spanien dann durch die Ausbeutung der Kolonien für eine Zeitlang stabilisiert wurde).

Das waren nur die historisch spektakulärsten Staatsbankrotte. Diese Liste wird mit großer Sicherheit im zweiten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends durch interessante Exempel verlängert werden. Und auch nach diesen noch ausstehenden Beispielen wird sich wohl die Geschichte wiederholen: Dann werden Politik und Bevölkerung wieder einmal Dinge hinnehmen müssen, die ihnen vorher selbst in abgeschwächter Form völlig unzumutbar erschienen waren.

Denn natürlich bedeuten Staatsbankrotte für viele Menschen, Institutionen und „soziale Errungenschaften“ eine Katastrophe. Deswegen wurde ja immer versucht sie hinauszuschieben. Aber das hat in keinem der Exempel funktioniert – und die Folgen der Katastrophe immer nur noch mehr verschlimmert.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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Ein Geschichtsstudium ist schädlich für Sie und Ihre Mitmenschen drucken

Auf Zigarettenpackung finden sich seit Jahren abschreckende Informationen, die nun noch drastischer gestaltet werden sollen. Was man auch immer davon halten mag: Es gäbe jedenfalls gleich starke Argumente, auch vor bestimmten Studien zu warnen, insbesondere solchen an der Wiener Universität, wie etwa jenem der Geschichte.

Diese Warnung sollte sowohl Arbeitgeber wie auch junge, an Geschichte interessierte Studienanfänger erreichen. Die einen sind vor unzureichend qualifizierten Mitarbeitern zu warnen, die anderen vor einem perspektivenlosen Studium mit schlechtem Leumund.

Im Tagebuch ist ja schon mehrfach konkret über die blanke Ahnungslosigkeit von Magistern  berichtet worden, die dieses Studium absolviert haben. Diese Ahnungslosigkeit ist freilich zwingendes Ergebnis einer Auffassung, die Studenten narzisstisch mehr mit der eigenen Wissenschaft als mit dem vorgeblichen Objekt der Studien, also der Weltgeschichte, befasst. Überdies werden beim Wiener Geschichtsstudium Leistungsanforderungen als altmodisches Relikt angesehen.

Gleichzeitig sind als Erbschaft der fanatischen Erika Weinzierl in den letzten Jahren mit winzigen Rest-Ausnahmen fast alle Professuren linksradikal besetzt worden. Immer öfter berichten Studenten als Grundessenz ihrer universitären Erfahrungen, dass es fürs Durchkommen bei den meisten Professoren einzig wichtig ist, durch keine Äußerung gegen den „antifaschistischen“, „feministischen“, „antikapitalistischen“, „antiindustriellen“, „antiwestlichen“ und jedenfalls linken Mainstream aufzufallen. Lernen muss man dort hingegen dem linken 68er Selbstverständnis entsprechend nichts. Es werden nur noch „Kompetenzen“ statt blödem Wissen vermittelt. Die Kompetenzen bestehen primär im Repetieren dieser paar Adjektiva.

Der Studienplan für das nunmehrige Bachelor-Grundstudium setzt dem Ganzen nun die absolute Krone auf. Dort liest man nämlich in der offiziellen Information: „Im Verlauf des Studiums ist zumindest eine Lehrveranstaltung zu einem frauen- und geschlechtergeschichten (sic) Thema zu absolvieren.“ Das zeigt zum ersten, dass im Zuge der Genderei an der Universität die letzten Reste an Beherrschung der deutschen Sprache verlorengegangen sind. Dieser Zwang zu Gender-Lehrveranstaltungen ist aber auch eine starke Parallele zu den obligatorischen Marxismus-Leninismus-Veranstaltungen im einstigen Ostblock. Er zeigt eine totalitäre Indoktrination als Folge der feministischen Machtübernahme an der Universität.

Das passiert wohlgemerkt in einem akademischen „Geschichts“-Studium, bei dem man ganz offiziell auf die Befassung mit einer der vier großen Geschichtsepochen verzichten kann. Das heißt: Es gibt Absolventen des Studiums, die an dessen Ende nie von den alten Römern, den mittelalterlichen Kreuzzügen, der Aufklärung oder den Bürgerkriegen der Zwischenkriegszeit gehört haben. Auch die gerade in Zeiten wie diesen so wichtige Wirtschaftsgeschichte ist nicht obligatorisch. Dafür muss aber jeder ein „geschlechtergeschichten Thema“ gehört haben.

Aber was will man von einer Universität, deren Leitung sich mehr um die Straßenadresse als die Qualität ihrer Absolventen kümmert? Und die noch dazu ausdrücklich auf ihre Historiker stolz ist, obwohl dort praktisch nichts wirklich Relevantes mehr publiziert wird. Seit Jahren kommen ja fast alle spannenden Werke zur Geschichte und deren Deutung aus dem angelsächsischen Raum.

Wann sagen Politik und Steuerzahler endlich: Macht was ihr wollt, aber nicht um unser Geld? Ungebildete Arbeitslose zu produzieren, kann doch nicht der Zweck der ständig als notwendig behaupteten Forcierung von Universität und Wissenschaft sein.

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Medaillenregen auf Budapest drucken

Österreich-Ungarn in London vor Deutschland und Frankreich! 16 mal Gold, 10 mal Silber, 15 mal Bronze: Mit diesen 41 Medaillen erreichte Österreich-Ungarn den fünften Rang im Medaillenspiegel der 30. Olympischen Sommerspiele in London.

Maßgeblich für diese Bilanz, die nur von den USA, China, Großbritannien und dem Russischen Reich übertroffen wurde, waren die regionalen Sportverbände in Ungarn, Böhmen, Mähren, Kroatien und Slowenien. In diesem ehrenvollen Ranking wurden Medaillengewinner aus Galizien, Lodomerien, Südtirol, der Bukowina, Siebenbürgen, dem Banat, der Wojwodina und den Küstenlanden nicht mitgezählt, weil sie für ausländische Verbände an den Start gingen.

Mit seinen 16 Goldmedaillen übertraf Österreich-Ungarn zugleich Deutschland und Frankreich (je elf). Zwar konnten die deutsch sprechenden Gebiete Cisleithaniens zum Erfolg nichts beitragen, doch umso mehr glänzte Transleithanien, dessen Athleten aus dem magyarischen Kernland sich allein 17 Medaillen sicherten. Der Jubel in Wien kannte keine Grenzen.

Prof. Hans Haider ist ein renommierter Kulturjournalist und Autor, er war langjähriger Kulturressortleiter der „Presse“.

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Buchbesprechung: Das Ringen um die Freiheit drucken

Der spätere Nobelpreisträger Friedrich August v. Hayek erlangte mit seinem populären, 1944 erschienenen, Bestseller „Der Weg zur Knechtschaft“ Weltruhm. Seine 1960 publizierte „Verfassung der Freiheit“, weist ein in jeder Hinsicht anderes Format auf. Darin fasst der große Universalgelehrte seine Gedanken zu Fragen des Wesens und des Erhalts der individuellen Freiheit zusammen, deren Bewahrung er als entscheidendes Element einer freiheitlich verfassten Zivilisation betrachtet.

50 Jahre nach Erscheinen des Werkes ist es erstaunlich, wie hochaktuell es anmutet. Einige Passagen, wie etwa das Kapitel „Der Währungspolitische Rahmen“, sollten – nicht nur angesichts der Finanzkrise – eine Pflichtlektüre der politischen Klasse, von Bankern und Führungskräften der Wirtschaft darstellen.

Das besprochene Buch enthält eine Sammlung von Aufsätzen, die sich von unterschiedlichen Positionen aus mit den von Hayek behandelten Gedanken auseinandersetzen. Als Autoren fungieren Journalisten (zwei davon aus Österreich – der Betreiber dieser Plattform, Andreas Unterberger, und der Leiter des Wirtschaftsressorts der Wiener Tageszeitung „Die Presse“, Franz Schellhorn), aber auch Wirtschaftswissenschaftler und Protagonisten der liberalen Idee.

Wer Hayeks über 500 Seiten starkes Opus Magnum nicht gelesen hat, wird hier mit dessen zentralen Inhalten bekanntgemacht – so etwa mit der „negativen“ Definition von Freiheit als „Abwesenheit von Zwang“. Oder seiner vehementen Kritik an der „Anmaßung von Wissen“ durch die Machthaber, die immer wieder dem Größenwahn verfallen, der Gesellschaft jene Idealvorstellungen oktroyieren zu wollen, die sie am Reißbrett konstruiert haben – und damit regelmäßig scheitern. Wissen entsteht und entwickelt sich, nach Hayek, durch den Wettstreit der Ideen in den Köpfen aller Bürger – nicht nur in denen einer kleinen (selbsternannten) Elite.

Der vielfach übersehene Gegensatz von Demokratie und Liberalismus wird von Hayek durch die Benennung der jeweiligen Gegenteile beider Ordnungsprinzipien klargemacht: „Das Gegenteil der Demokratie ist eine autoritäre Regierung; das Gegenteil eines liberalen Systems ist ein totalitäres System.“ (…) Eine Demokratie kann totalitäre Gewalt ausüben, und es ist vorstellbar, daß eine autoritäre Regierung nach liberalen Prinzipien handelt.“ Diese Erkenntnis sollten sich alle jene hinter den Spiegel stecken, die eine Demokratie unkritisch in den Rang eines Heiligtums erheben. Demokratie bleibt stets ein Mittel, wird aber niemals selbst zum Ziel.

Auch dass Freiheit und (materielle) Ungleichheit wie siamesische Zwillinge zusammengehören, mag für manchen eine unangenehme Botschaft sein: „Freiheit erzeugt notwendig Ungleichheit und Gleichheit (materielle Gleichheit) notwendig Unfreiheit.“ Größte Vorsicht ist also gegenüber jenen Gesellschaftsklempnern geboten, die „Gerechtigkeit“ ausschließlich durch materielle Gleichheit verwirklicht sehen wollen – nicht aber durch Gleichheit vor dem Gesetz – die „Rule of Law“.

Wer materielle Gleichheit zu verwirklichen trachtet, dem steht als Mittel am Ende nichts weiter als Freiheitsberaubung zur Verfügung. Hayeks lebenslängliche Opposition zum „Sozialen“ wurzelt in dieser Erkenntnis. Dass er damit zum Feindbild von linken Gleichmachern und den Gewerkschaften wurde, macht seine Theorie für den überzeugten Liberalen nur umso attraktiver…

Hayeks Präferenz für die unter der Bezeichnung „Flat Tax“ besser bekannte Proportionalsteuer erklärt sich ebenfalls aus seinem Eintreten für die „Gleichheit vor dem Gesetz“. Jeder einkommensabhängig progressive Steuertarif ist notwendigerweise ein Produkt politischer Willkür – in der demokratischen Praxis schlichtweg die Konsequenz des Neides vermeintlich unterprivilegierter Mehrheiten.

Hayek, vielfach als „Konservativer“ eingeschätzt, begegnet diesem Missverständnis mit einer fulminanten Kritik am Konservativismus. Da es ihm an eigenen Zielvorstellungen mangle, würde er sich permanent von seinen (sozialistischen) Herausforderern vor sich hertreiben und in faule Kompromisse drängen lassen. Die ausschließliche Bewahrung des Überkommenen könne kein Programm sein. Lediglich Entwicklungen bremsen zu wollen, sei eine zu armselige Strategie, um für wache Geister attraktiv zu erscheinen. Seine langfristige Marginalisierung oder die völlige Verwässerung seiner Ideale sei die logische Konsequenz. Den Liberalismus sieht Hayek nicht auf einem linearen Schema in der Mitte zwischen Konservativismus und Sozialismus, sondern als einen der Eckpunkte eines (ungleichseitigen) Dreiecks.

Der in Philip Plickerts Beitrag thematisierte Unterschied zwischen der französischen und der englischen Version der Aufklärung ist für das Verständnis der Politik der EU im Zuge der aktuellen Krisenbewältigungsmaßnahmen sehr erhellend. Der „spekulative und rationalistische“, französische Ansatz hat offensichtlich vollständig über den englischen, „empirisch-unsystematischen“, triumphiert.

Die unterschiedliche Gartenarchitektur in Frankreich und England des 17. und 18. Jahrhunderts, spiegle die Differenzen in den beiden Denkansätzen wider: Am Reißbrett entworfene Künstlichkeit auf der einen und zurückhaltend geformte, am Ende aber sich selbst überlassene Natürlichkeit auf der anderen Seite. Der aus den Naturwissenschaften auf den Bereich der sozialen Interaktionen und des Wirtschaftens übertragene „französische“ Ansatz wurde von Hayek, der sich selbst in der Tradition der britischen „Old Whigs“ („Betonung auf old!“) sieht, stets heftig als „Anmaßung von Wissen“ kritisiert.

Ein „mechanistisches“, „szientistisches“ Weltbild führt zu konstruktivistischen, zentralistischen – ja größenwahnsinnigen – Utopien, die gegenwärtig auf das Narrenprojekt „Vereinigte Staaten von Europa“ hinauslaufen. Dass dies eine Entwicklung darstellt, die Hayek (wie auch große Ordoliberale wie Röpke oder Erhard) vehement abgelehnt haben würde, liegt auf der Hand.

Die Lektüre der „Verfassung der Freiheit“ kann durch das besprochene Buch nicht ersetzt werden. Immerhin aber bietet es eine hochinteressante, zeitgenössische Auseinandersetzung mit den Ideen eines der führenden Liberalen des 20. Jahrhunderts. Lesenswert!

Das Ringen um die Freiheit
Gerhard Schwarz, Michael Wohlgemuth, Hg.
Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2011
222 Seiten, broschiert
ISBN 978-3-03823-712-9
€ 42,-

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Von der Schuldenkrise zur Rechts- und Demokratiekrise drucken

Europas Bürger erkennen zunehmend, dass in den nächsten Jahren ein gewaltiger Raubzug auf ihr Erspartes stattfinden wird, sei es durch konfiskatorische Steuern, sei es durch Inflation. Tertium non datur, sagen die Lateiner. Eine dritte Möglichkeit ist denkunmöglich. Etwas noch viel Schlimmeres haben die Bürger aber noch nicht erkannt: Es läuft gleichzeitig auch eine Attacke auf Demokratie und Rechtsstaat. Mit dieser Attacke werden noch viel wertvollere Güter zerstört als „nur“ jene Ersparnisse, mit denen die Babyboomer-Generation ihr eigenes Alter finanzieren wollte.

Diese Generalattacke ist zuletzt etwa in unverblümten Forderungen des italienischen Ministerpräsidenten Monti offenkundig geworden. Er verlangt öffentlich, dass sich die Regierungen der EU-Staaten nicht mehr „vollständig durch die Entscheidungen ihrer eigenen Parlamente binden“ lassen. Die Regierungen müssten vielmehr „Handlungsfreiheit“ gewinnen.

Das ist nun ebenso ungeschminkt wie skandalös. Diese Aussagen sind umso bedenklicher, als sie von einem Mann kommen, den man bisher für integer und korrekt gehalten hat. Wenn schon ein Monti so offen autoritär spricht, wie viel intriganter und undemokratischer muss dann der Geist bei den vertraulichen Diskussionen der EU-Regierungschefs sein, wo beispielsweise auch Putschisten wie der rumänische Ministerpräsident mit am Tisch sitzen!

Was Monti verschweigt: Wenn die Regierungen nicht mehr “vollständig“ an die Parlamente gebunden sind, dann sind sie auch nicht mehr an die Wähler gebunden. Und dann sind sie auch nicht mehr an die Gesetze gebunden, welche die Parlamente beschlossen haben. Sie wollen „legibus solutus“ sein – um noch ein letztes Mal zur Sprache der alten Römer zu greifen –, also frei von der Bindung an Gesetze. So wie einst die römischen Cäsaren waren. Oder so wie die Herrn Haider, Martinz und Scheuch glaubten zu sein.

Diese Freiheit für die Regierungen heißt freilich nicht, dass sich parallel auch die Freiheit der Bürger erhöhen würde. Diese wird ganz im Gegenteil von einer immer enger werdenden Diktatur der Politischen Korrektheit eingeschnürt. Die pikanterweise ebenfalls von der EU ausgeht.

So hat eine von allen guten Geistern verlassene Staatsanwaltschaft jetzt einen Salzburger unter anderem deshalb angeklagt, weil er bei Facebook zu islamkritischen Äußerungen ein „gefällt mir“ angeklickt hat. Zum Glück wehren sich so wie in diesem Fall häufig noch unabhängige Richter gegen diese Attacken auf die Meinungsfreiheit und die universelle Anwendung des Strafbestands der „Verhetzung“.

Vor dessen Verschärfung ist ja gerade in diesem Tagebuch intensiv gewarnt worden. Sie ist aber dennoch unter Verweis auf EU-Entscheidungen weitgehend in die Gesetzesbücher aufgenommen worden. Schuld daran war primär die linke Sozialistin Maria Berger, die in der EU der Beschneidung der Meinungsfreiheit zugestimmt (und in Österreich die Sache geheimgehalten) hat. Mitschuld sind aber auch die beiden folgenden schwarzen Ministerinnen, die der Übernahme dieses Knebelungsparagraphen keinen merkbaren Widerstand entgegengesetzt haben.

Zurück zu Montis Forderung: Auch in der Wirtschaftskrise der 30er Jahre sind von faschistischen, kommunistischen, nationalsozialistischen Bewegungen die Parlamente als „Quatschbuden“ hinweggefegt worden. Das hat in der Folge Demokratie und Rechtsstaat vernichtet. Und nichts anderes steht jetzt in diesen Wochen auf dem Spiel – auch wenn uns allen die Ablenkung durch olympische Spiele viel sympathischer erscheint.

Schuldengemeinschaft schaltet nationale Parlamente aus

Eine Sprengung von Demokratie und Rechtsstaat bedeuten aber auch die in auffälligem Gleichklang dieser Tage von den Chefs der deutschen und österreichischen Sozialdemokraten erhobenen Forderungen nach einer radikalen Vergemeinschaftung der nationalen Schulden. Sigmar Gabriel verlangt diese Schuldenunion auf direktem Weg (und lässt sich dabei vom „Finanzexperten“ Jürgen Habermas unterstützen); Werner Faymann tut dies auf einem substanziell nicht sehr unterschiedlichen Weg, indem er unbegrenzte Kreditmöglichkeiten des „Rettungsfonds“ ESM bei der Europäischen Zentralbank verlangt. Was genauso eine Vergemeinschaftung der Schulden bedeutet.

Gabriel träumt davon, dass man die einzelnen Staaten im Gegenzug zu einer strengen Haushaltsdisziplin zwingen  könnte. Nur: Diese Disziplin stand schon in den Maastricht-Kriterien festgeschrieben und wurde fast ständig und fast von allen Mitgliedsstaaten ignoriert. Das wird mit absoluter Sicherheit auch in Zukunft geschehen. Denn keine Regierung Europas lässt sich die politische Gestaltung entwinden. Aber ohne direkten und brutalen Eingriff einer solchen Schuldengemeinschaft bei Schlüsselfragen wie Pensionsalter, Studiengebühren, Sozialleistungen, Förderungen usw. (also praktisch allen Themen, welche die nationale Politik bewegen) kann sich keine Haushaltsdisziplin ergeben.

Die von Gabriel&Co vorgeschlagene paneuropäische Haftung für all diese Geldverschwendung bedeutet eine völlige Ausschaltung der Budget- und Steuer-Hoheit der nationalen Parlamente. Sie bedeutet eine ebenso gravierende wie stillschweigende Gesamtänderung der österreichischen Verfassung. Eine solche wäre eigentlich nur auf dem Weg einer Volksabstimmung möglich. Interessanterweise verschweigen sich dazu die sonst so mediengeilen Mainstream-Juristen komplett, die sogar bei der harmlosen Einführung von verpflichtenden Volksabstimmungen nach Volksbegehren vor einer Gesamtänderung gewarnt haben.

EU-Krise macht mehr Sorgen als Korruption

Die Politiker erkennen, dass sie den Schuldenkurs nur noch bei einer weitgehenden Ausschaltung der Demokratie realisieren können. Die Bürger in Europas Nordländern spielen nämlich nach drei Jahren Verwirrungspolitik nicht mehr mit. Das zeigte etwa die jüngste Repräsentativumfrage von Imas: Denn bei dieser nannten die Österreicher unter jenen Punkten, die sie besonders beunruhigen, eine Sorge deutlich am häufigsten: „die Folgen der EU-Krise (Griechenland etc.) für Österreich“. Diese verängstigt sie weit mehr als die Stichworte „Korruption“ oder Dutzende andere Besorgnisse. Dabei widmen die Mainstream-Zeitungen seit Monaten der Korruption viel mehr Platz als der Schuldenkrise.

Die Bürger haben erkannt, warum es geht. Die Politik will aber dennoch auf ihrem Kurs weiterfahren und umgeht dabei zahllose Rechtsvorschriften.

So hat sie die präzisen Maastricht-Regeln mit ihren Defizit- und Schuldengrenzen ständig und brutal verletzt. So haben die EU-Regierungschefs schon das auf allerhöchstem Rechts-Level einbetonierte No-Bailout-Verbot einfach ausgehebelt (es hatte die Übernahme von Schulden einzelner Mitgliedsstaaten durch andere Staaten, EU oder EZB strikt verboten). So hat sich die Zentralbank wider ihrem diesbezüglich eindeutigen Statut um Hunderte Milliarden wackelige Anleihenpapiere aus südeuropäischen Staaten andrehen lassen.

Wie pleite ist die EZB?

Bei all diesen durch die faktische Macht der Politik ignorierten Rechtsregeln geht es aber genau um den Kern jener Bedingungen, die Länder wie (vor allem) Deutschland zur Vorbedingung eines Beitritts zur Währung gemacht haben. Dass diese glasklar verankerten Bedingungen einfach durch die Hintertür entsorgt wurden, ist der schlimmste politische und rechtliche Betrug der Nachkriegszeit.

Alle Finanzexperten wissen, dass die EZB bei korrekter Bilanzierung und Offenlegung aller Risken eigentlich pleite wäre. Aber korrekt bilanzieren muss ja nur der kleine Kaufmann, nicht die mächtigste Finanzinstitution des Kontinents. Dort wird vieles geheimgehalten.

Das alles ist wirtschaftlich verheerend, auch wenn es Regierungen, Mainstream-Medien und interessierte Kreise immer als Erfolg darstellen, sobald durch neue Schaffung von Papiergeld der akute Ausbruch der schon längst gegebenen Insolvenz wieder ein paar Wochen hinausgeschoben wird. Aber die Tatsache, dass all diese Rechtsbrüche noch nie von einem europäischen oder österreichischen Höchstgericht auch nur behandelt worden sind, ist noch viel übler. Wenn einmal das Vertrauen ins Rechtssystem zertrümmert worden ist, dann ist eine Gesellschaft auf viele Jahrzehnte kaputt.

Die Richter werden vielfach oft vor vollendete Tatsachen gestellt. In Österreich kann der Verfassungsgerichtshof etwa über den verantwortungslosen ESM-Beitritt überhaupt erst dann zu beraten beginnen, wenn dieser schon Realität ist, wenn er aber auf Grund des internationalen Rechts gar nicht mehr gekündigt werden kann. Und der Europäische Gerichtshof kann in den heikelsten Fragen nur dann aktiv werden, wenn ihn eine Regierung einschaltet. Aber keine Regierung wird gegen das klagen, was ihr Regierungschef oder ihre Minister selbst mitbeschlossen haben.

Karlsruhe als einzige Hoffnung

Die Richter sind aber ohnedies froh, nicht entscheiden zu müssen. Wird ihnen doch von Regierungen und Mainstream-Medien ständig Angst eingejagt, dass ein Veto gegen das ständige Nachschütten von Geldern in das bodenfreie Schuldenfass schlimme Folgen hätte. Was ja an sich auch stimmt: Denn bei einem Griechenland-Bankrott müsste die EZB von den Mitgliedsstaaten viele Milliarden einfordern, weil sie dann die Wertlosigkeit der griechischen Anleihen in ihren Tresoren endlich eingestehen müsste. Verschwiegen wird freilich, dass das ständige Nachschütten beziehungsweise Verschweigen noch viel dramatischere Folgen haben wird. Wenn auch erst einige Monate, im besten Fall zwei oder drei Jahre später.

Einzig das deutsche Oberstgericht in Karlsruhe hat nun die Möglichkeit, sich mit einiger Wirksamkeit der fundamentalen Zerstörung von Demokratie und Recht entgegenzustellen. Der parteiunabhängige deutsche Bundespräsident hat – im Gegensatz zum österreichischen – mutigerweise mit der Unterzeichnung des irreversiblen ESM-Vertrags zugewartet, bis die Richter dazu grünes Licht geben. Das hat die Berliner Regierung natürlich erzürnt. Das gibt aber Hoffnungen.

Ohne Recht keinen Frieden

Allerdings hat sich auch Karlsruhe schon mehrfach den von der Politik hergestellten faktischen Zwängen gebeugt. Mehrfach haben die dortigen Richter schon bei Änderungen des EU-Rechts gesagt: Bis hierher und nicht weiter! Weiter dürfe die Einschränkung der nationalen und parlamentarischen Rechte nicht gehen. Und dann ging es beim nächsten Mal halt doch wieder ein großes Stück weiter. Die Richter haben in ihrer Ängstlichkeit nie das große Nein gewagt.

Also überwiegt auch diesmal die Skepsis. Dabei müssten intelligente Richter zweifellos wissen, dass es längst um Demokratie und Rechtsstaat und nicht mehr „nur“ um den Euro geht.

Da kann man dem deutschen Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof nur zustimmen, wenn er jetzt schreibt: „Die EU steckt in der Krise, weil Recht missachtet wurde. Und wir spielen weiter mit dem Feuer: Eine Instabilität des Rechts wiegt schwerer als eine Instabilität der Finanzen.“ Deutlich weist er auch alle jene Sonntagsredner zurück, die die Schuldenpolitik als Friedenswerk verteidigen. Das Gegenteil ist wahr: „Ohne Recht gibt es keinen Frieden.“

PS: Bezeichnendes Detail am Rande: Die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben auch anderswo ein gebrochenes Verhältnis zum Recht. Sie nehmen in diesen Tagen sogar den Putsch im Mitgliedsland Rumänien weitestgehend tatenlos hin. Bis auf ein paar lendenlahme Erklärungen zeigt man sich gegenüber den rumänischen Putschisten hilflos. Dort hat die Regierung den Präsidenten einfach suspendiert. Sie setzt Höchstrichter massiv unter Druck und will nun im Nachhinein ein von ihr selbst durchgeführtes und dann verlorenes Referendum über die Präsidentenabsetzung für ungültig erklären. Sie will die von der Regierung selbst erstellten Wählerlisten nachträglich ändern. Solche Methoden und deren Ziele sind seit dem Berliner Reichstagsbrand allzu gut bekannt.

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Wenn der Boden wegkippt drucken

Neulich fuhr ich durch Wagram am Wagram, ein kleines langgezogenes Dorf an der Bahnlinie Krems-Wien; es schlängelt sich so von den Weinberghöhen herunter. Am Bahnübergang musste ich warten, und weil ich Zeit hatte, schlug ich den „Dehio" auf, den ich eigentlich immer dabei habe. Das ist ein echter Ziegel von einem Buch, 1500 Seiten und trotzdem im Taschenbuchformat, eine Art Baedeker für jedes Dorf in Niederösterreich nördlich der Donau. Unerlässlich für jeden Niederösterreicher, finde ich. Da steht dann etwas über die Dorfgeschichte und die älteren Häuser und die Flurdenkmäler – zumeist nur ein paar wenige Zeilen, so auch im Fall von Wagram.

Darunter so unschuldige Sätze wie: „Funde aus dem Aurignacien, dem frühen und mittleren Neolithikum, der Urnenfelderzeit usw…" Schau schau, dachte ich mir, dieses unscheinbare Dorf ist doch schon recht lange besiedelt.

Bis ich am Abend in der Einleitung des Dehio nachblätterte, um dieses Aurignacien zeitlich einzuordnen. Und ziemlich still wurde. Zum Vergleich: Die älteste Schrift der Welt stammt aus Ägypten und Mesopotamien, ca. 3000 v. Chr. Nach Griechenland kam sie 800 v. Chr., nach Rom 500 v. Chr. Zu uns über die Alpen 15 n. Chr. Und das Aurignacien, die Zeit, seit der Wagram am Wagram mit kleinen Unterbrechungen besiedelt war, ist vor ca. 40.000 bis 31.000 Jahren angesiedelt.

Das ist so ein Moment, wo der feste Boden unter den Füßen plötzlich zu etwas wie einem gläsernen, gähnenden Lift in die finsterste Urzeit wird, einem nicht enden wollenden Schacht nach unten. 2000 Jahre zurück, die Zeit Christi, das kann man sich noch irgendwie vorstellen. Und dann jenseits der Zeitenwende nochmals 3000 Jahre zurück, dann sind wir in etwa bei der ältesten Schrift. Vor 5.000 Jahren also. Und dann noch mal gute 30.000 Jahre zurück. Dreißigtausend! Und da haben schon Menschen in Wagram gelebt und von den Hügeln heruntergeschaut und sich über das milde Klima gefreut. Und es dauerte noch mal gute 10.000 Jahre, bis einige Kilometer weit weg in Willendorf jemand diese gewisse rundliche Figur verlor, Sie wissen schon…

Wenn ich nur anfange, mir die Zahl der Generationen, der gesamten, abgeschlossenen Menschenleben vor der Erfindung der Schrift vorzustellen, dann wird mir schwindelig. Solche Gedankenexperimente machen wir viel zu selten, denn sonst wären wir ein wenig demütiger mit all unseren selbstsicheren Gewissheiten des 21. Jahrhunderts.

Denn: Ist irgend eines dieser tausenden von Lebensaltern in irgendeiner Weise weniger voll, weniger wert als das meine gewesen?

Manchmal braucht man gar nicht weit vor die Haustüre zu treten, um die Grenzen des Denkens zu berühren

Dr. Eduard Habsburg-Lothringen ist Autor, Drehbuchschreiber und Medienreferent von Bischof Klaus Küng.

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Die roten Meinungsmacher (38): Linke Flügelkämpfe: Der Fall Niko Pelinka drucken

Eine nicht gerade besonders wichtige Personalentscheidung im ORF sorgt Ende 2011/Anfang 2012 für große Aufregung innerhalb und außerhalb der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt.

ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz verkündet einen Tag vor Weihnachten, dass er Niko Pelinka, den 25-jährigen Ex-Chef des SPÖ-Freundeskreises im ORF-Stiftungsrat und engen Vertrauten von SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas, zu seinem Bürochef machen wird.

„Der Druck aus der SPÖ-Parteizentrale auf Wrabetz ist offenbar zu groß geworden: Am Freitag machte er in einer Aussendung offiziell, was sich seit der ORF-Weihnachtsfeier Mitte Dezember inner- und außerhalb der ORF-Studios wie ein Lauffeuer verbreitet hatte: Niko Pelinka wird mit 1. Jänner Büroleiter von Alexander Wrabetz.“[i]

Pelinka, gehört zur „Nichten-und-Neffen-Brigade der Laura Rudas“[ii], die als die junge „Elitetruppe des Parteichefs“ [iii] gilt. Diese von Bundeskanzler Faymann protegierte Gruppe ist auch innerhalb der SPÖ und unter den vielen politisch links stehenden ORF-Redakteuren nicht unumstritten. Die Bestellung Pelinkas zum Bürochef löst deshalb einigen Unmut aus. Zudem passiert Wrabetz ein peinlicher Fauxpas: Erst Tage nach seiner Ankündigung wird die Stelle des Büroleiters offiziell in der amtlichen Wiener Zeitung ausgeschrieben.

Die linken Journalisten sind unerfreut

ZiB-2-Star Armin Wolf tut seinen Unmut öffentlich kund, weitere ORF-Redakteure folgen mit Kritik an der Personalie Pelinka. Armin Wolf in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Profil: „Die Geschichte geht mir nahe, weil sie dem ORF und der Glaubwürdigkeit der ORF-Journalisten schadet. Wenn die Zuseher den ORF für einen Regierungsfunk halten, dann werden sie der „ZiB“ nicht vertrauen.“[iv] Der Fall Pelinka beherrscht nun über Tage und Wochen die heimischen Medien.

Der Chefredakteur der linken Wochenzeitschrift Falter, Armin Turnher: „Die Unabhängigkeit des ORF sei in Gefahr, tönte dessen Redaktionsrat, Ankermann Armin Wolf rief per Twitter Menschen auf, sich um den Job des Wrabetz-Büroleiters zu bewerben, und Elfriede Jelinek erklärte das Ende für gekommen.“[v] Warum die Wogen so hochgehen deutet auch Florian Klenk im Falter, eher ungewollt, an. Er schreibt über Niko Pelinka: „‚Sozenschnösel‘ nennen ihn die Erzschnösel der Presse.“[vi]

Hier wird deutlich, es geht nicht so sehr um den tatsächlichen poltischen Einfluss, den die SPÖ bzw. die Linken ganz offensichtlich und ungeniert auf den ORF ausüben. Gegen linkslastige Berichterstattung haben weder ORF- noch Falter-Journalisten etwas einzuwenden, ganz im Gegenteil. Was sie vielmehr stört, ist, dass durch das ungeschickte und plumpe Vorgehen der SPÖ-Parteispitze der Einfluss der Sozialdemokraten auf den ORF für jeden offensichtlich geworden ist.

Dass die konservativen „Schnösel“, die Klenk offenbar nicht besonders mag, den linkslastigen ORF nun zu Recht kritisieren und attackieren können und nicht zuletzt, dass „Schnösel“ Niko Pelinka, selbst für biedere Sozialdemokraten und angepasste links-intellektuelle Printjournalisten nur schwer zu ertragen und zu akzeptieren ist, verstärkt die Unzufriedenheit der linken Medien. „In der SPÖ-Basis stehen ‚der Niko und seine Clique‘ für eine Generation, die nicht an die Lage der krisengebeutelten Genossen an der Gemeindebaufront, sondern an die eigenen Jobs denkt.“[vii],so Florian Klenk im Falter.

ORF unabhängig – aber nur von der Neffen-Brigade

Dass der ORF unter Einfluss der SPÖ steht, weiß natürlich auch Klenk, umso mehr ärgert es ihn, dass Niko Pelinka und seine Mentorin, SPÖ-Bundes-geschäftsführerin Laura Rudas, durch ihr tollpatschiges Vorgehen den Konservativen eine ideale Angriffsfläche bietet. Denn einen neutralen oder gar konservativ ausgerichteten ORF wollen weder Klenk noch seine Journalisten-Kollegen im ORF.

Es geht beim öffentlichen Aufschrei der ORF-Redakteure und den ihnen ideologisch nahstehenden Kollegen im Printbereich also nicht um den angeblichen Verlust der Unabhängigkeit, es ist vielmehr ein interner linker Konflikt um eine umstrittene Personalentscheidung und um das ungeschickte Vorgehen der „Nichten-und-Neffen-Brigade der Laura Rudas“.[viii] Der Aufstand der ORF-Mitarbeiter und vieler Journalisten ist vielmehr eine lautstark formulierte Kritik an der Politik und den Personalentscheidungen von Kanzler Werner Faymann. Die linken Intellektuellen innerhalb und außerhalb der SPÖ sehen in den politischen Protektionskindern, Niko Pelinka und Laura Rudas, keine echten Sozialdemokraten, sondern vielmehr ideologielose Karrieristen.

Einfluss auf den ORF ist die Mühe kaum noch wert

Und, die Zeiten und die Verhältnisse haben sich, einige Jahre nach dem Ende des ORF-Monopols, geändert. Die öffentlich-rechtliche Anstalt hat, aufgrund der privaten Konkurrenz aus dem In- und Ausland, ihren einstmals übermächtigen Status im Land verloren.

Die Marktanteile des ORF gehen kontinuierlich zurück, vorbei sind die Zeiten, als die halbe Nation um 19.30 Uhr andächtig vor dem Fernseher die ZiB 1 verfolgte. Vor allem die jungen Seher sind dem ORF in Scharen abhanden gekommen. Im November 2011 titelt der Standard: „Weniger Quote hatte ORF noch nie“[ix].

Mit den sinkenden Zuschauerzahlen sinkt auch die Bedeutung des ORF. Auch für die SPÖ. Denn was nützt den Sozialdemokraten ihr Einfluss auf die öffentlich-rechtliche Meinungsanstalt, wenn diese immer weniger Bürger, sprich Wähler, erreicht und zudem die Existenzberechtigung des Staatsfunks von immer mehr kritischen Menschen angezweifelt wird.

Die Wohltaten und Sonderrechte, die dem ORF und seinen Mitarbeitern über Jahre und Jahrzehnte vor allem auf Betreiben der SPÖ zuteil wurden, können eben nur aufrechterhalten werden, wenn die SPÖ einen echten Nutzen aus dieser Verbindung ziehen kann. Und dieser liegt primär oder ausschließlich in der Beeinflussung der öffentlichen Meinung zum Zweck der eigenen Machterhaltung, oder wie Autor Alexander Vodopivec bereits 1975 in seiner Analyse über die sozialistische Medienpolitik feststellte, um die „Stabilisierung einer sozialistisch-gewerkschaftlichen Dauerherrschaft“[x].

Der liberale Journalist Christian Ortner in der „Presse“: „Wirklich gebraucht wird der ORF trotzdem noch: Freilich nur noch von ein paar hundert Politikern, die dort regelmäßig ihr Gesicht raushalten dürfen, und den Mitarbeitern, deren komfortable Jahresgage von durchschnittlich 75.000 Euro eine relativ hohe Leidensprämie inkludieren dürfte. Mittlerweile ist diese Anstalt fast ausschließlich eine Anstalt zur Befriedigung der legitimen Bedürfnisse ihrer Angestellten und der weniger legitimen Bedürfnisse ihrer politischen Verfügungsberechtigten geworden, eine symbiotische Verstrickung von Politik und Politikunterworfenen mit dramatisch sinkender Relevanz für die Außenwelt.“[xi]

Wenn nun die Informationskompetenz durch das plumpe Vorgehen der SPÖ und der ORF-Führung die ohnehin schon schwer angeschlagene Glaubwürdigkeit weiter untergräbt und die Informationssendungen deshalb weitere Marktanteilsverluste hinnehmen müssen, dann werden die Fragen nach der Sinnhaftigkeit eines gebührenfinanzierten Rundfunks immer lauter und drängender und die Bereitschaft der SPÖ, den ORF zu verteidigen und zu beschützen, wird zudem abnehmen. Schließlich stoßen auch der ständig steigende Finanzierungsbedarf des ORF und die damit verbundenen regelmäßigen Gebührenerhöhungen in der Bevölkerung auf immer mehr Unverständnis, vor allem zu Zeiten einer Wirtschafts- und Finanzkrise.

Der Ruf verfällt: Panik setzt ein

Die Pelinka-Affäre schadet tatsächlich dem ohnehin schon angeschlagenen Image und der Glaubwürdigkeit des ORF, wie eine repräsentative Meinungsumfrage zeigt: „49 Prozent der Befragten, die von Pelinkas Bewerbung wissen, stimmen der Aussage zu: ,Der ORF gerät nun völlig unter den Einfluss der SPÖ.“[xii] Und „61 Prozent glauben, die Sozialdemokraten haben von allen Parteien im ORF am meisten zu sagen.“[xiii]

Keine rosigen Aussichten für die gut bezahlten ORF-Mitarbeiter. Ihre übertriebenen und beinahe panischen Reaktionen, schließlich ist ein Büroleiter eine eher untergeordnete Position ohne große Gestaltungsmöglichkeiten, sind nur aus dieser Perspektive verständlich und erklärbar. Zumal: „Wenn die SPÖ etwas von Wrabetz will, dann genügt doch ein Anruf von Medienstaatssekretär Ostermayer“[xiv], stellt Ex-SPÖ-Finanzminister Ferdinand Lacina trocken fest.

Über 1.300 ORF-Journalisten unterschreiben eine Petition[xv], in der ein „unabhängiger ORF“ gefordert wird. Unter anderem heißt es in dem Aufruf: „Wir fordern von der Geschäftsführung, alle Vorhaben, die das Ansehen des ORF als unabhängiges Medienunternehmen beschädigen, zurückzunehmen.“[xvi]

Doch für die Beschädigung des Ansehens sorgen nicht nur Wrabetz, Rudas und Pelinka. Fritz Dittlbacher, einer der empörten Redakteure, der bereits 1999 einen für die SPÖ unangenehmen TV-Beitrag entschärft haben soll,[xvii] ist just in den Tagen, als die Aufregung um Pelinka am größten ist, erneut in einen ähnlichen Fall involviert. Er soll gemeinsam mit dem Wortführer der ORF-Protestbewegung, Dieter Bornemann, einen für Bundeskanzler Werner Faymann unangenehmen Beitrag aus der ZiB gekippt und stattdessen durch eine relativ unverfängliche Moderation ersetzt haben. Es geht um Inserate, die Werner Faymann 2007 und 2008 als SPÖ-Infrastrukturminister bei der Asfinag bestellt haben soll.

Die rote Einflussnahme geht weiter

„Wie Die Presse jetzt erfahren hat, wurde auch in der ‚Zeit im Bild‘-Redaktion ein Beitrag zum Thema für die „ZiB" um 19.30 Uhr vorbereitet. Nur ist dieser 50 Sekunden lange Beitrag nie auf Sendung gegangen, auf die aktuellen Vorwürfe wurde nur in einer Moderation eingegangen.“[xviii]

Dittlbacher und Bornemann dementieren und sprechen von „Verschwörungstheorien“, die Entscheidung sei „aus rein journalistischen Gründen gefallen.“[xix]

Die Kampagne der ORF-Redakteure gegen „Sozenschnösel“ Pelinka, die breite mediale Unterstützung erfährt, zeigt schließlich Wirkung. Niko Pelinka wirft das Handtuch, er zieht seine Bewerbung als Büroleiter zurück.

Während die meisten Printmedien den Rückzug Pelinkas als Sieg der „heldenhaften“ ORF-Redakteure im Kampf um Unabhängigkeit und Objektivität feiern, analysiert Journalist Andreas Unterberger treffend:  „(…) damit hat sich der Rundfunk noch um keinen Millimeter in Richtung Pluralismus, Qualität und Ausgewogenheit verschoben. Vom Generaldirektor bis zum Chefredakteur der Fernsehinformation bleiben stramme SPÖ-Exponenten im Kommandosessel, ohne Unterbrechung durch einen Unabhängigen oder anders Gesinnten. (…) Der einzige Pluralismus bleibt dort einer zwischen grünen, trotzkistischen oder linksliberalen Seilschaften und den brav auf die Parteilinie Horchenden."[xx]

Nach der Aufregung um Pelinka ist nun wieder Ruhe am Küniglberg eingekehrt. Die Bedeutung und die Marktanteile des ORF schmelzen langsam aber kontinuierlich dahin, die Rundfunkgebühren steigen stetig und die ORF-Redakteure können nun wieder, von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt, ungehindert ihren „unabhängigen“ linken Journalismus pflegen. Die SPÖ wird künftig ihre Freunde und Vertrauten etwas diskreter in wichtige Positionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hieven.

Kurz: im ORF läuft alles wieder in gewohnten und „geordneten“ Bahnen, aber, so fragt sich der starke Mann in der österreichischen Sozialdemokratie, Wiens Bürgermeister Michael Häupl: „Was hat das mit der SPÖ zu tun?“[xxi]

Dies ist die letzte Folge der Serie „Die roten Meinungsmacher“.
Werner Reichel hat Ethnologie und Kommunikationswissenschaften studiert und ist seit vielen Jahren im Privatrundfunkbereich tätig und lehrt an einer Wiener Fachhochschule Radiojournalismus.
Die roten Meinungsmacher – SPÖ Rundfunkpolitik von 1945 bis heute“ ist im Handel erhältlich:
http://www.amazon.de/roten-Meinungsmacher-SP%C3%96-Rundfunkpolitik-1945-heute/dp/3868880461/ref=sr_1_sc_1?ie=UTF8&qid=1338905588&sr=8-1-spell
Nähere Infos zum Buch und zum Autor:
www.wernerreichel.at

Endnoten

[i] www.diepresse.com (24.12.2011).

[ii] www.andreas-unterberger.at (22.01,2012).

[iii] Ebenda.

[iv] www.profil.at (11.01.2011).

[v] Falter. 11.1.2012.

[vi] Falter. 11.1.2012.

[vii] Falter. 12.1.2012.

[viii] http://www.andreas-unterberger.at/2012/01/fusnote-254-niko-pelinka-ij-die-alten-linken-haben-gewonnen/ (21.1.2012).

[ix] Der Standard. 27.11.2011.

[x] Vodopivec. 1975.

[xi] Die Presse. 13.01.2012.

[xii] Der Standard. 14/15. 01. 2012.

[xiii] profil.at (23.1.2012).

[xiv] Falter. 12.1.2012.

[xv] Die Petition „Für einen unabhängigen ORF“ ist im Anhang zu finden.

[xvi] Siehe ORF-Petition „Für einen unabhängigen ORF“ im Anhang dieses Buches.

[xvii] Siehe Euro-Team-Affaire.

[xviii] diepresse.com (4.1.2012).

[xix] diepresse.com (9.1.2012).

[xx] www.andreas-unterberger.at (21.1.2012).

[xxi] www.kleinezeitung.at (10.1.2012).

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Die roten Meinungsmacher (37): Back To The Roots: Der neue schwache Mann im ORF drucken

Bereits kurz vor der Nationalratswahl sind im ORF die Weichen neu gestellt worden. Am 17. August wird Alexander Wrabetz vom Stiftungsrat zum ORF-Generaldirektor gewählt. Wrabetz hatte seinerzeit den Vorzugsstimmenwahlkampf von Josef Cap organsiert und war der Bundesvorsitzende des Verbandes Sozialistischer Studenten Österreichs.

Seine Vorgängerin Monika Lindner hatte sich ebenfalls der Wahl gestellt, sie hatte aber keine Chance. Die Wahl des ORF-Generaldirektors war eine Art Vorbote für die Niederlage der ÖVP bei der Nationalratswahl wenige Wochen später. Die Wahl von Wrabetz und Lindners Abwahl wurden durch die Stimmen der rot-grün-blau-orangen „Eritrea-Koalition“[i], wie sie ÖVP-Generalsekretär Lopatka nannte, möglich.

Dieses ungewöhnliche Stimmverhalten im ORF-Stiftungsrat – FPÖ und BZÖ votieren gemeinsam mit SPÖ und Grünen für einen roten Generaldirektor – hat verschiedene Gründe. „Lindner und Mück schafften es zwischendurch, FPÖ und BZÖ gleichermaßen zu vergrämen.“[ii]

So wollte der ORF die FPÖ, die nach der Spaltung des dritten Lagers nicht mehr in der Regierung vertreten war, bei den „Sommergesprächen“ nicht mehr berücksichtigen. Erst ein Spruch des Bundeskommunikationssenats zwingt den ORF zum Umdenken.[iii] Auch zwischen den Regierungspartnern ÖVP und BZÖ gibt es ständig Konflikte. BZÖ-Parteichef Peter Westenthaler will 2006 als Vizekanzler wahlkämpfen. Doch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel legt sich gegen diesen fliegenden Wechsel in der Regierung quer „Das erhöhte die orange Bereitschaft nicht gerade, für die schwarze ORF-Kandidatin zu stimmen.“[iv]

Das Desaster der Programmreform – Mitten im Achten

Die roten, grünen, blauen und orangen Stiftungsräte verbindet vor allem eines: Sie wollen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und der ungeliebten ÖVP eins auswischen. Der frischgebackene ORF-Chef muss sich bei seinen politisch höchst unterschiedlichen Unterstützern nach schlechter alter Tradition natürlich erkenntlich zeigen. Dementsprechend stellt Wrabetz sein neues Führungsteam zusammen. Mit Elmar Oberhauser als Infodirektor, Thomas Prantner als Onlinedirektor und Willy Mitsche als Hörfunkdirektor wird vor allem das BZÖ gut bedient.

Alexander Wrabetz hat sich für seine Amtszeit jedenfalls viel vorgenommen. Er kündigt wenig bescheiden die „größte Programmreform aller Zeiten“[v] an und verspricht dem heimischen TV-Publikum „das beste Fernsehprogramm, das es in Österreich je gegeben hat.“[vi]

Wrabetz erklärt die Sitcom „Mitten im 8en“, die um 19:20 auf ORF 1 läuft zum Kernstück seiner größten Reform aller Zeiten. Die Eigenproduktion soll wieder vermehrt junge Zuseher an den öffentlich-rechtlichen Sender binden. Der ORF bewirbt die Serie im Internet:

„Die österreichische Großproduktion versammelt eine bunt gemischte Truppe aus 13 Charakteren, deren Freuden und Leiden im achten Wiener Gemeindebezirk für kollektive Lachkrämpfe in den heimischen Wohnzimmern sorgen werden.“[vii]

Die groß angekündigte Großproduktion löst in den heimischen Wohnzimmern aber kaum Lachkrämpfe, dafür umso mehr Umschaltimpulse aus. Die Serie wird zu einem riesigen Flop. Die Quoten stürzen bereits nach der ersten Folge ins Bodenlose. Mit verschiedenen verzweifelten Maßnahmen versucht man die Serie noch zu retten, doch nach 56 ausgestrahlten Folgen wird schließlich die Notbremse gezogen und die ebenso teure wie erfolglose Serie eingestellt.

Wrabetz kommt – die Zuseher gehen

„Mitten im 8en ist aber nicht die einzige Baustelle im ORF“[viii], ätzt das Nachrichtenmagazin Profil. Auch viele andere Programminnovationen im Rahmen der größten Reform aller Zeiten fallen bei den Zusehern durch. „Im Vergleich zur viel kritisierten Ära Monika Lindner hat der neue ORF im April zehn Prozent Marktanteile verloren.“[ix]

In dieser Tonart geht es weiter. Unter Wrabetz gehen die Marktanteile und Reichweiten des ORF-Fernsehens kontinuierlich zurück.

[x]

Trotzdem gelingt Wrabetz das Kunststück, das zuvor nur Gerd Bacher geglückt ist, er wird am 9. August 2011 als ORF-Generaldirektor wiederbestellt.

Die SPÖ stellt 2011 mit Werner Faymann nicht nur den Bundeskanzler, sondern dominiert auch mit 15 roten Räten den ORF-Stiftungsrat. Wrabetz, dessen einziger Gegenkandidat der FPÖ-nahe Balkan Korrespondent Christian Wehrschütz ist, wird ohne Gegenstimme, bei sechs Stimmenthaltungen, wiedergewählt.

Vor seiner Wiederwahl soll Wrabetz „persönlich mit den Parteien verhandelt haben“[xi], zudem soll es „Absprachen um Landesdirektoren sowie Posten auf der zweiten und dritten Managementebene gegeben haben.“[xii] Dies dürfte auch der Grund sein, warum die schwarzen Stiftungsräte für Wrabetz gestimmt haben.

Trotz dieser Zugeständnisse an die ÖVP ist und bleibt Wrabetz ein Mann der SPÖ, wie der Fall Niko Pelinka eindrücklich unter Beweis stellt.

Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.
Werner Reichel hat Ethnologie und Kommunikationswissenschaften studiert und ist seit vielen Jahren im Privatrundfunkbereich tätig und lehrt an einer Wiener Fachhochschule Radiojournalismus.
Die roten Meinungsmacher – SPÖ Rundfunkpolitik von 1945 bis heute“ ist im Handel erhältlich:
http://www.amazon.de/roten-Meinungsmacher-SP%C3%96-Rundfunkpolitik-1945-heute/dp/3868880461/ref=sr_1_sc_1?ie=UTF8&qid=1338905588&sr=8-1-spell
Nähere Infos zum Buch und zum Autor:
www.wernerreichel.at

Endnoten

[i] Siehe Payrleitner. 2007. Seite 545.

[ii] Fidler.2008. Seite 365.

[iii] Siehe Fidler. Seite 365.

[iv] Fidler. 2008. Seite 365.

[v] ORF Presseaussendung (OTS). 22.2.2007.

[vi] Fidler. 2008. Seite 276.

[vii] http://tv.orf.at/groups/serie/pool/hinter_den_kulissen/story (24.1.2012).

[viii] http://www.profil.at/articles/0718/560/172357/orf-mitten-chaos (24.1.2012).

[ix] Ebenda.

[x] derstandard.at (2.2.2012).

[xi] http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/kultur/orf/2804678/orf-generaldirektor-wrabetz-stellt-sich-wiederwahl.story (24.1.2012).

[xii] Ebenda.

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Fußnote 321: Die Gegenwart aufarbeiten! drucken

Norbert Darabos, der Minister von der traurigen Gestalt, verkündete mit bebender Stimme den „sensationellen“ Fund der im Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs versteckten Kapsel. Bildhauer Wilhelm Frass hatte darin 1935 ein flammendes nationalsozialistisches Bekenntnis versteckt. Wieder ein Mosaiksteinchen zur Aufarbeitung unserer Geschichte, verkündete Darabos. Das in der selben Kapsel enthaltene pazifistische Bekenntnis des zweiten Bildhauers, Alfons Riedel, versetzte ihn hingegen kaum in Entzücken.

Dabei könnte man den Kapselfund gerade deshalb auch als Mosaiksteinchen zur Aufarbeitung der Gegenwart verstehen.
Ständig erklären uns Künstler unsere österreichische Welt. Besonders intensiv natürlich seit der Regierungsbildung im Jahr 2000. Sie sagen uns mit dem Pathos von Demiurgen, wen wir wählen dürfen und wen nicht, wer regieren darf und wer nicht, wer böse ist und wer gut. Mit dem Aplomb des erleuchteten Sehers fordern sie „Wehret den Anfängen!“
Als wären sie berufen, unfehlbare Hüter der nationalen Moral zu sein.
Und Mainstream-Medien wie Staats-Funk bieten ihnen die schier unermessliche Plattform dafür.
Dass sich Künstler genauso oft irren, dass sie genauso oft mit den Mächtigen laufen (vielleicht sogar ein bisschen öfter, weil die Mächtigen ja auch den wohligen Subventionsregen über sie ausschütten können) wie jeder andere Bürger auch, das ist in der Gegenwart so, wie es in der Vergangenheit war. Wer das vergessen hat, den könnte die Kapsel daran erinnern.
Und dann könnte man uns vor den moraltriefenden Plattitüden politisierender Selbstdarsteller bewahren.

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Die roten Meinungsmacher (36): S.O.S. Rotfunk: Die Ära Monika Lindner drucken

Das ORF-Gesetz dient der schwarz–blauen Regierung auch dazu, den ungeliebten ORF-Chef Gerhard Weis vorzeitig loszuwerden. Weis wollte 2002, mit Ende seiner Funktionsperiode, den Hut nehmen und sich in die gut bezahlte Pension verabschieden.

Als Nachfolger hatte er bereits für seine sozialdemokratischen Freunde Alexander Wrabetz, den kaufmännischen Direktor des ORF, aufgebaut. FPÖ und ÖVP wollen aber nicht warten, bis Weis 2002 von selbst geht und auch Wrabetz, der von SPÖ und Weis auserkorene Kronprinz, hatte nach der politischen Wende (zumindest vorerst) keine Chance mehr auf den ORF-Thron. Durch die Verschiebung der Machtverhältnisse im Nationalrat haben ÖVP und FPÖ nun auch die Mehrheit im ORF-Aufsichtsrat.

Dem Rotfunk wollen die beiden Regierungsparteien ein möglichst rasches Ende bereiten. Dafür braucht es an der Spitze der Anstalt eine neue Kraft, obwohl sich der „bürgerliche“ Gerhard Weis in den langen Jahren seines Wirkens am Küniglberg in politischen Belangen stets als äußerst flexibel und wendig erwiesen hat. Nachdem einige der Wunschkandidaten der ÖVP einen Korb geben, etwa Styria-Vorstandsvorsitzender Horst Pirker oder Premiere-Chef Georg Kofler[i], fällt die Wahl auf Monika Lindner, ORF-Landesdirektorin in Niederösterreich.

Am 21.12.2001 wird Lindner dann auch wenig überraschend vom ORF-Aufsichtsrat zur neuen ORF-Generaldirektorin gewählt. Sie ist nicht nur die erste Frau an der Spitze der öffentlich-rechtlichen Anstalt, sondern auch, sieht man von Josef Scheidl in den Frühzeiten des ORF ab, die erste dezidiert bürgerliche Senderchefin. Bacher und Weis waren, obwohl man ihnen das Label bürgerlich umgehängt hatte, Pragmatiker, die zur SPÖ mindestens genauso gute Kontakte – wenn nicht sogar bessere – hatten wie zur ÖVP.

Die Linken Journalisten sind schockiert

Dieser Wechsel an der Spitze sorgt unter den zumeist SPÖ- und Grün-affinen Redakteuren und Mitarbeitern am Küniglberg für helle Aufregung. Schließlich war das über Jahrzehnte perfekt funktionierende Tausch-System zwischen ORF und SPÖ nun akut gefährdet. Dass ein Großteil der ORF-Journalisten links steht, bestreiten nicht einmal, zumindest in anonymisierten Befragungen, sie selbst, wie eine Studie über das Selbstverständnis heimischer Journalisten aus dem Jahr 2007 eindeutig belegt[ii].

[iii]

Dieser repräsentativen Befragung zufolge ordnen sich 51 Prozent der heimischen Journalisten politisch selbst als „links“ bzw. „eher links“ ein, 33 Prozent fühlen sich der politischen Mitte zugehörig. Bei den Rundfunkjournalisten ist der politische Linksdrall noch wesentlich eindeutiger: 60 Prozent stufen sich selbst als „links“ (24 Prozent) bzw. „eher links“ (36 Prozent) ein, 33 Prozent verorten sich in der politischen Mitte. Die Befragung gibt zwar keinen direkten Aufschluss darüber, wie sich die ORF-Journalisten selbst einstufen, allerdings: „Bei den elektronischen Medien schlägt aber auch das überwiegende Selbstverständnis der ORF-Journalisten durch, die auch ein Jahrzehnt nach Zulassung privater Radio- und TV-Betreiber noch das Gros der Beschäftigten in diesem Segment stellen.“[iv]

Neben diesen eindeutigen Zahlen gibt es ein weiteres Indiz, welches die schwere linke Schlagseite der ORF-Redakteure belegt. Journalisten in Wien stehen politisch deutlich weiter links als jene in den Bundesländern. Während sich in den Bundesländern lediglich 11 Prozent aller Journalisten als links bezeichnen, sind es in Wien stolze 29 Prozent, als eher links sehen sich in den Bundesländern 26 Prozent, in der Bundeshauptstadt sind es 36 Prozent [v]. Sprich, zwei Drittel der Wiener Rundfunkjournalisten, von denen wiederum die meisten beim ORF arbeiten, ordnen sich politisch selbst als links ein.

Die Studie des renommierten Kommunikationswissenschaftlers Andy Kaltenbrunner eröffnet noch weitere interessante An- und Einsichten. Der Großteil der linken ORF-Mitarbeiter sieht den ORF, respektive seine politische Ausrichtung, deutlich weiter rechts, als sie sich selbst einschätzen. 62 Prozent der heimischen Rundfunkjournalisten sehen ihren Arbeitergeber, also ihren Sender, in der politischen Mitte positioniert.

[vi]

Offenbar würden viele der ORF-Redakteure den roten Staatssender, wenn sie nur könnten bzw. wenn es die SPÖ zuließe, noch weiter links positionieren, was auch die zumeist extrem Grünen-freundliche Berichterstattung erklärt. Wie groß die Macht der linken Redakteure innerhalb des ORF ist bzw. wie groß der Gruppenzwang in den Redaktionen sein muss, lässt die Aussage eines ZiB-Redakteurs kurz nach der Bildung der schwarz-blauen Regierung in der Branchenzeitschrift Extradienst erahnen: „Natürlich ist es so, dass es auch im ORF einige Kollegen gibt, die schwarz-blau für vernünftig halten (…), die trauen sich jetzt natürlich aus der Deckung.“[vii]

Solange die SPÖ den Bundeskanzler stellte, mussten ÖVP- und FPÖ-nahe ORF- Journalisten[viii] also in Deckung bleiben, mussten ihre politische Ansichten vor ihren mehrheitlich linken Kollegen verbergen, um nicht gemobbt zu werden oder um keine Repressalien erleiden zu müssen.

Dass in einem solchen Klima der Machtwechsel an der Spitze der roten Rundfunkanstalt Schockwellen unter den Mitarbeitern auslöst, kann daher nicht verwundern. In den durchwegs links besetzten Redaktionen am Küniglberg kommt nun „so etwas wie eine „Jetzt-erst-recht“-Stimmung auf“[ix], wie es ÖVP-Medienexperte Gerhard Popp beschreibt.

Plötzlich ist der ORF für Objektivität

Die besorgten ORF-Redakteure, die jahre- und jahrzehntelang keine größeren Probleme mit dem massiven Einfluss der SPÖ auf die Anstalt hatten, sehen plötzlich die „Objektivität“ und die „journalistische Qualität“ des ORF bedroht.

Wenn zwei das Gleiche tun, ist es längst nicht dasselbe. Unterstützt werden die ORF-Mitarbeiter, die plötzlich ihre Liebe zur Unabhängigkeit entdecken, von den linken Mainstreamzeitungen und Zeitschriften.

FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler macht es den ORF-Redakteuren auch nicht besonders schwer, sich als Opfer der schwarz-blauen Politiker darzustellen. Mit markigen Worten und ohne jede Diplomatie attackiert er öffentlich die ORF-Mitarbeiter. Die Machtverhältnisse und das Kräftegleichgewicht im jahrelang schwelenden Konflikt zwischen FPÖ und ORF haben sich nun aber etwas verschoben, die Position der ORF-Redakteure ist nicht mehr ganz so komfortabel wie unter dem Schutzschirm der SPÖ.

Die Redakteure des Aktuellen Dienstes Fernsehen beklagen sich Anfang Oktober 2000 in einer Aussendung: „Der Druck der Regierungsparteien auf die Redaktionen hat in den letzten Tagen ein unerträgliches Ausmaß angenommen.“[x]

Josef Cap, über Jahre der wichtigste Dreh- und Angelpunkt zwischen ORF und SPÖ, legt noch eines drauf und prognostiziert gar das Ende der „Presse- und Meinungsfreiheit“ in Österreich[xi].

Die Interventionen beim ORF beherrschen nun die heimischen und vereinzelt sogar die internationalen Medien, selbst Le Monde und die Frankfurter Rundschau berichten über den enormen Druck, dem sich die ORF-Mitarbeiter plötzlich ausgesetzt fühlen. Vorbei sind die Zeiten, als die Kanzlerpartei ohne großes Aufhebens die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beeinflussen und lenken konnte.

Nur in Ausnahmefällen kommen damals Interventionen von SPÖ-Politkern ans Tageslicht. So wie etwa bei der Euro-Team-Affäre. Fritz Dittlbacher, ehemaliger AZ-Journalist, soll 1999 kurz vor den Nationalratswahlen als diensthabender Redakteur im Auftrag der SPÖ-Parteizentrale dafür gesorgt haben, „dass in einem ZiB-Beitrag über die Euroteam-Affäre eine Passage, in der der Sohn des damaligen SP-Kanzlers Viktor Klima vorkommen sollte, eliminiert wurde.“[xii]

„Auf Geheiß des zuständigen Chefs vom Dienst Fritz Dittlbacher war ein fertiger Beitrag um genau jene 8 Sekunden gekürzt worden, in dem der Name von Jan Klima (Sohn des Bundeskanzlers) und David Mock (Pressesprecher des Bundeskanzlers) vorgekommen waren.“[xiii] 

ZiB-Moderator Josef Broukal will die der Schere zum Opfer gefallenen Informationen in einer Moderation nachholen. „Doch Fritz Dittlbacher, Chef vom Dienst der ZiB, pfeift Broukal zurück.“[xiv] Das bringt Dittlbacher bei der ÖVP den Spitznamen „Mister acht Sekunden“ ein.

So etwas bleibt im ORF natürlich nicht ohne Folgen. Dittlbacher wird später, unter ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, zum Fernseh-Chefredakteur befördert, wo er seither rund 140.000 Euro brutto pro Jahr kassiert[xv]. Auch in dieser Funktion ist er in eine ähnliche Affäre verwickelt.[xvi]

Josef Kalina reicht Anweisungen der Löwelstraße weiter

Zu Zeiten Klimas hatte die SPÖ sogar einen eigenen, selbstverständlich inoffiziellen, Verbindungsmann „in den Aktuellen Dienst des ORF“[xvii]. Dabei handelte es sich um Josef Kalina, seines Zeichens Sprecher von Kanzler Klima und SPÖ-Kurator im ORF. Als Kalina selbst für ORF-Verhältnisse zu penetrant wird und einen „Hörfunkredakteur wegen einer ‚falschen‘ Frage in einem Klima-Interview anfährt, platzt den Redakteuren der Kragen.“[xviii]

In einem Brief an Kalina fordern sie: „Lassen Sie die Redakteure des ORF in Ruhe arbeiten.“[xix]Der Brief ist im Gegensatz zu den späteren schwarz-blauen Zeiten, obwohl der Inhalt einem Branchenmagazin zugespielt wird, nicht öffentlich. Damals gehen die ORF-Redakteure noch diskreter vor, man will die SPÖ schließlich nicht allzu sehr vor den Kopf stoßen.

Interventionen sind beim ORF also absolut nichts Neues, es macht aber eben einen großen Unterschied, ob ein SPÖ-Politiker bei einem Redakteur mit Linksdrall interveniert, was ohnehin nicht allzu oft notwendig ist, oder ein ÖVP- oder gar FPÖ-Politiker. Zudem ist es durchaus wahrscheinlich und auch nachvollziehbar, ja geradezu logisch, dass die Interventionen von schwarzen und blauen Politikern nach dem Regierungswechsel zugenommen haben. In einer Rundfunkanstalt, in der überwiegend politisch links eingestellte Journalisten werken, ist es für eine sozialdemokratisch geführte Regierung gar nicht notwendig, die Berichterstattung via Interventionen in ihrem Sinne zu beeinflussen, man liegt ohnehin auf einer Wellenlänge.

Die ORF-Redakteure, von denen viele im sozialistischen Umfeld sozialisiert worden sind[xx], haben die ihnen zugedachte und fürstlich bezahlte Funktion[xxi] des Hofberichterstatters stets gerne und bereitwillig erfüllt, auch ohne lästige Anrufe aus der SPÖ-Parteizentrale. Man war schließlich unter Freunden. Diese für beide Seiten äußerst bequeme und angenehme Situation hatte nach rund 30 Jahren ein jähes Ende gefunden, mit dem sich die ORF-Journalisten nicht abfinden konnten und wollten.

Genosse Armin Wolf macht seinen Unmut öffentlich

Sie wenden sich an die Öffentlichkeit und setzen sich mit dramatischen Apellen nun für journalistische Grundwerte wie Objektivität oder Unabhängigkeit ein, Werte, die im ORF, insbesondere im Fernsehen, bisher nie eine große Rolle gespielt hatten.

Obwohl der ORF mit Abstand das größte Medienunternehmen des Landes ist, das die mit Abstand meisten Journalisten beschäftigt, waren es immer Printjournalisten, die die großen SPÖ-Skandale, von denen es im Laufe der Jahrzehnte einige gegeben hat, aufgedeckt haben: Der AKH-Skandal wurde von Profil-Journalist Alfred Worm, die Lucona-Affäre von Hans Pretterebner und Gerald Freihofner (Wochenpresse) aufgedeckt, den Noricum-Skandal brachten Redakteure der Zeitschrift Basta ins Rollen.

Das ORF-Fernsehen war stets ein mehr oder weniger braver Hofberichterstatter der SPÖ. Regierungskritischer oder investigativer Journalismus hat im ORF im Laufe der Jahrzehnte praktisch nie stattgefunden. Die Wieder- oder besser die Neuentdeckung journalistisch-ethischer Grundregeln am Küniglberg war also nur ein billiger Vorwand, ein leicht zu durchschauender Taschenspielertrick. In Wahrheit ging es den meisten Redakteuren lediglich um die Erhaltung ihres „Rotfunks“ bzw. ihrer symbiotischen Beziehung zur SPÖ.

Da nutzte es der neuen Regierung auch relativ wenig, dass die neue bürgerliche ORF-Generaldirektorin Monika Lindner den ÖVP-nahen Werner Mück, der sich selbst als „fünf Zentimeter rechts der Mitte“ bezeichnete, als TV-Chefredakteur einsetzte. Im Gegenteil: Zwischen der bürgerlichen ORF-Führung und den überwiegend linken ORF-Redakteuren brach ein regelrechter Krieg aus. Einer der Kritikpunkte: Mück habe als TV-Chefredakteur zu viel Macht in einer Hand.

Dieser Konflikt wird, im Gegensatz zur der Auseinandersetzung mit dem SPÖ/ORF-Verbindungsmann Josef Kalina, aber nicht intern ausgetragen, sondern wird via Presseaussendungen, Aufrufen, Protestaktionen und Zeitungsinterviews an die Öffentlichkeit gebracht. Den Höhepunkt erlebt diese Auseinandersetzung im Mai 2006. Bei der Verleihung des Robert Hochner-Preises an Armin Wolf übte der ZiB2-„Anchorman“ in seiner Rede harte Kritik an der schwarz-blauen Regierung und an Mück und Lindner.[xxii]

Wolf bedient sich dabei der klassischen „Ja, aber“-Rhetorik: Natürlich wurde auch früher interveniert, aber nachdem seit 30 Jahren erstmals kein SPÖ-Mann Kanzler ist, ist alles natürlich sehr viel schlimmer: „Es gibt die Zeit vor dem Februar 2000 und es gibt die Zeit seither. Und das ist ein Unterschied.“ [xxiii]

Wolf stellt ÖVP, FPÖ sowie das Duo Lindner und Mück öffentlich an den Pranger. „Die große Regierungspartei hatte dabei im ORF als primäres Anliegen, die „roten G’frieser“ (…) vom Schirm zu räumen und die anderen wollten – endlich! – auch ihre Leute an die Schaltstellen hieven.“[xxiv], jammert Wolf. Das stimmt natürlich, allerdings stellt sich die Frage, warum Wolf, als die SPÖ ebenso ungeniert interveniert und fast alle wichtigen Positionen im Rundfunk mit ihren Leuten besetzt hat, keine öffentliche Brandrede gehalten hat und warum er an die Politik von FPÖ und ÖVP höhere moralische Maßstäbe anlegt als an jene der SPÖ.

Zu erwarten, dass sich die konservative Regierung damit abfindet, dass im ORF auch weiterhin überwiegend sozialistische Kräfte den Ton und die Ausrichtung der Berichterstattung angeben, ist etwas weltfremd. Sind die Begehrlichkeiten von ÖVP und FPÖ nach 30 Jahren Rotfunk wenn auch nicht berechtigt, so doch nicht zumindest nachvollziehbar? Wolf und seine Anhänger innerhalb- und außerhalb der Anstalt scheinen es jedenfalls als eine Art Gewohnheitsrecht zu betrachten, dass der ORF, und hier insbesondere das Fernsehen, SPÖ-freundlich zu sein haben.

Es ist für Wolf einigermaßen entlarvend, wenn er in seiner Rede ausführt: „(…) und die anderen wollten – endlich! – auch ihre Leute an die Schaltstellen hieven.“[xxv]

„Auch“ ist hier das Schlüsselwort. Die parteipolitische Besetzung von Posten im ORF ist für Herrn Wolf offenbar solange kein Problem, solange nur die richtigen Leute, sprich politisch links stehende, in die richtigen Positionen gelangen.

Das rote Imperium schlägt zurück

Wolfs aufschlussreiche Rede ist jedenfalls die Initialzündung für die Initiative S.O.S. ORF. Ehemalige und aktive ORF-Mitarbeiter, wie etwa „Mister acht Sekunden“ Fritz Dittlbacher, sowie die üblichen Verdächtigen aus der linken Kunst- und Kulturszene trommeln im Internet gegen Lindner und Mück, sie wollen unter dem Deckmantel von Objektivität und Unabhängigkeit ihren alten Rotfunk wieder. Bis zum Jahreswechsel 2006/2007 tragen sich 74.498 Unterstützer im Internet ein.[xxvi]

Ironie der Geschichte, die von Wolf wortreich beklagte Umfärbung des ORF findet ohnehin nie statt. Zu zahlreich und zu fest verwurzelt sind die unzähligen linken Redakteure, leitenden Redakteure, Chefredakteure, CvDs, Abteilungsleiter usw. Bis auf Lindner und Mück und einige wenige Posten bleibt auch unter Lindner alles fest in roter Hand. Und die SPÖ-affinen Redakteure machen gegen das konservative Führungsduo mobil.

So werden Werner Mück unter anderem „frauenfeindliche und herabwürdigende Äußerungen“, die „Bedrohung" von Mitarbeitern mit „Karriereauswirkungen“, oder „schwere Verstöße gegen das Redakteursstatut"[xxvii] vorgeworfen. Monika Lindner kommt immer stärker unter Druck und setzt schließlich eine Kommission ein, die über mehrere Wochen die Vorwürfe gegen Mück prüft. Das Ergebnis der Untersuchungen ist so schwammig, dass sich nach dessen Veröffentlichung beide Seiten bestätigt fühlen.

Doch Wolf und Co. müssen sich ohnehin nicht allzu lange mit nichtlinken Führungskräften im ORF herumärgern. Bei den Nationalratswahlen im Oktober 2006 sackt die ÖVP von über 42 Prozent auf 34,3 Prozent ab. Die SPÖ verliert zwar ebenfalls leicht, wird aber mit 35,3 Prozent wieder stärkste Kraft im Land. Die Belegschaft am Küniglberg kann aufatmen. Nach langwierigen Koalitionsverhandlungen bildet SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer mit der ÖVP eine große Koalition. Damit herrscht nach dem schwarz/blau/orangen Intermezzo wieder politischer Normalzustand in Österreich.

Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.
Werner Reichel hat Ethnologie und Kommunikationswissenschaften studiert und ist seit vielen Jahren im Privatrundfunkbereich tätig und lehrt an einer Wiener Fachhochschule Radiojournalismus.
Die roten Meinungsmacher – SPÖ Rundfunkpolitik von 1945 bis heute“ ist im Handel erhältlich:
http://www.amazon.de/roten-Meinungsmacher-SP%C3%96-Rundfunkpolitik-1945-heute/dp/3868880461/ref=sr_1_sc_1?ie=UTF8&qid=1338905588&sr=8-1-spell
Nähere Infos zum Buch und zum Autor:
www.wernerreichel.at

Endnoten

[i] Siehe Fidler. 2004, Seite 208.

[ii] Siehe Kaltenbrunner. 2008.

[iii] Siehe Kaltenbrunner. 2008. Seite 45.

[iv] Kaltenbrunner. 2008. Seite 46.

[v] Siehe Kaltenbrunner. 2008 Seite 46.

[vi] Kaltenbrunner. 2008. Seite 46.

[vii] Extradienst. ED 5/ 17.3.2000.

[viii] In den Landesstudios stellte sich die Situation anders dar, hier waren die politischen Machtverhältnisse im jeweiligen Bundesland entscheidend für die politische Ausrichtung des regionalen ORF-Programms.

[ix] Extradienst. ED 5/ 17.3.2000.

[x] OTS-Presseaussendung. 9.10.2000.

[xi] Siehe Pressedienst der SPÖ. 10.10.2000.

[xii] http://diepresse.com/home/kultur/medien/593124/ORFRadiodirektor_Die-Zeichen-stehen-auf-Karl-Amon (11.01.2012).

[xiii] Schmidt. 2011. Seite 461f.

[xiv] Extradienst. ED 19-20, 20.10.2000.

[xv] Siehe http://diepresse.com/home/kultur/medien/643647/Gehaltsposse-um-ORFAushaengeschild-Armin-Wolf (06.03.2012).

[xvi] Siehe Kapitel:Linke Flügelkämpfe: Der Fall Niko Pelinka.

[xvii] Extradienst. ED 19-20. 20.10.2000.

[xviii] Extradienst. ED 19-20 20.10.2000. Seite 89.

[xix] Ebenda.

[xx] So sind etwa viele ehemalige Redakteure der sozialistischen Arbeiter Zeitung in den ORF gewechselt. Eine Auflistung von ORF-Mitarbeitern mit sozialdemokratischen Hintergrund siehe Anhang.

[xxi] ORF Mitarbeiter verdienen pro Jahr durchschnittlich € 75.000,-. Siehe: Die Presse.13.01.2012.

[xxii] Die komplette Rede von Armin Wolf ist im Anhang zu finden.

[xxiii] Rede von Armin Wolf  siehe Anhang.

[xxiv] Rede von Armin Wolf siehe Anhang.

[xxv] Ebenda.

[xxvi] Siehe Payrleitner. 2007. Seite 548.

[xxvii] Siehe Wiener Zeitung. 14.6.2006.

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Der vierte Juli: Nicht nur in den USA ein denkwürdiges Datum drucken

Im Artikel eins des Österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes heißt es: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ „Volk“ – und das ist wichtig! -–meint das hierzulande ansässige – nicht etwa das griechische, spanische, portugiesische oder die Chimäre eines europäischen Einheitsvolkes.

Dieses winzige Detail dürfte von einer beachtlichen Mehrheit der Damen und Herren Parlamentarier übersehen worden sein, als sie – kurze Zeit nach ihren bundesdeutschen Kollegen – dem auf den Namen ESM hörenden Vertragsmonstrum ihre Zustimmung erteilten und damit die Finanzhoheit des vom Volk gewählten Parlaments unwiderruflich aufgaben. Die Auswirkungen des historisch einmaligen ESM-Knebelvertrages (der nicht nur dem bürgerlich-rechtlichen Grundsatz von Treu und Glauben klar widerspricht), sind in ihrer ganzen Tragweite heute noch nicht abzusehen.

Wie weit und in welcher Form sich die dadurch bedingten Verluste an Freiheit und Rechtssicherheit auswirken werden, ist schwer einzuschätzen. Die Bürger Österreichs werden an vielen Fronten verlieren, soviel steht fest. Wer die Profiteure dieses Coups sind, ebenso: Es sind die üblichen Verdächtigen – das sattsam bekannte, hochgiftige Amalgam aus politischen Eliten und Bankenwelt.

Regierungen und die sie finanzierenden Banken leben schon seit der Zeit Karls V. in einer verhängnisvollen Symbiose miteinander – stets zu Lasten von Bürgern, Steuerzahlern und Sparern, stets auf Kosten von Frieden und Wohlstand. Dass ausgerechtet die rabiatlinken, „basisdemokratischen“ Grünen parlamentarische Kontrollrechte abgeben, um der internationalen (Finanz-)Kriminalität mehr Spielraum einzuräumen, ist so verrückt, dass es unmöglich erscheint, dafür Worte zu finden. Bei den beiden anderen sozialistischen Parteien der dubiosen GASPÖV-Dreierkoalition verwundert indessen schon lange nichts mehr…

Über die haarsträubenden Details des ESM-Regelwerks wurde bereits vielfach andernorts berichtet. Für Feinschmecker: Der Rechtsanwalt Carlos Gebauer in einem Vortrag zu diesem Thema: http://www.youtube.com/watch?v=ypGfFerA6Ls

Ich möchte es dabei bewenden lassen. Dafür habe ich in meinem Archiv gekramt und serienweise Zitate großer Persönlichkeiten ausgegraben, die präzise auf die gegenwärtige Lage gemünzt zu sein scheinen, obwohl sie z. T. über hundertfünfzig Jahre alt sind.

Bislang ignorierte weise Worte

Paul Watzlawick (1921 - 2007) erkannte: „Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.“ Barroso, Van Rompouy, Lagarde & Genossen sehen die Notenpresse als ihr einziges Werkzeug! Daher heißt das von ihnen als Problem erkannte Phänomen „Unterkonsumption“. Für nachhaltige Maßnahmen, für eine Rückbesinnung auf jene Werte, denen die europäischen Gesellschaften einst ihren Aufstieg verdankten, für Fleiß, Sparsamkeit und produktiven Erfindergeist, haben diese Kreaturen dagegen keinen Funken von Verständnis.

Bertrand Russell (1872 - 1970) stellte fest: „Das ist ja der Jammer, die Dummen sind sich so sicher, und die Gescheiten so voller Zweifel.“ Dummheit ist – mit Blick auf die Nomenklatura – ein nicht ganz zutreffender Begriff. Hybris – die „Anmaßung von Wissen“ würde passen. Wäre die Historikerin und Autorin Barbara Tuchmann noch am Leben und würde sie „Die Torheit der Regierenden“ heute schreiben – den Eliten der EU würde sie wohl das letzte Kapitel gewidmet haben.

John Quincy Adams (1767 – 1848), der 6. Präsident der USA, meinte: „Es gibt zwei Wege, ein Land zu erobern und zu unterwerfen: Durch das Schwert oder durch Schulden." Die Eliten (innerhalb und außerhalb Deutschlands) haben den zweiten Weg gewählt. Der bald hundertjährige Krieg gegen die Deutschen ist damit auf einer völlig neuen Ebene angelangt. Deutschland – isoliert und auch von all denen verlassen, die im eigenen Interesse an seiner Seite streiten sollten – wird, bedingt durch die gewaltigen Lasten, die es im Sinne einer seltsamen Form europäischer „Solidarität“ auf sich genommen hat (die anderen verprassen das Geld und Deutschland bezahlt die Rechnungen), auf Generationen hinaus in der Schuldknechtschaft leben.

Thomas Sowell (geb. 1930): „Die erste Lektion der Ökonomie ist die Knappheit: Es gibt niemals genug von irgendetwas, um alle befriedigen zu können, die es haben wollen. Die erste Lektion der Politik ist die Nichtbeachtung der ersten Lektion der Ökonomie.“
Dennoch gilt nach Eugen Böhm Ritter von Bawerk (1851 – 1914): „Politische Macht vermag das ökonomische Gesetz niemals außer Kraft zu setzen."
Schulden schafft man nicht durch noch mehr Schulden aus der Welt. Schulden sind zu tilgen! Dafür, dass Deutschland (im Gegensatz zu allen anderen Nationen) seine (Finanz-) Verpflichtungen auf Punkt und Beistrich erfüllt, wird, wie bereits einmal, nämlich anno 1923, im Ernstfall die Armee Frankreichs sorgen – nur dass diese mittlerweile auch über Atomwaffen verfügt…

Bertrand de Jouvenel (1903 – 1987): „Umverteilung ist tatsächlich viel weniger die Umverteilung von freiem Einkommen von den Reicheren zu den Ärmeren, sondern vielmehr eine Umverteilung von Macht vom Individuum zum Staat." Hier nähern wir uns des Pudels Kern. Die auf den nationalen Wohlfahrtsstaat und dessen Regeln bezogene Feststellung trifft nämlich auch auf das Euro-Imperium zu. Es geht nicht um eine „Rettung“ von Staaten, die durch gnadenlose Finanzhaie bedroht werden! Es geht um eine noch stärkere Machtakkumulation im Zentrum der Union – um die Aufwertung der Institutionen des Imperiums – zu Lasten der Provinzen.

Wie bereits angemerkt: Es ist nicht ganz korrekt, das Wort Dummheit zu gebrauchen, welche die Regierenden umtreibt, doch gilt, wie der Literaturnobelpreisträger Sinclair Lewis (1885 – 1951) meinte „Es ist schwierig jemand dazu zu bringen, etwas zu verstehen wenn sein Gehalt davon abhängig ist, es eben nicht zu verstehen.“ Man darf die Eigeninteressen der handelnden Akteure eben niemals außer Acht lassen.

Friedrich August Hayek (1899 – 1992) verdanken wir folgende wichtige Erkenntnis: „Man kann ökonomische Freiheit ohne politische Freiheit haben, aber man kann nicht politische Freiheit ohne ökonomische Freiheit haben.“ Die volle Verfügungsgewalt über privates Eigentum ist daher eine Grundvoraussetzung für politische Freiheit. Diese Verfügungsgewalt steht aber gegenwärtig (bis auf ein paar allenfalls bei Neumond im Wald vergrabene Golddukaten) nahezu vollständig zur Disposition der Brüsseler Oligarchie. Das Wort von der „Versklavung“ durch den ESM hat daher einiges für sich.

Lord Dalbert Acton (1834 – 1902) Verdanken wir nicht nur die Erkenntnis, wonach absolute Macht absolut korrumpiert, sondern auch folgende Einsicht: „Freiheit ist die Verhinderung der Kontrolle durch andere.“ Die EU nach Einführung des ESM dürfte der Orwell´schen Schreckensvorstellung einer totalen Kontrolle gleichkommen…

Das Establishment wird nicht müde, fortwährend herauszustreichen, zu welch lichten Höhen ihr unermesslicher Ratschluss die Völker Europas führen wird. Dagegen stellte Friedrich Hölderlin (1770 – 1843) hellsichtig fest: „Immer noch haben die die Welt zur Hölle gemacht, die vorgeben, sie zum Paradies zu machen.“

Und um mit Ludwig von Mises (1881 – 1973) fortzusetzen: „Dieser ganzen fanatischen Verteidigung von Planwirtschaft und Sozialismus liegt oft nichts anderes zugrunde als das insgeheime Bewusstsein der eigenen Minderwertigkeit und Ineffizienz. Menschen, die sich ihrer Unfähigkeit im Wettbewerb bewusst sind, verachten ,dieses kranke Konkurrenzsystem´. Wer seinen Mitmenschen nicht zu dienen in der Lage ist, will sie beherrschen." Wie viele der Führungskader des EU-Zirkus haben ihr Geld jemals auf ehrliche Weise verdient? Jedenfalls keine der mir bekannten!

Die Politischen Eliten, die veröffentlichte Meinung und der Bankenapparat sind überzeugt zu wissen, welche Hebel es zu ziehen und an welchen Schrauben es zur „Feinzusteuerung“ unserer Gesellschaften zu drehen gilt. Doch Sören Kierkegaard (1813 – 1855) sagt: „Je mehr Leute es sind, die eine Sache glauben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Ansicht falsch ist. Menschen, die Recht haben, stehen meistens allein.“ Innerhalb der arroganten Machtelite gibt es davon wohl keinen einzigen.

Alexis de Tocqueville (1805 – 1859) erkennt in seiner lesenswerten Abhandlung „Über die Demokratie in Amerika“: „Wir finden im menschlichen Herzen auch einen verderbten Gleichheitstrieb, der bewirkt, dass die Schwachen die Starken zu sich herunterziehen wollen und dass die Menschen die Gleichheit in der Knechtschaft der Ungleichheit in der Freiheit vorziehen" Was ist die EU anderes, als ein monströses Nivellierungsprojekt? In allen Teilen der Welt gibt es Tendenzen zur Verkleinerung politischer Entitäten. Im frankophonen Teil Kanadas leben immer wieder Abspaltungstendenzen auf. In Afrika toben fortgesetzt Unabhängigkeitskriege.

Selbst innerhalb Europas haben Staatenteilungen Tradition (man denke an das ehemalige Jugoslawien oder an die Tschechoslowakei). Schottland möchte los vom Vereinigten Königreich und in Spanien lebten Basken und Katalonen lieber heute als morgen in ihrem eigenen Staat. Einzig der Moloch EU setzt auf eine gegenteilige Entwicklung – will die Völker zwischen Atlantik und Baltikum mit aller Gewalt unter ein und dasselbe Joch zwingen. Aus welchem guten Grund aber sollten sich – um es zuzuspitzen – die „Nordländer“, in denen Ordnung, Fleiß und Produktivität herrschen, von den korrupten und unproduktiven Club-Med-Ländern „herunterziehen“ lassen?

Um zum Schuldendebakel zurückzukehren, das als Vorwand für die gegenwärtigen Zentralisierungstendenzen herhalten muss: Thomas Jefferson (1743-1826) stellte fest: „Ich glaube, dass Bankinstitutionen eine größere Gefahr für unsere Freiheit darstellen als stehende Armeen.“ Und das zu einer Zeit, als es in den USA noch keine Zentralbank gab und die Staatsfinanzierung mittels der Notenpresse noch nicht üblich war. Der dritte Präsident der USA – ein Visionär.

Josef Schumpeter (1883 – 1950): „Eher bringt man einen Pudel dazu, sich eine Wurstsammlung anzulegen, als ein Parlament dazu, bei vollen Staatskassen nicht neue Ausgaben zu beschließen.“ Von „vollen Staatskassen“ kann indes bereits seit Jahrzehnten keine Rede mehr sein. Wir sind vielmehr dabei – trotz Rekordschulden – unentwegt neue Staatsausgaben zu fordern und/oder zu akzeptieren.

Doch das dicke Ende kommt gewiss. Nochmals Mises: „Es gibt keinen Weg, den finalen Kollaps eines Booms durch Kreditexpansion zu vermeiden. Die Frage ist nur, ob die Krise früher durch freiwillige Aufgabe der Kreditexpansion, oder später zusammen mit einer finalen und totalen Katastrophe des Währungssystems kommen soll.“ Die hohe Politik hat sich für letzteres entschieden. Leider ist es so gut wie unmöglich, abzuschätzen, wann und wodurch der unvermeidliche Kollaps am Ende ausgelöst werden wird. Krieg? Bürgerkrieg? Eine Naturkatastrophe? Man sollte zwar das Beste hoffen, aber dennoch jederzeit auf das Schlimmste vorbereitet sein…

Ohne staatlich sanktionierte Veruntreuung von Depositen durch die Geschäftsbanken und die Schaffung von Kredit aus dem Nichts – keine Schuldenkrise. J.P. Morgan (1837 – 1913) hatte unzweifelhaft recht, wenn er meinte: „Gold und Silber sind Geld. Alles andere ist Kredit.“ Über die Alternative wusste schon Voltaire (1694 – 1778) Bescheid: „Papiergeld kehrt früher oder später zu seinem inneren Wert zurück – Null.“

Wir leben wahrhaft in interessanten Zeiten…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Die Roten Meinungsmacher (35): Das Ende des ORF-Monopols: ATV+ und KRONEHIT drucken

Am 7. November 2001 endet die Ausschreibungsfrist für die vier terrestrischen Privatfernsehzulassungen. Die Befürchtungen und Unkenrufe einiger SPÖ-Politiker und Rundfunkexperten, wonach im Satellitenzeitalter an Antennenfernsehen ohnehin kein Interesse mehr bestünde, erweisen sich als falsch.

Obwohl das Fellner-Blatt TV-Media kurz vor Ausschreibungsende noch prophezeit „warum es kein Privat-TV geben wird"[i], langen bei der KommAustria 27 Bewerbungen ein. Alleine für die bundesweite Lizenz sind es sieben, für die regionalen 20. Zudem gehen mehrere Anträge für kleinere, nicht ausgeschriebene, Frequenzen bei der Medienbehörde ein.

Unter den Bewerbern sind freilich auch einige, die wenig Know-how, kaum Geld oder einen eher dubiosen Hintergrund haben. So schreibt etwa das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ über einen der Bewerber für die bundesweite Zulassung: „Nicht weniger suspekt ist die Bewerbung einer Gruppe namens Kanal 1. Sie will mit einer Belgrader Produktionsfirma kooperieren, die dort den Sender „Kosava“ betreibt – aufgebaut hat den Kanal die Tochter von Ex-Diktator Milosevic.“[ii]

Es gibt aber genügend seriöse und ernstzunehmende Bewerber, aus denen Behördenchef Hans Peter Lehofer nun auswählen kann. Am 1. Februar 2002 geht die bundesweite TV-Zulassung wenig überraschend an ATV (das sich in ATV+ umbenannt hat), für die Versorgungsgebiete in Wien, Linz und Salzburg bekommen am 29.7.2002 Puls, LT1 und Salzburg-TV den Zuschlag.

Der ORF blockiert weiter

Diese Entscheidungen der KommAustria bedeuten aber nicht, dass nun terrestrisches Privatfernsehen in Österreich tatsächlich auf Sendung gehen kann. Denn zum Senden braucht ATV+ auch entsprechende Antennen und Sendeanlagen, und die besitzt in Österreich nur der ORF. Weil es den Privaten aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sei, ein eigenes Sendernetz aufzubauen, könne der ORF diese Situation leicht ausnützen, kritisiert bereits 2001 ATV-Geschäftsführer Tilman Fuchs.[iii]

Und genau das tut der ORF auch und verlangt von seinem unliebsamen Konkurrenten unverschämt hohe Sendermieten und stellt zudem schwer zu akzeptierende Bedingungen. Zwischen ORF und ATV+ entspinnt sich ein monatelanger Streit. Herbert Kloiber, Chef der Tele München-Gruppe und Hauptgesellschafter bei ATV: „Die [der ORF, A.d.V.] glauben offenbar, sie können den Start des dualen Rundfunks in Österreich weiter verzögern."[iv]

Der ORF-Vertrag enthält folgende Bedingungen:

  • Die Möglichkeit, jederzeit die Kosten erhöhen zu können.
  • Einen Verzicht auf Anrufung der Regulierungsbehörde.
  • Eine Aufhebung der geminderten Schadensregelung im Falle eines Lizenzverlustes von ATV vor dem Verfassungs- oder Verwaltungsgerichts[v].

Schließlich schaltet ATV die Rundfunkbehörde ein. Sie soll, wie im Gesetz für solche Fälle vorgesehen, den Streit schlichten. Im PrTV-Gesetz ist allerdings etwas unkonkret von einem „angemessenen“ Entgelt für die Sendermieten die Rede.[vi]

Im Juli 2002 legt die KommAustria die Bedingungen fest: ATV+ solle für die Sender eine Miete von 2,15 Millionen Euro pro Jahr an den ORF zahlen.[vii] Beide Sender sind damit nicht einverstanden und legen Berufung ein. Der Streit geht in die nächste Runde. Für bundesweites terrestrisches Privat-TV heißt es damit weiter: Bitte warten!

Im Streit um die Sendeanlagen bestätigt schließlich der Bundeskommunikationssenat die KommAustria-Entscheidung zur Sendemiete. Zudem muss der ORF bis spätestens Mai 2003 seine Sendeanlagen zur Verfügung stellen. Der ORF hat nun alles ausgereizt, um den Start des Konkurrenten bis zuletzt hinauszuzögern. Jetzt ist das Ende der Fahnenstange erreicht.

ATV geht bundesweit auf Sendung – der ORF dreht das Signal ab (?)

Am 1. Juni 2003 geht ATV+ bundesweit über Antenne auf Sendung, damit fällt auch eines der letzten Monopole des ORF. Eine Situation, mit der sich der einstige Platzhirsch offenbar nur schwer abfinden kann. Jedenfalls geschehen rund ein Jahr später höchst seltsame Ereignisse und Zufälle.

Der ORF muss 2004 eine weitere schwere Niederlage einstecken. Beim Kampf um die Übertragungsrechte der heimischen Fußballbundesliga zieht der ORF gegen den Pay-TV-Sender Premiere und ATV+ den Kürzeren. Erstmals startet die Bundesliga ohne jede Beteiligung des ORF[viii]. Doch die Fußballpremiere im Privat-TV, das Match Wacker Tirol gegen GAK, am 13. Juli fällt ins Wasser.

Statt eines spannenden Auftaktmatches sehen die Fernsehzuschauer nichts: „16 Minuten lang gab es auf den Fernsehmonitoren nicht nur kein Fußballspiel, es gab auch kein Insert, kein Testbild, keine Erklärung, keinen Trost. Der ratlose Zuseher musste ATVplus für klinisch tot halten“,[ix] berichtet das Nachrichtenmagazin Profil.

Schuld an dem Totalausfall bei der großen Bundesligapremiere im Privat-TV war „der ORF, über dessen Computer ATVplus an die Sendeanlagen übermittelt wird – und der leider ausgefallen war.“[x] Und wie es der Zufall so will, hat auch gleich das Reservesystem gestreikt. Ein bisschen viele Zufälle auf einmal, denkt sich ATV+-Chef Franz Prenner: „Einen Sendeausfall von dieser Länge hat es im ORF meines Wissens nach überhaupt noch nie gegeben.“[xi] Und auch danach hatte es nie wieder einen solchen Zwischenfall gegeben. Aber es gilt bekanntlich die Unschuldsvermutung.

Der Kulturschock wird mit Kronehit vollendet

Jedenfalls ist der ORF „bei der Wahl der Waffen oft kleinlich bis unfair“[xii]. So muss etwa bei der Übertragung eines Supercupspiels im Grazer Schwarzenegger-Stadion extra ein Stromaggregat herangeschafft und aufgestellt werden, weil der ORF den Zugang zu seinem Verteilerkasten nicht freigegeben hat, und als ATV+ seinen ersten Geburtstag via Ö3-Werbespot feiern will, lehnt der öffentlich-rechtliche Sender die Werbeeinschaltungen ab.[xiii]

Angesichts solcher und andere seltsamer ORF-Aktionen konstatiert Medienstaatsekretär Franz Morak beim ORF „einen gewissen Kulturschock.“ Die ORF-Mitarbeiter brauchen Jahre, um diesen Schock zu überwinden. Nur sehr langsam gewöhnen sich die einstigen Monopolisten an den liberalen Rundfunkmarkt.

Ende 2004 fällt auch die letzte Bastion, das letzte Monopol des ORF. Bis dahin hatte der öffentlich-rechtliche Rundfunk das alleinige Recht, bundesweites Radio zu veranstalten.

Der Mediaprintsender Kronehit ist zwar bereits seit 2001 in weiten Teilen des Landes zu empfangen. Allerdings nur, weil viele einzelne lokale und regionale Sender mit jeweils eigenen Zulassungen ein Kronehit-Mantelprogramm ausstrahlen. Diese Stationen müssen zusätzlich zu diesem Programm aber auch noch eigene lokale Programmteile senden. Aufgrund einer Novelle des Privatradiogesetzes kann Kronehit schließlich diese einzelnen Radiosender in eine bundesweite Zulassung einbringen.

Seit 8.12.2004 ist Kronehit damit der erste und bisher einzige bundesweite Privatradiosender. Im Dezember 2004 fällt somit auch das letzte Monopol des ORF.

Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.
Werner Reichel hat Ethnologie und Kommunikationswissenschaften studiert und ist seit vielen Jahren im Privatrundfunkbereich tätig und lehrt an einer Wiener Fachhochschule Radiojournalismus.
Die roten Meinungsmacher – SPÖ Rundfunkpolitik von 1945 bis heute“ ist im Handel erhältlich:
http://www.amazon.de/roten-Meinungsmacher-SP%C3%96-Rundfunkpolitik-1945-heute/dp/3868880461/ref=sr_1_sc_1?ie=UTF8&qid=1338905588&sr=8-1-spell
Nähere Infos zum Buch und zum Autor:
www.wernerreichel.at

Endnoten

[i] Austria Presse Agentur. 7.11.2001.

 

[ii] Der Spiegel. Nr. 1 2002.

[iii] Siehe Draxl. 2003, Seite 63.

[iv] Die Presse. 13.6.2002.

[v] Draxl. 2003. Seite 63.

[vi] Siehe Draxl. 2003. Seite 63.

[vii] Siehe Milich. 2007. Seite 21.

[viii] Der ORF darf nur in Kurzbeiträgen über die Spiele der Bundesliga berichten. Was ebenfalls zu einem langen Rechtsstreit führt. Es geht darum, wie lange die Beiträge sein und wann sie frühestens ausgestrahlt werden dürfen.

[ix] Profil. 27.4.2001.

[x] Ebenda.

[xi] Ebenda.

[xii] Ebenda.

[xiii] Siehe Profil. 27.4.2001.

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Die roten Meinungsmacher (34): Wendezeiten: Schwarz-Blaue Rundfunkrevolutionen drucken

Nachdem die Regierungsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP gescheitert sind, einigen sich Wolfgang Schüssel und Jörg Haider auf die Bildung einer schwarz-blauen Koalition. Am 4.2.2000 wird die neue Regierung angelobt. Erstmals seit 30 Jahren residiert kein SPÖ-Politiker im Bundeskanzleramt. Die rote Reichshälfte steht unter Schock, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel will das über Jahrzehnte in Österreich aufgebaute und gewachsene Machtgefüge zerschlagen. Die Medien sprechen von der schwarz-blauen Wende.

Von dieser Wende sind auch der Rundfunk im Allgemeinen und der ORF im Besonderen betroffen. Daran lässt ÖVP-Klubobmann Andreas Khol keinen Zweifel, er spricht von „Rote Gfrieser, die er nicht mehr im ORF sehen will".[i] Die Empörung über Khols Kampfansage ist groß, aber nicht nur wegen der markigen Wortwahl (für die er sich später entschuldigt), sondern vor allem, weil SPÖ und ORF-Mitarbeiter um die seit Jahrzehnten perfekt funktionierende Symbiose fürchten. Das System der SPÖ- und regierungsfreundlichen Berichterstattung im Tausch gegen Sonderrechte, Privilegien und Vorteile für den ORF und seine Mitarbeiter ist nun akut gefährdet.

Für Josef Cap ein Horrorszenario. Kaum auf der Oppositionsbank gelandet, fürchtet der ORF- und Monopolfreund, dass die öffentlich-rechtliche Anstalt zu einem „unkritischen Regierungsfunk“ werden könnte. So als ob der ORF je etwas anders gewesen wäre. Aber es macht offenbar einen Unterschied, wer in der Regierung sitzt.

Völlig frei von Ironie schreibt Josef Cap: „Der Hörfunk und noch mehr das Fernsehen haben bedeutenden Einfluss auf das Bewusstsein der Menschen und deren politischen Meinungen. Deshalb liegt für manche die Versuchung nahe, für die Menschen eine andere Wirklichkeit zu kreieren, die wenig mit der tatsächlichen zu tun hat, und das geschieht am leichtesten über die totale Beherrschung der elektronischen Medien. In diesem Sinn hat die Regierung Schüssel alles daran gesetzt den ORF in den Griff zu bekommen.“[ii]

Da spricht ein Kenner der Materie, schließlich war die Beherrschung der elektronischen Medien seit Anfang der 50er Jahre eines der wesentlichsten und wichtigsten medien- und machtpolitischen Ziele der SPÖ. Dass sich nun die Vorzeichen geändert haben, versetzt Josef Cap und seine Genossen in Panik.

Der gesamte Rundfunkmarkt wird umgebaut

Doch nicht nur der ORF soll reformiert, auch das von der SPÖ über Jahre verhinderte Privatfernsehen soll nun endlich verwirklicht werden. Die neue schwarz-blaue Regierung krempelt den gesamten heimischen Rundfunkmarkt um und beschließt gleich vier zentrale Mediengesetze:

  • Privatfernsehgesetz
  • Privatradiogesetz
  • ORF-Gesetz
  • KommAustria-Gesetz

Damit sollen auch in Österreich die letzten Monopole des ORF fallen, jenes auf terrestrisches Fernsehen und jenes auf bundesweites Radio. Noch bevor die Regierung die neuen Gesetze beschließen kann, erklärt der Verfassungsgerichtshof die seinerzeit von SPÖ und ÖVP geschaffene Privatrundfunkbehörde gleich für doppelt verfassungswidrig. Zum einen, weil sie eine „Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag“ ohne Kontrolle durch das Parlament ist, zum anderen, weil gegen die von ihr erteilten Zulassungen nicht beim Verwaltungsgerichtshof berufen werden kann. Die Mediengesetzgebung der rot-schwarzen Koalition erweist sich einmal mehr als Pfusch.

Nun werden auch 23 Privatradiozulassungen, die von der verfassungswidrigen Privatrundfunkbehörde vergeben worden sind, für ungültig erklärt. Den Privatsendern droht das Aus. Doch im Gegensatz zu 1995 ist man nun bemüht, den Sendern eine Abschaltung und damit eine finanzielle Katastrophe zu ersparen. „In einem letzten Kraftakt verteilt die alte Radiobehörde noch rasch knapp vor Weihnachten 2000 einen Stapel vorübergehender Bewilligungen für ein halbes Jahr und löst sich im Frühjahr 2001 auf.“[iii]

Somit bleibt den betroffenen Radiosendern eine Zwangspause erspart. Sie müssen sich allerdings erneut um eine Zulassung bewerben. Am 1.4.2001 tritt das neue Privatradiogesetz in Kraft. Es enthält unter anderem neue Medienbeteiligungsgrenzen und eine Ausweitung der erlaubten Mantelprogrammübernahme. Nunmehr dürfen 60 Prozent der täglichen Sendezeit von andern Sendern übernommen werden. Damit ist der Weg frei für den Aufbau von Sendernetzwerken. Die Mediaprint reagiert am schnellsten, kauft zahlreiche finanzschwache Lokalsender und bastelt sich daraus das Sendernetzwerk „Krone Hit R@dio“.

Mit dem Privatradiogesetz gelang der kleinen Koalition etwas, was SPÖ und ÖVP jahrelang nicht zustande gebracht hatte: „(…) eine dauerhaftere Grundlage für Privatradio in Österreich zu schaffen.“[iv], so der Medienrechtler Georg Streit.

Die neue Medienbehörde, die KommAustria, ist eine weisungsgebundene Behörde, die dem Bundeskanzleramt unterstellt ist. So war das allerdings nicht geplant. Ursprünglich hätte die KommAustria eine unabhängige und weisungsfreie Behörde werden sollen. Das geht aber nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament. Doch die SPÖ verweigert die Zustimmung. Josef Cap spricht von einer „Metternichbehörde“[v].

Die SPÖ ist empört und stur

Nachdem sich die SPÖ in Fragen der Rundfunkliberalisierung Jahrzehnte Zeit gelassen hat, geht ihr nun alles viel zu schnell und sie versucht es erneut mit ihren altbewährten Verzögerungs- und Hinhaltetaktiken. Nationalratspräsident Heinz Fischer spricht gar von einer „Termin-Guillotine“, er wolle stattdessen „ohne Zeitdruck“ verhandeln. Was das bedeutet, weiß man aus den vergangenen Jahren. Doch die Zeiten und die parlamentarischen Mehrheiten haben sich geändert, die auf 33,1 Prozent geschrumpfte SPÖ ist zum Zusehen verdammt, und zieht sich in den Schmollwinkel zurück.

FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler spricht von einer Totalverweigerung der Opposition: „Viele der Vorhaben hätten unter Umständen noch umfassender und noch schneller umgesetzt werden können, wenn die Oppositionsparteien an Stelle der vollständigen Verweigerung ein Mindestmaß an Reformbereitschaft und Modernisierungswillen an den Tag gelegt hätten. Vor allem bei der SPÖ war die Bereitschaft zu konstruktiver Zusammenarbeit von einer ähnlichen Nachhaltigkeit geprägt wie ihr Verharrungsvermögen in der Medienpolitik als Kanzlerpartei.“[vi] Standard-Medienjournalist Harald Fidler. „Gegen ihre Vorläufer sind KommAustria & Co durchaus Meilensteine.“[vii]

Am 1. 8. 2001 treten das Privatfernsehgesetz und das neue ORF-Gesetz in Kraft. Nun gibt es auch in Österreich, „17 Jahre nach Deutschland und drei Jahre nach Albanien“[viii], wie Peter Westenthaler im Nationalrat betont, grünes Licht für Privatfernsehen. Die neue Medienbehörde, die KommAustria, schreibt am 6. August 2001 vier Lizenzen für terrestrisches Privatfernsehen aus, eine bundesweite und drei lokale für Wien, Linz und Salzburg. Zuvor hatten erstmals unabhängige Experten erhoben und nicht – wie bisher üblich – der ORF selbst, welche TV-Frequenzen für Privatfernsehen zur Verfügung stehen.

Plötzlich fürchten die Roten Parteipolitisierung

Der Weg zum ORF-Gesetz bzw. zur Reform der öffentlich-rechtlichen Anstalt wird von lautstarken Protesten des ORF, der SPÖ und der ihr nahestehenden Medien begleitet. SPÖ-Mediensprecher Josef Cap fordert in der Diskussion um das neue Gesetz sogar, das Volk zu diesem Vorhaben zu befragen. Wie sich doch die Zeiten ändern, mit Rundfunkvolksbegehren hatte die SPÖ bisher recht wenig Freude. Cap befürchtet: „eine nie dagewesene Parteipolitisierung und Regierungsabhängigkeit des ORF.“[ix] Auch Peter Schieder, der gemeinsam mit Parteifreund Cap über Jahre erfolgreich für die Monopolstellung des ORF gekämpft hatte, schlägt in dieselbe Kerbe und konstatiert: die stärkste Politisierung in der Geschichte des ORF"[x].

Dem hält ÖVP-Mediensprecher Franz Morak entgegen: „Die Situation ist entstanden, weil der ORF als einziger nationaler Programmanbieter des Landes, als einziger Veranstalter, Verwalter und Wissender der Frequenzsituation in Österreich und als Hüter der Inhalte und medialen Wege daraus sein Selbstverständnis bezogen hat, dass er die einzige gültige Zentralanstalt für Medienpolitik in unserem Land ist. Das wurde nur möglich, weil es in Österreich einen jahrzehntelangen medienpolitischen Stillstand gab"[xi].

Im Zuge der Diskussion um das ORF-Gesetz droht ORF-Generalintendant Gerhard Weis sogar mit seinem Rücktritt. Der Grund: Die ÖVP hatte angedacht, die Hoheit über die Rundfunkgebühren an die geplante neue Medienbehörde zu übertragen. Zur selben Zeit weigerte sich der ORF, die Spitzengagen seiner Manager zu veröffentlichen. Der Rechnungshof schaltete deshalb den Verfassungsgerichtshof ein. ORF-Chef Weis befürchtet jedenfalls, dass seine Anstalt „zu Tode reformiert werde“[xii].

Styria-Chef Horst Pirker kritisiert ORF-Generaldirektor Gerhard Weis scharf:
„Wenn der ORF seine Glaubwürdigkeit und Funktion als öffentlich-rechtlicher Rundfunk retten will, sind einschneidende Strukturreformen notwendig, nicht politische Kartellbildungen und Propaganda-Kampagnen zur Bewahrung des Status quo (…) Beim Betroffenen [Weiss, A.d.V.] breche Panik aus: Allzu schnell werden unselige Allianzen geschlossen, undifferenziert wird auf alles ‚geschossen‘, was sich auch nur andeutungsweise als Bewegung entpuppen könnte, es wird gepackelt, leider auch gelogen, manipuliert und Repression ausgeübt." [xiii]

Die Reform des ORF kommt: Umbau zur Stiftung

Am neuen ORF-Gesetz war auch ein sogenannter Weisenrat beteiligt. Er bestand aus Gerd Bacher, Fritz Csoklich, Heinrich Keller und Alfred Payrleitner. Ihr Auftrag war es, den öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF zu präzisieren und die Konkurrenzfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Anstalt aufrecht zu erhalten.[xiv] Die vier Rundfunkweisen geben dementsprechende Empfehlungen ab. Die wichtigsten Punkte des neuen Gesetzes, das inner- und außerhalb des ORF für so große Aufregung sorgt:

  • Der ORF wird eine Stiftung, welche der Allgemeinheit gewidmet ist. Stiftungszweck ist der öffentlich-rechtliche Auftrag. Der Stiftungsrat hat, ebenso wie der Publikumsrat, 35 Mitglieder.
  • Der Generaldirektor wird künftig vom Stiftungsrat mit einfacher Mehrheit in offener Abstimmung auf fünf Jahre bestellt. Eine Abwahl des Generaldirektors ist nur mit Zweidrittelmehrheit möglich.
  • Im Versorgungsauftrag wird die derzeitige Zahl von TV- und Radiokanälen festgeschrieben. Zusätzlich kann der ORF Spartenkanäle veranstalten, die aber weder terrestrisch verbreitet noch mit Gebührenmitteln finanziert werden dürfen.
  • Der öffentliche Auftrag wird präzisiert.
  • Die Product-Placement-Regeln werden verschärft.

Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.
Werner Reichel hat Ethnologie und Kommunikationswissenschaften studiert und ist seit vielen Jahren im Privatrundfunkbereich tätig und lehrt an einer Wiener Fachhochschule Radiojournalismus.
Die roten Meinungsmacher – SPÖ Rundfunkpolitik von 1945 bis heute“ ist im Handel erhältlich:
http://www.amazon.de/roten-Meinungsmacher-SP%C3%96-Rundfunkpolitik-1945-heute/dp/3868880461/ref=sr_1_sc_1?ie=UTF8&qid=1338905588&sr=8-1-spell
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www.wernerreichel.at

Endnoten

[i] http://newsv1.orf.at/ticker/215130.html (29.12.2011).

[ii] Cap. 2002. Seite 263.

[iii] Fidler. 2006, Seite 298.

[iv] Streit. 2006. Seite 76.

[v] Siehe Fidler. 2006. Seite 299.

[vi] Westenthaler. 2002. Seite 375.

[vii] Fidler. 2006. Seite 300.

[viii] Stenographisches Protokoll XXI. des Nationalrats, XXI.GP 61. Sitzung.

[ix] SPÖ Pressedienst. 29.5.2001.

[x] SPÖ Pressedienst. 5.7.2001.

[xi] Presseaussendung des ÖVP Parlamentsklubs. 5.7.2001.

[xii] News. Nr. 21/01. 23.5.2001.

[xiii] Die Presse. 19.5.2001.

[xiv] Siehe Twaroch. 2004. Seite 206.

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Die roten Meinungsmacher (33): Eine Hand wäscht die andere: Der vierte elektronische Grundkonsens drucken

Am Hörfunkmarkt müssen ORF und SPÖ nun mit der neuen privaten Konkurrenz leben. Der Kampf ums Monopol ist damit aber noch nicht zu Ende. Denn privates Fernsehen darf in Österreich, im Gegensatz zu fast allen anderen europäischen Staaten – inklusive Albanien – nach wie vor nur via Kabel oder Satellit verbreitet werden. Terrestrisches Fernsehen, also via Antenne frei empfangbares TV, darf Ende der 90er Jahre in Österreich ausschließlich der ORF ausstrahlen.

Den Zeitungsherausgebern in den Bundesländern ist das Abenteuer Privatfernsehen nach wie vor zu teuer und zu riskant. Damit stehen sie nicht alleine da, auch Helmut Thoma, Chef von RTL, meint: „Solange der ORF so viele Werbemöglichkeiten wie jetzt hat, ist es gescheiter, das Geld zusammenzulegen und anzuzünden.“[i]

Und da die Wahrscheinlichkeit, dass die SPÖ die Werbezeiten des ORF einschränkt, noch geringer ist als ein Sechser im Lotto, greifen die Zeitungsherausgeber auf eine schlechte alte österreichische Tradition zurück: Man macht mit dem ORF gemeinsame Sache und beschließt einen neuen, den mittlerweile vierten „elektronischen Grundkonsens“. Im Sommer 1999 wird der neuerliche Kuhhandel, den man großspurig „österreichische Medienmarktordnung“ nennt, zwischen der öffentlich-rechtlichen Anstalt und dem VÖZ (dem Verband der österreichischen Zeitungen) besiegelt.

Bei diesem neuerlichen Interessensabgleich werden, wie auch bei den vorangegangen Deals, die Zeitungsherausgeber vom ORF gnadenlos über den Tisch gezogen. Kernpunkt der Vereinbarung: Für den Fall der Einführung von terrestrischem Privatfernsehen soll „eine Sendeleiste von täglich max. einer Stunde in ORF 2 bundesländerweise für private Programmanbieter ausgeschrieben werden.“[ii]

Bloß kein Privatfernsehen

Die regionalen Zeitungsverlage könnten nach diesem Modell, unter der Aufsicht des ORF, ein bisschen regionales Fernsehen machen, ohne all zu viel Geld investieren zu müssen. Die Kosten und das Risiko halten sich bei einer einstündigen Sendung, die auf ORF2 abgespielt wird, in Grenzen. Verleger und ORF wollen mit diesem Modell echtes Privatfernsehen verhindern, denn ihr Deal sieht zudem vor, dass die dritte noch freie Frequenzkette für terrestrisches Fernsehen nicht für private Anbieter ausgeschrieben, sondern für digitales Fernsehen reserviert bleiben soll.

Wenn dann in rund zehn Jahren digitales Fernsehen eingeführt wird, dann will der ORF diese Frequenzkette gleich mit mehreren Spartenkanälen besetzen. Die Strategie ist bekannt, man reißt sich möglichst viele der noch freien Frequenzen unter den Nagel, um eine echte Liberalisierung des Marktes und damit ernsthafte Konkurrenz von Anfang an unmöglich zu machen.

Auch das finden die Zeitungsverleger durchaus okay, zumindest jene aus den Bundesländern, denn Kronen Zeitung und Kurier sind angesichts der seltsamen Privat-TV-Pläne ihrer Verbandskollegen aus dem VÖZ ausgetreten.

Der vierte elektronische Grundkonsens erinnert nicht ganz zufällig an das unsägliche Radio-Print-Modell aus dem Jahr 1987. Aber selbst damals war die unverschämte Packelei zwischen den regionalen Zeitungsherausgebern und dem ORF zur Verhinderung einer echten Rundfunkliberalisierung aufgrund der vollkommen überzogenen Forderungen gescheitert.

Auch diesmal platzen ihre Pläne, zumal am 1.7. 1999 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde der Tele 1 Privatfernseh GmbH[iii] für zulässig erklärt und das terrestrische Fernsehmonopol des ORF prüft.

Der eigentliche Todesstoß erfolgt aber am 3.10.1999. Bei der Nationalratswahl stürzt die SPÖ unter Viktor Klima auf 33,1 Prozent ab, die FPÖ mit Jörg Haider liegt mit 26,9 Prozent wenige Stimmen vor der ÖVP auf Platz 2.

Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.
Werner Reichel hat Ethnologie und Kommunikationswissenschaften studiert und ist seit vielen Jahren im Privatrundfunkbereich tätig und lehrt an einer Wiener Fachhochschule Radiojournalismus.
Die roten Meinungsmacher – SPÖ Rundfunkpolitik von 1945 bis heute“ ist im Handel erhältlich:
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www.wernerreichel.at

Endnoten

[i] Siehe Kornmüller. 2001. Seite 168.

[ii] Fidler. 2006. Seite 296.

[iii] Die Tele 1 GmbH, an der die Kronen Zeitung beteiligt ist, hatte bereits 1993 um eine terrestrische Frequenz angesucht. Nachdem auch der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde abgewiesen hatte, wandte man sich an den EGMR.

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Die roten Meinungsmacher (32): Lasst 1000 bunte Blumen blühen: Der Start der Privatradios drucken

Während der neue Ö3-Chef Bogdan Roscic mit Hilfe von deutschen Beratern das Programm des öffentlich-rechtlichen Popsenders auf kommerzielle Privatradiolinie trimmt und so auf die neue Konkurrenz vorbereitet, basteln SPÖ und ÖVP in aller Ruhe an der Reparatur des verpfuschten Regionalradiogesetzes. Ausnahmsweise wollen die roten und schwarzen Medienpolitiker das Feld diesmal nicht den Verfassungsrichtern überlassen.

Bei der Novellierung des Gesetzes geht es der SPÖ vor allem darum, die Kritikpunkte des Verfassungsgerichtshofes aus der Welt zu schaffen, ohne dabei den Privaten allzu viel Frei- und Spielraum zu lassen. Die Konkurrenz für den ORF soll auch weiterhin möglichst klein und überschaubar bleiben. Eine Liberalisierung light sozusagen.

Auch das Regionalradiogesetz II ist deshalb ein fauler Kompromiss, was juristische Fachkommentatoren zu dem Hinweis veranlasst, „es möge nicht verwundern, dass der vorliegende Gesetzestext nicht vollkommen frei von gewissen Inkonsistenzen geblieben ist.“[i] Die FPÖ spricht von einem „ORF-Schutzgesetz“.

Am 20.3.1997 wird mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP die Reparatur des Regionalradiogesetzes im Nationalrat beschlossen. Ohne jede Ironie stellt Josef Cap, der im Abwehrkampf gegen jegliche ORF-Konkurrenz stets an vorderster Fronst gekämpft hatte, fest: „Es hat wirklich das Bemühen gegeben, möglichst rasch privates Radio in Österreich möglich zu machen (…).“[ii]

Oberstes Ziel: Den ORF nicht schwächen

Am 1.5.1997 tritt die novellierte Fassung des Regionalradiogesetzes in Kraft. Die Zulassungsdauer für Privatradiolizenzen wird von fünf auf sieben Jahre erhöht, auch die Nutzung und Vergabe der Frequenzen ist nun soweit geregelt, dass sie den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes entsprechen. Der ORF darf weiterhin seine vier bundesweiten Frequenzketten betreiben, in jedem Bundesland kann ein privates Regionalradio senden (in Wien zwei), der verbliebene Rest an freien Frequenzen darf für private Lokalradios genutzt werden. „Damit die (private) Rundfunkfreiheit nicht allzu groß würde, hat sich der Gesetzgeber (…) allerhand einfallen lassen.“[iii]

So wird die Größe, das heißt die technische Reichweite der künftigen Lokalradios, auf ein Minimum reduziert. Lokalradio wird im novellierten Regionalradiogesetz wie folgt definiert:

„Sendelizenzen für lokalen Hörfunk sind solche, die die Veranstaltung von Hörfunk in begrenzten Teilen innerhalb eines Bundeslandes oder im Grenzgebiet zweier oder mehrere Bundesländer ermöglichen, mit dem Ziel, eine Gemeinde oder höchstens 150.000 Einwohner in einem zusammenhängenden Gebiet zu versorgen (…)“[iv], was Josef Cap veranlasst im Nationalrat stolz zu verkünden „Also die Parole, lasst tausend Blumen blühen‘[v] ist wirklich aufgegangen.“[vi]

Der Geschäftsführer der RTR[vii], Dr. Alfred Grinschgl: „Der medienpolitische Auftrag in den 90er Jahren war ‚Lasst 1000 bunte Blumen blühen‘ – sie sollten bunt sein, aber möglichst klein, weil niemand wollte, dass ernsthafte Konkurrenz für den ORF entsteht.“[viii]

Manche der neuen Lokalfrequenzen haben eine technische Reichweite von nicht einmal 20.000 Einwohnern. Und damit die Sender auch wirklich klein bleiben, sind im novellierten Regionalradiogesetz Programmübernahmen und Beteiligungsverhältnisse streng geregelt. Netzwerke aus mehreren Lokalsendern sollen so verhindert werden, jeder noch so winzige Sender muss den Großteil seines Programms selbst produzieren. Dieses Gesetz wird von SPÖ und ÖVP entweder in vollkommener Unkenntnis der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Privatsender oder aus böser Absicht beschlossen.

Denn Sender mit technischen Reichweiten von oftmals unter 100.000 Einwohnern, den noch dazu die Nutzung von Synergien mit anderen Sendern per Gesetz weitgehend untersagt wird, haben kaum eine Chance wirtschaftlich zu überleben. Ein Blick der roten Medienpolitiker über den österreichischen Tellerrand ins benachbarte Ausland, wo es bereits seit vielen Jahren Privatradios gibt, hätte gereicht, um das festzustellen.

Es senden die üblichen Verdächtigen

Trotzdem ist das Interesse an den neuen Minifrequenzen riesengroß. Als die Behörde die acht[ix] Regionalradio- und insgesamt 42 Lokalradiozulassungen ausschreibt, finden sich für jede noch so kleine Frequenz gleich mehrere Bewerber. Die neue Rundfunkfreiheit zieht trotz der denkbar schlechten Voraussetzungen und Rahmenbedingungen viele Möchtegernradiomacher an, darunter auch ehemalige Rennskiläufer (Werner Grißmann), lokale Unternehmergrößen oder Religionslehrer.

Am 17.11.1997 vergibt die Regionalradiobehörde die Zulassungen: Überraschungen gibt es dabei keine. Die regionalen Medienhäuser dürfen nun neben ihren Bundesländerzeitungen auch Bundesländerradio machen:

  • 88.6 (Wien): u.a. Krone, Bank Austria, Oscar Bronner (Der Standard)

  • Antenne Wien: u.a. Fellners (News), Styria

  • Radio Servus (B): u.a. Kabel TV Burgenland (BEWAG), Krone Media, Oscar Bronner

  • RPN (NÖ): u.a. Niederösterreichisches Pressehaus (NÖN), Telekurier (Kurier)

  • Life Radio (OÖ):  u.a. OÖ Nachrichten, OÖ Landesverlag, Telekurier

  • Antenne Kärnten: u.a. Kärntner Tageszeitung, Druckerei Carinthia, Styria

  • Antenne Vorarlberg: u.a. Vorarlberger Nachrichten, Tiroler Tageszeitung Salzburger Nachrichten

  • Antenne Tirol: u.a. Tiroler Tageszeitung, Salzburger Nachrichten, Vorarlberger Nachrichten

„Dass die ORF-Strategie in den Neunzigern mit regionalem Privatradio auch den regionalen Verlegern entgegenkam, die jeweils ihr eigenes Radio bekamen, fügte sich gut. Echte Konkurrenz für den ORF und Ö3 wurde so erschwert.“[x]

Die Bundesländerzeitungen sind an ihren Sendern allerdings nur mit max. 26 Prozent beteiligt, mehr erlaubt das Regionalradiogesetz nicht. Mit jeweils 10 Prozent dürfen sie sich an zwei weiteren Sendern beteiligen. Deshalb sind bei den Regionalradiosendern zumeist große Bankhäuser mit im Boot.

Private Medien sind Herdenhunde und Schwarzkappler

Die neuen Privatradios sind noch nicht einmal on Air, da fürchten führende Wiener Kommunikationswissenschafter wie Wolfgang Langenbucher, Wolfgang Duchkowtisch oder Fritz Hausjell, sowie Johannes Kunz, der seinerzeit Künstler per Telegramm unter Druck gesetzt hatte, weil sie Gerd Bacher unterstützt hatten, um die Zukunft des ORF. Sie verfassen deshalb die „Wiener Erklärung“[xi]. Darin wird in bester kulturpessimistischer Tradition kommerzieller Privatrundfunk verdammt und eine Stärkung der Position des ORF verlangt.

Dass die Privatsender nur in äußerst begrenztem Umfang und mit vielen restriktiven Regeln an den Start gehen dürfen und damit ohnehin keine echte Konkurrenz darstellen, kümmert die Medienwissenschafter mit starkem politischem Linksdrall relativ wenig. Ein liberaler Rundfunkmarkt ist ihnen grundsätzlich suspekt, paradoxerweise verkünden sie in Ihrer großspurigen Wiener Erklärung: „Freie Bürger brauchen einen freien Rundfunk.“[xii]

Mit welchen Vorurteilen und Widerständen, vorwiegend aus der linken Reichshälfte, die Privatsender damals zu kämpfen haben, verdeutlichen auch die Aussagen von Ö1-Chef Alfred Treiber. Im Vorwort zu einem Buch über die heimische Rundfunkgeschichte schreibt der ORF-Mann: „Ich als kleiner Maxi habe mir immer vorgestellt, dass Österreich glücklich sein kann, wenn es eine große funktionierende Medienorgel (der ORF, A.d.V.) besitzt (…) und die Öffentlichkeit, und da wieder in erster Linie die Print-Öffentlichkeit, übernimmt die Kontrolle. Jetzt wollen aber die Herdenhunde lieber selber Herde sein. Und die Schwarzkappler denken an den Besitz eigener Straßenbahnen.“[xiii]

Wie können sie nur, diese Hunde und Schwarzkappler. Der Betrieb von Rundfunkstationen sollte doch, so offensichtlich Treibers Meinung, auch weiterhin das exklusive Recht einer von der Regierung ausgewählten und gekauften[xiv] „Elite“ sein, die die Hörer und Seher ganz im Sinne des seinerzeit propagierten sozialistischen Volks-Funkes mit den „richtigen“ Inhalten und Informationen füttert.

Und wie immer, wenn jemand mit der Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit liebäugelt, beruft er sich auf den Erhalt „journalistischer Qualität“, und qualitativ hochwertig ist nur, was den eigenen politischen Zielen dient. Ohne ORF-Monopol wird Österreich jedenfalls zum „italienischen Medienuganda“ prophezeit Treiber. Schließlich gehe es den Privaten nur um die „Gelegenheit Geld zu verdienen“, sagt zumindest der fürstlich entlohnte Chef einer geschützten Rundfunkwerkstätte.

Die rote Taktik geht auf: ORF bleibt stark

Trotz der Panikattacken der heimischen Kommunikationswissenschafter und einiger führender ORF-Mitarbeiter gehen, ganz ohne Scherz, am 1. April 1998, viele Jahre nach allen anderen europäischen Ländern, nun auch in Österreich flächendeckend Privatradiosender on Air. Doch der Erfolg, den noch knapp drei Jahre zuvor die Antenne Steiermark einfahren konnte, bleibt den meisten Privatsendern versagt. Der Totalumbau von Ö3 hat sich gelohnt. Die Hörerzahlen der meisten Privatradios bleiben weit hinter den Erwartungen zurück.

 

Marktanteile Ö3 und Privatradio Inland gesamt; Hörer 14-49 Jahre; Montag bis Sonntag. Quelle: Radiotest

Vor allem die vielen kleinen Privatradios geraten rasch in finanzielle Turbulenzen. Willi Weber, der einst mit Radio UNO von Italien aus in Kärnten den Radiomarkt aufgemischt hatte und nun mit Radio Wörthersee sein Glück versucht, stöhnt bereits kurz nach dem Sendestart: „Jeden Tag, den man in Österreich Radio macht, ist man dem Konkurs näher.“[xv]

Die „Tausend bunten Blumen“, die sich SPÖ-Monopolfreund Josef Cap „gewünscht“ hat, verwelken, noch ehe sie richtig erblüht sind. Die Euphorie der Radiomacher ist schnell verflogen, hohe Kosten, geringe (Werbe)Einnahmen und dank des restriktiven Regionalradiogesetzes, keine Möglichkeit mit anderen Sendern zu kooperieren, setzen den kleinen Radiostationen zu.

Der Plan der SPÖ ist aufgegangen, durch die jahrelange Verzögerung des Privatradiostarts, durch die Bevorzugung des ORF (etwa bei der Aufteilung der Frequenzen) und durch das restriktive Regionalradiogesetz konnte die Konkurrenz für den ORF auch nach der Liberalisierung klein gehalten werden. Die ORF-Radios beherrschen mit rund 80 Prozent Marktanteil weiterhin den Hörfunkmarkt. Die privaten Regionalradios sind aber nicht nur wegen ihrer relativ geringen Hörerzahlen kaum ein Problem für die SPÖ, obwohl man sie nicht ganz so direkt und unverschämt manipulieren kann wie den ORF, aber mit ihrem seichten Unterhaltungsprogramm haben sie ohnehin kaum politisches Gewicht und damit eine nur geringe Bedeutung für die SPÖ.

SPÖ-Tradition: Sprich nur mit Journalisten, die Du selbst bezahlt hast

Trotzdem sind die neuen Sender für SPÖ und ORF ein regelrechter Kulturschock. Schließlich zerstören die neuen Privatradios mit ihren Reportern, Journalisten und Praktikanten die vertraute Schrebergartenidylle, die sich ORF und SPÖ aufgebaut haben. Das führt zu teils absurden Reaktionen. So versuchen ORF-Reporter und -Kameramänner anfänglich alles, um die vielen bunten Mikrophone ja nicht ins Bild zu bekommen. Man will unbedingt vermeiden, dass ein Logo von 88.6 oder RPN plötzlich unter der Nase von Bundeskanzler Viktor Klima in der Zeit im Bild auftaucht.

Auch viele SPÖ-Politiker können oder wollen mit den jungen Privatradioreportern nur wenig anfangen. Bei Interviewterminen oder Anfragen werden ORF-Mitarbeiter bevorzugt. Im Parlament, wo der ORF gleich mehrere eigene Büros hat, werden Privatradioreporter gerade noch in allgemein zugänglichen Wartezimmern geduldet. Kurz, man will es den ungeliebten privaten Störenfrieden nicht zu einfach machen.

Schließlich ist für die SPÖ der ORF nach wie vor das mit Abstand wichtigste Medium im Land, diese gute Partnerschaft mit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt wollen sich die Sozialdemokraten, mit einem Zuviel an Freundlichkeiten gegenüber den Privatsendern, nicht verderben.

Trotzdem macht SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas zum Start der Privatradios gute Miene zum bösen Spiel und freut sich offiziell „auf die zu erwartende Vielfalt des Programmangebots – insbesondere bei den Nachrichtensendungen – wodurch letztlich auch die Demokratie zusätzlich gestärkt werde.“[xvi]

Die Programm- und Meinungsvielfalt bleibt trotz aller Befürchtungen der SPÖ aber ohnehin aus. Nachrichten und Informationssendungen spielen beim Privatradio nur eine untergeordnete Rolle. „Denn der privat/formatradioversierte Radiomacher oder Kaufmann weiß: Für einen Gutteil der Hörer sind Nachrichten kein sonderlich attraktiver Beweggrund, das Radio einzuschalten (…) Zum zweiten sind Nachrichten kostenintensiv.“[xvii]

Unterm Strich hat der SPÖ das jahre- und jahrzehntelange Verzögern und Blockieren bei der Liberalsierung des Hörfunks, außer die Gunst des ORF, nur wenig gebracht, zumal auch die meisten Privatsender und ihre Redakteure mit der SPÖ bzw. den Grünen sympathisieren.

Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.
Werner Reichel hat Ethnologie und Kommunikationswissenschaften studiert und ist seit vielen Jahren im Privatrundfunkbereich tätig und lehrt an einer Wiener Fachhochschule Radiojournalismus.
Die roten Meinungsmacher – SPÖ Rundfunkpolitik von 1945 bis heute“ ist im Handel erhältlich:

http://www.amazon.de/roten-Meinungsmacher-SP%C3%96-Rundfunkpolitik-1945-heute/dp/3868880461/ref=sr_1_sc_1?ie=UTF8&qid=1338905588&sr=8-1-spell
Nähere Infos zum Buch und zum Autor: www.wernerreichel.at

Endnoten

[i] Siehe Streit. 2006, Seite 66.

[ii] Stenographisches Protokoll der 67. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XX. Gesetzgebungsperiode, Donnerstag, 20. März 1997.

[iii] Streit. 2006. Seite 67.

[iv] Siehe Reichel. 2006. Seite 113f.

[v] „Laßt tausend bunte Blumen blühen“ ist eine Abwandlung der Parole, die Mao Zedong in einer Rede 1956 ausgegeben hatte („Lasst hundert Blumen blühen“).

[vi] Stenographisches Protokoll der 67. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XX. Gesetzgebungsperiode, Donnerstag, 20. März 1997.

[vii]  Die Rundfunk und Telekom Regulierungs GmBH ist der Geschäftsträger der KommAustria.

[viii] Siehe Reichel. 2006. Seite 114.

[ix] Zwei der insgesamt zehn Regionalradios sind bereits seit 1995 in Betrieb (Antenne Steiermark und Radio Melody).

[x] Der Standard. 29./30.3.2008.

[xi] Die Wiener Erklärung siehe Anhang.

[xii] Wiener Erklärung vom 28. Mai 1998 siehe Anhang.

[xiii] Godler et al. 2004. Seite 9.

[xiv] ORF-Mitarbeiter verdienen fast doppelt soviel wie durchschnittliche Branchenmitarbeiter. Siehe: http://diepresse.com/home/kultur/medien/528329/ORFGehaelter-fast-doppelt-so-hoch-wie-Branchenschnitt- (06.03.2012).

[xv] Siehe Reichel. 2006. Seite 114.

[xvi] Siehe Konvicka. 2006. Seite 135.

[xvii] Konvicka. 2006. Seite 136.

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Die roten Meinungsmacher: Nun auch als Buch drucken

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, und hier insbesondere das Fernsehen, stehen seit den 50er Jahren unter dauerhaftem Einfluss der SPÖ. Das reicht von direkten Interventionen, über politische Personalbesetzungen bis hin zur Selbstzensur bei ORF-Journalisten. Der Autor dieser Serie hat das in den vergangenen Wochen und Monaten in diesem Blog deutlich gemacht und mehrfach nachgewiesen. Sozialisten und ORF sind eine perfekte Symbiose eingegangen.

SPÖ- bzw. regierungsfreundliche Berichterstattung erfolgt im Tausch gegen Sonderrechte und Sonderregelungen für den ORF. So liegt etwa das durchschnittliche Jahresgehalt eines ORF-Mitarbeiters bei rund € 75.000,-[i]. Das ist ein Vielfaches von dem, was Rundfunkmitarbeiter bei Privatsendern verdienen. Die ORF-Journalisten werden für ihre rote Hofberichterstattung fürstlich entlohnt.

Keiner der beiden Profiteure dieses Systems wollte die gut funktionierende Meinungs- und Propagandamaschinerie durch private Konkurrenz gefährden. Deshalb hat die SPÖ über Jahrzehnte mit (fast) allen Mitteln Privatrundfunk in Österreich verhindert. Mit Erfolg. Österreich war über Jahre der einzige westliche demokratische Staat, in dem privater Rundfunk streng verboten war. Wer das Sendemonopol Anfang der 90er Jahre brach, der wurde von Polizisten verfolgt und mit Hubschraubern gejagt.

„Die roten Meinungsmacher“ ist das erste Buch, das den rundfunkpolitischen Sonderweg Österreichs von 1945 bis heute dokumentiert, analysiert und kritisch aufarbeitet. Es ist bezeichnend für den Zustand von Meinungsfreiheit und Demokratie in Österreich, dass dies bisher noch nicht umfassend geschehen ist, weder journalistisch noch wissenschaftlich.

Das hat viele Gründe. Die Kommunikationswissenschaften und -wissenschaftler stehen politisch traditionell links. Das menschenrechtswidrige[ii] Rundfunkmonopol stellten sie deshalb stets über Medienvielfalt und Meinungsfreiheit. Und wer immer die Einschränkung der Pressefreiheit verteidigt und befürwortet, der hat dafür stets „gute“ Gründe. In diesem Fall ist es die angeblich hohe journalistische Qualität und die Überparteilichkeit, die gemäß den Ansichten der Kommunikationswissenschafter nur ein vom Staat abhängiger Monopolsender garantieren könne. Wobei in diesem Zusammenhang nur das als qualitativ hochwertig gilt, was den eigenen politischen Zielen und Vorstellungen dient.

Auch die Verlage fürchten sich

Wie wirkmächtig das System SPÖ/ORF bis zum heutige Tag ist, und welche unterschiedlichen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Bereiche es durchdringt, hat der Autor dieser Zeilen selbst mehrfach erfahren. Bei der Suche nach einem geeigneten Verlag wurde schnell klar, dass die heimischen Verleger aufgrund der vielfältigen Abhängigkeitsverhältnisse zu ORF, staatlichen Institutionen und Ministerien nicht bereit sind, solch ein Werk zu veröffentlichen.

Eine ehrliche Wiener Verlagsleiterin hat das unter der Hand auch unumwunden zugegeben. Schließlich sind die Verlage daran interessiert, dass ihre Bücher im öffentlich-rechtlichen TV oder Radio besprochen und dass ihre Autoren zu ORF-Sendungen als Experten, Diskutanten oder Interviewgäste eingeladen werden. Zudem garantieren die vielen schreibenden ORF-Stars von Barbara Stöckl über Peter Rapp bis Hugo Portisch den meisten heimischen Verlagen fette Einnahmen.

Auch die Förderungen in Millionenhöhe, die heimische Ministerien bis vor kurzem für Buchprojekte ausgeschüttet haben, haben nicht unbedingt die Bereitschaft der Verlage erhöht, ein SPÖ-kritisches Werk zu veröffentlichen. Warum ein unnötiges Risiko für ein unbequemes Buch eingehen, das ohnehin kein Megaseller wird. Abgesehen davon hat Mitläufertum in Österreich eine lange Tradition, vor allem bei jenen, die sich selbst gerne als besonders kritisch, aufgeschlossen und widerständig gerieren.

Das Buch erscheint aus diesem Grund in der Sachbuchreihe des renommierten Deutschen Wissenschaftsverlags. In diesem Zusammenhang ein Dankeschön an den engagierten Inhaber des Verlags in Baden-Baden.

Hans Anonym = Werner Reichel

Das weitreichende und dichte SPÖ/ORF Netzwerk war auch der Grund, warum der Autor diese Serie vorerst anonym veröffentlicht hat. Liberale und kritische Geister, die im heimischen Medienbetrieb ihr Geld verdienen, müssen sehr vorsichtig agieren. In der selbstverliebten heimischen Medienbranche, in der sich die überwiegende Mehrheit der Journalisten als politisch links deklariert[iii], schätzt man Nestbeschmutzer nicht besonders. Wer nicht mit dem Meinungsstrom schwimmt, für den kann es beruflich und wirtschaftlich rasch eng werden.

Nachdem in dieser Serie die Arbeit von gut einem Jahr steckt, und es mir als Autor wichtig ist, meine Erkenntnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, habe ich mich nun entschlossen, die Texte als Buch unter meinem Namen zu veröffentlichen, auch im Bewusstsein, dass das für mich – und damit natürlich auch für meine Kinder – negative finanzielle und berufliche Konsequenzen haben kann. Ich heiße Werner Reichel, habe Ethnologie und Kommunikationswissenschaften studiert und bin seit vielen Jahren im Privatrundfunkbereich tätig und lehre an einer Wiener Fachhochschule Radiojournalismus. Näher Infos zum Buch und zu meiner Person: www.wernerreichel.at

„Die roten Meinungsmacher“ wird entweder von der Presse kaum wahrgenommen, und damit relativ unbeachtet in der Versenkung verschwinden, oder aber, es wird als zu einseitig, zu polemisch, etc. in der Luft zerrissen. Zweiteres wäre wesentlich erfreulicher.

„Die roten Meinungsmacher – SPÖ Rundfunkpolitik von 1945 bis heute“ ist im Handel erhältlich.

http://www.amazon.de/roten-Meinungsmacher-SP%C3%96-Rundfunkpolitik-1945-heute/dp/3868880461/ref=sr_1_sc_1?ie=UTF8&qid=1338905588&sr=8-1-spell

Endnoten

[i] Siehe Die Presse; 13.01.2012.

[ii] Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat  Republik Österreich 1993 aufgrund des ORF-Monopols wegen Verstoßes gegen die Menschenrechte verurteilt.

[iii] Bei einer repräsentative Umfrage unter heimischen Journalisten gaben 60 % der befragten Rundfunkjournalisten an, sie stünden politisch „links“ bzw.  „eher links“. Siehe Kaltenbrunner. 2008.

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Selektive Wahrheiten drucken

Praktisch alle Medien haben sich mit einer Bilanz des ersten Obmann-Jahres von Michael Spindelegger beschäftigt, so auch der „Standard“, der sich am 21. April 2012 besonders ausführlich mit dem Werdegang des Vizekanzlers auseinandersetzte:

„Nach der Matura schlug der Bürgermeistersohn Spindelegger eine Laufbahn ein wie unzählige Schwarze zuvor: Jusstudium, Landesdienst, Milizoffizierslaufbahn, Abstecher in die Privatwirtschaft (Alcatel, Siemens, Verbund), Beitritt zum konservativen Cartellverband (CV) – konkret zur Verbindung Norica, der auch sein großes Vorbild Alois Mock angehört. Als „Karriere mit Leere" beschrieb Profil einmal süffisant Spindeleggers unauffälligen Weg. Nach einer Lehrzeit im Kabinett des als erzkonservativen Hardliner verschrienen Verteidigungsminister (sic!) Robert Lichal saß er zwölf diskrete Jahre im Nationalrat ab, eines im Europaparlament und zwei weitere als zweiter Nationalratspräsident.“

Dieser Bericht ist ein Musterbeispiel für die Unprofessionalität, die das österreichische Medienwesen heute leider auszeichnet. Spöttisch wird Spindeleggers „fade“ Laufbahn skizziert, werden Wertungen vorgenommen, und schließlich auch noch der süffisante Befund von „profil“ übernommen, der dem ÖVP-Obmann eine „Karriere mit Leere“ bescheinigte.

Dass der Schwarze den Linken in „Standard“ und „profil“ nicht sympathisch ist, sollte nicht dazu führen, dass die in internationalen Qualitätszeitungen übliche strikte Trennung zwischen Bericht und Meinung/Kommentar kaum mehr stattfindet. Das ist kein Ruhmesblatt für unseren Journalismus. Und eine zweite Frage stellt sich an dieser Stelle: Michael Spindeleggers Lebenslauf ist möglicherweise fad, aber immerhin lückenlos dokumentiert.

Bei Werner Faymann – wir haben schon darüber berichtet – besteht tatsächlich eine Leere – und zwar von sieben Jahren! Herr Faymann gibt über seine „Ausbildung“(?) zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr keine Auskunft; diese dürfte im Wesentlichen bei der sozialistischen Jugend stattgefunden haben. Es ist erstaunlich, dass derartiges die investigativen Journalisten von „Standard“ und „profil“ bis heute nicht zu interessieren scheint.

Entlarvend war auch ein Beitrag, der Anfang April in den „Salzburger Nachrichten“ die Beziehungen des mittlerweile sattsam bekannten Lobbyisten Peter Hochegger zu seinem Freimaurer-Bruder Friedrich Rödler – damals Generalsekretär im Verkehrsministerium und zugleich Vorsitzender der Vergabekommission – im Zusammenhang mit einer öffentlichen Auftragsvergabe aufdeckte. Der Letztgenannte ist inzwischen zum Chef des Patentamtes avanciert, obwohl er kein SPÖ-Mann, sondern eher dem FPÖ-/BZÖ-Lager zuzurechnen ist – aber Freimaurerbeziehungen haben in der SPÖ bekanntlich noch nie geschadet. Dass andere Medien diese doch durchaus interessante Geschichte nicht aufgegriffen haben, zeigt, wie selektiv die Wahrnehmung der heimischen Journalisten bereits geworden ist.

Das gilt auch für die unausgewogene Berichterstattung über den Untersuchungsausschuss, wo sich etwa der solariumgebräunte BZÖ-Mann Stefan Petzner als zweiter Überaufdecker nach Peter Pilz geriert, so als ob es die blau-orangen Verdächtigen (von Gorbach über Rumpold, Meischberger bis zu Grasser) nie gegeben hätte. Selbst der Wiener Bürgermeister – alles andere als ein Freund der ÖVP – meinte dazu trocken: „Die Hauptdefraudanten waren die Freiheitlichen“. Dennoch wird von den Medien der Eindruck erweckt, es stehe hauptsächlich die ÖVP am Pranger.

30.000 Vollidioten

Da passt es auch gut ins Bild, dass man sich Mitte Mai wieder einmal in das Thema „Karl Lueger“ verbeißen konnte, wobei in der Frage nach wie vor höchst unseriös und unhistorisch die Verbannung Luegers etwa damit begründet wird, dass Adolf Hitler den Wiener Bürgermeister als großes Vorbild bezeichnet hatte. Damit wird Lueger von vielen Journalisten taxfrei zum Urheber der KZs, ja des Holocausts hochstilisiert.

Das ist natürlich Unsinn und auch wissenschaftlich unseriös, denn Lueger ist – genauso wie andere historische Personen – aus seiner Zeit, aus seinem historischen Umfeld heraus zu beurteilen. Dieselben Pseudo-Historiker und Journalisten, die bei Karl Lueger allerstrengste Maßstäbe der Nachgeborenen anlegen, sind bei Ikonen der linken Bewegung viel rücksichtsvoller und vergesslicher, was insbesondere für Karl Renner und Julius Tandler gilt. Es müsste auch seriösen Historikern bekannt sein, dass Karl Renner den Weg Österreichs als „20jährigen Irrweg“ bezeichnet hatte und 1938 freudig mit „Ja“ zum Anschluss an Hitler-Deutschland stimmte.

Tandler hatte sich schon 1916 in einem Vortrag für die „Reinzucht auch beim Menschen“ und gegen die „Rassenmischung“ ausgesprochen und wurde dann 1924 noch deutlicher: „Welchen Aufwand übrigens die Staaten für vollkommen lebensunwertes Leben leisten müssen, ist zum Beispiel daraus zu ersehen, dass 30.000 Vollidioten Deutschlands diesen Staat zwei Millionen Friedensmark kosten. Bei der Kenntnis solcher Zahlen gewinnt das Problem der Vernichtung lebensunwerten Lebens im Interesse der Erhaltung lebenswerten Lebens an Aktualität und Bedeutung.“ Tandler hoffte, dass „die Idee, dass man lebensunwertes Leben opfern müsse, um lebenswertes zu erhalten, immer mehr ins Volksbewusstsein dringen wird“. Tandler sollte recht behalten: Die Ideen sind ins Volksbewusstsein eingedrungen, mit schrecklichen Konsequenzen im Dritten Reich.

Karl Lueger und Julius Tandler haben – trotz ihrer zeitgeistigen Verirrungen – beide großartiges für Wien geleistet. In diesem Sinne sollte man ihnen auch ihre Straßen und Plätze lassen, möglicherweise versehen mit Tafeln, die die historischen Hintergründe erklären.

Derartige objektive Betrachtungen dieser Frage wird man in den heimischen Medien vergeblich suchen. Karl Lueger historische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen ist kein „cooles“ Thema für einen Journalisten, der in seiner Redaktion weiterkommen möchte. Allzu starke Objektivität könnte die Karriere gefährden, also duckt man sich brav unter die Denk- und Schreibverbote einer immer stärker um sich greifenden „political correctness“.

Zwangsbordell

Oder erinnern wir uns an die Missbrauchsdiskussion. Genüsslich und breitflächig wurde über Missbrauchsfälle im Rahmen der katholischen Kirche berichtet, gezielt wurde das Thema am Kochen gehalten und immer wieder neu aufgewärmt. Damit kein Missverständnis entsteht: Diese Dinge sind unentschuldbar und gehören auch entsprechend an den Pranger gestellt, keineswegs soll hier dem Vertuschen das Wort geredet werden! Aber es ist doch auffallend, wie mit wie viel weniger Nachdruck Missbrauchsfälle außerhalb der katholischen Kirche behandelt werden.

Und da wurde noch gar nicht die Qualität und Intensität der Missbrauchshandlungen releviert. Dass etwa im Bereich der Gemeinde Wien über Jahre hindurch in einem Kinderheim ein Zwangsbordell unterhalten wurde, dessen Umtriebe schon einmal untersucht, aber von eben derselben Gemeinde Wien rasch in einer Schublade entsorgt wurden, war unseren Medien nur eine wesentlich weniger umfangreiche Berichterstattung wert.

Generell sind für die unausgewogene Berichterstattung zwei Gründe denkbar: einerseits die Sympathien eines interessensgeleiteten Journalisten-Mainstreams für links-grüne Themen, oder die Befürchtung, durch eine „unfreundliche Berichterstattung“ vielleicht weniger Inseratenaufträge aus dem reichhaltigen Fundus roter Funktionäre zu erhalten. Für beide Motive gibt es solide Indizien. Unabhängiger Journalismus sieht anders aus.

Dr. Herbert Kaspar ist Herausgeber der ACADEMIA, deren aktueller Mai-Ausgabe dieser Kommentar entnommen ist.

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Die roten Meinungsmacher (31): A neicha Senda, Nudlaug: Sozialistisches Privatfernsehen drucken

Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinen Entscheidungen Mitte der 90er Jahre die TV-Landschaft in Österreich verändert und für die SPÖ eine neue Situation geschaffen. Die Sozialisten müssen sich mit den neuen TV-Machern im Kabel abfinden, ein Zurück gibt es nicht mehr, schließlich ist Österreich nunmehr Mitglied der EU. Neue Beschränkungen der Rundfunk- und Pressefreiheit, also der Menschenrechte, kommen deshalb auch für die SPÖ-Monopolhardliner nicht mehr in Frage.

Auch wenn die zumeist kleinen Kabelfernsehsender vorerst kein allzu großes Publikum erreichen, müssen die Sozialdemokraten eine neue Strategie erarbeiten. Und die haben die Medien- und Kommunikationsspezialisten der SPÖ schnell gefunden. Wenn es nicht mehr ausreicht, den ORF zu kontrollieren und zu instrumentalisieren, um die Meinungshoheit im Fernsehen weiter hochhalten zu können, dann muss man eben auch auf dem neuen Spielfeld, dem des Privatfernsehens, aktiv werden.

Ganz neu sind diese Überlegungen allerdings nicht. Als Radio CD in Ostösterreich Ö3 und Radio Wien das Leben schwer gemacht hatte, haben ÖGB-Vertreter mit der CD-Geschäftsführung still und heimlich über eine Beteiligung der Gewerkschaft an dem Grenzlandsender verhandelt.[i] Als Radio CD aufgrund der Senderabschaltungen ins Trudeln gerät, verwirft der ÖGB seine Pläne allerdings wieder.

W 1 – der BAWAG-Sender

Und so tauchen im Frühjahr 1997 in ganz Wien Plakate mit den Sprüchen „A neicha Senda, Nudlaug“ und „A echta Wiena schalt jetz´ um“[ii] auf. Die Plakate mit den derben Sprüchen bewerben den neuen Sender im Wiener Kabelnetz: W1.

Hinter dem neuen „Wiener Stadtfernsehen“ stehen als Haupteigentümer die Gewerkschaftsdruckerei Elbemühl und die Gewerkschaftsbank, die BAWAG.

Wenig später steigen mit kleineren Anteilen noch die Erste Österreichische Sparkasse, die EA Generali und Wüstenrot mit ein.

Nicht nur die wichtigsten Geldgeber sind gestandene Sozialisten, auch das journalistische Personal kommt Großteils aus der linken Reichshälfte. Chefredakteur des neuen Wiener Privatsenders wird Hans Besenböck, ehemaliger Redakteur der Arbeiterzeitung und langgedienter ORF-Mitarbeiter. Beim Staatsfunk hatte er unter anderem als ZiB-Chef und als Radiochefredakteur gewerkt.

Die Sozialisten lassen sich ihren Privatsender durchaus etwas kosten. Im ersten Jahr will man zwischen 60 und 90 Millionen Schilling für den Kabelsender ausgeben.[iii] Eine recht zurückhaltende Prognose, es sollten wesentlich mehr Millionen werden. Aber immerhin hängen am Wiener Kabelnetz rund 380.000 Fernsehhaushalte[iv] das sind in etwa 800.000 potentielle W1-Zuseher. Um die zu erreichen, will man klotzen, nicht kleckern.

Das neue rote Privat-TV geht am 15. April mit großen Erwartungen auf Sendung. Wiens Bürgermeister Michael Häupl höchstpersönlich startet per Knopfdruck den Sender seiner Genossen.

Doch trotz millionenschwerer Investitionen und Ausgaben dümpelt der Sender bei nur rund zwei Prozent Marktanteil in den Wiener Kabelhaushalten herum. „Mit einer Talkleiste und Lokalnachrichten ist der Sender unfreiwillig komisch und kommt bei den Wienern nicht an.“[v] Nach nur drei Monaten wird die Geschäftsführung ausgetauscht, die neue Führungsmannschaft besteht aus den ehemaligen ORF-Mitarbeitern Karl Matuschka und Walter Amon. Matuschka war Technikdirektor und Amon roter Betriebsratschef im Staatsfunk.

Ohne Gebühren fällt das Wirtschaften schwer

Wie vom gebührenfinanzierten ORF gewohnt und gelernt gibt auch dieses Duo das Geld mit beiden Händen aus. Dafür gibt es Programmhighlights wie eine Partnerbörse mit Dragqueen Mario Soldo oder Aufzeichnungen vom Catchen am Wiener Heumarkt.

Bei solch erlesenem Programm braucht der Sender natürlich ständig frisches Geld. Und da ein Privatsender bekanntlich keine Rundfunkgebühren kassieren darf, müssen die Gesellschafter einspringen. EA Generali, Wüstenrot und Erste Bank wollen allerdings ihr Geld nicht weiter in einem Projekt mit fragwürdigen Zukunftsaussichten verbrennen. Deshalb ist bereits im Herbst 1998 die BAWAG, nach den nötigen Kapitalerhöhungen, W1-Mehrheitseigentümer.

„Auch hausgemachte Probleme sind bei Wien 1 schwer zu übersehen: Erfahrung, Geschick und Glück des Geschäftsführers, des Programmlieferanten, aber auch des Chefredakteurs als private Fernsehmacher sind eher begrenzt.“[vi]

BAWAG-Direktor Helmut Elsner, der später wegen finanzieller Malversationen im Gefängnis landet, verkündete damals angesichts gigantischer Verluste[vii] die Durchhalteparole: „Wir sind da hineingegangen, um drinnenzubleiben, und nicht, um uns wieder zurückzuziehen".[viii] Ein schwerer Fehler, wie sich noch herausstellen sollte: „125,227 Millionen Euro investierte die Gewerkschaftsbank BAWAG von 1999 bis 2006 in den Sender, ohne einen Cent Gewinn zu machen.“[ix]

Der Versuch der Sozialisten mit viel Geld und mit in Ungnade gefallenen ORF- Mitarbeitern im Privatfernsehen zu reüssieren hat sich als veritabler Flop erwiesen. Der Sender wird vom Wiener Publikum nicht angenommen und wird für die BAWAG zum Multimillionengrab. Im Jahr 2000 ist Schluss für W1. Mit dem neuen Namen ATV versucht man noch einmal durchzustarten.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)

Endnoten

[i] Dies hat einer der ehemaligen CD Geschäftsführer dem Autor in einem Interview bestätigt. Eine Beteiligung kam jedoch nicht zustande, da Radio CD aufgrund von Senderabschaltungen in Turbulenzen geriet. Siehe Kapitel 21: Radio CD: Der Feind aus dem Osten.

[ii] Siehe Fidler. 2008. Seite 41.

[iii] Siehe Austria Presse Agentur. 17.3. 1997.

[iv] Damit ist das Wiener Kabelnetz das damals größte Netz Europas.

[v] Kornmüller. 2001. Seite 171.

[vi] Fidler. 2004. Seite 294.

[vii] Die Zeitschrift Format kolportierte damals Anfangsverluste von rund 700 Millionen Schilling.

[viii] Austria Presse Agentur. 5.3.1998.

[ix] Fidler. 2008. Seite 40.

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Die roten Meinungsmacher (30): Gerhard Zeiler: Die „Privatisierung“ des ORF drucken

Anfang der 90er Jahre beginnt sich die Rundfunklandschaft in Österreich, trotz der vehementen Blockadepolitik und der Querschüsse der SPÖ, langsam zu verändern.

In den Kabelnetzen beginnen erste TV-Rebellen, eigene Lokalprogramme zu senden; Radiopiraten halten die Fernmeldebehörde auf Trab; aus den Nachbarländern machen heimische Privatradiopioniere mit österreichischen Programmen Ö3 oder Radio Kärnten Konkurrenz; der ORF verliert immer mehr Fernsehzuseher an deutsche Privatfernsehsender wie RTL oder SAT1; von Jahr zu Jahr können mehr ausländische TV-Sender via Satellit und Kabel empfangen werden; der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt die Republik Österreich, weil noch immer der ORF das absolute Sendemonopol innehat; und rund um Österreich im Westen, Norden, Süden und sogar im Osten senden Private TV- und Radiostationen.

Die goldenen Monopolzeiten gehen für den ORF und die SPÖ nun langsam, aber sicher zu Ende. Das muss auch Gerd Bacher, der mittlerweile auf die 70 zugeht, erkennen. Er leitet mit mehreren Pausen seit 1967 die Geschicke des Staatsrundfunks, aus dem einstigen Tiger ist ein Rundfunkdinosaurier geworden, der mit den aktuellen Entwicklungen schlicht überfordert ist.

Die Ära Bacher neigt sich dem Ende zu

Zu viele Fronten haben sich im Kampf um die Erhaltung der Macht des ORF aufgetan. Bachers langjährige Strategie, dem ORF alle Konkurrenten vom Leib zu halten, hat sich angesichts der politischen, technologischen und internationalen Entwicklungen totgelaufen. Das weiß auch Bacher selbst, deshalb gibt er die Parole aus „Vom Monopol zum Marktführer“.[i]

Doch dass der knapp 70-Jährige noch der richtige Mann dafür ist, das glauben immer weniger, schließlich sprechen die Fakten eine andere Sprache. Trotz seiner Monopolstellung liegen die Marktanteile des ORF-Fernsehens unter Bacher nur noch zwischen 40 und 45 Prozent.

[ii]

Angesichts dieser unerfreulichen Zahlen braucht die Bundeskanzler-Partei, die SPÖ, dringend einen neuen, kompetenten und starken Mann an der Spitze des ORF, denn was nutzt den Sozialdemokraten ein großer und vollkommen überteuerter Staatsfunk, wenn immer mehr Österreicher statt ORF lieber RTL, SAT1 oder Pro7 schauen.

„Auf Dauer, darüber waren sich alle Medienexperten einig, wird sich der ORF gegenüber der privaten Konkurrenz nur behaupten können, wenn er erstens noch attraktiver und zweitens um vieles billiger als bisher arbeite. Eine Totalreform des ORF erschien als einzig zielführende Maßnahme.“[iii]

Genosse Zeiler kommt als Intendant

Dieser Mann ist schnell gefunden: Gerhard Zeiler. Sozialisiert im linken Milieu: Assistent am Institut für Berufsforschung, Redakteur beim SP-Pressedienst und Pressesprecher für die beiden SPÖ-Bundeskanzler Fred Sinowatz und Franz Vranitzky. Zudem war Zeiler unter ORF-Generalintendant Thaddäus Podgorski ORF-Generalsekretär. Schon damals soll Zeiler hinter den Kulissen den ORF gelenkt haben, da Podgorski mit seinem Amt vollkommen überfordert war. „Als Generalsekretär unter Generalintendant Thaddäus Podgorski galt er schon damals als eigentlicher ORF-Manager.“[iv] Mit dem Abgang von Podgorski wechselt Zeiler nach Deutschland, dort ist er zwei Jahre lang Geschäftsführer von Tele5 und weitere zwei Jahre von RTL2.[v]

„Der ideale Mann. (…) Gerhard Zeiler (…) hat einerseits das Zeug als Manager, um den ORF in den nächsten vier Jahren in ein schlankes Unternehmen umzukrempeln. Andererseits ist er politisch versiert genug, um als Vranitzkys Mann auf dem Küniglberg die Weichen in die richtige Richtung zu stellen.“[vi]

Ein Mann wie Zeiler wird dringend gebraucht, denn die öffentlich-rechtliche Anstalt steckt tief in der Krise, nicht nur was die miserablen Reichweiten betrifft. Eine Studie des deutschen Betriebsberatungsunternehmens Gemini Consulting stellt dem ORF ein denkbar schlechtes Zeugnis aus: „Bacher hat in seinen vergangenen Amtsperioden offenbar doppelt so viele Leute wie nötig eingestellt und Strukturen von byzantinischer Schwerfälligkeit geschaffen (…).“[vii]

Die deutschen Studienautoren lassen am Staatsfunk kaum ein gutes Haar: „Im ORF wurden bislang Aufgaben bereichsweise sehr unterschiedlich wahrgenommen, vor allem existiert keine strategische und operative Zentral-Steuerung. (…) auch mangelt es an einschlägigem Problembewusstsein, an konsequenter Zielgruppenorientierung und ihrer Umsetzung in die konkrete Programmarbeit.“[viii]

Zeilers Wahl zum Generalintendanten ist mit den üblichen politischen Intrigen, Tausch- und Gegengeschäften zwischen den beiden Koalitionspartnern SPÖ und ÖVP verbunden. Weil SPÖ-Mann Zeiler auch einige Bürgerliche in sein Führungsteam holt, bekommt er auch viele Stimmen von der ÖVP. Schließlich versichert ÖVP-Chef Erhard Busek seinen Kuratoren, „daß die ÖVP beim besten Willen nichts gegen sie einwenden könnte.“[ix]

Her mit den Quotenprogrammen

Und so wird Zeiler am 17.10.1994 vom ORF-Kuratorium mit 31 von 35 Stimmen zum neuen Generalintendanten gewählt. Von ÖVP-Seite erhält Zeiler lediglich von Helmut Kukacka und Heribert Steinbauer eine Abfuhr. Wie so oft, hat sich die ÖVP auch bei dieser Wahl von der SPÖ über den Tisch ziehen lassen. Das merkt sie, ebenfalls wie so oft, aber viel zu spät. Die Konsequenz: Aus Trotz verhindert die Volkspartei Zeilers Plan, den ORF in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Die ÖVP kann Zeiler „diesen Sieg nicht gönnen. Auch wenn sie selbst eine ORF-AG, sogar mit Beteiligung von privatem Kapital, über Jahre hinweg gefordert hat.“[x]

Ansonsten ist Zeiler mit der Umsetzung seiner Reformen, seinen Konzepten und Plänen aber durchaus erfolgreich. „Er versucht eine Kulturrevolution mit verkehrten Vorzeichen auf dem Küniglberg – und holt alles, was im Privatfernsehen Erfolg hat, ja noch ein bißchen mehr zur Rettung der Quote ins ORF Programm.“[xi]

Zeiler definiert drei operative Zielsetzungen:

  1. Sicherung der Marktführerschaft im Fernsehen und im Radio
  2. Effizientes Wirtschaften
  3. Einstieg in neue Geschäftsfelder[xii]

Mit Zeiler gehen die Quoten des ORF wieder steil nach oben. Im heimischen Staatsfunk sind plötzlich Sendungen und Formate zu sehen, die man bisher nur aus dem deutschen Privatfernsehen kannte. Was in Deutschland funktioniert, setzt Zeiler auch im ORF um: „(…) Walter Schiejok talkt gegen Hans Meiser bei RTL am Nachmittag über UFOs und eingewachsene Zehennägel. Vera Russwurm tritt gegen Margarete Schreinemakers an (…). Den Kurier-Chefredakteur Peter Rabl schickt Zeiler gegen Erich Böhmes „Talk im Turm“ bei Sat1 ins Rennen und so weiter.“[xiii]

Unter Zeiler sendet das ORF-Fernsehen erstmals 24 Stunden rund um die Uhr. Die Zeiten, als um Mitternacht herum die österreichische Bundeshymne das Programm beendet hat, sind damit vorbei.

Zeiler hat den ORF von Grund auf reformiert, das Programm kommerzialisiert und ihn aus der (Quoten-)Krise geführt. Er hat dafür gesorgt, dass der ORF der SPÖ, trotz des schwieriger werdenden Umfelds, auch weiterhin als Propagandasender mit großer Reichweite zur Verfügung steht. Denn an der politischen Ausrichtung der ORF-Berichterstattung und der Nachrichten- und Informationssendungen hat sich unter Zeiler freilich nichts geändert.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: A neicha Senda, Nudlaug: Sozialistisches Privatfernsehen)

Endnoten

[i] Siehe Mocuba. 2000. Seite 3.

[ii] Fidler. 2004. Seite 247.

[iii] Wieser. 1999. Seite 2.

[iv] Fidler. 2004. Seite 224.

[v] Siehe Fidler. 2008. Seite 618.

[vi] WirtschaftsWoche. Nr.2/6.1.1994. Seite 18.

[vii] WirtschaftsWoche. Nr. 42/13.10. 1994. Seite 35.

[viii] Wieser. 1999. Seite 65.

[ix] WirtschaftsWoche. Nr. 43/20.10.1994. Seite 34.

[x] Fidler/Merkle. 1999. Seite 113.

[xi] Fidler/Merkle. 1999. Seite 113.

[xii] Siehe Wieser. 1999. Seite 69.

[xiii] Fidler. 2004. Seite 226.

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Mailath-Pokorny, Lueger und die Wahrheit: Mieser geht’s nimmer drucken

Das Vorgehen des Wiener SPÖ-Stadtrats Mailath-Pokorny in Sachen Lueger war, wie sich jetzt herausstellt, so mies, dass einem nur noch strafrechtlich inkriminierbare Worte für ihn einfallen.

Mailath-Pokorny begründete die – am Freitag endgültig durchgezogene – Umtaufung des Lueger-Rings mit einer angeblichen „Wissenschaftsfeindlichkeit“ des einstigen Wiener Bürgermeisters. Lueger habe die Universitäten als „Brutstätten der Religions- und Vaterlandslosigkeit“ bezeichnet.

Klingt arg. Das ist aber, wie sich jetzt herausstellt, ein in ganz widerlicher Manier aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat – und meinte genau das Gegenteil: Es war eine scharfe Attacke Luegers auf die Umtriebe gewalttätiger Burschenschafter, welche die Universitäten in den Tagen vor seiner Rede in eine solche Brutstätte verwandelt haben!

Der Historiker Gerhard Hartmann hat (in der Zeitschrift "Academia") das ganze Zitat ausgegraben: „Die Universitäten dürfen nicht weiter ein Boden für Umsturzideen, ein Boden für Revolution, ein Boden für Vaterlands- und Religionslosigkeit sein. Wenn ich so bedenke, was in letzter Zeit sowohl an der Wiener als auch an der Grazer Universität und auch anderswo vorgegangen ist, so überkommt mich wirklich die Frage, ja sind denn das wirklich Männer der Wissenschaft? Ich lese aus der Zeitung, dass alle mit Knütteln und Ochsenziemern versehen umhergehen, um anderen Köpfen ihre Wissenschaft beizubringen . . .“

Die gewalttätigen Umtriebe jener Burschenschafter in jenen Jahren sind historisch so gut bekannt, dass ein für Schulen und Kultur zuständiger Stadtrat rücktrittsreif wäre, wenn er nicht gewusst haben will, worauf sich dieses Zitat bezieht. Also ist seine Verwendung entweder eine absolute Sauerei – oder ein Solidaritätserklärung mit dem Prügelterror der damaligen Burschenschafter.

Welche der drei Erklärungen auch immer stimmt: Sie sind mies, Herr Mailath. Und wenn Sie sich durch diesen Ausdruck beleidigt fühlen, klagen Sie mich. Oder Sie entschuldigen sich öffentlich bei Lueger.

 

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Die roten Meinungsmacher (29): Als die Bilder laufen lernten: Die neue Freiheit im Kabelnetz drucken

Während die Liberalisierung des Hörfunkmarkts Mitte der 90er Jahre schleppend voranschreitet, herrscht im Fernsehbereich zu dieser Zeit Stillstand, zumindest fast. Denn am 7. Juli 1993 beschließt der Nationalrat nicht nur das verpfuschte Regionalradiogesetz, sondern ändert auch das Rundfunkgesetz.

Diese kleine Änderung betrifft die heimischen Kabelbetreiber. Ihnen war bisher strengstens untersagt, „aktiven“ Kabelrundfunk zu betreiben, das heißt selbst Programme zu produzieren und auszustrahlen. Das dürfen sie zwar auch weiterhin nicht, aber immerhin können sie nun Textnachrichten und Standbilder über ihre Netze verbreiten. Geld dürfen sie damit aber nicht verdienen, Werbung ist ihnen nämlich strikt untersagt. Dafür dürfen die Texte, schließlich ist man ja „großzügig“, mit Musik unterlegt werden.

Die Kabelbetreiber nutzen jedenfalls die ihnen gewährte neue kleine „Freiheit“. So kündigt etwa Telekabel-Geschäftsführerin Alfreda Bergmann-Fiala kurz darauf ein neues „privates Fernsehprogramm aus Wien“[i] an, mit dem Zusatz, „wenngleich nur mit bescheidener Grafik und Text". Mit solchen „Konkurrenten“ am TV-Markt können selbst SPÖ und ORF leben.

Wie viele Bilder pro Sekunde dürfen stehen?

Doch nicht alle sind so brav und gesetzestreu wie Frau Bergman-Fiala. So wie beim Hörfunk, ist es auch beim Fernsehen ein Kärntner, der sich schon sehr früh gegen das staatliche Diktat auflehnt. Bereits 1991 startet Josef Schabernig, Elektrohändler und lokaler Kabelnetzbetreiber in Friesach seinen Sender mit dem deftigen Namen FKK (Friesacher Kabelkanal), freilich komplett illegal. „Er wurde von der Behörde mit Anzeigen eingedeckt und 1994 wurde seine Anlage von der Post plombiert, was ihn an der weiteren Ausstrahlung seines Lokalprogramms hindern sollte.“[ii]

Wie bereits der Kärntner Radiopionier Willi Weber geht Schabernig ins Rundfunkexil. Damit die Fernmeldebehörde nichts gegen ihn unternehmen kann, verlegt er kurzfristig seinen Sendstandort nach Italien.

[iii]

Wie Josef Schabernig reagieren im Laufe der Jahre immer mehr Kabelbetreiber und Privatfernsehpioniere auf die repressiven Rundfunkgesetze, die Unterdrückung und die Verfolgung – mit Widerstandsgeist und viel Kreativität.

So interpretieren einige von ihnen, was denn eigentlich ein Standbild sei, äußerst großzügig. Schließlich können Standbilder sehr schnell hintereinander gezeigt werden. „Der Übergang vom Standbild zum bewegten Bild war dann sehr fließend“.[iv]

Die widerspenstigen Lokalfernsehmacher setzten auf den sogenannten Stroboskopeffekt. Mit einem Videoeffektgerät wurde der Film in Einzelbilder zerlegt, danach wurden rund fünf „Standbilder" pro Sekunde gesendet. Das ergibt zwar noch keinen echten Film, aber die etwas abgehackten Bewegungen können bereits als solche wahrgenommen werden. Sozusagen Daumenkino im Kabelfernsehen. Und damit die gestrenge Fernmeldebehörde nicht auf dumme Gedanken kommt, blendet man noch zusätzlich den Hinweis ein: „5 Standbilder pro Sekunde.“[v]

Die Standbilder unterlegt man auch noch mit Sprache, was zwar verboten ist, schließlich erlaubt das Gesetz nur Musik, doch um sich nicht vollkommen lächerlich zu machen, drückt auf Weisung des damaligen Verkehrsministers Viktor Klima die Fernmeldebehörde ein Auge zu.[vi] Denn im Nachbarland Deutschland senden zu dieser Zeit bereits seit rund zehn Jahren ganz legal Privatsender und auch in den noch bis vor kurzen kommunistischen Ländern Osteuropas gehen überall private TV-Stationen auf Sendung.[vii]

Gegen rote Blockaden hilft nur der VfGH

Doch mit solchen Minimalzugeständnissen wollen sich die Kabelbetreiber nicht abspeisen lassen. Sie wollen, so wie mittlerweile überall in Europa, endlich richtiges Lokalfernsehen machen, ganz legal und ohne Tricksereien. FKK-Betreiber Josef Schabernig und acht Kabelnetzbetreiber[viii] aus der Steiermark ziehen deshalb vor den Verfassungsgerichtshof.

Und einmal mehr werden die Richter, aufgrund der Untätigkeit und des Unwillens der Politik, zu den eigentlichen Gestaltern der heimischen Rundfunklandschaft. Am 27.9.1995 stellt der VfGH fest, „dass die Beschränkungen in der RVO der EMRK (Artikel 10 Absatz 1) widersprechen und deshalb verfassungswidrig sind.“[ix]

Die Verfassungsrichter geben der Politik bis 31.7. 1996, also rund neun Monate Zeit, das Gesetz verfassungskonform zu reparieren. Tut sie dies nicht, können die Kabelbetreiber ab 1.8.1996 legal echtes TV-Programm mit bewegten Bildern produzieren und ausstrahlen. Jene neun Kabelbetreiber, die die Klage beim VFGH eingebracht haben, können aufgrund einer gesetzlichen Regelung, die besagt, „dass der erfolgreich gegen ein Verfassungsgesetz Klagende unverzüglich die Vorteile von dessen Aussetzung wahrnehmen darf,“[x] bereits mit 27.9.1995 legal senden. Die Zeitschrift TV-Media teilt die heimischen Privat-TV Macher Anfang 1996 in vier Gruppen ein:

  • „Die Legalen: Jene die geklagt haben. Neben Friesach ist Privat-TV in folgenden Netzen erlaubt: Voitsberg, Eisenerz, Hausmannstätten, Feldbach, Knittelfeld, Kalsdorf, Fürstenfeld und Graz.
  • Die Halblegalen: Sie senden rasant geschnittene Standbilder, was nicht ausdrücklich verboten ist – eine typisch österreichische kabarettreife Lösung. Ein dazu passendes ‚Radioprogramm‘ erklärt die Bilder – was zwar gegen geltende Gesetze verstößt, von Verkehrsminister Klima aber per Weisung erlaubt wurde. Der Übergang zum normalen TV-Bild ist fließend.
  • Die Illegalen: Immer von der zwangsweisen Abschaltung und Beschlagnahmung durch die Post bedroht, senden sie munter drauf los. Ihr Vorteil: Bei der allgemeinen Legalisierung ab 1. August haben sie bereits TV-Erfahrung.
  • Die Bastler: Viele üben derzeit den Schritt in die televisionäre Zukunft noch. Vorerst gibt es (legale) Teletext-Informationen mit dazu passenden Fotos, unterbrochen von schnell wechselnden Standbildern“[xi].

Privatfernsehen kommt schleichend in das Kabelnetz

Angesichts der Untätigkeit und Ignoranz der Medienpolitiker, gehen – Verbote hin oder her – in den folgenden Monaten immer mehr Kabelbetreiber mit eigenen Programmen und mit echten Bewegtbildern auf Sendung. Die Zeitschrift TV-Media berichtet im Frühsommer 1996: „Sensationell: Zwar ist Privat-TV bei uns verboten. Doch TV-Media fand 21 Pioniere, die trotzdem senden.“[xii]

Zu diesen Sendern, die das Verbot einfach ignorieren, gehört pikanterweise auch RTV, der sein Programm in der Südstadt in Niederösterreich verbreitet. RTV gehört nämlich mehrheitlich dem Österreichischen Gewerkschaftsbund. Die ÖGB-Druckerei Elbemühl hält 50 Prozent an dem Sender. Angesichts solcher Zustände gibt ein verzweifelter Beamter des Verkehrsministeriums in TV-Media zu Protokoll: „Ich habe den Verdacht, da scheißt sich keiner mehr was um die gültigen Verbote.“[xiii]

Auch mit dem Werbeverbot nehmen es die Privatfernsehpioniere nicht ganz so genau, man sendet einfach „bezahlte Produktinformationen“.

Und obwohl die Verfassungsrichter SPÖ und ÖVP einen klaren Auftrag erteilt haben, lassen diese die Frist ungenützt verstreichen. Der Medienrechtler Heimo Czepl erklärt dieses Nichthandeln mit Konzeptlosigkeit: „Als sehr bedenklich erscheint mir jedoch, dass knapp sechs Monate vor Ablauf der Frist seitens der politischen Parteien überhaupt kein konkretes Konzept für die Ausgestaltung eines privaten Rundfunksystems besteht.“[xiv]

Jedenfalls dürfen ab 1.8.1996, zumindest in den Kabelnetzen, private österreichische Fernsehprogramme verbreitet werden. Einmal mehr hat nicht die Politik bzw. die SPÖ, sondern ein Gericht für ein weiteres kleines Stück Rundfunk-, Presse- und Meinungsfreiheit gesorgt. Der Verfassungsgerichtshof „erweist sich auch diesmal als Zentralanstalt für Medienpolitik.“[xv]

Daran ändert sich auch in den folgenden Monaten und Jahren nichts. Im Oktober hebt der VfGH, nach entsprechenden Klagen unzufriedener Programmmacher, auch das Werbeverbot im Kabel-TV auf.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)

Endnoten

[i] Austria Presse Agentur. 1.2.1994.

[ii] Loidl. 1999. Seite 52.

[iii] WirtschaftsWoche. Nr. 49. 2.12.1993.

[iv] Loidl. 1999. Seite 48.

[v] Loidl. 1999. Seite 49.

[vi] Siehe TV Media. 3/1996. Seite 12.

[vii] 1993 senden bereits in Litauen, Tschechien, Estland, Polen und Rumänien private TV-Stationen

[viii] Voitsberg, Eisenerz, Hausmannstätten, Feldbach, Knittelfeld, Kalsdorf, Fürstenfeld, Graz.

[ix] Draxl. 2003. Seite 43.

[x] Kraiger. 1999. Seite 88.

[xi] TV Media 3/1996 Seite 12.

[xii] TV Media. 19/96. Seite 26f.

[xiii] TV Media. 19/96. Seite 26.

[xiv] Czepl zitiert nach Draxl. 2003. Seite 44.

[xv] Fidler. 2004. Seite 293.

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Die roten Meinungsmacher (28): ORF unter Schock: Der Senkrechtstart der Antenne Steiermark drucken

Seit seiner Gründung im Jahr 1967 bis zum Start der Antenne Steiermark Ende 1995, war Ö3 der einzige Radiosender Österreichs, der aktuelle Popmusik spielte. Wer keine Schlager, Oldies, Volksmusik oder Klassik im Radio hören wollte, der kam an Ö3 nicht vorbei. Obwohl das Programm Mitte der 90er Jahre längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit war, waren die Hörerzahlen, dank der Monopolstellung des bereits etwas angestaubten Senders mit einer Tagesreichweite von 36,1 Prozent[i], noch halbwegs akzeptabel.

Um der künftigen privaten Konkurrenz nicht ganz unvorbereitet entgegenzutreten, verbannt Senderchef Edgar Böhm Anfang 1995 die sperrigsten Sendungen aus dem Ö3-Programm. Magazine wie die Musicbox oder Zick Zack werden auf den Sender FM4 ausgelagert, der gemeinsam mit Blue Danube Radio auf der vom ORF gekaperten vierten bundesweiten Frequenzkette ohne große Hörerschaft vor sich hin sendet. Um den Sender durchhörbarer zu machen wird auch das einstündige Mittagsjournal, das Ö3 von Ö1 übernommen hatte, gestrichen. Mit diesen  Maßnahmen wähnt sich die ORF-Führung für die Sendstarts der neuen Privatsender gerüstet.

Dank des von SPÖ und ÖVP verpfuschten Regionalradiogesetzes bleibt dem ORF aber ohnehin die große Konkurrenz erspart, lediglich in der Steiermark und in Salzburg treten regionale Herausforderer an. Kurz, nachdem die Antenne Steiermark Ende September auf Sendung gegangen ist, lassen der ORF und die Antenne beim Meinungsforschungsinstitut Fessel-GfK eine Umfrage durchführen. Das Ergebnis, das Anfang November veröffentlicht wird, ist für den ORF ein riesiger Schock:

Der neue Privatsender kommt aus dem Stand bei der für die Werbewirtschaft relevanten Zielgruppe der 14-49jährigen in der Steiermark auf eine Tagesreichweite von 47,1 Prozent und lässt damit die beiden ORF-Sender Ö3 mit 36,1 Prozent und Radio Steiermark mit 27,7 Prozent deutlich hinter sich.

Wenig später bescheinigt auch der Radiotest der Antenne Steiermark sensationelle Hörerzahlen: Der neue Privatsender kommt bei den 14-49jährigen auf 54 Prozent Tagesreichweite, Radio Steiermark und Ö3 sind mit 21 bzw. 20 Prozent weit abgeschlagen.[ii]

Beim ORF schrillen nun alle Alarmglocken. Das Desaster in der Steiermark ist eine Sache, wenn allerdings die Privatsender, die in näherer oder mittlerer Zukunft auch in den anderen Bundesländern starten werden, ähnlich erfolgreich sind, dann haben die Staatsradios ein ernsthaftes Problem. Eile ist geboten, schließlich reformiert man einen Monopolsender mit verkrusteten Strukturen und veraltetem Programm nicht von heute auf morgen.

„Der Grund für die Nervosität: Ö3 will mit der Reform dem Privatradiogesetz zuvorkommen, hat Angst vor steirischen Zuständen.“[iii]

Weg mit dem Bildungsauftrag, her mit bci

Und ORF-Generalintendant Gerhard Zeiler handelt schnell: Der glücklose Ö3-Chef Edgar Böhm wird auf einen gut dotierten Posten entsorgt und durch den bisherigen Ö3-Musikchef Bogdan Roscic ersetzt. Das staatliche Hitradio zieht aus dem Funkhaus in der Wiener Argentinierstraße aus und bekommt eigene Räumlichkeiten an der Donaulände. Und weil guter Rat teuer ist, engagiert man die erfolgreiche deutsche Radioberatungsfirma bci, sie soll aus Ö3 einen konkurrenzfähigen Popsender machen.

„Maßgeblichen Einfluß auf die Neugestaltung von Ö3 hatte (…) die Beratungsfirma bci, die in Deutschland zahlreiche private Radiostationen betreut hat und die ihrem Ruf unter anderem durch den Know-how-Transfer von den USA nach Deutschland erworben hat. Acht bci-Berater, jeder einzelne mit einem eigenen Schwerpunkt, waren und sind für den ORF und Ö3 tätig.“[iv]

Kurz, man bringt den Sender, „auf ebenso kommerzielle wie konkurrenzsichere Stromlinie.“[v]Der öffentlich-rechtliche Auftrag spielt dabei kaum noch eine Rolle, wichtig ist vielmehr, die künftigen privaten Konkurrenten gar nicht erst groß werden zu lassen. Ö3 wird mit Hilfe der Beratungsfirma bci in einen „staatlichen Privatsender“ umgewandelt. Schließlich will man sich, wie der damalige Hörfunkintendant Gerhard Weis verkündet, „auf diesen Wettbewerb erstklassig vorbereiten“[vi], um weiterhin überlegener Marktführer zu bleiben.

Während SPÖ und ÖVP nun in aller Ruhe an einem neuen Entwurf für das Privatradiogesetz basteln, haben Roscic und die bci genügend Zeit, das Ö3-Programm fit für die künftige Konkurrenz zu machen. Schon damals mutmaßen Experten, dass noch mindestens ein oder zwei Jahre ins Land ziehen werden, bevor in Österreich flächendeckend Privatsender starten dürfen. Antenne Steiermark-Geschäftsführer Alfred Grinschgl: „Meiner Meinung nach haben diese beiden Gesellschaften [Antenne Steiermark und Radio Melody, A.d.V.] einen Startvorteil von zumindest zwei Jahren gegenüber allen andern Regionalradios.“[vii]

Es sollte noch bis zum 1. April 1998 dauern.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)

Endnoten

[i] Quelle: Radiotest, 2. Quartal 1995; Hörer 10+. 36,1% Tagesreichweite entspricht ca. 2,5 Millionen täglicher Hörer, ein Wert, den Ö3 trotz verschärfter Konkurrenz im 2. Halbjahr 2011 mit 37,1% sogar übertrifft.

[ii] Austria Presse Agentur. 6.8.1996.

[iii] TV Media. 21/1996.

[iv] Kräuter. 1998. Seite 146.

[v] Fidler. 2004. Seite 292.

[vi] Siehe Kräuter. 1998. Seite 146.

[vii] Wieser. 1997. Seite 13. 

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Die roten Meinungsmacher (27): Bitte warten: Der Fehlstart der Privatradios drucken

Was ohnehin längst alle wussten, entscheidet die Regionalradiobehörde pro forma am 21.12.1994, drei Tage vor Weihnachten. Nach den Feiertagen am 18. Jänner erteilt die Behörde dann offiziell die Zulassungsbescheide.

In allen Bundesländern bekommen die lokalen Zeitungsgrößen ihre Lizenz, mit einer Ausnahme, in Salzburg ziehen die Salzburger Nachrichten gegen den Radiopionier Viktor Lindner und seinen Kompagnon Arnold Henhapl den Kürzeren.

Folgende Bewerbergruppen erhalten den Zuschlag der Regionalradiobehörde:

Wien: Radio Eins Privatradio GmbH

Bank Austria: 36 Prozent, Krone Media BeteiligungsgmbH (Kronen Zeitung): 26 Prozent, Styria: 10 Prozent, Fellner Media (News): 10 Prozent, Metro Zeitschriften Verlag (Wiener): 8 Prozent, Oscar Bronner (Der Standard): 10 Prozent.

Wien: K4 Privatradiogesellschaft

Bertelsmann-Tochter Ufa (RTL), Signum-Verlag, Wirtschaftsverlag Tochter Informa, Manstein-Verlag, Ottakringer Brauerei, Wiener Städtische Versicherung, Falter, Mazda Rainer, Thomas Madersbacher.

Oberösterreich: Oberösterreichische Privatrundfunk GmbH

J. Wimmer GmbH (Oberösterreichische Nachrichten): 26 Prozent, Landesverlag (OÖ Rundschau): 26 Prozent, Tele-Kurier (Kurier): 10 Prozent, Österreichische Zeitungs-, Verlags- und Vertriebs GmbH (Neues Volksblatt): 10 Prozent, Privates Radio OÖ GmbH: 10 Prozent, Oberbank: 8 Prozent, Gutenberg-Werbering: 5 Prozent, Informationsdienst- und Medienbeteiligungs GmbH: 5 Prozent

Niederösterreich. RPN-Radio Privat Niederösterreich GmbH

Tele-Kurier (Kurier): 26 Prozent, Niederösterreichisches Pressehaus (NÖN): 26 Prozent, Die Erste Beteiligungsverwaltung: 14,7 Prozent, HBV Beteiligungs-GmbH (Landes Hypo): 14,7 Prozent, Utilitas Dienstleistungs-Gmbh (EVN): 14,7 Prozent, Niederösterreichische Audiovision: 4 Prozent

Burgenland:  Privatradio Burgenland GmbH

Burgenländisches Kabelfernsehen (BKF): 15 Prozent, Kabel-TV Burgenland: 15 Prozent, Hypo Bank Burgenland: 10 Prozent, Krone Media BeteiligungsgmbH: 10 Prozent, Raiffeisenlandesbank Burgenland: 10 Prozent, Oscar Bronner GmbH: 10 Prozent, Metro Zeitschriften Verlag: 10 Prozent, BF Medienbeteiligungs-GmbH: 10 Prozent, BVZ Medien und Beteiligungs-GmbH: 10 Prozent.

Steiermark: Antenne Steiermark Regionalradio GmbH

Styria: 26 Prozent, RLB-Beteiligungs-GmbH (Raiffeisenlandesbank Steiermark): 5 Prozent, Informations- und Medien GmbH (Steirische Wochenpost): 10,5 Prozent, TVS (Neue Zeit): 10,5 Prozent, Fellner Medien (News): 10,5 Prozent, Krone Media Beteiligungs GmbH: 10 Prozent, Medien Süd-Ost Beratungs- und Beteiligungs GmbH (Leykam): 15 Prozent, diverse steirische Wirtschaftstreibende: 10 Prozent, AWE-KA-Kapitalverwaltungs GmbH: 3 Prozent.

Kärnten: Regionalradio Kärnten GmbH

Informations- und Medien GmbH (Kärntner Tageszeitung): 22 Prozent, Buchdruckerei Carinthia: 16 Prozent, Multi Media Zeitschriftenverlags GmbH (Kärntner Monat): 12 Prozent, Raiffeisenverband Kärnten: 12 Prozent, Styria: 10 Prozent, Verein Hermagoras: 10 Prozent, Neue Welle Rundfunk GmbH: 10 Prozent, Kärntner Landes-Hypo: 7 Prozent, RS Privatradio GmbH: 6 Prozent.

Tirol: RRT-Regionalradio Tirol GmbH

Schlüsselverlag J.S. Moser (Tiroler Tageszeitung): 26 Prozent, Salzburger Nachrichten VerlagsgmbH: 10 Prozent, Eugen Ruß Vorarlberger Zeitungsverlag (Vorarlberger Nachrichten): 10 Prozent, Telefon & Buch Verlags GmbH (Oschmann Gruppe): 10 Prozent, BTV 2000 Beteiligungsverwaltungs GmbH (Bank für Vorarlberg und Tirol): 17 Prozent, Raiffeisenlandesbank Tirol: 17 Prozent, Beteiligungs- und Investment GmbH: 10 Prozent.

Vorarlberg: Vorarlberger Regionalradio GmbH

Eugen Ruß Vorarlberger Zeitungsverlag (Vorarlberger Nachrichten): 26 Prozent, Vorarlberger Landesgruppe der Industriellenvereinigung: 10 Prozent, BTV 2000 BeteiligungsverwaltungsgmbH: 25 Prozent, Salzburger Nachrichten Verlags GmbH: 10 Prozent, Schlüsselverlag J.S. Moser: 10 Prozent, Telefon & Buch Verlags GmbH: 10 Prozent, BAWAG: 9 Prozent.

Salzburg:  Radio Melody GmbH

Arnold Henhapl: 50 Prozent, Livia und Viktor Lindner: 50 Prozent.

Unterlegene Bieter ziehen zum VfGH

Die Zeitungsverleger können zufrieden sein, zumindest vorerst. Denn viele der glücklosen Bewerber ziehen nun vor den Verfassungsgerichtshof. Insgesamt 33 Beschwerden gehen beim VfGH ein. Alle zehn Zulassungsbescheide werden beeinsprucht.

Die Beschwerden beziehen sich, wenig überraschend, auf genau jene Punkte, die Juristen und Experten von Anfang bemängelt hatten: Den nebulosen Frequenznutzungsplan und die damit verbundene geringe Anzahl von ausgeschriebenen Privatradiozulassungen. So kritisiert etwa der Staatsrechtler Hannes Tretter, "die Bestimmung des Regionalradiogesetzes, nach der jedes Privatradio in sich pluralistisch sein müsse. Besser wäre es, die Pluralität der Meinungen durch eine Vielzahl von Anbietern zu sichern.“[i]

Genau das wollte die SPÖ mit diesem Gesetz aber verhindern: Eine Vielzahl an Sendern, die nicht unter ihrer direkten oder indirekten Kontrolle stehen. Doch selbst die zehn Radiogesellschaften, die eine Zulassung von der Regionalradiobehörde bekommen haben und mit 1. September on Air gehen wollen, werden angesichts der Beschwerden beim VfGH nervös. Schließlich haben sie schon viel Geld in den Aufbau ihrer Sender und Mannschaften investiert, der Privatradioverband spricht gar von 500 Millionen Schilling[ii]

Die Ängste der Leider-Noch-Nicht-Radiomacher erweisen sich als begründet. Am 2. Mai sistiert der Verfassungsgerichtshof die Zulassungsbescheide, was heißt, die Privatradiosender dürfen, solange keine endgültige Entscheidung gefallen ist, auch nicht auf Sendung gehen. Der Privatradioverband drängt deshalb auf eine rasche Entscheidung des VfGH, am besten noch vor dem Sommer, „damit die Lizenzgesellschaften ein Minimum an Rechtssicherheit haben"[iii], so Franz Ferdinand Wolf, Sprecher des Verbands Österreichischer Privatradios.

SPÖ und ORF dürfen sich jedenfalls freuen, die Radioliberalisierung ist durch ein bewusst schlampig verfasstes Gesetz einmal mehr verzögert worden. SPÖ Bundesgeschäftsführer Josef Cap vergießt öffentlichkeitswirksam ein paar Krokodilstränen und bezeichnet die Verzögerung für die Privatradiobetreiber als „äußerst bedauerlich“[iv] und fügt allen Rechtsexperten zum Hohn hinzu, „er sei nach wie vor der Meinung, daß mit dem Regionalradiogesetz ein verfassungskonformes Gesetz vorliege.“[v]

Zudem tut er das, was die SPÖ in Sachen Medienpolitik stets gerne tut: Reformen und Vorhaben nicht umzusetzen sondern anzukündigen; eine Medienoffensive werde es geben, so Rundfunkmonopolfreund Cap.

Regionalradiogesetz wird aufgehoben

Für die von Cap verhöhnten Zulassungsinhaber kommt es aber noch schlimmer. Am 5. Oktober hebt der Verfassungsgerichtshof Teile des Regionalradiogesetzes als verfassungswidrig auf. Begründung: „Die Politik müsse für eine klare Aufteilung von ORF- und privaten Frequenzen und bei diesen wiederum zwischen regionalem und lokalem Radio sorgen. Nach derzeitiger Rechtslage hätte es der ORF in der Hand, durch Ausstrahlung weiterer Hörfunkprogramme ‚beliebig‘ die Frequenzen der Privaten zu verringern.“[vi]

Exakt das, was Rechtsexperten von Anfang an kritisiert hatten, hat nun zur Aufhebung des Gesetzes geführt. Franz Ferdinand Wolf vom Privatradioverband spricht deshalb von einem „medienpolitischen Zwentendorf.“[vii]

Die Radiogesellschaften können ihre bisher getätigten Investitionen in den Wind schreiben, das heimische Rundfunkmonopol bleibt weiter bestehen, zumindest in sieben von neun Bundesländern.

Nur Salzburg und Steiermark gehen auf Sendung

Denn zwei der Lizenzinhaber hatten es noch vor der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs geschafft, sich mit ihren unterlegenen Mitbewerbern zu einigen, worauf diese ihre Beschwerden beim VfGH zurückgezogen hatten.

Alfred Grinschgl, der damalige Geschäftsführer der Antenne Steiermark in einem Interview:

„Der einzig verfassungsrechtliche einwandfreie Weg für die Antenne (…) doch noch eine Lizenz zu erhalten, war der, mit den Beschwerdeführern, die unsere Lizenzerteilung blockiert hatten, Verhandlungen aufzunehmen. Wir haben versucht, die Beschwerdeführer in unsere Gesellschaft einzugliedern, um dadurch zu bewirken, daß sie ihre Beschwerden beim VfGH wieder zurückziehen. (…) Alle drei haben rechtzeitig ihre Beschwerden zurückgezogen und sind nun als Teilhaber in unsere Gesellschaft integriert. Dies hatte zur Folge, daß unser Lizenzbescheid wieder in voller Rechtskraft gültig war.“[viii]

Die Antenne Steiermark beteiligte ihre Mitbewerber, die RS-Radio und den Journalistenclub (ÖJC) mit 1 bzw. 1,1 Prozent an ihrer Regionalradio-Gesellschaft, das Freie Studenten-Radio wurde mit Sendezeit am Sonntagabend zufriedengestellt. Für die Antenne Steiermark war somit der Weg zum Sendestart frei. Auch Radio Melody in Salzburg konnte seine Mitbewerber zum Zurückziehen ihrer Beschwerden bewegen. Beide Radiogesellschaften konnten deshalb wie geplant auf Sendung gehen.

Am 22.9. geht in Dobl bei Graz die Antenne Steiermark on Air. Die ersten Worten spricht Programmchef Bernd Sebor: „Hallo, herzlich willkommen, Grüß Gott. Hier ist Antenne Steiermark, Österreichs erstes Privatradio (…)“[ix]

Wenige Tage später am 17.10. geht in Salzburg Radio Melody auf Sendung. Zumindest in diesen beiden Bundesländern bekommen 1995 die öffentlich-rechtlichen Radios erste private Konkurrenz, es kommt „zum formalen Ende des umfassenden ORF Monopols“[x]

Zum Vergleich: In Deutschland startete mit R.SH das erste Privatradio bereits 1986[xi] Im südlichen Nachbarland Italien senden Privatradios sogar schon seit Ende der 70er Jahre.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)

Endnoten

[i] Austria Presse Agentur. 14.3.1995.

[ii] Siehe Fidler/Merkle. 1999. Seite 112.

[iii] Austria Presse Agentur. 3.5.1995.

[iv] Austria Presse Agentur. 30.6.1995.

[v] Austria Press Agentur. 30.6.1995.

[vi] Fidler/Merkle. 1999. Seite 112.

[vii] Österreichisches Atomkraftwerk, das zwar fertig gebaut, nach einem Volksentscheid, aber nie in Betrieb genommen wurde.

[viii] Wieser. 1997. Seite 13.

[ix] Lengyel-Sigl. 2006. Seite 85.

[x] Streit. 2006.Seite 65.

[xi] Der eigentlich älteste private Hörfunksender in Deutschland ist das französischsprachige Radio Europe 1. Der Sender wurde während der französischen Verwaltung des Saarlandes gegründet, um ein Verbot kommerziellen Rundfunks in Frankreich zu umgehen. Obwohl zunächst rechtlich nicht legitimiert, wurde er unter deutscher Funkhoheit im Saarland weitergeführt.

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Lueger und die heutigen Sozialisten drucken

„Die Presse“ vom 22. April 2012 illustriert in einem Artikel mit dem Titel „Wiens Problem mit Karl Lueger“ ausgiebig die penetrante Einseitigkeit, groteske Undankbarkeit und fragwürdige Gesinnung der gegenwärtigen Nomenklatur und ihrer journalistischen Dienstboten im Umgang mit der Geschichte. Selbstverständlich hat nicht „Wien“ ein Problem mit dem ehrenden Gedenken an seinen größten Bürgermeister, sondern das derzeit herrschende sozialistische Regime hat ein Problem.

Und dieses hat ja nicht nur ein Problem mit Bürgermeister Lueger, sondern auch mit Unterrichtsminister Drimmel, mit Bundeskanzler Figl, mit Bundeskanzler Dollfuß, mit den Habsburgern, mit der Kirche, praktisch mit allen politischen Persönlichkeiten und Institutionen, die für die Größe einer nichtsozialistischen Vergangenheit stehen und für die Plausibilität eines nichtsozialistischen Gesellschaftsentwurfes. Daher rühren auch die unter jeglichem pseudomoralischen Vorwand betriebenen Versuche historischen Rufmordes an den ungeliebten Vorfahren und die ständige Herabwürdigung ihrer bedeutenden Leistungen und ihres ruhmvollen Erbes.

Der gegenwärtige Zustand einer in politischer Unfähigkeit, Korruption und Niedertracht versinkenden Republik macht zugleich auch sehr deutlich, warum dieser seit Jahrzehnten von der Linken betriebene Vergangenheitshass nicht nachlässt und immer umfassendere und totalitärere Züge gewinnt. Von der veröffentlichten Meinung bis in den Schulunterricht, von Luegerring und Luegerdenkmal bis in die Akademie der Bildenden Künste, vom Friedhof und vom Kriegerdenkmal bis zur Inschrift auf dem Linzer Domportal — man verträgt in linken Kreisen den Vergleich mit der Vergangenheit nicht, denn die Leistungen und Hervorbringungen einer sozialistischen Gegenwart sind so jämmerlich, dass man dazu übergeht, die Maßstäbe und Vorbilder zuzukleistern, wegzureißen, einzuschmelzen, die eine allzu unbequeme Beurteilung des Heute und Jetzt ermöglichten.

Und so wird Lueger auf seine antisemitische Wahlkampfrhetorik reduziert, selbstverständlich ohne sich die Frage zu stellen, ob unfaire Formulierungen nicht auch berechtigte Kritik enthalten haben und Auswüchse legitimer politischer Selbstbehauptung gewesen sind. Was etwa Karl Kraus so gesehen haben dürfte – gewiss einer der scharfsichtigsten Intellektuellen des Jüdischen Österreichs – der in nüchterner Würdigung der völlig außerordentlichen Leistungen Luegers sein entschiedener Anhänger gewesen ist. (Kraus hat übrigens auch Luegers abfällige Meinung über den Journalismus geteilt).

Für eine mit Finanzkrise, Geldentwertung und allgemeinem Niedergang als Früchte ihres Tuns konfrontierten politischen Funktionärskaste ist es im Jahr 2012 besonders wichtig, Straßen umzubenennen und die Demontage eines der prominentesten und künstlerisch wertvollsten Denkmäler Wiens zu „fordern“; ungeachtet der Tatsache, dass der Staatsmann, dem es gewidmet ist, bis heute den Dank der Bevölkerung der Stadt verdient und dass er seiner bis heute segensreich nachwirkenden Leistungen wegen dieses Denkmal errichtet bekommen hat und nicht, weil von ihm seinerzeit „antisemitisch“ agitiert wurde. Ein Antisemitismus, den Lueger überdies, als er dann zu den Schalthebeln der Macht gekommen war, ad acta zu legen wusste, was er damals auch klar kommunizierte, etwa gegenüber dem kritisch nachfragenden Kaiser Franz-Joseph.

Es ist erfreulich, dass der derzeitige ÖVP-Landesparteichef Juraczka scharf gegen die Umbenennung des Luegerrings Stellung genommen hat. Es ist bezeichnend, dass man vom Ex-VP-Obmann Busek, der einst (als er auch noch eine ganz andere Politik vertreten hat) eine große Luegerbüste in seinem Büro im Rathaus stehen hatte, nunmehr keine Worte zur Verteidigung Luegers vernimmt. Und es ist ausgesprochen mutig von Andreas Unterberger, zu jenen infamen Akten progressistischen Denkmalsturms klare Worte zu publizieren; Österreich verfügt erfreulicherweise noch über Persönlichkeiten mit Mut zu aufrechtem Gang.

Albert Pethö, Dr. phil, Jahrgang 1956, ist Historiker und Buchautor sowie Herausgeber der Zeitschrift ‚Die Weiße Rose’ (http://www.die-weisse-rose.at). Er ist Mitglied der K. A. V. Bajuvaria, der K.Ö.L. Ferdinandea und des Corps Ottonen.

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Menschenjagd einst und heute drucken

Die Zustände rund um unsere Universitäten beweisen wieder einmal zwei Erfahrungssätze. Erstens: Linke Gutmenschen sind immer mit Begeisterung bei Konflikten von vorvorgestern zwar ethisch, aber total einäugig. Zweitens: Bei den linken Sauereien von heute sind die Bürgerlichen viel zu knieweich und die Linken schauen natürlich sowieso nicht hin.

Man vergleiche einfach die Aufregung um das Thema Lueger mit den aktuellen Vorgängen. Da schreibt eine einst bürgerliche Zeitung in einem langen Feuilleton über die schweren Studentenunruhen in den 30er Jahren – und schiebt sie dann schwuppsdiwupps Karl Lueger in die Schuhe. Obwohl dieser damals schon Jahrzehnte tot war, und obwohl es auch ähnlich schwere Auseinandersetzungen zwischen katholischen (also Luegers Erbe nahe stehenden) und nationalsozialistischen Studenten gegeben hat wie zwischen diesen und jüdisch-sozialistischen. Aber wenn die Linke agitiert, haben Fakten und Logik noch nie eine Rolle gespielt. Und Ethik sowieso nicht.

Denn wäre Ethik ein Thema, dann sollte man sich vielleicht auch ein wenig damit befassen, was diese Woche und nicht vor 80 Jahren an den Unis los war. Aber dazu sind weder die Linken noch einst bürgerliche Medien imstande oder willens.

In den letzten Tagen hat es nicht nur eine weitere der von vielen dieser Medien ja bisher immer begeistert gefeierten Besetzungen der Universität gegeben. Die linksradikalen Studenten haben auch handgreiflich Sitzungen des Uni-Senats zu sprengen versucht.

Der übelste Gipfelpunkt aber ist ein Aufruf zur Menschenjagd via Facebook: Dort finden sich wie auf einem Fahndungsplakat der Polizei die Photos einiger unerwünschter Professoren und Senatsmitglieder mit dem zwar nicht sehr orthografischen, aber unmissverständlichen Aufruf: „folgende person sollten bei Sichtung aufgehalten werden.“

Hier findet also Verhetzung nicht mehr bloß in der Form unerwünschter Meinungsäußerungen statt. Hier wird ganz eindeutig zu rechtswidrigen Aktionen und Gewalt aufgerufen. Was aber tun Polizei, Medien und Staatsanwaltschaft? Sie sind zwar bei politisch unerwünschten Meinungs- und Faktenäußerungen sehr aktiv. Wenn es um linke Gewalt geht, dann sind sie absolut schweigsam und desinteressiert.

Jetzt möge mir jemand erklären, wo der Unterschied zwischen den 30er Jahren und heute ist. Außer dass damals die Gewalt von schlagenden und Nazi-Studenten ausgegangen ist, während sie heute von linken Studenten ausgeht.

PS.: Nachwort zu einem der inhaltlichen Auslöser der linken Aufregungen, dem sogenannten Studium der Internationalen Entwicklung. Was vielen nicht klar ist: Es geht dabei nicht etwa darum, dass irgendjemand dieses vor ein paar Jahren erst geschaffene Studium nicht fortsetzen könnte. Sondern es geht nur darum, dass die Uni im nächsten Jahr keine neuen Anfänger mehr aufnimmt (während jederzeit Absolventen jedes anderen Bachelor-Studiums dort auch in Zukunft Master-Studien betreiben können). Das ist bei einem reinen Ideologie-Studium ohne jede Berufsperspektive nicht nur legitim, sondern auch absolut richtig. Die einzigen, die dadurch einen Nachteil erleiden, sind die dortigen Assistenten oder Professoren (und jene, die es noch werden wollen). Daher liegt die Annahme mehr als nahe, dass es diese waren, welche die Studenten in die Rechtswidrigkeit gehetzt haben. Ach wie freut man sich, dass da ständig mehr des nicht vorhandenen Steuergelds an diese Unis gepumpt werden.

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Die roten Meinungsmacher (26): Wer bastelt mit? Das Regionalradiogesetz drucken

In Erwartung der Verurteilung aus Straßburg und im Hinblick auf den Beitritt Österreichs zur EU entschloss sich die SPÖ Anfang der 90er Jahre schließlich doch dazu, wenn auch widerwillig und ohne viel Engagement, den heimischen Rundfunk, oder besser gesagt den heimischen Hörfunk, in mehr oder weniger naher Zukunft zu liberalisieren. Bundeskanzler Franz Vranitzky verkündete deshalb, dass 1992 „ein wichtiges medienpolitisches Jahr wird.“[i]

Im Medienjahr 1992 legen SPÖ und ÖVP immer wieder überarbeitete Entwürfe des Regionalradiogesetzes vor. Dabei entfernte man sich langsam von dem bereits im Frühjahr 1990 entstandenen Entwurf, der noch weitgehend auf dem obskuren Radio-Print[ii]-Vorschlag basierte. „Den Juristen dämmerte, dass der (…) Kompromissentwurf vielleicht doch nicht so brauchbar sein könnte.“[iii]

Doch die Verhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP geraten immer wieder ins Stocken, schließlich hatte man damals Wichtigeres zu tun, als die Beseitigung des anachronistischen Rundfunkmonopols. 1992 war auch Wahljahr. Ein neuer Bundespräsident wurde gekürt und die beiden Chefverhandler, ÖVP-Generalsekretär Ferdinand Maier und SPÖ-Zentralsekretär Josef Cap, widmeten sich lieber dem Wahlkampf und ihren jeweiligen Kandidaten „Die angestrebte Einigung darüber noch vor dem Sommer (…) war deshalb ziemlich unwahrscheinlich geworden.“[iv]

Werbezeit des ORF hat Vorrang

Zudem sind die beiden Hauptakteure der heimischen Medienpolitik, der ORF und der VÖZ, seit 1990 damit beschäftigt, sich über die Ausweitung der ORF-Werbezeiten im Fernsehen zu streiten. Dies nimmt deren sämtliche Kräfte „in Anspruch und legt die sonstige Medienpolitik lahm.“[v] Schließlich geht es dabei für den ORF und die Verleger um viel Geld, um sehr viel Geld, und das ist den Zeitungsmachern allemal wichtiger als die baldige Zulassung von privaten Radiosendern mit ungewissen Ertragschancen.

Deshalb wird nach heftiger Intervention des VÖZ eine Einigung über die neuen ORF-Werbezeiten und das Regionalradiogesetz im Juli 1992 wieder abgeblasen.

„Den Ausschlag gibt ein Besuch von VÖZ-Präsident Werner Schrotta und seinem Generalsekretär Walter Schaffelhofer in den Mittagsstunden des 16. Juli beim Bundeskanzler.“[vi] Die beiden verlangen neue Beratungen zur künftigen Ordnung der Rundfunklandschaft, erst dann könne man über die Ausdehnung der ORF-Werbezeiten diskutieren.

Auf den Einwand von Bundeskanzler Franz Vranitzky, dass sich dadurch auch der Start der Privatradios verzögern werden, wendet VÖZ Präsident Schrotta ein: „Die Privatradios brächten für die Verlage keineswegs auch nur annähernd solche Vorteile, die die Nachteile der Ausweitung der TV-Werbezeiten aufwiegen könnten.“[vii]

Im Streit um die TV-Werbezeiten fliegen zwischen Zeitungsverlegern und dem ORF die Fetzen. Der VÖZ fordert die Privatisierung eines ORF Fernsehkanals und meint: „Der ORF befinde sich unternehmenspolitisch und ideell in der Krise.“[viii]  Konter von ORF-Chef Gerd Bacher: „Eine kranke Zeitungsbranche schlägt Rezepte für einen gesunden Rundfunk vor.“[ix]

Weil 1993 aber die Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor der Tür steht, macht die Politik Druck auf die beiden Streithähne. Am 16. Juni einigen sich VÖZ und ORF schließlich auf den mittlerweile dritten elektronischen Grundkonsens, allerdings ohne die Beteiligung der Kronenzeitung.

Der wichtigste Punkt dieses neuerlichen Kuhhandels: Der ORF darf nun doch mehr und länger werben, allerdings nicht so rasch wie gewünscht. Ab 1995 darf er die Werbezeiten in Zweijahresschritten bis 2001 auf 42 Minuten pro Tag und Fernsehkanal mehr als verdoppeln.[x] Diese Einigung „im außerparlamentarischen Raum“[xi], wie es der ÖVP-Abgeordnete Vetter ausdrückt, wird in die Rundfunkgesetz-Novelle übernommen.[xii] Im Gegenzug dürfen die Verleger „nun sehr konkret auf Radiolizenzen für ihr Heimatbundesland hoffen.“[xiii]

Von einer Privatisierung eines ORF-Fernsehkanals wollen die Zeitungsverleger nun plötzlich nichts mehr wissen, sehr zum Ärger Hans Dichands und der Brüder Fellner. Trotzdem war nun der Weg zu einer neuen Rundfunkordnung frei.

Das Regionalradiogesetz – eine österreichische Lösung

Nur wenige Tage nach der Einigung zwischen ORF und VÖZ beschließt der Nationalrat mit den Stimmen der beiden Regierungsparteien am 9.7.1993 das Regionalradiogesetz, trotz vieler Bedenken. Denn das Gesetz ist alles andere als unumstritten. Nach vielen Jahren des Verhinderns und Verzögerns wurde nun auf Druck von außen eine, wie es Kanzler Vranitzky nannte, „österreichische Lösung“[xiv] gefunden. Was nach den jahrelangen Erfahrungen mit der SPÖ-Rundfunkpolitik nur als gefährliche Drohung aufgefasst werden konnte.

Zudem warnt SPÖ-Abgeordneter Peter Schieder vor „Mißverständnissen (…), daß durch Zulassung regionaler Anbieter im Radiobereich dieser Möglichkeit auch im Fernsehbereich Tür und Tor geöffnet werde. Das ist nicht beabsichtigt. Vielmehr wolle man Klarheit schaffen, daß es „auf diesem Gebiet so weit und nicht weiter" gehen könne.“[xv]

Doch selbst die gesetzlichen Grundlagen zur Liberalsierung des Radiomarktes  haben, wie es Vranitzky bereits unbeabsichtigt angedeutet hat, von Anfang an mehrere Schönheitsfehler. „Weder hat man den verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung getragen, noch Anregungen aus der Begutachtung durch Sozialpartner und Institutionen eingearbeitet.“[xvi] Im Nationalrat stellt deshalb Abgeordneter Thomas Barmüller vom Liberalen Forum fest: „Im Regionalradiogesetz sind (…) einige demokratiepolitische Fangeisen erster Ordnung enthalten.“[xvii]

Von solcherlei Bedenken völlig unbeeindruckt und wissend um die ins Gesetz eingebauten Sollbruchstellen verkündet Josef Cap, der an führender Stelle über Jahre die Liberalisierung des Rundfunks be- und verhindert hatte: „Wir haben hiemit (sic) wirklich (…) Meilensteine in der österreichischen Medienpolitik gesetzt. Wir haben unseren Gestaltungsauftrag erfüllt, und ich glaube: Mit Recht können die beiden Regierungsparteien stolz darauf sein.“[xviii]

Links von der SPÖ ist doch noch Platz

Der Zynismus der SPÖ wird nur noch von den Aussagen der Grünen übertroffen. Statt einer echten Liberalisierung des Rundfunks fordern sie, indirekt den Rundfunkbereich noch mehr an die Leine des Staates zu legen. Der ORF soll durch noch mehr Werbezeiten gestärkt und die kommerzielle private Konkurrenz damit gleichzeitig geschwächt werden.

Zudem fordern die Grünen, den „freien“ nichtkommerziellen Bereich im Regionalradiogesetz zu verankern. Wobei „frei“ und nichtkommerziell in diesem Zusammenhang stets bedeutet, dass der Staat bzw. staatsnahe Organisationen und Institutionen diese Radios via Förderungen am Leben erhalten.

Das stellt Grün-Abgeordnete Terezija Stoistis im Nationalrat auch von Anfang an klar: „(…) als dritte Säule einen freien, nicht-kommerziellen Radiobereich, der aber auch einer Existenzgrundlage bedarf, einer Sicherung seiner Existenz dadurch, daß finanzielle Mittel bereitgestellt werden.“[xix]Es bedarf offenbar ideologischer Wurzeln im Marxismus oder Stalinismus, um anzunehmen, dass ausgerechnet derjenige frei ist, der am Tropf des Staates hängt.

Konkurrenz schon im Ansatz abgewürgt: der Frequenznutzungsplan

Abgesehen von solchen seltsamen Einwürfen ist einer der Hauptkritikpunkte am Regionalradiogesetz der dazugehörige Frequenznutzungsplan, der zu Weihnachten 1993 im Nationalrat  abgesegnet wird. Über Jahrzehnte hatte der ORF de facto die Kontrolle über das öffentliche und knappe Gut UKW-Frequenzen. Das eigentlich für die Vergabe und Koordination von Frequenzen zuständige Verkehrsministerium ließ den ORF aus Bequemlichkeit und aus strategischen Gründen schalten und walten, wie er wollte. Das Ergebnis: Der ORF verleibt sich in Eigenregie die vierte Frequenzkette ein[xx].

Weil das aber offenbar immer noch nicht genug war, kassiert er auch noch einige Frequenzen der letzten freien, der fünften Frequenzkette ein. Die Verwalter der Frequenzen, die SPÖ-Verkehrsminister Rudolf Streicher und später Viktor Klima, drücken beide Augen zu und ließen den ORF gewähren, es war ja im Sinne ihrer Partei.

Für die Privaten blieb nur ein kläglicher Rest an UKW-Frequenzen übrig. Experten kritisierten deshalb, „daß es zu keinem Kassasturz in Sachen Frequenzen gekommen ist: Erst durch eine gründliche Aufnahme des Frequenzbestandes – inklusive der für den ORF reservierten Übertragungskapazitäten – ist eine gerechte Neuverteilung möglich.“[xxi]

Vor allem das Liberale Forum machte damals im Parlament auf diesen Missstand aufmerksam: „Das heißt, daß tendenziell die Festlegung des Frequenznutzungsplanes, ohne im Regionalradiogesetz auch ein Verfahren dafür festzuschreiben, dazu führen muß, daß der ORF gegenüber allen anderen Anbietern begünstigt wird.“[xxii]

Tatsächlich ist der Frequenznutzungsplan, dessen zentrale Funktion die Aufteilung der Frequenz zwischen ORF und Privaten ist, völlig nebulos. So wird zwar festgeschrieben, dass der Frequenznutzungsplan den ORF-Hörfunk nicht bei der Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgabe behindern dürfe. Was diese gesetzliche Aufgabe ist, wird aber nicht definiert.

Gehört es etwa zu den gesetzlichen Aufgaben, Blue Danube Radio österreichweit zu verbreiten? Was ist mit jenen „zahlreichen Füllsendern, die der ORF – offensichtlich als Teil einer bewussten Blockadepolitik – aufgeschaltet hat. Sender, die ein und dasselbe Gebiet doppelt und dreifach versorgen.“[xxiii]

SPÖ- und ÖVP-Politiker haben all diese Details bewusst offen gelassen, um den mächtigen ORF nicht zu verärgern und den „mühsam akkordierten Gesetzestext nicht zu gefährden.“ [xxiv]

Aus gutem Grund: schließlich hatte der ORF in einer Stellungnahme zum Regionalradiogesetz moniert, „daß all jene Frequenzen, die der ORF derzeit innehat, als ORF-Frequenzen Bestandteil des Frequenznutzungsplanes werden und darüber hinaus bei der Vergabe sonstiger Frequenzen der ORF vorrangig, zumindest aber nicht schlechter als sonstige Programmveranstalter behandelt wird.“[xxv]

Im Falle, dass ihm auch nur eine kleine unbedeutende Frequenz weggenommen wird, hat der ORF bereits vorsorglich angekündigt, sich an den Verfassungsgerichtshof zu wenden. Es bedarf schon einer großen Portion an Unverfrorenheit, um eine solche Forderung aufzustellen, schließlich beansprucht der ORF bereist vier der fünf nationalen Frequenzketten für sich und selbst bei der fünften hatte man sich bereits bedient. Und beim verbliebenen kläglichen Rest an Frequenzen will der ORF für etwaige „Programmangebote, die über das Mindestangebot des Rundfunkgesetzes hinausgehen“[xxvi], bevorzugt behandelt werden.

Trotz allem kommt das Privatradio

Die Folge dieser weit überzogenen ORF-Forderungen ist eine, wie es Kanzler Vranitzky ausdrückte, „österreichische Lösung“. Die Beamten der obersten Fernmeldebehörde lassen alle ORF-Frequenzen unangetastet. Das hat weitreichende Folgen: „Alleine im Großraum Wien, so errechnen die beiden Techniker Franz Brazda und Georg Lechner damals, wären wenigstens neun weitere UKW-Programme möglich – zum Preis geringfügiger Verschiebungen für die ORF-Sender.“[xxvii]

Da das aber nicht passiert, dürfen in Wien gerade einmal zwei Privatsender an den Start gehen. Das ist aber immerhin mehr als in allen andern Bundesländern, dort darf jeweils nur ein Privater senden. Das erinnert nicht ganz zufällig an das seinerzeitige Radio-Print-Modell, bei dem Verleger unter Aufsicht und Kontrolle des ORF in jedem Bundesland ein Programm hätten betreiben dürfen. Die Aufsicht des ORF gibt es im Regionalradiogesetz allerdings nicht mehr, auch nicht die Beschränkung, dass nur Zeitungsverleger Radio machen dürfen, zumindest theoretisch.

Für die insgesamt zehn zu vergebenden Privatradiolizenzen bewerben sich 154 Interessenten. Die meisten von Ihnen hätten sich diese Mühe allerdings sparen können. Bereits im November schreibt das Branchenmagazin Horizont: „Der Countdown läuft. Und gut ein Jahr vor dem angekündigten Sendebeginn steht mehr oder weniger fest, welche zehn Lizenzbewerber den Zuschlag bekommen.“[xxviii]

Wovon hatte Bundeskanzler Vranitzky gesprochen? Von einer österreichischen Lösung. Die Zeitungsverleger bekommen, wer hätte das gedacht, ihre Radios.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)

Endnoten

[i] Sommer. 1996. Seite 47.

[ii] Siehe Kapitel 19: Der Bock als Gärtner. Die Privatradiopläne von ORF und VÖZ.

[iii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 106.

[iv] Sommer. 1996. Seite 50.

[v] Fidler/Merkle. 1999. Seite 107.

[vi] Fidler/Merkle. 1999. Seite 108.

[vii] Ebenda.

[viii] Ebenda.

[ix] Ebenda.

[x] Siehe Fidler. 2008. Seite 486.

[xi] Stenographisches Protokoll 129. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XVIII. Gesetzgebungsperiode Donnerstag, 8., und Freitag, 9. Juli 1993. Seite 14854.

[xii] Den Grünen, die sehr viele Freunde im ORF haben, ist aber selbst das zu wenig. Sie wollen die Werbezeiten noch mehr ausweiten.

[xiii] Fidler. 2008. Seite 486.

[xiv] Siehe Gattringer.1994. Seite 151.

[xv] Austria Presse Agentur. 9.7.1993.

[xvi] Fidler/Merkle. 1999. Seite 108.

[xvii] Stenographisches Protokoll 129. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XVIII. Gesetzgebungsperiode Donnerstag, 8., und Freitag, 9. Juli 1993. Seite 14856.

[xviii]  Stenographisches Protokoll 129. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XVIII. Gesetzgebungsperiode Donnerstag, 8., und Freitag, 9. Juli 1993. Seite 14862.

[xix] Stenographisches Protokoll 129. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XVIII. Gesetzgebungsperiode Donnerstag, 8., und Freitag, 9. Juli 1993. Seite 14864.

[xx] Siehe Kapitel 22: Blue Danube Radio: Der große Frequenzraub.

[xxi] Fidler/Merkle. 1999. Seite 108.

[xxii] Stenographisches Protokoll 129. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XVIII. Gesetzgebungsperiode Donnerstag, 8., und Freitag, 9. Juli 1993. Seite 14856.

[xxiii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 110.

[xxiv] Fidler/Merkle. 199. Seite 110.

[xxv] Stellungnahme des ORF zum Entwurf des Regionalradiogesetzes. Schreiben der Generalintendanz des ORF an das Bundeskanzleramt, zitiert nach Sommer. 1996. Seite70.

[xxvi] Sommer. 1996. Seite 70.

[xxvii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 111.

[xxviii] Horizont. Nr.46. 19.11.19993. Seite 10.

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SN-Kontroverse: Lueger drucken

Unter dem Titel “Kontroverse” gibt es in jeder Freitag-Ausgabe der Salzburger Nachrichten eine Doppelkolumne, in der Katharina Krawagna-Pfeifer und ich jeweils zum gleichen, von der SN-Redaktion vorgegebenen Thema schreiben. Und zwar ohne dass man gegenseitig die Texte vorher kennt.

Diese Woche steht die “Kontroverse” unter dem Titel:

Umbenennung des Lueger-Rings gerechtfertigt?

 In der Folge finden Sie die beiden – unverändert wiedergegebenen – Kolumnen. Dadurch soll dieser kreativen und spannenden Idee auch hier ein Forum gegeben werden.

Keine Ehrung für Antisemiten

Katharina Krawagna-Pfeifer war Innenpolitikerin der SN, Innenpolitikchefin sowie Leiterin des EU-Büros des “Standard” und SPÖ-Kommunikationschefin. Sie arbeitet jetzt als Publizistin und Kommunikationsstrategin (kkp.co.at).

Er halte den Mann für den "gewaltigsten Bürgermeister aller Zeiten". Dies schrieb Adolf Hitler über ihn. Er war ein faszinierender Redner und "Volkstribun" mit starkem Charisma. Seine Befürworter feierten ihn wie einen Popstar. Für Karl Lueger, der auch "Herrgott von Wien" genannt wurde, gab es sogar ein Lueger-Vaterunser: "Vater Lueger, der du wohnst in Wien, gelobet sei dein Name, beschütze unser christliches Volk (...) sondern erlöse uns von dem Juden-Übel." Von ihm stammt der Ausspruch "Wer ein Jud’ ist, das bestimm’ ich". Die Hetze gegen die Juden stand im Zentrum seiner politischer Taktik: Alle Probleme brachte Lueger auf die einfache Formel: "Der Jud' ist schuld". So entstand ein Klima der Verrohung, das die politische Kultur in Wien um 1900 nachhaltig geprägt hatte. Wegen seiner Hatzpolitik verwehrte ihm sogar Kaiser Franz Josef mehrmals die "allerhöchste Sanktion" für das Bürgermeisteramt; das er schließlich doch eroberte. Seine Amtszeit (1897 - 1910) war einerseits durch einen starken Modernisierungsschub gekennzeichnet; andererseits durch ein sehr effektives System der Ämterpatronage. Nach Karl Lueger wurde 1934 von den Austrofaschisten der Teil der Wien Ringstraße zwischen der Stadiongasse und dem Schottenring benannt. Darüber hinaus gibt es rund 30 weitere Lueger-Gedenkstätten. Nach jahrelanger Debatte soll nun endlich der Lueger-Ring in Universitäts-Ring umbenannt werden. Das ist gut so, denn die Stadt Wien demonstriert mit diesem Schritt - spät, aber doch - historisches Bewusstsein. Nicht nachvollziehbar ist aber, warum die ehrende Erinnerung nur stückweise aus dem Stadtbild entfernt wird. Die anderen Denkmäler für Lueger sollen so bleiben wie sie sind. Das ist halbherzig und ein Beweis dafür, wie zwiespältig und unsicher Wien sowie die Republik nach wie vor im Umgang mit der eigenen Vergangenheit sind.


Einäugige Demagogie

Andreas Unterberger

 Kein Zweifel: Karl Lueger hat in seiner Kleine-Leute-Politik gegen Großindustrie und Banken stark auf antisemitische Parolen gesetzt; was man nur strikt verurteilen kann. Ebenso wenig Zweifel gibt es aber auch: Lueger war der weitaus wichtigste Bürgermeister in der Geschichte Wiens; ihm hat die Stadt mehr in Sachen Städtebau, Reformen und Schönheit zu verdanken als allen späteren Bürgermeistern zusammen (deren Sündenlisten mehrere Sonderausgaben der SN füllen würden). Daher sollte es sich eine Wiener Stadtverwaltung sehr gut überlegen, wenn sie nun ausgerechnet den Name Lueger von Straßenschildern entfernt. Das erinnert heftig an die stalinistische Praxis, unliebsame gewordene Funktionäre nachträglich aus Fotos wegzuretuschieren. Jetzt gibt es keinerlei Rechtfertigung mehr, warum andere Namen mit viel weniger Verdiensten von solchen bisher vermiedenen Namens-Eliminierungen unberührt bleiben, die ebenso belastet sind wie Lueger. Auf manchen lastet sogar noch viel schwerere Schuld, kann doch Lueger keinerlei Gewalt oder Aufrufe zu solcher angelastet werden. Was ist etwa mit Karl Marx und seinen antisemitischen Bemerkungen und den Zig-Millionen Toten, die seine Ideologie gefordert hat, sehr oft gezielt unter Juden? Was ist mit Karl Renner, der nicht nur Hitlers Anschluss völlig freiwillig zugejubelt hat, sondern später auch dem zweiten großen Massenmörder des 20. Jahrhunderts, Josef Stalin? Was ist mit dem Wiener SPÖ-Stadtrat Julius Tandler, der in langen Schriften zur Tötung von "lebensunwerten" Menschenleben aufgerufen hat? Was ist mit Che Guevara, der ein paar Tausend Menschen eigenhändig ermordet hat? Ihnen allen sind in Wien Plätze oder Bauten gewidmet, ja sogar Denkmäler gebaut worden. Solange die alle unberührt blieben, ist die Lueger-Stürmerei nichts als miese parteipolitische Demagogie und historische Einäugigkeit.

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Die roten Meinungsmacher (25): Das Lentia-Urteil: SPÖ-Medienpolitik am internationalen Pranger drucken

Am 24. November 1993 fällt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein für Österreich richtungsweisendes Urteil: Das ORF-Rundfunkmonopol verstößt gegen die Menschenrechtskonvention. Es verletzt laut Artikel 10 EMRK das Recht auf freie Meinungsäußerung:

„(1) Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. Dieser Artikel schließt nicht aus, daß die Staaten Rundfunk-, Lichtspiel- oder Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen.“[i]

Die Richter in Straßburg fällen das Urteil einstimmig, die Begründung ist in deutliche Worte gefasst. Der EGMR[ii] spricht von der „fundamentalen Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft“[iii]. Das öffentlich-rechtliche Rundfunkmonopol mache aber die Rundfunkveranstaltung durch andere als den Monopolisten „völlig unmöglich“.[iv]

„Of all the means of ensuring that these values are respected. A public monopoly is the one which imposes the greatest restrictions on the freedom of expression (…)”[v] Auch die Argumentation der Regierung, wonach der österreichische Markt schlicht zu klein für ein duales Rundfunksystem sei, lassen die Richter aus gutem Grund nicht gelten:

„The assertions are contradicted by the experience of several European states of comparable size to Austria, in which the coexistence of private and public stations, according to rules which vary from country to country and accompanied by measures preventing the development of private monopolies shows the fears expressed to be groundless.“[vi]

Freiheitskämpfer auf dem Weg nach Straßburg

Das hat gesessen. Aber wie ist es überhaupt zu dem Urteil gekommen? Dem Spruch der Richter in Straßburg geht ein fast 15 Jahre dauerndes Verfahren voraus. Der Linzer Informationsverein Lentia, der in einer Wohnhausanlage ein Kabelfernsehprojekt starten wollte,[vii] blitzt damit 1978 beim zuständigen Verkehrsministerium ab. Die engagierten Vereinsmitglieder geben sich mit dem Nein von SPÖ Minister Karl Lausecker aber nicht zufrieden und schöpfen den österreichischen Instanzenzug voll aus. 1988 wenden sie sich schließlich an die europäische Kommission für Menschenrechte in Straßburg.

Der Informationsverein Lentia ist aber nicht der einzige Beschwerdeführer. In den darauffolgenden Jahren werden weitere vier Beschwerden an die Kommission gerichtet. Die Arbeitsgemeinschaft Offenes Radio (AGORA) aus Kärnten, Privatradiopionier Willi Weber, FPÖ-Chef Jörg Haider und die Radio Melody GmbH des Salzburgers Viktor Lindner treten ebenfalls den Weg nach Straßburg an.[viii]

Auch Lindner kämpft seit vielen Jahren um das Recht, Radio in Österreich veranstalten zu dürfen. Unter anderem startet er 1987 eine Plakataktion. In Salzburg affichiert er auf seinen rund 200 firmeneigenen Plakatwänden Aufrufe gegen das Rundfunkmonopol[ix], schreibt Briefe an Bundeskanzler Fred Sinowatz[x] und beantragt eine UKW-Frequenz für Linz. Freilich ohne Erfolg.

Die Mühlen des Gesetzes mahlen langsam, auch auf europäischer Ebene. Erst im Jahr 1992 wird die Europäische Kommission für Menschenrechte tätig. Die unabhängig voneinander eingebrachten Beschwerden werden zusammengefasst, am 14.1. findet eine erste öffentliche Anhörung statt.[xi]

Scheinargumente der SPÖ – kein Monopol ohne Störsender

Bei dieser Gelegenheit verteidigt sich die Bundesregierung damit, dass es laut Art. 10 EMRK Staaten schließlich erlaubt sei, Rundfunkunternehmen einem Genehmigungsverfahren zu unterziehen, was in Österreich de facto freilich nie passiert ist. Jedenfalls sei aufgrund dieses Gestaltungsfreiraumes „die Errichtung eines Monopols mit Art. 10 EMRK nicht unvereinbar“[xii].

Dass diese Argumentation äußerst holprig ist, weiß auch die Regierung, zumal bereits im Jahr 1988 der Jurist Walter Berka in seinem Buch „Rundfunkmonopol auf dem Prüfstand“ eindeutig feststellt, „daß durch die Säumigkeit des österreichischen Gesetzgebers Art. X der EMRK verletzt wird.“[xiii] Man stellt sich also schon damals auf eine Verurteilung ein und bastelt deshalb, freilich ohne großen Enthusiasmus, am Regionalradiogesetz. Noch bevor das Gesetz in Kraft tritt, entscheiden die Richter in Straßburg wie allgemein erwartet.

Obwohl das Urteil bindend ist, die Europäische Menschenrechtskonvention hat in Österreich Verfassungsrang, reagiert die SPÖ demonstrativ gelassen und stellt von Anfang an auf gut wienerisch klar, Verstoß gegen die Menschenrechte hin oder her, „nur ned hudln“.

Bundeskanzler Vranitzky, der seinerzeit 1992 zum Medienjahr erkoren hatte, verkündet im Nationalrat keck, dass das EGMR-Urteil „von der österreichischen Medienpolitik längst überholt sei.“[xiv] Schließlich wisse „in Österreich jedes Kind, daß es bei den Medien kein einziges staatliches und schon gar kein Regierungsmonopol gibt.“[xv]

Dass das ORF-Monopol rechtlich kein „Regierungs-" und kein staatliches Monopol ist, ist zwar richtig, schließlich ist der ORF – zumindest auf dem Papier - eine unabhängige öffentlich-rechtliche Anstalt. Kleiner Schönheitsfehler in Vranitzkys Argumentation: Der EGMR hat das Rundfunkmonopol des ORF und das damit verbundene Verbot von Privatrundfunk kritisiert und verurteilt, von staatlichen Monopolen ist im EGMR-Urteil keine Rede.

Aber selbst das Rundfunkmonopol, ob nun staatlich oder nicht, existiert in Österreich laut Vranitzky ohnehin nicht: „Über Kabel, Satelliten und terrestrisch können hunderttausende Haushalte seit Jahren 20 und mehr Hörfunk- und Fernsehprogramme aus dem Ausland empfangen.“[xvi] Hier haben wir sie wieder, die ebenso krude wie beliebte SPÖ- und ORF-Argumentationslinie, dass mit dem Nichtverhindern bzw. der Nichtbestrafung des Empfangs ausländischer Programme die Presse- und Meinungsfreiheit in Österreich ohnehin ausreichend garantiert sei. Aber auch hier irrt der Bundeskanzler, schließlich kritisieren die Richter in Straßburg, dass es in Österreich verboten sei, Rundfunkprogramme zu produzieren und auszustrahlen.

Lustlose Privatisierungsbemühungen ziehen sich hin

Weil das Vranitzky, trotz gegenteiliger Behauptungen, natürlich auch weiß, fügt er hinzu: „Die Regierung habe bereits 1990 mit einem Liberalisierungsprogramm beim Radio begonnen. Bald können die vorhandenen Frequenzen auf interessierte Anbieter aufgeteilt und zusätzliche regionale und kommerzielle Radioprogramme empfangen werden.“[xvii]

Über Privatrundfunk wird in Österreich schon seit Jahrzehnten lust- und ergebnislos diskutiert, Dutzende Initiativen, Gesetzesvorschläge und Konzepte wurden bereits erarbeitet. Selbst Bruno Kreisky hatte bereits 1972 aus taktischen Gründen Privatfernsehen ins Spiel gebracht[xviii]. Rundfunkfreiheit erschöpft sich allerdings nicht darin, dass man darüber jahrzehntelang diskutiert oder Expertengruppen und Arbeitskreise installiert. Rundfunkfreiheit entsteht einzig und allein dadurch, Privatrundfunk zuzulassen. Und das ist in Österreich bis dato nicht passiert.

Obwohl man es nun schwarz auf weiß, sozusagen amtlich hat, dass in Österreich seit Jahren die Menschenrechte verletzt werden, gibt es bei der SPÖ keinerlei Schuldbewusstsein. Ganz im Gegenteil. SPÖ-Chef und Bundeskanzler Vranitzky kommt zu dem Schluss. „Wie man sieht, ist unsere medienpolitische Diskussion längst über das Straßburger Urteil hinaus“[xix]. Vranitzky bezieht sich damit auf das Regionalradiogesetz, das mit 1.1. 1994 in Kraft treten soll. Der SPÖ-Chef übersieht dabei aber geflissentlich, dass sich dieses Regionalradiogesetz, wie der Name schon sagt, ausschließlich auf den Hörfunk bezieht. „Die Aussagen des Gerichtshof bleiben aber keineswegs auf den Radiobereich beschränkt.“[xx]

Rechtsanwalt Thomas Höhne, der die fünf Beschwerdeführer in Straßburg vertreten hat, mahnt deshalb nach der Urteilsverkündung von der Regierung ein: „Damit ist der Gesetzgeber verpflichtet, das Monopol abzuschaffen und eine Liberalisierung auch auf dem Fernsehsektor einzuleiten.“[xxi] Auch ÖVP, FPÖ und LiF drängen deshalb auf eine rasche Öffnung des TV-Marktes. So fordert etwa ÖVP-Klubchef Heinrich Neisser: „Eine gesetzliche Regelung für Privatfernsehen sollte – ohne lange Diskussion – im Laufe der nächsten Jahre realisiert werden.“[xxii]

Besonders optimistisch ist Rechtsanwalt Höhne allerdings nicht, schließlich ist das „Straßburger Urteil nicht einfach durch das Gericht exekutierbar.“[xxiii] Und von einer echten Liberalisierung des Fernsehens will die SPÖ trotz des eindeutigen Richterspruchs nichts wissen. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Josef Cap begnügt sich mit der vagen Ankündigung einer Scheinliberalisierung: „Im Fernsehbereich habe die SPÖ den Vorschlag unterbreitet, über ein drittes Programm zu diskutieren, das vom ORF unter Beteiligung von Privaten gesendet werden könnte.“[xxiv] An das Koalitionsabkommen mit der ÖVP aus dem Jahr 1990 will sich die SPÖ nun auch nicht mehr erinnern. Darin stand: „Es ist eine Liberalisierung des Hörfunks und Fernsehens für private Programmanbieter vorzunehmen.“[xxv]

SPÖ: Legal, illegal . . . . . . egal

Doch gegen den ÖGB ist selbst Josef Cap ein wahrer Freund des Privatfernsehens. Die Gewerkschaft pfeift auf die Menschenrechte, macht dem ORF die Mauer und sieht „derzeit keinen dringenden gesetzlichen Handlungsbedarf“[xxvi]. Was die Betonköpfe von der Gewerkschaft wirklich wollen, ist ein „starker nationaler Rundfunk.“[xxvii]

Trotz all dieser nicht gerade ermutigenden Signale stehen die ersten Fernsehmacher in spe bereits in den Startlöchern. Die von Kronenzeitungschef Hans Dichand gegründete TV-Anbietergesellschaft „Tele1.“ stellt noch im selben Jahr einen Antrag auf eine Sendelizenz. Man rechnet zwar nicht ernsthaft eine solche zu bekommen, Dichand sieht sich vielmehr als „Eisbrecher“, um die Liberalisierung des Fernsehmarktes voranzutreiben.[xxviii]

Auch der Richterspruch aus Straßburg hat bei Josef Cap und seinen Genossen keinerlei Umdenken bewirkt. Man hält weiter verbissen am ORF-Monopol fest und gibt nur zähneknirschend preis, was absolut notwendig ist. Der bekannte Medienanwalt Georg Streit kommt deshalb zu dem Schluss: „Ganz der bisherigen Linie folgend bleibt die österreichischen Politik bei ihrem Zögern und schreibt die Haltung des definitiven „Vielleicht“ zu privatem Rundfunk fort.“[xxix]

Ähnlich das Urteil von Kommunikationswissenschaftler Josef Sommer im Jahr 1996: „Trotz der Verabschiedung des Regionalradiogesetzes war bzw. ist dieses Urteil für die österreichische Medienpolitik von Bedeutung, da darin in keiner Weise zwischen Radio und Fernsehen differenziert wird, weshalb das Monopol des ORF im Fernsehbereich auch weiterhin als konventionswidrig zu bezeichnen ist.“[xxx]

Das Lentia-Urteil ist auch der Beginn einer Entwicklung, die sich noch über viele Jahre hinziehen wird: Weil die heimischen Politiker, allen voran jene der SPÖ, unwillig und unfähig sind, vernünftige Medienpolitik zu betreiben, übernehmen diese Aufgabe zwangsläufig immer öfter die Gerichte. Justitia als unfreiwillige Gestalterin der heimischen Rundfunklandschaft, auch das ein österreichisches Kuriosum. 

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)

Endnoten

[i] Artikel 10 Absatz 1 EMRK. http://www.rtr.at/de/m/EMRK-Art10 (30.10.2011).

[ii] Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

[iii] Siehe Streit. 2006. Seite 61.

[iv] Ebenda.

[v] Siehe Sommer. 1996. Seite 96.

[vi] Ebenda.

[vii] Siehe auch Kapitel: Wehret den Anfängen: Erste Monopolgegner formieren sich

[viii] Siehe Publications de la Cour Européenne des Droits de L’Homme/Publications of the European Court of Human Rights. 1994. Seite 9.

[ix] Siehe Margon. 1989. Seite 48.

[x] Das Antwortschreiben von Bundeskanzler Fred Sinowatz siehe Anhang.

[xi] Siehe Sommer. 1996. Seite 54.

[xii] Sommer. 1996. Seite 55.

[xiii] Gattringer. 1994. Seite 56.

[xiv] Sozialistische Korrespondenz  30.11.1993.

[xv] Ebenda.

[xvi] Ebenda.

[xvii] Ebenda.

[xviii] Siehe Kapitel 8:  Die Repolitisierung des Rundfunks. Kreisky und die sozialistische Gegenreform.

[xix] Sozialistische Korrespondenz  30.11.1993.

[xx] Streit. 2006. Seite 61.

[xxi] Horizont Nr. 48/93. Seite 1.

[xxii] Der Standard 26.11.1993.

[xxiii] Horizont Nr. 48/93. Seite 1.

[xxiv] Sozialistische Korrespondenz 24.11.1993.

[xxv] Siehe Fidler. 2008. Seite 486.

[xxvi] APA 24.11.1993.

[xxvii] APA 24.11.1993.

[xxviii] Siehe Horizont  Nr. 48/93. Seite 3.

[xxix] Streit. 2006. Seite 61.

[xxx] Sommer. 1996. Seite 97.

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Fußnote 288: Säubert endlich auch den Heldenplatz drucken

Jetzt geht’s Schlag auf Schlag mit der Säuberung: Die Gemeinde Wien will auf dem Heldenplatz ein Deserteursdenkmal aufstellen.

Kein Problem: Der dort reitende Prinz Eugen sollte ohnedies schon längst eliminiert werden. Hat er es doch gewagt, die Türken wieder aus Mitteleuropa zurückzudrängen. Was ja Rotgrün nun zum Glück wieder richtigstellen. Und den Erzherzog Carl sollte man auch gleich dem Altmetall zuführen. An seine Stelle könnte man ein Denkmal für Che Guevara errichten. Aber für den gibt es eigentlich schon eines, Michael Häupl sei Dank. Außerdem sind doch die paar Tausend Leute, die der umgebracht hat, für einen ordentlichen Antifaschisten wirklich blamabel wenig. Daher wäre Iossif Wissarionowitsch Dschughaschwili Stalin zweifellos geeigneter.

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Erdogans Strategie geht auf drucken

Der Prozess, der Anfang April in Ankara gegen die zwei letzten noch lebenden Mitglieder der Militär-Junta begann, die 1980 in der Türkei die Macht übernommen hatte, wird vielfach als „historischer Prozess“ bezeichnet. Was zumindest insofern passt, als er weit zurückliegende Ereignisse behandelt – und damit an andere Prozesse erinnert, mit denen unter dem Banner der „Gerechtigkeit“ gegenwärtige Politik betrieben wird. Nicht zufällig steckt „Gerechtigkeit“ auch im Parteinamen der AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan.

Angeklagt sind der heute 94jährige Kenan Evren, damaliger Stabschef und Junta-Führer, und der 87jährige Ex-Luftwaffenchef Tahsin ?ahinkaya. Die Anklage lautet auf „Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung“, und Nebenkläger sind Regierung und Parlament, die damals von Evren aufgelöst worden waren, sowie mehrere NGOs. Da unter Evren die blutige Unterdrückung der Kurden eskalierte, war vielfach eine Anklage auf „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gefordert worden. Aber die Kurden werden ja auch heute noch unterdrückt, bloß weniger auffällig, und auch heute sind zahlreiche Journalisten inhaftiert.

Wie zuvor schon 1960 und 1971 hatte 1980 die türkische Armee, von Republik-Gründer Kemal Atatürk einst auf Laizismus eingeschworen, direkt in die Politik eingegriffen, um wachsendes Chaos zu beenden. Es kam in der Folge zu zahlreichen Verhaftungen sowie zu Folterungen und Exekutionen. Ob als kleineres Übel, bleibt umstritten, doch im Kalten Krieg kamen ernsthafte internationale Sanktionen gegen einen NATO-Partner mit strategischer Lage ohnehin nicht in Frage. Das Militär griff dann 1997 nochmals ein und erzwang den Rücktritt des konservativ-islamischen Premiers Necmettin Erbakan.

Mit dem Putsch 1980 wurde Evren auch Staatspräsident. Er ließ in der Folge eine neue Verfassung ausarbeiten, die 1982 per Volksabstimmung angenommen wurde und im Wesentlichen bis heute in Kraft ist. Grundlage der Machtübergabe an eine zivile Regierung war, dass die Verfassung auch die Bestätigung Evrens als Staatsoberhaupt bis 1989 umfasste und den Junta-Mitgliedern Immunität garantierte. Dass nun doch eine Anklage erfolgt, ist wieder einmal eine Empfehlung an alle Putschisten und Diktatoren, lieber weiterzumachen als unter Zusicherung von Immunität freiwillig die Macht abzugeben. Denn auf solche Garantien ist kein Verlass, auch nicht in Demokratien: Erdogan legte nämlich 2010 eine Verfassungsänderung vor, die er per Referendum in Kraft setzen ließ und die unter anderem die Aufhebung dieser Immunität umfasst.

Ob der Prozess etwas „bringt“, ist angesichts von Alter und Gesundheitszustand der Angeklagten zweifelhaft. Aber er ist jedenfalls bisheriger Höhepunkt von Erdogans Kampf gegen die säkularen Kräfte – deren mächtigste Stütze die Armee ist. Anders als sein geistiger Ziehvater Erbakan hat Erdogan erkannt, dass der direkte Weg zur Islamisierung auf zuviel Widerstand stößt und scheitern muss. Darum entschied er sich für eine schrittweise Unterwanderung der Institutionen und – zum Wohlgefallen aller „demokratischen“ Europäer – zur Einschränkung der Machtbefugnisse des Militärs. Absetzung und Ernennung einiger Kommandanten sind zwar kein Gradmesser dafür, wie weit die Armee selbst schon unterwandert ist. Auffällig ist aber, dass in den abgeriegelten Garnisonsbereichen in den Kurdengebieten Moscheen gebaut wurden, was früher undenkbar gewesen wäre.

Undenkbar war auch, führende Militärs anzuklagen. Deswegen nahm Erdogan zunächst Umbesetzungen in der ebenfalls laizistischen Justiz vor, und seit 2008 läuft nun der „Ergenekon-Prozess“ mit zahlreichen Verhaftungen wegen einer gemutmaßten Verschwörung zum Sturz der Regierung. Angeklagt sind bisher rund 150 Personen, darunter einige hohe Offiziere, pensionierte wie aktive. Im Jänner 2012 wurde sogar Ilker Ba?bu? verhaftet, der bis 2008 Generalstabschef war – eine Generalprobe für den Evren-Prozess.

Die Islamisierungspläne könnten aber aus ganz anderen Gründen scheitern: Einer AKP ohne Erdogan. Denn als dieser sich Ende November „einer kleinen Operation“ unterziehen musste, aber dann wochenlang verschwunden blieb, begannen sich prompt Lähmungserscheinungen in der Regierung und Richtungskämpfe in der AKP abzuzeichnen. Und trotz Dementi hält sich hartnäckig das Wort Darmkrebs…

Dr. Richard G. Kerschhofer lebt als freier Publizist in Wien.

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Zweierlei Nostalgie drucken

Ein Untergang ist nicht allein
Verlust von Schiff und Waren,
er kann auch Katastrophe sein,
wie öfters wir erfahren.

Doch nur wenn’s viele Tote gibt,
bleibt so ein Fall als Thema
selbst bei der Nachwelt noch beliebt –
ein altbekanntes Schema.

Konkret sind’s hundert Jahre schon,
dass man davon berichtet,
und manches ist für schnöden Lohn
vielleicht hinzugedichtet.

Man taucht in Tiefen, recherchiert,
entwickelt Hypothesen,
macht Filme und man suggeriert,
wie’s wirklich sei gewesen.

Zum Jahrestag – und das ist wahr –
gab auf der Route heuer
es stilecht ein Dacapo gar
als Mini-Abenteuer:

Man konnte in der Tracht von einst
an Deck herumspazieren
und zu Musik von damals feinst
im Speisesaal dinieren.

Mit einem Wort, man konnt’ aufs neu
Geschichte miterleben
beinahe im Detail getreu –
bis auf das letzte eben.

Stattdessen warf am Unglücksplatz
man ohne Panikszenen
schlicht Blumen runter als Ersatz
und drückte ein paar Tränen.

Den Opferweltrekord errang
– auch das ist nicht Legende –
indes ein andrer Untergang,
im Weltkrieg knapp vorm Ende.

Nur waren nicht kollateral,
vielmehr bezweckt die Schäden –
drum will die Welt, so ist’s nun mal,
nicht gern darüber reden…

Pannonicus
(„Titanic“ und „Wilhelm Gustloff“) 

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Die Geschichtsfälscher drucken

Sie werden immer hemmungsloser. Jetzt beginnen Rot-Grün wie die Nazis und Kommunisten aus ideologischen Gründen wild Straßennamen umzunennen.

In Wien wird der Dr.-Karl-Lueger-Ring abgeschafft. Das hat eine mediokre Figur namens Mailath-Pokorny bekanntgegeben. Dabei war der Mann zweifellos mit seinen zahllosen städtebaulichen Maßnahmen der weitaus wichtigste Bürgermeister in der gesamten Geschichte der Stadt. In seiner Ära hat Wien auch das an Schönheit gewonnen, was sie in den letzten Jahren wieder hässlicher geworden ist. Einfach eine Schande, wenn diese Stadt nun sein Andenken auszuradieren versucht. Das erinnert lebhaft an die stalinistische Praxis, unliebsam gewordene Parteiführer nachträglich aus offiziellen Photos wegzuretuschieren.

Kein Zweifel, Lueger hatte auch Schattenseiten, etwa seinen verbalen Antisemitismus. Den darf man nicht verschweigen. Aber wenn diese linke Gemeindeführung anfängt, Menschen wegen ihrer Schattenseiten aus dem Gedächtnis zu verbannen, dann hätte sie ein weites Betätigungsfeld. Denn da finden sich noch deutlich dunklere Flecken.

Was ist etwa mit dem Herrn Marx und seinen antisemitischen Äußerungen, die alle den gleichen sozialagitatorischen oder wenn man so will klassenkämpferischen Hintergrund wie jene Luegers hatten? Die wirren Gedanken des Herrn Marx haben in der Folge jedenfalls rund 100 Millionen Menschen das Leben gekostet, darunter immer wieder auch gezielt vielen Juden.

Was ist mit dem Herrn Renner? Der Mann hat nicht nur Hitler und seinen Anschluss begeistert bejubelt, dasselbe hat er dann ein paar Jahre später auch gegenüber dem nächsten Megaverbrecher, nämlich Stalin gemacht.

Was ist mit dem Herrn Tandler? Der einstige SPÖ-Stadtrat hat im Gegensatz zu Lueger buchstäblich zu Morden (an „lebensunwertem“ Leben) aufgerufen.

Um nur einige der bekanntesten Namen zu nennen. Am Schluss blieben wohl  nur sehr wenige Namen über, über die man nichts Übles fände. Das gezielte Herausholen eines Mannes, der noch dazu große Verdienste für diese Stadt hat, zeigt hingegen nur, was für eine miese Partie da im Rathaus an der Macht ist. Aber es ist eine Partie, die spürt, dass nach 70 Jahren ihre Herrschaft zu Ende geht, und die da noch schnell ihre Spuren ins Geschichtsbuch eingravieren will.

Und was das Ganze noch unerträglicher macht: Die Häupl-Partie hat einem Massenmörder wie Che Guevara sogar ein Denkmal errichtet. Auf Steuerzahlers Kosten.

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Die roten Meinungsmacher (24): Hubschraubereinsatz: Die Jagd auf Radiopiraten drucken

Während Anfang der 90er Jahre die Koalitionspartner SPÖ und ÖVP recht lustlos und ohne große Eile an einem Gesetzesentwurf für die Rundfunkliberalisierung basteln, während ORF und VÖZ über die Ausweitung von TV-Werbezeit streiten, formieren sich im Hintergrund neue Gegner des Monopols.

Diesmal senden sie aber nicht aus dem benachbarten Ausland, sondern nach dem Motto „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“, ganz ungesetzlich mitten in Österreich. Bei den Gesetzesbrechern handelt es sich zumeist um Studenten aus dem alternativen linken Milieu, die in Wien am 31.3. 1991 mit dem „Radiopiratentag“ eine ganze Reihe von illegalen nicht kommerziellen Radioprogrammen starten.

Sie sind allerdings nicht die ersten, die das heimische Rundfunkmonopol auf verbotene und illegale Art und Weise brechen. Die vermutlich ersten Radiopiraten wurden bereits 1979 in Graz aktiv. Unter dem Namen Ö-Frei sendeten sie mit selbstgebastelten Sendern vier Sendungen á 15 Minuten, danach war für mehrere Jahre Schluss.[i] 1986 wurden dann in Wien ein Schweizer Arzt und ein Wiener Journalist aktiv, rund ein halbes Dutzend Mal senden sie unter dem Namen „Radio Widerstand“ auf der Ö3 Frequenz 99,9 MHz.

Sehr zum Missfallen von Politik und Behörden. Der Arm des Gesetzes macht Jagd auf die beiden „Verbrecher“. Ein Sprecher der Post kann schließlich voller Genugtuung verkünden: „Nachdem die Medienpiraten vor wenigen Tagen in Wien-Währing einer ähnlichen Fahndung knapp entkommen sind, hatten sie diesmal keine Chance.“[ii] Radio Widerstand verstummt.

Blüte der Radiopiraterie

In den Jahren 1987 und 1988 wird vereinzelt das Monopol gebrochen, die Sender, die immer wieder kurz auf Sendung gehen, haben Namen wie Radio Sprint, Radio Sozialabbau oder Radio Rücktritt.

Die Hochblüte der Piratenradios beginnt mit dem Piratentag Ende März 1991. Innerhalb kurzer Zeit formieren sich mehrere Gruppen, die mit selbst gebastelten Rundfunksendern das ORF-Monopol in Wien brechen. Im Juni 1992 gibt es bereits 25 solcher Radiogruppen, die sich zumeist aus Studenten zusammensetzen. Ihre Namen: Radio Hotzenplotz, Radio Boiler, Radio Filzlaus oder Radio COD. Sie gestalten und senden rund 40 Stunden Programm pro Woche.[iii] Auch in den Bundesländern entstehen ähnliche Projekte.

[iv]

Die jungen Radiopiraten verstoßen mit ihren selbst gemachten Programmen gegen die restriktiven heimischen Gesetze und gegen das ORF Rundfunkmonopol. Und da versteht die SPÖ bekanntermaßen keinen Spaß, auch wenn die Radiomacher ideologisch durchaus mit ihr auf derselben Linie liegen.

So wird etwa ein Grazer Radiopirat vor Gericht gezerrt, weil er im April 1991 mit einem illegalen Sender erwischt worden ist. Der junge Mann war mit Teilen einer Sendeanlage zur Burgruine Gösting unterwegs, um von dort unter dem Namen „Radio Flor“ zu senden. Doch der Monopolbrecher wurde bereits von den Augen des Gesetzes „längere Zeit observiert“[v]. Als die Beamten zuschlagen, flüchtet er, dabei rempelt er angeblich einen Postbeamten an. Was ihm unter anderem eine Anklage wegen Körperverletzung einbringt.

Die wird zwar später fallengelassen, weil der Beamte schließlich einräumt, es wäre doch nur „ein leichter Zusammenstoß“[vi] gewesen. Weil er vor den Hütern des Gesetzes geflüchtet ist und damit versucht hat, die Beschlagnahme des Senders zu verhindern, wird er allerdings wegen sogenannten Verstrickungsbruchs zu einer saftigen Geldstrafe verurteilt.

Großaufgebot für das Rundfunkmonopol

Während in den ehemals kommunistischen Ländern Osteuropas Anfang der 90er Jahre die staatlichen Rundfunkmonopole der Reihe nach fallen und Privatsender überall aus dem Boden schießen, legale wohlgemerkt, machen Polizei und Post in Österreich Jagd auf junge engagierte Radiomacher. Bei der Durchsetzung des ORF-Monopols sind die Behörden alles andere als zimperlich.

Das bekam unter anderem Wolfgang Hirner von „Radio Bongo 500“ in Salzburg zu spüren. „Die Exekutive war am Montagabend auf dem Untersberg mit Hubschrauber und gezogener Waffe gegen die Piraten vorgegangen. Zwei Personen wurden vorübergehend festgenommen, der Sender beschlagnahmt“.[vii]

[viii]

In Wien beginnt ein Katz und Maus Spiel. Die Radiopiraten, die mit ihren selbstgebastelten Anlagen vom Wienerwald oder von anderen exponierten Stellen aus senden, werden mit Peilwägen, manchmal auch Hubschraubern gesucht und verfolgt. Rüdiger Landgraf, ehemals Radiopirat und später erfolgreicher Programmchef von Krone Hit: „Bedenkt man, dass eine Betriebsminute des von der Polizei eingesetzten Bell Jetrangers etwa 300 Schilling kostet, sind 18.000 Schilling für eine Flugstunde zum Aufspüren eines 5.000 Schilling Senders aus Sicht des Steuerzahlers kein Bombengeschäft – zumal wir Piraten keinen Schaden anrichten, sprich peinlich darauf Wert legen, keine anderen Sender zu stören.“[ix]

Doch die Durchsetzung des ORF-Sendemonopols lässt sich der zuständige SPÖ-Verkehrsminister Rudolf Streicher gerne etwas kosten. Der Standard berichtet am 28. Juni 1991 über die Methoden der Behörden. „Hat die Post – sie verfügt über ortsfeste Peilstationen und jagt meist zusätzlich mit 10 Peilautos und über 20 Mann hinter den Piraten her – den Sender erfaßt, wird ein Auto zur genauen Ortung losgeschickt.“[x]

Immerhin beschlagnahmen Post und Polizei im Laufe der Zeit Dutzende selbst gebastelte illegale Radiosender. Die Austria Presseagentur berichtet im Sommer 1993: „Die Freien Radios in Wien wollen unterdessen auch nach der Beschlagnahme der 30. Sendeanlage am kommenden Sonntag ihr Programm wieder aufnehmen.“[xi]

Immer wieder werden Radiopiraten verurteilt, allerdings nicht zu Haft-, sondern zu Geldstrafen „in der Höhe von ein paar tausend Schilling“.[xii] Bei einer Aktion scharf werden mehrere Wohnungen von mutmaßlichen Radiopiraten von den Behörden auf den Kopf gestellt und „das ohne richterliche Durchsuchungsbefehle“.[xiii] Die Beamten sind bei der Jagd nach illegalen Sendern und Radiopiraten aber auch durchaus kreativ.

So setzt man, wie in schlechten Spionagethrillern, auf klassische Undercover-Methoden. „Etwa am Pfingstsonntag 1993, als im Lainzer Tiergarten getarnte Beamte eine Sendeanlage des freien Radio One konfiszieren. Genähert hätten sich die Polizisten in Freizeitbekleidung, begleitet von einer Frau und einem Kind.“[xiv]

Österreich bleibt letzte Bastion des reinen Staatsfunks

Doch die lustige Piratenjagd geht 1993 langsam zu Ende. Die Radiopiraten engagieren sich zunehmend in der „Pressure Group Freies Radio“. Sie fordern, dass die sogenannten freien Radios, also die nicht kommerziellen Privatradios im Regionalradiogesetz, an dem zu dieser Zeit gebastelt wird, berücksichtigt werden. Allerdings: „SPÖ und ÖVP wollen von Freiem Radio nichts wissen.“[xv]

Die Ära der Piratenradios geht zu Ende, das ORF-Rundfunkmonopol ist nach dem Einsatz von Hubschraubern, Undercoverfahndern und bewaffneten Polizisten wieder hergestellt, also alles normal in der Republik Österreich des Jahres 1993. In den ehemals kommunistischen Diktaturen Osteuropas brauchen sich zu gleichen Zeit private Radiomacher nicht mehr vor staatlichen Repressalien zu fürchten.

Ganz im Gegenteil, sie senden ganz legal und zumeist äußerst erfolgreich. Denn die staatlichen Sender, die früher für die kommunistische Propaganda zuständig waren, will in diesen Ländern kaum noch jemand hören. Für SPÖ und ORF nicht gerade beruhigende Signale. Solche Zustände will man in Österreich tunlichst vermeiden.

Doch die sozialistische Rundfunkidylle wird 1993 gewaltig erschüttert. Nicht ganz überraschend allerdings. Schon im März stellt SPÖ-Zentralsekretär Josef Cap, der im Kampf für die Monopolstellung seines ORF stets an vorderster Front kämpft, missmutig und beinahe resignierend fest: „Mit der EG[xvi] werde Privatrundfunk unvermeidlich sein“[xvii].

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)

Endnoten

[i] siehe http://www.freie-radios.at/article.php?id=52 (17.10.2011).

[ii] Fidler/Merkle .1999. Seite 105.

[iii] Siehe Verband Freier Radios Österreich http://www.freie-radios.at/article.php?id=52 (17.10.2011).

[iv] Aufkleber von Radio Boiler, der die wöchentliche Radiosendung bewirbt

[v] Austria Presse Agentur 24.6.1992.

[vi] Austria Presse Agentur 24.6.1992.

[vii] Austria Presse Agentur 29.6.1993.

[viii] Radio Bongo Logo; Quelle: www.radiofrabrik.at

[ix] Landgraf. 2006. Seite 12.

[x] Der Standard; 28.6.1991.

[xi] Austria Presse Agentur 3.6.1993.

[xii] Landgraf. 2006. Seite 18.

[xiii] APA 4.3.1993

[xiv] Fidler/Merkle. 1999. Seite 106.

[xv] Landgraf. 2006. Seite 20.

[xvi] EG (Europäische Gemeinschaft) = frühere Bezeichnung für EU

[xvii] Sozialistische Korrespondenz 20.3.1993.

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Die roten Meinungsmacher (23): Blue Danube Radio: Der große Frequenzraub drucken

Am 23. August 1979 blickt die Welt auf Österreich, genauer gesagt auf die Donaustadt, den 22. Bezirk von Wien. Denn dort übergibt, nach 6-jähriger Bauzeit und Investitionen von knapp sechs Milliarden Schilling, Bundeskanzler Bruno Kreisky feierlich die Wiener UNO-City[i] per Handschlag an UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim. Nun ist Wien neben New York und Genf offiziell dritte UNO-Stadt.

Um das neu gewonnene internationale Flair zu steigern, fragt Vizekanzler Hannes Androsch bei Gerd Bacher an, „ob der ORF nicht etwas für die vielen internationalen Beamten und Diplomaten in Wien tun könne.“[ii], wie ORF-Minnesänger Franz Ferdinand Wolf in seiner Rundfunkchronik schreibt.

Dieses für den ORF äußerst verlockende Angebot lässt sich Generalintendant Gerd Bacher natürlich nicht entgehen, zumal die Bundesregierung auch noch die Kosten für den Sender aus Budgetmitteln übernimmt. Er startet am 23. September den Sender Blue Danube Radio. Das mehrsprachige Radio, das auf der Frequenz 102,2 MHz sendet, ist als Service für die tausenden internationalen UN-Beamten gedacht. Blue Danube Radio ist deshalb nur in der Bundeshauptstadt zu empfangen.

Die Bundesregierung verliert schließlich das Interesse an dem mehrsprachigen Radio mit kleiner Hörerschaft und stellt die Zahlungen für Blue Danube Radio mit 1.1.1987 ein. Der ORF, der den Sender ein Jahr zuvor auf die wesentlich leistungsstärkere Frequenz 102,5 MHz übersiedelt hatte, betreibt aus strategischen Gründen Blue Danube Radio aus „eigener" Tasche, sprich aus Gebührengeldern, weiter.

Pläne für Ö4

Bereits zu Beginn der 80er Jahre wird im ORF immer wieder über die Einführung eines vierten österreichweiten Radioprogramms nachgedacht, Arbeitstitel: Ö4. Gerd Bacher liebäugelt dabei mit einem Klassikkanal[iii], weil dieser relativ billig umzusetzen ist.

Im Übereinkommen zwischen dem ORF und dem VÖZ aus Jahr 1985, dem sogenannten elektronischen Grundkonsens, wird deshalb festgehalten: „Der ORF wird die Radiofrequenzen 100 bis 108 MHz nicht für seine Zwecke beanspruchen. Ausgenommen sind lokale Versorgungsnotwendigkeiten und der geplante Musikkanal Ö4: Im Falle der Realisierung von Ö4 müsste der ORF eine der zwei in diesem Frequenzbereich möglichen nationalen Senderketten durchgängig in Anspruch nehmen.“[iv]

Die Strategie des ORF ist klar: UKW-Frequenzen stehen nur begrenzt zur Verfügung, sie sind ein knappes Gut. Je mehr freie Frequenzen sich der ORF vor der unvermeidlichen Rundfunkliberalisierung unter den Nagel reißt, desto weniger bleiben für die künftigen Privatsender übrig. Weil man im ORF Mitte der 80er Jahre weiß, dass sich das Monopol auf Dauer nicht aufrechterhalten lässt, muss man „den Markteintritt der Mitbewerber möglichst verzögern, ihre Zahl und ihr künftiges Spielfeld klein halten.“[v]

Das wissen auch die Zeitungverleger, die sich selbst als die einzig wirklich berechtigten künftigen Privatradiobetreiber sehen. VÖZ-Präsident Franz Ivan: „Wenn sich nämlich der Baum ORF ausbreitet, bleibt kein Platz mehr für das Pflänzchen Privatradio.“[vi] 

Mitte der 80er Jahre ist aber noch relativ viel Platz im heimischen UKW-Spektrum für künftige Privatradios. 1984 wird in der Schweiz das Genfer Abkommen und der dazugehörige Frequenzplan GE84[vii] beschlossen. Das völkerrechtlich verbindliche Vertragswerk regelt die Frequenznutzung in Europa, sowie Teilen Asiens und Afrikas. Der „Genfer Plan 84“ tritt drei Jahre später, 1987 in Kraft. Österreich stehen nun fünf volltaugliche bundesweite Senderketten zur Verfügung.

Drei davon sind mit Ö1, Ö3 und den Ö2-Regionalradios bereits in den Händen des ORF. Für die künftigen Privaten bleiben damit zwei Frequenzketten übrig. Und damit das auch so bleibt, schließen die Zeitungsverleger 1987 ein Zusatzabkommen zum zweiten elektronischen Grundkonsens[viii] mit ORF Generalintendant Teddy Podgorski: Darin wird festgehalten: „Der ORF wird – entgegen seinen früheren Absichten – seine Programme nicht erweitern und verzichtet damit auch auf das schon sehr konkret geplant gewesene Radioprogramm Ö4“.[ix]

Der Frequenzraub: Kein Platz für Private

Aber Papier ist bekanntlich geduldig und der ORF baut still und heimlich die Reichweiten des ursprünglich nur für Wien gedachten Senders Blue Danube Radio Schritt für Schritt aus. „Da der englischsprachige Sender in erster Linie von der International Community in Wien gehört wird, erscheint die österreichweite Ausstrahlung als Humbug.“[x], schreibt die Wirtschaftswoche. Aber um die Hörer geht es dabei, wie so oft beim ORF, ja auch nicht.

Dass es für die österreichweite Ausstrahlung von Blue Danube Radio weder einen politischen Auftrag noch eine gesetzliche Grundlage gibt, kümmert weder den ORF noch die Regierung. Lediglich die Zeitungsherausgeber werden unruhig. ORF Generalintendant Teddy Podgorski beruhigt die verunsicherten Privatradiobetreiber in spe jedoch: „Die Ausweitung des BDR-Sendegebiets geschehe nur, um die neu anzuschaffenden Anlagen für die künftigen „Radio Print“ Projekte zwischenzeitlich zu nützen. So könne man dem ORF-Kuratorium den Ankauf neuer Sendeanlagen für „Radio Print“ etwas schmackhafter machen.“[xi]

Wenig später wird Podgorski von Gerd Bacher an der Spitze des ORF abgelöst. Bacher fühlt sich an die Zusagen seines Vorgängers nicht mehr gebunden. Von einer Rückgabe der Blue Danube Frequenzen will Bacher plötzlich nichts mehr wissen. Die Zeitungsverleger werfen ihm daraufhin vor, er verletze ein Gentlemen’s Agreement. Bacher soll darauf schulterzuckend geantwortet haben. „Dann bin ich halt kein Gentleman.“[xii]

Da nutzen auch die beschwörenden Worte von VÖZ-Generalsekretär Franz Ivan nichts: „Der ORF hat sich verpflichtet, kein viertes österreichweites Radioprogramm zu betreiben und das Frequenzband 100-108 MHZ für private Anbieter reserviert zu halten.“[xiii]

Die Zeitungsverleger wenden sich an SPÖ-Verkehrsminister Rudolf Streicher. Sie bezweifeln, dass bei einer künftigen Radioliberalisierung ORF und Private bei der Frequenzvergabe gleichberechtigt behandelt werden.[xiv].Zudem fordert der VÖZ, „daß die nach seiner Ansicht überhöhten Sendeleistungen des ORF – die zu einer prohibitiven Besetzung von Frequenzen führt – beschränkt werden.“[xv]

Solche Einwände stören aber weder den ORF noch den Verkehrsminister. 1992 ist Blue Danube Radio bereits auf 32 Frequenzen in ganz Österreich zu hören. „Die Regierungsparteien, die das eigenmächtige Vorgehen im Kuratorium  verhindern könnten, machen keinerlei Anstalten gegen die ORF-Strategie der vollendeten Tatsachen einzuschreiten.“[xvi]

Bundesweiter Ö3-Konkurrent im Keim erstickt

Es ist wie schon so oft in den Jahren zuvor das gleiche Spiel, ORF und SPÖ versuchen die Rundfunkliberalisierung zu behindern, zu verzögern, zu hintertreiben, die ÖVP, in Sachen Medienpolitik stets etwas unbeholfen und ungeschickt, erkennt die Strategie der roten Medienmacher nicht bzw. zu spät.  Der Plan des ORF geht jedenfalls auf, mit Blue Danube Radio, das später in den alternativen Jugendsender FM4 umgewandelt wird, kann der Staatsfunk rund die Hälfte der noch freien überregionalen Frequenzen den künftigen Privatsendern entziehen und das ohne jede gesetzliche Grundlage.

Frequenzen sind ein öffentliches Gut, über das der Gesetzgeber zu bestimmen hat. Doch der schaut demonstrativ weg. Vor den Augen einer in diesen Belangen weitgehend desinteressierten Bevölkerung und im Verbund mit der SPÖ kapert der ORF dutzende Frequenzen, um so die Zahl seiner künftigen Konkurrenten auf ein Minimum zu reduzieren. Erst viele Jahre später, nämlich 1997 „werden die gesetzlichen Grundlagen für die Inbesitznahme der vierten Kette durch den ORF nachgereicht.“[xvii]

Die Rundfunkmonopolisten haben einen weiteren Sieg im Kampf gegen die Pressefreiheit errungen. Denn mit der Inbeschlagnahme der vierten Frequenzkette hat der ORF noch vor der Liberalsierung des Hörfunks „das Entstehen eines kommerziell starken, überregionalen ORF-Konkurrenten nach dem Muster der Antenne Bayern verhindert.“[xviii]

Die künftigen Privatradiobetreiber müssen sich nun mit einer mageren nationalen Frequenzkette zufriedengeben, und diese soll, so ist es damals politisch bereits auspaktiert, auf zehn eigenständige Veranstalter in den neun Bundesländern[xix] aufgeteilt werden. Ein privater bundesweiter Ö3 Konkurrent, der dem ORF massiv Werbegelder entziehen könnte, ist damit gestorben.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: Hubschraubereinsatz: Die Jagd auf Radiopiraten)

Endnoten

[i] Die Wiener Uno City heißt offiziell Vienna International Center (VIC)

[ii] Wolf. 2001. Seite 41.

[iii] Siehe Pratt. 1997. Seite 91.

[iv] Prath. 1997. Seite 91.

[v] Fidler/Merkle. 1999. Seite 102.

[vi] Ivan. 1991. Seite 33.

[vii] Siehe Lindenmaier. 1995. Seite 80.

[viii] Siehe Fidler. 2008. Seite 483.

[ix] Prath. 1997. Seite 92.

[x] WirtschaftsWoche Nr.8.; 18.2.1993.

[xi] Fidler/Merkle. 1999. Seite 103.

[xii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 103.

[xiii] Ivan. 1991. Seite 33.

[xiv] Gattringer. 1994. Seite 76.

[xv] Gattringer. 1994. Seite 76.

[xvi] Fidler/Merkle. 1999. Seite 103.

[xvii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 103.

[xviii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 104.

[xix] Für Wien hatte man zwei vorgesehen.

 

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Die roten Meinungsmacher (22): Radio CD: Der Feind aus dem Osten drucken

In Kärnten, der südlichen Steiermark und in Tirol sind zu dieser Zeit bereits mehrere Radiosender mit österreichischem Programm aus den südlichen Nachbarländern Italien und Jugoslawien (später Slowenien) zu empfangen. Viele dieser kleinen, oftmals amateurhaft geführten Sender, konnten aber weder am Hörer-, noch am Werbemarkt reüssieren.

„Den Radios ist kein wirtschaftlicher Erfolg beschieden. Die meisten stellen still und leise ihren Sendebetrieb wieder ein.“[i] Lediglich Willi Webers Radio Uno und zum Teil auch das aus Jugoslawien/Slowenien einstrahlende MM2 erzielen nennenswerte Reichweiten und können dementsprechend auch in Österreich erfolgreich Werbezeiten verkaufen.[ii]

Radiosender

Tagesreichweite in 1000

Radio UNO 1 +2

56.000

MM2

42.000

Antenne Austria Süd

6.000

(Quelle: Fessel + GfK; Optima Tagesreichweite 1992)

Der ORF ist über diese Situation zwar alles andere als glücklich, der Schaden hält sich aber in Grenzen. Die Tagesreichweiten und Marktanteile der Grenzlandsender bewegen sich in überschaubarem Rahmen, Kärnten und die südliche Steiermark sind zudem nicht gerade dicht besiedelt. Abgesehen von einigen halbherzigen Versuchen hält sich der ORF deshalb mit seinen Aktivitäten zur Be- und Verhinderung dieser Sender weitgehend zurück, zumal auch der Einfluss von SPÖ und ORF auf die Entscheidungsträger im fernen Rom eher bescheiden ist.

Anders sieht es im Osten Österreichs aus. Hier ist die Ausgangslage eine völlig andere. Alleine im Großraum Wien leben rund zwei Millionen Menschen, das Pro- Kopf-Einkommen liegt in dieser Region deutlichen über dem österreichweiten Schnitt, von Wien bis zur tschechoslowakischen Grenze sind es gerade einmal 60 Kilometer und dazwischen gibt es keine hohen Berge, die den Empfang eines einstrahlenden UKW-Senders in Wien behindern könnten.

Gründung von Radio CD

Da trifft es sich gut, dass die kommunistischen Regimes in ihren letzten Zügen liegen und dringend Devisen brauchen. Eine Gruppe von Privatradiopionieren startet 1988 ein waghalsiges Projekt: Günther Schuster, ein niederösterreichischer Bauunternehmer, Wolfgang Cejda, Anzeigenverkäufer bei der Kronenzeitung, Peter Düll, Hochfrequenztechniker, der bereits im italienisch-österreichischen Grenzgebiet Radiosender aufgebaut hat, der Filmproduzent Ronald P. Vaughan, Werbefachmann Walter Tributsch und Kurier-Redakteur Franz Eder wollen, von der damals noch kommunistischen tschechoslowakischen Provinzhauptstadt Bratislava aus, Wien und Teile Niederösterreichs mit einem österreichischen Privatradioprogramm versorgen.

Der Plan: Der slowakische Rundfunk soll den österreichischen „Radiopiraten“ eine freie UKW-Frequenz und die entsprechenden Sendeanlagen in Bratislava, das direkt an der österreichischen Grenze liegt, gegen Devisen vermieten. Der Name des geplanten Senders: Radio CD International (später nur noch Radio CD).

Franz Eder unterhält gute Kontakte in die ?SSR[iii]. Die soll er nun nutzen, um über Umwege eine Verbindung zum staatlichen Rundfunk aufzunehmen. Nach mehreren Wochen gibt es erste direkte Gespräche hinter dem Eisernen Vorhang: „Es gab eindeutige Signale seitens der Rundfunkverantwortlichen: Wir wollen mit Euch zusammenarbeiten – nicht zuletzt deswegen, weil auch der ?SSR-Kommunismus in seiner allerletzten Phase finanziell am Boden war, und wir ja wertvolle Devisenbringer zu sein schienen.“[iv]

Trotz der grundsätzlichen Bereitschaft, dieses Projekt umzusetzen, gestalten sich die Verhandlungen mit den politisch Verantwortlichen als langwierig und mühsam: „Es vergeht Woche um Woche, Monat um Monat – immer wieder bekommen wir Einladungen in die ?SSR – auch zu offiziellen, detaillierten Gesprächen im staatlichen Rundfunk. Doch noch immer fehlt die Freigabe des Zentralkomitees der KPC[v][vi].

Obwohl die österreichischen Privatradiopioniere um größte Geheimhaltung bemüht sind, bekommt die österreichische Medienszene Wind von dem Projekt. Am Küniglberg läuten die Alarmglocken, der ORF setzt alles in Bewegung, um das Radioprojekt zu Fall zu bringen. Der unliebsame Konkurrent für die ORF-Stationen Ö3 und Radio Wien soll erst gar nicht zu senden beginnen.

Risiken der Unternehmung

Eine hochrangige ORF-Delegation bestehend aus ORF-Generalsekretär Gerhard Zeiler, Gerhard Weis, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und Unternehmensplanung, und Paul Twaroch, dem Intendanten des ORF-Niederösterreich, macht den Tschechoslowaken - laut den Angaben eines ehemaligen Radio-CD-Mitarbeiters[vii] – ein unmoralisches Angebot. Der ORF will dem slowakischen Rundfunk rund 36 Millionen Schilling zukommen lassen, wenn dieser das Privatradioprojekt platzen lässt.

Für die heimischen Privatradiopioniere bedeutet das zwar nicht das Ende ihres Traums, aber sie müssen für die Sendermiete nun deutlich tiefer in die Tasche greifen „und am Ende ihr Angebot nachbessern.“[viii]

Zudem gibt es immer wieder versteckte Drohungen und Warnungen gegen die künftigen Radio-CD-Macher. Da diese immer wieder zu Verhandlungen in die Tschechoslowakei reisen, deponieren sie aus Angst und als Rückversicherung brisante Dokumente bei ihren Anwälten. Diese sollen veröffentlicht werden, falls einer von ihnen hinter dem Eisernen Vorhang – aus welchen Gründen auch immer – verschwinden sollte.[ix] Von dieser Maßnahme setzt man auch den ORF in Kenntnis. Man rechnet jedenfalls mit dem Schlimmsten. Ob die Ängste und Vorsichtsmaßnahmen der Privatradiopioniere übertrieben oder gerechtfertigt sind, lässt sich aus heutiger Sicht nicht mehr seriös beantworten. Passiert ist den Radio-CD-Machern jedenfalls nichts.

Die Zeiten in der Tschechoslowakei sind damals äußerst turbulent. Die kommunistischen Machthaber werden abgesetzt und auch die Rundfunkverantwortlichen verlieren im Zuge der samtenen Revolution ihre Posten. Während des Zusammenbruchs des kommunistischen Regimes und des demokratischen Aufbruchs gelingt es den heimischen Radiopionieren im Jänner 1990 die notwendigen Kooperationsverträge mit dem tschechoslowakischen Rundfunk abzuschließen.

[x]

Radio CD geht auf Sendung

Am 31. März 1990 um exakt 05:15 geht Radio CD auf 101,8 MHz, einer Frequenz des tschechoslowakischen Rundfunks, auf Sendung. Dass der neue Sender wenig mit den vielen kleinen und meist unprofessionellen „Piratensendern“, die von Italien aus nach Österreich einstrahlen gemein hat, will Radio CD von Anfang an unter Beweis stellen. So holt man sich als Programmchef den bekannten Ö3-Mann Gotthard Rieger ins Boot oder besser in die Pyramide.[xi]

Wien wird mit Werbeplakaten regelrecht zugepflastert. Insgesamt fünf Millionen Schilling[xii] werden in die Werbekampagne zum Start des Senders investiert. Bei einer Kick Off Party in Vösendorf bei Wien versucht man bei den rund 1.000 geladenen Gästen aus der Werbe- und Medienbranche mit Hilfe von Stargast La Toya Jackson Stimmung für den neuen Sender zu machen.

Die Befürchtungen von ORF und SPÖ treffen nun allesamt ein. Die öffentlich rechtlichen Monopolsender bekommen es, trotz aller Bemühungen der SPÖ das Monopol zu schützen, nun erstmals mit einem ernsthaften Konkurrenten zu tun. Entsprechend groß ist die Freude bei der oppositionellen FPÖ. Der freiheitliche Klubchef Norbert Gugerbauer: „Es ist ein Treppenwitz der Geschichte: Bis vor kurzem versuchten westliche Radiostationen, zum Beispiel Radio Liberty, das Informationsmonopol des realen Sozialismus in Osteuropa zu durchbrechen. Heute müssen private österreichische Radiosender nach Ungarn, in die Tschechoslowakei ausweichen, um im Land des sogenannten demokratischen Sozialismus für einen freien Äther zu sorgen.“[xiii]

Die Investitionen in Programm und Marketing lohnen sich. Nach rund einem Jahr hat Radio CD in seinem Sendegebiet[xiv] laut einer Studie des österreichischen Gallup Instituts einen Bekanntheitsgrad von 69 Prozent. Die Tagesreichweite liegt laut dieser Befragung bei 19 Prozent.[xv]

[xvi]

Das gefällt auch der heimischen Werbewirtschaft. Die Kassen bei Radio CD klingeln: „Die Umsätze erreichen 1993 dreistellige Millionen Schilling Beträge.“[xvii]

Gegenangriff des ORF

All das ist für den ORF höchst unerfreulich, schließlich ist der öffentlich-rechtliche Popsender Ö3 auf die neue Konkurrenzsituation völlig unvorbereitet. Offenbar hatte die ORF-Führung bis zuletzt damit gerechnet, den Start von Radio CD doch noch verhindern zu können. Ö3 ist damals noch weit von einem modernen durchhörbaren Formatradio, das auf die Bedürfnisse und Interessen seiner Zielgruppe abgestimmt ist, entfernt. Ein einstündiges Nachrichtenjournal zu Mittag oder die anspruchsvolle und sperrige Jugendkultursendung „Musicbox“, treiben jene Hörer, die leichte Unterhaltung, nette Popmusik und flotte Moderationen bevorzugen, in Scharen zu Radio CD.

Der ORF reagiert auf den neuen Konkurrenten mit zwei Strategien. Zum einen wird das Programm von Ö3 zumindest halbherzig reformiert, so verschwindet etwa die Musicbox vom Nachmittag in die unproblematischeren späten Abendstunden. Im März 1992 wird dann das Programm des schwächelnden Senders Radio Wien einer Totalreform unterzogen. Der Grund: Während die ORF Regionalsender wie etwa Radio Burgenland oder Radio Tirol Marktanteile von um die 60 Prozent erzielen, dümpelt Radio Wien bei nicht einmal 20 Prozent herum. Das ehemals altbackene Schlagerprogramm wird durch ein Oldie/Softpop Format ersetzt.

Die ORF-Führung begnügt sich aber nicht damit, die Programme ihrer Sender der neuen Situation am ostösterreichischen Radiomarkt anzupassen, hinter den Kulissen versucht man weiterhin den unliebsamen Konkurrenten den Gar auszumachen. ORF und SPÖ üben Druck auf die mittlerweile slowakische Regierung[xviii] aus. ORF-Generalintendant Gerd Bacher schreibt einen bösen Brief an seinen slowakischen Amtskollegen. Inhalt: Radio CD gefährde die slowakisch-österreichischen Beziehungen. Ins gleiche Horn stößt Bundeskanzler Franz Vranitzky. Auch er versucht beim slowakischen Premier Vladimír Me?iar mit denselben Argumenten Stimmung gegen Radio CD zu machen.

Der Grund für die Aktivitäten im Hintergrund, Radio CD hat sich rasch als feste Größe am ostösterreichischen Hörfunk.- und Werbemarkt etabliert. Der offizielle und von allen anerkannte Radiotest weist im Jahr 1993 für Radio CD eine Tagesreichweite von 15,3 Prozent[xix] in Wien aus[xx].

Die Gewinne, die Radio CD einfährt, werden in verschiedene andere Rundfunkprojekte investiert. Anfang 1993 betreibt die Radio CD Gruppe gemeinsam mit dem slowenischen Rundfunk Radio Marburg International (RMI), hält Anteile am slowakischen Sender RockFM und an Radio Monte Carlo[xxi], zudem gibt es Pläne für einen Privatfernsehsender in der Schweiz, die aber relativ rasch wieder fallengelassen werden.

[xxii]

Erste Abschaltung – Schadensbegrenzung durch Außenminister Mock

Doch der Erfolgslauf von Radio CD wird jäh unterbrochen. Am 1. Oktober dreht die slowakische Telekom den Sender ab.[xxiii] Die vage Begründung: „eine nichtkorrekte Antennenposition bzw. nichtkonforme Ausstrahlung“[xxiv]

Ministerpräsident Vladimir Meciar begründet die Abschaltung auf Nachfrage von Journalisten mit "gesetzlichen Problemen (…). Außerdem seien noch Gebühren ausständig“

Die Radio CD Mannschaft ist verzweifelt, alleine am ersten Tag verliert der Sender laut eigenen Angaben rund 500.000 Schilling[xxv] Die Radio CD Führung wendet sich an den damaligen Außenminister Alois Mock von der ÖVP, dieser „reagiert rasch und ruft noch im Beisein der Mitarbeiter im slowakischen Außenamt an, um die Wiedereinschaltung herbeizuführen.“[xxvi]

Selbst die Journalistengewerkschaft, bisher stets vehementer Verteidiger des ORF-Monopols, protestiert gegen die „unmotivierte und unangekündigte Abschaltung des Senders von Radio CD durch das slowakische Verkehrsministerium.“[xxvii]

Der Gewerkschaft geht es aber weniger um einen liberalen Rundfunkmarkt, als vielmehr um die 55 Arbeitsplätze, die nun gefährdet sind. Allerdings fordern die Gewerkschafter – in weiser Voraussicht – nicht Genossen Vranitzky auf, sich für Radio CD stark zu machen, sondern ÖVP Außenminister Mock.

Nach langen zähen Verhandlungen auf höchsten politischen Ebenen gelingt es der Radio CD Leitung mit Unterstützung der ÖVP die Wiedereinschaltung des Senders zu erreichen. Am 13.Oktober geht Radio CD wieder on Air. Zuvor hatte der für Rundfunk zuständige slowakische Verkehrsminister Roman Hofbauer allerdings eine Bedingung gestellt: Radio CD darf als offiziellen Grund für die Abschaltung nur einen technischen Defekt angeben.[xxviii]

Um die SPÖ noch zusätzlich zu ärgern, verkündet die ÖVP stolz „Das Eintreten in dieser Angelegenheit von Bundesparteiobmann BUSEK und Außenminister MOCK durch Gespräche mit dem slowakischen Ministerpräsidenten MECIAR, haben sich für den Erhalt einer größeren Medienvielfalt in Österreich bewährt.“[xxix]

Die Freude ist groß: Radio CD ruft spontan eine nächtlichen Wiederauferstehungsparty aus. Rund 3.500 Fans kommen in die Lugner City. Doch so sehr sich die Mitarbeiter und die Hörer freuen, die 12tägige Sendepause hat für den Radio CD schwerwiegende – und von vielen durchaus gewollte – Folgen: Dem Sender ist nicht nur ein enormer finanzieller Schaden entstanden, die Werbekunden sind zudem höchst verunsichert. Gerüchte um Liquiditätsprobleme machen die Runde. Der ORF darf sich freuen.

Zweite und dritte Abschaltung: Das Ende für Radio CD

Anfang Dezember kündigt das für Rundfunk zuständige Ministerium erneut an Radio CD abzudrehen. „Radio CD" sende vom Territorium der Slowakei aus ohne Registrierung, die Sendungen seien daher als "Piraterie" einzustufen“[xxx], so  ein Regierungssprecher. Zum Jahreswechsel ist dann tatsächlich Schluss. Radio CD ist zum zweiten Mal Off Air.

Diesmal dauert die Abschaltung allerdings wesentlich länger. Erst am 14 Juli 1994 darf Radio CD wieder senden. Ein Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Enteignung, „führte beim zuständigen Verkehrsminister Mikuláš  Dzurinda zum Umdenken.“[xxxi]Diesmal allerdings auf der etwas schwächeren Frequenz 96,6. Denn im Gegensatz zu Österreich ist in der bis vor kurzem noch kommunistischen Slowakei Privatradio mittlerweile erlaubt. Auf der ehemaligen Radio CD Frequenz 101,8 sendet nur der slowakische Privatsender Radio Twist.

Doch die monatelange Zwangssendepause hat den Sender an den Rand des Ruins getrieben. Die Einnahmen sind ausgeblieben, die Werbebranche ist vorsichtig geworden und bucht nur noch zögerlich, die halbe Mannschaft hat sich verabschiedet um sich neue Jobs zu suchen. Trotzdem kann der Konkurs abgewendet werden.

Das Studio von Radio CD wird von der Rundfunkpyramide in die Wiener Lugner City übersiedelt, langsam erholt sich der Sender wieder, die Werbewirtschaft gewinnt das Vertrauen zurück. Doch am 3.9.1996 ist endgültig Schluss. Die slowakische Telekom dreht zum dritten Mal den Sender ab. Diesmal gibt es kein Comeback, trotz monatelanger Verhandlungen beginnt im Juni 1997 auf der ehemaligen Radio CD Frequenz das staatliche Radioprogramm Slovensko 1 zu senden. Damit kann die Radio CD Führung auch die letzten Hoffnungen auf eine Wiederinbetriebnahme ihres Senders begraben.

Weitere Anläufe für Privatradios

Der ORF darf sich freuen, am ostösterreichischen Radiomarkt ist er nun wieder alleiniger Herrscher über den Rundfunkmarkt. Radio CD war damals allerdings nicht der einzige Versuch aus einem östlichen Nachbarland das ORF-Rundfunkmonopol zu brechen.

Die Antenne Austria hatte bereits 1989[xxxii] versucht den Wiener Radiomarkt von Ungarn aus zu erobern. Auf der Frequenz des ungarischen Senders Radio Danubius sendete unter der Leitung des Ex-Ö3 Moderators Thomas Klock die Antenne Austria vorerst vier Stunden tägliches Programm für Ostösterreich, später dann 24 Stunden pro Tag. Allerdings weitaus weniger erfolgreich als Radio CD. Grund dafür war die zu schwache Sendeleistung und das Leithagebirge, wodurch der Sender in Wien nicht störungsfrei zu empfangen war. Aber auch dieses Projekt versuchte die SPÖ mit allerlei Schikanen und Hürden zu be- und verhindern. Etwa bei der Programmzubringung via Satellit:

„Realität in Österreich ist es, privaten Interessenten zahlreiche Schwierigkeiten zu bereiten. Das Verkehrsministerium verweigerte etwa nach Rücksprache beim Bundeskanzleramt einem privaten Sender – der privaten Radiostation Antenne Austria – eine Satellitenleitung mit dem Hinweis auf „medienrechtliche Aspekte“, obwohl Kapazität für diesen oder andere private Sender vorhanden wäre.“[xxxiii]

Solche Schikanen und die schlechte Empfangbarkeit in Wien bescheren dem Projekt eine kurze Lebensdauer. „Dem Sender werden Einnahmeverluste von mindestens 15 Millionen Schilling nachgesagt.“[xxxiv] Im November 1992 muss die Antenne Austria Ost wegen mangelnden Erfolges ihren Betrieb wieder einstellen.

Mit diesen kleinen Siegen kann und will sich der ORF aber nicht zufrieden geben, er ist zu dieser Zeit in Sachen Privatradioverhinderung hinter den Kulissen auch auf einem ganz anderen Gebiet höchst aktiv.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)

Literatur

Dabringer, Claudia: Radioliberalisierung in Österreich in der Berichterstattung ausgewählter Printmedien. Salzburg 1991

Düll, Peter: Welcome To The Wonderland – Radio CD gegen das Monopol. In: Reichel, Werner; Konvicka Michael; Streit Georg; Landgraf Rüdiger (Hg.):  Privatradio in Österreich – Eine schwere Geburt; München 2006

Fidler, Harald; Merkle, Andreas: Sendepause – Medien und Medienpolitik in Österreich; Oberwart 1999

Reichel, Werner; Konvicka Michael; Streit Georg; Landgraf Rüdiger (Hg.):  Privatradio in Österreich – Eine schwere Geburt; München 2006

Endnoten

[i] Fidler. 1999. Seite 104.

[ii] Radio UNO kommt auf rund 10 % Tagesreichweite in Kärnten. Siehe Sebor.1991. Seite 61.

[iii] ?SSR: Abkürzung für ?eskoslovenská socialistická republika

[iv] Siehe Düll. 2006. Seite 25.

[v] KPC: Kommunistische Partei der Tschechoslowakei

[vi] Siehe Düll. 2006. Seite 26.

[vii] Name dem Autor bekannt

[viii] Düll. 2006. Seite 27.

[ix] Information aus Gesprächen und Interviews die der Autor mit ehemaligen Radio CD Verantwortlichen geführt hat

[x] Karel Stary, Generalsekretär des tschechoslowakischen Rundfunks und Walter Tributsch von Radio CD nach der Vertragsunterzeichnung. Quelle: Pressunterlagen von der Radio CD Pressekonferenz am 17.1.1990

[xi] Der slowakische Rundfunk residiert in Bratislava in der sogenannten Rundfunkpyramide

[xii] ca. € 365.000,-, 1990 noch eine große Summe

[xiii] Stenographisches Protokoll Nationalrat XVII. G P - 122 - Sitzung – 1.12. 1989.

[xiv] Wien, östliches Niederösterreich und nördliches Burgenland

[xv] Siehe Düll. 2006. Seite 30.

[xvi] Radio CD Sendegebiet. http://www.radiocd.at/history/radiocd_stellt_sich_vor.pdf  (6.10.2011)

[xvii] Siehe Düll. 2006. Seite 33.

[xviii] Am 1.1.1993 spaltete sich die Tschechoslowakei in die beiden Staaten Tschechien und Slowakei

[xix] Montag bis Sonntag; Hörer von 14 bis 49 Jahren.

[xx] Siehe Düll. 2006. Seite 33.

[xxi] Austria Presse Agentur 15.4.1993.

[xxii] Wirtschaftswoche Nr.10/4. März 1993.

[xxiii] Siehe Düll. 2006. Seite 34.

[xxiv] Austria Presse Agentur 2.10.1993.

[xxv] Siehe Düll 2006. Seite 34.

[xxvi] Siehe Düll 2006. Seite 34f.

[xxvii] Austria Presse ASgentur.2.10.1993.

[xxviii] Siehe Düll 2006. Seite 35.

[xxix] ÖVP Pressedienst 12.10.1993.

[xxx] Austria Presse Agentur

[xxxi] Düll. 2006. Seite 35.

[xxxii] Sendestart der Antenne Austria Ost war der 31.7.1989

[xxxiii] Stenographisches Protokoll Nationalrat XVII. G P - 122 - Sitzung - 1 . Dezember 1989

[xxxiv] Dabringer. 1991. Seite 20.

 

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Begrenztheit beim Denken drucken

Einer der ganz Großen der österreichischen Politik der Nachkriegszeit war Hermann Withalm, der vor 100 Jahren geboren wurde (21. April 1912).

Vor 25 Jahren machte die ACADEMIA anlässlich seines 75. Geburtstags mit diesem Politiker, für den noch die staatsmännische Verpflichtung mehr zählte als die kurzfristige, taktisch motivierte Parteipolitik, ein Interview, in dem er bemerkenswert Prophetisches sagte.

1987 markierte das erste Jahr der Neuauflage der „Großen Koalition“ zwischen SPÖ und ÖVP, nachdem die SPÖ von 1970 bis 1983 absolut und von 1983 bis 1986 mit der FPÖ regiert hatte. Withalm bezeichnete die Hinterlassenschaft dieser 36 Jahre als ein „furchtbares Erbe, das jetzt aufzuarbeiten ist“; ein Erbe, das – nota bene – nicht nur nicht aufgearbeitet wurde, sondern von den Regierungen unter SPÖ-Kanzlern noch weiter verschlimmert wurde.

Reformstau

Withalm forderte eine Stärkung der Elemente der direkten Demokratie und eine Zurückdrängung des Parteienstaates. Der Chronist erfährt sogar, dass vor 25 Jahren die Einführung des Persönlichkeitswahlrechtes im Regierungsprogramm vorgesehen war, was Withalm als einen „ersten Ansatz“ bezeichnete, wieder eine „stärkere Beziehung zwischen Wählern und Gewählten“ zu gewährleisten. Dieses Thema wurde bekanntlich ebensowenig umgesetzt wie zahlreiche andere Überschriften, die seit Jahrzehnten die österreichischen Regierungsprogramme auffetten

Auf die Frage, ob es denn realistisch sei, von den Parteien  Reformen zu erwarten, die praktisch eine Entmachtung der Parteisekretariate bedeuten würden, gab Withalm eine bemerkenswerte Antwort: „Wenn sie wirklich Manns genug dazu sind, wenn sie den Mut aufbringen und die Zeichen der Zeit erkennen, wenn sie tatsächlich haben wollen, dass sie eines Tages in einer bestimmten Größe noch existieren, müssen sie das durchsetzen. Wenn wir haben wollen, dass wir noch Parteien in der derzeitigen Größenordnung bleiben – das gilt für die Sozialisten gleichermaßen – wenn wir nicht mit verschlossenen Augen durch die Welt gehen, dann gibt es sonst überhaupt keine andere Lösung. Sehen die Parteien das nicht ein, dann liegt das in der Begrenztheit beim Denken bei vielen Leuten, auch bei uns in der ÖVP.“

Withalm sprach konkret von einem Absinken auf ein Niveau von „Mittelparteien“, er hatte also schon 1987 eine Entwicklung vorhergesehen, die seit einem Vierteljahrhundert das österreichische Parteiwesen kennzeichnet. Dazu seien zur Erinnerung nur einige Zahlen angeführt: Noch bei der Wahl 1983 etwa hatten SPÖ und ÖVP gemeinsam 90,8 Prozent der Wählerstimmen erhalten. Bei der Wahl 1986 gab es trotz Verlusten für beide Parteien (hervorgerufen einerseits durch den erstmaligen Einzug der Grünen in das Parlament sowie durch eine Verdopplung der FPÖ-Stimmen in Folge der Übernahme des Parteivorsitzes durch Jörg Haider) immer noch satte 84,4 Prozent. Mittlerweile ist die zwei-Drittel-Mehrheit – wichtig für Verfassungsgesetze – ebenfalls schon Geschichte (2008 kamen beide Parteien gemeinsam nur mehr auf 55,24 Prozent).

Mogelpaket

Ob bei der nächsten Wahl die beiden Parteien noch die einfache Mehrheit erreichen werden, ist alles andere als ausgemacht, denn aktuellen Umfragen zufolge ist die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Performance der Koalition enden wollend. Nicht nur die „Salzburger Nachrichten“, auch viele Wähler haben das sogenannte Sparpaket als „Mogelpaket“ durchschaut: als ein kurzfristiges Notprogramm und Belastungspaket, das grundlegende strukturelle Änderungen wieder einmal weitestgehend ausspart.

Anerkennung fand das „Sparpaket“ lediglich in den – mit Regierungsinseraten kräftigst finanzierten – Jubelmedien der Boulevardpresse. Gerne werden die Medien als vierte Gewalt im Staat bezeichnet, und so manche Medien sparen auch diesbezüglich nicht mit Eigenlob: Als diejenigen, die unerschrocken den Mächtigen auf die Finger klopfen, Missstände aufzeigen und Fehlentwicklungen kommentieren – soweit die Theorie. Die österreichische Praxis anno 2012 sieht anders aus: Auf der einen Seite eine mediale Paralleljustiz, die tagtäglich Vorverurteilungen (in eine bestimmte politische Richtung) veröffentlicht, sowie andererseits mit Millionen Steuergeldern bestochene Boulevardblätter, die täglich zeigen, wie selektiv ihre journalistische Wahrnehmung ist.

Pseudoaufdecker

Es fällt etwa auf, dass seit Jahren das Thema Karl-Heinz Grasser den Boulevard beherrscht, mit ständig neuen Details aus Akten, die – so sollte man meinen – dem Amtsgeheimnis unterliegen. Auch im Zuge des nunmehrigen Untersuchungsausschusses sind gezielte Strategien erkennbar: Portionenweise werden in den Medien immer neue Details „aufgedeckt“, wobei die Regie zwischen Staatsanwaltschaft, Peter Pilz und Medien bestens funktioniert (eine Staatsanwaltschaft – nota bene – von der der „Kurier“ schon im September bemerkte, dass sie auffällig stark von Mitgliedern des „Bundes Sozialistischer Akademiker“ dominiert wird).

Und wer untersucht eigentlich den permanenten Amtsmissbrauch, durch den vertrauliche Akten mühelos den Weg in die selbsternannten Aufdeckermedien finden? Oder hat sich hier ein „Gewohnheitsrecht“ etabliert, das derartiges in Österreich salonfähig macht?

Inseraten-Tsunami

Während diese Krawallzeitungen einerseits einen Druckkostenbeitrag von nur 10.000 Euro an eine ÖAAB-Zeitung zum Megaskandal hochstilisieren, bleibt der Millionenskandal von Gefälligkeitsinseraten für SPÖ-nahe Medien selbstverständlich unerwähnt. Ganz im Gegenteil: „Kronen Zeitung“, „Österreich“ und „Heute“ machen sich über die Medienpolitik der Regierung offen lustig. So wurde tagelang die österreichische Presseförderung gegeißelt und etwa die Tatsache thematisiert, dass Zeitungen wie die „Presse“ oder der „Standard“ ungerechtfertigt hohe Presseförderungen erhalten (beide je über eine Million Euro im Jahr 2011).

Man kann über diese Presseförderung, die 2011 insgesamt 12,4 Millionen Euro ausgemacht hat, durchaus geteilter Meinung sein, aber man sollte – wenn man über Presseförderung spricht – die über 100 Millionen Euro nicht  verschweigen, die jährlich aus Steuergeldern von Ministerien, Landesregierungen und öffentlichen Unternehmungen vor allem in Boulevardmedien versenkt werden. Allein „Österreich“, das von Faymann-Jugendfreund Wolfgang Fellner seit der Gründung auf SPÖ-freundlichen Kurs gehalten wird und „Heute“ – dessen Naheverhältnis zur Wiener SPÖ evident ist – erhalten pro Jahr dadurch mehr Geld, als die gesamte offizielle Presseförderung ausmacht.

Für das Jahr 2009 haben Medienexperten für „Heute“ ein einschlägiges Werbevolumen von 12,95 Millionen und für „Österreich“ von 14,75 Millionen errechnet – und das Volumen der Schaltungen ist mittlerweile deutlich angestiegen. In diesem Umfeld ist es nicht erstaunlich, für welche Themen sich Journalisten nicht interessieren: Etwa für die Verantwortung, die die damalige Vorstandsdirektorin der Kommunalkredit, eine gewisse Claudia Schmied, für die Milliardenpleite bei dieser Bank hatte. Wird Frau Schmied zu diesem Thema befragt, hat sie eine Standardantwort: „Kein Kommentar“. Es ist verständlich, dass sie darüber nicht reden will. Weniger verständlich ist, dass sich „investigative Journalisten“ mit einer solchen Antwort zufrieden geben.

Karl-Heinz Grasser hätte mit dieser Strategie wohl keinen Erfolg gehabt. Aber vielleicht will man Frau Schmied ganz bewusst keine unangenehmen Fragen stellen, weil sie aus der SPÖ kommt, und weil ihr Ministerium ebenfalls seit Jahren in Millionenhöhe immer wieder mit großflächigen Inseraten versucht, die Gunst bestimmter Medien zu erkaufen. Merkwürdig ist auch, dass die sieben fehlenden Jahre im Lebenslauf unseres Bundeskanzlers, über die er keine Auskunft gibt, noch keinen „Enthüllungsjournalisten“ auf den Plan gerufen haben. Obwohl es doch durchaus interessant wäre zu wissen, wie viele Prüfungen, Kolloquien oder Pflichtübungen Werner Faymann während seines vierzehn-semestrigen Uniaufenthalts abgelegt hat. Der Staatsbürger und Steuerzahler sollte das Recht haben, über das Ausbildungsniveau der Menschen Auskunft zu bekommen, von denen er regiert wird.

Der „Standard“ vom 3. Dezember 2011 zitiert einen Medienexperten, der in Richtung Inseratenaufträge des Büros Faymann trocken feststellte, dass hier „ein mittelmäßiger Kommunalpolitiker zum Kanzler gekauft“ wurde. Kein Wunder, dass sich das Image der Politiker im Keller befindet und andererseits die nostalgische Sehnsucht nach geradlinigen Politikern von Schlage eines Hermann Withalm im Steigen ist.

Prof. Dr. Herbert Kaspar
Herausgeber der Zeitschrift ACADEMIA

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Die roten Meinungsmacher (21): Blaues Auge: Das FPÖ-Volksbegehren gegen das ORF-Monopol drucken

Auch Jörg Haider will das Chaos in der heimischen Medienpolitik und den immer stärker werdenden Druck in Richtung Liberalisierung des Rundfunkmarktes für seine Zwecke nutzen. Er plant ein Volksbegehren gegen das ORF-Monopol. Der Kampf gegen die öffentlich-rechtliche Anstalt und das Rundfunkmonopol bieten sich für Haider und die FPÖ gleich aus mehreren Gründen an.

Der ORF steht, wie kaum eine andere staatliche bzw. staatsnahe Institution, für Postenschacher, politische Einflussnahme, Proporz und Misswirtschaft. Er ist Symbol und Ergebnis der Politik der beiden „Altparteien“[i]. Für Haider – der immer wieder betont, sein Ziel sei es, die verkrusteten Strukturen des Landes aufbrechen zu wollen – bietet das Rundfunkmonopol, ein Relikt aus den rot-schwarzen Proporzära, eine ideale Angriffsfläche.

Für die SPÖ ist der ORF ein enorm wichtiges und geradezu unverzichtbares Instrument zu Erhaltung ihrer Macht, jede Schwächung des Monopolsenders nutzt deshalb der FPÖ. Dies spiegelt sich auch in der Verbissenheit wider, mit der die Sozialisten, trotz aller internationalen und technischen Entwicklungen, am ORF-Monopol festhalten.

Haider gegen ORF: Volksbegehren zur Rundfunkfreiheit

Zudem wird Haider seit dem Beginn seiner Politkarriere von den ORF-Journalisten nahezu täglich medial abgewatscht. Er und die Freiheitlichen stehen permanent am Pranger der öffentlich-rechtlichen Meinungsanstalt. Das Verhältnis zwischen ORF und FPÖ ist entsprechend, Jörg Haider spricht von einem „latenten Kriegszustand“[ii]. Zudem sei der öffentlich-rechtlich Rundfunk ein „Tummelplatz für Partei- und Ministersekretäre, die dort im Endlagerzustand ihre Ausgedinge fristen.“[iii]

Jeder Privatsender, der dem ORF Zuseher und Marktanteile kostet, ist deshalb ein Gewinn für die FPÖ. Haider auf einem Medienkongress der FPÖ: „Mehr Wettbewerb würde zu einer qualitativen Programmverbesserung führen und die Einflussnahmen und Interventionen der politischen Parteien im ORF zurückdrängen.“[iv]

Das Hörfunkversuchsgesetz bezeichnet er als „Signal für eine Lockerung des Monopols, die FPÖ sei aber für eine substantiellere Liberalisierung.“[v] Heide Schmidt, damals noch FPÖ-Generalsekretärin: „Der ORF gleicht mehr einem Ministerium als einem privatwirtschaftlichen Unternehmen“.[vi]

Die SPÖ reagiert auf die Ankündigung von Heide Schmidt, ein Volksbegehren gegen das ORF-Rundfunkmonopol in die Wege zu leiten, mit gewohnten und bekannten Reflexen. Der Landesparteisekretär der SPÖ-Vorarlberg, Hanno Schuster, diktiert der Sozialistischen Korrespondenz: „Das FPÖ-Volksbegehren zur Abschaffung des sogenannten ORF-Monopols ziele lediglich daraufhin, die weit über die Grenzen Österreichs hinaus anerkannte Arbeit des ORF zunichte zu machen (…)Das Volksbegehren der Freiheitlichen ziele lediglich darauf ab, die im Informationsbereich zweifelsohne beispielhafte Berichterstattung des ORF herabzuwürdigen. Die Zulassung weiterer Fernsehmacher in Österreich bedeute nicht ein Mehr an Informationsvielfalt, sondern im Gegenteil ein Weniger an Informationsvielfalt. (…) Die SPÖ lehne daher dieses Volksbegehren auf das Entschiedenste ab.“[vii]

Wenig überraschend auch die Reaktion des ORF. Generalintendant Teddy Podgorski: „Es gibt keinen Grund, das ORF-Monopol in Frage zu stellen. Bereits 40 Prozent aller österreichischen Haushalte können zusätzlich ausländische Fernsehprogramme empfangen. Damit seien Wettbewerb und Wahlmöglichkeit gegeben.“[viii]

Haider hat offenbar das Rundfunkvolksbegehren aus dem Jahr 1964 im Sinn, das über 800.000 Österreicher unterschrieben hatten. Entsprechend hoch sind die Erwartungen innerhalb der FPÖ. Heide Schmidt legt die Latte auf 250.000 Unterschriften; alles was darunter liegt, wäre eine Enttäuschung, so Schmidt in einem Interview[ix]. Haider will sich auf keine konkrete Zahl festlegen, allerdings: „Die Grenze nach oben hin ist offen.“[x]

Gerd Bacher, zu diesem Zeitpunkt gerade einmal nicht ORF-Generalintendant, ist, was die Beteiligung der Bürger am FPÖ-Volksbegehren betrifft, eher skeptisch, da „den Österreichern die Medienpolitik wurscht sei.“[xi] Am 7. September beschließen jedenfalls die Gremien der FPÖ, das Volksbegehren einzuleiten.

Die Ziele des Volksbegehrens

  • „Zulassung privater Radio- und Fernsehveranstalter neben dem Österreichischen Rundfunk, womit ein qualitativer Programmwettbewerb (zunächst im Radiobereich) ermöglicht wird;
  • Öffnung der Kabelnetze für neue Rundfunkdienste ("aktiver Kabelrundfunk");
  • freie Verbreitung und Empfang ausländischer Programme (Kabel- und Satelliten-Empfangsfreiheit);
  • Chancensicherung für österreichische Filmproduzenten, Journalisten und Techniker im internationalen Medienwettbewerb.[xii]

Am 27. November 1989 startet das Volksbegehren. Bis zum 4. Dezember haben die rund 5,5 Million stimmberechtigten Österreicher Zeit, das „Volksbegehren zur Sicherung der Rundfunkfreiheit“ zu unterschreiben.

Anders als im Jahr 1964, als die parteiunabhängigen Zeitungen, die das Volksbegehren initiiert hatten, eine wahren publizistischen Sturm entfacht hatten, bleibt es 1989 ruhig im Blätterwald. Keine Schlagzeilen, keine Aufrufe, lediglich einige dürre Kurzmeldungen auf den hinteren Seiten informieren die Österreicher über das laufende Volksbegehren. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Aufmerksamkeit der Medien und der Bevölkerung damals auf Osteuropa gerichtet ist, wo gerade der real existierende Sozialismus kollabiert.

Auch die ÖVP, die sich zwar ebenfalls für ein Ende des Rundfunkmonopols ausspricht, unterstützt das Volksbegehren nicht. Die Grünen (damals noch Grün-Alternativen), die Journalistengewerkschaft und die IG Autoren organisieren sogar eine gemeinsame Pressekonferenz, um sich in trauter Eintracht für die Beibehaltung des Monopols auszusprechen.[xiii] Und wie bereits vor 25 Jahren hält SPÖ-Klubobmann Heinz Fischer ein Volksbegehren zur Lösung solcher medienpolitischer Fragen für ungeeignet.

Ergebnis und Reaktionen

Das FPÖ-Volksbegehren wird ein Flop. Der bis dahin erfolgsverwöhnte Jörg Haider kassiert sein erstes blaues Auge. Gerade einmal 109.389 Österreicher unterschreiben. Das sind zwar mehr, als die für die parlamentarische Behandlung erforderlichen 100.000 Unterschriften, aber es ist das schlechteste Ergebnis aller bisherigen Volksbegehren.

Die SPÖ und alle anderen Monopolbefürworter und -nutznießer brechen in ein regelrechtes Jubelgeheul aus. ORF-Generalintendant Teddy Podgorskis spricht von einem „Erfolg für den ORF“ und dass „die überwältigende Mehrheit des Publikums grundsätzlich mit dem ORF zufrieden sei.“[xiv]

Für SPÖ-Monopol-Hardliner Josef Cap ist die kleine heimische Rundfunkwelt nun wieder in Ordnung, er interpretiert das Ergebnis indirekt als Willensbekundung der Österreicher für ein Monopol. Die Grünen freuen sich doch etwas zu früh über einen „Bruchpunkt für den Erfolg der FPÖ“[xv], für die Journalistengewerkschafter beweist das Ergebnis, dass „die Bevölkerung kommerziellen Rundfunkinteressen eine klare Absage erteilt hat.“[xvi]

Zufriedenheit auch bei der ÖVP, aber im Gegensatz zur linken Reichshälfte interpretiert sie den Misserfolg des Volksbegehrens nicht als Ja zum Monopolrundfunk. ÖVP-Generalsekretär Helmut Kukacka: „Wir haben alle unsere Sympathisanten davor gewarnt, das Volksbegehren zu unterzeichnen. Schon deshalb kann der Misserfolg nicht als Zustimmung zum ORF-Sendemonopol gewertet werden.“[xvii] Und außerdem, so Kukacka, frei von jeder Ironie: „Verhandeln wir gerade mit der SPÖ einen konkreten Gesetzesentwurf über privaten Rundfunk.“[xviii]

Es bleibt einigen wenigen Journalisten überlassen, das Ergebnis des Volksbegehrens halbwegs neutral und vernünftig zu interpretieren. Eine treffendere Analyse liefert etwa Die Presse:

„Haider hat mit untauglichen Mitteln und einem falschen Thema – es geht den Leuten nicht mehr unter die Haut – versucht, neuerlich eine (Wahl)Kampfsituation herbeizuführen, weil er in einer solchen immer am besten zu reüssieren glaubt. Er hat sich verkalkuliert. Mehr nicht. Die technische Entwicklung und die Zeit werden das ORF-Monopol erledigen.“[xix]

Noch ist es aber nicht erledigt. Das laue Ergebnis des Rundfunkvolksbegehrens hat den Monopolbefürwortern wieder etwas Zeit verschafft. Trotz diverser Lippenbekenntnisse, Ankündigungen und programmatischer Ansagen darf der ORF deshalb auch weiterhin ganz alleine und ohne lästige Konkurrenten vor sich hin senden und für die SPÖ den gut bezahlten Hofschranzen spielen.

Trotzdem stehen immer mehr Privatrundfunkpioniere in den Startlöchern. Sie wollen sich nicht mehr länger mit diesem anachronistischen rundfunkpolitischen Zustand abfinden und darauf warten, bis sich SPÖ und ÖVP doch irgendwann einmal entschließen, den Rundfunk halbherzig zu liberalisieren. Sie wollen trotz des Monopols den großen und attraktiven ostösterreichischen Radiomarkt erobern.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: Radio CD: Der Feind aus dem Osten)

Endnoten

[i] Ein Begriff, den Haider sehr oft verwendet, um die FPÖ als junge neue politische Kraft zu positionieren.

[ii] Austria Presse Agentur 14.2.1989.
[iii] Siehe Der Standard 28.11.1989. Seite 7.
[iv] Siehe Eminger. 1991. Seite 43.
 

[v] Austria Presse Agentur 7.9.1989.

[vi] Siehe Eminger 1991. Seite 62.

[vii] Sozialistische Korrespondenz  27.11.1989.

[viii] Austria Presse Agentur 12. 6.1989.

[ix] Siehe Eminger. 1991. Seite 51.

[x] Siehe Eminger. 1991. Seite 51.

[xi] Siehe Eminger. 1991. Seite 44.

[xii] Gesamter Volksbegehrenstext siehe Anhang

[xiii] Siehe Eminger. 1991. Seite 64.

[xiv] Austria Presse Agentur. 4.12.1989.

[xv] Siehe Eminger. 1991 Seite 82.

[xvi] Siehe Eminger. 1991. Seite 83.

[xvii] Neue Arbeiterzeitung 5.12.1989. Seite 4.

[xviii] Neue Arbeiterzeitung 5.12.1989. Seite 4.

[xix] Die Presse 5.12.1989.

 

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Die roten Meinungsmacher (20): Der Bock als Gärtner: Teddy Podgorskis Privatradiopläne drucken

Nachdem der ORF seit  dem Abgang Gerd Bachers wieder fest in roter Hand ist, bläst die ÖVP erneut zum Sturm auf das staatliche Rundfunk-Monopol. Nur wenige Tage nach der Wahl von Teddy Podgorski zum Generalintendanten, der laut Mediensprecher Heribert Steinbauer der Vertrauensmann der SPÖ-Zentrale ist[i], präsentiert ÖVP-Generalsekretär Michael Graff neue Pläne zur Liberalisierung des heimischen Rundfunkmarktes.

„Österreich bilde in Europa bereits eine anachronistische monopolistische Rundfunkinsel, für die es nunmehr gelte, vernünftige und innovative Lösungen zu finden.“[ii], so Mediensprecher Steinbauer.

Den Hütern des Rundfunkmonopols bläst ein immer schärferer Wind ins Gesicht. Angesichts der Entwicklungen in Europa und des damals bereits angestrebten Beitritts zur Europäischen Gemeinschaft ist den medienpolitischen Akteuren bewusst, dass das Rundfunkmonopol fallen wird, fallen muss. Es bestand also dringender Handlungsbedarf.

SPÖ und ORF müssen deshalb möglichst rasch Strategien entwickeln, das ORF-Monopol aufzuweichen, ohne dabei die mediale Vormachtstellung des ORF in irgendeiner Weise zu gefährden, also eine echte Liberalisierung des Rundfunkmarktes zu verhindern oder zumindest so lange wie möglich hinauszuzögern.

Allianz VÖZ-ORF: Der "elektronische Grundkonsens"

Da trifft es sich gut, dass sich die Interessenslage der heimischen Zeitungsherausgeber in einigen Bereichen mit jener des ORF und der SPÖ deckt. Auch die regionalen Verlagshäuser wollen Privat-TV verhindern, also das ORF-Fernsehmonopol nicht antasten. Selbst können oder wollen sie nicht ins Fernsehgeschäft einsteigen, die Kosten hätten ihre finanziellen Möglichkeiten bei weitem gesprengt.

Und auf neue Konkurrenten am heimischen Werbemarkt können die Verleger gerne verzichten. ORF und Zeitungen wollen lieber unter sich bleiben und den Werbekuchen brüderlich teilen. Daraus entwickelt sich eine unheilige Allianz aus VÖZ, ORF und SPÖ. Ziel dieser „seltsamen Medien-Sozialpartner“[iii] ist die Konservierung des ORF-Fernsehmonopols.

Bereits am 19. November 1985 beschließen die Chefs von ORF und VÖZ den sogenannten ersten „elektronischen Grundkonsens“. Dieser Pakt wird bei SPÖ-Chef und Bundeskanzler Fred Sinowatz aus der Taufe gehoben.

Die Vereinbarung sieht vor, dass der ORF künftig auch an Sonn- und Feiertagen werben darf, was ihm pro Jahr rund 400 Millionen Schilling an Mehreinnahmen beschert[iv], dafür verzichtet er auf regionale TV-Werbung. Beide Seiten kommen überein, in den kommenden drei Jahren „nicht an der Machtbalance zwischen öffentlich-rechtlichem Rundfunk einerseits und privaten Zeitungen andererseits zu rütteln.“[v]

Der ORF verspricht zudem, die freien UKW-Hörfunk-Frequenzen von 100 MHz bis 108 MHz nicht anzurühren, damit, sollte Privatradio doch irgendwann eingeführt werden, auch genügend freie Frequenzen für die Verlagshäuser zur Verfügung stehen. Denn im Gegensatz zum teuren Fernsehen sind die Zeitungen durchaus gewillt, sich als Radiobetreiber zu versuchen.

ÖVP-Regierungseintritt sorgt für neue Töne

Rundfunkpolitische Fragen treten aber vorerst in den Hintergrund, denn am 13. September 1986 beginnt in Österreich eine neue politische Ära. Am FPÖ-Parteitag in Innsbruck löst Jörg Haider Norbert Steger als Parteichef ab. Bundeskanzler Franz Vranitzky beendet daraufhin die Koalition mit den Freiheitlichen. Bei der darauffolgenden Nationalratswahl am 17. November verlieren SPÖ (43,1%) und ÖVP (41,3%) Stimmen und Mandate, die FPÖ verdoppelt mit ihrem neuen starken Mann ihren Stimmenanteil und kommt auf 9,7%. Die Grünen schaffen mit 4,8% den Einzug ins Parlament.

SPÖ und ÖVP schließen sich zur großen Koalition zusammen, die Sozialdemokraten stellen mit Franz Vranitzky auch weiterhin den Bundeskanzler. Doch mit Haiders Aufstieg gerät auch die bisherige politische Ordnung in Österreich ins Wanken. Das seit Jahrzehnten alle Bereiche durchdringende rot-schwarze Proporzsystem bekommt erste Risse, SPÖ und ÖVP haben erstmals einen ernstzunehmenden politischen Gegenspieler.

Dass nun die ÖVP nach langen Jahren auf der Oppositionsbank wieder in der Regierung sitzt, macht sich auch medienpolitisch bemerkbar. In seiner Regierungserklärung betont Kanzler Vranitzky: „Unter Hinweis auf die "zentrale Stellung des ORF" sollen Gespräche hinsichtlich einer weiteren Liberalisierung des Rundfunks geführt werden.“[vi]

Das klingt so, als wäre dieser Prozess längst eingeleitet worden. Ein liberaler Rundfunkmarkt ist damals aber noch weit und breit nicht in Sicht. Von solchen Feinheiten einmal abgesehen, ist es für einen SPÖ Bundeskanzler aber ein gewaltiger Schritt, öffentlich eine Liberalisierung des Rundfunkmarktes anzudenken, wenn auch wenig konkret, nicht wirklich ernsthaft und selbstredend mit dem unvermeidlichen Zusatz, dass der ORF weiterhin eine zentrale Rolle spielen müsse.

Im Koalitionspakt von SPÖ und ÖVP heißt es: „Im Zuge einer weiteren Liberalisierung des Rundfunks sollen Gespräche über die Einräumung von Sendezeit im lokalen Hörfunk und über die Nutzung von Frequenzen für private österreichische Programmgestalter geführt werden".[vii]

Doch Papier ist geduldig und die SPÖ sieht vorerst keinen „akuten medienpolitischen Handlungsbedarf.“[viii] Schließlich sei es, wie SPÖ-Zentralsekretär Heinrich Keller frei von jeder Ironie betont „auch immer falsch gewesen, den ORF als "Regierungsfunk zu vernadern".[ix]

Und weil, wie ohnehin alle Beteiligten wissen, der ORF eben doch ein Regierungssender oder besser eine SPÖ-nahe Rundfunkanstalt ist, hält Keller es auch „nicht für zweckmäßig, wenn politische Parteien in die gewachsene Medienlandschaft eingreifen“.[x]Sprich, alles soll so bleiben, wie es ist. Für den Privatrundfunk heißt es einmal mehr: Bitte warten!

Während die große Koalition ihre Liberalisierungspläne in der Schublade verschwinden lässt, setzen sich der ORF und die Zeitungen erneut zusammen, um die Medienpolitik selbst in die Hand zu nehmen. Monatelang verhandeln ORF und VÖZ. Am 24. November 1987 ist alles unter Dach und Fach, der zweite elektronische Grundkonsens wird beschlossen. Er ist, „noch deutlicher als der erste, eine Art Tiefkühltruhe zur Erhaltung des rundfunkpolitischen Status quo.“[xi]

Da sich beim Privat-TV die Interessenlage der beiden Vertragspartner seit dem ersten Grundkonsens nicht wesentlich verändert hat, wird vereinbart, dass es in den kommenden Jahren keinen weiteren Fernsehkanal in Österreich geben soll, weder einen privaten, noch einen öffentlich-rechtlichen. 1987 wohlgemerkt, als Privat-TV in fast ganz Westeuropa bereits Standard ist.

Das „Radio Print“-Abkommen

Im Radio geht man einen kleinen Schritt weiter. ORF und VÖZ wollen ein Pilotprojekt starten. Auch hier geht es aber nicht um eine echte Liberalsierung, sondern erneut um die Aufteilung des Rundfunkmarktes und der Einflusssphären zwischen den beiden „Medialpartnern“.

Die Hauptpunkte des neuen Abkommens, das unter dem Namen „Radio Print“ bekannt wird:

  • „Der ORF nimmt auf Konsensdauer davon Abstand, die Anzahl seiner Programme zu erweitern – umgekehrt nimmt der VÖZ zur Kenntnis, daß Fernsehen in Österreich auf Konsensdauer – so wie bisher – öffentlich-rechtlich organisiert bleibt.
  • ORF und VÖZ richten eine gemeinsame Projektgruppe ein, die klären soll, ob Radio unter privater Trägerschaft in regional begrenzten Räumen wirtschaftlich möglich ist, ohne die Vielfalt an Tageszeitungen und deren Ressourcen einerseits und ohne den gesetzlichen Auftrag des ORF andererseits zu gefährden. ORF und VÖZ beziehen sich dabei auf das Regierungsübereinkommen vom 16. Jänner 1987, in dem von "einer weiteren Liberalisierung des Rundfunks" in Richtung Lokal-Radio durch "private österreichische Programmveranstalter" die Rede ist. VÖZ und ORF sind sich darin einig, daß im Falle der Realisierung von Pilot-Projekten alle in ihrem Verbreitungsgebiet betroffenen Tageszeitungen und regionalen Wochenzeitungen mit bundeslandweiter Verbreitung auf Vorschlag des VÖZ zur Mitarbeit eingeladen werden sollen – für allfällige Pilot-Projekte gilt eine Mindestversuchsdauer von 5 Jahren.
  • Derartige Projekte sollen innerhalb des geltenden Rundfunkgesetzes erstellt werden. Sollte sich herausstellen, daß gemeinsame Projekte nur durch eine Versuchsgesetzgebung außerhalb des Rundfunkgesetzes möglich sein sollten, werden die Vertragspartner entsprechend gemeinsame Initiativen setzen. Kommt es zu keinem Einvernehmen, steht es dem VÖZ frei, auch allein Gesetzesinitiativen zu ergreifen – es sei denn, der ORF erklärt, daß dadurch seine vitalen Interessen verletzt werden.
  • Die dem ORF gesetzlich eingeräumten Werbelimits bleiben aufrecht, der ORF soll sich auch künftighin in erster Linie aus dem Gebührenaufkommen finanzieren.“[xii]

Völlig ungeniert versuchen ORF und Verleger den Rundfunkmarkt unter sich aufzuteilen, für branchenfremde potentielle Markteilnehmer heißt es hingegen: Wir müssen draußen bleiben! Was im Übrigen eindeutig verfassungswidrig ist. Man versucht nicht einmal, sich das Mäntelchen der Rundfunkliberalsierung umzuhängen. Diese Unverfrorenheit und Selbstbedienungsmentalität überrascht sogar Kenner der heimischen Rundfunkbranche.

SPÖ-Monopolhardlinern wie Heinrich Keller geht aber selbst dieses Papier zu weit. Zu einer Zeit, als sich die dualen Rundfunksysteme bereits in fast ganz Europa durchgesetzt haben, meint der SPÖ-Zentralsekretär: „Es habe keinen Sinn, überstürzt einer Reform das Wort zu reden“[xiii].

Bundeskanzler Franz Vranitzky hingegen ist mit dem Pakt zufrieden, der das Rundfunkmonopol lediglich modifiziert, aber nicht beendet. Er bezeichnet das Abkommen als „sehr positiv“[xiv] als ihm ORF-Generalintendant Thaddäus Podgorski und der ehemalige VÖZ-Präsident Julius Kainz den Pakt am 21. Jänner im Parlament feierlich überreichen. Der Ort ist nicht zufällig gewählt, sondern ein Wink mit dem Zaunpfahl. „Damit auch gleich das Hohe Haus weiß, was es demnächst zu beschließen hat.“[xv]

Der Bundeskanzler ist voll des Lobes. „Vranitzky unterstrich den positiven Charakter der Lösung, auf diesem Weg mehr Liberalität herzustellen, das Monopol aufzulockern, aber auch, daß es österreichische Teilnehmer seien, Druck- und elektronische Medien, die zu diesem Konsens gefunden hätten. Vranitzky wünschte "gutes Gelingen des in vieler Hinsicht zukunftsweisenden Vorhabens."[xvi]

Auch die ÖVP ist nicht mehr ganz so Feuer und Flamme für eine Rundfunkliberalsierung, die diesen Namen auch verdient. Vizekanzler und ÖVP-Chef Alois Mock gibt jedenfalls zu Protokoll: „Mit dieser Lösung sei die "Tür zur Vielfalt aufgemacht" worden.“[xvii]

Weniger euphorisch reagiert die Opposition: „Der Inhalt des Vertrages verfestige das ORF-Monopol, anstatt mehr Vielfalt und Pluralismus zu ermöglichen“[xviii], so etwa FPÖ-Generalsekretär Norbert Gugerbauer.

Der Pakt von ORF und VÖZ bildet jedenfalls die Grundlage für weitere Verhandlungen. Und es zeigt sich schnell, dass noch viele Punkte offen sind. Es dauert bis zum Sommer 1989, bis beide Verhandlungspartner ein neues Abkommen beschließen. Am 7. September stimmen die Zeitungsverleger für den neuen Pakt. Diesmal geht man noch offensiver an die Sache und nennt seine Vorstellungen zur Scheinliberalisierung gleich „Hörfunkversuchsgesetz“.

Die Medienbrüder im Geiste drängen, ohne lange um den hießen Brei herumzureden, auf die Verabschiedung dieses Gesetzesentwurfs durch den Nationalrat. ORF und Verleger machen Medienpolitik und die SPÖ gute Miene zum bösen Spiel. Medienrechtler Michael Holoubeck spricht von einem „demokratiepolitisch bedenklichen Höhepunkt“ und von „der Gestaltung staatlicher Medienpolitik durch die beteiligten Akteure.“[xix]

Solche Bedenken quälen die Gewerkschaft freilich nicht, der ÖGB findet den Gesetzesvorschlag zukunftsweisend: „Schließlich sei er die am besten geeignete Form, um auch weiterhin die Organisation des Rundfunks nach dem öffentlich-rechtlichen Prinzip zu sichern (…) und Wildwuchs und Chaos (…) auszuschließen.“[xx]

Rundfunkliberalisierung auf österreichisch

Es ist aber kein Wunder, dass die Gewerkschaften den ORF-VÖZ-Pakt in ihr Herz geschlossen haben, denn mit einer Liberalisierung des österreichischen Rundfunkmarktes hat dieser Gesetzesentwurf recht wenig, eigentlich gar nichts, zu tun. Für die neuen „Privatradios“ sollen folgende Regelungen gelten:

„Die Versuchsprogramme werden über ORF-Sender ausgestrahlt, die Lizenzen vergibt das ORF-Kuratorium, die Programmveranstalter haben eine diesbezügliche Vereinbarung mit dem ORF zu schließen, die der Genehmigung durch das ORF-Kuratorium bedarf. die Anhörung des jeweiligen Bundeslandes ist vorgesehen. Über die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen wacht die Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes.“[xxi]

Der ORF darf sich also seine Mitbewerber selbst aussuchen. Das hat nicht nur nichts mit Liberalisierung zu tun, ganz im Gegenteil, dies würde sogar eine massive Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in Österreich bedeuten: „Zeitungen, die durch strategische Unternehmensinteressen an den ORF gebunden sind, werden über kurz oder lang ihre kritisch-kontrollierende Distanz zu eben diesem aufgeben“[xxii].

Unbeeindruckt von solch kritischen Tönen sprechen ORF-General Teddy Podgorski und VÖZ-Vorsitzender Herbert Binder von einem „den Möglichkeiten des österreichischen Marktes entsprechenden realistischen Vorschlag.“[xxiii]

ORF und VÖZ haben offenbar die Zeichen der Zeit nicht erkannt und sind mit ihren Vorschlägen weit über das Ziel hinausgeschossen. Während aufgrund der technologischen und internationalen Entwicklungen eine Liberalisierung des österreichischen Medienmarktes immer dringlicher wird, versuchen die beiden Big Player am heimischen Medienmarkt in die Gegenrichtung zu steuern.

Wenige Freunde für Hörfunkversuchsgesetz

Außer der SPÖ und dem ÖGB sind deshalb alle relevanten politischen Kräfte strikt gegen das Hörfunkversuchsgesetz, zu unverschämt und zu unverblümt wollten ORF und Verleger den Rundfunkmarkt unter ihre alleinige Kontrolle bringen.

Entsprechend scharf die Reaktion von Standard-Herausgeber Oscar Bronner: „Daß man das als Liberalsierung verkauft, ist eine Unverfrorenheit.“[xxiv] Gerd Bacher, der mittlerweile als Presse-Herausgeber fungiert und der seine Meinung und Haltung stets den Erfordernissen seines jeweiligen Jobs anpasst, poltert: „Er hoffe auf ein neues Rundfunkgesetz, das einen Konkurrenzrundfunk ermögliche.“[xxv]

Die Salzburger Nachrichten bringen die Kritik am ORF-VÖZ Pakt auf den Punkt: „Demnach hätte praktisch der ORF-Generalintendant die Lizenzvergabe von Radio-Print in Händen (…). In letzter Konsequenz würde dies keine Beschränkung des ORF-Monopols, sondern sogar dessen De-facto Ausweitung bedeuten.“[xxvi]

Auch die ÖVP geht sofort auf Distanz zu dem kuriosen Gesetzesentwurf. Mediensprecher Heribert Steinbauer spricht von einem „Verteilungskartell für Lizenzen“[xxvii]. Und ÖVP Generalsekretär Helmut Kukacka erklärt das Hörfunkversuchsgesetz für tot: „Jedenfalls sei für die ÖVP das Radio-Print-Projekt kein Verhandlungsgegenstand mehr. Es bringe nicht die erwünschte Liberalisierung im Hörfunkbereich und sei eine Art medienpolitisches „Monopol-Feigenblatt“ [xxviii].

Damit ist der Versuch von ORF und VÖZ, den Rundfunkmarkt unter sich aufzuteilen, vorerst gescheitert. SPÖ und ÖVP wollen nun erstmals selbst Medienpolitik machen und lassen „Experten“ aus ihren Reihen an entsprechenden Gesetzesentwürfen basteln.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: Blaues Auge: Das FPÖ-Volksbegehren gegen das ORF-Monopol)

Literatur

Fidler, Harald; Merkle, Andreas: Sendepause – Medien und Medienpolitik in Österreich; Oberwart 1999

Fidler, Harald: Österreichs Medienwelt von A bis Z. Wien 2008

Kriechbaumer, Robert: Zeitenwende – Die SPÖ-FPÖ Koalition 1983-1987. Wien 2008

Kukacka, Helmut; Neisser Heinrich (Hg.): Privatrundfunk – Realität und Zukunft. Schriftenreihe des ÖVP-Parlamentsklubs Band 2. Wien 1991.

Endnoten

[i] Kriechbaumer 2008. Seite 435.

[ii] Kriechbaumer 2008. Seite 435.

[iii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 95.

[iv] Ebenda.

[v] Ebenda.

[vi] Austria Presse Agentur 28.1.1987.

[vii] Austria Presse Agentur 16.1.1987.

[viii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 95.

[ix] Austria Presse Agentur 11.2.1987.

[x] Fidler/Merkle. 1999. Seite 96.

[xi] Ebenda.

[xii] Austria Presse Agentur 24.11.1987.

[xiii] Austria Presse Agentur 2.12.1987.

[xiv] Austria Presse Agentur 21.1.1988.

[xv] Fidler Merkle. 1999. Seite 97.

[xvi] Austria Presse Agentur 21.1.1988.

[xvii] Austria Presse Agentur 21.1.1988..

[xviii] Austria Presse Agentur 21.1.1988.

[xix] Fidler/Merkle. 1999. Seite 100.

[xx] Austria Presse Agentur 18.9.1989.

[xxi] Auszug aus dem Hörfunkversuchsgesetz, der komplette Text siehe Anhang

[xxii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 99.

[xxiii] Austria Presse Agentur 28.9.1989.

[xxiv] Austria Presse Agentur  6.10.1989.

[xxv] Austria Presse Agentur 6.10.1989.

[xxvi] Austria Presse Agentur 6.101989.

[xxvii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 99.

[xxviii] ÖVP Presseausendung  (OTS) 10.11.1989.

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Die roten Meinungsmacher (19): Welches Monopol? – Die Kampfrhetorik der Monopolisten drucken

Da seit Mitte der 80er Jahre die Forderungen nach einer Liberalisierung des heimischen Rundfunkmarktes immer lauter werden und die Diskussion um das Rundfunkmonopol nicht und nicht verstummen will, die SPÖ aber wenig bis kein Interesse hat, den von ihr gelenkten ORF privater Konkurrenz auszusetzen, entwickelt sie im Laufe der Jahre eine breite Palette an Scheinargumenten zur Verteidigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkmonopols und gegen die Pressefreiheit im elektronischen Bereich.

Eines der beliebtesten „Argumente“ zur Einzementierung des menschenrechtswidrigen ORF-Sendemonopols war, dass es dieses Monopol eigentlich gar nicht gibt. Viele Sozialisten sprechen deshalb nur vom „sogenannten“ Monopol. Denn schließlich könne, so SPÖ-Chef und Bundeskanzler Franz Vranitzky, „jedermann empfangen, was er wolle.“[i]

Ohne Störsender ist es kein Monopol

Dieser zynische Sager des Parteichefs war damals verbreitete und anerkannte Argumentations- und Parteilinie. Da man in Österreich ausländische TV-Sender via Kabel oder aufgrund der unvermeidbaren Einstrahlungen aus den Nachbarländern empfangen konnte, gebe es schließlich nur ein Sende-, aber kein Empfangsmonopol.

Die SPÖ war also stolz darauf, nicht, wie zu den Zeiten der Nationalsozialisten, das Empfangen und Abhören von ausländischen Sendern zu verbieten und unter Strafe zu stellen bzw., so wie in den kommunistischen Diktaturen üblich, Störsender zu betreiben, um den Empfang von Westsendern zu verhindern[ii] Obwohl es innerhalb der SPÖ immer wieder einzelne Bestrebungen in diese Richtung gab[iii].

ORF Generalintendant Teddy Podgorski zieht deshalb den Schluss: „Es gibt keinen Grund, das ORF-Monopol in Frage zu stellen. Bereits 40 Prozent aller österreichischen Haushalte können zusätzlich ausländische Fernsehprogramme empfangen. Damit seien Wettbewerb und Wahlmöglichkeit gegeben.“[iv] Punkt. Diskussion beendet.

Immer wieder verkauft die SPÖ diesen demokratie- und medienpolitischen Mindeststandard, den Empfang ausländischer Sender nicht zu verbieten, als große Errungenschaft und als Privileg für ihre österreichischen Untertanen. In einer Parlamentsdebatte zum Rundfunkmonopol weist etwa SPÖ-Zentralsekretär Josef Cap zum wiederholten Male daraufhin, dass es kein Empfangsmonopol gebe. „Man kann ja wirklich breit auswählen“[v], deshalb, so die nicht ganz schlüssige Folgerung des Zentralsekretärs, werde der Begriff Monopol von der FPÖ „missverständlich, fast agitatorisch“[vi]verwendet.

Sprich, der österreichische Bürger solle froh sein, dass ihm die SPÖ den Empfang ausländischer Sender nicht verbietet. Das deutsche RTL oder der britische SKY CHANNEL sind – folgt man dieser obskuren Argumentation – die Garanten für die Presse- und Meinungsfreiheit im elektronischen Bereich in Österreich. Dieses Nicht-Argument wird von allen Monopolhardlinern geradezu inflationär gebraucht.

Bereits 1983, zu einem Zeitpunkt, als die wenigen bereits verkabelten Haushalte gerade einmal die öffentlich-rechtlichen Sender aus Deutschland und der Schweiz empfangen konnten, verkündet Gewerkschafter Günter Nenning: „Das Monopol gibt’s ja nimmer, denn es kommen Programme aus dem Ausland.“[vii]

ORF: Der Schutz vor „Überfremdung“

Während auf der einen Seite die bösen kulturzersetzenden ausländischen Sender als Bannerträger der heimischen Rundfunkfreiheit herhalten müssen, werden gleichzeitig deren Betreiber, die ausländische Medienkonzerne, als große Gefahr für die heimische Medienlandschaft, die Hochkultur und die Identität Österreichs verkauft. Im Kampf für ihr anachronistisches Rundfunkmonopol setzen die Sozialisten und der ORF gerne und oft auf die nationale oder besser nationalistische Karte.

So meint etwa SPÖ-Chef und Bundeskanzler Franz Vranitzky:  „(…) gäbe aus gutem Grund – ein Sende-Monopol. dies ist im öffentlichen Interesse, weil es ein anliegen Österreichs sein muss, seine Kultur zu schützen und zu erhalten.“[viii] Die heimischen  Zeitungsverleger legen sogar noch einen drauf und sprechen wörtlich von „Überfremdung“. In einem Kommuniqué des VÖZ heißt es:

„Angesichts der allgemeinen Tendenz zur Überfremdung der österreichischen Wirtschaft sollte sichergestellt werden, dass die elektronischen Medien ausschließlich von Österreichern kontrolliert werden.“[ix]

Es geht sogar noch kriegerischer, wenn etwa ORF-Generalintendant Gerd Bacher die nahende Medienapokalypse verkündet: „Wir werden in der Schlacht um die Kultur hinweggefegt.“[x] Und linke ORF-Kuratoren warnen 1984: „Wir müssen jetzt sehr gut und schnell überlegen, wie wir verhindern, dass Ausländer in den österreichischen Markt einbrechen.“[xi]

In den 80er und frühen 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als die Political correctness noch in den Kinderschuhen steckte, konnten Sozialisten, Intellektuelle und andere Monopolbefürworter noch mit markiger Kampfrethorik und nationalistischen Tönen ungeniert Stimmung gegen die Rundfunkfreiheit machen. Man durfte sich noch auf die österreichische Identität – was ja nichts anderes, als die Jahre später von den Linken so verhöhnte Leitkultur ist – berufen, ja sie sogar mit deftigen Sprüchen verteidigen. Auch wenn es nie mehr als ein billiger Vorwand war, die eigene Machtsphäre und die finanziellen Interessen zu verteidigen und abzusichern.

Auch der nunmehrige Bundespräsident und damalige stellvertretende SPÖ-Chef Heinz Fischer sah im ORF den Garanten für die Erhaltung einer  „eigenständigen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen österreichischen Identität"[xii].

Der Erhalt der „österreichischen Identität“, die bezeichnenderweise für die SPÖ nur in der Medienpolitik eine relevante Rolle spielte, wurde zum Mantra der Monopolbefürworter.

Auch in den folgenden Jahren bemühte man immer wieder dieses Argument, wenn es galt, dem ORF weitere Sonderstellungen, Sonderrechte oder einfach nur viel Geld zuzuschanzen. Lediglich die Formulierungen und Ausdrücke wurden dem immer stärker um sich greifenden politisch korrekten Zeitgeist angepasst. Im Jahr 2006 klingt das bei Josef Cap dann so:  „(…) in einer Zeit, in der es kein Empfangsmonopol und kein Sendungsmonopol mehr gibt, in der aber alle daran interessiert sind, dass der ORF als eine Art kulturelles Identitätselement natürlich weiter existiert um die österreichische Kulturidentität weiterzuentwickeln“[xiii].

Der ORF soll die österreichische Identität nun nicht mehr „bewahren oder schützen“. 2006 hätte so etwas bereits einen politisch unangenehmen Hautgout gehabt. Deshalb geht es im politisch korrekten Kauderwelsch um eine nicht näher definierte Weiterentwicklung der österreichischen Kulturidentität (was auch immer das sein oder bedeuten mag).

Obwohl die Formulierungen im Laufe der Jahre immer schwammiger werden, verkauft die SPÖ ihren ORF stets als einzig legitimen Bewahrer und Hüter der österreichischen Identität, als Felsen in der neoliberalen Brandung. Um diesem Argument zumindest etwas Substanz zu verleihen, musste man deshalb Bedrohungen für den ORF bzw. für Österreich konstruieren bzw. aufbauschen. Peter Schieder, neben Cap einer der vehementesten Verteidiger des ORF Monopols, warnt etwa im Jahr 2001: „Keinesfalls wollen die Menschen, dass der ORF in ausländischen Besitz übergeht."[xiv] So, als ob das jemals ernsthaft zur Debatte gestanden wäre.

Privatsender: Gefährliche Volksverdummung

Zum argumentativen Standardrepertoire jedes sozialistischen ORF-Monopolbefürworters, jedes Linksintellektuellen und jedes erstsemestrigen Publizistikstudenten gehört auch der angebliche Qualitäts- und Niveauverlust, die Nivellierung nach unten, die mit der Liberalisierung des Rundfunkmarktes zwangsläufig einhergehen soll. Privatrundfunk war in der ORF-Monopolära – und ist es zum Teil noch bis heute – der Beelzebub der Linken. Ein Instrument der von der Frankfurter Schule erdachten Kulturindustrie zur Verdummung der Massen.

„Im deutschen Sprachraum ist der kulturpessimistische und gesellschaftskritische Ansatz der Frankfurter Schule mit dem Fokus auf den Begriff „Kulturindustrie“ vorherrschend.“[xv]

Privatrundfunkbetreiber waren und sind der Klassenfeind, den es zu bekämpfen galt und gilt. Wolfgang Langenbucher, Professor am Wiener Publizistikinstitut, ein typischer Vertreter seiner Zunft: „Sie (die Privatsender, A.d.V.) kennen auf der nach unten offenen Einfaltsskala keine Grenzen"[xvi].

Auch SPÖ-Mediensprecher Josef Cap will seinen Untertanen, pardon Mitbürgern, keine qualitativ minderwertigen Programme zumuten. Cap über die Privatsender: „es lässt sich ein ungeheurer Banalisierungsgrad feststellen".[xvii]

Es scheint so, als setzten sich jene Kräfte, die mit allen Mitteln das ORF-Rundfunkmonopol erhalten möchten, lediglich für Qualität, (Hoch)Kultur, Objektivität, Identität, Gerechtigkeit etc. ein, man stilisiert sich als Kämpfer für das Wahre, Schöne und Gute. „Hand in Hand marschiert man also mit dem ORF gegen das Privatfernsehen und hängt sich auf beiden Seiten das Mäntelchen der Moral um.“[xviii]

Hans Mahr – einst Kreisky-Wahlkampfmanager und später RTL-Chefredakteur – hat bei einem Symposium der ÖVP zur Zukunft der elektronischen Medien viele der Argumente der sozialistischen Rundfunkmonopolisten als das entlarvt, was sie zumeist immer waren, Vorwände, um die Kontrolle und Macht über die elektronischen Medien in Österreich nicht abgeben zu müssen:

Private machen schlechtes Programm

"Was gut und schlecht ist, was tiefes und hohes Niveau hat – diese Entscheidung sollte man dem mündigen Bürger überlassen und nicht einer Geschmackskommission aus angeblichen Bildungspolitikern und vorgeblichen Kulturträgern. Ganz im Ernst: Der mündige Staatsbürger darf seinen Abgeordneten wählen, damit das Schicksal des Landes beeinflussen, er hat wohl auch das Recht, sich sein Programm auszusuchen. Und zweitens: Die Qualität, das Niveau und die Professionalität von Fernsehmagazinen wie „Spiegel TV“ muss der öffentlich-rechtliche ORF erst liefern. Die Ernsthaftigkeit, die Spannung, die Härte des „Talk im Turm“ würde ich mir für den müde gewordenen „Club 2“ nur wünschen.

Nur der ORF gewährleistet österreichische Identität in einem gewaltigen deutschsprachigen Programmangebot.

Wieso eigentlich nur der ORF? Jeder, auch der private Programanbieter aus Österreich, wird sich auf sein primäres Publikum zu konzentrieren haben. Und das heißt: Österreichische Information, österreichischer Sport, österreichische Kultur und österreichische Unterhaltung für österreichische Fernsehkonsumenten."[xix]

Geändert hat sich seit den Ausführungen Hans Mahrs nichts. All diese kulturpessimistischen linken Klischees und Scheinargumente dienen vielen Sozialdemokraten und Linken bis heute als Vorwand, um die nach wie vor existierenden Sonderrechte der von ihr beeinflussten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt aufrechterhalten zu können.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.

Literatur

Luger, Kurt:  Lesarten der Populärkultur. In: Medienjournal, Nr. 4 1990

Mahr, Hans: Österreich – (K)ein Markt für private TV-Programmveranstalter?. In: Maier, Ferdinand (Hg.): Fernsehdämmerung über Österreich – Haben private Programmveranstalter eine Chance. Dokumentation eines Symposions der Österreichischen Volkspartei zur Neugestaltung der elektronischen Medienlandschaft am 24. Mai 1993 in 1993 in Wien, Technische Universität. Wien 1993

Maier, Ferdinand (Hg.): Fernsehdämmerung über Österreich – Haben private Programmveranstalter eine Chance. Dokumentation eines Symposions der Österreichischen Volkspartei zur Neugestaltung der elektronischen Medienlandschaft am 24. Mai 1993 in Wien, Technische Universität. Wien 1993

Sebor, Bernd: Radioliberalisierung - Die Diskussion in Österreich im Spiegel der internationalen Entwicklung. Diplomarbeit. Wien 1991

Endnoten

[i] Sozialistische Korrespondenz 1.12.1989.

[ii] Offensichtlich aus politischen Gründen wurden vom Rundfunk der DDR die Frequenzen 557 kHz (Sender Greifswald), 575 kHz (Sender Leipzig) und 1430 kHz (Sender Dresden) belegt, um die Sendungen des SFB (566 kHz), des Saarländischen Rundfunks (1421 kHz) und von Radio Luxemburg (1439 kHz) zu stören. Siehe dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/St%C3%B6rsender (18.06.2011).

[iii] Siehe dazu etwa Kapitel 5. Der Himmelskanal

[iv] Austria Presse Agentur 12.6.1989.

[v] Stenographisches  Protokoll der 122. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich. 1.12.1989.

[vi] Ebenda.

[vii] Wochenpresse 3.5.1983

[viii] Sozialistische Korrespondenz; 9.6.1989.

[ix] Siehe Sebor. 1991. Seite 13.

[x] Siehe Kurier 25.1.1984.

[xi] Siehe Die Presse 26.1.1984.

[xii] Sozialistische Korrespondenz 2.6.1993.

[xiii] Stenographisches  Protokoll der 158. Sitzung des Nationalrates. 12.7.2006.

[xiv] Sozialistische Korrespondenz 27.3.2001.

[xv] Luger. 1990. Seite 182.

[xvi] Austria Presse Agentur 1.4.1998.

[xvii] Austria Presse Agentur 14.4.1998.

[xviii] Multimedia 18.9.1983.

[xix] Maier (Hg.). 1993 Seite 13f.

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Die roten Meinungsmacher (18): Teddy statt Tiger: Bachers zweiter Abgang drucken

Im Dezember 1985 wechselt völlig überraschend der neue Informationsintendant Franz Kreuzer in das Kabinett von Fred Sinowatz. Kreuzer wird der Nachfolger von Gesundheitsminister Kurt Steyrer, der als Spitzenkandidat für die SPÖ in den Präsidentschaftswahlkampf gegen Kurt Waldheim zieht.

Bundeskanzler Sinowatz hat als neuen Informationsintendanten, ohne jede Absprache mit Gerd Bacher, den bisherigen Sportchef Thaddäus „Teddy“ Podgorski auserkoren. Der brüskierte Bacher stimmt vorerst zähneknirschend der provisorischen Leitung der Informationsintendanz durch Podgorski zu. Wenige Wochen später entbindet er den Schützling von Bundeskanzler Sinowatz jedoch wieder von seinen Aufgaben als Informationsintendant und macht sich auf die Suche nach einen neuen Kandidaten.

Um die verärgerte SPÖ ein wenig zu beruhigen, versucht Bacher den populären Hugo Portisch für diesen Job zu gewinnen. Ein weiterer strategischer Fehler. Denn der ohnehin bereits beleidigte Sinowatz rechnet Portisch dem bürgerlichen Lager zu. Die SPÖ winkt ab, Bacher muss einen neuen Kandidaten finden, der die SPÖ doch noch zufrieden stellt. Anfang 1986 nominiert er Johannes Kunz, der sieben Jahre lang Kreiskys Pressesekretär war. Diese Personalentscheidung konnte die „Wogen der Erregung in der SPÖ nur kurzfristig glätten“.[i]

Kunz gilt auch innerhalb der SPÖ nur als medienpolitisches Leichtgewicht und mit seiner neuen Position als vollkommen überfordert. Das Standing Bachers in der SPÖ verschlechtert sich weiter, die ÖVP ist nach der Novellierung der Rundfunkreform ohnehin schlecht auf ihn zu sprechen, Bacher hat sich mit seinen machtpolitischen Schachzügen ins Abseits manövriert, der Tiger verwandelt sich zusehends in eine Hauskatze.

Weiteres Ungemach kommt auf Bacher zu, nachdem Kurt Waldheim die Wahl zum Bundespräsidenten gewinnt. Die durch die Krise der verstaatlichten Industrie ohnehin schon gebeutelte SPÖ wird durch die Niederlage ihres Spitzenkandidaten Kurt Steyrer völlig verunsichert. Als eine der Ursachen für diese Niederlage orten die Sozialsten die angeblich zu Waldheim-freundliche Wahlkampfberichterstattung im ORF.

Bacher ohne Mehrheit

Für die anstehende Generalintendantenwahl hat Bacher damit nicht gerade die besten Karten, obwohl ihm nach wie vor einige hochrangige SPÖ-Politiker, wie etwa der Grazer Bürgermeister und ORF-Kurator Alfred Stingl, die Treue halten. Trotzdem werden die Bacher-kritischen Stimmen innerhalb der SPÖ immer lauter.

Bacher legt sich deshalb mächtig ins Zeug und macht der SPÖ ein verlockendes Angebot. Und zwar „die Wiederwahl des gesamten ORF-Führungsteams, das bei der letzten Wahl vor vier Jahren eine deutliche Mehrheit erhalten hatte. Der interimistische Informationsintendant Johannes Kunz werde in absehbarerer Zeit aus seiner Funktion ausscheiden und der SPÖ sollte es dann freistehen, einen Nachfolger zu nominieren.“[ii]

Doch Bacher hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Für ihn ist der Zug abgefahren. Die Genossen reagieren auf seine beinahe schon verzweifelten Angebote mit Häme. Ein SPÖ-Kurator: „Der Bacher hat geglaubt, das ist eine g’mahte Wiesen. Jetzt rennt er wie verrückt herum und verteilt Geschenke. Ich habe den Tiger noch nie so sehr als Bettvorleger erlebt wie jetzt. Da schaut ja nur mehr das Schwanzerl raus.“[iii]

Die SPÖ hat die letzte Generalintendanten-Wahl noch in schlechter Erinnerung und will diesmal keinerlei Risiko eingehen. All ihre Kuratoren müssen für Podgorski stimmen. Die letzten verbliebenen sozialistischen Bacher-Freunde werden deshalb vom SPÖ Zentralsekretär und ORF-Kurator Heinrich Keller auf Linie gebracht: „Wenn die Partei eine Linie beschlossen hat, haben sich alle daran zu halten, egal welche persönlichen Präferenzen sie haben.“[iv]

Am 7.Juli 1986 wird Teddy Podgorski zum neuen Generalintendanten gewählt. Die Arbeiterzeitung jubelt: „Und diesmal kommt er wohl nicht wieder. Es schien ja, als hätte er sieben Leben.“[v] Auch in diesem Fall sollte sich die Arbeiterzeitung täuschen.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächstes Kapitel: Welches Monopol? – Die Kampfrhetorik der Monopolisten)

Literatur

Fidler, Harald; Merkle, Andreas: Sendepause – Medien und Medienpolitik in Österreich; Oberwart 1999

Godler, Haimo; Jochum, Manfred; Schlögl Reinhard; Treiber, Alfred (Hg.): Vom Dampfradio zur Klangtapete – Beiträge zu 80 Jahren Hörfunk in Österreich; Wien 2004

Kriechbaumer, Robert: Zeitenwende – Die SPÖ-FPÖ Koalition 1983-1987. Wien 2008

Endnoten

[i] Kriechbaumer. 2008. Seite 431.

[ii] Kriechbaumer. 2008. Seite 433.

[iii] Siehe Wochenpresse Nr. 27 1986.

[iv] Kriechbaumer. 2008. Seite 434.

[v] Kriechbaumer. 2008. Seite 434.

 

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Die roten Meinungsmacher (17): Der Monopoltiger: Bachers Kampf gegen die Rundfunkliberalisierung drucken

Obwohl Gerd Bacher nicht müde wird zu betonen, er mache „Rundfunk und nicht Rundfunkpolitik“[i], macht er selbstredend genau das. Die großen Umwälzungen im Medienbereich in den 80er Jahren zwingen den Tiger, an mehreren Fronten gleichzeitig für den Erhalt „seines“ Monopols zu kämpfen.

Bacher versucht den technologischen Entwicklungen, den neu entstehenden Verbreitungsmöglichkeiten für elektronische Medien und den Liberalisierungstendenzen in ganz Europa mit vier Strategien zu begegnen: „Durch technische Innovation und neun Präsentationsmethoden, durch verstärkte Kooperation mit öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbietern in der Bundesrepublik Deutschland und in der Schweiz, durch ein Abkommen mit den Zeitungsherausgebern des Landes sowie durch eine neue Organisationsstruktur, die sogenannte Funktionslösung.“[ii]

Und er wird nicht müde in unzähligen Vorträgen gegen die „unsachliche Monopoldiskussion“[iii] und den „ORF-Kannibalismus“ zu wettern, er warnt vor einer „Demontage des ORF“[iv] und bedient die bei Sozialisten so beliebten antiamerikanischen und antikapitalistischen Klischees, wenn er vor der „McDonaldisierung der Medienkanäle“[v], dem „Manchester-Liberalismus“[vi] oder dem „Eindringen der Multis“[vii] warnt.

Mit Halb- oder Unwahrheiten à la: Der österreichische Markt sei zu klein, Rundfunk sei zu aufwendig und teuer für private Anbieter, es gäbe zu wenig freie Frequenzen etc. versucht er seinen Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch diese Argumente werden angesichts der technologischen Entwicklungen und dem Fall der Rundfunkmonopole quer durch Europa zusehends stumpfer.

Waffengleichheit auf SPÖ-Art

Bacher fordert deshalb, dass private Rundfunkanbieter – wenn man sie schon nicht mehr verhindern könne – „zumindest“ die gleichen Programmauflagen erfüllen sollten wie der ORF. Er nennt das keck „Waffengleichheit“[viii], wohlwissend, dass das das Gegenteil von Gleichheit wäre. Schließlich kassiert der ORF für die mehr oder (eher) weniger korrekte Erfüllung seiner öffentlich-rechtlichen Aufgaben jährlich hunderte Millionen Schilling an Gebührengeldern.

Dieselbe Forderung, die vor allem das Ziel hat, Privatrundfunk wirtschaftlich möglichst unattraktiv zu machen, hatten die Gewerkschafter bereits 1983 in ihren „medienpolitischen Grundätzen“ aufgestellt. In dem Papier heißte es: „Alle neuen elektronischen Medien müssen den gleichen gesetzlichen Auflagen unterworfen werden wie der ORF“[ix].

Soll heißen, die privaten Rundfunksender müssen den Kultur- und Bildungsauftrag genauso erfüllen wie der ORF, mit dem Unterschied, dass sie dafür keinen einzigen Gebühren-Groschen erhalten, der ORF aber Millionen kassiert: „Waffengleichheit“ á la Bacher und ÖGB.

Der Generalintendant kämpft mit vollem Einsatz für den Erhalt des ORF-Monopols. „Klar ist, dass ich als Alleingeschäftsführer das Beste für diese Anstalt herausholen will“[x], gibt Bacher zu Protokoll. Damit kommt der „heimatlose Rechte“ auch bei vielen Sozialisten gut an.

Nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ fordert Bacher eine Ausdehnung der ORF-Werbezeiten auf die bisher werbefreien Sonn- und Feiertage. Das ist reichlich unverschämt, schließlich kassiert der ORF zum damaligen Zeitpunkt neben seinen Gebühren auch 60 Prozent aller österreichischen Werbegelder. Die zahlreichen Printmedien müssen sich dementsprechend mit 40 Prozent des heimischen Werbekuchens zufrieden geben. Zum Vergleich: In Deutschland können die Printmedien 80 und in der Schweiz sogar 85 Prozent lukrieren.[xi]

Allianz Bacher - VÖZ

Bachers Kalkül geht auf. Er tritt eine heftige Diskussion los und kann schließlich die aufgrund der aktuellen Entwicklungen ohnehin verunsicherten regionalen Zeitungsherausgeber auf seine Seite ziehen.

Die Zeitungen befürchten nämlich durch die „drohende“ Liberalisierung des Rundfunkmarktes einen verschärften Kampf am Werbemarkt. Einerseits weil neue potente Konkurrenten aus dem Ausland (die damals vor allem von der SPÖ viel beschworenen internationalen Medien-Multis) auf den kleinen heimischen Markt drängen könnten, und andererseits weil viele regionale Verlagshäuser bezweifeln, dass sie über genügend finanzielle Mittel verfügen, um selbst ins (angeblich) so teure Radio- oder TV-Business einsteigen zu können. Satelliten-TV war für die heimischen Zeitungen damals ohnehin zwei Schuhnummern zu groß.

„Aus dieser spezifischen Situation ergab sich eine Interessenkoalition zwischen ORF und Zeitungsherausgebern.“[xii]Bacher und der VÖZ (Verband Österreichischer Zeitungen) einigen sich deshalb im November 1985 auf den sogenannten „elektronischen Grundkonsens“, ein medienpolitisches Grundsatzabkommen. Gemeinsam wollte man den Status Quo der heimischen Medienlandschaft, trotz aller Umbrüche rund um die Insel der Seligen, langfristig erhalten. Gerd Bacher hatte damals zum ersten, aber nicht zum letzten Mal die Zeitungsherausgeber über den Tisch gezogen.

Bacher versprach den Verlagshäusern, seine Expansionspläne für die kommenden drei Jahre einzustellen, auf Werbung im ORF-Regionalfernsehen und die Nutzung neuer UKW-Frequenzen zu verzichten. Als Gegenleistung stimmten die Verleger der Sonntagswerbung im Fernsehen zu. Die SPÖ reagierte prompt auf den Zuruf von Bacher und VÖZ und hob 1986 das gesetzliche Werbeverbot an Sonn- und Feiertagen auf. Die heile österreichische Monopolwelt war zumindest für einige Zeit wieder gesichert.

Unterdessen hatten auch Bachers massives Lobbying für den Erhalt des Monopols und seine ständigen Warnungen vor einer Liberalsierung des Rundfunks und den damit angeblich verbundenen dramatischen Auswirkungen – Chaos im Äther, Niedergang des ORF etc. – Wirkung gezeigt. Die sozialistische Regierung beauftragte Bacher, Vorschläge für eine Änderung der ORF-Struktur und des Programmschemas auszuarbeiten.

ORF-Information noch röter: Funktionslösung

Bacher erarbeitet daraufhin die sogenannte „Funktionslösung“, seine Vorstellungen zur Reform des Rundfunkgesetzes von 1974. Kernpunkt dabei: Die Posten der bisher gleichberechtigten und „unabhängigen“ Intendanten für die beiden TV-Programme FS1 und FS2 – 1984 waren das Wolf In der Maur und Ernst Wolfram Marboe – sollten Bachers Umstrukturierungsmaßnahmen zum Opfer fallen.

Das bisherige Modell hatte sich als wenig praktikabel erwiesen, da die beiden Intendanten mit den gleichen Leuten und der gleichen Technik einander konkurrierende Programme produzierten. Sie sollten nun durch eine Informationsintendanten, mit den Zuständigkeitsbereichen Aktueller Dienst, Sport, Dokumentation und Servicesendungen, und einen Programmintendanten für die Bereiche Kultur, Jugend, Familie, Musik, Fernsehspiel und Unterhaltung ersetzt werden.

Die ÖVP lief gegen diese Pläne Sturm. Was aber nicht so sehr an der Umstrukturierung, sondern an der geplanten Besetzung der neuen Intendantenposten lag. Informationschef sollte nämlich der tiefrote Franz Kreuzer werden.

Kreuzer wurde bereits 1983 während des Nationalratskampfs massiv von der ÖVP angegriffen. Der damalige ORF-Chefredakteur galt für die Parteispitze als Hauptverantwortlicher dafür, dass die ÖVP in der Fernsehberichterstattung gegenüber der SPÖ krass benachteiligt wurde. Laut ÖVP waren während des Wahlkampfes dreimal so viele SPÖ- wie ÖVP-Beiträge gesendet worden, diese waren zudem auch noch erheblich länger[xiii].

Darüber hinaus hatte SPÖ-Wahlkampfmanager Hans Mahr damals betont, einen TV-Wahlkampf zu führen. Trotz der echten oder angeblichen Benachteiligung der ÖVP im Rundfunk hatte die SPÖ unter Kreisky bei der Nationalratswahl 1983 mit 47,6 Prozent nach zwölf Jahren die absolute Mehrheit verloren. Die Sozialisten gingen deshalb mit der FPÖ, die auf fünf Prozent gekommen war, eine Koalition ein.

Die SPÖ, oder zumindest viele ihrer wichtigsten Vertreter, standen hinter Bachers Vorschlägen. Heinz Fischer, damals Wissenschaftsminister, warnte hingegen vor „einer zu großen Nachgiebigkeit gegenüber den Veränderungswünschen von ORF-Generalintendant Gerd Bacher“[xiv].

Rundfunkreform ´84: ÖVP bricht mit Bacher

Fischer zimmerte anhand von Bachers Vorschlägen eine neue Rundfunkreform. Bacher sollte zwar seine Funktionslösung bekommen, „doch durch eine Reihe von strukturellen Maßnahmen im Kuratorium sollte der dominierenden Einfluss der SPÖ nicht nur abgesichert, sondern ausgebaut und die Kompetenzen des Generalintendanten in deutlichen Grenzen gehalten werden.“[xv]

Unterstützung bekamen die Sozialisten vom kleinen Regierungspartner FPÖ. Die ÖVP lief gegen die rot-blauen Pläne hingegen Sturm. Mediensprecher Heribert Steinbauer: „Wir werden uns diesen massiven Politschub nicht gefallen lassen“[xvi]. Dass die FPÖ ihren Sanctus zu den sozialistischen Reformplänen gibt, bezeichnet die ÖVP als „bisher größten Umfaller“[xvii].

„Die Betreuung Kreuzers mit der in der Funktionslösung zu errichtenden Informationsintendanz wurde in der ÖVP als Festschreibung eines von ihr bekämpften Zustandes eines sozialistisch dominierten Nachrichtenbereichs aufgefasst und daher abgelehnt.“[xviii] Am 10.Mai 1984 beschließt der Nationalrat mit den Stimmen von SPÖ und FPÖ die Novelle zu Rundfunkgesetz von 1974: „Die SPÖ zieht nun in Bataillonsstärke ins ORF-Kuratorium ein“[xix], so Autor Robert Kriechbaumer.

Gerd Bacher, den die Volkspartei bei seiner Wiederwahl als Generalintendant 1978 unterstützt hatte, fällt nun bei der ÖVP-Parteispitze in Ungnade. Bacher habe die Fronten gewechselt, „er sei ein der SPÖ willfähriger und zahnloser Tiger geworden“[xx], so ÖVP Generalsekretär Michael Graff.

((Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächstes Kapitel: Teddy statt Tiger: Bachers zweiter Abgang)

Literatur

Kriechbaumer, Robert: Zeitenwende – Die SPÖ-FPÖ Koalition 1983-1987. Wien 2008

Mocuba, Jutta: Gerd Bacher als Theoretiker und Praktiker des österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Diplomarbeit, Wien 2000

Osberger, Elisabeth: ÖVP-Medienpolitik in der Zweiten Republik – Eine Analyse anhand ausgewählter medienpolitischer Problemstellungen. Diplomarbeit. Wien 2003

Schmolke, Michael (Hg.): Der Generalintendant – Gerd Bachers Reden, Vorträge, Stellungnahmen aus den Jahren 1967 bis 1994 – Eine Auswahl; Wien 2000

Endnoten

[i] Siehe Arbeiter Zeitung 4.1.1984.

[ii] Kriechbaumer. 2008. Seite 417f.

[iii] Siehe multimedia 18.9.1983.

[iv] Austria Presse Agentur 15.5.1985.

[v] Ebenda.

[vi] Arbeiter Zeitung 4.1.1984.

[vii] Austria Presse Agentur 15.5.1985.

[viii] Arbeiter Zeitung 4.1.1984.

[ix] Medien und Recht 3/83.

[x] Arbeiter Zeitung 4.1.1984.

[xi] Siehe Kriechbaumer. 2008. Seite 418.

[xii] Siehe Kriechbaumer. 2008. Seite 419.

[xiii] Siehe Kriechbaumer 2008. Seite 421.

[xiv] Siehe Arbeiter Zeitung 27.2.1984..

[xv] Siehe Kriechbaumer. 2008. Seite 420.

[xvi] Siehe Die Presse 11.5.1984.

[xvii] Ebenda.

[xviii] Siehe Kriechbaumer. 2008.Seite 422.

[xix] Siehe Kriechbaumer. 2008. Seite 427.

[xx] Siehe Kriechbaumer. 2008. Seite 422.

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Drei Marksteine auf dem Weg zur geistigen Erneuerung Europas drucken

Kann der moderne Mensch noch glauben? Die meisten Intellektuellen verneinen diese Frage. Sie ordnen den Glauben an übernatürliche Wesen und Mächte, an Gott oder diverse Götter einem frühmenschlichen Stadium zu. Unser aufgeklärtes Zeitalter, so die allgemeine Meinung, beschränkt sich auf Tatsachen, auf deren Beobachtung und Verknüpfung zu Relationen, und versucht aus diesen Beobachtungen und Relationen Regelmäßigkeiten zu erkennen und Gesetze abzuleiten. Glaubenswahrheiten werden vom modernen Menschen nicht mehr einfach angenommen, sondern „hinterfragt“.

Wenn sie nicht mit den Naturgesetzen in Übereinstimmung gebracht werden können, werden sie abgelehnt. Die Naturwissenschaft versucht auf jede nur denkbare Weise den Rekurs auf Gott oder auf das Übernatürliche zu vermeiden. Zur Erklärung der Welt wird Gott nicht mehr gebraucht. „ Dieu? je n'ai pas besoin de cette hypothèse pour expliquer le monde“, antwortete Laplace auf die Frage Napoléons, wo denn Gott im Weltsystem seinen Platz habe. Im alles beherrschenden naturwissenschaftlichen Weltbild ist der Glaube an Gott, den allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde sowie aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge, nicht mehr nötig.

Es zählt nur das sinnlich Beobachtbare, durch Experiment intersubjektiv Nachvollziehbare und Beweisbare. Für die Naturwissenschaft gibt es keine absolute Wahrheit. Was wir gemeiniglich als „Wahrheit“ bezeichnen, sind für den Wissenschaftler nur „Hypothesen“, die solange gelten, als sie durch beobachtbare Tatsachen noch nicht widerlegt oder „falsifiziert“ sind.

Die Wissenschaft, und das gilt spätestens seit Kant auch für die kritische Philosophie, kennt keine Dogmen, keine Metaphysik, keine Theologie als „Science“. Die Theologie behandelt einen Gegenstand, dessen Existenz nicht beweisbar ist. Dieses szientifische Weltbild ist derart in die unteren Schichten eingesickert, dass es heute den Religionslehrern in den Schulen schwer fällt, von der Menschwerdung Gottes zu reden, von Jungfrauengeburt, „Überschattung“ durch den Heiligen Geist,  Auferstehung von den Toten,  leeres Grab, Himmelfahrt, Erlösung, ewiges Leben. Wer es dennoch versucht, erntet schon in den unteren Klassen oft nur Spott. So wird zumeist lieber Lebenskunde gelehrt, verbrämt mit ein bisschen Psychologie.

Was nun in der Wissenschaft gedacht wird, färbt auch auf das Leben ab. Die breite Masse lebt so, als ob es Gott nicht gäbe. Sie braucht Gott nicht mehr zum guten Leben, höchstens noch den Staat, der für Grundeinkommen und Pension sorgt. Nach einer Allensbach-Umfrage glauben in Westdeutschland nur noch 20 Prozent, in Ostdeutschland gar nur 8 Prozent sich für ihre Handlungen vor Gott verantworten zu müssen. „Es besteht“, so Benedikt XVI. in einer Ansprache zu Priestern des Aostatales im Sommer 2005, „offensichtlich kein Bedarf mehr an Gott und noch weniger an Christus“. „Die großen Kirchen stecken in einer abgrundtiefen Krise“, sie erscheinen „als etwas Veraltetes und ihre Angebote als unnötig“. „Die Leute scheinen uns nicht mehr zu brauchen“, es besteht „bei vielen Leuten der Eindruck, dass man ohne die Kirche leben könne – eben so, als ob es Gott nicht gäbe“. „Die westliche Welt scheint ihrer eigenen Kultur überdrüssig“, sie schafft sie ab und es ist nicht auszuschließen, dass in Europa „bald nur noch die Steine von Christus reden.“

Trotz dieser tristen und vom Heiligen Vater so rückhaltlos geschilderten Situation wurde gerade das Jahr 2005, in dem Papst Johannes Paul II. starb und Joseph Ratzinger als Benedikt XVI. sein Nachfolger wurde, zu einem Schlüsseljahr der geistigen Erneuerung Europas. Im ersten Halbjahr des Jahres 2005 wurden durch die genannten Päpste und einen Kardinal mit der Kritik an Aufklärung, Relativismus und Evolution, den Säulen modernen Denkens, drei entscheidende Schritte gesetzt, die in ihrer Bedeutsamkeit für Europas Selbstverständnis kaum zu überschätzen sind. Erst langsam, sehr langsam beginnen breitere gebildete Schichten sich mit dem eingefahrene Geleise verlassenden, geradezu umsturzartigen Geschehen vertraut zu machen und seine Konsequenzen für persönlichen Lebensstil, Gesellschaft und Politik zu ziehen.

Erstens: Die Neubewertung der „Aufklärung“.

An der ersten Stelle dieser Schritte ist die energische Zurückweisung der „Philosophie der Aufklärung“ und ihres kartesianischen Credos durch Johannes Paul II. kurz vor seinem Tode zu nennen. In seinem Buch „Erinnerung und Identität“ (Augsburg 2005) wird das „Cogito, ergo sum – ich denke, also bin ich“ des Descartes mit dem „Eritis sicut Deus – ihr werdet sein wie Gott“, in Zusammenhang gebracht. Durch die Aussage: „Weil ich denke, bin ich“, macht sich der Mensch zu seinem eigenen Schöpfer, einem  ens subsistens. Er sieht sich nicht mehr als ein Geschöpf Gottes und von Ihm abhängig, als ens non subsistens oder ens participatum. Im Gegenteil, Gott wird zu einem Geschöpf des Menschen, des menschlichen Bewusstseins, zu einer bloßen „Idee“. „Die Aufklärung stellt die Philosophie auf den Kopf“, sie besiegelt den Bruch mit Gott und wird dadurch zur Wurzel alles Bösen.

Sie brachte die neuzeitlichen Ideologien hervor, die uns das 20. Jahrhundert des Massenmords bescherten und in der legalen Vernichtung ungeborenen Lebens unter demokratischen Vorzeichen „noch heimtückischer und verhohlener“ weiter ihr Unwesen treiben. Das eben ist „das Drama des atheistischen Humanismus“: „Losgelöst von Gott wird der Mensch sich selbst und den Mitmenschen zum Ungeheuer“ (Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra, n. 215). Er weiß das Gute vom Bösen nicht mehr zu unterscheiden und wird dadurch „der Sünde Knecht“ (Joh 8, 34). Seine Kultur wird zu einer „Kultur des Todes“ (Johannes Paul II., Evangelium vitae, n. 12), der Mensch zum Feind des Menschen – homo homini lupus est.

So schlüssig die Einsicht des Heiligen Vaters, die Aufklärung sei nicht, wie Immanuel Kant noch  meinte,  „der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“, sondern sie sei der Eingang in diese Unmündigkeit, so gehört diese Einsicht noch längst nicht zum Bildungsgut unserer Gesellschaft, geschweige denn zum Leitmotiv der Politik. Dabei wird heute von Vertretern der Geistesgeschichte kaum noch bestritten, dass die neuzeitliche „Aufklärung“ von Anfang an und bis heute als Projekt zu begreifen ist, welches die Loslösung oder „Emanzipation“ von Gott und schließlich von jeglicher Autorität, der kirchlichen, der staatlichen und der väterlichen Autorität unter Rekurs auf die einzelmenschliche Vernunft bezweckte.

Eindrücklich haben Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ die Folgen dieser Emanzipation beschrieben: Die Vernunft wurde „instrumentalisiert“, sie wurde zu einem Mittel der Ausbeutung des Menschen und der Zerstörung der Natur. Höchste Rationalität führte zu höchster Irrationalität, der Fortschritt vom Faustkeil zur Atombombe. Benedikt  XVI., der Nachfolger von Johannes Paul II., diagnostiziert in der neuzeitlichen Aufklärung „eine lebensgefährliche Erkrankung des menschlichen Geistes“, denn wo Gott geleugnet wird, wird die Freiheit ihres Grundes beraubt.

Die durch die „Aufklärung“ erfolgte Ausklammerung und Verpönung der metaphysischen Dimension hat, wie der Papst in seiner berühmt gewordenen Regensburger Rede 2006 ausführte, zu einer „Verkürzung“ des Denkens und zu pathologischen Erscheinungen auf ideologischem und, mit dem Fideismus, sogar auf religiösem Gebiete geführt. Wo die Vernunft so verengt wird, „dass ihr Fragen der Religion und des Ethos nicht mehr zugehören“, entstehen für den Menschen „gefährliche Pathologien der Religion und der Vernunft“.

Zweitens: Die Absage an den Relativismus

An zweiter Stelle ist die entschiedene Absage an den Relativismus durch Kardinal Joseph Ratzinger in seiner Ansprache zu den Kardinälen kurz vor seiner Wahl zum Papst zu nennen. Relativismus bedeutet Verneinung der Wahrheit, und „darin besteht die tiefste Krise unserer Zeit“. Durch den Relativismus werden die Menschen zum Spielball von Modeströmungen, die sie von einem Extrem zum anderen treiben.

„Vom Marxismus zum Liberalismus bis hin zum Libertinismus; vom Kollektivismus zum radikalen Individualismus; vom Atheismus bis zum vagen Mystizismus, vom Agnostizismus zum Synkretismus und so weiter“. Es gibt keine Ordnung ohne Wahrheit, und ohne Wahrheit und Ordnung auch keine Freiheit. Die „Diktatur des Relativismus“ führt aus innerer Logik  zu Anarchie und Tyrannei. „Wahrheit und Freiheit verbinden sich entweder miteinander, oder sie gehen miteinander zugrunde“.

Drittens: Die Fundmentalkritik am Evolutionismus

Noch am wenigsten begriffen und in ihrer Bedeutung gewürdigt ist die Fundamentalkritik am Evolutionismus oder Darwinismus. Dass mit dieser Kritik  die letzte Fluchtecke des dialektischen Materialismus ausgeräumt wurde, haben die Marxisten jeglicher Couleur noch kaum „realisiert“. Geschehen ist das mit einem wohl  in Absprache mit dem Vatikan verfassten Artikel von Kardinal Christoph Schönborn über „Finding Design in Nature“.

Der am 7. Juli 2005 in der New York Times veröffentlichte Beitrag stellt klar, dass die Erklärung der Entstehung der Welt oder des Lebens sowie die neo-darwinistische Annahme der Höherentwicklung von Lebewesen aus „Zufall“ und blinder Naturgesetzlichkeit, nichts mit Wissenschaft zu tun haben, sondern reine Ideologie sind.

In jeder Entwicklung von Daseinsformen ist ein Plan („Design“) zu finden, und dieser ist ohne die Annahme eines „Designers“ oder Schöpfers schon von der Logik her nicht denkbar. Aus einem Steinhaufen wird nun einmal ohne Baumeister und seinen Plan kein Haus. Die kritischen Stimmen zu Schönborns Ausführungen übersehen, dass die neo-darwinistische Evolutionstheorie durch die Genforschung und Molekularchemie längst falsifiziert ist. Für die Entstehung höherer Lebewesen aus niedrigeren ist die Verlängerung von Nukleinsäureketten (DNS) notwendig, deren Bausteine eine ganz bestimmte Reihenfolge aufweisen müssen. Das Zustandekommen der Reihenfolge durch ungeplante und ungesteuerte Variation ist auf Grund der Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht möglich.

Daher kommt Bruno Vollmert, einer der führenden Markromolekularchemiker, dessen Bücher zu den in zahlreiche Sprachen übersetzten Standardwerken seines Fachs zählen, als Naturwissenschaftler zu dem Schluss: „Wie das Leben entstanden ist, wissen wir nicht; wir wissen nur, wie es nicht entstanden ist, nicht durch Selbstorganisation, nicht durch Mutation, nicht durch Selektion, nicht durch molekulare Zufallsereignisse, nicht spontan, nicht von selbst“. Die Evolutionstheorie hat kein naturwissenschaftliches Fundament!

„Das Leben bleibt ein unbegreifliches Geheimnis“, so auch der mit der „Medal of Science“ höchstausgezeichnete Pionier der Genforschung, Erwin Chargaff, dessen Name zusammen mit den nach ihm benannten „Chargaff-Regeln“ für die Anordnung der Basen in den Nukleotiden in jedem besseren Konversations-Lexikon zu finden ist. Für seine Kollegen, die, übrigens meist nach der produktiven Phase ihres Forscherlebens, sich bemüßigt fühlen, das Buch der Genesis umzuschreiben und Gott den Schöpfer aller belebten und unbelebten Dinge zu eliminieren, hatte er nur Hohn und Spott übrig. Chargaff und Vollmert erhalten Unterstützung von zahlreichen Naturwissenschaftern, die alle bei der Beurteilung der Evolutionslehre zu ebenso vernichtenden Ergebnissen kommen.

Hier ein paar Beispiele:  “Wir besitzen keine positiven Beweise für den anorganischen Ursprung des Lebens oder die tierische Abstammung des Menschen, ja, wenn wir pedantisch sind, nicht einmal für die Abstammungslehre selbst” (C. F. v. Weizsäcker). „Die Tatsache der Evolution ist das Rückgrat der Biologie, und die Biologie nimmt somit die merkwürdige Stellung ein, dass sie eine Wissenschaft ist, die auf eine unbewiesene Theorie gegründet ist” (L. Harrison Matthews). „Es liegt auf der Hand, dass die Bildung der Knochen (Anm.: für den ersten Fisch, der an Land `ging´), nicht eine, sondern eine ganze Explosion von Mutationen erforderte, die alle zu einem einzigen Zweck (!) koordiniert wurden – unglaublich (sic!), dass dies allein durch den Zufall geschehen sein sollte“ (G.R. Taylor).

Die Evolutionstheorie ist „sowohl in Beobachtung als auch in Experiment ohne Stütze” (A. Locker). Für Pascal Jordan beruht die Zufallstheorie der Neo-Evolutionisten auf „einem groben wissenschaftlichen Denkfehler”, dem jede Beweiskraft abgesprochen werden muss: Der statistische Zufall reicht als Erklärungsgrundlage für die vorhandene Fülle der Tier- und Pflanzenwelt nicht aus. „Dass die Evolution eine Abfolge von zufällig ausgelösten Mikroereignissen zu verdanken sei, dagegen spricht die Zeit und die Mathematik”, hält F. Jacob, einst einer der engsten Mitarbeiter von  Nobelpreisträger J. Monod („Zufall und Notwendigkeit”), fest.

„Nicht eines der Tausenden von Biomolekülen, auf die das Leben angewiesen ist, konnte durch natürliche Prozesse hier auf Erden zustande kommen” (F. Hoyle). „Auf Grund der experimentellen Ergebnisse der Artbildungsforschung muss die Evolutionslehre ganz aufgegeben werden” (H. Nilsson). Die Evolutionslehre „kann man wissenschaftlich nicht definieren, geschweige denn mit wissenschaftlicher Exaktheit beweisen” (W. R. Thompson).

Kein ernstzunehmender Naturforscher bestreitet heute, dass die Leistungsfähigkeit der „Evolutionsmechanismen“ (wie Mutation, Rekombination, Präadaption, Selektion, Gendrift, Gentransfer u.a.m.) auf den mikroevolutiven Bereich beschränkt ist und nur Variationen innerhalb von vorhandenen DNS-Strukturen und ihrem phänotypischen Erscheinungsbild ermöglicht, nicht aber die Entstehung von neuen Arten erklären kann. Nur noch Ignoranten und die politisch-korrekt im linken oder liberalen Milieu sozialisierten Lehrer an unseren Schulen weigern sich zu begreifen, dass mit dem Evolutionsaxiom  ein “Irrweg der Naturwissenschaft” (H. Kahle) eingeschlagen wurde.

Heute finden die Spitzen unter den Naturwissenschafter wieder zurück zu der schon in der Antike vorgetragenen Einsicht, dass sich in Entwicklung und Gestaltwandel der Lebewesen etwas „Geistiges“ ausdrückt, das von den Platonikern als „Idee“ und von den Aristotelikern als „Form“ bezeichnet wird und als „intelligent design“ für Aufregung unter den Gemütern sorgt, die in unserem postevolutionären und postmodernen Zeitalter noch nicht angekommen sind.

Endlich zurück zum „Gottesstaat“

Es ist überaus bemerkenswert, dass ausgerechnet drei Kirchenfürsten für die drei Riesenschritte sorgten, welche mit der Zurückweisung von Aufklärungsphilosophie, Relativismus und Evolutionismus  die geistige Erneuerung Europas auf den Weg gebracht haben. Aufmerksamen Beobachtern des Zeitgeschehens ist es nicht entgangen, dass damit „die Kirche aus ihrer Defensivposition herauskommen“ und die „intellektuelle Meinungsvorherrschaft wiedergewinnen“ will (Hans Rauscher im STANDARD vom 12.7.05). Wer anders als die Kirche könnte denn auch berufener sein, dem Ungeist sowohl der neo-positivistischen Spätaufklärung (Sir Karl R. Popper) wie der neomarxistischen „Frankfurter Schule“ Paroli zu bieten, die beide das politisch korrekte, geistige Klima in weiten Teilen Europas vergiftet haben.

Die These, wonach für das Überleben Europas seine Re-Evangelisierung unverzichtbar ist, gewinnt nunmehr auch unter führenden Staatsmännern zunehmend Anhänger. Die „Seele Europas“ (Jacques Delors) ist nun einmal das Christentum, und ohne ihre „Seele“ als geistiges Prinzip kann die europäische Kultur oder „Zivilisation“ sich nicht behaupten. Auch für sie nämlich gilt die Warnung des Psalmisten dass „zur Hölle fahren müssen die Frevler und Völker alle, die vergessen auf Gott“ (Ps 9, 18).

Der Autor lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Er war Mitglied der Europakommission der Österreichischen Bischofskonferenz.

Sein  jüngstes Buch „Der Sinn der Geschichte“ (Regin-Verlag, Kiel 2011) enthält ein viel kommentiertes Kapitel über „Popper und die Folgen“ und über die Gottvergessenheit Europas („Kein Gott in Europa“).

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Die roten Meinungsmacher (16): Aufbruch ins All: Die neue Programmvielfalt aus der Schüssel drucken

Während in Kärnten Radio Uno von Italien aus den ORF-Radios Konkurrenz macht und mit SKY CHANNEL im Wiener Kabelnetz erstmals ein kommerzieller ausländischer TV-Sender empfangen werden kann, haben die zahlreichen Satelliten, die im Laufe der 80 Jahre von europäischen Konsortien und Firmen ins All befördert werden, vorerst noch keinen nennenswerten Einfluss auf das heimische Rundfunkmonopol.[i]

Das hat mehrere Gründe. Zwar kann jeder Österreicher, der eine drehbare oder mehrere Satellitenschüsseln aufstellt, dutzende Programme empfangen, allerdings nur theoretisch.

Denn erstens dürfen in Österreich nur ganz bestimmte, vom Bundeskanzleramt genehmigte Programme empfangen und gesehen werden, und zweitens muss jede Sat-Schüssel von der zuständigen Post- und Telegraphendirektion genehmigt werden, bürokratische und rechtliche Hürden inklusive.

In den 80er Jahren dürfen die Österreicher ausschließlich jene ausländischen Sat-Programme konsumieren (inländische gibt es ohnehin nicht), die die Obrigkeit für den gemeinen Bürger freigegeben hat, das sind gerade einmal sechs: SKY CHANNEL, 3 SAT, TV5, SAT 1, RTL plus und Super Channel. Diese Programme werden über den ECS1 Satelliten abgestrahlt.

Die viele anderen Sender und Programme, wie etwa jene aus den USA, bleiben für den heimischen Untertanen damals verbotene Früchte. Wer den Empfang anderer Programme beantragt, der blitzt bei den Behörden einfach ab. Begründung: „Man wolle im Hinblick auf die bevorstehende parlamentarische Initiative eines neuen Kabel-TV-Gesetzes keine Verhältnisse schaffen, die einem Präjudiz gleichkommen.“[ii]

Doch auch die reduzierte Sat-Kost, die das rote Bundeskanzleramt den Österreicher gerade noch zumuten möchte, ist nicht einfach zu bekommen. Denn einfach so darf damals niemand eine Satellitenschüssel aufs Dach oder den Balkon schrauben. Jede Sat-Anlage muss brav bei der Post und Telegraphendirektion beantragt werden und gibt die endlich grünes Licht, wird eine monatliche Gebühr von 20 Schilling fällig.

Das will sich kaum jemand antun, die Zahl der beantragten Sat-Schüsseln, die damals noch dazu exorbitant teuer sind, ist deshalb recht überschaubar. 1988 gab es in ganz Österreich gerade mal 3.000 Satellitenschüsseln.[iii]

Satellitenempfang ist Mitte der 80er Jahre ein teures Hobby für Technik- und TV-Freaks, aber keine ernste Konkurrenz für das ORF-Monopol. 1988 konnten in ganz Europa gerade einmal 100.000 Haushalte Satellitenfernsehen direkt empfangen.

Entwicklung der technischen Reichweite aller Satellitensysteme in Europa. (Zahl der Haushalte in Millionen)[iv]

Die Revolution: CNN im Marriott

1987 bringt eine Entscheidung des Bundeskanzleramts eine Redakteurin der Austria Presse Agentur regelrecht ins Schwärmen. Am 16. Februar schreibt die Dame geradezu überschwänglich: „Für Österreich könnte in Zukunft der Satellitenhimmel voller Geigen hängen.“[v]

Was war geschehen? Was für eine revolutionäre Entscheidung hat die Redakteurin so verzückt? Des Rätsels Lösung: Das Wiener Marriott Hotel darf – so hat es das Bundeskanzleramt entschieden – in seinen Zimmern künftig den US-Nachrichtensender CNN ausstrahlen. Wohlgemerkt nur in den Zimmern, nicht „öffentlich“, also weder in der Lobby noch in den Bars oder Restaurants, das würde dann offenbar doch zu weit gehen.

Ja, Österreich liegt mitten in Europa, westlich des Eisernen Vorhangs und man schreibt das Jahr 1987. Was aus heutiger Perspektive völlig skurril klingt, war damals tatsächlich eine Sensation. Die Erzeuger und Vertreiber von Satellitenschüsseln sprechen jedenfalls von einem Präzedenzfall und „einem gewaltigen Durchbruch.“[vi]

Die Arbeiterzeitung, ganz auf Parteilinie, antikapitalistisch und wirtschaftsfeindlich: „Nun wittern die Hersteller von Satellitenempfangsanlagen das große Geschäft.“[vii]

Erstmals durfte ein Programm, das über den Intel-Satelliten abgestrahlt wurde, in Österreich empfangen werden, wenn auch vorerst nur betuchte Touristen und Geschäftsreisende, die im Wiener Marriott Hotel absteigen, in den Genuss von CNN kamen.

Trotz solch kleiner Erfolge spielt Sat-TV Ende der 80er Jahre keine große Rolle, weder in Österreich, noch in Europa. Der Versuch, Fernsehsatelliten mit nationaler Ausrichtung am Markt zu etablieren, ist in ganz Europa fehlgeschlagen. Die große Zeit des Satellitenempfangs beginnt erst, als Anfang der 90er Jahre das luxemburgische Unternehmen SES (Société Européenne des Satellites) seine Astra-Satelliten ins All befördert.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächstes Kapitel:: „Der Monopoltiger: Bachers Kampf gegen die Rundfunkliberalisierung“).

Literatur

Brandacher, Stefan: Der Österreichische Rundfunk unter besonderer Berücksichtigung des Kabel- und Satellitenfernsehens. Dissertation Innsbruck 1993

Fidler, Harald; Merkle, Andreas: Sendepause – Medien und Medienpolitik in Österreich; Oberwart 1999

Friesenegger, Walter: Satellitenfernsehen in Europa – Situation und Möglichkeiten Österreichs. Salzburg 1994

Lenhardt, Helmut: Rundfunk im Satellitenzeitalter – Sieben Empfehlungen für Österreich. Wien 1987

Endnoten

[i] Außer als Übertragungsweg für die Kabelnetzbetreiber.

[ii] Austria Presse Agentur 16.2.1987

[iii] Siehe Friesenegger. 1994. Seite 94.
[iv] Siehe Friesenegger. 1994. Seite 32.
[v] Austria Presse Agentur  16.2. 1987.
[vi] Austria Presse Agentur 16.2. 1987.
[vii] Arbeiter Zeitung 17.2.1987. Seite 4.

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Wie viele Kinder wurden in Österreich lebend & tot geboren? drucken

Absolute Zahl der Lebend- und Totgeborenen pro Jahr in Österreich seit 1871

 

Jahr Lebendgeborene Totgeborene
Absolute Zahlen
1871

153.502

        .
1872

158.395

        .
1873

162.563

        .
1874

162.874

        .
1875

164.904

        .
1876

169.935

        .
1877

164.731

        .
1878

162.106

        .
1879

163.662

        .
1880

165.466

        .
1881

164.089

5.492

1882

166.068

5.600

1883

165.790

5.719

1884

169.803

5.796

1885

168.069

5.898

1886

170.059

5.982

1887

170.735

6.166

1888

170.199

6.143

1889

171.939

6.503

1890

165.601

6.078

1891

176.568

6.804

1892

171.794

6.913

1893

175.636

7.139

1894

176.507

7.032

1895

181.136

6.779

1896

182.844

6.402

1897

181.882

6.212

1898

184.427

6.584

1899

186.290

6.885

1900

187.094

6.698

1901

189.539

6.962

1902

191.926

6.566

1903

184.244

6.370

1904

187.963

6.600

1905

181.685

6.271

1906

184.477

6.572

1907

181.026

6.226

1908

180.034

6.124

1909

180.106

6.185

1910

176.588

6.101

1911

168.916

        .

1912

170.555

        .

1913

163.354

        .

1914

161.692

        .

1915

125.680

        .

1916

98.895

        .

1917

92.289

        .
1918

92.560

        .
1919

118.518

        .
1920

146.644

        .
1921

151.138

        .
1922

150.958

4.746

1923

146.885

4.879

1924

142.141

4.728

1925

135.841

4.132

1926

127.250

3.908

1927

118.669

3.683

1928

116.729

3.535

1929

112.047

3.255

1930

112.330

3.253

1931

106.324

2.962

1932

102.277

3.012

1933

96.369

2.690

1934

91.567

2.516

1935

88.689

2.487

1936

88.264

2.556

1937

86.351

2.447

1938

93.812

2.532

1939

137.825

3.718

1940

145.926

3.738

1941

135.398

3.076

1942

116.172

2.502

1943

122.443

2.546

1944

126.938

2.793

1945

101.369

2.020

1946

111.302

2.501

1947

128.953

2.766

1948

123.221

2.634

1949

113.375

2.316

1950

107.854

2.369

1951

102.764

2.145

1952

103.012

2.088

1953

102.867

1.909

1954

103.985

1.948

1955

108.575

1.932

1956

115.827

2.087

1957

118.712

2.072

1958

119.755

1.978

1959

124.377

1.935

1960

125.945

1.916

1961

131.563

1.757

1962

133.253

1.835

1963

134.809

1.814

1964

133.841

1.687

1965

129.924

1.565

1966

128.577

1.471

1967

127.404

1.401

1968

126.115

1.370

1969

121.377

1.276

1970

112.301

1.141

1971

108.510

1.056

1972

104.033

1.005

1973

98.041

877

1974

97.430

828

1975

93.757

791

1976

87.446

683

1977

85.595

673

1978

85.402

562

1979

86.388

561

1980

90.872

602

1981

93.942

511

1982

94.840

469

1983

90.118

481

1984

89.234

409

1985

87.440

407

1986

86.964

385

1987

86.503

289

1988

88.052

325

1989

88.759

347

1990

90.454

325

1991

94.629

321

1992

95.302

339

1993

95.227

317

1994

92.415

307

1995

88.669

389

1996

88.809

399

1997

84.045

363

1998

81.233

334

1999

78.138

316

2000

78.268

331

2001

75.458

278

2002

78.399

338

2003

76.944

307

2004

78.968

313

2005

78.190

289

2006

77.914

313

2007

76.250

291

2008

77.752

258

2009

76.344

284

2010

78.742

296

Quelle: Statistik Austria

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Fußnote 262: Linke Bücherverbrennungen drucken

Es war eine der vielen geschmacklosen Widerlichkeiten auf Kosten der Steuerzahler, die als sogenannte Kulturaktion getarnt war.

Diesmal waren es die Deutschen, die für eine linke Widerlichkeit zur Kasse gebeten werden sollten: Im Rahmen der Berlin-Biennale sollten als „Kunstaktion“ Bücher von Thilo Sarrazin verbrannt werden. Sie haben richtig gelesen: Bücherverbrennungen ausgerechnet in Deutschland. Vor Galerien, Kunstvereinen, Büchereien und Museen wurden zum Sammeln der Exemplare des meistverkauften Sachbuchs Sammelbehälter aufgestellt. Dann zog der Veranstalter aber ein wenig zurück: Die Bücher sollten „nur“ recycelt werden. Aber am Ende kam es auch dazu nicht: Denn es wurde kein einziges Buch abgegeben! Die Kulturszene ist dennoch der beste Beweis für die Richtigkeit der Sarrazin-Erkenntnisse: Deutschland schafft sich von ganz alleine ab, dazu braucht es gar keine Immigranten . . .

 

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Wenn die Politik der Wähler überdrüssig wird drucken

Wahlen? Derzeit sinnlos. „Wahlen bedeuten heillose Versprechungen. Extreme Parteien von rechts und links würden gewinnen.“ Selten wurde der Demokratie eine so unverblümte Absage erteilt. Der Mann, der da Wahlen am liebsten abschaffen würde, heißt jedoch Hannes Swoboda, und er ist immerhin Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im europäischen Parlament. Da läutet offenbar eine ganz gewichtige Stimme eine ganz neue Debatte über eine fundamentale Krise der Demokratie ein.

Der SPÖ-Mann Swoboda hat aus Anlass der bevorstehenden griechischen Wahlen gesprochen. Die Politiker, die dabei antreten, stehen derzeit allesamt unter internationalem Druck, massivste und unpopuläre Sparmaßnahmen zu beschließen. Sie sollen also jetzt all das wieder abschaffen, womit sie in den letzten Jahrzehnten die Stimmen der Wähler gekauft haben. Was die Politiker vor ein dramatisches Dilemma stellt. Denn in ein paar Wochen bekommen sie von den Wählern das nächste Zeugnis ausgestellt. Die Wähler aber zeigen derzeit einen Maximum an Hass auf die gesamte Politik. Kein Wunder, dass da bei den Volksvertretern Panik ausbricht.

Was einen eigentlich kalt lassen könnte. Schließlich ist die Demokratie für die Bürger, nicht die Politiker geschaffen worden.

Die Problematik geht jedoch weit über diese griechischen Wochen hinaus. Sie lässt immer häufiger die Frage aufkommen: Ist vielleicht gar die Demokratie als solche am Ende? Ist die historische Epoche des Triumphs der demokratischen über alle anderen Staatsformen schon im Abklingen? Sind die Politiker in ihrer Abhängigkeit von den oft sehr oberflächlichen und egoistischen Reflexen vieler Wähler so populistisch geworden, dass sie nicht mehr imstande oder willens sind, das Richtige und Notwendige zu tun? Sind dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – die Wähler der Politiker überdrüssig geworden?

Diese Fragen lassen sich zwar nicht letztgültig beantworten. Ihr skeptischer Kern hat aber jedenfalls viel für sich. Die Demokratie birgt ein unüberbrückbares Dilemma zwischen dem Erwünscht-Angenehmen und dem Unerwünscht-Notwendigen.

Dieses Dilemma hat etwa dazu geführt, dass von Italien bis Griechenland heute nicht mehr vom Volk direkt oder indirekt gewählte Politiker als Regierungschefs agieren, sondern parteilose Experten, die ohne Rücksicht auf Wähler und Wahltag handeln sollen und können.

Freilich müssen auch sie jede Gesetzesänderung am Ende vor die gewählten Volksvertretungen bringen. Die dortigen Abgeordneten sind derzeit aber nur unter massivstem Druck zu einer Zustimmung zu einschneidenden Spar- und Sanierungsmaßnahmen zu bewegen. Ein solcher Druck lässt sich jedoch naturgemäß nicht dauerhaft aufrechterhalten. Womit auch das griechisch-italienische Modell keine wirkliche Lösung des Demokratie-Dilemmas ist.

Dieses Dilemma beherrscht aber auch die österreichische Politik, wenngleich auf anderem Niveau. Da hat etwa der Wiener Bürgermeister Michael Häupl Wahlkämpfe als Zeiten konzentrierten Unsinns bezeichnet; was zwar richtig ist, aber eben nicht gerade von Respekt eines Volksvertreters vor dem demokratischen Souverän zeugt, wenn er die Zeiten des Dialogs zwischen Wähler und Gewähltem so zynisch sieht. Da hat die Regierung Gusenbauer-Molterer die Dauer einer Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre verlängert; man wollte nicht durch die Wähler beim Regieren gehindert werden.

Die „heillosen Versprechungen“, von denen Swoboda in Hinblick auf Griechenland spricht, die hat Österreich aber auch schon selbst erlebt. Am weitaus schlimmsten im September 2008, als das Parlament drei Tage vor der Wahl Milliarden zur Wählerbestechung beim Fenster hinausgeworfen hat. Milliarden, die dann später mit zur gegenwärtigen Krise samt Sparpaket geführt haben. Swoboda hat damals freilich keineswegs von „sinnlosen“ Wahlen gesprochen, war doch seine Partei die Hauptschuldige jener Aktion.

Alternativen zur Demokratie

Was aber sind langfristig die Folgen des Demokratie-Dilemmas? Es ist in der Tat nicht mehr absolut auszuschließen, dass viele heute demokratische Staaten in die Unregierbarkeit, in Chaos, in Gesetzlosigkeit versinken. Dass staatliche Strukturen nur noch in wenigen Bereichen funktionieren, dass statt dessen Kriminalität, Chaos und Faustrecht regieren. Während die Staaten immer noch mehr Gesetze beschließen, werden immer weniger Gesetze befolgt, und am Schluss gar keines mehr.

Eine andere, aber ebenfalls keineswegs erfreuliche Folge wäre der starke Mann, der unter vielerlei Versprechungen die Macht an sich reißt oder gar angedienert bekommt. Um sie erst wieder abzugeben, wenn er militärisch besiegt oder in einem revolutionären Kraftakt gestürzt würde. Ein solcher starker Mann war etwa Napoleon, der die blutigen Wirren der Französischen Revolution (die ja ursprünglich durchaus demokratisch-rechtsstaatlich begonnen hatte!) zur anfänglichen Erleichterung vieler Franzosen durch seine Machtergreifung beendete. Aber letztlich hat eben auch der einst so bejubelte Napoleon sein Land ins Elend gestürzt.

Ein erstaunlich erfolgreiches und schon lange funktionierendes Alternativmodell stellt die direkte Demokratie der Schweiz dar. Dort haben sich die Stimmbürger seit Jahrzehnten als viel verantwortungsbewusster denn die üblichen Machtträger der repräsentativen Demokratie erwiesen. Von der Landesverteidigung bis zur Schuldenfrage haben die Schweizer immer gezeigt, dass sie sich der Konsequenzen ihres Stimmverhaltens bewusst sind. Ihr Modell funktioniert – obwohl die direkte Demokratie immer als hemmungsloser Griff der Bürger in die Staatskasse attackiert wird.

Die Perspektiven dieser durchaus unterschiedlichen Alternativen wachsen jedenfalls. Das heißt aber noch nicht, dass die repräsentative Demokratie unwiderruflich am Ende ihres historischen Lebenszyklus angelangt sein muss. Aber sie braucht dasselbe wie die direkte Demokratie: ein hohes Ausmaß an Verantwortungsbewusstsein, sowohl der Wähler wie auch der Machthaber.

Dieses Bewusstsein wird jedoch von vielen Medien, Parteien und Gewerkschaften nicht gefördert, die statt dessen ständig Kurzsichtigkeit und Gruppenegoismus propagieren. Was vielen Bürgern aufs erste als die angenehmere Alternative gegenüber der sparsamen Strenge der schwäbischen Hausfrau erscheint. Obwohl sie – würde man nur ehrlich mit ihnen reden und ihnen nicht eine sozialutopische Fata Morgana vorgaukeln – an sich durchaus imstande sind, Notwendigkeiten zu begreifen.

Nationaler Grundkonsens ist entscheidend

Letztlich braucht jede funktionierende Gesellschaft einen grundlegenden Konsens zwischen Mächtigen und Bürgern: über die Notwendigkeiten des Zusammenlebens, über das Verhältnis von Rechten und Pflichten, über grundlegende Werte – altmodisch würde man sagen: über Moral – und auch über die volkswirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten. Es geht um den Wert der Familie, um Sparsamkeit, um die „Rule of law“, um die Treue gegenüber als durchwegs sinnvoll empfundenen Gesetzen (auch wenn einem kein Polizist über die Schultern blickt), um das Prinzip „Pacta sunt servanda“, um die Notwendigkeit von Leistung und Anstrengung, um gegenseitige Rücksicht und um die Wichtigkeit von Grundrechten, insbesondere Meinungsfreiheit, Menschenwürde, Eigentumsrechte und das Verbot von Willkür.

Wenn dieses Fundament funktioniert, dann funktioniert auch jedes politische System. Und die Demokratie tut das am besten. Dann muss auch ein Swoboda keine Wahlen mehr fürchten.

Die europäischen Völker haben aber anscheinend nach zwei Generationen eines so lange wie noch nie herrschenden Friedens und beständigen Wohlstandszuwachs viel von diesen Grundlagen verlernt. Und dann kann gar kein System mehr funktionieren.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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Toleranz ist mehr als ein Kinder- und Geduldspiel drucken

Gabriel Marcel – J.-P. Satres Gegenspieler im Pariser Nachkriegsszenario für Existenzphilosophie, Metaphysik und Literatur –  verdanken wir eine unüberbietbar präzise Begriffsdefinition für dieses Grundwort: „Das Wesen der Toleranz ist eine aktive Anti-Intoleranz". Dieser Spruch mag sich vielleicht beim flüchtigen Zuhören als Wortspielerei anhören, bietet aber eine kräftige Aussage zur Diskussion.

Was es eigentlich heißt „tolerant: lateinisch: geduldig, ertragend, ausharrend, gelassen" zu sein, ist heute ebenso abgegriffen, vorsätzlich verstellt und bis zum Kern korrodiert („zernagt"), wie unsere gesamte politische Sprache. Der katholische Scharfdenker Marcel gibt der Toleranz in einer echt neusokratischen Manier eine unerwartete, dialektische Wendung. Ein Schlüsselwort zum wahren Humanismus aus griechisch-römischer und christlich-aufgeklärter Überlieferung, die niemals auf das Naturrecht verzichten können wird.

Die naturrechtliche Grund- und Existenzfrage ist dabei: Darf es in Opposition zur Sozialen Demokratie auch eine Bürgerlich-Liberal-Konservative Demokratie geben? Hans Kelsen war ein Steigbügelhalter für die Alt-Vorbilder aller Wiener Sozialisten: Nämlich für den in Ritterlichkeit wenig geübten Karli Marx und seine Kameraden wie die lange Liste von Friedrich Engels, Sigmund Freud, Otto Bauer, Karl Renner… zeigt.

Von langer Hand vorbereitet hat man das „Politisch Korrekte" der Sozialen Internationale in der EU von heute auf Biegen und Brechen bereits durchgesetzt. Auch mit pseudodemokratischer Intoleranz und antiliberaler Gewalt der Straße! Die perfekt inszenierte Verhetzung gegen den Ball des Wiener Korporationsringes in der Hofburg am 27. Januar ist nur ein seichtes Beispiel dafür, wie das Monopol der Sozialen Demokratie verwaltet wird. Es gibt aber auch schwerer wiegende Verleumdungen und mediale Hinrichtungen von Andersdenkenden.

Naturrecht und Reine Rechtslehre

Ganze Heerscharen von Politologen, Soziologen, Psychologen, Künstlern, Konjunkturwahrsagern, Hirnforschern, Journalisten und andere professionelle Meinungsmacher arbeiten in der EU daran, dass alle unsere traditionell geladenen Worte und Werte vergessen, umgedeutet oder zumindest lächerlich gemacht werden. In einer erstaunlich offenherzigen, man möchte beinahe sagen, fast schon undiplomatisch anmutenden Selbstbloßstellung hat der ORF die wunden Punkte aufgezählt, an denen sich die Rotgrünen Geister besonders sensibel bis zur Rage erregen können: Es handelt sich offenbar um christlich-traditionelle Werte und um das noch nicht erloschene Nationalgefühl der Magyaren  –  die Österreichern schon längst als uneuropäisch untersagt worden sind. Wörtlich wird es gescholten, dass

„Die neue Verfassung [von Ungarn] in der Präambel Verweise auf Gott und das Christentum [beinhaltet], das die Nation einen [könnte]. Kritiker werten das als diskriminierend für Atheisten und Gläubige anderer Religionen. Auch traditionelle Familienwerte werden in der Verfassung betont, wodurch Kritiker Benachteiligungen für Homosexuelle und Alleinerziehende befürchten. Abtreibungen könnten verboten werden, da die neue Verfassung vorschreibt, das Leben des Fötus sei vom Moment der Empfängnis an zu schützen." (Vgl. http://news.orf.at/stories/2053825/2053848/)

Was für ein moralischer Trümmerhaufen ist aus dem Europa der Vaterländer geworden, wo Homosexuelle, Alleinerzieher und Abtreiber dem natürlichen Modell der Familie vorgezogen werden? Denn an dieser Verfassung, vom Naturrecht aus gesehen, wäre nicht einmal das geringste Jota zu beanstanden! Im Gegenteil. Freilich den Rechtspositivisten haben die Ungarn damit keinen Gefallen erwiesen. Aber ist der Positivismus lediglich die Auffassung der Wiener Rechtsschule eines Professors namens Hans Kelsen (1881-1973) und die Meinung seines Auftragsgebers namens Karl Renner (1870-1950), der immer darauf bestand als vollblütiger Marxist zu gelten?

Warum sollte sich ein souveräner Nachbarstaat einer fremden Rechtsauffassung beugen, dessen Bürger immer noch christlich-traditionelle Prämissen politisch hochhalten und zur Geltung bringen wollen? Oder ist Kelsens moralfreier, reiner Positivismus vielleicht der Inbegriff „der Demokratie und aller Menschen- und Frauenrechte" schlechthin nach der Diktion des Wiener Bürgermeisters, der sich freilich bereits seiner dritten Ehe erfreut? Klar, das ist eine Privatangelegenheit, die niemanden etwas angeht, auch wenn sie öffentlich erwähnt wird.

Aber ebenso klar ist, wohin die allgemeine Kelsen'sche Moralverhütung Europa geführt hat. Bekanntlich hat er als Mastermind der sogenannten Reinen Rechtslehre auch jeden Begriff der Gerechtigkeit zur Leerformel erklärt: Welches Problem hat er damit für die Verfechter der sogenannten „Sozialen Gerechtigkeit" geschaffen?!  Bis dato hat noch niemand erklären können, was die Soziale Gerechtigkeit eigentlich sei.

Jedenfalls befinden wir uns auf dem Abhang eines aussterbenden Kontinents, der früher das Abendland hieß und die Wiege der Zivilisation war, solange seine Völker noch unter der Regierung des Naturrechts gedeihen durften. Das Naturrecht hat dem Faustrecht des Stärkeren Jahrhunderte lang (so gut wie möglich, freilich ohne Perfektion) standgehalten. Vor dem zwanzigsten Jahrhundert gab es zwar Kriege und Friedensverträge – aber keinen Ausrottungskrieg auf Weltmaßstab und keinen falschen Frieden zur Fortsetzung des vorhergehenden Krieges.

Das Allgemeine Natur- und Existenzrecht von Individuen, Gruppen und Nationen wurde ja bereits von den ersten Sokratikern bis zu den paläoliberalen, englischen Whigs beschworen. Heute wird es nur mehr von der Katholischen Kirche hochgehalten, denn die sogenannten Menschen- und Frauenrechtler verfahren selektiv: Der Anfang und das Ende des physischen Lebens wird der Manipulation anheimgestellt.

Mir linker Ideologie in den Untergang

Wie der konservativ-katholische Politiker und Historiker Plinio Correa de Oliveira (1908-1995) aus Sao Paulo nachgewiesen hat: Erst die Französischen und Russischen Revolutionäre haben das Rechtsverständnis der Alten Welt mit ihren Vor- und Nachteilen endgültig abgeschafft. Und dafür eine Vernichtungsindustrie installiert. Freilich, die National-Sozialen aus Deutschland und Deutschösterreich waren nach dem Frieden von Versailles (1919) nicht die ersten in dieser Zeit- und Rangordnung  – sondern erst die dritten nach den Franzosen und Russen. Sie blieben aber hinter ihren Konkurrenten an Grausamkeit nicht zurück.

Im Zeitalter der Internationalen Sozialen Demokratie sollte es endlich anders werden? Leider nicht aus ganzem Herzen. Heute kommen die Todfeinde nicht mehr unter die Guillotine oder in ein Vernichtungslager. Sie werden medial hingerichtet. Wie es aus der gegenwärtigen politisch-moralischen Dekadenz zu ersehen ist, ist es möglich bloß mit Rufmord und Lügen erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Lord John Maynard Keynes (1883-1946), seines Zeichens Erzvater aller Sozialen Schuldenmacher und Inflationäre, bestand darauf – wohl dem Österreicher Kelsen nicht unähnlich –, ein „Inmoralist" zu sein. Und sind heute nicht praktisch alle Europäischen Politiker (wenigstens Halb-) Kelsenianer und (Halb-) Keynesianer? So schlittern wir von Krise in Krisen. Moralisch und finanziell.

Der Perfektionismus der Politisch Korrekten, die anstelle von Kindern nur Schulden machen können, schafft schon alle Hürden. Aber nur um den Preis der "Rache der Natur". Homosexuelle, Alleinerzieher, Abtreiber und ihre Wortführer haben immer weniger Kinder und in geometrischer Progression immer weniger Enkel. Auch wenn ich diese Tatsachen ohne Diskriminierung und Wertung beobachte: Und die Welt freilich nicht politisch korrekt, sondern statistisch unbeirrbar sehe. Die Zahlen lügen weniger als die Politiker.

Der von den Perfektionisten eingeschlagene Weg führt somit konsequent zur Dezimierung des eigenen Bestandes. Etwas hellsichtigere Soziale Demokraten  – wie Thilo Sarrazin –  haben das ebenfalls eingeräumt. Freilich Sarrazin war und blieb ein treuer Sozialgesinnter seiner Partei, wenn auch etwas häretischer, ungehorsamer und realistischer als der Durchschnitt. Er ist weder ausgetreten noch ausgeschlossen worden. Rechtsphilosophische Argumente der Natur hat er vermutlich weder studiert noch ins Treffen geführt, aber die pragmatischen Konsequenzen ihrer Missachtung hat er doch wahrgenommen. Über Statistiken der Dekadenz ist es müßig zu diskutieren. Sie werden von Naturgesetzen exekutiert wie die Gravitation.

Die wahrhaft Intoleranten

In Zusammenfassung:

  1. Jedes keimende Leben hat das Natürliche Recht in einer intakten Familie aufzuwachsen. Alle physischen Väter und Mütter haben die natürliche Pflicht, ihren heranwachsenden Kindern von Anfang an beizustehen und für eine zivilisierte, allenfalls auch für eine christliche Erziehung zu sorgen. Staatliche Kindergärten und Schulen sind nur subsidiäre Behelfsmittel zu diesen Grundrechten und Grundpflichten: Was die kleinere (natürliche) Einheit zu leisten vermag, ist der größeren („sozialen") Einheit der Verstaatlichung vorzuziehen. Nicht umgekehrt!
  2. Nach J.-J. Rousseau's Sozial-Libertärer Vertragsrechtsauffassung (deren Schattenseiten seit der Französischen Revolution in ganz Europa grassieren) ist alles hemmungslos erlaubt, was mehrheitsfähig ist. Das Töten ungeborenen Lebens ist kein Mord mehr, sondern lediglich eine libertäre Option: Eine undramatische Wahlmöglichkeit der selbstherrlichen Menschen- und Frauenrechtler, denen das keimende Leben nicht mehr heilig ist.
  3. Ist es nicht merkwürdig, dass zum Rotgrünen Syndrom der Libertären Weltanschauung so kunterbunte Sachen gehören, wie einerseits eine groß angelegte Kampagne gegen die Konstitution eines souveränen, wenn gleich konservativen Nachbarlandes – und andererseits die Diskriminierung des Hofburgballes einer unverdächtigen akademischen Jugendgruppe, nur weil sie nicht der Linie der Österreichischen Hochschülerschaft und dem Dekalog der Sozialen Internationale folgt. Der kleinste gemeinsame Nenner für die Verbindung so unterschiedlicher Sachverhalte hat nur einen möglichen Namen: Intoleranz und Hass gegen Andersdenkende.

Die Marcel'sche Definition der Toleranz als Anti-Intoleranz lässt sich nun nach dieser illustrierten Einleitung sonnenklar erläutern. Toleranz bedeutet gewiss nicht Förderung für Gegner und Feinde aller Abstufungen. Toleranz schließt keinen (noch so scharfen) Wettbewerb von Werten und Zielen aus. Toleranz verneint aber sich selbst immer, wann und wo sie intolerant wird, wo sie mit allen Mitteln unfair für das Eigene kämpft, und das Existenzrecht der Anderen in Frage stellt.

An diesem Umschlagspunkt kulminieren „Natur- und Seinsrechte" in eine untrennbare Identität, die nur von totalitären Schächtern ignoriert werden kann. Jemanden totwünschen oder in der Tat auch totschlagen ist oft nur ein hauchdünner Unterschied. Einfacher ausgedrückt: Toleranz ist eine großmütige Ritterlichkeit nicht nur dem ritterlichen Gegner, sondern in extremen Grenzsituationen – christlich gesprochen – sogar dem Todfeind gegenüber.

Allem Anschein nach ist Toleranz eine uralte Tugend der Zivilisation, welche ohne das Naturrecht einfach unerträglich wird. Intoleranz dagegen war das Grundwort der Ideologen im zwanzigsten Jahrhundert. Damit wir wieder zivilisierter (d. h. bürgerlicher) werden, müssten wir vor allem alte Feindbilder (nicht unsere Feinde und Konkurrenten) begraben:

  • Junge Mitbürger noch im 21. Jahrhundert des „Faschismus" zu zeihen, ist gelinde gesagt nicht nur eine Dummheit, sondern vor allem ein Anachronismus. Außerhalb des traurigen Kontextes der italienischen Geschichte von anno dazumal entbehrt diese Brandmarke jeder sinnvollen Bedeutung.
  • Die historischen „Nazis" in Deutschland und Österreich möge man mit vollem Vor- und Nachnamen als „Sozialisten" benennen, denn das waren sie wirklich, mit aller Inbrunst und Begeisterung.
  • Und „Kriminelle" von heute mögen überführt und ihrer verdienten Strafe zugeführt werden. Überall und jederzeit. Aber die pauschale Faschismuskeule unentwegt zu schwingen, dürfte mit dem Verhetzungparagraphen auch schwer in Einklang zu bringen sein. Das Gedenken an die Befreiung der Konzentrationslager dürfte ebenfalls dafür Anlass sein, auch uns selbst vom Lagerdenken zu befreien.

Dipl.-Ing. Dr. Endre Bárdossy war Universitätsassistent im Institut für Wirtschaft, Politik und Recht an der Universität für Bodenkultur Wien, anschließend 23 Jahre lang o. Universitätsprofessor für Volks- und Betriebswirtschaftslehre in San Salvador de Jujuy bzw. Mendoza (Argentinien) an landwirtschaftlichen Fakultäten.

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Die roten Meinungsmacher (15): Bella Italia: Von Radio Valcanale zu Radio Uno drucken

Nicht nur die ORF-Fernsehsender, sondern auch Ö3 und die regionalen ORF-Schlagerradios bekommen Anfang der 80er Jahre erste Konkurrenz aus dem Ausland. Ist beim Fernsehen der technische Fortschritt der Auslöser für diese Entwicklung, so ist es beim Radio unser südliches Nachbarland Italien. Bereits 1975 fällt in Italien das Rundfunkmonopol.

„Den Anfang hatte ein Bezirksrichter am 24. April 1975 in Mailand gemacht. Er reduzierte die komplexe rechtliche Lage auf einen Beschluss“[i]: Die Privatsender mussten lediglich darauf achten, die Sender der öffentlich-rechtlichen Anstalt Radiotelevisione Italiana (RAI) nicht zu stören. Die Liberalisierung erfolgt dementsprechend stürmisch und unkoordiniert. Ohne große staatliche Kontrolle und ohne Frequenzkoordination schießen im ganzen Land private Radiostationen wie Pilze aus dem Boden. 1980 gibt es in Italien bereits rund 3.350 Hörfunksender[ii].

Österreichische Politiker blicken mit Sorge nach Italien und sprechen angesichts der großen Vielfalt gar von Rundfunkanarchie, „wo alle Dämme gesprengt sind und mehrere hundert Privatstationen zu anarchistischen Situationen geführt haben.“[iii]Für die Verfechter der heimischen Rundfunkmonokultur ein echtes Horrorszenario. Die italienische „Rundfunkanarchie“ hat auch ganz direkt Auswirkungen auf Österreich. Bereits 1978 beteiligt sich etwa die Tageszeitung Die Presse am deutschsprachigen italienischen Urlaubssender Radio Adria, später hält auch der Kurier Anteile an der Station.[iv]

[v]

Die Pioniere: Radio Valcanale und Radio Uno

In Norditalien werden unzählige kleine Radiosender gegründet, viele von ihnen strahlen auch über die Grenze nach Österreich, oftmals geschieht dies in voller Absicht. Einer dieser Sender ist Radio Valcanale im italienisch-slowenisch-österreichischen Dreiländereck. „Betrieben haben den Sender vier Italiener, die einfach eine Postkarte geschrieben hatten, „sehr geehrte Post, wir beginnen mit dem Radio auf der freien Frequenz so und so mit so und so viel Watt in Tarvis zu senden“, Kopien an die Kammer und das Gericht. Man musste keine Lizenz haben, bei deren Vergabe viele Leute mitgeredet haben.“[vi], so der Kärntner Privatradiopionier Willi Weber in einem Interview über die damaligen Zustände in Italien.

Weber beginnt bei Radio Valcanale mitzuarbeiten und produziert erste Sendungen für den Kärntner Raum. Es sind harmlose Musiksendungen mit Schlager- und Popmusik. Weil Radio Valcanale aufgrund des Senderstandorts direkt an der österreichisch-italienischen Grenze in weiten Teilen Kärntens zu empfangen ist, haben viele Kärntner plötzlich eine Alternative zu Radio Kärnten und Ö3.

Für den ORF und die SPÖ eine äußert unangenehme Entwicklung, schließlich war dieser Sender und die vielen, die noch folgen sollten, außerhalb ihres Einflussbereiches und somit ihrem Zugriff entzogen. Die Sender, auch wenn sie oftmals nur wenige Meter von der österreichischen Grenze entfernt aufgestellt wurden, unterstanden italienischem Recht.

1980 steigt Weber als Gesellschafter bei Valcanale ein. Die deutschsprachigen Programmflächen für Kärnten werden ausgeweitet und von einer heimischen Werbeagentur vermarktet. Die kleine italienische Radiostation war mit heutigen Privatsendern nicht zu vergleichen, alles war damals improvisiert: „Wir hatten nur eine Schreibmaschine, die ich bei einer Versteigerung gekauft hatte, und eine Kiste, auf der wir gesessen sind.“[vii]

Valcanale war aber nur der Beginn einer Entwicklung. Nachdem die italienischen Besitzer des Senders die Pacht ständig erhöhen, baut Weber im Alleingang einen neuen Sender auf. Rundfunklizenz hatte und brauchte er keine: „Um die Frequenz mussten wir nicht ansuchen, wir haben einfach eine freie Frequenz gesucht und auf dieser gesendet.“[viii]

Der neue Sender steht auf dem Monte Forno und heißt Radio Uno. 1985 geht der italienische Radiosender, dessen Programm ausschließlich für Kärnten produziert und ausgestrahlt wird, auf Sendung. Österreich hat trotz der restriktiven Gesetze und des Rundfunkmonopols „seinen“ ersten privaten Radiosender. Natürlich versuchen SPÖ und ORF was in ihrer Macht steht, um Radio Uno zu behindern und zu stören.

Die Stromversorgung des Senders von österreichischer Seite aus kann der ORF, laut Weber, durch Proteste bei der KELAG, dem landeseigenen Energieunternehmen, verhindern. Sollte es Interventionen auf zwischenstaatlicher Ebene gegeben haben, so haben sie jedenfalls nicht gefruchtet. „Der Einfluss derer, an die wir bezahlt hatten (italienische Anwälte mit guten Beziehungen nach Rom A.d.V.), war wohl stärker als der der österreichischen Regierung.“[ix], so Weber. Schließlich ist Rom weit weg und die österreichisch italienischen Beziehungen damals nicht unbedingt nicht die besten.

Radio Uno ist jedenfalls äußerst erfolgreich. Bereits ein Jahr nach Sendestart geht Radio Uno 2 mit Kärntner Volksmusik on Air.

Der ORF hat erstmals in seiner Geschichte – wenn auch nur in einem bzw. zwei Bundesländern[x] – einen ernst zu nehmenden Konkurrenten bekommen. „Für die Radiohörer ist das südlichste Bundesland Österreichs zu so etwas wie einem Medienparadies geworden – für den ORF eher zu einem Alptraum.“[xi]

Der erste Privatfernsehsender für Österreich: Tele Uno

Doch nicht nur ambitionierte Radiomacher versuchen ihr Glück an der italienisch-österreichischen Grenze. Im Dezember 1984 können erstmals viele Kärntner mit ihrem Fernseher ein privates deutschsprachiges Fernsehprogramm empfangen, und zwar nicht über Kabel, sondern via Antenne. Der erste „österreichische“ Privatfernsehsender heißt Tele Uno, ist von Kurt Geisseler gegründet worden und strahlt vom Dreiländereck nach Kärnten ein. Der Sender erreicht nach eigenen Angaben rund 120.000 Kärntner Haushalte.[xii]

Der TV-Sender hat aber nichts mit Radio Uno zu tun. Darauf legt vor allem Willi Weber größten Wert. Auf seinen beiden Radiosendern laufen sogar Spots, die darauf hinweisen.

Fernsehprogramm von Tele UNO[xiii]:

Geisseler hat hochfliegende Pläne. Er will ein lokales Medienimperium aufbauen. Neben Tele Uno betreibt er – ebenfalls in Italien – Radio Carinzia, ist an der Kärntner Volkszeitung beteiligt und bringt eine eigene Programmzeitschrift heraus, die er zu einem Magazin ausbauen möchte. Doch dazu kommt es nicht mehr. Das „Tele Uno Network“ schlittert in die Pleite:  „Im Fall rund um Tele UNO setzt es dagegen eine fahrlässige Krida, die bis heute einen Ehrenplatz in der Liste der größten Kärntner Firmenzusammenbrüche einnimmt.“[xiv]

Im Laufe der 80er und 90er Jahre folgen einige heimische Radiopioniere dem Beispiel Webers und senden aus dem italienischen Rundfunkexil. So erfolgreich wie er ist aber keiner von ihnen.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächstes Kapitel: Aufbruch ins All: Die neue Programmvielfalt aus der Schüssel)

Literatur

Fidler, Harald; Merkle, Andreas: Sendepause – Medien und Medienpolitik in Österreich; Oberwart 1999

Pfeifhofer, Stephan: Die Geschichte des Privatradios in Südtirol von 1975 bis 1996. Diplomarbeit. Salzburg 1997

Reichel, Werner; Konvicka Michael; Streit Georg; Landgraf Rüdiger (Hg.):  Privatradio in Österreich – Eine schwere Geburt; München 2006

Endnoten

[i] Pfeifhofer. 1991. Seite 16.

[ii] Siehe Pfeifhofer. 1997. Seite 16.

[iii] So Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer. Siehe Austria Presse Agentur  4.5.1977.

[iv] Siehe http://radio-adria.cybercomm.at/ (30.1.2012).

[v] http://radio-adria.cybercomm.at/ (30.1.2012).

[vi] Siehe Reichel, Konvicka, Streit, Landgraf (Hg.). 2006. Seite 42.

[vii] Siehe Reichel, Konvicka, Streit, Landgraf (Hg.). 2006. Seite 44.

[viii] Ebenda.

[ix] siehe Reichel, Konvicka, Streit, Landgraf (Hg.). 2006. Seite 47.

[x] Radio UNO ist auch in Teilen der Steiermark zu empfangen

[xi] Siehe multimedia; 18.9.1983.

[xii] Siehe Tele Uno Programmzeitschrift  Heft 1; 1987.

[xiii] Tele Uno Programmzeitschrift  Heft 1; 1987.

[xiv] Fidler/Merkle. 1999. Seite 104.

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Die Wort-Täter und die Tat-Täter drucken

Bisher war man das eher von Fellner-Hefteln gewohnt: Ein Reporter schleicht sich irgendwo bei einem Feindobjekt unter falscher Identität ein und kolportiert dann irgendein Zitat, das den Feind blamieren soll. In der seit Tagen anhaltenden linken Aufregung um den FPÖ-Chef H.C.Strache hat sich nun die angebliche Qualitätszeitung „Standard“ dieser Methode bedient.

Ein Mitarbeiter dieser Zeitung – der sich beim Ball nicht als solcher zu erkennen gegeben hat – schreibt, dass Strache zu ihm gesagt habe: "Das war wie die Reichskristallnacht" und "Wir sind die neuen Juden."

Diese Sätze werden zwar von Strache dementiert, sind aber seither das zentrale Thema der Republik. Was aus mehreren Gründen absurd ist.

Denn selbst wenn Strache alles so gesagt haben sollte, gibt es rund um den Ball Wichtigeres zu diskutieren. Denn immer noch sollten Taten tausend Mal wichtiger als Worte sein. Und rund um diesen Ball gab es unbestritten eine ganze Reihe von Gewaltakten: von linken Demonstranten (samt aus Deutschland importierten Anarchochaoten) haufenweise gegen Ballbesucher. Von einem rechten Einzelgänger besonders brutal gegen einen SPÖ-Politiker. Ein ordentlicher Rechtsstaat dürfte und müsste vor allem diese - natürlich nur "mutmaßlichen" - Exzesse diskutieren. Denn es ist ein schlimmes Zeichen, dass ein Ballbesuch in Wien heute gefährlicher als der Besuch eines Rapid-Spieles geworden ist.

Kann es wahr sein, dass die Polizei nicht imstande ist, ein solches Ereignis ordentlich zu sichern? Sind Gewalttaten immunisiert, wenn grüne und rote Organisationen zur Aktion rufen? Wird die BSA-geleitete Staatsanwaltschaft auch nur gegen einen der 21 von der Polizei kurzfristig festgenommenen und angezeigten Gewalttäter ein Strafverfahren einleiten?

Die Aufregung ist auch noch aus einem weiteren Grund absurd: nämlich in Hinblick auf die Medien-Ethik. Wir leben in einer Zeit, da praktisch alle Interviews erst nach offizieller Freigabe durch den Interviewten gedruckt werden. Wir leben in einer Zeit, da Europas Medien unter dem Schock der britischen Affären um illegal abgehörte Prominente stehen, die in England zu vielen Strafverfahren und der Schließung einer Zeitung mit Großauflage geführt haben. Österreichs linke Medienwelt erregt sich hingegen über im Trubel eines Balles gefallene private Worte, für die es keinen unbeteiligten Zeugen gibt und die vom angeblichen Wortspender dementiert werden (auch wenn nach den gewalttätigen Begleiterscheinungen des Balles eine subjektive Erregung samt verbalem Kontrollverlust gewiss vorstellbar ist).Und sie diskutiert nichtdie „Standard"-Methoden.

Den Schwarzen und Orangen fehlen wieder einmal die richtigen Worte. Offenbar glauben sie, dass man sich mit der eigentlich fälligen scharfen Verurteilung politischer Gewalt in den Straßen Wiens zu einem Sympathisanten einer schlagenden Burschenschaft oder der FPÖ machen würde.

Geradezu abenteuerlich sind die wirren Verschwörungstheorien einiger linker Medien: Strache würde bewusst Sager an eine neonazistische Wählerschaft richten, um diese durch einen solcherart ausgelösten Wirbel näher an sich zu binden. Glaubt jemand im Ernst, mit Erinnerungen an die Reichskristallnacht seien heute auch nur ein paar Dutzend Wählerstimmen noch zu bewegen? Warum soll überhaupt ein Sager, in dem jenes Pogrom und die Judenverfolgung eindeutig als etwas Übles angesprochen werden, irgendwelche Neonazis für Strache einnehmen können? Glaubt jemand im Ernst, dass man ein solches Wähler-Signal ausgerechnet in einem vermeintlichen Privatgespräch absetzen würde? Für so dumm kann man nicht einmal Strache halten. Außer man ist selbst noch dümmer.

Eine kleine Absurdität ist auch die Neben-Aufregung um das Datum des Balls. Sein zweifellos zufälliges Zusammenfallen mit der Befreiung des Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz hat eine regionale SPÖ-Organisation keineswegs gehindert, am gleichen Tag ebenfalls einen Ball zu veranstalten. Und natürlich regt sich darüber niemand auf. Denn bis heuer hat ja auch kein Mensch ein Ball- oder Tanzverbot an jenem Tag gefordert. Balltermine als Provokation zu verstehen, scheint ohnedies eine Eigenart primär der SPÖ zu sein: Sie legt nämlich selbst viele ihrer Faschingsveranstaltungen mit demonstrativer Vorliebe in die Fastenzeit. Sie wollte damit die Kirche provozieren, die gegen Tanzveranstaltungen in jener Zeit ist. Der Schelm denkt halt, wie er ist.

Eigenartig einseitig ist die Aufregung über die kolportierten Strache-Sager auch dann, wenn man sich nur auf die verbalen Ausrutscher beschränken will. Gewiss ist oder wäre es unpassend und geschmacklos, die linken Gewalttaten gegen Ballbesucher mit den Massenmorden der Nazis an den Juden irgendwie gleichzusetzen. Aber ebenso übel sind auch die Sprüche der linken Demonstranten gewesen: „Gegen Demokratie“, „Bis die Scheisse aufhört. Gegen Staat, Nation und Kapitalismus“. Und Dutzende ähnliche Slogans mehr. Weder Rot-Grün noch jene christlichen Organisationen, die ebenfalls zu den Demonstrationen aufgerufen hatten, haben es bisher für wert gefunden, sich davon zu distanzieren. Wer hat doch schnell den Satz vom Balken im eigenen und dem Splitter im anderen Auge gesagt?

Absurd ist weiters die Reaktion des Bundespräsidenten: Er storniert wegen jener angeblichen Sätze die von der Regierung routinemäßig vorgeschlagene Ordensverleihung an Strache. Ganz abgesehen davon, wie unsinnig solche Orden für die bloße Dauer des Verweils im Parlament an sich auch sind: Es ist völlig unbegreiflich, dass Heinz Fischer auf Äußerungen aus einem dementierten Privatgespräch zweier anderer Personen reagiert. Die scheinbare Verkörperung der Staatsoffizialität lässt sich neuerdings von unseriöser Gossenmedialität beeinflussen.

Unehrlich ist auch die angebliche Angst vor irgendwelchen braunen Restbeständen, die es bei dem einen oder anderen pubertären Dummkopf zweifellos gibt. Will man die wirklich bekämpfen, dann sollte man nicht den Vertreter der wahrscheinlich schon von einer Mehrheit unterstützten Partei ständig zum Nazi stempeln. Das verharmlost nur jene verbrecherische Zeit und macht für die Jungen den Nationalsozialismus attraktiv.

Statt dessen sollte man ihnen Hand in Hand mit den Freiheitlichen sagen, wie übel es ist, wenn die Demokratie abgeschafft wird, wenn Kriegshetze betrieben wird, wenn andere Staaten angegriffen werden, wenn der Rechtsstaat ausgehebelt wird, wenn Juden oder andere Gruppen verfolgt werden, wenn die Meinungsfreiheit abgeschafft wird, wenn Gewalt auf die Straßen getragen wird, wenn Völkermorde geleugnet werden, wenn ein Volk als den anderen überlegen dargestellt wird. Dabei wäre es zweifellos besonders lehrreich, wenn gerade jene Partei, in der sich (neben der Sozialdemokratie) besonders viele Kinder und Enkelkinder der Nationalsozialisten gesammelt haben, einbezogen wird.

Erst wenn Strache sich weigern sollte, dabei mitzumachen – wofür aber nichts spricht –, gäbe es einen wirklichen Grund, ihm Vorwürfe zu machen und ihn auszugrenzen. Man lädt ihn aber gar nicht zu einer solchen Kampagne ein, weil man in Wahrheit fürchtet, sich damit der scheinbar so bequemen Faschismuskeule gegen die FPÖ zu begeben.

Besonders absurd ist die anhaltende Aufregung aber schließlich auch deshalb, weil dadurch total von den wirklichen Schwachpunkten Straches abgelenkt wird: von seiner wirren Ahnungslosigkeit in Sachen Wirtschafts- und Europapolitik. Aber offenbar haben die linken Regisseure der nunmehrigen Strache-Aufregung gerade wegen dieses Themenbereichs selber die Hose voll. Sie fürchten, dass die Wähler über das bevorstehende Belastungs- und Sparpaket so entsetzt sein werden, dass sie dann in noch größeren Massen zu Strache strömen werden. Dass ihre Angst riesig ist, zeigt sich schon daran, wie lange Oberangsthase Faymann die ja schon für die Weihnachtsfeiertage angekündigte Enthüllung des Pakets bereits hinausgezögert hat.

Das Thema der blauen Ahnungslosigkeit wird aber nun durch die Aufregung um den angeblichen Juden-Sager Straches überdeckt.  Dieser Aufregung wird jedoch trotz der wackeren Bemühungen des Tribunale inszenierenden ORF  in Kürze die Luft ausgehen. Dann wird sich zeigen, dass sich die Koalition in einer schwierigen Stunde selbst eine taktisch entscheidende Chance genommen hat: nämlich klarzulegen, dass auch Strache keine funktionierenden UND schmerzfreien Auswege aus der Schuldenkrise anzubieten hat, sondern nur blöde Parolen gegen „Banken und Spekulanten“. Die eigentlich aus linksextremen Schubladen stammen könnten. Aber in denen will man ja selber kramen.

 

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Die roten Meinungsmacher (14): Der Himmelskanal: Intellektueller Sturm im Wasserglas drucken

Im Jahr 1984 wird die heimische linke Künstlerelite in helle Aufregung versetzt. Das hat allerdings wenig mit George Orwell zu tun, eher im Gegenteil. Stein des Anstoßes ist der britische TV-Sender SKY CHANNEL oder Himmelskanal, wie ihn einige Zeitungen für ihre Leser ins Deutsche übersetzen.

Die Wiener Kabel-TV will das britische „Kommerzfernsehen“, das seit Anfang des Jahres über den Nachrichtensatelliten ECS/1 ausgestrahlt wird, in ihr Programmangebot aufnehmen. SKY CHANNEL ist der erste TV-Sender, der vom Weltall aus in ein heimisches Kabelnetz eingespeist werden soll. Die öffentlich-rechtlichen Sender aus Deutschland und der Schweiz, die bereits im Wiener Netz zu empfangen sind, werden damals per Richtfunk in die Bundeshauptstadt übertragen.

Mit dem zusätzlichen Privatprogramm will die Kabelgesellschaft ihr bisher recht spärliches Programmangebot erweitern und so neue zahlenden Teilnehmer gewinnen. 1983 sind zwar bereits 270.000 Wiener Haushalte verkabelt, aber nur 90.000 sind tatsächlich zahlende Kunden[i].

Große Aufregung bei den Linken

Das scheinbar harmlose Unterfangen löst aber in weiten Teilen der linken Reichshälfte einen Sturm der Entrüstung aus. Dass erstmals ein ausländisches(!), privates(!!) und kommerzielles(!!!) Fernsehprogramm in Österreich zu sehen sein soll, ist für viele Sozialisten und Intellektuelle einfach nicht hinnehmbar. Eine wilde Diskussion bricht los.

An vorderster Front im Kampf gegen den vermeintlichen britischen Kulturimperialismus und für das heimische Schrebergartenmonopol stehen der ÖGB und die linke Kulturszene. Der ideologische Feind der Linksintellektuellen steht damals schließlich nicht im Osten, sondern im Westen, britisches Kommerzprogramm ist deshalb mindestens genauso kulturzersetzend und abzulehnen wie McDonalds, Walt Disney oder Coca Cola.

Die Interessengemeinschaft der Autoren geht sogar auf die Straße und fordert die sofortige Einstellung des „Analphabetisierungsprogrammes“, wie es die Schriftsteller nennen. Zudem verfassen sie die SKY-CHANNEL-Resolution die unter anderem in dem IG-Autoren-Band „NIE WIEDER 1984“ veröffentlicht wird. Damit hatte George Orwell wohl nicht gerechnet, dass ausgerechnet seine beklemmende Vision dazu missbraucht wird, um ein Rundfunkmonopol zu verteidigen, die Ausstrahlung eines TV-Senders verbieten und damit die Presse- und Meinungsfreiheit einschränken zu wollen.

Die Autoren, Gewerkschafter und Intellektuellen gehen damit noch einen Schritt weiter als viele andere Monopolbefürworter, sie fordern nicht nur ein Sendemonopol, sondern auch ein ORF-Empfangsmonopol. Eine medienpolitische Maßnahme, die man sonst nur aus kommunistischen, faschistischen und anderen totalitären Systemen kennt.

Angesichts der Richtung, die die Diskussion nimmt, wird selbst dem ein oder anderen hochrangigen SPÖ Politiker mulmig. Helmut Zilk, der in Sachen Rundfunk fast nie die Linie seiner Partei vertritt, warnt deshalb auf einer Diskussionsveranstaltung der IG Autoren: „Und wir werden wohl nicht Gesetze schaffen, die etwa Satellitenprogramme verhindern werden, durch Störsender oder ähnliches, das kann ich mir nicht vorstellen, dass wir das ernstlich wollen.“[ii]

Viel Lärm um nichts

Die Autoren befürchten jedenfalls eine Schwächung des ORF (von dem viele von ihnen, dank seiner Monopolstellung, wirtschaftlich in hohem Maße abhängig sind) und eine allgemeine Verflachung des Programms, ja den Niedergang der heimischen Hochkultur. Dass das etwas zu viel der Ehre für SKY CHANNEL ist, beweisen alleine die Tatsachen, dass der Sender erstens anfänglich für gerade mal 90.000 Wiener Kabelhaushalte empfangbar ist und das Programm nur wenige Stunden pro Tag ausgestrahlt wird.

Mehr als ein Prozent Marktanteil in den Wiener Kabelhaushalten sollte das böse ausländische Analphabetisierungsprogramm aber ohnehin nie erreichen. Trotzdem: Damals beschäftigt es die gesamte Innenpolitik und Kulturszene. Selbst Bundeskanzler Fred Sinowatz schaltet sich ein und schreibt  einen beschwichtigenden Brief an die IG Autoren. Inhalt: Man werde die Forderungen der Kulturschaffenden genau prüfen.

Auch die AKM[iii] ist anfänglich gegen die Ausstrahlung, allerdings aus anderen Gründen, sie will die Urheberrechtsfragen geklärt wissen. Von den Protesten der IG Autoren distanziert sie sich.

Wie sieht das Programm, das von Gewerkschaftern und Intellektuellen so heftig bekämpft wird, nun konkret aus? Ein Fernsehprogramm aus der damaligen Zeit gibt Auskunft [iv]

Harmlose TV- und Zeichentrickserien, Musikvideos oder Sportübertragungen erregen also die Gemüter der linken Kulturpessimisten. Warum der ORF mit der Ausstrahlung von „Drei Engel für Charlie“ seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag nachkommt, während SKY CHANNEL mit „Charlies Angels“ zur Analphabetisierung beiträgt, obwohl es sich um die selbe Serie handelt, einmal in Synchronfassung und einmal im Original, bleiben uns die kämpferischen Autoren schuldig, zumal ja die englische Version auch zusätzliche pädagogischen Effekte hat. Schließlich sind die Englischkenntnisse der meisten Österreicher ohnehin eher mangelhaft.

Schützenhilfe bekommen die doch nicht ganz so weltoffenen heimischen Autoren von den linken ORF-Kuratoren, die unverhohlen fordern: „Wir müssen jetzt sehr gut und schnell überlegen, wie wir verhindern, dass Ausländer in den österreichischen Markt einbrechen.“[v]

Selbst die Wiener SPÖ, die ja quasi über die Gemeinde am Wiener Kabel-TV beteiligt ist, spricht sich de facto gegen die Verbreitung von SKY CHANNEL aus. Bürgermeister Leopold Gratz ist zwar grundsätzlich für die Einspeisung, allerdings nur, wenn „die Werbeblöcke (…) herausgenommen“[vi] werden. Das Prinzip von kommerziellen Free TV Sendern dürfte Gratz damals noch nicht ganz (oder sehr wohl) verstanden haben.

Jedenfalls ist die Forderung nach einem werbefreien „Kommerzsender“ entweder unglaublich dumm oder unglaublich zynisch. Zudem hätte Gratz wissen müssen, dass das Entfernen von Werbespots aufgrund der Gesetze, die seine eigene Partei 1977 beschlossen hatte, rechtlich gar nicht möglich ist.[vii]

Das ÖVP-Rundfunkprogramm

Die ÖVP versteht die Aufregung in der linken Reichshälfte nicht und setzt sich für SKY CHANNEL ein. In einer Aussendung heißt es: „dem Fernsehkonsumenten wird am besten gedient mit einem möglichst breiten Programmangebot. Neben den ORF-Programmen sollen daher auch andere Programme in möglichst großer Vielfalt in den Kabelnetzen zugänglich sein. Das gilt für in- und ausländische, öffentliche und private Fernsehprogramme (…)“[viii]

Bereits unmittelbar vor der SKY Channel Debatte und aus Anlass der Rundfunkliberalisierung in Deutschland hatte ÖVP Mediensprecher Heribert Steinbauer eine Monopoldiskussion losgetreten. Er hatte die möglichst rasche Einführung von Privatrundfunk gefordert, am besten noch im Jahr 1984. Die wichtigsten Forderungen Steinbauers:

  • Die Post muss die Verkabelung in Österreich erleichtern,
  • Neu zu vergebende Hörfunkfrequenzen zwischen 100 und 108 MHz sollen nur an private Interessenten vergeben werden,
  • Das Parlament soll binnen Jahresfrist ein zweites Kabelrundfunkgesetz vorlegen.

[ix]

„Es lässt sich auf Dauer kein Zaun um Österreich ziehen. Ich halte die Entwicklung für unweigerlich“[x], argumentiert Steinbauer.

Doch genau das würden SPÖ und Gewerkschaft am liebsten tun, Ansätze und Vorstöße in diese Richtung hat es immer wieder gegeben. Die Sozialisten, durch die Umbrüche in den Rundfunkmärkten quer durch Europa ohnehin verunsichert, reagieren auf Steinbauers Vorstoß äußerst gereizt.

Von „mehr als seltsamen Forderungen“[xi], der Zerschlagung des ORF und der Zerstörung von Arbeitsplätzen oder dem „totalen Chaos im Äther“[xii] ist da die Rede. Gegen die Brachialargumentation der regierenden Sozialisten haben Steinbauers Einwände freilich wenig Chancen. So meint der ÖVP-Mediensprecher etwa: „Eine Stärkung der Privatinitiative und eine Verbreiterung des Informationsangebotes würde die Demokratie beleben und die Gefahr der Einseitigkeit verhindern.“[xiii]

Nur Parteilinie darf in den Äther

Aber genau das ist ja der Kern des Problems: die Meinungsvielfalt. So führt etwa AZ-Chefredakteur Peter Pelinka[xiv] neben altbekannten sozialistischen Vorurteilen und Mythen als Argument gegen den Privatrundfunk ins Treffen, dass in Deutschland bei einem der neuen Privatsender „die Nachrichten von Leuten der konservativen „FAZ“ gestaltet werden“[xv].

Noch Fragen? Dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung, neben der Neuen Zürcher Zeitung, die renommierteste Tageszeitung im deutschsprachigen Raum ist und es in ganz Österreich kein einziges Medium gibt, das auch nur annähernd an die hohe journalistische Qualität der FAZ herankommt, kümmert den Chefredakteur des vor sich hin dümpelnden sozialistischen Parteiblattes offenbar wenig.

Er zeigt damit lediglich, dass es ihm und seinen Genossen in der Diskussion um die Rundfunkliberalisierung, entgegen aller Behauptungen in diversen Sonntagsreden, weder um journalistische Qualität, noch um Objektivität und schon gar nicht um Meinungsfreiheit, sondern lediglich um Macht, Ideologie und Propaganda geht, oder wie es Franz Manola in der Presse schreibt: „um die Angst vor elektronischen Medien, die sich ihrer Kontrolle entziehen (…)“[xvi]

Die Einstellung der Sozialisten dazu hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in keiner Weise geändert. Bereits 1963 stellte der sozialistische Abgeordnete Josef Kratky unmissverständlich fest: „Für uns sind Rundfunk und Fernsehen Machtfragen“[xvii].

Die Sozialisten haben auch im symbolträchtigen Jahr 1984 ihre strikte Haltung gegen die Rundfunkliberalisierung und gegen die Pressefreiheit mehr als deutlich formuliert. Den von ihnen gesteuerten Monopolrundfunk wollen sie mit Zähnen und Klauen verteidigen.

Trotzdem erleiden sie eine kleine Niederlage. Der verhasste SKY CHANNEL geht, mangels rechtlicher Handhabe und dank des Einsatzes von Unterrichtsminister Helmut Zilk, wie geplant im Wiener Kabelnetz auf Sendung.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.

Literatur

Brandacher, Stefan: Der Österreichische Rundfunk unter besonderer Berücksichtigung des Kabel- und Satellitenfernsehens. Dissertation Innsbruck 1993

IG Autoren (Hg.): Nie wieder 1984! „Enquete „Neue Medien und ORF“ – Dokumentation einer Veranstaltungsreihe vom 9.-13. April 1984 der Interessensgemeinschaft Österreichischer Autoren und der Österreichischen Hochschülerschaft. Wien 1984

Mocuba, Jutta: Gerd Bacher als Theoretiker und Praktiker des österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Diplomarbeit, Wien 2000

Endnoten

[i] Siehe Austria Presse Agentur; 20.1.1984.

[ii] IG Autoren (Hg.). 1984, Seite 64.

[iii] Die AKM ist eine Verwertungs- und Urheberrechtsgesellschaft für Komponisten, Autoren, Musikverleger.

[iv] Sky Channel Programm vom 6.2.1984 (Arbeiter Zeitung).

[v] Siehe Die Presse; 26.1. 1984.

[vi] Sozialistische Korrespondenz; 31.1.1984.

[vii] Siehe Brandacher. 1993; Seite 144.

[viii] ÖVP Parteisendung; 25.1.1984.

[ix] Neues Volksblatt; 5.1.1985.

[x] Siehe Die Presse; 4.1.1984.

[xi] Siehe Wiener Zeitung; 4.1.1984.

[xii] Siehe Neues Volksblatt; 5.1.1984.

[xiii] Siehe Neues Volksblatt; 5.1.1984.

[xiv] Pelinka arbeitet später auch für den ORF, sein Sohn Niko Pelinka sorgt Jahre später mit seiner Bestellung zum Büroleiter von ORF Generaldirektor Alexander Wrabetz für große Aufregung.

[xv] Arbeiterzeitung;  4.1.1984.

[xvi] Die Presse; 6.2.1984.

[xvii] Siehe Mocuba. 2000, Seite 17.

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Südtirol oder: Wenn Träume in Erfüllung zu gehen drohen drucken

Manche sehnliche Wünsche nähern sich erst dann in Verwirklichung, wenn man das Interesse an ihrer Erfüllung längst verloren hat. Die meisten Erwachsenen sind halt nicht mehr interessiert, wenn sie eines Tages das einst unerreichbar gewesene Kinderspielzeug geschenkt bekommen. Sollte das auch mit den nun schon 90 Jahre alten Wünschen der Südtiroler der Fall sein, den Status als italienische Kriegsbeute zu verlieren? Das wäre frappierend, war doch Südtirol vor einer Generation noch eines der heikelsten Probleme Europas.

Durch die existenzielle Krise Italiens ist die Chance der Südtiroler, nach einem Jahrhundert der italienischen Herrschaft ihr Schicksal wieder selbst bestimmen zu können, jedenfalls wieder gewachsen. Nur in den unmittelbaren Nachkriegsmonaten des Jahres 1945 hat es schon einmal ein ähnliches Fenster gegeben, durch das der Blick auf das – damals – heftig ersehnte Selbstbestimmungsrecht geöffnet worden ist.

Macht Schuldenkrise einen Freikauf denkbar?

Freilich sollte man die Lage nüchtern betrachten. Noch denkt in Italien kaum jemand ernsthaft daran, eine Sezession Südtirols zuzulassen. Aber die sich rapide verschlechternde wirtschaftliche Situation könnte die seit einigen Wochen kursierenden Südtiroler Vorschläge, sich die Freiheit gleichsam zurückzukaufen, sehr rasch aktuell machen. Südtirol ist in den letzten Jahrzehnten vom Armenhaus zu einer der reichsten Provinzen Europas geworden und kann sich daher etliches leisten. Nach dem jahrelangen Freiheitskampf hat das Südtirolpaket 1969 den Südtirolern eine teilweise Autonomie und vor allem viel Geld gebracht.

Noch mehr könnte sich Südtirols Chancen erhöhen, sollte parallel der Sezessionswunsch der Lega Nord in Erfüllung gehen. Die Lega kämpft seit etlichen Jahren vehement für eine weitgehende oder sogar totale Trennung des Nordens (insbesondere der ehemals habsburgischen Regionen Lombardei, Venetiens und Friauls) von Mittel- und Süditalien. Damit würden dort Grenzen, die über fast eineinhalb Jahrtausende bis tief ins 19. Jahrhundert kulturbildend gewirkt haben, wieder neu erstehen. Damit wären aber auch Südtirols Grenzen zur Disposition gestellt. Denn damit wäre der Anspruch des panitalienischen Nationalismus auf den Alpenhauptkamm als Grenze verloren.

Natürlich ist auch eine Erfüllung der Lega-Pläne nach wie vor unrealistisch. Die Lega hat zwar von Silvio Berlusconi – selbst ein Norditaliener – im Gegenzug für die Mehrheitsbeschaffung immer wieder Zusagen für mehr Eigenständigkeit des Nordens erhalten. Aber Berlusconi ist letztlich einer Einlösung immer wieder entkommen.

Der Leidensdruck ist verschwunden

Für eine Realisierung aller Sezessions-Pläne fehlt aber neben der Zustimmung in Italien noch etwas zweites: ein klarer Wille der Südtiroler. Dort ist nämlich eine neue Generation erwachsen, die sich mit diesen Fragen nicht mehr wirklich tiefgehend befasst. Die kaum noch Leidensdruck als Folge der Zugehörigkeit zu Italien empfindet.

Die politische Führung der Südtiroler hat zwar nie auf das Selbstbestimmungsrecht verzichtet, hat diese Forderung aber nach Abschluss des Südtirolpakets nicht mehr forciert. Sie macht seither einen intellektuell nur schwer nachvollziehbaren Unterschied zwischen Selbstbestimmungsrecht und Anspruch auf dieses Recht.

Dieser Eiertanz war sozusagen eine stillschweigende Gegenleistung für die weitgehenden finanziellen Konzessionen der Italiener. Parallel dazu hat auch in der Südtiroler Bevölkerung der Leidensdruck stark abgenommen. Südtirol war einst bitterarm und ist heute sehr reich. Überdies ist durch den österreichischen EU-Beitritt und den Schengen-Vertrag am Brenner die einst so explosive Staatsgrenze gar nicht mehr sichtbar.

Autonomie in 60 Punkten verletzt

Nun aber ändern sich die Rahmenbedingungen wieder. Das Sanierungspaket Mario Montis fährt mit einem unbarmherzigen Rasenmäher auch über die Rechte der Südtiroler drüber. Wenn in Italien viele Regelungen liberalisiert werden, viele Tätigkeiten nicht mehr an Konzessionen gebunden sind, dann lösen sich natürlich auch die autonomen Regelungen der Südtiroler auf. In Bozen spricht man davon, dass die Autonomie in nicht weniger als 60 Punkten betroffen ist.

Die Südtiroler spüren plötzlich wieder massiv, dass sie halt doch Teil Italiens sind, und dass die Benefizien der letzten Jahrzehnte doch nur auf fragiler Grundlage gestanden sind. Daher wird sich in den nächsten Monaten die Los-von-Rom-Stimmung der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung zweifellos wieder vergrößern.

Wenn das eintritt, dann kommt aber auch die österreichische Seite ins Spiel. Sind die Österreicher überhaupt noch an einer Heimkehr Südtirols interessiert? In der Alpenrepublik ist inzwischen eine ganze Generation nachgewachsen, für die Südtirol nie ein Thema gewesen ist. Das gilt sowohl für die Bevölkerung wie auch die Politik. Bei der ja die Absenz einer Außenpolitik jeglicher Art seit einigen Jahren oberste Regierungslinie ist. Diese enorm gewachsene Gleichgültigkeit paart sich in Nordtirol selbst zum Teil auch mit einem gewissen Neid auf den wirtschaftlichen Überholkurs der Landsleute südlich des Brenners.

1945 war Südtirol noch das zentrale Thema

Diese Gefühle stehen im massiven Gegensatz zu früheren Jahrzehnten. Sowohl nach dem ersten Weltkrieg wie auch noch viel mehr nach dem zweiten war die Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler oberstes nationales Anliegen der Alpenrepublik gewesen. Historiker stellen erstaunt fest, dass dieses Verlangen in Österreich nach 1945 sogar lauter gewesen ist als etwa der Ruf nach einem Staatsvertrag oder einem Abzug der Besatzungsmächte.

Auch noch in den 60er Jahren haben die Sympathien mit dem Südtiroler Freiheitskampf – und seinen Bomben vor allem auf Hochspannungsleitungen oder italienische Denkmäler – und den dann in italienischen Gefängnissen gefolterten Bombenlegern ganz Österreich zutiefst bewegt. Nicht nur bürgerliche Österreicher wie Fritz Molden oder Gerd Bacher unterstützten mehr oder weniger insgeheim die Kämpfer, sondern etwa auch Bruno Kreisky. Und die Bürger bangten und hofften sowieso ganz offen mit den Südtirolern.

Deren Kampf hatte ja dann trotz seiner brutalen Unterdrückung mit Erringung der Teilautonomie auch zumindest einen teilweisen Erfolg. Eine ungeplante und heute erst sichtbar gewordene Nachwirkung dieser Autonomie war aber, dass in Österreich seit den 70er Jahren schlagartig das Interesse an Südtirol verloren gegangen ist. Weder in den Medien noch in den Schulen noch an den Stammtischen ist heute das Los der Südtiroler ein emotional besetztes Thema.

Südtirol bekam sogar den Beigeschmack, ein rechtsradikales Anliegen zu sein – obwohl das Land von Hitler einst an Italien verraten worden ist. Dieser Verrat war eine zynische Gegenleistung für die Bündnistreue Mussolinis. Die kleine Nachkriegsrepublik setzte sich dann hingegen sehr tapfer für die Rechte der Minderheit ein.

Heute ist es aber jedenfalls eher fraglich, ob sich Politiker oder Bürger noch irgendwie für eine Heimkehr Südtirols engagieren würden, sollte sich das kleine historische Fenster noch weiter auftun. Man hat ja längst seine eigenen kleinen und derzeit großen Sorgen. Schon die von einigen Südtirolern vorangetragene Bitte, dass Südtiroler (auch) einen österreichischen Pass bekommen können sollten, ist in Wien und Innsbruck auf desinteressierte Ohren gestoßen. Hinter formaljuristischen Vorwänden verbargen sich auch viel Neid und Ahnungslosigkeit.

Ein Freistaat als Alternative?

Daher gibt es für den Fall, dass Südtirol das Selbstbestimmungsrecht anwendet, auch noch eine andere Möglichkeit: dass Südtirol statt zu Österreich zurückzukehren zu einem Freistaat wird. Dafür spricht auch die Tatsache, dass heute noch immer rund 25 Prozent der dort lebenden Menschen Italiener sind (bis zum Paket waren es sogar deutlich mehr).

Diese Italiener würden in Österreich natürlich ein umgekehrtes Minderheitenproblem darstellen, auf das dieses Land in keiner Weise vorbereitet ist.

PS.: Eine weiteres Nord-Südtiroler Thema als Folge der Schuldenkrise ist im übrigen der Brennertunnel. Selbst wenn es heute noch niemand zugeben will, scheint der Bau des Mega-Tunnels auf Grund der italienischen Finanzprobleme langfristig extrem fragwürdig. Das wird er freilich auch zunehmend auf Grund der österreichischen Defizite. Daher wächst ringsum die Überzeugung: Es wäre jetzt doppelt leichtfertig, noch irgendeinen weiteren Euro im Boden unter den Alpen zu vergraben.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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Die Herrschaft über die Geschichte ist die Herrschaft über die Zukunft drucken

Immer wieder versuchen es Politiker und politisierende „Wissenschaftler“: Sie behaupten etwas faktisch Falsches so lange, bis es doch irgendwie in die Köpfe dringt. Vor allem die Sozialdemokraten sind dabei sehr erfolgreich.

So stellen sie in Hinblick auf die Zwischenkriegszeit ihre damalige Partei seit Jahren als unschuldiges Opfer böswilliger Faschisten dar. Eine parteipolitisch total eingefärbte Zeitgeschichts-„Wissenschaft“ (vor allem an der Wiener Uni) unterstützt sie dabei nach Kräften, während es in der Öffentlichkeit kaum noch Gegenstimmen gibt, welche die ganze Wahrheit kommunizieren.

Mit dieser Strategie werden durch die ständige Wiederholung der – zweifellos berechtigten – Kritik an den Taten anderer politischer Lager die genauso schwerwiegenden eigenen Verfehlungen der Sozialdemokraten völlig unter den Tisch gekehrt. Beispielsweise wird total verschwiegen, dass die damaligen Sozialdemokraten gestützt auf eine gut gerüstete Parteiarmee ganz offiziell in ihrem Programm die „Diktatur des Proletariats“ als Ziel verkündeten.

Das war damals – wenige Jahre nach der russischen Oktoberrevolution mit ihren Millionen Opfern! – für niemanden eine bloße Redewendung, sondern eine sehr konkrete und beklemmende Drohung. Erst diese Drohung hat viele gemäßigte, bürgerliche und bäuerliche Österreicher in die Gegenrichtung radikalisiert, also zu Heimwehr, Dollfuß, Schuschnigg und Ständestaat. Aber von dieser Vorgeschichte darf offenbar nicht mehr geredet werden.

Völlig unter der Tisch gekehrt wird von der total auf Parteilinie trottenden Universitäts-Zeitgeschichte auch, dass die Sozialdemokraten weitaus intensiver und vor allem viel länger großdeutsch gesinnt waren als ein Dollfuß oder Schuschnigg. Manche Sozialdemokraten waren das sogar noch nach 1945. Völlig verwischt wird auch, dass der Widerstand gegen Hitler primär katholisch oder kommunistisch war, aber so gut wie gar nicht sozialdemokratisch.

Ein besonders intensiv attackiertes Opfer der linken Zeitgeschichtsumschreibung ist der damalige Kardinal Innitzer geworden. Er wird ständig mit dem Brief aus dem Jahr 1938 zitiert, in dem er zum Ja bei der Volksabstimmung über den Anschluss aufgerufen hat (in der insgeheimen Hoffnung, dadurch die Verfolgung der Kirche durch die Nazis abwenden oder mildern zu können). Dass auch der zweimalige sozialdemokratische Staatskanzler Karl Renner einen ganz ähnlichen Aufruf unterschrieben hat, wird hingegen fast nirgendwo kommuniziert.

Total verschwiegen wird aber vor allem das restliche Verhalten Innitzers. Er hat in der NS-Zeit Hunderten Juden zur Flucht aus dem Hitler-Imperium verholfen. Von Renner hingegen ist keine einzige Aktion dieser Art bekannt. Innitzer hat überdies vielen anderen Juden durch gefälschte Taufbescheinigungen (wodurch deren Vorfahren zu „Ariern“ wurden) das Leben gerettet. Das ist erst jetzt durch den deutschen Historiker Arno Lustiger einem breiteren Kreis bekannt geworden. Die österreichischen Historiker haben das allesamt totgeschwiegen. Oder in Form einer gezielt selektiven Wahrnehmung nicht einmal zur Kenntnis genommen.

Nirgendwo findet man auch eine Aufarbeitung der Schuld des sozialdemokratischen Zwischenkriegsstadtrats Tandler. Der Mann hat mit intensiven Aufrufen die Euthanasie verlangt, also die Tötung von Behinderten. Aber an ihn erinnern heute noch Plätze im roten Wien.

Sehr erfolgreich beim Umfälschen der Geschichte sind die Sozialdemokraten auch in Hinblick auf die Herren Kreisky und Androsch. Deren zentrale Rolle bei der Entstehung der Staatsverschuldung wird weitgehend verwischt. Dabei war diese bis zu deren Amtsantritt praktisch nicht vorhanden, sie ist dann aber von den beiden zur Gewinnung der Wählermassen steil in die Höhe geschnalzt worden.

Und schon wird an der neuesten Geschichtslüge gebastelt: Die gegenwärtige Schuldenkrise wird den Banken in die Schuhe geschoben. Es wird in den linken Medien täglich wiederholt, ohne die 2008/09 erfolgte Staatshilfe für die Banken gäbe es heute keine Schuldenkrise. So behauptete es etwa vor ein paar Tagen der ÖGB-Boss Erich Foglar öffentlich. Wobei es den Gewerkschafter nicht stört, dass er sich gleichzeitig von Bankenbossen auf teure Konzertkarten einladen hat lassen. Was jedem kleinen Beamten ein Strafverfahren einbrächte. Ähnliche Vorwürfe haben in Deutschland ein Erdbeben rund um den Bundespräsidenten ausgelöst.

Womit sich wieder einmal beweist: Hat man erst einmal die Geschichte kräftig genug umgeschrieben, dann hat man die Macht schon halb gewonnen. Und man braucht sich um keinen Anstand, um keine Wahrheit mehr zu kümmern.

 

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Die roten Meinungsmacher (13): Wehret den Anfängen: Erste Monopolgegner formieren sich drucken

Anfang der 1980er entstehen, nachdem rund zehn Jahre lang die sogenannten Studiengesellschaften das Terrain für die (nicht mehr ganz) neue Kabeltechnologie sondiert hatten, die ersten großen Kabelnetze. Wäre es nach den SPÖ Hardlinern wie etwa Karl Blecha gegangen, wäre selbst das nicht möglich gewesen. Blecha tönte noch Anfang 1977: „Dass die diversen Kabel-TV-Studiengesellschaften nichts anderes studieren könnten, als dass sie keine Möglichkeit zur Errichtung solcher Netze hätten.“[i]

Damals wurde diskutiert, ob bereits das Betreiben eines Kabelnetzes als Rundfunk im Sinne des BVG-Rundfunk zu bewerten sei. Dies hätte bedeuten können, „dass auch passives Kabelfernsehen nur vom ORF betrieben hätte werden dürfen.“[ii]

Obwohl eine solche Rechtsauslegung ganz im Sinne Karl Blechas und des ÖGB gewesen wäre, setzte sich ein Mindestmaß an Vernunft durch. Mitte des Jahres werden die fernmelderechtlichen Grundlagen für die Errichtung und den Betrieb von Kabelfernsehnetzen per Verordnung auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt. Großantennenanlagen und Kabelnetze dürfen nun, nach einem entsprechenden Bewilligungsverfahren, prinzipiell von jedem betrieben werden. „(…) waren diese neuen Regelungen zugleich eine Grundsatzentscheidung für die Zulassung Privater zur Netzträgerschaft im Kabelrundfunk.“[iii]

Allerdings auch nur unter der Einhaltung bestimmter Voraussetzungen. So gibt es eine Must-Carry-Bestimmung für den ORF, soll heißen, jeder Kabelbetreiber ist gesetzlich verpflichtet, die Programme des heimischen Rundfunkmonopolisten in sein Netz einzuspeisen.

Eine weitere sehr wichtige Regelung: Die Betreiber dürfen „die empfangenen Signale nur zeitgleich sowie dem Inhalt nach vollständig und unverändert den Empfangsanlagen zuführen.“[iv]

Dies soll verhindern, dass die Kabelbetreiber die Programme in irgendeiner Weise verändern oder bearbeiten[v] können, um damit durch die Hintertür selbst zu Programmgestaltern, sprich zu Programmschöpfern zu werden.

Die Struktur der Kabelgesellschaften

So richtig privat sind die nun entstehenden Kabelgesellschaften allerdings nicht. Bei praktisch allen größeren Betreibern mischt die öffentliche Hand, entweder ganz offiziell als Gesellschafter oder auch nur im Hintergrund kräftig mit.

So ist an der „Telekabel Fernsehnetz Betriebsgesellschaft“, kurz Telekabel, neben Philips mit 95 Prozent auch die Kabel-TV-Wien, eine Tochter der Gemeinde Wien, mit 5 Prozent beteiligt.

Warum die Stadt Wien nicht alleine das Kabelnetz aufbaut, liegt vor allem an den Kosten: „Grund für die Kooperation mit Philips ist, dass die Stadt Wien nicht selbst das Risiko einer derartigen Investition tragen wollte.“[vi]

Durch ihre Beteiligung an der Gesellschaft hat die Stadt bzw. die SPÖ (was in Wien ja de facto das Selbe ist) bis heute einen bedeutenden Einfluss auf alle Entscheidungen und Entwicklungen, die das Wiener Kabelnetz betreffen, inkl. der Frage, welche Sender im Kabel verbreitet werden und welche nicht.

Im oberösterreichischen Zentralraum gründen 1978 die Magistrate der Städte Linz, Wels und Steyr gemeinsam mit Siemens die LIWEST Kabelfernsehen Errichtungs- und Betriebsgesellschaft m.b.H.

Am 27.9. 1978 vermeldet die Sozialistische Korrespondenz: „Am Sonntag werden Verkehrsminister Lausecker und Bürgermeister Gratz im Wiener Donauzentrum die erste Wiener Kabelfernsehanlage eröffnen. Bis Jahresende sollen bei diesem ersten Probebetrieb insgesamt 6.000 Wohnungen zwei Deutsche und zwei Österreichische Fernseh- sowie vier Österreichische UKW-Hörfunkprogramme empfangen können.“

Die große Rundfunkfreiheit ist das freilich noch nicht. Aber zumindest für einige Wiener bricht nun eine völlig neue Ära an: Erstmals können sie neben dem ORF auch andere Fernsehprogramme empfangen. Auch wenn es sich dabei vorerst nur um die öffentlich-rechtlichen, also mit dem ORF befreundeten Sender aus Deutschland und der Schweiz handelt[vii], ist das damals geradezu revolutionär.

Die ÖVP positioniert sich als Monopolgegner

Die ÖVP, die seit Jahren auf der Oppositionsbank schmachtet, erkennt in diesen Entwicklungen eine Chance, die Macht und den Einfluss des roten Monopolfernsehens zu brechen oder zumindest zu schmälern. Schließlich hat man seit den Tagen von Bundeskanzler Klaus einiges dazugelernt und weiß, wie wichtig das Fernsehen als politischer und meinungsbildender Faktor ist.

In einem 1978 vorgelegten ÖVP-Programm zur „Liberalen Medienpolitik“ heißt es: „Radio und Fernsehen haben im letzten Jahrzehnt einen bestimmenden Einfluss auf die Gesellschaft erreicht. Vor allem das Fernsehen hat Ablauf und Struktur des täglichen Lebens in den meisten Familien verändert. Durch diese Medien wurden neue gesellschaftliche und weltanschauliche Einstellungen geschaffen und schließlich eine tiefgreifende Verschiebung politischer Vorstellung bewirkt.“[viii]

Die Bitterkeit über die vertanen Chancen und über die seinerzeitige Fehleinschätzung, was die Bedeutung des Fernsehens betrifft, die in diesen Zeilen mitschwingt, ist kaum zu überlesen. Die ÖVP will den Einfluss des ORF jedenfalls zurückdrängen und fordert deshalb das Ende des Monopols. In ihrem Medienprogramm heißt es unter anderem:

„Die Monopolstellung des ORF wird aufgegeben, zusätzlichen Bewerbern wird die Herstellung und Verbreitung von Radio- und Fernsehprogrammen zugestanden.

Die rundfunkgesetzlichen Bestimmungen werden so gefasst, dass nicht neue Monopolstellungen, etwa im Bereich der Post, die Möglichkeiten der weiteren elektronischen Entwicklung behindern; (…) Bewerbern wird die Herstellung und Verbreitung von Radio- und Fernsehprogrammen (…) durch eine zunächst auf fünf Jahre befristete Lizenz zugestanden.“[ix]

Monopol als verfassungskonform bestätigt

Freilich stoßen die Forderungen der ÖVP bei der alleinregierenden SPÖ auf taube Ohren. Doch den Hütern des Rundfunkmonopols am Wiener Küniglberg und in der Wiener Löwelstraße bläst nun ein immer schärferer Wind ins Gesicht. Denn das Monopol wird jetzt, wenn auch vorerst nur von wenigen Akteuren, ganz direkt und konkret angegriffen.

In Linz versucht etwa der „Informationsverein Lentia" das Rundfunkmonopol auf ganz legalem Wege zu brechen. Die engagierten Vereinsmitglieder wollen für eine Wohnparkanlage mit 458 Wohnungen und 30 Geschäften ein lokales Fernsehprogramm produzieren und über das Kabelnetz der Anlage ausstrahlen.

Der Verein beantragt deshalb eine fernmelderechtliche Bewilligung, die schlussendlich vom Verkehrsministerium abgewiesen wird.[x] Die Kämpfer für privates Lokalfernsehen wenden sich deshalb an den Verfassungsgerichtshof. Der Verein beruft sich dabei unter anderem auf die europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).

In deren Artikel 10, Absatz 1. heißt es:

„Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben.“

Die auch für Österreich verbindliche EMRK ist für den VfGH aber kein Grund am Rundfunkmonopol zu rütteln, er weist die Beschwerde ab. Dies wird unter anderem folgendermaßen begründet:

„Die genannten grundrechtlichen Freiheitsverbürgungen werden jedoch in zweifacher Weise eingeschränkt: Zum einen ermächtigt Art. 10 Abs. 1 letzter Satz MRK den Staat, Rundfunk- und Fernsehunternehmungen einem Genehmigungsverfahren zu unterwerfen, zum anderen kann gemäß Art. 10 Abs. 2 MRK die Ausübung der Rundfunkfreiheit bestimmten gesetzlichen Beschränkungen unterworfen werden.“[xi]

Zudem sei auch die Verbreitung eines Programms, wenn auch nur innerhalb einer Wohnhausanlage, bereits als Rundfunk zu klassifizieren und dieser darf, seit der SPÖ Rundfunkgegenreform von 1974, ausschließlich vom ORF betrieben werden. Das BVG-Rundfunk definiert Rundfunk nämlich äußerst großzügig: „Ihrem Wortlaut nach ist die Legaldefinition des Art. I Abs.1 BVG-Rundfunk so weit gefasst, dass sogar atypische Phänomene wie die öffentliche Verwendung eines batterieverstärkten Megaphons unter den Rundfunkbegriff zu fallen scheinen.“[xii]

Die SPÖ, die in medienpolitischen Belangen stets den anderen Parteien einen Schritt voraus ist, hatte schon damals den richtigen Riecher. Das zahlt sich nun aus.

Die SPÖ dreht jeden Privatrundfunk gnadenlos ab

Nachdem der Verfassungsgerichtshof mit seiner Lentia-Entscheidung den Hütern des Monopols einen Freibrief ausgestellt hat, können SPÖ, ORF und die Post als Fernmeldebehörde nun rigoros und konsequent gegen alle Kämpfer für eine liberale Rundfunklandschaft vorgehen. Nach dem Motto „Wehret den Anfängen“ ist den Rundfunkmonopolisten kein Gegner zu klein und zu unbedeutend, um nicht konsequent gegen ihn vorzugehen und dabei alle Mittel auszuschöpfen.

Eines dieser Opfer sind die Betreiber des „Wohnparkradios Alt-Erlaa“ in Wien. Sie strahlen über die hauseigene Anlage für die rund 2.000 Wohneinheiten ein Radioprogramm mit lokalen Informationen, Veranstaltungshinweisen, Quizspielen, Glückwünschen und Musik aus. Das Ganze ohne jeden kommerziellen Hintergedanken. Den engagierten Radiomachern wird das Programm ganz einfach abgedreht.[xiii]

Großzügigkeit oder einmal ein Auge zuzudrücken: Fehlanzeige! SPÖ, ORF und Fernmeldebehörde wollen alle Aktivitäten, die das Monopol auch nur irgendwie und ansatzweise gefährden könnten, schon im Keim ersticken. Das führt zu teils kuriosen Entscheidungen.

So ist den Behörden auch der „Pinzgauer Panoramablick“ ein Dorn im Auge. Eine in 3.000 Metern Höhe fix montierte Kamera zeigt Bilder vom Bergpanorama. Die Bilder werden im Kabelnetz von Kaprun verbreitet, damit Touristen, Skifahrer und Alpinisten schon im Tal wissen, wie das Wetter oben am Berg ist. Selbst dieser harmlose Service verstößt gegen das Rundfunkmonopol des ORF. Das „Programm“ muss deshalb 1983 abgedreht werden.

Da aber hinter dem „Gletscherfernsehen“ der landeseigene Energieversorger, die SAFE, steht, und dieser politisch nicht ganz unbedeutend ist, finden die Verfassungsjuristen des Bundeskanzleramtes doch noch ein Schlupfloch, um das Gletscherfernsehen wieder aufdrehen zu können. Die Begründung und die Bedingungen dafür sind an Kuriosität kaum noch zu überbieten:

„Die Kamera darf nur horizontal geschwenkt werden und nur bestimmte Bildausschnitte von der herrlichen Kapruner Gletscherwelt bringen. Sie muss vertikal verschraubt sein und auch die Schärfeeinstellung des Objektivs muss gleichbleibend sein. Das Panoramabild darf nur mit einer Standortangabe versehen werden und jede akustische Untermalung ist unzulässig.

Sollte aber ein findiger Werbemann auf die Idee kommen, einen Fesselballon mit einer Werbeaufschrift über den Gletscher zu schicken, so müsste die Salzburger SG für die Elektrizitätswirtschaft (Safe), die die Betreiberin des Kapruner Kabelnetzes ist, als Verantwortliche für die Einhaltung der Auflagen, das Gletscherfernsehen sofort abstellen.“[xiv]

Ob jemals ein „findiger“ Werbefachmann auf die phänomenale Idee gekommen ist, in rund 3.000 Metern Höhe mit einem Werbeballon vor der Kamera herumzugondeln, um damit eine Handvoll Zuseher im Tal mit seiner Botschaft zu beglücken, ist nicht überliefert, darf aber zu Recht bezweifelt werden.

Die Umstände ändern sich

Das Monopol, in den 1970er Jahren noch unbestritten, unhinterfragt und eine Selbstverständlichkeit, wird nun von gleich mehreren Seiten in die Zange genommen. Noch sind aber die Gegner wenig und ohne große Lobby.

Beim großen und vor allem gleichsprachigen Nachbarn Deutschland fällt 1984 das Fernsehmonopol. Am 1. bzw. 2. Jänner gehen Sat1 (damals noch PKS) und RTL (damals noch RTL plus) als erste deutsche private TV-Stationen auf Sendung. Das hat vorerst auf Österreich zwar keine direkten Auswirkungen, doch durch den Fall eines weiteren Monopols in Europa wird der allgemeine Druck auf die herrschenden Sozialisten noch größer, die Liberalisierung des Rundfunks voranzutreiben.

Da hilft es auch nichts, dass der ÖGB in weiser Voraussicht bereits ein halbes Jahr zuvor einen dritten ORF-Fernsehkanal gefordert hat. Die Gewerkschafter, stets an vorderster Front, wenn es um den Erhalt des Rundfunkmonopols geht, wollten mit „FS3“ das dürre heimische TV-Programmangebot erweitern, um so „den verschiedenen Bestrebungen, ein Privatfernsehen einzuführen, ein Absage zu erteilen“[xv] und „um Tendenzen zur Kommerzialisierung abwehren.“[xvi]

Gewerkschafter Günther Nenning wiederum sieht FS3 als eine Art Faustpfand: „Das ist jetzt der Aufbau einer Igelstellung, damit man was zum Hin- und Hertauschen hat, wenn das Monopol doch aufgemacht wird.“[xvii]

Die Strategie der Gewerkschafter ist aber zu plump, zu durchsichtig und zu wenig durchdacht. Der Vorschlag überzeugt nicht einmal die Genossen von der SPÖ. Schließlich hätten sich die Monopolgegner durch einen dritten – noch dazu extrem teuren – ORF-Kanal nicht ruhig stellen lassen, eher im Gegenteil. Hätte er doch die Allein- und Vormachtstellung des ORF nur noch weiter gefestigt. Abgesehen davon hätte FS3 wenig zur Programm- und absolut nichts zur Meinungsvielfalt beigetragen.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: Der Himmelskanal: Intellektueller Sturm im Wasserglas)

Literatur

Brandacher, Stefan: Der Österreichische Rundfunk unter besonderer Berücksichtigung des Kabel- und Satellitenfernsehens. Dissertation Innsbruck 1993

Gaunerstorfer, Peter: Fernmelderechtliche und rundfunkrechtlicher Fragen zum Kabelrundfunk. Dissertation. Wien 1997

Liebenberger, Gerhard: Die Entwicklung des Kabelrundfunks in Deutschland und Österreich von 1956 bis 2003; Diplomarbeit. Salzburg 2003

Obrist, Richard: Kabelfernsehen in Österreich – Verfassungsrechtliche Probleme und die Zukunft. Diplomarbeit  Innsbruck 1990

Endnoten

[i] APA 24.2. 1977.

[ii] Brandacher. 1993, Seite 137.

[iii] Liebenberger. 2003, Seite 129.

[iv] Brandacher. 1993, Seite 144.

[v] Etwa durch eingefügte Werbefenster oder Inserts

[vi] Liebenberger. 2003, Seite 131.

[vii] Anfänglich werden in das Wiener Kabelnetz (entgegen der Ankündigung der Sozialistischen Korrespondenz) neben den ORF-Programmen auch die öffentlich rechtlichen TV Sender ARD, ZDF, Bayern3, WDR und SRG eingespeist.

[viii] ÖVP-Bundesparteileitung: Neue Wege für Österreich; Liberale Medienpolitik. 1978.

[ix] Ebenda.

[x] Siehe Liebenberger. 2003, Seite 131.

[xi] VfGH Erkenntnis 9909/1983

[xii] Brandacher. 1993, Seite

[xiii] Siehe Liebenberger. 2003, Seite 132.

[xiv] Medien & Recht; 6/1984 Seite 11.

[xv] Siehe Arbeiter Zeitung; 6.4.1983.

[xvi] Wiener Zeitung; 6.4.1983.

[xvii] Wochenpresse; 3.5.1985.

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Die große Geschichtslüge drucken

Es ist die übelste Geschichtslüge, die in den letzten Jahrzehnten in die Welt gesetzt worden ist. Ihr Kern: Die gegenwärtige Schuldenkrise sei Folge der Bankenhilfen des Jahres 2009. Die Fakten sagen aber etwas ganz anderes.

Erstens, selbst wenn kein Cent der den Banken geborgten Gelder zurückfließen sollte, macht die Bankenhilfe in allen europäischen Ländern weniger als fünf Prozent der Staatsschulden aus.

Zweitens, in Österreich wie vor allem Deutschland sind es primär die in direktem oder indirektem Staatsbesitz befindlichen Banken gewesen, die Staatshilfe bekommen haben. Dort hat also der Staat sich selber geholfen oder genauer: seine Unterabteilung Bund der Unterabteilung Bundesländer. Und noch genauer: Der Bund hat die Kunden der Landesbanken gerettet.

Gewerkschaft und Co tun hingegen so, als ob da Milliarden an irgendwelche Bankiers geflossen wären, die das Geld mit dicken Zigarren, Maseratis und Nachtlokalen durchgebracht hätten. Dabei haben überall die Besitzer von Bankaktien schwer verloren. Wenn das Land Kärnten mit einem Gesamtbudget von rund zwei Milliarden Haftungen von rund 20 Milliarden für die einstige Landesbank eingegangen ist, dann ist das ein politisches und vielleicht auch strafrechtliches Verbrechen, aber kein Argument im Klassenkampf. Auch die anderen Länder sind heftige Haftungen eingegangen, deren Betrag aber noch verheimlicht wird.

Drittens, die große Krise ist nicht der Banken wegen ausgebrochen, sondern weil Staaten und Bürger über ihre Verhältnisse gelebt haben. Sie haben die große welthistorische Wende nicht zur Kenntnis genommen. China und andere Megastaaten überholen Europa links und rechts: durch Fleiß, durch Disziplin, mit niedrigen Löhnen, mit einer jüngeren Bevölkerung, und durch Verzicht auf einen aufgeblasenen Wohlfahrtsstaat. Die beste Zukunftsinvestition wäre es daher, Gewerkschafts- und Arbeiterkammer-Bosse aus ihrem Wolkenkuckucksheim auf Studienreise durch China, Indien, Vietnam, Singapur und Brasilien zu senden.

Viertens: Auch die Propaganda, dass eine Finanztransaktionssteuer die Banken und nicht die Bürger träfe, ist naiv und dumm. Selbst die EU-Kommission (die das Geld aus dieser Steuer durchaus gerne für sich hätte) musste zugeben: Dadurch würde das europäische BIP um mehr als ein halbes Prozent dauerhaft schrumpfen. Dabei wird Österreichs BIP heuer ohnedies nur um maximal 0,4 Prozent wachsen. Schon dieses Mini-Wachstum ist nach Ansicht aller Experten eine Katastrophe: Denn dadurch gehen Zehntausende Arbeitsplätze verloren. Was noch viel ärger wäre, wäre das BIP noch um 0,5 Prozent kleiner. Ehrlicherweise müsste man aber auch noch eine Abwanderung von Finanzgeschäften aus der EU hinaus einkalkulieren: Wirklich unabhängige Experten erwarten deshalb einen größeren Verlust durch die neue Steuer für Europas Realwirtschaft, als überhaupt an Geld in die Töpfe der Politik fließt.

Diese Steuer ist also Schwachsinn pur – auch wenn ihn die Politik täglich predigt.

 Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.

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Fußnote 255: Österreich rehabilitiert Nationalsozialisten drucken

Unter dem Jubel der gesamten Linken und mit kaum vernehmbarem Zähneknirschen der mitstimmenden ÖVP hat das Wiener Parlament nun Tausende Nationalsozialisten rehabilitiert, die Totengräber der österreichischen Unabhängigkeit.

Da kann man nur sagen: Na Bravo. Die nackten Zahlen zu den in der vergangenen Woche erfolgten pauschalen Rehabilitierungen aller „politischen Gefangenen“ des Ständestaates: Von den 12.000 bis 14.000 Anhaltehäftlingen der Dollfuß-Schuschnigg-Zeit waren mehr als 72 Prozent Nationalsozialisten. Und vom Rest war die Mehrheit Kommunisten. Jetzt bleibt nur noch die Frage: Kann sich ein Staat in seiner geschichtslosen Blödheit noch weiter blamieren? Muss man so einen Unsinn anrichten, nur weil auch Sozialdemokraten unter den Häftlingen waren? Wobei im übrigen auch bei Sozialdemokraten eine Rehabilitierung diskussionswürdig wäre, wenn sie über Organisations- und Meinungsdelikte hinausgehende Gewalttaten begangen haben, die ja auch etliche Todesopfer gefordert haben.

Nachträgliche Ergänzung: Einige Poster meinen, das Gesetz schließe sehr wohl Nationalsozialisten von einer Rehabilitierung aus, weil sie nicht, so der Gesetzeswortlaut, „im Kampf um ein unabhängiges, demokratisches und seiner geschichtlichen Aufgabe bewusstes Österreich" gestanden sind. Was kühn ist: Denn die damaligen illegalen Nazis haben ihren Kampf in hohem Ausmaß genau so verstanden: Sie sahen die geschichtliche Aufgabe Österreichs halt eben in seiner "deutschen Mission" gesehen (wie sich ja auch die Habsburger auch nach 1848 als "deutsche Fürsten" definiert haben), sie waren „demokratisch" für den Anschluss, den in den Jahren davor ja fast alle Parteien und eine Mehrheit der Wähler gewollt haben. Und würde man das dritte Kriterium „im Kampf um ein unabhängiges Österreich" wirklich genau nehmen, dann dürfte auch fast kein Sozialdemokrat als rehabilitiert angesehen werden. Denn seine Partei war eindeutig für den Anschluss und hat die (leider mit untauglichen Mitteln) als einzige dagegen kämpfende Ständestaat-Regierung allein gelassen.

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Die roten Meinungsmacher (12): Das Comeback des Tigers: Die Ära Bacher II drucken

Einige Sozialisten um Generalsekretär Karl Blecha forcierten Helmut Zilk als neuen starken ORF-Mann. Anfänglich signalisiert auch die ÖVP, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen für Zilk stimmen würde. ÖVP Bundesgeschäftsführer Kurt Bergmann erklärte: „Es ist gar keine Frage, dass Helmut Zilk als ORF-Generalintendant besser wäre als Otto Oberhammer. Bei der Sanierung des ORF ist es mit dem Auswechseln von Personen aber nicht getan.“[i]

Auf Seiten der SPÖ sprachen sich die Landeshauptleute von Wien, Kärnten und dem Burgenland, Leopold Gratz, Leopold Wagner und Theodor Kery, indirekt für Zilk aus. Aber auch Oberhammer hat nach wie vor mit ÖGB Präsident Anton Benya, Finanzminister Hannes Androsch, Justizminister Christian Broda und Parteichef Bruno Kreisky äußerst mächtige Verbündete innerhalb der SPÖ. „Die parteiinternen Fronten blieben bis zur entscheidenden Kuratoriumssitzung unverändert.“[ii]

Gerd Bacher, der sich zwischenzeitlich als Kurier-Kolumnist, Kurier-Chefredakteur und als  Berater von CDU-Chef Helmut Kohl verdingt hatte, stellt sich ebenfalls der Wahl. ÖVP und FPÖ sprechen sich schließlich für Bacher aus. Trotzdem glaubt kaum jemand an seine Wiederbestellung, schließlich hat die SPÖ die Mehrheit im ORF Kuratorium. Die anstehende Wahl des neuen ORF-Chefs beschäftigt jedenfalls über Wochen das ganze Land: „Als hätte Felix Austria keine anderen Sorgen, beherrschte das ORF-Gerangel monatelang die Innenpolitik“[iii], so das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.

Rote Angst vor der Wahl des Generalintendanten

Aufgrund des anhaltenden Konfliktes innerhalb der SPÖ steigt bei einigen Genossen die Angst und Unsicherheit kurz vor der Wahl. Schließlich ist Bacher nach wie vor ein Schreckgespenst für die Sozialisten. Nichts weniger als der rote Machtverlust in dem zur Propagandaanstalt umfunktionierten ORF steht auf dem Spiel.

Wie mächtig diese Anstalt ist und wie enorm wichtig deshalb der Führungsanspruch für die Sozialisten ist, verdeutlichen folgende Zahlen: Weit mehr als zwei Millionen Menschen sehen damals täglich die Nachrichtensendung Zeit im Bild 1 und zwei Drittel der erwachsenen Österreicher sitzen täglich vor dem Fernseher, der – dank des Monopols – nur ORF-Programme zeigt.

Deshalb versuchen am Tag der Generalintendanten-Wahl die Arbeiterzeitung und Karl Blecha ihren Parteigenossen Mut zuzusprechen. Die AZ titelt: „Heute Wahl des ORF Chefs: Gerd Bacher hat keine Chance.“[iv]Und weiter: „Eines stellte SP-Zentralsekretär Blecha neuerlich fest: Bacher, der Kandidat der Konservativen, wird keine Mehrheit im Kuratorium finden.“[v]

Die Angst und Unsicherheit der AZ-Redakteure, die förmlich aus diesen Zeilen trieft, sollte sich als begründet erweisen. Denn Bachers Kandidatur ist entgegen der damaligen allgemeinen Meinung vieler politischer Beobachter durchaus chancenreich. Die Betriebsräte, die mit fünf Sitzen im Kuratorium vertreten sind, hegen Sympathien für Bacher. Sie sollen laut dem Historiker Robert Kriechbaumer sogar geheime Kontakte zu Bacher geknüpft und ihn zur Kandidatur bewogen haben[vi]. Oberhammer lehnen sie wegen seiner Führungsschwäche ab.

Kreisky in Paris, Benya in Sofia, Bacher im ORF

Kurz vor der entscheidenden Wahl[vii] schwört Karl Blecha die 16 SPÖ-Kuratoriumsmitglieder noch einmal auf Otto Oberhammer ein. Vergebens. Die Sensation ist perfekt. Gerd Bacher wird mit 16:13:1 Stimmen als Generalintendant wiedergewählt (vorerst nur provisorisch), „zum grenzenlosen Entsetzen von Karl Blecha“[viii], wie sich Heinz Fischer erinnert. „Nur der Auslandsaufenthalt der Parteiführungsspitze schien die überraschende Wiederherstellung Bachers zu ermöglichen.“[ix] vermutet der gescheiterte Kandidat Helmut Zilk. Was die Kärntener Tageszeitung zu der legendären Schlagzeile: „Kreisky in Paris, Benya in Sofia, Bacher im ORF“ inspirierte.

Das Entsetzen bei den Genossen ist groß. Blecha erklärt in einem Interview, er werde die Verräter ausfindig machen. Drei SPÖ-Kuratoren hätten sich menschlich nicht sauber verhalten.[x] Blecha vermutet sogar, dass „Erpressung und Bestechung im Spiel gewesen sei.“

Dass trotz einer sozialistischen Mehrheit im Parlament und im ORF-Kuratorium nun ein mehr oder weniger konservativer, noch dazu bekannt durchsetzungsfähiger Mann an die Spitze des Monopolsenders gewählt worden ist, ist für die Sozialisten ein Debakel. Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“: „Es war die bislang schwerste Niederlage der seit 1970 alleinregierenden Sozialistischen Partei – und ein persönlicher Prestigeverlust des „Sonnenkönigs Bruno I.““[xi]

Kreisky, der sich zum Zeitpunkt der Wahl gerade bei einer Tagung der Sozialistischen Internationalen in Paris aufhält, verschlug es deshalb, völlig untypisch für ihn, die Sprache. Er habe nichts zu sagen, so Kreisky auf entsprechende Journalistenfragen.

Doch Bacher, der vor allem auch Pragmatiker ist, verkündet nach seiner Wahl in Richtung SPÖ: „Er wolle Rundfunk und nicht Rundfunkpolitik machen.“[xii]

Der Proporz kehrt zurück

Die Ängste der Sozialisten sollten sich wie auch schon in den 60er Jahren weitgehend als unbegründet erweisen. Auch unter Bacher bleibt das Fernsehen fest in roter Hand. Franz Kreuzer wird Chefredakteur der TV-Information, der ehemalige AZ-Redakteur Ulrich Brunner leitet das Innenpolitikressort, SPÖ-Mann Helmut Pfitzner die Parlamentsredaktion. Und damit die ÖVP nicht ganz leer ausgeht und im Kuratorium zustimmt wird Horst Friedrich Mayer zum Leiter Außenpolitik und zum stellvertretenden Chefredakteur ernannt. Nach den roten Festspielen unter Oberhammer kehrt nun der Proporz – allerdings mit roter Schlagseite – in den ORF zurück.

Unter Bacher wird 1980 auch die TV Regionalisierung beschlossen. Die neun Landesstudios werden damit aufgewertet und erhalten die nötigen Mittel und Ressourcen für das tägliche „Landeshauptleute-TV“. Welche politische Ausrichtung das Landestudio hat, bestimmen die Kräfteverhältnisse im jeweiligen Bundesland. So sind etwa die Landestudios in Wien und dem Burgenland tief rot, während in Niederösterreich oder der Steiermark die ÖVP nicht nur in der Landesregierung, sondern auch in den Landesstudios den Ton angibt.

Bacher versucht, nicht nur SPÖ und ÖVP mit solchen strategischen Entscheidungen und mit der Berichterstattung bei Laune zu halten, er erweist sich auch – ganz im Sinne der sozialistischen Medienpolitik – als kompromissloser Kämpfer für das ORF-Monopol, zumindest solange er für den ORF tätig ist.

Genügte es bisher, ab und zu ein paar – noch dazu falsche – Argumente  (Frequenzmangel, Österreich sei ein zu kleiner Markt für mehrere Sender, etc.) und ein paar launige Bemerkungen in die ohnehin kaum vorhandene öffentliche Diskussion einzuwerfen, wird nun der Kampf gegen die neu auftauchenden Gefahren für das Monopol zusehends zu einer der wichtigsten Aufgaben Bachers.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: Wehret den Anfängen: Erste Monopolgegner formieren sich)

Literatur

Fischer, Heinz: Die Kreisky Jahre. Wien 1993

Kriechbaumer, Robert: Die Kreisky Ära - Österreich 1970 - 1983. Wien 2004

Österreichischer Rundfunk (Hg.): Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag; Salzburg, Wien 1985

Zilk, Helmut: „Kreisky in Paris, Benya in Sofia, Bacher im ORF“ – Erinnerungen eines Freundes. In: Österreichischer Rundfunk (Hg.): Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag. Salzburg 1985

Endnoten

[i] Siehe Kriechbaumer, 2004,. Seite 200.

[ii] Kriechbaumer. 2004, 200.

[iii] Der Spiegel; Nr. 40 1978.

[iv] Arbeiter Zeitung; 28.9.1978.

[v] Ebenda

[vi] Siehe Kriechbaumer. 2004, Seite 200f.

[vii] Der Wahl am 28.9. ging eine Abstimmung am 20.8 voraus, bei der Oberhammer 10 Ja und 15 Nein Stimmen erhielt, Zilk 10 Ja und 20 Nein Stimmen und Bacher 14 Ja und 15 Nein Stimmen.

[viii] Fischer. 1993, Seite 87.

[ix] Siehe Zilk. 1985, Seite 81.

[x] Siehe Kriechbaumer. 2004, Seite 414.

[xi] Der Spiegel; Nr. 40, 1978.

[xii] Siehe Kriechbaumer. 2004, Seite 542.

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Fußnote 253: Das muss man gehört haben drucken

Ich muss mich entschuldigen: Ich habe vor ein paar Tagen die Hörfunk-Journale als letzte Ausnahme vom katastrophalen Niedergang des ORF bezeichnet.

Das habe ich mit dem Ausdruck des Bedauerns zurückzuziehen. Denn im Abendjournal des Mittwoch war ein Schwachsinn zu hören, der in der ORF-eigenen Hauptdisziplin „Ahnungs- und wissensfreies Linksgewäsch“ alle Untaten des Fernsehens noch weit übertraf. Und für all diesen Unsinn ist kein Herr Pelinka, sondern sind jene Redakteure selbst verantwortlich, die sich jetzt als Retter des ORF aufspielen. Oder ist es die Qualität des Geschichtsunterrichts in den heimischen Schulen? Hier der ORF-O-Ton: „Dollfuß hat ja im März 1933 die Demokratie beendet und ließ dann jeden Versuch, den Anschluss an Hitlerdeutschland zu verhindern, niederschlagen.“ Sind solche Erkenntnisse nicht eigentlich schon einen Renner- oder Kreisky-Preis würdig?

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Die roten Meinungsmacher (11): Der Oberhammer: Kreiskys Rache drucken

Zurück zu Kreisky und zum ORF. Eines der wichtigsten Ziele des Rundfunkgesetzes von 1974 war die Beseitigung von Gerd Bacher. „Kreisky ließ sich eine neue Rundfunkreform einfallen, um den widerborstigen Bacher endlich loszuwerden.“[i] Zu diesem Zweck wurde das ORF-Kuratorium geschaffen. In diesem Gremium hatte die SPÖ 16 Sitze, die ÖVP 12 und die FPÖ 2. Die Wahl des Tiroler Juristen Otto Oberhammer, der Favorit von Bruno Kreisky, sollte also reine Formsache sein:

„Nach 18 Stunden Beratungen hatten die 16 sozialistischen Kuratoriumsmitglieder auf einem Stimmzettel durch Streichung des Namens Gerd Bacher exekutiert, was Monate vorher ihr Parteichef Bruno Kreisky beschlossen hat.“[ii]

Karikatur: „Die Presse/Ironimus“

Oberhammer, ein ehemaliger Richter, der in Brodas Justizministerium Karriere gemacht hat, ist in Sachen Rundfunk und Unternehmensführung vollkommen unbeleckt. Dafür hat er andere Qualitäten. Er ist pflegeleicht und einfach zu steuern. „Oberhammer, ein Nur-Jurist aus Tirol, durfte nur noch verwalten, nicht mehr leiten.“[iii]konstatiert das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel.

Zudem hatte der Wahlerfolg des Juristen Rudolf Kirchschläger bei den Bundespräsidentenwahlen Kreisky beeinflusst: „Um die Chancen Kirchschlägers abzutesten, hatte Kreisky schon im Laufe des Jahres 1973 eine Untersuchung über das Image verschiedener Berufe machen lassen. Richter schnitten dabei fulminant ab. Was für einen Bundespräsidentschaftskandidaten gut war, sollte auch für den Generalintendanten taugen. Der neue Generalintendant sollte Jurist, möglichst Richter sein, lautete noch im Juli der Vorentscheid. “[iv]

Es ist auch kein Zufall, dass Oberhammer aus dem Ministerium von Christian Broda kommt. Broda hatte bereits Ende der 50er Jahre an den Parteiverhandlungen über den Rundfunk mitgewirkt und Broda „braucht wie kein anderer ein Massenmedium, das seine Reformen, die tiefe gesellschaftsverändernde Wirkungen haben, positiv gegenüber dem Wählervolk aufbereitet und jede Störung soweit als möglich zurückdrängt.“[v]

Die Umfärbung kommt wie erwartet

Der frischgebackene Generalintendant enttäuscht seine Genossen anfänglich nicht: Sein Team für die fünf Spitzenposten im ORF besteht aus drei parteilosen Sozialisten und zwei mehr oder (eher) weniger bürgerlichen Kreisky-Freunden:

Franz Kreuzer, ehemaliger Chefredakteur der Arbeiter Zeitung wird einer der beiden Fernsehintendanten, der andere ist Gerhard Weis. Weis gilt als ÖVP-nahe, da er seinerzeit für das Volksblatt schrieb und Mitglied beim ÖAAB war, er hatte aber auch stets sehr gute Kontakte zu Kreisky.[vi]

Auch der „bürgerliche“ Wolf in der Maur war ein Favorit Kreiskys. Um ihn auf den Posten des Hörfunkintendanten zu hieven, wurde sogar massiver Einfluss auf die ORF-Kuratoren ausgeübt. Im ersten Wahlgang fiel In der Maur noch mit 12 zu 16 Stimmen durch (bei zwei Stimmenthaltungen). „Daraufhin liefen die Telefonleitungen zwischen Argentinierstraße und Armbrustergasse – Funkhaus und Kanzlervilla – nächtens heiß, und auch Blechas Vergatterungstaktik auf vollen Touren.“ [vii]

In der Maur wird in einer zweiten Abstimmung mit 16 zu 14 doch noch durchgedrückt. Auch im Vorfeld zur Wahl Oberhammers soll Kreisky – laut einem Bericht der Wochenpresse – den Bildhauer Fritz Wotruba, der im Kuratorium saß, unter Druck gesetzt haben. Der Bundeskanzler  hatte ihn darauf hingewiesen, welch großzügige Förderungen er von staatlicher Seite bekomme.[viii] Kreisky hat dies allerdings stets bestritten.

Der kaufmännische Direktor Walter Skala ist ebenso wie der technische Direktor Norbert Wassiczek (der einzige überlebende aus Bachers Team) den Sozialisten zuzurechnen. Ein Intimfreund Oberhammers, Heinrich Keller, wird ORF-Generalsekretär.

Auch auf den unteren Ebenen und beim Rundfunkfußvolk wird fröhlich umgefärbt. Oberhammer holt sich – ganz im Sinne der sozialistischen Medienpolitik – zahlreiche Mitarbeiter aus der SPÖ und ihrem Dunstkreis ins Haus. Unter anderem: Josef Broukal, damals SP-Organisationsreferent in Niederösterreich, Ulrich Brunner, Redakteur der Arbeiterzeitung und SP-Mitglied, oder Barbara Coudenhove-Kalergi, Redakteurin der Arbeiterzeitung, die zur Chefin des ORF-Auslandsdienstes ernannt wurde.

Mit den richtigen Leuten braucht es keine Inerventionen

Die dahinsiechende sozialistische Arbeiterzeitung bildet ein nahezu unerschöpfliches Personalreservoir für den ORF. Das hatte den großen Vorteil, dass die neuen ORF-Mitarbeiter nicht erst auf Linie gebracht werden mussten. Ein braver und halbwegs gebildeter AZ-Redakteur hat schließlich das Kapital von Karl Max oder die Dialektik der Aufklärung von Theodor W. Adorno bereits intus.

In so einem Umfeld muss von Seiten der Politik – sprich den Sozialisten – kaum noch interveniert oder gar zensuriert werden, die Vorgesetzten brauchen keinen Druck auszuüben, die bei der AZ sozialisierten Mitarbeiter wissen ohnehin ganz genau, worüber und wie man „richtig“ zu berichten hat.

Das gilt freilich nicht nur für den Informationsbereich. Auch in der Unterhaltungsabteilung bläst man zum medialen Klassenkampf. So startete in der Ära Oberhammer etwa die Serie „Ein echter Wiener geht nicht unter“. Verantwortlich für die Soap Opera im sozialistischen Arbeitermilieu zeichnet der deklarierte Kommunist und Autor Ernst Hinterberger. Bei der Fernsehfamilie Sackbauer in Favoriten ist die sozialistische Welt noch in Ordnung. In der wenig subtilen Propagandaserie wird kein linkes Klischee ausgelassen, alle Klassenfeinde, von den Gewerbetreibenden über die Hausbesitzer, den Unternehmern bis zu den Bauern[ix] – kurz: die gesamte ÖVP-Klientel – werden als dumm, bösartig und menschenverachtend vorgeführt.

Unterhaltung im Oberhammer-ORF: Liebenswerte, menschliche Sozialisten, kleingeistige und unsympathische Konservative. Die Rollen sind klar verteilt.

Und obwohl Oberhammer ganz im Sinne der Partei handelt und den Rundfunk im Allgemeinen und das Fernsehen im Speziellen im Sinne eines sozialistischen Volksfunks umgestaltet, ist er innerhalb der SPÖ nicht unumstritten. Der Jurist gilt in Medien- und Machtpolitik als zu wenig erfahren und mit dem Job des Generalintendanten schlicht als überfordert. „Brodas Homunculus hat sich auch innerhalb der SPÖ (…) als Fehlkonstruktion erwiesen.“[x]

1978, im Jahr der turnusmäßigen Wahl des Generalintendanten, bricht deshalb ein heftiger parteiinterner Streit um die Zukunft des führungsschwachen Oberhammers aus. „Die Person des Generalintendanten stand seit dem Frühjahr 1978 parteiintern zur Diskussion.“[xi]

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)

Endnoten

[i] Der Spiegel, Nr. 40, 1978.

[ii] Die Wochenpresse zitiert nach Verein zur Förderung der politischen Bildung und Schulung „Josef Krainer Haus“, 1975.

[iii] Der Spiegel, Nr.40, 1978.

[iv] Die Wochenpresse zitiert nach Verein zur Förderung der politischen Bildung und Schulung „Josef Krainer Haus“, 1975.

[v] Siehe Dieman, 1978, Seite 98.

[vi] Siehe Dieman, 1978, Seite 50.

[vii] Siehe Dieman, 1978, Seite 49.

[viii] Siehe Dieman, 1978, Seite 52.

[ix] In einer Folge erbt Mundls Frau einen Bauernhof und wird von einem „typischen“ Bauern und ÖVP-Bürgermeister über den Tisch gezogen.

[x] Siehe Dieman, 1978, Seite 98.

[xi] Kriechbaumer, 2004, Seite 199.

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Die roten Meinungsmacher (10): Die Gefahr aus dem All: Der Beginn der Satelliten- und Kabelrundfunk Ära drucken

Der kluge Genosse baut vor: Das Rundfunkgesetz von 1974 war eine Reaktion der Sozialisten auf die Veränderungen, die auf den Rundfunk im Allgemeinen und das Fernsehen im Besonderen zukommen sollten. Mit der gesetzlichen Einzementierung des ORF-Sendemonopols hatte man sich gut auf die kommenden technischen Entwicklungen vorbereitet. „Als bisher einziges Ausführungsgesetz zum BVG-Rundfunk wurde im Jahr 1974 das ORF Gesetz erlassen, womit der ORF als einziges Unternehmen in Österreich eigene Programme veranstalten darf.“[i]

Bisher wurden TV und Radio ausschließlich terrestrisch, also via Antenne übertragen. Das hatte für die sozialistischen Hüter des Monopols gleich mehrere Vorteile. Da Frequenzen zur Rundfunkübertragung ein knappes Gut sind, laut der SPÖ sogar ein äußerst knappes, war ein staatliches Monopol quasi unvermeidbar, fast schon gottgegeben.

Und obwohl sich hochfrequente Wellen gemeinhin nicht an Staatsgrenzen halten, ist ihre Reichweite dennoch begrenzt und überschaubar. Lediglich im grenznahen Bereich können – aufgrund des unvermeidbaren technischen Overspills – ausländische Sender empfangen werden. Was aber aufgrund der unterschiedlichen Sprachen und der unterschiedlichen technischen Standards ohnehin nur an der Grenze zu Deutschland und der Schweiz eine Rolle spielte.

Für Verfechter eines Rundfunkmonopols ein geradezu paradiesischer Zustand. Man kann die Einschränkung der Meinungsfreiheit, die ein Rundfunkmonopol ja zwangsläufig darstellt, mit physikalischen Gesetzen, sprich Frequenzmangel, rechtfertigen Lästige Sender aus liberaleren oder demokratischeren Ländern können die heimische Volksfunk-Idylle – wenn überhaupt – nur am Rande stören.

Doch über dem sozialistischen Rundfunkschrebergarten ziehen nun weit oben am Himmel, nein, nicht dunkle Wolken, sondern Satelliten auf. Und unter der Erde werden überall in den USA und Europa Kabel verlegt, über die ebenfalls Fernsehprogramme übertragen werden können.

Einzug des Kabelfernsehens

Kabel-TV ist eigentlich eine sehr alte Technologie. Sogenannte Gemeinschaftsantennenanlagen (GA)[ii] sind beinahe so alt wie das Fernsehen selbst[iii]. Große Kabelnetze sind in den USA, die in Sachen Rundfunk stets Vorreiter waren und sind, bereits in den frühen 60er Jahren entstanden. 1962 gab es in den Vereinigten Staaten bereits 800 Kabelnetze mit rund 850.000 angeschlossenen Haushalten.[iv]

Anfang der 70er wurde Kabel-TV auch in Europa ein Thema. Satelliten-TV war zu dieser Zeit noch eine, wenn auch schon sehr konkrete, Zukunftsvision. Zwar umkreisten bereits in den 60er Jahren einige Kommunikationssatelliten die Erde, dreizehn um genau zu sein, der erste europäische TV-Satellit sollte aber erst Mitte der 80er ins All geschossen werden.

Ende der 60er entstehen, vor allem in gebirgigen und hügeligen Regionen, aufgrund der schlechten Empfangssituation, Großgemeinschaftsantennenanlagen etwa in Feldkirch, Vöcklabruck oder Schladming. In Linz errichtet die WAG, die Wohnungsaktiengesellschaft, bereits 1968 in ihrer Wohnanlage eine Großgemeinschaftsantennenanlage, um Antennen­wälder auf den Dächern zu verhindern.[v]

In einige dieser Netze wurden auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme aus Deutschland eingespeist.[vi] Da dies nur Einzelfälle waren und die Netze eine sehr überschaubare Anzahl an Haushalten versorgten, schien dies damals aber niemanden zu stören, auch nicht den ORF und die Fernmeldebehörde. Kleine Gemeinschaftsantennenanlagen mussten damals aufgrund der gesetzlichen Lage nicht einmal genehmigt werden.

Erste konkrete Pläne für große Kabelnetze wurden Mitte der 70er Jahr geschmiedet. Bei SPÖ und ORF läuteten die Alarmglocken.

„Die Erschließung dieser neuen Übertragungswege brachte nicht nur eine erhebliche Ausweitung der verfügbaren Rundfunkübertragungskapazitäten in den einzelnen europäischen Staaten, sondern eröffnete zudem auch die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Rundfunkausstrahlung. (…) Zudem entfiel mit der Erweiterung des verfügbaren Frequenzbereichs einer der Rechtfertigungsgründe für die monopolistische Stellung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanbieter.“[vii]

Im ganzen Land werden sogenannte Studiengesellschaften gegründet, die sich mit der Einführung des Kabelfernsehens beschäftigen. Dazu gehörten:

  • Salzburger Studien- und Forschungsgesellschaft für Kabelfernsehen GmbH
  • Tele Kurier
  • FESEKA
  • Studien und Forschungsgesellschaft für Kabelfernsehen in Wien
  • LiWeSt (Ein Verbund der oberösterreichischen Städte, Linz, Wels und Steyr)

Für die Sozialisten war dies eine äußerst unangenehme Entwicklung. Kaum hatte man den Rundfunk per Gesetz wieder zurückerobert, den lästigen Gerd Bacher in die Wüste geschickt und eine linientreue ORF-Führungsmannschaft installiert, bekam das bisher in Stein gemeißelte Rundfunk-Monopol erste Risse.

Zunehmende Kritik am Rundfunkmonopol

Mit den neuen Möglichkeiten zur Verbreitung von Fernsehsignalen treten auch – wenn auch nur vereinzelt – erste ernstzunehmende Kritiker des Rundfunkmonopols auf den Plan. Wie etwa der Verfassungsrechtler Karl Korinek: Seiner Rechtsmeinung nach verstößt das ORF-Monopol gegen die europäische Menschenrechtskonvention, die in Österreich Verfassungsrang hat.[viii] Das ORF-Monopol ist damit verfassungswidrig. Dass er damit richtig liegt, sollte aber erst viele Jahre später vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg bestätigt werden.

„Das Kabel und damit die technische Aufhebbarkeit der Frequenzknappheit haben daher auch in Österreich dazu geführt, das Monopol des ORF in Frage zu stellen.“[ix]

Auch die ÖVP wagt einen ersten zaghaften Vorstoß zur Beendigung des Rundfunkmonopols. Die Volkspartei schlägt  „länderweises Kabel-TV vor, das nicht im Monopol des ORF steht.“[x] Neben den beiden ORF Programmen und den öffentlich-rechtlichen Programmen aus der Schweiz und Deutschland soll es – so der Vorschlag der ÖVP – einen Kabelkanal für ein lokales Programm und einen sogenannten „Open Channel“ geben. Auf diesem „offenen“ Kanal „kann jeder gegen Entgelt eine Sendung bringen“[xi].

Das bedeutet:

  • die Zeitungen können selbst Eigentümer werden,
  • sie haben Mitspracherecht im Landesbeirat,
  • Werbegelder müssen der regionalen Presse zur Verfügung gestellt werden.[xii]

Dass dieser noch nicht ganz ausgereifte Vorschlag zur Rundfunkliberalsierung von der SPÖ nicht einmal ignoriert wird, versteht sich damals von selbst.

Parallel zu all diesen Entwicklungen fallen in Europa die ersten staatlichen TV-Monopole. In Großbritannien wurde bereits 1955 ein privater TV-Kanal zugelassen, in Luxemburg sendet seit 1969 ein Privatsender und beim Nachbarn Italien kippt das Monopol 1975/76[xiii], mit weitreichenden Folgen auch für (das südliche) Österreich, wie Sozialisten und ORF wenige Jahre später schmerzhaft feststellen müssen. Damals, Mitte der 70er, ist das rote Rundfunkmonopol trotz all dieser ersten Anzeichen und Entwicklungen nicht ernsthaft in Gefahr, aber eines zeichnet sich bereits ab: Auf Dauer wird es, aufgrund der technologischen und internationalen Entwicklungen, nicht mehr zu halten sein.

Zu dieser Zeit ist die Welt für den ORF und die SPÖ trotz der dunklen Wolken am Horizont aber noch weitgehend in Ordnung, schließlich verläuft auch die langsame und vorsichtige Einführung des Kabelfernsehens auf typisch österreichische Art und Weise. So ist die Geschäftsführung der Kabel-TV-Wien-Studiengesellschaft streng nach dem Proporzsystem besetzt.[xiv]

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächstes Kapitel: Der Oberhammer: Kreiskys Rache)

Endnoten

[i] Obrist, 1990, Seite 21.

[ii] Es gibt drei Arten von Fernsehnetzen: Gemeinschaftsantennenanlagen(GA), Großgemeinschaftsantennenanlagen (GGA) und Kabelfernsehanlagen.

 [iii] Bereits in den 50er Jahren gibt es in Feldkirch eine Gemeinschaftsantennenanlage. In diesem Netz wurde allerdings nur – aufgrund der schlechten Empfangslage – ein ORF Kanal übertragen. Siehe dazu Liebenberger, 2003, Seite 41.

 [iv] Siehe Liebenberger, 2003, Seite 41.

 [v] Siehe Steiner, 1988, Seite 36.

 [vi] Siehe Liebenberger, 2003, Seite 126.

[vii] Schriftenreihe der Rundfunk- und Telekom Regulierungs-GmbH; Band 2/2004: Die duale Rundfunkordnung in Europa; Studie von Alexander Roßnagel und Peter Strohmann, Seite 21.

[viii] Austria Presse Agentur 6.5.1977.

[ix] Obrist, 1990, Seite 24.

[x] ÖVP-Pressedienst 1.10.1975.

[xi] Ebenda.

[xii] Ebenda.

[xiii] Siehe Fidler/Merkle, 1999, Seite 18.

[xiv] Siehe Liebenberger, 2003, Seite 127.

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Plädoyer für die Monarchie drucken

Die demokratische Geschichte ist sehr kurz und umfasst nur wenige Jahrhunderte. Wenn man von der griechischen Polis absieht, die ja nur bedingt mit der heutigen Demokratie zu vergleichen ist, da in ihr ausschließlich bürgerliche Männer teilhaben durften, ist die Demokratie eine Geburt der Moderne, wobei unter Moderne die Geschichte seit der Französischen Revolution zu verstehen ist.

Nachdem die Könige gestürzt wurden, war mit ihnen in gewisser Weise auch Gott aus dem Staat verbannt worden, denn in der alten Monarchie ging das Recht immer noch in erster Instanz von Gott aus und erst in zweiter Instanz vom König, der sich ja auch als von Gott legitimierter Herrscher sah. Der Monarch war immer eine Analogie zu Gott, der die Welt regiert, genauso wie der Familienvater als rechtmäßiger „Herrscher" über seine Familie angesehen wurde.

Man kann es durchaus so ausdrücken, dass die Demokratie, indem sie postuliert: „Das Recht geht vom Volk aus", den Mensch an erste Stelle gesetzt hat, anstelle von Gott. Denn ein gläubiger Mensch – ganz gleich welcher Konfession – wird immer dabei bleiben, dass das Recht von Gott ausgeht und kein Mehrheitsentscheid aus einer Sünde (zB. Homosexualität, Abtreibung) ein legitimes Handeln machen kann. Gott wurde also bewusst aus der Verfassung ausgeklammert, weil die Menschen ihren Staat nun auf Rationalität und Individualität aufbauen wollten.

Prof. Dirk Budde drückt das in seinem Buch „Heiliges Reich, Republik, Monarchie“ so aus: „Mit der französischen Revolution begann jenes Suchen eines utopisch geprägten republikanischen Rechtsbewusstseins nach dem idealen Staat und der idealen Verfassung, dem die Menschen nur als Objekt und Material für seinen Heilsentwurf dienten. Nicht mehr die komplexe unkonkrete Realität des Lebens und der in ihm lebenden Menschen baute den Staat organisch auf, sondern die Menschen wurden ausgerichtet auf einen Heilsentwurf, der zur Grundlage der staatlichen Politik wurde.

Das utopisch orientierte republikanische Rechtsbewusstsein – mit seiner im Gegensatz zum konservativen Bewusstsein durch die Aufklärung geprägten Auffassung von der wesentlichen Vollkommenheit der Menschen – erlebte seinen gewaltigsten und totalitärsten Amoklauf in der kommunistischen Heilsutopie, deren Nichteinlösung und innerer Zusammenbruch das utopische Denken vieler orientierungslos und, insbesondere in Deutschland, teilweise hysterisch zurückließ." (Dirk Budde, Heiliges Reich, Republik, Monarchie, S.77)

Die drei Fehler der Demokratie

Die Demokratie ist von drei negativen Charakteristiken geprägt. Das erste habe ich eingangs erwähnt, nämlich, dass die liberale Demokratie behauptet, dass die Mehrheit das Recht hat, jedes Gesetz zu erlassen. Die Kirche hält dagegen, denn sie unterscheidet zwischen Wahrheit und Lüge, Recht und Unrecht, Gut und Böse, Rechtgläubigkeit und Irrtum. Das zweite negative Charakterium wäre der unnatürliche Freiheitsbegriff und das dritte der enge Zeithorizont der Demokratie.

Weiters verkennt sie das Faktum, dass „als Resultat eines weiten Spektrums menschlicher Talente in jeder Gesellschaft minimaler Komplexität einige Individuen rasch den Status einer Elite erreichen werden. Aufgrund überlegener Leistungen hinsichtlich Vermögen, Weisheit, Mut oder einer Kombination davon werden einige Individuen 'natürliche Autorität' erlangen, und ihre Meinungen und Urteile werden weitreichenden Respekt genießen. Darüber hinaus werden, als Ergebnis selektiver Paarung und Ehelichung sowie der Gesetze bürgerlicher und genetischer Vererbung, die Positionen natürlicher Autorität wahrscheinlich von den Mitgliedern weniger 'adeliger' Familien eingenommen und innerhalb dieser Familien weitergegeben." (Hans-Hermann Hoppe, Demokratie der Gott der keiner ist, S.163).

Die Demokratie ist somit eine künstliche Regierungsform und negiert die natürliche Ordnung auf dieser Welt. Sie kann sich auch nur durch Enteignungen (hohe Steuern), Umverteilung (diverse Abgaben), Gleichmacherei und permanente Neiddebatten halten.

Nur das Wohl des Ganzen macht frei

Aber kommen wir zum Freiheitsbegriff. Der Freiheitsbegriff, der der liberalen Demokratie zugrundeliegt, ist autonomistisch, individualistisch, also a-christlich, a-theistisch. Der Individualismus unter dessen Stern der neue Staat, die Demokratie, von Anfang an stand, hat die Beziehung der einzelnen Teile zum Ganzen umgekehrt. Nach dem Individualismus sind die Teile vor dem Ganzen, die Einzelnen das einzig Wahre und Wirkliche. Das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft ist subjektiv, von Zufall geprägt, rein nutzhaft, utilitaristisch, aber ohne wesenhafte geistige Bezugnahme.

Der Individualismus wähnt, indem er dem Einzelnen Autarkie und Autonomie zuspricht, ihm dadurch zur eigentlichen Entfaltung zu verhelfen, zerstört aber paradoxerweise die Individualität des Einzelnen mit dessen Absolutsetzung. Im Gegensatz dazu ist für das organische, ganzheitliche Denken, wie es im Mittelalter typisch war, das Primäre, die ursprüngliche Tatsache, von der sich alles ableitet, nicht der Einzelne, sondern die Ganzheit, die Gesellschaft.

Der Einzelne ist nicht mehr selbst bestimmt, autark, steht nicht mehr ausschließlich auf dem Boden seiner Ichheit; die primäre Wirklichkeit liegt nicht mehr in ihm, sondern in dem Ganzen, in der Gesellschaft. Damit wird das Individuum nicht vernichtet, sondern es wird ihm gerade das gegeben, was ihm zukommt, Einzigartigkeit, Individualität und Eigenleben. Das Wesen der organischen Hierachie hat der hl. Apostel Paulus im 1. Korintherbrief (12,12-30) gekennzeichnet, in dem er die Kirche, die Stände und Ämter in der Kirche, die Gemeinden und alle Getauften mit einem Leib vergleicht, dessen Haupt Christus ist.

Keine Wahlen – keine Kurzsichtigkeit

Was genauso wichtig ist, ist der stark limitierte Zeithorizont, der in einer Demokratie herrscht. Da geht es um Perioden von vier bis acht Jahren nach denen sich die Mehrheit der Politiker und Entscheidungsträger richtet. Dies stellt meistens eine Amtsperiode dar und dann kommt die nächste Wahl. Während der Amtsperiode ist die Versuchung natürlich groß in dieser kurzen Zeitspanne möglichst viel für sich und seine Freunde und die Partei herauszuholen.

Der Monarch hingegen weiß, dass er in zwanzig Jahren noch genauso an der Macht sein wird, oder zumindest eines seiner Kinder, er plant daher vorsichtiger und auf längere Sicht. Es würde ihm und seiner Familie auch auf Dauer nichts bringen, das Volk über die Maßen auszunehmen. Im Gegenteil, es wäre für ihn sogar eine Gefahr, wenn er das Land und sein Volk zu sehr ausquetschen würde, daher wird er auf ein langsames, aber organisches Wachstums setzen.

Der Politiker hingegen hat kein Problem damit, fünfzig Prozent Steuer- und Abgabenquote einzuheben. Der moderne, sozialdemokratische Politiker hat überhaupt keine Hemmungen mehr, auf das Vermögen der Bürger zuzugreifen. Er hat auch kein Problem damit, neue Schulden einzunehmen und die Zukunft der nachfolgenden Generationen zu verspielen. Aber auch der nationale Sozialismus ist kaum besser, dort geht es auch nur ums Fressen und dort kommt man genauso ohne Gott aus.

Das religiöse Verständnis fehlt dort leider ebenso, und darum kann es mit ihnen auch keine spirituelle Weiterentwicklung unseres Volkes geben. Es sei denn, es gelingt einer Gruppe Priester ihnen ein religiöses Leben einzuhauchen, so wie damals unter dem Priesteranwärter Dollfuß, der das rechte, christliche Lager geeint hat.

Dollfuß: Der letzte echte Staatsmann

Dazu schreibt der Historiker Stanley Payne in seinem Buch Geschichte des Faschismus: „So waren in Österreich anders als in Deutschland die nicht-faschistischen Kräfte der Rechten in der Lage, vorbeugend eine eigene autoritäre Regierung zu errichten und den Nazis den Weg zur Macht zu versperren, was vor allem auf die breite, wenn auch nicht mehrheitliche Unterstützung für die Christlich-Sozialen und die entschlossene Führung des zum Märtyrer gewordenen Dollfuß zurückzuführen war."

Und Otto von Habsburg meinte über Dollfuß: „Er war ein tief honoriger Mensch und ein guter Christ. Er wollte auch die Beziehungen zum Haus Habsburg in Ordnung bringen. Aber die letzte Wende war erst kurz vor seinem Tod. Er hat es auch nicht nach außen hin gesagt, so weit ich informiert bin, er hat es zu Ernst Karl Winter gesagt, dem er sehr vertraut hat und ihm sehr viel Offenes gesagt hat. Dieser war sehr erstaunt, als er damals zu mir gekommen ist, über den Gedanken, dass die Monarchie nun sehr bald wieder kommen würde.

Dollfuß hat ja gewusst, dass er in einer äußerst schwierigen Situation war. Und er hat das Gefühl gehabt, mit der Monarchie ging es. Dollfuß hat erkannt, dass die Monarchisten am entschlossensten gegen den Nationalsozialismus waren und zweitens hat er gesehen, dass die verschiedenen reichischen Gedanken an der Substanz Österreichs vorbeigingen. Es war eine logische Fortsetzung des Österreich-Gedankens. Der christliche Ständestaat war ein Gedanke, der nie die Füße auf den Boden bekommen hat." (Gudula Walterskirchen, Engelbert Dollfuß, S.42)

Ohne Staatsreligion zerfällt die Nation

Wer meint, dass Religion bloß Privatsache sei, der verkennt deren Bedeutung für die Gesellschaft. Fjodor Dostojewski schrieb im „Tagebuch eines Schriftstellers“: „Der Bildung einer Nation ist immer eine sittliche Idee vorausgegangen; die jüdische Nation, die erst nach Moses entstanden ist, sowie viele muslimische Nationen erst nach dem Koran. Und wenn im Laufe der Jahrhunderte das sittliche Ideal einer bestimmten Nationalität zu wanken beginnt, so verfällt auch diese Nationalität, mit allen ihren zivilen Normen und Idealen."

Letztlich überleben die Völker mit der stärksten Religion, oder besser gesagt, der stärksten Religionsbindung, die anderen drohen sich in einem multikulturellen Meer voll von Nihilismus und Materialismus aufzulösen. So meint Ernst Nolte, der große Historiker Deutschlands: "Ein Volk aber, das seine Mission verliert, hat keinen Platz mehr auf der Bühne der Geschichte, es tritt ab und wird, wie im Falle der Deutschen, zum ethnographischen Material des ältesten noch existierenden Religionsvolkes der Erde, das im vielfältigen Ringen mit dem christlichen und konservativen Europa zum Vorkämpfer der Moderne geworden war." Um zumindest noch Österreich zu retten, bedarf es dringend einer starken Monarchie und eines Königs, der sich der Bedeutung von Religion bewusst ist. Auf die Habsburger traf dies immer zu.

Heute erkennen immer mehr Menschen, dass es so nicht weitergehen kann und viele ahnen auch schon, dass wir langsam in ein totalitäres System hinabgleiten. Sie kennen jedoch keine Antwort darauf, denn sie wollen weder von einem König (Monarchie) noch von Gott (Kirche) etwas wissen. Die Antwort erscheint den Menschen paradox und man fürchtet wohl persönliche Freiheiten zu verlieren und im Gegenzug mehr persönliche Verantwortung übernehmen zu müssen. Und natürlich ist der Neid ein großer Faktor auf den sich die Demokratie gründet, aber vor allem ist es der Wunschtraum der Massen nach Herrschaftslosigkeit.

Die moderne Demokratie mitsamt ihrem Wohlfahrtsstaat hat den Menschen diesen infantilen Traum von einem Leben abseits der natürlichen Ordnung ohne Gott und König zumindest für ein paar Jahrzehnte erfüllt. Da träumt man lieber weiter von diversen sozialistisch-kommunistischen Szenarien, oder man bastelt an aussichtslosen, kosmetischen Korrekturen des vorhandenen Systems herum. So ganz Unrecht haben die Massen nicht, auch das zukünftige totalitäre System wird sich ihrer menschlichen Bedürfnisse annehmen, aber es wird eine trügerische Freiheit sein, eine die nur von Nabel abwärts gilt.

Entweder absolute Monarchie oder Totalitarismus

In der Zwischenzeit beobachten wir, wie sich der internationale Sozialismus und der nationale Sozialismus – angeheizt durch eine völlig falsche Immigrationspolitik und die internationale Wirtschafstkrise – immer erbitterter gegenüberstehen, und es ist sogar zu erwarten, dass dies in naher Zukunft in bürgerkriegsähnlichen Zuständen münden wird. In dieser Situation braucht es eine Kraft, die als Brücke zwischen diesen beiden Ideologien fungiert und sie auch in Schach halten kann. In Österreich ist eine Monarchie für diese Aufgabe prädestiniert.

Die zweite Möglichkeit wäre eine Einigung des rechten und des bürgerlichen Lagers unter starker Einbindung von Priestern und anderen religiösen Menschen, welche dann auch einen maßgeblichen Einfluß auf diese Koalition haben müssten. Dann wären wir jedoch höchstens dort, wo Dollfuß schon einmal war. Und wo er letztlich gescheitert ist, weil er die Monarchie nicht restauriert hat um seinem Ständestaat das nötige Fundament zu geben.

Will Österreich dem zukünftigen, europaweiten Totalitarismus entgehen, müssen beide oben genannten Bedingungen realisiert werden. Eine kaum zu lösende Aufgabe, aber ich sehe es als meine Pflicht an, darauf hinzuweisen, dass unser derzeitiges politisches System moralisch am Ende ist und eine Gefahr für den Staat und die Gesellschaft darstellt. Aus meiner Sicht kann der kommende Totalitarismus nur durch eine starke Monarchie und eine ebenso starke Kirche verhindert werden.

Als Theodore Roosevelt Kaiser Franz Joseph 1910 fragte, was er denn in diesem fortschrittlichen 20. Jahrhundert als seine wichtigste Aufgabe betrachte, antwortete ihm der greise Monarch: „Meine Völker vor ihren Regierungen zu beschützen.“

Heute braucht es wieder einen Kaiser, der über den Ideologien der Regierungen und des Zeitgeistes steht und der in Jahrhunderten denkt anstatt in Legislaturperioden.

Der Autor, Jahrgang 1982, ist ehemaliger Laienpriester und arbeitet als Bankangestellter in Wien.

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Die roten Meinungsmacher (9): Die Repolitisierung des Rundfunks: Kreisky und die sozialistische Gegenreform drucken

Am 1.Mai 1970 werden die Karten in Österreich neu gemischt. Die SPÖ gewinnt die Nationalratswahl. Sie ist mit 48,4 Prozent wieder die stärkste Kraft im Land. Die ÖVP unter Klaus sackt auf 44,7 Prozent ab. Klaus zieht die Konsequenzen und wirft das Handtuch. Bruno Kreisky wird Bundeskanzler, und das bleibt er bis zum Jahr 1983.

Den Grundstein zum Wahlsieg der Sozialisten und der Wahlniederlage der Volkspartei hatte die ÖVP mit der Rundfunkreform und der Installierung Bachers als Generalintendant selbst gelegt, so die verbreitete Meinung vieler politischer Kommentatoren. Das weiterhin von Sozialisten gelenkte Fernsehen hatte SPÖ-Chef Kreisky die ideale Bühne für seine Auftritte geboten. Die „Revolution" hat auch in diesem Fall ihre Kinder gefressen.

Kreisky bedankte sich sogar nach gewonnener Wahl bei Gerd Bacher für den fairen und objektiven Journalismus des öffentlichen Rundfunks[i]. Bacher antwortet darauf: „Nichts zu danken. Ist ohnehin ungern geschehen.“[ii]

Kreisky ist im Gegensatz zu Klaus ein für damalige Verhältnisse begnadeter Kommunikator und kennt den richtigen Umgang mit Journalisten. „Mit Bruno Kreisky ist auch der Archetypus des Medienkanzlers verbunden. Wie kein anderer vor ihm schaffte es der „Sonnenkönig“, die öffentliche Meinung im Diskurs mit Journalisten zu seinen Gunsten zu steuern und nutzte darüber hinaus das damals noch junge Medium Fernsehen als erster Berufspolitiker gekonnt“.[iii]

Erste Angriffe auf Bacher

Nach langwierigen Verhandlungen mit der ÖVP bildet die SPÖ mit Duldung der FPÖ, deren Chef damals der ehemalige SS-Obersturmführer Friedrich Peter ist, eine Minderheitsregierung. Politische Beobachter vermuten, dass die Gespräche mit der ÖVP aber ohnehin nur zum Schein geführt worden sind.

Kreisky muss vorerst mit Gerd Bacher leben. Das tut der frischgebackene Kanzler, trotz des Lobes nach der Wahl, aber nur sehr ungern. Er erwartet sich von Bacher sogleich Subordination. In einem ersten Protestanruf im Rundfunk warf Kreisky Bacher vor, er habe es verabsäumt dem neuen Bundeskanzler einen Antrittsbesuch abzustatten.[iv]

Was Kreisky an dem mächtigen Rundfunkchef wirklich stört, ist, dass er mit der nun in der Opposition befindlichen ÖVP genauso verfährt wie zuvor mit der oppositionellen SPÖ: Er lässt sie zu Wort kommen.

Der Hass der SPÖ bzw. von Kreisky auf Bacher geht sogar soweit, dass der Bundeskanzler dem Generalintendanten am Telefon droht: „Nehmen Sie zur Kenntnis, Herr Bacher, dass unsere Auseinandersetzung bis zur letzten Konsequenz geführt wird.“[v]

Wie es sich für ein braves Parteiorgan gehört, startet die Arbeiterzeitung über Wochen eine Anti-Bacher-Kampagne. In dieser aufgeheizten Stimmung musste die SPÖ im Kampf um die Rückeroberung und die Repolitisierung des Rundfunks allerdings zwei schwere Niederlagen einstecken. Da bei der Neubestellung des Aufsichtsrates 1970 die Versuche der SPÖ misslingen, die Machtverhältnisse in ihre Richtung zu verschieben, wird Gerd Bacher im Frühjahr 1971 für weitere vier Jahre zum Generalintendanten bestellt.

Das konnten und wollten Kreisky und die SPÖ nicht hinnehmen. Unermüdlich sammelte man Munition gegen Bacher. Die Sozialisten warfen Bacher im Laufe der Monate unter anderem vor: Korruption, Verletzung des Betriebsratgesetzes, Bruch von Einzeldienstverträgen und sogar die Verletzung der Menschenrechtskonvention in zumindest elf Fällen.[vi]

Nur ein Jahr später änderten sich die politischen Verhältnisse erneut. Nach dem Beschluss eines neuen Wahlrechts, welches den Freiheitlichen entgegenkam, lösten SPÖ und FPÖ den Nationalrat auf. Bei der darauffolgenden Nationalratswahl am 10.Oktober erreicht die SPÖ mit 50 Prozent die absolute Mehrheit. Die SPÖ bildet eine Alleinregierung und kann nun – ausgestattet mit der Mandatsmehrheit im Nationalrat – die Medien- und Rundfunkpolitik im Alleingang gestalten. Gerd Bacher, der erst kurz zuvor für weitere vier Jahre gewählt worden war, wurde die SPÖ, trotz der neuen Machtverhältnisse, zumindest vorerst aber nicht los.

Verzweifelter Kreisky für Privatfernsehen

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet SPÖ-Chef Bruno Kreisky aus dieser Konstellation und Situation heraus, sozusagen als Trotzreaktion und als Gegengewicht zum Bacher-Rundfunk, ein privates Verlegerfernsehen vorschlägt. Kreisky wollte damit seinem Intimfeind Bacher mit Hilfe einer geköderten Presse den Krieg erklären. Eine echte Liberalsierung des Rundfunks hatte Kreisky aber definitiv nicht im Sinn.

Am Parteitag der SPÖ am 18. April 1972 in Villach präsentiert Kreisky den erstaunten Parteigenossen seine Privatfernsehpläne. Die Delegierten waren regelrecht „narkotisiert“, so die Salzburger Nachrichten.[vii] Die heimischen Zeitungsherausgeber sollen nach den Vorstellungen Kreiskys eine Genossenschaft gründen, welche dann neben dem ORF eine zweite Rundfunkgesellschaft betreiben darf. „Solch ein Privatfunk und -fernsehen könnte, laut Kreisky, durch Werbeeinschaltungen nicht nur die eigenen Betriebskosten decken, sondern mit dem Überschuss obendrein die defizitären Zeitungen erhalten.“[viii] Kreiskys Vorschlag sorgte innerhalb und außerhalb der SPÖ für großen Wirbel.

Gerd Bacher nahm den Fehdehandschuh auf und präsentierte wenige Tage später ein mehrseitiges Papier, in dem er das Monopol verteidigt und Kreiskys Pläne attackiert. Unter anderem schreibt Bacher: „Es existiert kein Meinungs-, sondern nur ein Sendemonopol des ORF. Der Mythos vom Meinungsmonopol ist eine gezielte Erfindung, sie ignoriert sowohl den Auftrag des Rundfunkgesetzes zur objektiven Wiedergabe aller gesellschaftlich relevanten Ereignisse als auch die Praxis in den ORF- Redaktionen.“[ix]

Doch Kreiskys medienpolitischer Schnellschuss war ohnehin zu unausgegoren, als dass er hätte umgesetzt werden können. „Nicht nur weil die Verleger nicht gleich darauf einstiegen, sondern weil es ihm (Kreisky A.d.V.) wichtiger schien, den ORF mit zwei Kanälen in die Hand zu bekommen, als sich mit Experimenten zu verzetteln.“[x] Somit ist der erste Vorstoß in Richtung Entmonopolisierung rasch wieder eingeschlafen, zumal die SPÖ dank ihrer absoluten Mehrheit ihre eigentlichen Ziele, ein von ihr kontrolliertes Rundfunkmonopol, ohnehin mittelfristig durchsetzen konnte.

Der ÖVP-Politiker Heribert Steinbauer analysiert in einem Aufsatz die sozialistische Medienpolitik der damaligen Zeit: „(…) wenn man als Marxist weiß – weil man ja die richtigen Ziele hat – wohin sich die Gesellschaft entwickeln soll, dann leitet sich daraus ab, dass die Medien der Gesellschaft bei dieser Entwicklung dienstbar sein müssen. Sind sie es nicht, dann sind sie hinderlich, denn sie schaden ja der Gesamtgesellschaft bei der Erreichung ihrer Ziele.“[xi]

Genau nach dieser Maxime agiert damals die SPÖ, Medien sind nichts anderes als Instrumente zur Verwirklichung linker Utopien. Unabhängige oder gar (SPÖ-)kritische Journalisten sind Kreisky ein Graus. Wer beim Bundeskanzler in Ungnade fällt, der musste mit ernsten Konsequenzen rechnen. Etwa jener Korrespondent einer Bundeslandzeitung, dem Kreisky wegen nicht genehmer Berichterstattung keine Interviews mehr gab.[xii]

Kreisky startet deshalb die Reform der Rundfunkreform, die Repolitisierung des monopolistischen Rundfunks. Das ohnehin rotstichige ORF-Fernsehen soll wieder ganz zum ideologischen Machtinstrument, zum sozialistischen Propagandamedium umfunktioniert werden. Hugo Portisch: „Kreisky drängte darauf, das auf dem Volksbegehren beruhende Rundfunkgesetz zu ändern. Man sagte Rundfunk, aber man meinte Bacher.“[xiii]

Anfang der Repolitisierung

Bacher hat, wie Kreisky ja selbst eingestanden hat, die SPÖ auch zu Zeiten, als sie in Opposition war, journalistisch fair behandelt, trotzdem will Kreisky nicht vom Goodwill des ungeliebten Bacher abhängig sein, er will den Rundfunk ganz direkt kontrollieren, beeinflussen und lenken. „Während Klaus das Rundfunkvolksbegehren ernst nahm und den ORF unter Gerd Bacher in eine vorher ungeahnte Freiheit entließ, verkürzte Nachfolger Kreisky sehr rasch wieder die Zügel des Rundfunks auf ein parteigenehmes Maß.“[xiv]

Nachdem Kreisky zur Zeit seiner Minderheitsregierung und kurz nach der Wahl 1971 noch öfters betont hatte, den Rundfunk nicht reformieren zu wollen, gab am 2. Oktober 1972 ÖGB-Präsident Anton Benya den Startschuss zur ORF-Gegenreform. Er regte die Änderung des Rundfunkgesetzes an. Kreisky nahm den Ball von Benya an: „Jetzt liegen die Dinge anders. Wenn der Präsident der größten Organisation Wünsche anmeldet, kann man das nicht ignorieren.“[xv]

Und damit der Wunsch Benyas auch in Erfüllung geht, setzt Kreisky im Februar 1973 eine Rundfunkkommission aus verschiedensten Persönlichkeiten ein, die ein neues Rundfunkgesetz ausarbeiten soll. „Eine große Eigenständigkeit hat es für diese Kommission jedoch nicht gegeben.“[xvi] Im November 1973 legt die SPÖ dann den Entwurf für ein neues Rundfunkgesetz vor. „Zentrales  Element dieser Reformbestrebungen war allerdings die Entmachtung des Generalintendanten.“[xvii] Der ÖVP-nahe Akademikerbund sieht seine Befürchtungen bestätigt, „dass es sich bei dieser Gesetzesinitiative nicht um eine moderne Neuordnung des Rundfunk- und Fernsehwesens handelt, sondern um den Versuch der Regierungspartei, machtpolitische Vorstellungen durchzusetzen.“[xviii]

Zu dieser Zeit spitzt sich auch der Konflikt zwischen Bacher und Kreisky immer weiter zu. Der Bundeskanzler wirft dem Generalintendanten in der Arbeiterzeitung vor: „Herr Bacher hat offenbar völlig den Kopf verloren. Es gibt keine vernünftige Gesprächsbasis mehr.“[xix]  Bacher seinerseits bezeichnet Kreiskys Aussagen als „Psychoterror“.

Das neue Rundfunkgesetz

Neben der Beseitigung Bachers sind die Kernpunkte des geplanten Rundfunkgesetzes:

  • Der ORF wird von einer GmbH in eine Anstalt öffentlichen Rechts umgewandelt,
  • Die Befugnisse und Rechte des Generalintendanten werden beschnitten,
  • Das bisher bestehende Rundfunkmonopol des ORF wird erstmals gesetzlich verankert,
  • Die öffentlich-rechtlichen Aufgaben des Rundfunks werden in der Verfassung verankert. 

Die Opposition wehrt sich

Die SPÖ drückt den Gesetzesentwurf im Eilzugstempo durch. Am 9.7.1974 wird das Gesetz im Nationalrat debattiert. Für ÖVP und FPÖ ist die Linie klar erkennbar: Der Rundfunk soll zum Machtinstrument der roten Alleinregierung und der von Kreisky so gehasste Gerd Bacher endlich entmachtet werden. FPÖ-Chef Friedrich Peter: „Mit dem neuen Gesetz werde es einen roten Regierungsrundfunk als sozialistisches Machtinstrument geben. Der ORF werde das Korsett eines elektronischen Erfüllungsgehilfen der Regierung sein, letztlich sei es doch nur eine „lex Bacher“, weil sich der Generalintendant bisher weder dem Bundeskanzler noch dem ÖGB-Präsidenten gebeugt habe.“[xx]

Die ÖVP lehnt den Kern des Gesetzes ebenfalls entschieden ab. ÖVP-Generalsekretär Herbert Kohlmaier:

  1. Die Ersetzung der unabhängigen Rundfunkgesellschaft durch eine staatliche Anstalt mit hohem Regierungseinfluss und mit einer gesicherten Mehrheit für die Regierungspartei.
  2. Die Aushöhlung der Funktion des Generalintendanten, die diesen vom Garanten der Unabhängigkeit des Rundfunks zur Marionette der Regierungsmehrheit degradiert.
  3. Die Schaffung zweier selbständiger Fernsehintendanten, die dem Generalintendanten in Programmangelegenheiten nicht unterstehen. Es ist zu erwarten, dass damit ein Rückfall in den vor acht Jahren überwundenen Proporzrundfunk erfolgt.“[xxi]

Täuschungsmanöver der SPÖ

Dass sich die SPÖ in der Parlamentsdebatte immer wieder auf das Rundfunkvolksbegehren von 1964 beruft, zeigt einmal mehr, mit welchem Zynismus die Sozialisten die Repolitisierung des ORF und die Einzementierung des Rundfunkmonopols betreiben. Heinz Fischer, der spätere Bundespräsident, schwingt sich nach einer zehn Jahre andauernden Schrecksekunde sogar zum Anwalt jener 832.353 Österreicher auf, die 1964, das Rundfunkvolksbegehren unterzeichnet hatten:

„Ich habe Ihnen kurz die politischen Veränderungen geschildert, die Sie, meine Damen und Herren von der ÖVP und von der FPÖ, 1966 am Volksbegehren vorgenommen haben, die Ihnen meiner Meinung nach den moralischen und auch den rechtlichen Anspruch nehmen, sich auf dieses Volksbegehren zu berufen.“[xxii]

Fischer, seinerzeit scharfer Gegner des Volksbegehrens und der „präpotenten Journaille“, jetzt „Vorkämpfer“ für die Ziele des Rundfunkvolksbegehrens, eine wundersame Metamorphose. Doch Fischers Wandlung zum Rundfunk-Paulus ist natürlich nicht mehr als Taktik, Camouflage und eine Verhöhnung jener hunderttausenden Österreicher, die seinerzeit für einen unabhängigen Rundfunk eingetreten sind, zumal die „Volksbegehrensveranstalter in einer Abschlusserklärung das bestehende Gesetz ausdrücklich als Erfüllung des Volksbegehrens bezeichneten.“[xxiii]

Heinz Fischer und seinen Genossen geht es, wie auch 1964 und 1966 um nicht mehr und nicht weniger als um die Kontrolle des wichtigsten Massenmediums des Landes. Jetzt haben sich allerdings die Machtverhältnisse geändert und der relativ unabhängige Rundfunk soll wieder – so wie auch schon in der Nachkriegszeit von den Sozialisten propagiert – zum sozialistischen Volksfunk, zum Instrument des Klassenkampfes werden. Das lässt sich sehr gut an Karl Blechas Wortspende im Nationalrat ablesen, soferne man ihn von den vielen Allgemeinplätzen und Lippenbekenntnisse zu Pluralität und Meinungsfreiheit befreit.

So ist für Blecha das Rundfunkmonopol nach wie vor sakrosankt: „Das in Osterreich bestehende Sendemonopol, das nicht in Frage gestellt werden soll (warum eigentlich? A.d.V.), ist historisch begründet durch einen relativen Mangel zur Verfügung stehender Frequenzen.“[xxiv] Dieser angebliche Frequenzmangel war allerdings nie mehr als eine billige Ausrede, um ein Monopol zu installieren und den Rundfunk zu kontrollieren, denn in den USA – wo es von Anfang an ein liberales Rundfunksystem mit vielen verschiedenen Sendern und Stationen gibt – gelten, nach allgemeiner Ansicht der Naturwissenschafter, die selben physikalischen Gesetze wie in Österreich.

Und obwohl (oder gerade weil) dieses Scheinargument Mitte der 70er angesichts des aufkommenden Kabel- und Satellitenfernsehens  nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, soll das Monopol, quasi als Gewohnheitsrecht der Parteien, der Regierung und des Staates gesetzlich geschützt und weitergeführt werden.

Karl Blecha: „Hörfunk und Fernsehen werden überregional oder, wenn das Kabelfernsehen einmal hinzukommt, auch regional immer Monopolunternehmen sein (… ) Um hier von allem Anfang an dem in der österreichischen Medienlandschaft herrschenden Faustrecht jener, die über Geld und Macht verfügen, einen Riegel vorzuschieben, werden wir heute als Hohes Haus ein eigenes Bundesverfassungsgesetz zur Sicherung der Rundfunkunabhängigkeit beschließen.“[xxv]

Soll im Klartext heißen: Bevor der technische Fortschritt neue Tatsachen schafft, wird das ORF-Monopol noch rasch – und mit sozialistischer Mehrheit – gesetzlich festgeschrieben. So sieht die neue „Rundfunkfreiheit“, für die sich Kreisky, Fischer, Blecha und Genossen ganz im „Sinne“ des Rundfunkvolksbegehrens einsetzen also aus.

Kreisky-Funk: Ein klarer Rückschritt

Dr. Karl Korinek, einer der bedeutendsten Verfassungsrechtler, konstatiert: „Das Rundfunkgesetz 1974 habe aus dem faktisch existierenden Rundfunkmonopol ein rechtliches Rundfunkmonopol gemacht und damit den ORF auch ausschließlich zur Verbreitung von Programmen über Kabel ermächtigt.“[xxvi]

Auch die Zeitungen, die seinerzeit das Volksbegehren initiiert hatten, sind mit der roten Rundfunkreform alles andere als glücklich. Sie schreiben unter anderem in einer im Juli 1974 veröffentlichten Erklärung: „Das im Parlament beschlossene neue Rundfunkgesetz ist geeignet, einen elementaren Grundsatz des Volksbegehrens, die weitgehende Ausschließung direkten und indirekten parteipolitischen Einflusses auf Hörfunk und Fernsehen, unwirksam zu machen. (…) dass dieses Rundfunkgesetz als Ganzes den Rundfunk unausweichlich in größere Abhängigkeit vom Staat und der jeweiligen Regierung bringt.“[xxvii]

Unterzeichnet haben diese Erklärung: Kleine Zeitung, Die Presse, Kurier, Oberösterreichische Nachrichten, Salzburger Nachrichten, Vorarlberger Nachrichten und die Wochenpresse.

Die wahren Absichten und Ziele der Sozialisten bleiben natürlich auch der Opposition nicht verborgen. Einen Tag nach dem Beschluss schreibt die ÖVP in einer Aussendung: „nach der Umwandlung des unabhängigen Rundfunks in einen Staatsrundfunk durch die knappe SP-Parlaments-Mehrheit wird ein Generalangriff der Sozialisten auf die unabhängigen Medien in Österreich befürchtetet“.[xxviii] Auch die Kleine Zeitung schlägt in die selbe Kerbe: „die harte Welle der Sozialisten gegenüber dem Massenmedium ORF war gestern sicher kein Zufall (…) der Krieg der Sozialisten gegen die unabhängigen Massenmedien des Landes soll nach dem Willen von Kreiskys Zentralsekretär Fritz Marsch offenbar weitergehen“[xxix].

Die SPÖ hat ihre medien- und machtpolitischen Ziele mit einer solchen Konsequenz und Unerbittlichkeit umgesetzt, dass das sogar der ÖVP Bewunderung abringt. Heribert Steinbauer: „Ich glaube, bei einer historischen Betrachtung des Rundfunkgesetzes 1974 muss man zweifellos dieses Erzeugen einer breitflächigen Drucksituation gegenüber dem zentralen und einzigen Radio- und Fernsehunternehmen einmal als politische Leistung nüchtern konstatieren.“[xxx]

Für Gerd Bacher hat die Rundfunkreform von Kreisky „die Parteipolitik wieder massiv hereingebracht“[xxxi].

Bereits am 21. Juli wird der Posten des Generalintendanten neu ausgeschrieben. Als klar wurde, dass Bacher abserviert werden sollte, formierten sich Prominente aus Kunst und Kultur, die ja gemeinhin eher dem linken politischen Lager zuzurechnen sind, um Gerd Bacher zu retten. Den Brief an Kreisky unterschrieben unter anderem: Arik Brauer, Franz Antel, Axel Corti, Milo Dor, Gottfried von Einem, Paul Flora, Ernst Fuchs, Andre Heller oder Manes Sperber.[xxxii]

Kreiskys Reaktion: er setzte die „Österreicher für Bacher“ ganz offen unter Druck. Die Unterzeichner erhielten folgendes Telegramm:

„im zusammenhang mit einem in der oeffentlichkeit bekanntgewordenen irrtum bitte ich sie mir mitzuteilen ob es den tatschen entspricht dass sie eine erklaerung fuer den weiterverbleib von orf-generalintendant gerd bacher unterzeichnet haben. Mit besten gruessen johannes kunz pressesekretaer des bundeskanzlers.“[xxxiii]

Trotz der äußerst fragwürdigen Staatstelegrammaktion wurde Kreisky nicht müde zu betonen, keinen Einfluss auf Personalentscheidungen im Rundfunk auszuüben.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächstes Kapitel: Die Gefahr aus dem All: Der Beginn der Satelliten- und Kabelrundfunk Ära)

Literatur

Dieman, Kurt: ORF – Hintergründe und Abgründe. Graz 1978

Magenschab, Hans: Demokratie und Rundfunk – Hörfunk und Fernsehen im politischen Prozess Österreichs. Wien 1973

Parlamentsklub der Österreichischen Volkspartei (Hg.): Der Griff nach dem Rundfunk. Wien 1974

Steinbauer, Heribert: Die „Reform“ der Rundfunkreform 1974 durch die SPÖ-Alleinregierung unter Bundeskanzler Kreisky und deren politische Konsequenzen. In: Christliche Demokratie 4/87

Vodopivec, Alexander: Die Quadratur des Kreisky – Österreich zwischen parlamentarischer Demokratie und Gewerkschaftsstaat.  Wien 1975

Weinek, Andreas: Geschichte der Rundfunkgesetzgebung – Rechtshistorische Betrachtung des Rundfunks in Deutschland und Österreich, Saarbrücken 2008

Endnoten

[i] Siehe Kleine Zeitung; 11.1.2011.

[ii] Der Spiegel; Nr.18/1972 Seite 101.

[iii] Kleine Zeitung; 11.1.2011.

[iv] Siehe Der Spiegel; Nr.18/1972 Seite 101.

[v] Der Spiegel; Nr. 18/1972 Seite 101.

[vi] Siehe Der Spiegel; Nr. 18/1972 Seite 101.

[vii] Siehe Der Spiegel; Nr. 18/1972 Seite 100.

[viii] Der Spiegel;  Nr. 18/1972 Seite 100

[ix] „Ein Diskussionsbeitrag des ORF“ vorgelegt von Generalintendant Gerd Bacher in der Pressekonferenz vom 27. April 1972

[x] Dieman. 1978,  Seite 42

[xi] Steinbauer. 1987, Seite 241f.

[xii] Siehe Steinbauer. 1987, Seite 242f.

[xiii] Siehe Gerd Bacher zu Ehren, Seite 67.

[xiv] Andreas Unterberger: Der Fall Bruno Kreisky auf www.ortneronline.at  (29.06.2011)

[xv] ÖVP Parlamentsklub (Hg.). 1974, Seite 21.

[xvi] Steinbauer. 1987, Seite 242.

[xvii] Weinek. 2008, Seite 96

[xviii] Austria Presse Agentur; 18.8.1973

[xix] Arbeiterzeitung zitiert nach ÖVP Parlamentsklub (Hg.).1974, Seite 33.

[xx] Austria Presse Agentur; 9.7.1974

[xxi] ÖVP Pressedienst; 9.7.1974.

[xxii] Stenographisches Protokoll der 111 Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich XIII Gesetzgebungsperiode 9/10. 7.1974.

[xxiii] ÖVP Parlamentsklub (Hg.). 1974, Seite 25.

[xxiv] Stenographisches Protokoll der 111 Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich XIII Gesetzgebungsperiode 9/10. 7.1974.

[xxv] Ebenda.

[xxvi] Austria Presse Agentur 6.5.1977.

[xxvii] ÖVP Parlamentsklub (Hg.). 1974, Seite 102f.

[xxviii] ÖVP Pressedienst; 11.4.1974.

[xxix] Kleine Zeitung; 11.4.1974.

[xxx] Steinbauer. 1985, Seite 241.

[xxxi] Gerd Bacher Interview. In:  Der Standard; 12./13.11.2005

[xxxii] Siehe Dieman. 1978, Seite 45

[xxxiii] Dieman. 1978, Seite 45

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Die Kondolenz im Wasserglas drucken

Es zählt ja nun wirklich nicht zu den wichtigsten Fragen der Weltgeschichte. Aber der Sturm im österreichischen Wasserglas um Kondolenzen und Nicht-Kondolenzen zum Tod des blutrünstigen nordkoreanischen Diktators ist dennoch so signifikant wie heiter.

Man könnte sagen: Wir kondolieren, weil wir ja trotz allem diplomatische Beziehungen zu jenem Land haben, weil wir das ohne Ansehen der kriminellen Energie bei jedem Staatschef tun, weil in Wahrheit ein Großteil der weltweiten Machthaber nach unseren Maßstäben ins Gefängnis gehörte und man sich jedoch nicht mit aller Welt anlegen kann, weil wir vielleicht durch solche unverbindliche Gesten irgendwann den Nordkoreanern eine humanitäre Konzession oder einige Exportaufträge abringen können.

Man könnte aber auch sagen: Wir kondolieren nicht, weil wir an so üblen Gestalten wie Kim Jong-il nicht einmal nach deren Tod anstreifen wollen, weil für uns die Menschenrechte der oberste Maßstab sind, weil man zumindest beim unappetitlichsten Diktator des gesamten Erdballs ein Exempel setzen muss.

Aber: Wer weder das eine noch das andere tut, sitzt zwischen allen Stühlen. Und besonders peinlich wird es, wenn man dabei so herumeiert wie Österreich und insbesondere sein Bundespräsident.

Dieser ließ nämlich offiziell die nordkoreanische Meldung dementieren, dass er sein „tiefes Beileid“ ausgedrückt habe. Im gleichen Atemzug musste aber sein Sprecher zugeben, dass eine „Mitarbeiterin“ die nordkoreanische Botschaft besucht und „persönlich kondoliert“ habe.

Was nur noch skurril ist: Denn natürlich muss sich die (dem gemeinen österreichischen Volk gegenüber nicht näher identifizierte) Dame dort als Vertreterin des Bundespräsidenten geoutet haben. Sonst wäre sie gar nicht empfangen worden. Und falls sie das ohne Wissen Heinz Fischers getan hätte, hätte sie in jeder normalen Präsidentenkanzlei nach Bekanntwerden umgehend ihren Schreibtisch räumen müssen. Aber es zweifelt ohnedies niemand, dass sie von Fischer selbst entsandt worden ist. Was natürlich heftig an Fischers Vergangenheit als Vizepräsident der nordkoreanischen Freundschaftsgesellschaft zu erinnern, einer Plattform für Geschäftemacher, senile Altpolitiker und ideologische Sympathisanten des Steinzeitkommunismus.

Ähnlich absurd wurde die Uminterpretation des Kondolenz-Besuches des SPÖ-Abgeordneten Anton Heinzl „als Privatperson“ in der Botschaft. Dieser musste nun die nordkoreanische Meldung dementieren, dass durch ihn die „SPÖ St. Pölten“ kondoliert hätte. Aber vielleicht die SPÖ St.Pölten Süd?

Das Außenministerium hat zwar wenigstens auf einen Kondolenzbesuch verzichtet. Aber der Hort der heimischen Diplomatie hat dennoch versucht, sich irgendwie bei trockener Haut zu waschen: Man habe kein normales Kondolenzschreiben, sondern nur ein formloses Schreiben an das nordkoreanische Volk(!) verschickt, wird nun betont. Ah, so ist das! Ich sehe geradezu die hungernden Nordkoreaner vor mir, wie sie begeistert die Post vom Wiener Minoritenplatz aufmachen und studieren. Und dann möglicherweise wütend sind, weil das gar kein „normales Kondolenzschreiben“ ist, sondern nur ein – ja was? Vielleicht ein abnormales?

Hurra, der Fasching ist da! Die Obrigkeit signalisiert uns, dass es die Zeit des Lachens ist. Und sie selbst kann bald wieder ihre Orden für besondere diplomatische Fähigkeiten auslüften.

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Lasst die Gedanken frei – und scheinen sie euch auch böse drucken

Kein Zweifel: Die Türken haben an den Armeniern am Rande des Ersten Weltkriegs einen Völkermord begangen. Das ist nicht nur durch Franz Werfels großes Werk bewiesen. Ebensowenig Zweifel gibt es aber auch an einer zweiten Erkenntnis: Die von Frankreich jetzt eingeführte strenge Bestrafung der Leugnung dieses Genozids ist ein ziemlicher Schwachsinn.

Diese Diagnose hängt überhaupt nicht mit den wilden Reaktionen des türkischen Machthabers Erdogan zusammen. Diese Reaktionen wecken im Gegenteil eher Sympathien für Frankreich. Diese Diagnose hängt auch nicht damit zusammen, dass durch das französische Gesetz den türkischen Ambitionen, der EU beizutreten, das bisher wirksamste Stopplicht entgegengesetzt worden ist (obwohl es dabei gar nicht um den Beitritt geht). Eine türkische EU-Mitgliedschaft ist zwar abzulehnen, weil sie aus vielerlei Gründen den Untergang der Union bedeuten würde. Aber diese Ablehnung sollte man bitte mit ehrlichen Begründungen und nicht über die Völkermord-Bande kommunizieren.

Schon gewichtiger bei der Kritik am französischen Beschluss, die Leugnung eines Völkermords mit Strafe zu belegen, ist dessen Hauptmotiv: Es geht nämlich im Wahrheit nur um die Stimmen der relativ großen armenischen Gemeinde bei der nächsten Präsidentenwahl. Türkische Zuwanderer hingegen spielen in Frankreich eine zahlenmäßig sehr geringe Rolle (wirklich gewichtig sind dort unter den Zuwanderern die Araber). Aber jedenfalls ist es von Übel, wenn solche wahltaktischen Motivationen einen Beschluss über ein neues Strafgesetz beeinflussen, das noch dazu Grundrechte beschneidet.

Aber am allermeisten stört, dass sich – ausgerechnet – Frankreich mit diesem Gesetz weit von der Aufklärung und ihren liberalen Grundsätzen verabschiedet. Von Voltaire und von vielen anderen vor allem französischen (und englischen) Geistern wurde einst das entscheidende Fundament gelegt, auf dem sich Vernunft und Wahrheit gegen die Regeln der Macht durchsetzen konnten. Diese Durchsetzung kann immer nur durch Überzeugung und Beweise geschehen und nie durch Zwang oder Anordnung, die ja in den Jahrtausenden davor immer der Wahrheit den Weg versperrt haben.

Es ist daher für ganz Europa bedrückend, wenn sich ausgerechnet im Mutterland der Aufklärung nun die Antiaufklärung so dramatisch durchsetzt.

Zurück zum Faktum Völkermord. Auch wenn niemand genau definieren kann, was Völkermord eigentlich ist, ab welcher Zahl Getöteter dieser Ausdruck legitim ist, so hat es doch zweifellos viele solcher Genozide gegeben. Nicht nur an den europäischen Juden durch Hitler-Deutschland. Nicht nur an den Armeniern durch die Türken (die im ersten Weltkrieg übrigens mit Österreich verbündet waren, das angesichts der auf dem Weg über Österreich bekanntgewordenen Massaker sehr verzweifelt, aber letztlich zum Ignorieren verurteilt war).

Ist aber nicht auch die weitgehende Auslöschung der indigenen Einwohner Amerikas durch die einwandernden Weißen ein solcher Völkermord gewesen? Waren das nicht auch die millionenfachen Morde der Sowjetunion an Ukrainern, Tataren und anderen Völkern? War das nicht auch das Gemetzel der Roten Khmer unter den Kambodschanern? Was haben eigentlich im Dreißigjährigen Krieg die Schweden in Mitteleuropa getan? Was taten die Normannen im Mittelalter? Die arabischen Sklavenjäger in Südeuropa? Die europäischen in Westafrika?

Die Geschichtsbücher sind voll solcher Greueltaten. Manche schriftlosen Völker wurden sogar ausgelöscht, ohne wenigstens eine Erinnerung hinterlassen zu können.

Ein aufgeklärter liberaler Rechtsstaat muss sich diesen Taten stellen, wo auch immer er damit konfrontiert wird. Durch Bestrafung von Tätern, wo solche noch am Leben sind. Durch offene wissenschaftliche Aufarbeitung. Durch scharfe verbale und intellektuelle Auseinandersetzung mit jenen Menschen, die jene Fakten leugnen oder beschönigen oder gar rechtfertigen.

Wer hingegen diese Auseinandersetzung durch Denkgebote und -Verbote ersetzen will, der trägt nur zur Entstehung  von Mythen bei, der macht aus Tätern Märtyrer. Wer glaubt, sich einem Dummkopf oder Fanatiker nur mit Hilfe des Strafrichters stellen zu können, ist feig und faul. Was Dummkopf und Fanatiker natürlich sofort in eine moralisch überlegene Position bringt, wo sie sicher nicht hingehören.

Wenn nun das Leugnen von Völkermord unter Strafe gesetzt wird, welche vermeintlichen oder wirklichen Wahrheiten werden als nächster Schritt unter strafrechtlichen Schutz gestellt? Etwa die Zweifel an der Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit ständig steigender Staatsschulden? Etwa die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der derzeit politisch beschlossenen Klimatheorien? Etwa Kritik an der Gesamtschule? Etwa Kritik an der Massenzuwanderung?

Frankreich ist jedenfalls kein Einzelfall. Europaweit reduziert der Durchgriff der Politik, reduzieren Wahlkampfinteressen genauso wie die dumpfe Political Correctness immer mehr die Meinungsfreiheit, deren Kern Voltaire am besten ausgedrückt hat: „Ich lehne zutiefst ab, was sie sagen. Aber ich werde immer alles tun, damit sie es sagen können.“

Was besonders bedrückt: In Zeiten wirtschaftlicher Nöte und Engen geht es der Meinungsfreiheit meist noch verstärkt an den Kragen. Daher sollte man fast ignorieren, was uns die Wirtschaftsforscher fürs kommende Jahr alles an Grauslichkeiten prognostizieren . . .

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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Die roten Meinungsmacher (8): Der Rundfunktiger: Die Ära Bacher I drucken

Nachdem ÖVP und FPÖ das Rundfunkgesetz beschlossen hatten, musste noch der geeignete Mann (Frauen standen damals nicht zur Debatte) gefunden werden. Er sollte als Generalintendant die Entpolitisierung der aufgeblähten und ineffizienten Rundfunkanstalt in die Tat umsetzen.

Der Posten wurde öffentlich ausgeschrieben. Gleich 45 Bewerber wollten Generalintendant des österreichischen Rundfunks werden.[i] Einer von Ihnen war Gerd Bacher, damals Leiter des Molden Verlags. Bacher konnte auf die Unterstützung und Fürsprache der Initiatoren des Volksbegehrens, der Chefredakteure Csoklich, Portisch, Ritschel, Polz und Schulmeister zählen. „Helmut Zilk und Kurt Tozzer servierten den Namen Bacher: früher beim „Express“, inzwischen beim Molden-Verlag. Der Name wurde bald zum Selbstläufer“[ii].

Zilk wurde daraufhin zum ÖVP-Generalsekretär vorgeladen. Helmut Zilk: „Der Hermann Withalm war misstrauisch. Auch der Kanzler Klaus. Dennoch haben sie ihn schließlich genommen: Mein Gott der ist wenigstens konservativ! So hamma den Bacher erfunden.“[iii]

Der Aufsichtsrat der ORF GmbH wählt Gerd Bacher mit 13 zu 12 Stimmen zum neuen Generalintendanten. Und Bacher sorgt gleich zu Beginn seiner Tätigkeit für einen Schock, bei beiden Parteien: Er feuert die vier bisherigen Rundfunkdirektoren, allesamt Proponenten des Proporzsystems. Sie mussten auf Anweisung Bachers ihre Schreibtische sofort räumen.[iv]

Karikatur: „Die Presse/Ironimus“

Weiterhin Proporz unter Bacher

Auch Bacher, der allgemein als Konservativer, in den Augen der Sozialisten auch als „Rechter“ galt, trägt den politischen Realitäten in Österreich Rechnung und besetzt das 4-köpfige Direktorium erneut mit zwei Sozialisten und zwei Bürgerlichen: Mit Alfred Hartner als Hörfunkdirektor und Helmut Lenhardt als kaufmännischer Direktor wird die schwarze Reichshälfte bedient, mit Helmut Zilk als Fernsehdirektor und Georg Skalar als technischer Direktor die linke.

Dazu holt sich Bacher noch den strammen Sozialisten und erbitterten Gegner des Rundfunkvolksbegehrens (und damit des Volkswillens), den Chefredakteur der Arbeiterzeitung Franz Kreuzer als Fernsehchefredakteur sowie den konservativen Alfons Dalma als zentralen Chefredakteur ins Boot. Bacher kaufte – wie der Spiegel damals schrieb – „neue Leute ein – paritätisch von der Linken und von der Rechten“[v].

Das Proporzsystem hat also auch unter Bacher nicht wirklich ausgedient, auch wenn er bei seiner Antrittsrede vor den Rundfunkmitarbeitern vollmundig verkündet: „Das Parteibuch hat bei uns seine Funktion als karriereförderndes Wertpapier verloren.“[vi]

Bacher transformiert den Rundfunk von einem drögen staatlichen Verkündigungsorgan in eine moderne und vor allem professionelle Rundfunkanstalt. Was natürlich nicht heißt, dass der ORF unter Bacher tatsächlich entpolitisiert worden wäre und die Parteien keinen Einfluss mehr gehabt hätten. Bacher unterbindet allerdings weitgehend den direkten unverschämten Zugriff der Parteien auf Personalfragen, das Programm und die Berichterstattung. Sehr zum Ärger der Sozialisten. Sie erklären ihn zu ihrem Lieblingsfeindbild.

„Die Betroffenen heulten auf, zuerst die oppositionellen Sozialisten. Sie ernannten den Generalintendanten zum „General-Dilettanten“, schmähten ihn als Goldmacher Goldbacher“.[vii]

Als Aufhänger für ihre Attacken gegen den unliebsamen Bacher diente das Gehalt des Generalintendanten. Bacher hatte sich eine für damalige Verhältnisse äußerst großzügige Gage (etwa 40.000 Schilling monatlich) ausverhandelt.

„Als Bacher einen prominenten roten Fernseh-Mann feuerte, tobte SPÖ Chef Bruno Kreisky im Parlament: „Das lassen wir uns nicht gefallen.“[viii]

Inhaltliche Weiterentwicklung im ORF

Trotz dieser Anfeindungen und ausgestattet mit zahlreichen Vollmachten krempelt Bacher das ORF Programm vollkommen um. Die Rede ist damals von einer „Informationsexplosion“. Dalma führte drei Hörfunkjournale pro Tag ein, Kreuzer die großen Nachrichtensendungen und Sendereihen im Fernsehen, die berüchtigten Belangsendungen wurden zeitlich eingeschränkt. Zudem startet Bacher ein neues bundesweites Radioprogramm, den Popsender Ö3.

Unter Bacher wurde aus dem mittelalterlichen Dorftrommler, der die Entscheidungen der Obrigkeit wortgetreu verkündete, eine Monopolanstalt, in der nun politische Einflussnahme und Interventionen nicht mehr bequem und direkt per Weisung, sondern diffiziler und mit mehr Geschick durchgeführt werden mussten. Der ORF war fortan nicht nur ein Machtinstrument der Parteien, er war selbst zum Machtfaktor geworden und nicht mehr länger nur ein Bauer am medienpolitischen Schachbrett.

Gerd Bacher, der sich selbst einmal als „heimatlosen Rechten“ bezeichnete, hatte es geschafft, sich selbst in das politische Machtspiel einzubringen, er war nicht mehr, so wie die früheren Rundfunkchefs, einfacher Befehlsempfänger, sondern selbst wichtiger Akteur im Kampf um Macht und Einfluss in diesem Land. Die Politik und die Parteien mussten sich mit dem Generalintendanten arrangieren.

Unzufriedenheit in der ÖVP

Das merkte auch die Volkspartei, die die Rundfunkreform umsetzte und Bacher inthronisierte. „Auch die konservative ÖVP wollte sich die Bacheriaden nicht gefallen lassen.“[ix] Rund zwei Jahre nach der Rundfunkreform sagte Bundeskanzler Josef Klaus zu Bacher: „so war die Rundfunkreform eigentlich nicht gemeint.“[x]

Viele in der ÖVP bereuten, Bacher zum neuen starken Mann im ORF gemacht zu haben. Bacher zeigt nämlich wenig Dankbarkeit, das so wichtige Fernsehen blieb auch unter seiner Führung, mit Franz Kreuzer an der Spitze, fest in roter Hand.

Heinrich Drimmel: „Die Selbsttäuschung, der Führungskreise der ÖVP nach dem scheinbar fulminanten Sieg von 1966 unterlagen, steigerte sich noch einmal, als diesem Sieger auf dem Fuß jene Reform des Österreichischen Rundfunks folgte, bei der ein bisheriger sozialistischer Fernsehdirektor durch Gerd Bacher und sein System abgelöst wurde. Was damit wirklich geschah, hat niemand anderer mit derart zynischer Offenheit ausgedrückt, als Franz Kreuzer, der damals vom Posten des Chefredakteurs des sozialistischen Zentralorgans Arbeiterzeitung in die erste Reihe der Meinungsmacher im ORF aufrückte.

Nach den eigenen Worten Kreuzers hat die ÖVP mit ihrer Rundfunkreform von 1966 ein Opfer auf dem Altar des Vaterlandes gebracht. Wer weiß, was für einen Stellenwert die Begriffe Altar, Vaterland und Opfer für einen sozialistischen Chefredakteur haben, spürt den Hohn des erfolgreichen Gegners, der damit zum Ausdruck kommt.

Um zu beweisen was real geschah, fügte Kreuzer diesem Hohn auf den Verlierer gleich konkrete Hinweise darauf hinzu, worin die SPÖ bei der ÖVP-Rundfunkreform gesiegt hätte: Der so reformierte ORF hat demnach bisherige Autoritäten, damals noch vorwiegend aus der ÖVP, abgebaut und er hat die SPÖ an potentielle SPÖ-Wählerschichten herangebracht, an die die Partei vorher nie herangekommen war.“[xi]

Deshalb glauben viele in der ÖVP – ob zu Recht oder nicht – dass die Nachrichtenpolitik Bachers Schuld an zwei für die Volkspartei verlorenen Landtagswahlen ist. Bacher wird zum „meistgehassten Mann der Alpen-Republik“[xii], schreibt der Spiegel.

Kreisky arrangiert sich

Und weil man Bacher nicht mehr so einfach los wird und das mittlerweile auch noch besser gemachte Fernsehen zum immer wichtigeren Faktor zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung wird, reagiert die SPÖ, die Medienpolitik stets als Machtpolitik und Medien stets als Machtinstrumente verstand, und arrangiert sich mit Gerd Bacher. SPÖ-Chef Kreisky lädt Bacher zu Naturschnitzel, Vogerlsalat und Kohlsprossen in seine Villa in Wien-Döbling. „Dann verkündete der Chef-Sozialist, seine Partei werde künftig „mit dem Rundfunk leben“. Als Dank erhofft sich Kreisky Äther-Begünstigung für die SPÖ – was ihr bei den nächsten Parlaments­wahlen helfen könnte.“[xiii]

Ein gutes Verhältnis zum Rundfunk und zu Gerd Bacher war für die Parteien von enormer Wichtigkeit, denn damals galt das staatliche Rundfunkmonopol – wie auch immer deren konkrete Ausformung aussah – in Österreich und in (fast) ganz Europa als alternativlos. Lediglich in Großbritannien und im kleinen Luxemburg gibt es Ende der 60er bereits private TV-Sender. Das Monopol wurde damals von keinem Politiker auch nur ansatzweise in Frage gestellt. Privater Rundfunk – obwohl in den USA seit Jahrzehnten Standard – war etwas geradezu Unvorstellbares. Trotzdem gibt es bereits Anfang der 70er, abseits der Politik, ganz leise und zaghafte Überlegungen in diese Richtung.

Bei einer vertraulichen Unterredung will der Chef des Kuriers, Ludwig Polsterer, erkunden, wie Bacher zu einem „privaten Werbefernsehen“ steht. Bachers Antwort:

„Ich habe alles Verständnis für privatwirtschaftliche Erwägungen. Aber als Geschäftsführer des Österreichischen Rundfunks wird meine Loyalität unteilbar sein.“[xiv]

Vorstöße in diese Richtung sind damals äußerst selten, wenig konkret und konsequent. Das Monopol ist Ende der 60er noch weitgehend sakrosankt. Das heißt, man braucht seine Existenz weder zu verteidigen noch mit Argumenten zu begründen.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)

Literatur

Kriechbaumer, Robert (Hg.): Die Ära Josef Klaus; Wien 1998

Österreichischer Rundfunk (Hg.): Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag; Salzburg, Wien 1985

Portisch, Hugo: Das Volksbegehren und Bacher I.  In: Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag, Salzburg 1985

Sandner, Wolfgang: Das Rundfunkvolksbegehren – Eine Analyse der Reform des Österreichischen Rundfunks. Dissertation. Wien 1969

Schmolke, Michael (Hg.): Der Generalintendant – Gerd Bachers Reden, Vorträge, Stellungnahmen aus den Jahren 1967 bis 1994 – Eine Auswahl; Wien 2000

Endnoten

[i] Portisch. 1985,  Seite 58.

[ii] Hans Werner Scheidl: 1967 – Kulturrevolution: Die Krallen des Tigers in Die Presse 30.4.2005.

[iii] Ebenda

[iv] Portisch. 1985, Seite 61.

[v] Der Spiegel Nr.3/1968, Seite 87.

[vi] Schmolke. 2000, Seite 48.

[vii] Der Spiegel; Nr.3/1968, Seite 87.

[viii] Der Spiegel; Nr.3/1968, Seite 87.

[ix] Der Spiegel; Nr.3/1968, Seite 87.

[x] Siehe Die Presse, 30.4.2005.

[xi] Kriechbaumer. 1998, Seite 84.

[xii] Der Spiegel; Nr.3/1968, Seite 87.

[xiii] Der Spiegel; Nr.3/1968, Seite 87.

[xiv] Der Spiegel; Nr.3/1968, Seite 87.

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Die roten Meinungsmacher (7): Die Rundfunkreform unter Josef Klaus drucken

Die Geburtsstunde der großen Rundfunkreform, in der die Ziele des Volksbegehrens weitgehend umgesetzt worden sind, ist das Debakel der Sozialisten bei der Nationalratswahl am 6. März 1966. Die ÖVP unter Dr. Josef Klaus erringt mit 48,35 Prozent die absolute Mandatsmehrheit. Die SPÖ kommt auf lediglich 42,56 %. Nicht zuletzt deshalb, weil sie das Rundfunkvolksbegehren – wie es auf gut österreichisch heißt – nicht einmal ignoriert und damit die eindeutige Willensbekundung von über 800.000 Österreichern schlicht missachtet hatte.

Der Chef  der niederösterreichischen Sozialisten Dr. Otto Tschadek: „(…) Dazu kam noch, dass es sich diesmal um das erste Volksbegehren nach Einführung der gesetzlichen Bestimmungen über das Volksbegehren handelt, sodass schon aus diesem Grunde eine andere Taktik zu empfehlen war. Im Endergebnis ist auch diese Aktion zu einer Belastung für die Partei geworden, die das Wahlresultat vom März 1966 mit beeinflusst hat.“[i]

Tschadek stößt sich also nicht so sehr daran, dass seine Partei den Rundfunk nicht entpolitisieren wollte, er kritisiert vielmehr die falsche Taktik, also die Kommunikationsstrategie, mit der es offensichtlich nicht gelungen war, die Bevölkerung über die wahren medienpolitischen Absichten der SPÖ zu täuschen.

Mit welcher Härte und mit welchen Mitteln die Sozialisten ihre Interessen im Medienbereich durchzusetzen wollten und welches Verhältnis sie zu den unabhängigen Medien hatten, hat der Wahlkampf 1965/66 eindrucksvoll aufgezeigt. Nach dem Parteiausschluss von Franz Olah startete die Kronen Zeitung publizistische Angriffe gegen die SPÖ, insbesondere gegen Christian Broda, Bruno Pittermann und ÖGB-Präsident Anton Benya.

Knapp vor den Wahlen ließ der ÖGB mittels Einstweiliger Verfügung die Redaktion und die Verwaltung der Kronenzeitung polizeilich besetzen und vorübergehend unter kommissarische Verwaltung stellen. Anlass waren Gewerkschaftsgelder, die via Olah an die Kronenzeitung geflossen sind. Die Besetzung wurde kurz darauf von der nächsten Instanz wieder aufgehoben, das „ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass hier in der demokratischen Geschichte Österreichs seit 1918 der erst- und einmalige Versuch unternommen wurde, wenige Wochen vor den Parlamentswahlen ein missliebiges Blatt mit Hilfe der Gerichte und der Polizei zum Schweigen zu bringen.“[ii]

Auch diese Affäre hatte zur Wahlniederlage der SPÖ beigetragen. Die Verhandlungen für eine Neuauflage der großen Koalition scheitern jedenfalls. Josef Klaus bildet die erste ÖVP Alleinregierung der 2. Republik. Damit beginnt nicht nur für Österreich, sondern auch für den heimischen Rundfunk eine neue Ära.

„Mit unglaublichem Elan ging der 53-jährige Salzburger in Wien ans Werk. Die immer wiederkehrende Formel vom „Reformkanzler Kreisky“ stimmt nur halb. Der erste große Reformer hieß Josef Klaus. Dennoch sind seine Verdienste heute weitgehend unbekannt“[iii], so Die Presse.

Klaus ist kein Medienpolitiker, kein begnadeter Kommunikator, der sich in Hörfunk und TV öffentlichkeitswirksam zu inszenieren weiß. Ganz im Gegenteil: Er gesteht sogar ein, vor Journalisten und den Medien eine „lähmende Scheu“ zu haben.[iv] Ein Manko, das er mit vielen seiner Parteikollegen teilt: „(…) gerade dieser Bereich (die Öffentlichkeitsarbeit A.d.V.)  kristallisierte sich als wunder Punkt der Volkspartei heraus. Josef Klaus spricht davon, dass es hier bei der ÖVP gewaltig hapere und ihm selbst die Scheu vor Massenmedien zu schaffen mache.“[v]

Es ist vielleicht diese Distanz bzw. das fehlende Wissen über die enormen Möglichkeiten, die ein von der Regierung oder den Parteien kontrollierter Monopolrundfunk bietet, warum die Volkspartei nicht nach der Macht im ORF greift. Oder aber, der konservative Reformer Klaus ist ganz einfach ein echter und aufrechter Demokrat, für den Presse- und Meinungsfreiheit mehr sind als nur Schlagworte in einer Sonntagsrede. Jedenfalls hält er sein Wahlversprechen und nutzt die Chance, mit der ÖVP-Mehrheit im Nationalrat dem Partei- und Proporzrundfunk in seiner damals extremen Ausprägung ein Ende zu setzen.

„Die Konsequenzen eines unabhängigen Rundfunks für die politische Kultur des Landes wurden von den politischen Akteuren, die im Getriebe der parteipolitischen Auseinandersetzungen verfangen waren, kaum erkannt.“[vi]

Sozialistische Nebelgranaten

Bereits am 8. Juli wird im Parlament das Rundfunkgesetz beschlossen. Es ist eine der wichtigsten Reformen, die die ÖVP-Alleinregierung damals umsetzt. Selbstverständlich ohne die Stimmen der Sozialisten. Diese setzen sich – kaum auf der Oppositionsbank gelandet – plötzlich für einen „entpolitisierten“ Rundfunk ein und bringen – im Wissen, dass sie ohnehin keine Mehrheit finden – via Initiativantrag einen eigenen Reformvorschlag ein.

Der ÖVP-Vorschlag wird hingegen rundweg abgelehnt. SPÖ Abgeordneter Ing. Heinrich Scheibengraf: „Dieser Beschluss und der Antrag des Sonderausschusses stellt (sic) nach Auffassung der sozialistischen Abgeordneten weder die Erfüllung der Grundsätze des Volksbegehrens in den Hauptpunkten noch die Unabhängigkeit von Rundfunk und Fernsehen von der Regierungsgewalt noch die geforderte Überparteilichkeit dar“.[vii]

Es bedarf schon sehr viel politische Chuzpe, um sich als SPÖ-Abgeordneter auf die Inhalte des Volksbegehrens zu berufen, welches die Sozialisten noch vor wenigen Monaten ignoriert, behindert und dessen Betreiber sie  als „präpotente Journaille“ diffamiert hatten. In der sicheren Gewissheit, dass sie mit ihren eigenen plötzlich so ambitionierten Reformvorschlägen im Parlament abblitzen, kann die SPÖ ihre Umsetzung um so lauter und vehementer  fordern.

Der „Sinneswandel“, die plötzlich entdeckte Liebe zu einem entpolitisierten und unabhängigen Rundfunk war auch in diesem Fall nicht mehr als eine politische Taschenspielerei, um guten Willen und Reformeifer vorzutäuschen, was sich nur wenige Jahre später gleich mehrfach unter Beweis stellen sollte. Denn eines darf nicht vergessen werden: Rundfunkpolitik war damals vor allem Machtpolitik.

Dass die SPÖ zu ihrer Medienpolitik der vergangenen Jahre und zum roten Politrundfunk eisern steht, demonstrieren nicht nur sozialistische Hinterbänkler wie Ing. Scheibengraf, sondern auch Dr. Broda. Er meint: „wenn sich die SPÖ in der Angelegenheit Österreichischer Rundfunk einen Vorwurf machen könnte, so den, dass sie den Personalwünschen der Volkspartei zu weit entgegengekommen sei.“[viii]

Die SPÖ präsentiert sich im Nationalrat am 8. Juli trotz solcher Aussagen – wenn auch wenig glaubwürdig - als jene Kraft, die sich stets für einen parteiunabhängigen Rundfunk eingesetzt hat und ruft „Haltet den Dieb“. Ing. Heinrich Scheibengraf: „Die ÖVP glaubt nun ihr Ziel, die völlige Kontrolle der Massenmedien Rundfunk und Fernsehen, endlich erreicht zu haben. Deshalb war auch alles Bemühen um eine allgemein befriedigende Lösung zum Scheitern verurteilt.“[ix]

Das  sozialistische Zentralorgan, die Arbeiterzeitung, legt noch eines drauf und verkündet: „Die ÖVP hat im Nationalrat am Freitag ein große Chance vergeben, sich zur Demokratie und zum Gesamtinteresse des österreichischen Volkes zu bekennen.“[x]

Die SPÖ will trotz all ihrer rhetorischen Vernebelungstaktiken den für sie genehmen Status quo im Monopolrundfunk (vor allem im wichtigen Fernsehbereich) prolongieren und weigert sich hartnäckig anzuerkennen, dass mit dem Rundfunkvolksbegehren die Bürger dem Staats- und Parteienrundfunk die Legitimation entzogen hatten.

Das neue Rundfunkgesetz

Mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ wird am 8. Juli schließlich das neue Rundfunkgesetz beschlossen. Das Gesetz unterscheidet sich allerdings in einigen Punkten vom ursprünglichen Text des Volksbegehrens:

  • § 6: Der Bund hält mindestens 51 Prozent der Geschäftsanteile, den Rest teilen sich die Länder
  • § 7: Die Generalversammlung bestellt nur den Aufsichtsrat
  • § 8: Der Aufsichtsrat hat 22 Mitglieder, neun aus den Bundesländern, sechs aus politischen Parteien, und fünf aus den Bereichen Religion, Wissenschaft, Kunst, Volksbildung und Sport. Der Aufsichtsrat bestellt den Generalintendanten, die Direktoren und die Intendanten und genehmigt langfristige Unternehmenspläne. Er setzt das Programmentgelt fest, das nun zusätzlich zu den Teilnehmergebühren eingehoben wird.
  • § 9: Der Generalintendant ist an die Beschlüsse der Generalversammlung und des Aufsichtsrats gebunden. Für ihn gelten ebenfalls die Unabhängigkeitsbestimmungen. Er erstattet (nach öffentlicher Ausschreibung) Vorschläge für die Bestellung von Direktoren und Intendanten, „bei letzteren nach Fühlungnahme mit dem jeweiligen Gesellschafter.“
  • § 11: Die Direktoren und Intendanten sind an die Weisungen des Generalintendanten gebunden.

Das neue Gesetz lässt erstmals mit Hilfe der fünf Vertreter aus Religion, Wissenschaft, Kunst, Volksbildung und Sport auch Mehrheitsbildungen abseits der reinen Parteipolitik zu. Für Alexander Vodopivec brachte das neue Gesetz drei wesentliche positive Veränderungen:

  • „Die Konstruktion des Aufsichtsrates, die das Vetorecht einer Großgruppe ausschließt.
  • Die Herauslösung der Gebührenhoheit aus der Entscheidungsbefugnis parlamentarisch politischer Instanzen und ihre Übertragung auf den Aufsichtsrat.
  • Die Schaffung eindeutiger Entscheidungs- und Verantwortungsstrukturen innerhalb des Rundfunks und die Beseitigung der hier installierten Veto- und Blockierungsmöglichkeiten“.[xi]

Das Rundfunkgesetz ist ein Quantensprung gegenüber dem bisherigen Proporzrundfunk. Dass die ÖVP unter Klaus das Gesetz, obwohl mit einer absoluten Mandatsmehrheit ausgestattet, nicht für ihre eigenen Interessen ausnutzen konnte oder, was wahrscheinlicher ist, wollte, belegen die Entwicklungen der folgenden Jahre. Das Rundfunkgesetz war jedenfalls die Grundlage, auf der Generalintendant Gerd Bacher den heimischen Rundfunk in den kommenden Jahren vollkommen umkrempeln konnte.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert –  im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)

Literatur 

Berka, Walter: Medienpolitik in den 60er Jahren. In: Kriechbaumer, Robert; Schausberger, Franz; Weinberger Hubert (Hg.): Die Transformation der österreichischen Gesellschaft und die Alleinregierung von Bundeskanzler Dr. Josef Klaus. Salzburg 1995

Vodopivec, Alexander: Die Quadratur des Kreisky – Österreich zwischen parlamentarischer Demokratie und Gewerkschaftsstaat. Wien 1975

Vodopivec, Alexander: Die Realisierung des Rundfunkvolksbegehrens durch die ÖVP Alleinregierung. In: Christliche Demokratie.  Band 4/87. Wien 1987

Weinmann, Beatrice: Josef Klaus – Ein großer Österreicher, Wien 2000.

Endnoten

 [i] Siehe Stenographisches Protokoll der 71. Sitzung des Nationalrats der Republik Österreich. 27/28.11.1967 Seite 5778

[ii] Vodopivec. 1975. Seite 316.

[iii] Josef Klaus, frommer Reformer vor Kreisky. In: Die Presse, 13.08.2010

[iv] Siehe Berka. 1995. Seite 237.

[v] Weinmann. 2000. Seite 279.

[vi] Berka 1995, Seite 243

[vii] Stenographisches Protokoll 20. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich, XI Gesetzgebungsperiode; 8.juli 1966,  Seite 1535

[viii] Siehe Arbeiterzeitung. 9.7.1966

[ix] Stenographisches Protokoll 20. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich, XI Gesetzgebungsperiode; 8.juli 1966,  Seite 1536.

[x] Arbeiterzeitung. 9.7.1966. Seite 1.

[xi] Vodopivec 1975, Seite 319

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Die roten Meinungsmacher (6): Das Rundfunkvolksbegehren: Der Aufstand der Österreicher drucken

Die Regierung ließ, da man sich im Rundfunkkomitee nicht einigen konnte, den 30. Juni 1964 verstreichen.  Am 1.Juli titelte die Presse: „Keine  Einigung bei Rundfunkreform“.[i]

Noch am selben Tag wurde der Gesetzesentwurf der parteiunabhängigen Presse der Öffentlichkeit präsentiert. Gefordert wurden unter anderem drei Hörfunk- und zwei Fernsehprogramme, wobei jeweils ein Hörfunk- und ein Fernsehprogramm werbefrei sein sollten. Der elfköpfige Aufsichtsrat sollte sich aus fünf Parteienvertretern, drei Ländervertretern und drei Sprechern der Rundfunkteilnehmer zusammensetzen.

Die Aufsichtsratsmitglieder und der Generalintendant sollten von der Generalversammlung bestellt und abberufen werden können. Die sogenannte Politikerklausel sah vor, dass der Generalintendant die letzten fünf Jahre keine politische Funktion bekleidet haben durfte. Zudem wurde eine öffentliche Ausschreibung aller wichtigen Posten im Rundfunk verlangt.

Zunächst mussten die unabhängigen Zeitungen die vielen komplizierten Hürden nehmen, die SPÖ und ÖVP errichtet hatten, um die Einleitung eines Volksbegehrens möglichst umständlich und langwierig zu machen. Unter anderem sind mindestens 30.000 Unterschriften für das Einleitungsverfahren eines Volksbegehrens notwendig: Die Zeitungen veröffentlichen deshalb folgenden Aufruf:

Trotz des komplizierten Verfahrens und der bürokratischen Hürden ist das Echo enorm, was zeigt, wie groß die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem damaligen Rundfunk war.

„Das war deshalb so erstaunlich, weil fast jeder in diesem Land koalitionsabhängig war. Sechzig Prozent der Wirtschaft waren mehr oder weniger verstaatlicht, jedenfalls unter der Einflusssphäre der Parteien. Selbst die Privatwirtschaft war von der Koalition in großem Maße abhängig, man konnte ja fast keine Position in dem Land bekommen, ohne nicht bei einer Partei zu sein oder die Protektion einer der großen Parteien zu genießen. Und dass hier die Leute mit Namen und Adresse aufstehen, ganz gewiss neunzig Prozent von denen waren von Parteien abhängig.“[ii]

Anlaufen des Volksbegehrens: Gegenwind durch SPÖ und Bürokratie

Der ÖGB macht trotz oder wegen der Aktivitäten von Günter Nenning in einer Aussendung der Öffentlichkeit und seinen Mitgliedern noch einmal unmissverständlich klar: „Der ÖGB unterstützt das Verlangen nach einem Volksbegehren nicht, weil seiner Meinung nach ernste Verhandlungen nicht durch propagandistischen Druck gestört werden sollten.“[iii]

Die Arbeiterzeitung mokierte sich, dass man ein „so großes Aufheben wegen der Rundfunkreform mache“.[iv] Doch auch die Unken- und Zwischenrufe der roten Parteiblätter halfen nichts mehr, die Aktion der unabhängigen Zeitungen für das Einleitungsverfahren wurde ein überwältigender Erfolg. Innerhalb von drei Wochen wurden exakt 207.129 Unterschriften abgegeben, ein Vielfaches der benötigten 30.000. Damit war der Weg für das erste Volksbegehren in Österreich frei. Das Innenministerium setzte den Termin für die Zeit von  5. bis 12.10. fest.

Um es den Initiatoren und der Bevölkerung aber nicht all zu leicht zu machen, ließ man sich neben den ohnehin schon hohen bürokratischen Hürden auch noch allerlei Schikanen einfallen. In vielen Gemeinden wurden etwa die Eintragungszeiten für das Volksbegehren so gesetzt, dass es für die arbeitende Bevölkerung kaum möglich war ihre Stimme abzugeben.

Mehrere Gemeinden strichen ganz einfach den letzten Eintragungstag den 12. Oktober, einen Montag. Und am Wochenende konnte man ohnehin in kaum einer Gemeinde das Volksbegehren unterschreiben und wenn, dann nur für sehr kurze Zeit. Die Stadt Wien stellte wiederum nur ihre 23 Bezirksämter zur Verfügung, was für eine Millionenstadt extrem wenig ist. Kurz, man machte alles, was möglich war, um das Volksbegehren zu behindern.

Wer sich damals ausschließlich via Radio und Fernsehen informierte, bekam von alledem ohnehin nichts mit, denn im Rundfunk wurde nicht über das Volksbegehren berichtet, absolut nichts.

Lediglich der Rundfunkreporter Max Eisler erwähnte in der Sendung „Reporter unterwegs“ das Volksbegehren. Am nächsten Tag wurde er gefeuert. Für den Erhalt genau dieser Art von Rundfunk setzte sich die SPÖ damals massiv ein.

Sieht man von dem groben Vergehen des Herrn Eisler ab, wurde das Volksbegehren im Rundfunk erstmals am 11.Oktober in den Nachrichten erwähnt, also einen Tag vor dem Ende der Eintragungsfrist[v].

Das sozialistische Zentralorgan, die Arbeiterzeitung, warnte wiederum seine schwindende Leserschaft eindrücklich, ja nicht zu unterschreiben. Sie titelt: „Achtung! Bauernfang mit Volksbegehren.“[vi] Da der Rundfunk das Volksbegehren totschweigt und die sozialistischen Parteiblätter mit regelrechten Horrorschlagzeilen dagegen wettern, trommeln die unabhängigen Zeitungen um so lauter. Etwa durch folgenden Aufruf:

Die Aufrufe der Presse sind von Erfolg gekrönt. Nach Ende der Eintragungsfrist zeichnet sich nach und nach ein überwältigender Erfolg ab. Da man sich mit der Zählung der Stimmen sehr lange Zeit lässt – das offizielle Ergebnis wird erst am 28. Oktober verkündet – ist anfänglich noch nicht klar, wie viele Menschen unterschrieben haben. Aber bereits einen Tag nach der Frist steht fest, dass das Volksbegehren alle Erwartungen übertroffen hat.

Die Sozialisten als schlechte Verlierer

Die Sozialisten erweisen sich einmal mehr als schlechter Verlierer. Franz Kreuzer darf sich in der Arbeiter Zeitung am 14. Oktober in einem Leitartikel mit dem Titel „Der zerbrochene Spiegel“ so richtig auskotzen: Von Selbstkritik keine Spur, stattdessen versucht Kreuzer  das überwältigende Ergebnis kleinzuschrieben und die Anliegen der Bevölkerung ins lächerliche zu ziehen.

Der Artikel ist geradezu ein medienpolitischer Offenbarungseid der Sozialisten und damit ein historisches Dokument. Hier zeigt sich diese typische Mischung aus Zynismus, Verachtung des politischen Gegners und des Volkes gepaart mit der Unfähigkeit bzw. dem Unwillen zur Selbstkritik, die die Sozialisten in der medienpolitischen Auseinandersetzung immer wieder an den Tag legten und legen.

Franz Kreuzers Tirade in der Arbeiterzeitung

„Die Erleichterung, die aus dem Triumphgeschrei der Kommerzpresse über das vorläufige absehbare Ergebnis des Rundfunkvolksbegehrens spricht – es dürften sich mehr als eine halbe Million Österreich in die Listen eingetragen haben – ist verständlich: Man hat in der letzen Woche an dem sich geradezu überschlagenden Propagandawirbel und an der rücksichtslosen Aufopferung des redaktionellen Teiles der engagierten Blätter erkennen können, wie groß die Angst vor einem Debakel war.

Das ändert freilich nichts an den Proportionen: Es gibt in Österreich zurzeit an die fünf Millionen Wahlberechtigte. Ein Zehntel oder Achtel von ihnen hat sich für die Vorlage, die Gegenstand des Volksbegehrens war, ausgesprochen. Das ist durchaus bemerkenswert, aber keinesfalls aufregend. Eine ähnliche oder größere Zahl von Österreichern könnte man für unzählige politische Parolen in Bewegung setzen: Für Rentenerhöhung etwa, für höhere Dotierung des grünen Plans, für Verstärkung des Wohnungsbaues, für Steuersenkung und so fort.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Parole des Rundfunkvolksbegehrens – die kleingedruckten Pferdefüße wurden ja kaum wahrgenommen – keinerlei echte politische Stellungnahme notwendig machte. Insofern ist das Entschuldigungsargument, dass beim Volksbegehren die namentliche Eintragung notwendig sei, hinfällig: Für ein besseres Rundfunkprogramm kann jeder eintreten so wie für besseres Wetter.

Alles was zu diesem Thema zu sagen ist, wird im neuen Programm des Bronner-Theaters gesagt: Zwei Unzufriedene, von denen einer weniger Löwinger und mehr Salzburger Festspiele, der andere mehr Löwinger und weniger Salzburger Festspiele im Programm haben möchte, gehen gemeinsam zum Volksbegehren.

Es ist also klar, was dieses Volksbegehren nicht war. Eine politische Manifestation von bestimmendem Gewicht, die die Parteien im Parlament bindet. Das ist weder verfassungsmäßig – ein Volksbegehren das von mehr als 200.00 Österreichern gebilligt wird, hat den Rang eines parlamentarischen Antrags, über den die Abgeordneten wie über die vielen anderen Anträge zu beraten und zu beschließen haben – noch ist es das politisch. Soviel demokratischer Druck wie hinter diesem Gesetzesentwurf steht, steht hinter jedem Anliegen eines größeren Berufsverbandes.

Dennoch hat dieses Volksbegehren einige wichtige politische Tatsachen klargemacht. Zum ersten Mal sind die Kommerzzeitungen, die sich gerne die „unabhängigen“ oder die „parteifreien“ nennen, selbst als Organe einer politischen Aktionsgemeinschaft einer Quasipartei, einer Ad-hoc-Partei in Erscheinung getreten. Die Kollegen dieses Lagers hören das nicht gern. Aber es ist deshalb nicht weniger wahr.

Natürlich mangeln dem politischen Gebilde,  das da agiert hat, viele Kennzeichen einer echten politischen Partei. Es war – zumindest vorerst – zweckgebunden und zeitlich begrenzt, es war diffus und von den existierenden Parteien nicht säuberlich geschieden, zur ÖVP sogar demonstrativ geöffnet.  Aber es verfügte doch über das wesentlichste Kriterium, das ein politische Partei ausmacht: Über die organisatorische Bindung zum Zweck politischer Willensbildung.

Diese Kommerzzeitungspartei hat nun, was sie wollte: eine klare Dokumentation ihrer demokratischen Einflussmöglichkeit. Bis jetzt trat die Presse, indem sie ihre Gesamtauflagenzahl von anderthalb Millionen Exemplaren mit einem unbeweisbaren und unwiderlegbaren „Leser-Faktor“ multiplizierte, als Vertreterin einer „Majorität“ der politischen Österreicher auf, „des Volkes“ schlechthin. Das war zwar niemals ernst zu nehmen, nun aber sieht alle Welt, wie viel im Ernstfall wirklich hinter dieser „dritten Gewalt“ steht: Nicht mehr und nicht weniger, als die verschiedenen anderen „dritten“ Gruppierungen jeweils für sich mobilisieren können.

Der Vergrößerungsspiegel, in dem sich die Wortführer des „parteifreien“ Journalismus gerne betrachtet haben, liegt in Scherben – von ihnen selber mit großem Geldaufwand zerschlagen.

Dies, die Aufhebung der „Unabhängigkeits“fikton und die säuberliche Abmessung  der realen politischen Größen, ist der eigentliche Gewinn des Volksbegehrens und vielleicht ist das überhaupt der beste Zweck, den diese demokratischen Institution haben kann: Interessensgemeinschaften, die mit einem verwaschenen Totalitätsanspruch auftreten, zum Einbekennen  ihrer echten Stärke zu zwingen.

In der Sache selbst ist eine Verhandlungspause mit teilweise anregenden Diskussionen gefüllt worden: Die Notwendigkeit einer Rundfunkreform, die Notwendigkeit der Brechung des ÖVP-Monopols im Hörfunk und der Beseitigung von Fäulnisherden, die sich als „Proporz“ tarnen, steht nach wie vor außer Zweifel. Die Sozialisten werden bei den folgenden Verhandlungen nicht noch einmal durch die Übernahme von sinnlosen Schweigeverpflichtungen an der Vernebelung des Grenzproblems mitschuldig werden.“[vii]

Voller Erfolg: Zurück zu den Politikern

Reaktion der SPÖ: Unabhängigkeit, aber…

Kreuzers Pamphlet macht deutlich, wie die SPÖ auf den sich abzeichnende Erfolg des Volksbegehrens reagierte: kleinreden, den Unterzeichnern Ahnungslosigkeit respektive Verblendung und den Initiatoren unredliche Absichten unterstellen. Zudem wird versucht, durch verschiedene Verzögerungstaktiken die Anliegen der Bevölkerung  im Sand verlaufen zu lassen. Und Kreuzer zeigt in seinem Leitartikel, dass das Eintreten der Sozialisten für einen parteifreien Rundfunk nie mehr war als ein Lippenbekenntnis. Man sei für einen unabhängigen Rundfunk, aber… wurde über die Jahrzehnte zum Mantra sozialistischer Medienpolitik.

Eine Variante diese SPÖ-Mantras liefert Heinz Fischer, der spätere Bundespräsident, in der sozialistischen Zeitschrift Zukunft:

„Die Forderung der österreichischen Bevölkerung nach einem besseren Rundfunk ist eine echte und berechtigte. Der Gesetzgeber hat daher die Aufgabe, diesem Anliegen nachzukommen und ein gutes Rundfunkrecht zu schaffen; gerade deshalb könne es nicht verantwortet werden, den verfassungswidrigen, unbrauchbaren Gesetzestext, der dem Volksbegehren zugrunde liegt, zu beschließen.“[viii]

Am 16. Oktober wird das vorläufige Ergebnis bekanntgegeben: 833.389 Unterschriften für das Rundfunkvolksbegehren. Die Erwartungen der Initiatoren wurden weit übertroffen. Während die unabhängigen Zeitungen das Ergebnis bejubeln, schmollt und schweigt die Arbeiterzeitung. Die Neue Zürcher Zeitung stellt trocken fest: Die Sozialisten seien mit ihren „sauren Kommentaren erstaunlich schlechte Verlierer“.[ix]

Dass die SPÖ mit dem Ergebnis nicht gerade glücklich ist, ist verständlich, immerhin hatten 18 Prozent der wahlberechtigten Österreicher – trotz aller sozialistischer Störaktionen und Gegenpropaganda – das Volksbegehren unterzeichnet. Es ist damit das bisher erfolgreichste Volksbegehren Österreichs, das nicht von Parteien unterstützt worden ist.[x]

Die ÖVP unterstützt die Anliegen

Während die SPÖ ihre Wunden leckt, reagiert die ÖVP sehr schnell. Generalsekretär Dr. Hermann Withalm in einer Aussendung des ÖVP-Pressedienstes:

„Die bisherigen Ergebnisse lassen einen vollen Erfolg dieser Aktion erwarten. Die Österreichische Volkspartei hat das Volksbegehren als eines der Mittel zur Verwirklichung der direkten Demokratie im Grundsatz immer bejaht. Sie stand auch dieser Aktion mit Sympathie gegenüber. (…) Für die Österreichische Volkspartei ist es keine Frage, dass sich nun die im Parlament vertretenen politischen Parteien mit dem so unmissverständlich bekundeten Willen eines beachtlichen Teils unserer Bevölkerung auseinandersetzen müssen.“[xi]

Auch die FPÖ begrüßte das Ergebnis des Volksbegehrens, während die KPÖ, so wie die SPÖ, versuchte, das Ergebnis zu bagatellisieren.

Mühen im Nationalrat

Am 28. Oktober wurde das offizielle Ergebnis verkündet: 832.353 Unterschriften. Am 18. November fasste das Parlament den Beschluss, einen Ausschuss einzuberufen, der sich mit dem Gesetzesentwurf des Volksbegehrens auseinandersetzen sollte. Dieser Ausschuss (mit jeweils 4 Vertretern von SPÖ und ÖVP und einem von der FPÖ) trat am 15. Dezember das erste Mal zusammen.

Schon damals zeichnete sich ab, dass die Politiker keine besondere Eile mit der Behandlung des Themas hatten. Vor allem die SPÖ demonstrierte immer wieder ihre Abneigung gegen das Instrument des Volksbegehrens. Nach den Weihnachtsfeiertagen nahm der Ausschuss aber schließlich doch seine Arbeit auf.

Im Zuge der Diskussionen verlangten die Sozialisten sogar die Verwirklichung des Arbeitsübereinkommens aus dem Jahr 1963, das dem Geist des Volksbegehrens diametral entgegenstand, es sah nämlich die proporzmäßige Besetzung aller wichtige Posten im Rundfunk vor. Der Vorschlag wurde von der ÖVP abgelehnt.

Am 15. Juli wurde das Volksbegehren dann im Nationalrat behandelt. Aber selbst das wollte die SPÖ verhindern, sie beantragte, den geplanten Bericht des Ausschusses von der Tagesordnung streichen zu lassen. ÖVP, FPÖ und der mittlerweile aus der SPÖ ausgeschlossene Franz Olah stimmten dagegen.

Aus dem Bericht ging schließlich wenig überraschend hervor, dass man sich in den wesentlichen Punkten nicht geeinigt hatte, weshalb man den Ausschuss mit der Fortsetzung seiner Tätigkeit beauftragte. In dieser Sitzung demonstriert die SPÖ einmal mehr eindrucksvoll ihre zynische Haltung gegenüber der Willensbekundung von über 800.00 Österreichern. SPÖ Abgeordneter Otto Winter, der Vorsitzende des Volksbegehrensausschusses:

„Manchen ÖVP Politikern ist viel gelegen am Scharwenzeln um das Lob jener Journalisten, die sich gerne anmaßen, die vom Volk gewählten Abgeordneten zur Sau zu machen. Es hat immer Menschen gegeben und es wird sie wahrscheinlich immer geben, die den Fuß küssen, der sie in den Hintern tritt. Wir Sozialisten haben nicht die Absicht, uns zu Stiefelputzern einer gewissen präpotenten Journaille degradieren zu lassen.“[xii]

Die Strategie war klar, vor allem die SPÖ wollte das Volksbegehren in einer Schublade verschwinden lassen, um so ihren Machtverlust im Rundfunk zu verhindern. An einer Reform hatte sie trotz zahlreicher Lippenbekenntnisse durch sozialistische Spitzenfunktionäre wie etwa Heinz Fischer nie ein echtes Interesse.

Im Gegensatz zur ÖVP. Obwohl es auch hier Funktionäre auf allen Ebenen gab, die eine Entpolitisierung des Rundfunks – vor allem aus persönlichen und monetären Interessen – ablehnten, war die Grundstimmung und Grundströmung gegenüber einer echten Rundfunkreform grundsätzlich positiv.

Diese Haltung kommt unter anderem in einer Rede des ÖVP-Nationalratsabgeordnen Adolf Harwalik im Parlament zum Ausdruck: „Das Volksbegehren stellt eine Art Radikalkur der Proporz-Demokratie dar. Die Initiatoren wissen sehr genau, dass die Entsprechung durch den Gesetzgeber eine innere Wandlungskraft voraussetzt (…) Das Volksbegehren mag vielen Staatsbürgern als eine einfache Sache erscheinen. In Wahrheit ist es ein haarscharfes Operationsmesser, das sich schmerzend in den Leib der Koalition senkt.“[xiii]

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert –  im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: Die Rundfunkreform unter Klaus)

Literatur

Berka, Walter: Medienpolitik in den 60er Jahren. In: Kriechbaumer, Robert; Schausberger, Franz; Weinberger Hubert (Hg.):  Die Transformation der österreichischen Gesellschaft und die Alleinregierung von Bundeskanzler Dr. Josef Klaus. Salzburg 1995

Hanreich, Christa: Das Rundfunkvolksbegehren 1964. Diplomarbeit. Wien 2001.

Kriechbaumer, Robert; Schausberger, Franz; Weinberger Hubert (Hg.):  Die Transformation der österreichischen Gesellschaft und die Alleinregierung von Bundeskanzler Dr. Josef Klaus. Salzburg 1995

Österreichischer Rundfunk (Hg.): Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag.  Salzburg 1985.

Portisch, Hugo: Das Volksbegehren und Bacher I. In:  Österreichischer Rundfunk (Hg.): Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag.  Salzburg 1985.

Sandner, Wolfgang: Das Rundfunkvolksbegehren – Eine Analyse der Reform des Österreichischen Rundfunks. Dissertation. Wien 1969

Stöger, Hermann: Schwarze Welle – Roter Schirm; Der Proporz am Beispiel Rundfunk. Wien/Melk 1965

Vodopivec, Alexander: Die Quadratur des Kreisky – Österreich zwischen parlamentarischer Demokratie und Gewerkschaftsstaat. Wien 1975.

Endnoten

[i] Siehe Hanreich. 2001. Seite 90.

[ii] Hugo Portisch www.demokratiezentrum.org  (20.6.2011)

[iii] Sozialistische Korrespondenz. 3.7.1964

[iv] Siehe Hanreich. 2001. Seite 93

[v] Siehe Hanreich. 2001. Seite 104

[vi] Arbeiterzeitung 4.7.1964.  Seite 1.

[vii] Arbeiter Zeitung 14.10.1964. Seite 2

[viii] Heinz Fischer in Zukunft Heft 5/1965

[ix] Siehe Hanreich. 2001. Seite 108.

[x] Siehe  http://de.wikipedia.org/wiki/Volksbegehren_(%C3%96sterreich) (21.6.2011)

[xi] Siehe Hanreich. 2001. Seite 109.

[xii] Vodopivec. 1975. Seite 314.

[xiii] Harwalik zitiert nach Hugo Portisch. 1985. Seite 56f.

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Waswärwennereien drucken

Im Olymp beäugt Europe
– längst von Zeus dorthin entrückt –
mit dem Götter-Teleskope
bang Europas Biotope
und sinniert, nicht grad entzückt:

Wie wohl wäre es gekommen,
hätte ich an Sidons Strand
einen andern Stier genommen?
Und wo wär’ der hingeschwommen,
welche Richtung, welches Land?

Nun, bei meines Reittiers Streben
war nebst Kreta wenig Wahl,
denn es hatte damals eben
weder Übersee gegeben
noch bei Suez den Kanal.

Doch hätt’s südlich uns verschlagen,
tät’ zum Schwarzen Erdteil jetzt
jedermann Europa sagen –
logisch, ohne mich zu fragen,
und ich wäre arg vergrätzt!

Wär’s indes Kurs Nord gegangen,
hätt’ den Namen die Türkei –
würde mir nicht minder langen,
sag’ ich mal ganz unbefangen
und von Vorurteilen frei.

Wären wir im Land geblieben,
hätt’ man nichts nach mir benannt,
denn auch wenn wir’s arg getrieben,
hätt’ man drüber nicht geschrieben,
und ich wäre unbekannt.

Drum, der Wahrheit alle Ehre,
traf ich’s eigentlich nicht schlecht –
wenn bloß nicht die Hera wäre,
und gar Zeus sagt, der Megäre
macht selbst er es niemals recht!

Tja, der Satz „was wär’ gewesen“
sagt sich halt so leicht daher –
allerdings an Hypothesen
könnt’ nur dann die Welt genesen,
wenn das Wörtchen wenn nicht wär’…

Pannonicus

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Die roten Meinungsmacher (5): Geheimpakt Staatsfunk: Die Presse macht mobil drucken

Das Geheimabkommen, der rundfunkpolitische Sideletter zum Koalitionsvertrag, wird dem Kurier zugespielt, damals die einflussreichste Zeitung des Landes. Chefredakteur Hugo Portisch ist über den Inhalt entsetzt: „Da schimpfen wir über den Ostblock, über Zensur in den Diktaturen und da machen die hier solches! Das geht nicht, das ist demokratiegefährdend, echt demokratiegefährdend und infolgedessen werden wir etwas dagegen tun.“[i]

Der Leitartikel im Kurier zum Koalitionsgeheimpaper löst in der Öffentlichkeit Empörung aus. Portisch legte noch nach, er will die Öffentlichkeit gegen den Proporz und die Parteien im Rundfunk mobilisieren. Obwohl in der österreichischen Verfassung Volksbegehren bzw. Volksabstimmungen vorgesehen sind, können diese damals nicht umgesetzt werden, weil die dazu nötigen Durchführungsbestimmungen vom Parlament nie beschlossen wurden.

Kurier/Kleine Zeitung 20.3.1963

Mittels einer Unterschriftenaktion will Portisch SPÖ und ÖVP unter Zugzwang bringen. Die Regierungsparteien sollen die notwendigen Bestimmungen für Volksbegehren im Parlament absegnen. Am 23. März 1963 ruft der Kurier deshalb die Bevölkerung auf:

„Wir, die unterzeichnenden österreichischen Staatsbürger und Wähler, sprechen uns entschieden dagegen aus, dass Rundfunk und Fernsehen der geplanten parteipolitischen Kontrolle unterworfen werden. Wir stellen an die gewählten Vertreter des Volkes, an die politischen Parteien und ihre Funktionäre das Begehren, durch geeignete Maßnahmen für einen Rundfunk- und Fernsehbetrieb zu sorgen, der der österreichischen Bevölkerung mit freier, überparteilicher Information sowie guter Unterhaltung dient und seine kulturelle Mission ungehindert von parteipolitischen Einflüssen erfüllt.“[ii]

Das Echo auf diesen Aufruf ist enorm. Bereits am nächsten Tag langen tausende unterschriebene Kupons beim Kurier ein, zudem schließen sich die Kleine Zeitung und die Wochenpresse der Aktion an. Am 28. März, also fünf Tage nach dem Aufruf, hat der Kurier knapp 130.000 Unterschriften gesammelt.[iii]

Die Koalition reagiert

Zahlen, die nicht einmal – so scheint es zumindest vorerst – SPÖ und ÖVP ignorieren können. Die Salzburger Nachrichten berichten am 5. April 1963:

„Bundeskanzler Gorbach und Vizekanzler Pittermann haben den Erfolg der von den Zeitungen „Kurier“, „Wochenesse“ und „Kleine Zeitung“ gemeinsam durchgeführten Protestaktion gegen das totale Proporzsystem im Österreichischen Rundfunk als Ausdruck der politischen Willensbildung anerkannt und versichert, dass eine Gesamtreform von Rundfunk und Fernsehen nunmehr unverzüglich in Angriff genommen werden würde.“[iv]

Die Sozialisten und die Volkspartei werden nervös. Hugo Portisch:  „Mich hat angerufen der Bundeskanzler Gorbach (ÖVP) und zehn Minuten später der Vizekanzler Pittermann (SPÖ): „Kommen Sie bitte ins Parlament, ich möchte mit Ihnen sprechen“ (…) Im Parlament haben sie mich einzeln empfangen, nicht gemeinsam, zuerst der Bundeskanzler Gorbach, aber beide haben die selbe Frage gestellt: „Was müssen wir tun, damit ihr aufhört mit der Kampagne?“ Das war die Geburtsstunde aller Volksbegehren, die nachher gekommen sind.“[v]

SPÖ und ÖVP wollten die für sie so unangenehme Aktion der unabhängigen Presse unbedingt stoppen. Sie machten deshalb verschiedene Zugeständnisse an die Chefredakteure der beteiligten Blätter. Am 3. April 1963 kommt es zu einer Aussprache im Parlament. Bundeskanzler Gorbach und Vizekanzler Pittermann machten dabei vier Zusagen:

  • Die beiden Regierungsparteien anerkennen die Protestaktion als Willensäußerung des Volkes;
  • Man wird nicht mehr, so wie in der Koalitionsvereinbarung (bzw. im Geheimpakt) vorgesehen, politische Überwacher im Rundfunk einsetzen;
  • Man verspricht die rasche Verabschiedung der gesetzlich vorgesehenen Bestimmungen für die Durchführung von Volksbegehren und Volksabstimmungen;
  • Bis 30.Juni 1964 soll ein von der Regierung eingesetztes Ministerkomitee die geforderte Generalreform von Rundfunk und Fernsehen durchführen. Ziel der Reform ist die Entpolitisierung des Rundfunks.[vi]

Zumindest einen Teil dieser Versprechungen hielten die beiden Großparteien ein. So wurde tatsächlich der Weg für künftige Volksbegehren und Volksbefragungen frei gemacht. Auch die SPÖ stimmte – wenn auch widerwillig – für das Volksbegehrendurchführungsgesetz, in der Hoffnung, dass man noch genügend juridische und bürokratische Hindernisse finden könne, um den Volksbegehren von vorneherein ihre Wirkung nehmen zu können.[vii] Der spätere Bundespräsident Heinz Fischer schreibt in einem Aufsatz in der sozialistischen Zeitschrift Zukunft:

„Eine große Zahl „unabhängiger“ Zeitungen machte den Versuch, die Einrichtung des Volksbegehrens als Instrument zur Lösung der Rundfunkkrise zu verwenden.“[viii]

Fischers Reaktion ist typisch für die Sozialisten, wenn sie im Kampf um Macht und Einfluss auf den Rundfunk eine kleine Niederlage einstecken müssen. Dieser Zynismus gepaart mit etwas Wehleidigkeit begegnet man in dem jahrzehntelangen Kampf um das Monopol noch recht häufig. Was der stets so diplomatische Fischer eigentlich ausdrücken will ist, dass die ÖVP-Kommerzpresse (man beachte das von Fischer in Anführungsstrichen gesetzte Wort „unabhängig“) das Volksbegehren als direktes Mittel einer Demokratie dafür missbrauchen möchte, um so etwas Banales wie einen parteienunabhängigen Rundfunk durchzusetzen.

Selbst deutsche Medien berichten über die Probleme, die die SPÖ offenkundig mit der Rundfunkreform und der Möglichkeit, dass in Österreich künftig Volksbegehren durchgeführt werden dürfen hat. Die Welt schreibt unter dem Titel: „Der Aufruhr der Presse gegen den Proporz“:

„Die Sozialisten, die in der Habsburgfrage immer wieder ein Volksbegehren verlangt haben, sprechen nun von unzulässigem Druck.“[ix]

Die Rundfunkreform bleibt aus

Das von ÖVP und SPÖ versprochene Rundfunkkomitee nahm – zumindest offiziell – seine Arbeit auf, um den Rundfunk zu reformieren. In Wahrheit hatte aber weder die SPÖ noch die ÖVP großes Interesse daran, den Rundfunk zu entpolitisieren.

„Nach außen hin waren die Parteien natürlich für Unabhängigkeit, für ein wirtschaftliches Unternehmen und für Gesundung, aber im inneren waren alle Parteien eigentlich dagegen, weil sie um ihren Einfluss gefürchtet haben. Das ist ja ganz klar.“[x]

Auch die Journalistengewerkschaft unter Günter Nenning brachte Reformvorschläge ein, da der rote Gewerkschaftsbund aber auf Distanz zu Nenning und seinen Aktivitäten ging, hatten sie keinen Einfluss auf die Arbeit des Rundfunkkomitees. Und so kommt es, wie es kommen muss. Die von der Regierung selbst gesetzte Deadline rückt immer näher, ohne dass das Komitee nennenswerte Fortschritte vorweisen kann.

Die unabhängigen Zeitungen ahnen bereits, dass die Frist ergebnislos verstreichen wird. Am 20. Mai schreibt der Kurier:

„Der Kurier, die Kleine Zeitung (Graz) und die Wochenpresse, jene drei Zeitungen, die im Vorjahr eine große Abstimmung über Rundfunk und Fernsehen durchgeführt haben, sind entschlossen, diese Aktion auf gesetzlicher Basis energisch weiterzuführen, falls es dem Ministerkomitee nicht gelingen sollte, sich bis zum 30. Juni über ein neues Rundfunk- und Fernsehkonzept zu einigen.“[xi]

Mit dem Näherrücken der Deadline werden vor allem die Sozialisten unruhiger. Sie lehnen den „Druck“, den das unabhängige Verhandlungskomitee ausübt, ab.[xii] Dass sich SPÖ und ÖVP diese Frist selbst gesetzt hatten, lässt man dabei lieber unerwähnt. Trotz der allgemeinen Stimmungslage und den öffentlichen Diskussionen scheinen die Sozialisten niemals wirklich über eine Entpolitisierung des Rundfunks ernsthaft nachzudenken.

Gegenangriff der SPÖ

Es geht lediglich darum, das Rundfunkmonopol und den politischen Einfluss auf ebendieses mit Zähnen und Klauen zu verteidigen und, wenn es aufgrund des öffentlichen Drucks, den gesetzlichen Bestimmungen oder andern Sachzwängen nicht mehr anders geht, immer nur so wenig als möglich nach- und preiszugeben, also nur das absolut notwendige Minimum umzusetzen. Um von dieser Strategie, dieser Haltung abzulenken, ruft man gerne: „Haltet den Dieb“. So wie SPÖ-Chef Pittermann im Juni 1964 in der Zeitschrift  Zukunft:

„Der Stil wird von jenen ehemaligen und unverbesserlichen Nationalsozialisten geliefert, die einmal „Schriftleiter“ der NSDAP-Presse waren und heute Redakteure in Zeitungen von ÖVP-Verlagen sind wie in solchen der „parteifreien“ Presse.“[xiii]

Es ist schon einigermaßen perfide, die Forderung nach einem parteiunabhängigen Rundfunk ins Nazi-Eck zu rücken. Aber auch diese Argumentationslinie wird die SPÖ über die Jahre hinweg beibehalten und kultivieren.

Auch für Wilhelm „Willi“ Liwanec, Zentralsekretär der Wiener SPÖ, war eine Entpolitisierung des Rundfunks eigentlich gar nicht notwendig, schließlich werde dort ohnehin überwiegend gute Arbeit geleistet:

„Zur Unterstützung des eigenen Konzepts, eines Gesetzesantrags, der via Volksbegehren eingebracht werden sollte, nahm man es mit der Wahrheit so „genau“, dass man jahrelang alle positiven Ergebnisse, die in der Österreichischen Rundfunk Ges.m.b.H. erbracht wurden, unter den Tisch fallen ließ, einfach verschwieg. Dafür aber bauschte man die Missstände, die es natürlich auch dort gab und gibt, maßlos auf, immer bedacht darauf, auch hier nur jene Missstände aufzubauschen, die den Unabhängigen in den Kram passten.“[xiv]

In solchen Aussagen spiegelt sich die Einstellung der SPÖ zu einem unabhängigen Rundfunk eindeutig wider: Eine Rundfunkreform bzw. ein Volksbegehren, das eine solche erzwingen soll, wird von den Sozialisten lediglich als ein von der ÖVP angezetteltes Ärgernis empfunden. Die totale Vereinnahmung des Rundfunks und die damit verbundene Einschränkung der Meinungs- und Pressfreiheit war für die SPÖ ein notwendiges Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen, eine politische Notwendigkeit, die es nicht zu hinterfragen galt.

Auch innerhalb der ÖVP waren nicht alle Funktionäre für die Einführung von Volksbegehren. Trotzdem ist die Volkspartei für das Rundfunkvolksbegehren eingetreten und hat versprochen, im Falle eines klaren Ergebnisses sich für dessen Umsetzung einzusetzen. 1964 löst der Reformer Josef Klaus Alfons Gorbach an der Parteispitze und als Bundeskanzler ab. Klaus und seine neu installierten Minister waren im Gegensatz zur alten Garde eindeutig pro Rundfunkvolksbegehren.

Unabhängige gegen Parteizeitungen

Kurz vor Ablauf jener Frist, die sich die Regierung zur Umsetzung ihrer großen Rundfunkreform gesetzt hat, bekunden die unabhängigen Zeitungen noch einmal ihren Willen, das Rundfunkvolksbegehren durchzuziehen, wenn nicht endlich entsprechende Schritte gesetzt werden. Insgesamt 38 Blätter unterzeichnen diese Erklärung:

Kurier, Die Presse, Neues Österreich, Salzburger Nachrichten, Kleine Zeitung (Graz), Kleine Zeitung (Klagenfurt), Illustrierte Kronenzeitung, Oberösterreichische Nachrichten, Linzer Volksblatt, Salzburger Volksblatt, Tiroler Tageszeitung, Vorarlberger Nachrichten, Wochenpresse, Die Furche, Forum, Wiener Montag, Grazer Montag, Der Volksbote, Die Wende, Agrarpost, Amstettner Zeitung, Eggenburger Zeitung, Erlauftal Zeitung, Gmuender Zeitung, Horner Zeitung, Kremser Zeitung, Lilienfelder Bezirkszeitung, Melker Zeitung, St. Pöltner Zeitung, Waidhofner Zeitung, Ybbstal Zeitung, Zwettler Zeitung, Mühlviertler Nachrichten, Rieder Volkszeitung, Vöcklabrucker Wochenspiegel, Welser Zeitung, Murtaler Zeitung, Der österreichische Jungarbeiter.[xv]

Die Zeitungen hatten ein Aktionskomitee gegründet, um im Falle des Falles das Rundfunkvolksbegehren zum frühest möglichen Termin einleiten zu können. Ebenfalls Mitglied in diesem Komitee war Günter Nenning, Chef der Journalistengewerkschaft und ein Sozialist, der aber in dieser Frage gegen die Parteilinie handelte.

Nicht mit im Boot war die Parteipresse. Günter Nenning in einem Interview: „Jedenfalls, die Parteiblätter, die es damals noch gab, waren dagegen. Die wollten haben, dass der Rundfunk, so wie sie als Redaktion eines Zeitungsunternehmens in den Händen einer Partei sind, wollten sie auch den Rundfunk so haben.“[xvi]

Die Arbeiterzeitung beschäftigt in diesen Tagen zudem ein ganz anderes Problem. Fast täglich wird über die für die SPÖ extrem wichtige Causa Habsburg[xvii] berichtet. Trotz der intensiv geführten Anti-Habsburg-Kampagne findet Chefredakteur Franz Kreuzer – der spätere Intendant des ORF-Senders FS2 – doch noch Zeit, wütende Attacken gegen das Rundfunkvolksbegehren und die unabhängigen Zeitungen zu reiten. Die Mitarbeiter des Österreichischen Rundfunks wiederum hatten von ihren Direktoren den strikten Auftrag bekommen, das Volksbegehren nicht zu erwähnen.[xviii] Das geht soweit, dass der zuständige Leiter einer wöchentlichen Hörfunk-Diskussionssendung von Zeitungsredakteuren den Teilnehmern droht: „Wenn nur einer das Thema Volksbegehren sagt, dann breche ich die Sendung ab“.[xix]

Die von den Sozialisten gescholtenen Zeitungen haben jedenfalls fünf Tage vor Ablauf der Frist alles, was für die Vorbereitung eines Volksbegehrens notwendig ist, organsiert. Von den nicht unbeträchtlichen finanziellen Mitteln, die der Staat für ein Volksbegehren verlangt (ca. 200.000 Schilling), bis hin zu einem Gesetzesentwurf, den namhafte Universitätsprofessoren ausgearbeitet haben.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert –  im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: Das Rundfunkvolksbegehren: Der Aufstand der Österreicher)

Literatur

Hanreich, Christa: Das Rundfunkvolksbegehren 1964. Diplomarbeit. Wien 2001.

Österreichischer Rundfunk (Hg.): Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag.  Salzburg 1985.

Portisch, Hugo: Das Volksbegehren und Bacher I. In:  Österreichischer Rundfunk (Hg.): Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag.  Salzburg 1985.

Sandner, Wolfgang: Das Rundfunkvolksbegehren – Eine Analyse der Reform des Österreichischen Rundfunks. Dissertation. Wien 1969

Stöger, Hermann: Schwarze Welle – Roter Schirm; Der Proporz am Beispiel Rundfunk. Wien/Melk 1965

Vodopivec, Alexander: Die Quadratur des Kreisky – Österreich zwischen parlamentarischer Demokratie und Gewerkschaftsstaat. Wien 1975.

Endnoten

[i] Hugo Portisch: Über das Rundfunkvolksbegehren. www.demokratiezentrum.org (18.6.2011)

[ii] Kurier. 23.3.1963

[iii] Siehe Hanreich. 2001. Seite 60.

[iv] Salzburger Nachrichten. 5.5.1963

[v] Hugo Portisch: Über das Rundfunkvolksbegehren. www.demokratiezentrum.org (20..6.2011)

[vi] Siehe Hanreich. 2001. Seite 61.

[vii] Siehe Vodopivec. 1970. Seite 241.

[viii] Zukunft. Heft 5/1965. Seite 19.

[ix] Die Welt, 10.6.1964.

[x] Kurt Tozzer zitiert nach Hanreich. 2001. Seite 63.

[xi] Kurier 20.5.1964.

[xii] Siehe Kurier 5.6.1964

[xiii] Sieh Zukunft Heft 1/1964. Seite 5.

[xiv] Siehe Hanreich. 2001. Seite 86.

[xv] Siehe Hanreich. 2001. Seite 72.

[xvi] Günter Nenning zitiert nach Hanreich. 2001.  Seite 73.

[xvii] Die SPÖ versuchte damals die Rückkehr Otto Habsburgs nach Österreich zu verhindern. Die Sozialisten beriefen sich dabei auf das Habsburger-Gesetz vom 3. April 1919

[xviii] Siehe Hugo Portisch  www.demokratiezentrum.org  (20.6.2011)

[xix] Siehe Hugo Portisch www.demokratiezentrum.org (20.6.2011)

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Julius Raab - wer war das doch schnell? drucken

Am 120. Geburtstag von Julius Raab fand im Parlament eine Gedenkfeier für den Staatsvertragskanzler statt. Dabei war insbesondere die Festrede von Ex-Verfassungsgerichtshofpräsident Karl Korinek hervorzuheben. Der historische Reichsratssitzungssaal war bis auf den letzten Platz besetzt. Interessant daher, wer NICHT anwesend war: der Großteil der Regierungsmannschaft der ÖVP. Die Partei des „Baumeisters der Republik“ begnügte sich damit, ihren Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner zu entsenden. Christoph Leitl würdigte als Präsident der WKO vor allem Raab als Initiator und Funktionär der Wirtschaftskammer.

Das ist freilich immerhin schon mehr, als der Partei zum 100. Geburtstag beziehungsweise auch zum 10. Todestag von Josef Klaus eingefallen ist.

Und den 100. Geburtstag von Heinrich Drimmel am 16. Jänner 2012 wird man in der Lichtenfelsgasse wahrscheinlich auch „übersehen“.

Man kann schon richtigerweise einwenden, das wir derzeit größere Sorgen haben als Gedenktage zu feiern, aber irgendwie ist es ein Zeichen für den Zustand einer Partei, wie sie mit ihrer Geschichte umgeht (insbesondere, wenn man an die Bruno-Kreisky-Jubelfeiern Anfang dieses Jahres denkt).

Noch etwas macht nachdenklich: Alle Festredner haben bei der Charakterisierung der integeren Persönlichkeit Julius Raabs nicht vergessen zu erwähnen, dass es damals eben Politiker gab, die – ohne auf Zwischenrufe zu achten – in der Lage waren, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, wenn sie zur Überzeugung gelangt waren, das Richtige zu tun. Die unausgesprochene Frage, wo denn derartige Persönlichkeiten heute zu finden wären, blieb nicht nur unausgesprochen, sondern auch unbeantwortet.

 

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Die roten Meinungsmacher (4): Das Narrenkastl: Die grobe Fehleinschätzung der Volkspartei drucken

Am 1. August 1955 um fünf Uhr nachmittags beginnt in Österreich die Fernsehära. Nach dem Titelinsert „Versuchsprogramm“, begrüßt Franziska Kalmar, die Ehefrau von Schauspieler Fritz Muliar, das damals noch spärliche österreichische Fernsehpublikum. Die Wiener Philharmoniker unter Wilhelm Furtwängler leiten mit der Egmont Ouvertüre von Ludwig van Beethoven zur Chefredakteurs-Runde über. Zur Unterhaltung der TV-Zuschauer wird dann der US-Kurzfilm „Wie die Jungen singen“ gezeigt. Kurz nach 18 Uhr ist der erste Sendetag zu Ende.[i]

Dass diese ersten Fernsehbilder nur wenige Menschen empfangen können, liegt vor allem daran, dass ein TV-Apparat damals rund 8.000 Schilling[ii] – also mehrere Monatsgehälter – kostet. Für die meisten im verarmten Nachkriegsösterreich eine unerschwingliche Investition.

Dies mag einer der Gründe sein, warum die ÖVP das neue Medium völlig unterschätzt. Die Volkspartei setzt auf den Hörfunk, vom Fernsehen hält sie nichts. „Die federführenden Politiker der ÖVP, Raab und Drimmel, waren sich über die Bedeutung des Rundfunks nicht im Klaren, im Gegensatz zu den Sozialisten, die genau wussten, was sie wollten – ein Gegengewicht zu den unabhängigen Zeitungen schaffen. (…) Die ÖVP vertrat die irrige Auffassung, dass das Fernsehen in Zukunft das Exklusivvergnügen einer kleinen Schicht bleiben würde.“[iii]

Diese Fehleinschätzung, die in weiterer Folge noch große Auswirkungen auf die politische Landschaft und die Meinungsbildung haben soll, gipfelt in dem legendären Ausspruch von ÖVP-Bundeskanzler Julius Raab: „Das Kasperletheater hört sich eh bald auf; wer wird denn schon in das Narrenkastl hineinschauen.“[iv]

Die Konsequenz: Die ÖVP dominiert den Hörfunk, die Sozialisten das Fernsehen. Mit „Schwarze Welle – roter Schirm“ beschreiben Journalisten damals die Zustände im heimischen Rundfunk.

„Sie, die ÖVP, hat ganz wenige gehabt, die mit dem Medium [dem Fernsehen, A.d.V.] umgehen konnten. Nach dem Motto vom Raab: „Was brauch ma des Kastl?“ Und das ist viel tiefer in der Partei gesessen, als es nur das Bonmot eines Herrschenden war.“[v]

Dieses Fehlurteil, den für die SPÖ aufgelegten Elfmeter, verwandelten die Sozialisten zum historischen Sieg im Kampf um Macht und Einfluss auf das wichtigste Massenmedium in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: „Interessant war auch, dass die SPÖ daraufhin weit rascher reagiert hat in dieser Situation. Sie war ungleich medienbewusster.“[vi] „Die schwarzen Häuptlinge haben das Radio, die roten das Fernsehen, als es kam, besetzt“[vii]

Thaddäus Podgorski, Generalintendant des ORF von 1986 bis 1990: „Die Regierungspartei ÖVP (…) hat also dieses Baberlzeug[viii] bagatellisiert und den „Roten“ als Spielwiese überlassen.“[ix]

Das staatliche Fernsehen war von nun an fest in roter Hand, daran sollte sich, von wenigen Intermezzi abgesehen, bis zum heutigen Tage nichts mehr ändern.

Dem Proporzdenken folgend wurden im Österreichischen Rundfunk alle Posten doppelt besetzt. Gibt es einen roten Abteilungsleiter, dann ist der Stellvertreter (oder besser der Aufpasser) schwarz und umgekehrt, so wie in allen anderen Bereichen der jungen zweiten Republik auch. Franz Olah (in den 50ern Chef der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter): „(…) wie die Koalition ist auch der Proporz das Mittel zur Überwindung eines Notstandes – ein Provisorium also.“[x]

Und bekanntermaßen zeichnen sich Provisorien vor allem durch ihre Langlebigkeit aus. Dass Anfang der 50er entstandene Proporzsystem prägte und prägt dieses Land bis zum heutigen Tag.

„Die Rundfunkvorschläge der SPÖ (und nicht nur ihre Rundfunkvorschläge) beruhen auf der These, dass Partei und Staat identisch sind, und dass die Politik daher das Recht hat, alle Bereiche des öffentlichen Lebens zu durchdringen. Angestrebt wird die 100-prozentige Durchdringung, wo dies nicht möglich ist, will man zumindest die 50-prozentige Durchdringung, d.h. die Teilung des Einflusses mit der ÖVP; für die dritte Möglichkeit, dass es einen politiklosen Raum gibt, in dem weder ÖVP noch SPÖ präsent sind, ist in der sozialistischen Vorstellungswelt kein Platz.“[xi]

Entscheidung über die Organisationsform

Da der Rundfunk nach dem Ende der Besatzungszeit ohnehin auf neue organisatorische Beine gestellt werden musste, schlug SPÖ-Minister Karl Waldbrunner, ganz im Sinne seiner medienpolitischen Ziele, vor, der Österreichische Rundfunk solle eine Körperschaft des öffentlichen Rechts werden und weiterhin seinem Verkehrsministerium unterstellt bleiben. Die Leitung sollte eine 26-köpfige Rundfunkkommission übernehmen, 24 Mitglieder würden nach dem Nationalratsproporz zusammengesetzt werden, ergänzt von zwei Rundfunkbetriebsräten.[xii]

Die Volkspartei präferierte hingegen eine privatrechtliche Anstalt, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter Beteiligung des Bundes, der Länder, der Kammern, frei vom Weisungsrecht der Ministerien und Landesregierungen.[xiii]

Am 12.12. 1957, im Zuge der Koalitionsverhandlungen, wird schließlich die Österreichische Rundfunk GmbH nach langem Streit zwischen ÖVP und SPÖ gegründet. Die neue Rundfunkgesellschaft war allerdings alles andere als unabhängig. „Rechtlich entsprach der neu konstituierte Rundfunk zwar den Vorstellungen der ÖVP, die SPÖ bekam jedoch die Möglichkeit, die bisher eroberten Machtpositionen zu festigen und teilweise sogar auszubauen.“[xiv]

Der Rundfunk mit beschränkter Haftung hatte einen vierköpfigen Vorstand, dieser bestand aus dem Generalsdirektor, einem Programmdirektor für Hörfunk, einem Fernsehdirektor und einem technischen Direktor. Ganz im Sinne des Proporzes waren zwei Positionen mit SPÖ und zwei mit ÖVP Männern besetzt. Im Rahmen des Vetorechts, welches sich primär auf den Hörfunk und die Geschäftsgebarung erstreckte, konnten sich die Sozialisten das Fernsehen sozusagen freikämpfen.

Es blieb damit weitgehend, sowohl was die Programmgestaltung als auch die finanzielle Gebarung betraf, dem Einfluss des Gesamtvorstandes und damit des – von der ÖVP nominierten – Generaldirektors entzogen.[xv] Der Rundfunk war für SPÖ und ÖVP damals laut Helmut Zilk „ein Bauchladen zur medialen Selbstbedienung“[xvi], wobei die Sozialisten die medienpolitische Unbedarftheit der Volkspartei für ihre Zwecke geschickt ausnutzen konnten.

Besonders deutlich wird dies in der Frage der Finanzierung des Rundfunks. Weil die ÖVP das Medium Fernsehen völlig unterschätzt, stimmt sie einem monatlichen Programmentgelt von 50 Schilling zu, während sie gleichzeitig eine faktische Blockierung der Hörfunkgebühren bei sieben Schilling pro Monat zulässt. [xvii]

Eine Entscheidung, die in den kommenden Jahren noch folgenreiche Auswirkungen haben wird. Die Aufteilung der Macht- und Einflusssphären zwischen Rot und Schwarz lief weder innerhalb noch außerhalb des Rundfunks harmonisch oder friktionsfrei. Vor allem als sich Anfang der 60er Jahre immer mehr herauskristallisierte, dass sich das Fernsehen zum neuen Leitmedium entwickelt und die ÖVP erkennt, dass sie auf das falsche Pferd gesetzt hat, nehmen die Spannungen zwischen den Koalitionspartnern zu. Schließlich herrscht im Fernsehbereich nicht der Proporz, sondern die SPÖ, da es sich „unter der Leitung des Fernsehdirektors Freund zu einem weitgehend „SPÖ-autonomen“ Imperium entwickelt hatte.“[xviii]

Vorerst allerdings findet der Machtkampf zwischen Rot und Schwarz um die parteipolitische Einflussnahme auf den Rundfunk unter Ausschluss der Öffentlichkeit satt. „Da sich diese Auseinandersetzungen im Wesentlichen hinter den Kulissen abspielten, ahnte in der Öffentlichkeit kaum jemand etwas.“[xix]

60-er Jahre: Unmut über das Fernsehprogramm kommt auf

Erst im Lauf der 60er Jahre machen die parteiunabhängigen Zeitungen, die Kommerzblätter, wie sie die Sozialisten wenig charmant nennen, auf die intensive parteipolitische Einflussnahme auf den ORF aufmerksam. Nicht zuletzt deshalb, weil auch die Qualität des Programms zusehends schlechter wurde. Das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel schreibt damals über das österreichische Rundfunkprogramm: „Die Wiener Wellen waren Tiraden von Gewerkschaften und Unternehmern, Arbeiter- und Bauernkammer, Kanzler und Vizekanzler. Die Nachrichten begannen – auch wenn anderswo Geschütze donnerten – stets mit heimatlichen Ordensverleihungen oder Hofratsernennungen.“[xx]

Selbst das ohnehin genügsame heimische Fernseh- und Radiopublikum begann angesichts dieses Programms zusehends zu murren. „Es kam dieser Strom der Unzufriedenheit, der nur daher kam, weil das Programm immer politischer wurde, aber immer einbahnig politisch war. Nämlich von der Gestaltung her immer einfallslos politischer wurde und auch das Programm wurde immer eintöniger.“[xxi]

Zu diesen eintönigen Programmteilen gehören auch die sogenannten Belangsendungen. Diese trögen Werbesendungen für die Parteien stießen zunehmend auf Kritik und Missfallen bei den Sehern und Hörern. Trotzdem, der spürbare Unmut der Rundfunkkonsumenten kommt bei den Sozialisten nicht an. Nicht die Inhalte oder die Machart dieser Programmteile, sondern die „Kommerzpresse“, die sie schlecht schreibe, sei schuld am negativen Image der Belangsendungen, mutmaßt etwa Edmund Reichard von der Arbeiterkammer:

„Die Kritik an den sogenannten „Belangsendungen“ kommt nicht so sehr aus den Kreisen der Hörer, sondern von einigen Zeitungen, die auf sachliche Berichterstattung wenig Wert legen. Die breite Masse ist nicht gegen die Sendungen (…). Das zeigen jedenfalls zahlreiche Zuschriften. (…) Könnte man auf die Belangsendungen verzichten? Nein!“[xxii]

Der Rundfunk ist damals fest in der Umklammerung der Parteien, das immer bedeutender werdende Fernsehen ist aber fast ausschließlich unter sozialistischer Kontrolle. Der langjährige Herausgeber der Kleinen Zeitung, Fritz Csoklich, über diese Zeit: „Im Vergleich zum Nationalsozialismus war er [der Rundfunkjournalismus; A.d.V.] relativ frei. Aber wirklich frei war er nicht. Ein Fortschritt gegenüber dem Nationalsozialismus. Kein Vergleich zu den kommunistischen Nachbarländern (…). Aber bei uns gab es keine freie Publizistik im heutigen Sinn.“[xxiii]

Wie das in der Praxis ausgesehen hat, beschreibt Helmut Zilk: „Der damalige Justizminister Broda, der hat da gar nichts gekannt. Ich kann mich ganz genau erinnern. Der kam mit einem Speisezettel, den ihm irgendein Referent ausgestellt hat mit vier Fragen und den Zettel hat der Journalist bekommen, der dann diese vier Fragen stellen durfte. Damit war das Interview erledigt. Die Unsitte des „russischen Interviews“ sozusagen, die hat – gerechterweise zu sagen – nicht nur der Broda angewandt.“[xxiv]

Die Koalition streitet um das Geld

Anfang der 60er Jahre wird der Streit zwischen den beiden Großkoalitionären wieder besonders heftig geführt. Es geht ums Fernsehen, es geht um Macht und es geht um Geld. Die Auseinandersetzungen führen zur sogenannten „Rundfunkkrise“. Weil die Zahl der Fernsehzuseher stetig steigt, werden auch immer mehr Fernsehgebühren in die Kassen des SPÖ-dominierten Mediums gespült. Damit kann das Fernsehprogramm stetig ausgeweitet werden. Die Zahl der Hörfunkteilnehmer und damit die Gebühreneinnahmen stagnieren hingegen. Mit rund zwei Millionen zahlenden Teilnehmern ist für den Hörfunk 1961 der Zenit erreicht, während beim Fernsehen die Zahlen steil nach oben gehen: Gab es 1959 gerade einmal 50.000 Teilnehmer, waren es 1966 bereits rund 750.000.

Der Volkspartei wird nun schmerzlich bewusst, dass man das Fernsehen, das man lange Zeit als bloße technische Spielerei betrachtet hat, an die SPÖ verloren hatte. Die Sozialisten wiederum sahen keinerlei Grund, dem finanzschwachen Hörfunk mit einer Gebührenerhöhung unter die Arme zu greifen.

Eine Anhebung der Hörfunk- und Fernsehgebühren konnte nur der Rundfunk-Aufsichtsrat beschließen. Dazu war eine Dreiviertelmehrheit nötig, sprich beide Koalitionspartner mussten sich einig sein. Durch diese Blockade gerät der aufgeblähte und ineffiziente Rundfunk zusehends in Geldnot. Die Presse berichtet am 2.2. 1962:

„Aus der Rundfunkmisere ist ein richtiges Debakel geworden, so sehr, dass die Sender sogar nur mehr mit halber Kraft arbeiten dürfen (…) Von Seiten der Regierung liegen verbindliche Zusagen vor. Man will nicht mehr mit einem Notbudget arbeiten, sondern will das Unternehmen auf eine feste Basis stellen, man scheint überhaupt in Sachen Rundfunk zu einem Kompromiss bereit zu sein.“[xxv]

Doch diese Kompromissbereitschaft und der Reformwille beider Parteien sind nicht viel mehr als Wahlkampfgeplänkel. Am 18. November 1962 finden die Nationalratswahlen statt, SPÖ und ÖVP liegen Kopf an Kopf. Die Kritik der unabhängigen Zeitungen an den lediglich vorgetäuschten Reformbemühungen werden immer lauter. Am 18.8. 1962 schreibt Die Presse:

„Mit Verlaub: Die Sanierungsbemühungen sind total eingeschlafen. Es ist Sommer geworden, es wird bald Herbst sein, aber man hört weit und breit keinen Parteifunktionär unter der Last der Verantwortung in Sachen Rundfunk stöhnen. (…) Der Rundfunk ist also zum Krieg aller gegen alle geworden. Die ÖVP hat die SPÖ in Verdacht, sie wolle mit ihrer Aushungerungstaktik den Rundfunk ganz an die Kette des Staates legen (…) Am Beispiel des Rundfunks wird die Lähmung durch das Proporzsystem in geradezu alarmierender Weise deutlich.“[xxvi]

„Lösung“ des Koalitionskrise: Totaler Proporzfunk

Nun wird auch die Gewerkschaft für Kunst, Medien und freie Berufe munter, da sich immer mehr Rundfunkmitarbeiter über politische Einflussnahmen beschweren. Am fünften Gewerkschaftstag der Gewerkschaft Kunst, Medien und freie Berufe wird deshalb die Reorganisation des Rundfunks zur „dringlichen Gewerkschaftsangelegenheit“ erklärt.[xxvii]

Den Gewerkschaftern schwebt ein österreichischer Rundfunk nach dem Vorbild der BBC im Vereinigten Königreich vor. Nach den Nationalratswahlen, die die ÖVP mit 45,4 Prozent knapp gewinnt, die SPÖ kommt auf 44 Prozent, vereinbaren beide Parteien 1963 im Zuge eines Koalitionsabkommen einen Geheimpakt:

„Der Hörfunk war schwarz, das Fernsehen rot. Das Fernsehen bekam mit der Zeit Übergewicht und beide Parteien haben sich gegenseitig blockiert. Die haben das Geld nicht hergegeben, weder für das eine noch für das andere Instrument. Jetzt wollten sie das also bereinigen. (…) Also ein geheimes Abkommen, das besagte, alle Positionen im Hörfunk und im Fernsehen werden in jeder Abteilung parteipolitisch besetzt (…) und so könne man sich gegenseitig kontrollieren.“[xxviii]

Das Proporzsystem sollte durch dieses Abkommen, sozusagen vervollkommnet werden. Zudem hatten beide Parteien vereinbart, dass nur noch Inhalte gesendet werden durften, die parteioffiziell zur Sendung freigegeben wurden. Was nichts anderes bedeutet, als das Ende jeglicher auch nur halbwegs objektiver Berichterstattung. „Man hatte die Einsetzung von regelrechten Politkommissaren beschlossen.“[xxix]

Das Koalitionsabkommen und der Geheimpakt bedeuten einen deutlichen Rückschritt und eine Absage an die von den Zeitungen geforderten Reformbestrebungen. Hugo Portisch, Chefredakteur des Kuriers und der spätere Initiator des Rundfunkvolksbegehrens: „Also es war ein totales Proporzabkommen, meiner Ansicht nach eine Knebelung der Meinungsfreiheit in Hörfunk und im Fernsehen, also totale Kontrolle.“[xxx]

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert –  im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: Geheimpakt Staatsfunk: Die Presse macht mobil)

Literatur

Hanreich, Christa (2001). Das Rundfunkvolksbegehren 1964. Diplomarbeit. Wien.

Kunz, Johannes (1987). Am Anfang war die Reblaus – Die Zweite Republik in Anekdoten. Wien.

Österreichischer Rundfunk (Hrsg., 1985). Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag. Salzburg.

Portisch, Hugo (1985). Das Volksbegehren und Bacher I. In: Österreichischer Rundfunk (Hrsg.): Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag. Salzburg.

Sandner, Wolfgang (1969). Das Rundfunkvolksbegehren – Eine Analyse der Reform des Österreichischen Rundfunks. Dissertation. Wien.

Tozzer Kurt / Majnaric, Martin (2005). Achtung Sendung – Höhepunkte, Stars und exklusive Bilder aus 50 Jahre Fernsehen. Wien.

Vodopivec, Alexander (1970). Der verspielte Ballhausplatz – Vom schwarzen zum roten Österreich. Wien.

Vodopivec, Alexander (1975). Die Quadratur des Kreisky – Österreich zwischen parlamentarischer Demokratie und Gewerkschaftsstaat. Wien

Endnoten

[i] Siehe Tozzer/Majnaric. 2005. Seite 13.

[ii] Ebenda.

[iii] Hanreich. 2001.Seite 21.

[iv] Kunz. 1987. Seite 79.

[v] Kurt Tozzer zitiert nach Hanreich. 2001. Seite 21.

[vi] Kurt Tozzer zitiert nach Hanreich. 2001. Seite 21.

[vii] Kurt Tozzer zitiert nach Hanreich. 2001. Seite 21.

[viii] Bundeskanzler Raab kommentierte den Beginn des Fernsehens mit: „Das ist doch alles Baberlzeug“.

[ix] Podgorski. 2005. Seite 29.

[x] Franz Olah zitiert nach Hanreich. 2001. Seite 5.

[xi] Wolfgang Pensold: Vom Staatskanzler zum Medienkanzler - Drei Dogmen im medienpolitischen Diskurs der SPÖ nach 1945. In: Medien & Zeit, Heft 3/1999.

[xii] Siehe Sandner. 1969. Seite 8.

[xiii] Ebenda.

[xiv] Vodopivec. 1970. Seite 234.

[xv] Siehe Vodopivec. 1975. Seite 304.

[xvi] Hanreich. 2001. Seite 30.

[xvii] Siehe Vodopivec. 1975. Seite 305.

[xviii] Vodopivec. 1970. Seite 237.

[xix] Sandner. 1969. Seite 20.

[xx] Der Spiegel Nr. 3/1968. Seite 87.

[xxi] Helmut Zilk zitiert nach Hanreich. 2001. Seite 34.

[xxii] Hanreich. 2001. Seite 37.

[xxiii] Fritz Csoklich zitiert nach Hanreich. 2001. Seite 38.

[xxiv] Helmut Zilk zitiert nach Hanreich. 2001. Seite 39.

[xxv] Die Presse 2.2.1962.

[xxvi] Die Presse 18.8.1962.

[xxvii] Siehe Hanreich. 2001. Seite 51.

[xxviii] Hugo Portisch: Über das Rundfunkvolksbegehren. www.demokratiezentrum.org [18.6.2011].

[xxix] Portisch. 1985. Seite 54.

[xxx] Hugo Portisch: Über das Rundfunkvolksbegehren. www.demokratiezentrum.org [18.6.2011].

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Die roten Meinungsmacher (3): Auf dem Weg zum Proporzrundfunk: Schwarze Welle – Roter Schirm drucken

Mit dem Ende der Besatzungszeit begann die Ära des so genannten Proporzrundfunks. Die mehr oder weniger oppositionslose Koalitionsregierung aus ÖVP und SPÖ teilte das Land und seine Institutionen unter sich auf. Kaum ein Bereich blieb von dieser neuen schwarz-roten Ordnung, die aus der Notsituation der Nachkriegszeit heraus entstand, ausgenommen – auch nicht die Medien im Allgemeinen und der Rundfunk im Besonderen.

„Bundeskanzler Julius Raab hat die politische Realität einem ausländischen Journalisten folgendermaßen erklärt: „Proporz ist, wenn Sie in den Rundfunk kommen und einem verantwortlichen Mann die Hand entgegenstrecken und sich dann wundern müssen, dass sie plötzlich zwei Hände drücken.“[i]

Raab dürfte ganz bewusst den Rundfunk als Beispiel für das Proporzsystem gewählt haben. „Denn hier gab es den Proporz in seiner schädlichsten Form“[ii] Helmut Zilk: „In den 50er Jahren ist dann der Rundfunk (…) das geworden was er später war. Ein Koalitionsrundfunk, ein Rundfunk, in dem sich die Parteien breit gemacht haben.“[iii]

Die SPÖ war in der Verfolgung ihrer Ziele allerdings wesentlich konsequenter und durchsetzungsfähiger als die Volkspartei. Dies hatte einerseits historische Ursachen, die in der Zeit des Austrofaschismus wurzeln, anderseits waren die Sozialisten der Ansicht, dass die unabhängigen Tageszeitungen, die es in Wien seit 1948 neben den Besatzungs- und Parteiblättern wieder gab, der verlängerte Arm der Volkspartei seien und die SPÖ von diesen deshalb feindlich bis ablehnend behandelt werden würde.[iv]

Zeitungslandschaft in der Besatzungszeit

In Westösterreich konnten sich unter den Amerikanern und Franzosen aus den ursprünglichen Besatzungsblättern durch die Lizenzvergabe an vertrauenswürdige Personen rasch erfolgreiche unabhängige Zeitungen entwickeln, die den regionalen Zeitungsmarkt bis heute beherrschen (Tiroler Tageszeitung, Vorarlberger Nachrichten, Salzburger Nachrichten, Oberösterreichische Nachrichten). Die Parteiblätter, die von den beiden Besatzungsmächten erst später zugelassen worden sind, spielten hingegen nie eine relevante Rolle.[v]

In der britischen Zone wurden zuerst die Parteiblätter lizensiert, erst zwei Jahre später kam die unabhängige Kleine Zeitung mit Ausgaben für die Steiermark und Kärnten auf den Markt, die sich aber rasch als regionaler Marktführer etablieren konnte. In der Sowjetzone stellte sich die Situation vollkommen anders dar. Hier gab es zunächst die Österreichische Zeitung der russischen Besatzungsmacht und das Neue Österreich, ein überparteiliches Blatt, das im Besitz der drei von den Russen zugelassenen Parteien SPÖ, ÖVP und KPÖ, war. Jede der drei Parteien hatte noch zusätzlich ihr eigenes Organ: Die SPÖ die Arbeiterzeitung, die ÖVP das Volksblatt und die KPÖ die Volksstimme.

All diese Zeitungstitel waren aber nur mäßig erfolgreich. Im Gegensatz zu dem von den Amerikanern etwas später herausgegebenen Wiener Kurier. Dieser erreichte Anfang der 50er Jahre Auflagen von bis zu 300.000 Stück. 1948 entstand mit der Presse die erste unabhängige Tageszeitung im Osten Österreichs[vi]. Mit dem Ende der Besatzung und damit der Besatzungsblätter begann auch in Wien der rasche Aufstieg der unabhängigen Blätter wie etwa dem Neuen Kurier.

Die von Anfang an glücklosen Parteiblätter rutschten in den 50er Jahren noch tiefer in die Krise und in die Bedeutungslosigkeit und mussten durch Subventionen weiter künstlich am Leben erhalten werden.

Für die SPÖ war dies eine äußerst unbefriedigende Situation. Die reichweitenstarken unabhängigen Bundesländerzeitungen mit ihrer tendenziell bürgerlichen Blattlinie wurden von ihr als antisozialistisch, als Klassenfeind, eingestuft und gerne abwertend als „Kommerzpresse“ bezeichnet, „da hier die Interventionen von Parteifunktionären aller Ebenen sehr rasch auf Grenzen stießen“[vii]

Auch in Wien war die Situation für die Sozialisten nicht besser, hier dominierten die unabhängigen Blätter wie der Kurier, die Presse oder der Bild-Telegraf den Zeitungsmarkt. Umso wichtiger war es für die SPÖ, den Rundfunkbereich zu kontrollieren und zu instrumentalisieren, „um die Stabilisierung einer sozialistisch-gewerkschaftlichen Dauerherrschaft zu erreichen.“[viii]

Motive der SPÖ für einen zentralistischen Staatsfunk

Unabhängige Medien und Journalisten wurden von den Sozialisten primär als Störfaktoren bei der Durchsetzung ihrer ideologischen Ziele und Machtinteressen empfunden. Der Pressefreiheit standen sie deshalb äußerst skeptisch gegenüber, wie etwa ein Brief des sozialistischen Staatskanzlers Karl Renner an den kommunistischen Chefredakteur des Neuen Österreich, Ernst Fischer, in eindeutiger Weise aufzeigt:

„Ich mache Sie nur noch auf einen Umstand aufmerksam. Das Berufsliteraten- und Publizistentum neigt sehr dazu, zwischen allen Parteien herumzuschaukeln und in dieser politischen Unbestimmtheit geradezu ein Merkmal geistiger Überlegenheit zu sehen. Niemand ist ein ärgerer Verächter des wirtschaftenden und sich um das allgemeine Wohl kümmernden Arbeitsmenschen als diese Klasse. Sie ist auch absolut unzuverlässig. Es ist viel klüger, sie zu wirklicher Parteiarbeit zu erziehen als zu hochmütiger Überheblichkeit.“[ix]

Genau in dieser Denkweise wurzeln die Bestrebungen der Sozialisten, einen zentral gesteuerten Staats- und Proporzfunk in Österreich zu installieren und zu etablieren. Verstärkt und befeuert wurden diese Anliegen noch durch die über die Jahre schwindende Bedeutung der sozialistischen Parteiblätter wie etwa der Arbeiterzeitung.[x]

„Unter diesen Umständen war es das Konzept der SPÖ und des Verkehrsministers Waldbrunner, den Rundfunk, und damit später auch das Fernsehen, nach dem Abzug der Besatzungsmächte so weit als möglich in die Hand zu bekommen, um sich damit eine möglichst umfassende Kontrolle und Einflussnahme auf das einzige zentrale Massenmedium zu verschaffen.“[xi]

Im Ringen um Einfluss und Macht im Rundfunkbereich beging die ÖVP einen fatalen Fehler, dessen Auswirkungen noch bis heute, Tag für Tag, Woche für Woche, im ORF-Fernsehen zu sehen sind.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert –  im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: Das Narrenkastl – die grobe Fehleinschätzung der Volkspartei)

Literatur

Cisar, Gottlieb-Heinrich: 60 Jahre Rundfunkpolitik in Österreich. Der Weg zur dritten Rundfunkreform. Dissertation. Wien 1987

Hanreich, Christa: Das Rundfunkvolksbegehren 1964; Diplomarbeit Wien 2001

Österreichischer Rundfunk (Hg.): Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag; Salzburg, Wien 1985

Portisch, Hugo: Das Volksbegehren und Bacher I. In: Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag, Salzburg, Wien  1985

Vodopivec, Alexander: Die Quadratur des Kreisky – Österreich zwischen parlamentarischer Demokratie und Gewerkschaftsstaat.  Wien 1975

Endnoten

[i] Portisch, 1985, Seite 53.

[ii] Ebenda.

[iii] Hanreich, 2001; Seite 17.

[iv] Siehe Hanreich, 2001; Seite 17

[v] Siehe Vodopivec, 1975, Seite 296f.

[vi]  Ab Jänner 1946 erscheint die von Fritz Molden gegründete Die Presse aufgrund von Papierknappheit nur wöchentlich, ab dem 19.10.1948 täglich

[vii] Vodopivec, 1975, Seite 300.

[viii] Vodopivec, 1975, Seite 296.

[ix] Hanreich, 2001, Seite 19.

[x] Siehe Hanreich, 2001, Seite 19f

[xi] Vodopivec, 1975, Seite 303 f.

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Die Roten Meinungsmacher(2) – Alpenland und Rot-Weiß-Rot: Rundfunk nach dem Krieg drucken

Mit dem Ende der Naziherrschaft entstand in Österreich für circa zehn Jahre eine relativ bunte – wenn auch nicht freie – Radiolandschaft. Dies hatte freilich nichts mit den Politikern von SPÖ oder ÖVP zu tun. Die  Informations- und Propagandaoffiziere der Alliierten übernahmen mit Kriegsende in den jeweiligen Besatzungszonen die Kontrolle über die österreichischen Sendeanlagen[i].

Die USA errichtete die Sendergruppe Rot-Weiß-Rot, zuerst in Salzburg und Linz, im Oktober 1945 dann auch in Wien. Großbritannien gründete die Sendergruppe Alpenland für die Steiermark und Kärnten, Frankreich die Sendergruppe West für Tirol und Vorarlberg.

Während die Radiostationen der westlichen Alliierten unter direkter Kontrolle der jeweiligen Besatzungsmacht standen, wählten die Sowjets einen etwas anderen Weg. Sie zensurierten und überwachten das Programm von Radio Wien, das in der Bundeshauptstadt und im Osten des Landes zu empfangen war.

Kurz nach Kriegsende, am 11. April, gelang es ehemaligen Mitarbeitern der RAVAG in das von den Russen besetzte Rundfunk-Gebäude zu gelangen und mit dem Wiederaufbau zu beginnen. Auf dem Dach des Funkhauses in der Wiener Argentinierstraße wurde ein provisorischer 30 Wattsender installiert.[ii]

Oskar Czeija, der bereits in den 20er Jahren die RAVAG[iii] gegründet hatte, hatte am 29. April 1945 Radio Wien wieder in Betrieb genommen. Als erste Sendung wurde der Staatsakt von der Gründung der provisorischen Regierung ausgestrahlt. Am nächsten Tag wurde bereits fünf Stunden lang gesendet. Im Sommer 1945 setzte die Regierung Renner Czeija als öffentlichen Verwalter der neuen RAVAG ein.

„Das Programm musste nicht nur der Kulturabteilung der Roten Armee, sondern auch dem Amt für Kultur und Volksbildung der Stadt Wien zur Genehmigung vorgelegt werden.“[iv]

Zudem wurde mehrmals pro Woche die berüchtigte russische Stunde ausgestrahlt. Im Volksmund wurde Radio Wien deshalb auch als der Russensender bezeichnet. Radio Wien war zugleich auch der mehr oder weniger offizielle Sender des Kabinetts Renner. Im Funkhaus in Wien saßen, neben Oskar Czeija, die Sowjets und deren kommunistische Vertraute aus Österreich. Czeija wurde nach geleisteter Aufbauarbeit jedoch rasch aus seiner Position gedrängt, die kommunistische Volksstimme hatte ihm eine Nähe zur NSDAP vorgeworfen und eine entsprechende Kampagne gestartet.

US-Sender Rot-weiß-rot

Der unter amerikanischer Kontrolle stehende Sender Rot-Weiß-Rot wurde als Gegenpol zum „Russensender“ Radio Wien positioniert. Er sollte mit Propagandasendungen wie, „Amerika ruft Österreich“ oder „Wir lernen denken“ die Bevölkerung pro-westlich bzw. pro-amerikanisch beeinflussen. „Jeder Sender kochte sein eigenes Süppchen gewürzt mit der politischen Ideologie der Besatzungsmächte."[v]

Der Sender der Amerikaner ging – nach einer 3-tägigen Probephase – am 6. Juni 1945 in Salzburg offiziell in Betrieb. Generalmajor Walter M. Robertson vom XV. Armeecorps in seiner Eröffnungsrede:

„(…)Ich bin besonders erfreut über die Wiedereröffnung dieses Senders, weil dadurch die Besatzungsbehörde die Gelegenheit hat, direkt zu Ihnen zu sprechen; Ihnen zu sagen, was wir benötigen und wie Sie am besten an der Lösung unserer Aufgabe mit uns zusammenarbeiten können – der Aufgabe nämlich, alle Spuren des Nazismus auszutilgen und sofort eine tatkräftige lokale Regierung zu erreichen. Es ist eine der ersten Bedingungen einer demokratischen Regierungsform, dass das Volk freien Zugang zu der Kenntnis der Tatsachen hat; denn nur ein freies Land von gut unterrichteten Menschen ist fähig, seine Regierung zu kontrollieren (…) Möge RWR dazu beitragen, die Österreicher zu einem gut unterrichteten Volk zu machen.“[vi]

Es waren aber nicht die prowestlichen Propagandasendungen und die politischen Ziele der Amerikaner, die den US-Sender, vor allem bei der jungen Bevölkerung, beliebt machten. Das Programm von Rot-Weiß-Rot und auch das des US-Militärsenders Blue Danube Network kam bei vielen Österreichern deshalb so gut an, weil im heimischen Radio erstmals Jazzmusik[vii] zu hören war und viele Elemente des amerikanischen kommerziellen Formatradios in die Programmgestaltung einflossen[viii]. Das Programm von Radio Rot-Weiß-Rot war für das Österreich der Nachkriegszeit geradezu revolutionär.

Zeitzeuge Helmut Zilk, der spätere Wiener Bürgermeister, in einem Interview über die Sender der Besatzungszeit: „Es haben ja alle 4 Zonen ihre eigenen Sender gehabt und jeder hatte gewisse Eigenheiten. Rot-Weiß-Rot war unvergesslich. Die Franzosen und die Engländer haben sich auch bemüht. „Radio Wien“ war der schlechteste nicht. Er war zwar fest unter Kontrolle der sowjetischen Offiziere, die sich dann aber zurückgezogen und die russische Stunde belassen haben.“[ix]

Die Besatzungsmächte überlassen im Laufe der Jahre das Feld zunehmend den heimischen Politikern und den Rundfunkmitarbeitern. Vor allem die Briten und die Franzosen ziehen sich relativ rasch aus dem Rundfunkbereich zurück, sie arbeiten dabei eng mit den Landesregierungen zusammen und überantworten ihnen immer mehr Aufgaben und Kompetenzen.[x] „Sie [die Franzosen, A.d.V.] überließen bereits im November 1946 den Rundfunk treuhändisch der Landesregierung“[xi]

Beginn sozialistischer Medienpolitik

Am 1. Juni 1951 wird im Nationalrat über den Rundfunk diskutiert, dabei sind sich alle Parteien einig, dass die Rückgabe der Sendeanlagen energisch verfolgt werden müsse.[xii] Bereits damals erkennen die Sozialisten, wie wichtig der Rundfunk für die Durchsetzung ihrer politischen Ziele und Interessen ist.

„Die fünfziger Jahre können auch als die Stunde Null der sozialistischen Medienpolitik angesehen werden. Für die österreichischen Sozialisten innerhalb des Koalitionsregimes wurde diese von Anfang an als eine Schlüsselfrage zur Erringung der politischen und parlamentarischen Mehrheit gesehen.“[xiii]

Schon sehr früh beginnen sie sich auf die Zeit nach der Besatzung vorzubereiten. In Gong, den Mitteilungen der sozialistischen Angestellten des österreichischen Rundfunks, schreibt etwa Franz Senghofer, der Bildungsreferent des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, zum Jahreswechsel 1952/53:

„Der Rundfunk ist noch nicht Volksfunk und Volksbildungsfunk. Er ist in der bürgerlichen Gesellschaft ein ideologisches Mittel dieser Gesellschaft. Eine sozialistische Gesellschaftsordnung zu erstreben, ist das Streben nach dem Volksfunk.“[xiv]

Nur wenige Monate später darf sich ÖGB-Mann Senghofer über zwei Meilensteine am Weg zum sozialistischen Volksfunk freuen. Im September 1953 werden von den vier Besatzungsmächten die Beschränkungen und Verbote zum Bau von Sendeanlagen fallengelassen, „worauf das erste Versuchsprogramm von „Radio Österreich“ über UKW ausgestrahlt werden konnte.“[xv]

Die russische Besatzung schafft kurze Zeit später, am 10. November 1953, die Zensur auf Radio Wien ab. Das sozialistische Mitteilungsblatt Gong bringt eine Sonderausgabe mit der Schlagzeile „Radio Wien zensurfrei“ und heftet sich diesen Erfolg für die Pressefreiheit an die eigene Brust: „Die Befreiung von sowjetischer Zensur ist ein neuerlicher Beweis dafür, dass der Kampf dort von Erfolg gekrönt ist, wo Sozialisten an verantwortungsvoller Stelle wirken.“[xvi]

Und das tun sie mittlerweile fast überall im Nachkriegsrundfunk. So wie heute waren auch bereits in den 50er Jahren Journalisten mit linker Weltanschauung – entgegen vieler historischer Darstellungen – im Rundfunk bereits deutlich überrepräsentiert[xvii].

Der Gong meldet etwa im November 1954 mit dicken Lettern: „Kammerwahl der Wiener Rundfunkangestellten: Absolute sozialistische Mehrheit.“ Und weiter: „Für die sozialistische Liste wurden mehr Stimmen abgegeben als für die Listen von Volkspartei und der Kommunisten zusammen.“[xviii]

Einführung des Rundfunkmonopols – gegen Vorarlberg

Anfang der 50er Jahre, als das Ende der Besatzungszeit in greifbare Nähe rückte, und sich die Alliierten immer mehr zurückzogen, arbeiteten SPÖ und ÖVP bereits an der Neugestaltung des österreichischen Rundfunks. Die in der Nachkriegszeit durch die Besatzungszonen bedingte Aufteilung des Rundfunks in vier Regionen/Zonen, mit jeweils eigenen Kompetenzen, wollten sowohl Sozialisten als auch die Volkspartei möglichst rasch abschaffen. Man strebte ein zentralistisches Rundfunkmonopol an.

Doch vor allem die beiden westlichen Bundesländer Vorarlberg und Tirol, die unter französischer Besatzung weitgehend eigenständig ihre Sender und Programme betrieben, wollten diesen Status auch weiterhin beibehalten und sich nicht vom fernen und ungeliebten Wien dazwischenfunken lassen. Die Franzosen hatten, beabsichtigt oder nicht, ein föderalistisches Rundfunksystem etabliert, das ganz im Gegensatz zum alten RAVAG-Konzept stand.[xix]

Frankreich übergab 1954 offiziell die Sender in Dornbirn und Innsbruck der öffentlichen Hand, allerdings nicht der Bundesregierung, sondern den beiden Landesregierungen. Und die widerspenstigen Vorarlberger hatten, sehr zum Ärger von SPÖ Verkehrsminister Karl Waldbrunner, auch nicht vor, ihre erlangten Befugnisse wieder abzutreten. Waldbrunner forderte sogar Gendarmerie an, für den Fall, dass die Landesregierung den Sender nicht freiwillig dem Bund übergeben wollte.[xx]

In diesem Streit wandte sich Vorarlberg an den Verfassungsgerichtshof, dessen Erkenntnis schließlich lautete: „(…) dass das Rundfunkwesen zur Gänze, somit in organisatorischer, technischer und kultureller Beziehung, Bestandteil des Telegrafenwesens, und daher gemäß Art. 10 Abs. 1 /. 9 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache ist.“[xxi]

Nach der Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs und nachdem das SPÖ-geführte Verkehrsministerium die Leitungen von Studio Dornbirn zum Sender Lauterbach gekappt hatte[xxii] – eine Praxis, die man auch noch rund 50 Jahre später gerne und oft bei unliebsamen Konkurrenten anwendete – hatte SPÖ-Minister Waldbrunner endlich sein Ziel erreicht, die, wie er es in Gong, dem sozialistischen Mitteilungsblatt für Rundfunkmitarbeiter, ausdrückte, „gedeihliche Entwicklung des Rundfunks“ einzuleiten. Oder anders ausgedrückt: Ein von seiner Partei und der ÖVP gelenktes, zentralistisches Rundfunkmonopol zu installieren.

Denn schon vor den Sendern in Tirol und Vorarlberg hatten die Alliierten fast im ganzen Land  ihre Sendeanlagen an Österreich abgetreten. Waldbrunner etablierte bereits zu dieser Zeit ein ganz wichtiges, wenn auch schon damals fadenscheiniges, Argument pro Rundfunkmonopol, auf das auch die nachkommenden Genossen von Karl Blecha bis zu Josef Cap bis zur Jahrtausendwende immer wieder gerne und oft zurückgriffen:

„Die Einheitlichkeit des österreichischen Rundfunks ist bei der Größe und Kostspieligkeit der ihm gestellten Aufgaben heute bereits zu einer Selbstverständlichkeit geworden“[xxiii]

Was so viel heißen sollte, dass nur der Staat finanziell und organisatorisch in der Lage sei, (direkt oder indirekt) Rundfunk zu betreiben. Das Rundfunkmonopol sei also, wie es Wirtschaftswissenschaftler ausdrücken, ein „natürliches Monopol“, sprich, nicht Ergebnis einer Ideologe oder politischer Willensbildung, sondern eine auf Sachzwängen wie etwa hohe Produktions- und Investitionskosten, Kleinheit des Marktes, Frequenzknappheit, etc. beruhende Notwendigkeit, also unvermeidlich.

Obwohl zur damaligen Zeit Rundfunk wesentlich kostenintensiver als heute war, war das Argument bereits in den 1950er Jahren lediglich ein Vorwand, um von Anfang an den Rundfunk im Land ungehindert für seine politischen Ziele instrumentalisieren zu können. Private Konkurrenz konnten Waldbrunner und seine Genossen dabei nicht gebrauchen.

Bereits vor dem Ende der Besatzungszeit wurde ein gemeinsames sogenanntes zweites Programm für die sowjetische und britische Zone über die Sender Wien II, Graz II, Klagenfurt II und Schönbrunn eingeführt. Lediglich die Amerikaner betrieben ihren Sender Rot-Weiß-Rot in Wien noch einige Zeit weiter

„Mit dem Abzug der Besatzungsmächte verschwand dieser Schutz (für den Sender Rot-Weiß-Rot A.d.V.) jedoch und der quasi exterritoriale Sender wurde mitsamt dem Watschenmann[xxiv] in den Staatsfunk eingegliedert.“[xxv]

Karl Waldbrunner stellte am 27. Juli 1955 die Sendergruppe Rot-Weiß-Rot ein. Der US-Sender ging im österreichischen Rundfunk auf.

Im Land herrschte nun nach Austrofaschismus und Nationalsozialismus wieder quasi rundfunkpolitischer Normalzustand, ein von den Machthabern gelenktes und kontrolliertes Monopol. Dieses Rundfunkmonopol war im Nachkriegseuropa allerdings keine Ausnahme, sondern die Regel:

„Bis zum Kriegsende veränderte sich die europäische Rundfunklandschaft dahingehend, dass sich in nahezu allen Staaten öffentliche und staatlich kontrollierte Rundfunkmonopole gebildet hatten. Die Entwicklung des Rundfunks unterlag fast ausschließlich politischen Einflüssen, eine kommerzielle Orientierung wurde in vielen europäischen Ländern lange Zeit nicht mehr thematisiert. Eine Privatisierung des Rundfunks unterblieb nach dem Ende des zweiten Weltkriegs.“[xxvi]

Widerstand gegen die neue rundfunkpolitische Ordnung gab es innerhalb der Bevölkerung kaum. Lediglich als die kritische Kabarettsendung „Der Watschenmann“, die der österreichische Rundfunk kurzzeitig von Radio Rot-Weiß-Rot übernommen hatte, eingestellt wurde, regte sich Widerstand.

Der Neue Kurier und Die Presse, also jene Zeitungen, die von den Sozialisten als SPÖ-feindlich eingestuft werden, setzten sich gegen die Absetzung der Kabarettsendung mit Helmut Qualtinger, Carl Merz und Gerhard Bronner ein und sammelten binnen kurzer Zeit rund 130.000 Unterschriften und Sympathiekundgebungen. Vergebens, die Sendung blieb trotzdem abgedreht.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert –  im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge:  Proporzrundfunk: Schwarze Welle – Roter Schirm)

Literatur

Ebner, Christian: Die geschichtliche Entwicklung des österreichischen Rundfunks unter besonderer Berücksichtigung der Monopolsituation des Medium Radio. Diplomarbeit. Wien  1991

Hanreich, Christa: Das Rundfunkvolksbegehren 1964; Diplomarbeit Wien 2001

Sandner, Wolfgang: Das Rundfunkvolksbegehren – Eine Analyse der Reform des Österreichischen Rundfunks. Dissertation. Wien 1969

Stöger, Hermann: Schwarze Welle – Roter Schirm; Der Proporz am Beispiel Rundfunk. Wien/Melk 1965

Ulrich, Andreas: Modernes Radio? US-amerikanische Rundfunkpolitik in Österreich (1945-1955) am Beispiel der Sendergruppe „Rot-Weiß-Rot“, Studio Wien. Diplomarbeit. Wien 1993

Vodopivec, Alexander: Die Quadratur des Kreisky – Österreich zwischen parlamentarischer Demokratie und Gewerkschaftsstaat. Wien 1975



Endnoten

[i] Siehe Oliver Rathkolb: www.demokratiezentrum.org (14.06.2011.).

[ii Siehe Stöger, 1965, Seite 13.

[iii] Die RAVAG (Radio Verkehrs AG) war von 1924 bis zum Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland die staatsnahe Monopolrundfunkanstalt in Österreich.

[iv] Siehe Oliver Rathkolb: www.demokratiezentrum.org (14.06.2011).

[v] Elisabeth Hobl-Jahn zitiert nach Geschichte Online: www.univie.ac.at/gonline/htdocs/upload/File/import/613.pdf (15.06.2011).

[vi] Salzburger Nachrichten; 7. Juni 1945 zitiert nach Ulrich, 1993, Seite 20.

[vii] Siehe Geschichte Online:  www.univie.ac.at/gonline/htdocs/upload/File/import/613.pdf (15.06.2011).

[viii] Siehe Radiogeschichte Österreich:  http://members.aon.at/wabweb/radio_a/radio_a2.htm (15.06.2011).

[ix] Helmut Zilk zitiert nach Hanreich, 2001, Seite 24.

[x] Siehe Stöger, 1965, Seite 15.

[xi] Österreich Journal; 30.11.2004 www.oe-journal.at/Aktuelles/!2004/1104/W5/53011radioVlk.htm (24.06.2011).

[xii] Siehe Sandner, 1969, Seite 6.

[xiii] Vodopivec, 1975, Seite 303.

[xiv] Gong - Mitteilungen der sozialistischen Angestellten des österreichischen Rundfunks. Wien 1952.

[xv] Hanreich, 2001, Seite 16.

[xvi] Gong  - Mitteilungen der sozialistischen Angestellten des österreichischen Rundfunks: Sonderausgabe Nr. 14; 11. November 1953.

[xvii] Laut einer repräsentativen Umfrage (Deutschland 2005), war die politische Einstellung der befragten Journalisten: 42,7% Grüne; 24,6% SPD, 14,29% CDU/CSU, 11,75% FDP und 6,67% Die Linke. Im Jahr 2010 gaben Politikjournalisten ihre Parteipräferenzen folgendermaßen an: 42,95% Grüne; 33,64% SPD; 11,25% CDU/CSU; 8,15% FDP; 1,03% Die Linke. Beide Umfragen siehe Pro – Das Christliche Medienmagazin, Nr.3/2011, Seite 7.

[xviii] Gong – Mitteilungen der sozialistischen Angestellten des österreichischen Rundfunks; Nr. 2 November 1954.

[xix] Siehe Stöger, 1965, Seite 15.

[xx] Siehe Österreich Journal (30.11.2004).

www.oe-journal.at/Aktuelles/!2004/1104/W5/53011radioVlk.htm.(14.06.2011)

[xxi] Siehe Oliver Rathkolb, www.demokratiezentrum.org (14.06.2011).

[xxii] Ebenda.

[xxiii] Verkehrsminister Waldbrunner: Für die gedeihliche Entwicklung des Rundfunks. In: Gong – Mitteilungen der sozialistischen Angestellten des österreichischen Rundfunks, 1954.

[xxiv] Kritische Kabarettsendung unter anderem mit Helmut Qualtinger, Oscar Bronner und Carl Merz.

[xxv] Heinz Lunzer; Österreich „Es ist ein Pfutschijammer!“ In: Die Zeit, 12.6.2008 Nr. 25.

[xxvi] Schriftenreihe der Rundfunk- und Telekom Regulierungs-GmbH;  Band 2/2004: Die duale Rundfunkordnung in Europa; Studie von Alexander Roßnagel und Peter Strohmann, Seite 19.

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Die Finanzkrise und ihre Ursache drucken

Folgt man den im Zusammenhang mit der nicht enden wollenden Schuldenkrise publizierten Einlassungen der Hauptstrommedien und Behauptungen der politischen Klasse, ist die Sache sonnenklar: Allein die Juden – Pardon – die Spekulanten sind Schuld. Diese ebenso gierigen wie tückischen Akteure haben die Arglosigkeit aufrechter demokratischer Eliten in aller Welt trickreich dazu genutzt, um deren Kampagnen zum Stimmenkauf – Pardon – „soziale Errungenschaften“ auf Pump zu finanzieren und auf diese Weise unter ihr Joch zu zwingen. Ein Skandal!

Daher ist es nur recht und billig, wenn unsere weisen Führer nun dazu übergehen, diesen ausbeuterischen Halunken die einzig angemessene Antwort zu geben, indem sie sie kurzerhand enteignen. Ein seit Jahrhunderten bewährtes Mittel zur Entschuldung, das in der guten alten Zeit gerne auch mit der physischen Liquidation der Kreditoren verbunden wurde! Immerhin wollen die nimmersatten Gläubiger ja nicht nur das von ihnen verliehene Geld wieder zurück, sondern begehren darüber hinaus auch noch – anmaßend wie sind – Zinsen!

Nicht zuletzt deshalb wächst die Höhe der Kapitalerträge im Verhältnis zu den Arbeitseinkommen ständig, was listige Genossen umgehend dazu veranlasst, Neid- und Hasstiraden gegen die Juden – Pardon – die „Reichen“ – vom Stapel zu lassen, die von den Massenmedien eilfertig kolportiert werden.

An eine Rückzahlung der eingegangenen Verbindlichkeiten, wie sie von jedem privaten Schuldner erwartet und verlangt wird, ist indessen keinesfalls zu denken. Schließlich sind große Teile der Stimmbürger seit Jahrzehnten auf die Entgegennahme leistungsloser Transfereinkommen konditioniert. Sie müssen also vom Staat auch künftig bei Laune gehalten werden. Daher bleibt am Ende nur ein „Schuldenschnitt“ á la Griechenland.

Die politische Klasse in Staaten wie Deutschland und Österreich lebt in der überaus beruhigenden Gewissheit, dass die Höhe der privaten Vermögen jene der staatlichen Schulden immer noch beträchtlich übersteigt. In einer Zeit der totalen Politisierung und Verstaatlichung unserer Gesellschaften und der damit verbundenen, rapide schwindenden Respektierung privater Eigentumsrechte, besteht daher keinerlei Veranlassung, die Staatsausgaben zurückzufahren. Fiskalischen Übergriffen schutzlos ausgelieferte Privatvermögen bilden die jederzeit verfügbare Manövriermasse des Wohlfahrtsstaates.

Ein bereits vor mehr als 140 Jahren von Lysander Spooner, einem US-amerikanischen Sklavereigegner, unter dem Titel „No Treason“ veröffentlichter Text nimmt sich jenes Problems an, das auch die Wurzel des gegenwärtigen Schuldendebakels bildet: Die Entkoppelung von (politischer) Macht und Verantwortung. Spooners Ausführungen bilden eine profunde Kritik am heute auch in Euroland herrschenden demokratischen System, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriglässt. Ein Auszug aus dem zwischen 1867 und 1870 entstandenen Traktat – zunächst zur Frage der „demokratischen Legitimation“:

„In Wahrheit kann die Wahlbeteiligung nicht als Beweis der Zustimmung angesehen werden. […] Im Gegenteil, es muss bedacht werden, dass ein Mensch sich, ohne dass seine Zustimmung erfragt worden wäre, sich von einer Regierung umringt findet, der er nicht widerstehen kann; einer Regierung, die ihn zwingt, unter Androhung schwerer Strafen Geld zu zahlen, Dienste zu erbringen und auf die Ausübung vieler seiner natürlichen Rechte zu verzichten. Er sieht auch, dass andere Menschen diese Tyrannei durch den Gebrauch der Wahlurne über ihn praktizieren.

Er sieht ferner, dass er, wenn er die Wahlurne selber benutzt, einige Chancen hat, sich von der Tyrannei durch andere zu befreien, indem er sie seiner eigenen unterwirft. Kurz, er findet sich ohne seine Zustimmung in einer Situation, wo er Herrscher werden kann, wenn er die Wahlurne benutzt, und wo er Sklave werden muss, wenn er sie nicht benutzt. Er hat keine andere Alternative als diese beiden. In einem Akt der Selbstverteidigung versucht er die erstere. Sein Fall ist analog zu dem eines Menschen, der in eine Schlacht gezwungen wurde, wo er entweder andere töten muss oder selber getötet wird. Daraus, dass ein Mensch das Leben seiner Gegner nimmt, um sein eigenes Leben in der Schlacht zu retten, kann nicht geschlossen werden, dass er diese Schlacht selber gesucht hat. […] Infolgedessen sind [gewählte Regierungsamtsträger] weder unsere Diener, Agenten, Anwälte oder Repräsentanten […] (denn) wir übernehmen für ihre Handlungen keine Verantwortung.“

Zu der von politischen Würdenträgern so gerne für sich reklamierten „Übernahme von Verantwortung“: „Wenn ein Mensch mein Diener, Agent oder Anwalt ist, bin ich im Rahmen der ihm von mir übertragenen Vollmacht notwendigerweise verantwortlich für alle seine Handlungen. Wenn ich ihm, als meinem Agenten, entweder absolute oder irgendeine Macht über Personen oder Besitztümer anderer Menschen als mir selbst übertragen habe, bin ich dadurch notwendigerweise gegenüber diesen Personen verantwortlich für jeden Schaden, den er ihnen zugefügt hat, solange er innerhalb des Rahmens der Machtbefugnis wirkt, die ich ihm gewährt habe.

Kein Individuum jedoch, das in seiner Person oder seinem Eigentum durch Handlungen des Kongresses geschädigt worden sein mag, kann sich an die individuellen Wähler wenden und sie für diese Handlungen ihrer so genannten Agenten oder Repräsentanten zur Verantwortung ziehen. Diese Tatsache beweist, dass diese anmaßenden Agenten des Volkes – von uns allen – in Wirklichkeit die Agenten von niemandem sind.“

Demokratisch gewählte Politiker berufen sich also auf ihr von den Wählern erteiltes Mandat. Sie können sich jederzeit hinter dem ihnen erteilten Wählerauftrag verschanzen und jedes noch so irrsinnige oder verbrecherische Programm – entsprechende Mehrheiten vorausgesetzt und solchermaßen „legitimiert“ (und zwar in 99,9% der Fälle ungestraft!) – umsetzen. Die Wähler andererseits sind, schließlich werden Wahlzettel ja anonym in der lauschigen Abgeschiedenheit einer Wahlzelle ausgefüllt, unbekannt und daher für ihre Wahl nicht verantwortlich zu machen.

Es liegt auf der Hand, dass ein derartiges System der doppelten Unverantwortlichkeit dem „Moral Hazard“ – der sich zum Beispiel in der rücksichtslosen Verpfändung der Zukunft der Jungen durch die Regierenden manifestiert – Vorschub leistet. Krethi und Plethi verhalten sich auf dem Boden dieses Systems rational, wenn sie besonnene Wahlwerber meiden, die ihnen unbequeme Sparprogramme verheißen. Sie wählen stattdessen lieber linke Desperados, die ihnen Brot und Spiele versprechen.

Dies umso mehr, als das Wahlrecht ja jedermann zugestanden wird. Der mittellose Totalversager, der keinen Tag seines Lebens aus eigener Kraft zu meistern imstande ist, wird, wie Spooner treffend bemerkt, mit der Aushändigung des Stimmzettels in die Lage versetzt, seine (wohlhabenden) Mitmenschen zu tyrannisieren. Dass der besitz- und geistlose Pöbel – von den in allen politischen Parteien zu findenden Feinden der Freiheit aufgestachelt – sich nur allzu gerne antikapitalistischen „eat the rich“- Feldzügen anschließt, ist nicht verwunderlich.

Um vorauszusehen, dass diese Aktivitäten am Ende eine kollektive Wohlstandsminderung bewirken werden, bedarf es allerdings keiner magischen Kristallkugel, sondern lediglich der Einsicht in elementare ökonomische Gesetzmäßigkeiten.

Dass ein, wie Spooner erkannt hat, mit derart schweren Konstruktionsfehlern behaftetes politisches System nicht dauerhaft bestehen kann, ist die „freie Welt“ soeben im Begriff, auf die harte Tour zu lernen.

http://praxeology.net/LS-NT-0.htm

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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Das Ende der Europäischen Union drucken

Bemühungen, die Territorien Europas zu (ver-)einen, sind so alt wie Europa selbst. Ob Julius Cäsar, ob Karl der Grosse, ob Napoleon, sie alle hatten so etwas im Auge, wenn auch aus verschiedenen Blickwinkeln und mit verschiedenen politischen Vorstellungen.

Nach der Katastrophe der zwei Weltkriege des zwanzigsten Jahrhunderts fanden sich sendungsbewusste Männer, die in einer dauerhaften europäischen Einigung mit wirtschaftlichem Schwerpunkt den besten Weg sahen, um sicherzustellen, dass von europäischem Boden kein bewaffneter Konflikt mehr ausgehen werde. So edel diese Grundidee, und so positiv die Bemühungen waren: Es zeigt sich, dass diese „Europäische Union“ nicht der richtige Weg in ein geeintes Europa ist, sondern, im besten Falle, ein Transitorium, wenn nicht, wie schon viele Versuche vor ihr, eine Sackgasse.

Die 1957 aus der Taufe gehobene EWG entwickelte sich zur EG und schließlich EU; sie erlebte Erfolge und Stagnationsphasen, missglückte und (scheinbar) gelungene Befreiungsschläge. Eines allerdings ist sicher: Von allem Anfang an gelang jedes Krisenmanagement, jede Überwindung eines toten Punktes nur dann, wenn damit eine Flucht nach vorne verbunden war.

Die Süderweiterung

Die Tatsache, dass die damalige „Konkurrenz“ zur EWG, die EFTA, nicht gerade ein Erfolgsmodell war, spätestens ab dem Zeitpunkt, als ihr das zwar relativ kleine, aber wirtschaftlich starke Dänemark, vor allem aber das Vereinigte Königreich an die EWG abhanden gekommen waren, gab der EWG Auftrieb. Vor allem könnten damals möglicherweise schon vorher vorhandene Überlegungen internationaler sozialistischer Kreise ernste Gestalt angenommen haben, nämlich der „kapitalistischen“ EWG nicht von außen Konkurrenz zu machen, sondern sie von innen zu unterwandern.

Hervorragende Instrumente hiefür bildeten die von ihren diktatorischen Regimes befreiten Staaten Südwest- und Südosteuropas: Spanien, nach einem kurzen bürgerlichen Zwischenspiel vom Sozialisten Gonzales regiert. Portugal, unter der Herrschaft des Sozialisten Soares, letztlich Griechenland, nach dem Sturz der „Obristen" von der – zumindest damals – parakommunistischen „Pasok“ beherrscht (mit Folgen, die wir alle bis heute leidvoll zu spüren bekommen).

Die „Süderweiterung" wurde angepeilt, verhandelt und verwirklicht. Und weiter geschah, außer, dass großzügige Überweisungen nach Spanien, Portugal und Griechenland flossen, zunächst  nicht viel.

Die Neutralen werden umworben

Dringend musste daher nun ein neuer Impetus erfolgen. Neue Kandidaten wurden gefunden: Der Rest der EFTA, die neutralen Staaten Schweden, Finnland und Österreich; die Schweiz und Norwegen lehnten das scheinbar großzügige Angebot dankend ab.

Der EU-Beitritt Österreichs erfolgte sogar mit freudiger 2/3 Unterstützung durch die Bevölkerung. Objektiv gesehen war der Ausgang der damaligen Verhandlungen jämmerlich, und das für Österreich magere Ergebnis trug bereits den Keim aller Probleme in sich, die wir heute mit  Brüssel haben.

Die Osterweiterung

Im Jahre 2004 wurden zehn weitere neue Mitglieder in die Union aufgenommen, der grösste Teil von ihnen früher Satelliten- oder sogar Teilstaaten der Sowjetunion, und viele von ihnen, da man sie in den Jahren 1989 und danach im Stich gelassen hatte, wieder unter stramm sozialistischen Regierungen.

Spitzenpolitiker mehrerer neuer EU-Mitglieder hatten Probleme, ihre kommunistische Herkunft schönzureden. Ein paar solcher ehemaliger Sowjet-Kommunisten bekleideten vorübergehend sogar hohe Ämter in Brüssel. War es daher nur Zufall, dass der formelle Beitritt am ersten Mai, dem traditionellen Fest- und Aufmarschtag der Marxisten, erfolgte?

Somit war – vorerst – das politische Kalkül aufgegangen, allerdings um einen hohen Preis, nicht nur an Subventionsleistungen für die neuen Mitglieder, sondern vor allem durch die Verunsicherung der Bevölkerungen in den bisherigen Mitgliedsstaaten.

Die Sorge, dass sich, ausgehend von den „Neuen“, Kriminalität und durch Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft gewachsenes Mittelmass in die ganze Union ausbreiten könnten, fand volle Bestätigung und ließ die kritischen Stimmen immer lauter werden: Diese Osterweiterung sei zu schnell, zu ungenau, vor allem aber unproportional gewesen (fünfzehn Altmitgliedern standen zehn neue gegenüber!): Alles völlig zutreffende Bedenken; sie wurden von Kritikern, aber auch von klugen Pro-Europäern immer wieder vorgebracht, allerdings stets als Miesmacherei abqualifiziert.

Der missglückte Versuch einer nächsten Erweiterungsrunde

Was nun folgen musste, war  – wir kennen das ja schon – eine neuerliche Flucht nach vorne. Zwei Staaten, Rumänien und Bulgarien, wurden leichtsinnig, im Schnellverfahren und ohne ihren alles andere als europareifen Zustand zu berücksichtigen, in die Union aufgenommen, mit bekannten Folgen.

Im Falle Rumäniens wurde  zudem nicht bedacht (oder  bewusst  in Kauf genommen?), dass man mit seiner Aufnahme die größte Roma- und Sinti- Population Europas (nach Schätzungen – genaue Daten gibt es ja zumindest offiziell nicht – mehrere Millionen Menschen!) zu EU – Bürgern gemacht hat.

Peinliche Mängel an Europareife bestehen aber nach wie vor auch bei anderen Jung- Mitgliedern wie u. a. Tschechien, Ungarn, Slowenien und – leider – auch den Staaten des Baltikums, die durch ihr Verhalten in jüngster Zeit bewiesen haben, dass sie offenbar noch sehr viel zu lernen haben. Dafür muss das bereits wesentlich fortgeschrittenere Kroatien viel zu lange warten – warum wirklich, will offenbar keiner sagen. Und die Frage, ob es ein EU-Mitglied Türkei geben wird, könnte sich mittelfristig relativieren oder ganz erübrigen.

Der Anfang vom Ende

Das – gar nicht so unwahrscheinliche – Szenario könnte sein: Unübersichtlichkeit und Heterogenität von rund dreißig Mitgliedsstaaten bringen es so weit, dass die Union schlicht und einfach unvollziehbar wird. Die Brüsseler Bürokratie trägt redlich das Ihre dazu bei, indem sie sich mit so wichtigen Problemen wie der Normung der Autonummern, dem Verbot von Glühbirnen, der Untersuchung von chinesischem Kinderspielzeug und ähnlichen weltbewegenden Dingen beschäftigt, aber bei der Bewältigung echter Herausforderungen, wie etwa der Ende 2008 ausgebrochenen weltwirtschaftlichen Turbulenzen, jämmerlich versagt.

Besonders deutlich wird die Unfähigkeit der Union in diesen Tagen durch den dilettantischen Umgang mit der Krise um und in Griechenland (zu der es ja überhaupt nicht hätte kommen dürfen, wenn die Brüsseler Bürokraten aufmerksam genug gewesen wären). Auf das beschämend hilflose Stegreiftheater rund um den Euro, der immerhin, ob es uns gefällt oder nicht, unsere Währung ist, einzugehen würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen.

Es ist daher durchaus nicht so unwahrscheinlich, dass Kommission und Bürokratie in Brüssel zu einem – nicht mehr so fernen – Zeitpunkt so sehr mit sich selbst und Problemen von der Wichtigkeit der vorher erwähnten beschäftigt sind, dass sie gar nicht bemerken, wenn ihre Richtlinien zunächst in einzelnen, dann in immer mehr und schließlich in allen Mitgliedsstaaten nicht mehr ernst genommen werden. Wichtige Entscheidungen fallen ohnedies schon heute wieder in den Mitgliedstaaten selbst oder in bilateralen Konsultationen, jedenfalls weit an Brüssel vorbei – siehe Weltwirtschafts- und Griechenlandkrise.

Die Kommission in Brüssel wird aber natürlich weiter kommissionieren, der Europäische Gerichtshof in Luxemburg weiter judizieren, das Amt für amtliche Verlautbarungen (das gibt es tatsächlich, und es heißt auch wirklich so!) wird weiterhin amtlich verlautbaren, das Parlament wird parlieren, hoch bezahlte Beamte werden auf (auch unsere) Tobin-Steuerkosten kreuz und quer durch Europa düsen und Konferenzen und Enqueten abhalten.

Die im Gefolge des Vertrages von Lissabon erfolgte Bestellung von Mickymaus-Politikern zu den höchsten Repräsentanten der EU bestätigt den Weg Brüssels in Richtung Entenhausen: Was hat, beispielsweise, Herr van Rompuy in den letzten Wochen für eine Rolle gespielt, außer der des Haus(hof)meisters?

Und die Kommissionsmitglieder – allen voran die unselige Frau Reding – verteilen in grandioser Selbstüberschätzung Zensuren, die ihnen nicht zustehen, und zeigen auch sonst, dass sie nicht verstehen oder verstehen wollen, welch geringen Stellenwert sie eigentlich haben.

Fazit

Was bleibt, ist unendlich viel wertloses bedrucktes Papier und eine sinnlos gewordene Europa-Hauptstadt ohne Europa:  Das ehedem gemütlich-provinzielle Brüssel als sinnentleerter Themenpark, wo in hässlichen postmodernen Büropalästen die (teure) Reality-Show „Wie beschäftige ich tausende überflüssige, aber hoch bezahlte Mitarbeiter, ohne, dass sie ernsthaften Schaden anrichten“ gespielt wird: Außer Spesen nichts gewesen.

Schade um die viele Arbeit und die Unmengen von Geld, die in diese Sackgasse investiert wurden. Eine vergebene Chance. Aber zum Trost möge gereichen, dass ja auch alle früheren europäischen Einigungsversuche gescheitert sind. Und so viel klüger als in den vergangenen zweitausend Jahren waren die Menschen in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eben auch nicht. Warum hätten sie es auch sein sollen?

Harald Rassl, geboren 1943, lebt in Wien. Er war mehr als 35 Jahre in der Kreditwirtschaft tätig.

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Das Ringen um einen lebenswerten Liberalismus drucken

2010 konnte das in vielerlei Hinsicht bedeutendste wirtschaftsphilosophische Werk des 20. Jahrhunderts seinen 50. Geburtstag feiern: Friedrich August von Hayeks "Constitution of Liberty" erschien 1960 zunächst im Original auf Englisch, erst zehn Jahre später dann (und in dem bei Hayek immer eine besondere Fundgrube darstellenden Anmerkungsapparat noch etwas angereichert) als "Verfassung der Freiheit" auf Deutsch.


Es ist nicht zu hoch gegriffen, es als das für Liberale wichtigste Buch seit John Stuart Mills fast genau hundert Jahre älterem "On Liberty" (1859) zu bezeichnen. Es war wichtig im Zeitpunkt des Erscheinens, denn der Liberalismus galt damals als veraltet, und es brauchte einigen Mut und viel tief wurzelnde Überzeugung, eine solch umfassende Wiederbelebung des klassischen Liberalismus zu unternehmen, wie dies Hayek mit der "Verfassung der Freiheit" unternahm. Und es war und ist wichtig wegen seiner nachhaltigen Wirkung auf das liberale Denken der letzten Jahrzehnte, nicht nur unter Intellektuellen, sondern nicht zuletzt in der praktischen Politik, wenn man etwa an Ronald Reagan, Margret Thatcher oder Vaclav Klaus denkt.

Das Opus magnum Hayeks – neben den drei Bänden von "Recht, Gesetzgebung und Freiheit" – hat naturgemäß nie die Popularität von Hayeks größtem Erfolg, "Der Weg zur Knechtschaft", erlangt. Diese relativ kurze Schrift aus dem Jahre 1944 wurde gleich zu Beginn dank der Verbreitung durch "Reader's Digest" zum Bestseller, und sie erfreut sich in Wellen immer wieder größter Beliebtheit. Zuletzt hat sie es im Umfeld der amerikanischen Midterm-Wahlen 2010 und der Tea-Party-Bewegung gar auf der Bestsellerliste von Amazon.com in den USA auf den ersten Platz geschafft – keine schlechte Leistung für einen als neoliberal verschrienen Ökonomen.

Anspruchsvoller Realismus

Einen solchen Zuspruch wird die "Verfassung der Freiheit" natürlich nie erhalten. Dafür ist sie schlicht zu anspruchsvoll. Das Werk ist von einer solchen Breite, dass es alle disziplinären Grenzen sprengt. Das ist auch ganz explizit die Absicht des Autors, wie er in der Einleitung schreibt, denn die Verflechtung der verschiedenen fachwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Freiheit stehe eben immer noch aus. So ist es denn kaum verwunderlich, dass sich der Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften nur zu etwa 20 Prozent auf Ökonomen beruft, und daneben Philosophen, Juristen, Historiker, Politologen und Soziologen reichlich zu Wort kommen lässt.

Zugleich ist das Werk von großer Tiefe der Gedanken und zeugt von einer beeindruckenden Belesenheit und Bildung. Es ist keine streng logische Abhandlung, sondern auf über 500 Seiten ein permanentes intellektuelles Ringen um das Verständnis von dem, was Freiheit ausmacht, was sie bedroht und was sie dauerhaft sichern kann.

Dass es dabei nicht ohne Widersprüche abgehen kann, versteht sich für ein Werk von solchem Umfang, das zudem der Realität gerecht werden will, eigentlich von selbst. So bekunden vor allem viele sogenannte Libertäre Mühe mit Hayeks Schrift, denn sie ist eben im Gegensatz zu dem, was staatsgläubige Kritiker behaupten, alles andere als ein radikal-liberales Manifest, sondern sie ist der Versuch, realistische, auf die gewachsenen Strukturen Rücksicht nehmende Lösungen zu entwickeln, die Freiheit lebenswert machen und die bei aller Betonung der individuellen Verantwortung das Zusammenleben in der Gemeinschaft nicht ausblenden.

Deshalb gehört für ihn zu einer freien Gesellschaft auch ganz selbstverständlich die Freiheit, sich gemeinsame Regeln zu geben. Freiheit bedeutet für ihn nicht, ohne Regeln zu leben, sondern lediglich, dass diese Regeln nach einem allgemein gültigen, die Bürgersouveränität achtenden Verfahren durch die Gemeinschaft festgelegt werden müssen. Man könnte auch sagen, dass man dem Werk die europäische Herkunft und Erfahrung des Autors anmerkt, denn in seinen wertkonservativen Ansätzen und in seiner Bejahung der sozialen Sicherung oder der Raumplanung, um nur wenige Beispiele zu nennen, steckt viel von jenem alten Europa, das Hayek geprägt hat.

Offenheit für Unvorhersehbares

Wer "Die Verfassung der Freiheit" heute zur Hand nimmt, stellt zunächst fast mit Erschütterung fest, wie wenig Staub das Werk angesetzt hat – Erschütterung deswegen, weil sehr vieles von dem, was Hayek beunruhigt hat, nach wie vor gilt, weil seine klärenden Gedanken noch wenig gefruchtet haben. Nur einige wenige davon können hier in Erinnerung gerufen werden. Viele andere werden von den weiteren Autoren dieser Hommage an die "Verfassung der Freiheit" ausführlich thematisiert.

Fast zentral ist wohl das Konzept der negativen Freiheit, denn vom Freiheitsbegriff hängt letztlich alles ab, nicht zuletzt auch das politische Handeln. Hayek kritisiert vehement und überzeugend die Gleichsetzung von Freiheit mit der Macht, alles zu tun, was man möchte, wie man sie bei Voltaire findet. Daraus wachse fast unvermeidlich die Gleichsetzung von Freiheit und Wohlstand und der Versuch, im Namen dieses falschen Freiheitsbegriffes die Freiheit im ursprünglichen Sinne zu beschränken, nämlich Wohlstand umzuverteilen mit dem Argument, das mache die "Armen" freier, die "Reichen" aber nicht wesentlich unfreier. Für Hayek bedeutet Freiheit die Abwesenheit von willkürlichem Zwang durch andere, nicht die Abwesenheit von natürlichen Widrigkeiten oder die Abwesenheit aller Übel. Freiheit kann in seinen Worten bedeuten, "zu hungern, kostspielige Irrtümer zu begehen oder gewaltige Risiken einzugehen" (VdF, S. 25iii).

Eine weitere wichtige Botschaft der "Verfassung der Freiheit" ist die Offenheit für das Unvorhersehbare. Hayek ist in diesem Werk noch weit weg von seinen Altersdepressionen, er ist voller Optimismus, Fortschrittsglaube und Risikobereitschaft, ohne die Traditionen mutwillig und ungeprüft über Bord zu werfen. Seine fulminante Kritik am Konservatismus, die auch im vorliegenden Buch, wie in der "Verfassung der Freiheit" selbst, den krönenden Abschluss bildet, ist über weite Strecken eine Kritik am Strukturkonservatismus.

Wenn er schreibt, Konservative hätten Mühe, sich vorzustellen, dass es auf Märkten auch ohne bewusste Lenkung ein Gleichgewicht gebe, sie fühlten sich nur sicher, wenn eine «höhere Weisheit» die Veränderungen beobachte und in Ordnung halte, und sie hätten nichts gegen Zwang, solange ihnen die angestrebten Zwecke dieses Zwangs richtig erschienen, ist schnell ersichtlich, dass es diese Art von Konservativen in allen politischen Parteien gibt, in sozialistischen genauso wie in sogenannt liberalen.

Missverständnisse um Moral und Demokratie

Ein weit verbreitetes Missverständnis – oder ist es eher eine gezielte Polemik? – lautet, Hayeks Philosophie sei geradezu amoralisch. Es rührt daher, dass Hayek zwar immer betont, dass Freiheit ohne tief verwurzelte moralische Überzeugungen nicht Bestand haben kann, dass er sich aber gleichzeitig gegen ein Erzwingen der Moral durch den Staat mit seinem Gewaltmonopol stellt.

Gründe dafür gibt es viele: Erstens ist Zwang per defintionem etwas, das man in einer freiheitlichen Gesellschaft vermeiden bzw. auf ein Minimum beschränken sollte. Zweitens muss es, angesichts der Beschränktheit menschlicher Vernunft, die Möglichkeit des Übertretens moralischer Regeln geben, damit evolutive Entwicklung möglich wird. Drittens kann, wie schon Friedrich Schiller wusste, nur Handeln in Freiheit moralisch genannt werden; wenn ein Verhalten "amoralisch" genannt werden muss, dann viel eher jedes erzwungene Handeln, und diene es noch so sehr vermeintlich guten Zwecken.

Viertens schliesslich ist, abgesehen einmal von abgrundtiefer Kriminalität, gerade eine freie, wettbewerblich organisierte Gesellschaft vermutlich die bessere Sicherung gegen schlechte Menschen bzw. die schlechten Eigenschaften der Menschen als der staatliche Zwang; der Wettbewerb bringt die Menschen jedenfalls dazu, jenseits des reinen Lustprinzips jene Güter und Dienste anzubieten, die von den anderen Menschen nachgefragt werden.

Missverständnisse gibt es auch oft über Hayeks Demokratie-Kritik. Das Zitat von Lord Acton: "Das Dogma, dass absolute Macht durch die Hypothese, dass sie vom Volk ausgeht, ebenso gesetzmäßig sein kann wie verfassungsmäßige Freiheit, begann … den Himmel zu verdunkeln", das er an den Anfang seines Kapitels über den "Verfall des Rechts" (VdF, S. 319) stellt, zeigt, dass es ihm mit seiner Kritik an vielen Entwicklungen in den westlichen Demokratien nicht um die Demokratie an sich, sondern um die unbeschränkte Regierung geht.

Für ihn wäre die Macht, die in modernen Demokratien die Regierung und die Verwaltung besitzen, noch unerträglicher, wenn sie sich in den Händen einer kleinen, womöglich feudalen Elite befände. Aber auch so geht Hayek diese Macht zu weit, weil nach dem Grundsatz der Subsidiarität das Kollektiv nicht fast alles, sondern nur das unbedingt Nötige entscheiden sollte. In seinen Augen kann daher auch eine Demokratie totalitäre Gewalt ausüben, können auch demokratisch erlassene Gesetze zutiefst unliberal sein. So stößt sich Hayek etwa daran, dass in Demokratien in der Steuerpolitik eine Mehrheit einer Minderheit (von Reichen) fast jede Last auferlegen könnte, die sie für richtig hält.

Der moderne Belästigungsstaat

So wertvoll die "Verfassung der Freiheit" heute noch ist, kann sie natürlich nicht verleugnen, dass sie Mitte des letzten Jahrhunderts geschrieben worden ist. Welche Themen fehlen? Und was würde Hayek heute deutlicher aufgreifen als vor fünfzig Jahren? Man könnte eine lange Liste erstellen, vom Klimawandel bis zum Terrorismus, von der Explosion der Gesundheitskosten bis zur Alterung der reichen Industriestaaten. Zu all diesen Fragen gibt es liberale Antworten, aber nicht alle Fragen stellen die gleich große Herausforderung und Gefährdung für eine liberale Gesellschaft dar.

Hier sei daher, etwas jenseits der üblichen Themenfelder, an oberster Stelle die freiheitsbeschränkende Wirkung der "political correctness" genannt. Sie wäre mit ihren vielen Facetten ein typisch Hayek'sches Thema. Und sie widerspricht geradezu fundamental der Vielfalt und der Offenheit für das Abweichende, für das Experiment, die im Zentrum einer jeden liberalen Ordnung stehen und die für Hayek aus seinem Verständnis von Erkenntnisfortschritt und Wissenschaft heraus so wichtig waren.

Damit verwandt ist das, was man den "Belästigungsstaat" nennen könnte. Während Hayek darlegt, wie der Staat mit der Gießkanne Wohlfahrtspolitik betreibt und damit die Freiheit gefährdet, ist der Staat inzwischen längst einen Schritt weiter gegangen. Er mischt sich in paternalistischer Manier fürsorglich in fast alle Lebensbereiche ein, sagt ihnen, was für sie gut und schlecht ist, schreibt ihnen vor, wie sie zu leben haben. Noch wird dies meist mit externen Effekten auf dritte begründet, aber das Orwellsche Schreckensszenario der totalen, angeblich gut gemeinten Kontrolle über das ganze private Leben scheint immer näher zu rücken.

Intellektuelle Demut

Auch die europäische Integration findet in der "Verfassung der Freiheit" kaum statt. Allerdings lässt sich, wie auch bei den meisten anderen Themen, unschwer erraten, was Hayek von ihr hielte. Seine Sympathie gehört immer dem Wettbewerb, keineswegs nur bei Gütern und Dienstleistungen, sondern ganz explizit auch bei Währungen und selbst bei Gemeinwesen. Strategische Visionen eines geeinten, starken und auf der Weltbühne ebenbürtig mit den USA und China mitspielenden Europa wären ihm wohl eher fremd.

Im Zentrum seines Denkens steht nur eines: Die (negative) Freiheit der Individuen. Sie wird, wie er in der "Verfassung der Freiheit" so überzeugend darlegt, am besten gesichert durch eine Demokratie, die in ihrer Macht beschränkt ist, durch Föderalismus und Wettbewerb der Gebietskörperschaften auf allen Ebenen, durch Rechtsstaatlichkeit, vor allem aber durch jene demütige Einstellung, mit der Hayek die Einleitung zu seinem Buch abschließt. "Mit begrenzteren Zielen, mehr Geduld und Bescheidenheit werden wir vielleicht weiter und schneller vorwärtskommen als unter der Führung eines stolzen und höchst anmaßenden Vertrauens auf die transzendente Weisheit unseres Zeitalters und seiner Urteilskraft." (VdF, S. 9)

Gerhard Schwarz ist Österreicher und war viele Jahre Ressortleiter und stellvertretender Chefredakteur bei der Neuen Zürcher Zeitung. Er ist heute Direktor des in der Schweiz führenden liberalen und marktwirtschaftlichen Think Tanks Avenir Suisse. Dieser Beitrag entstammt dem Band "Das Ringen um die Freiheit – ,Die Verfassung der Freiheit‘ nach 50 Jahren" (herausgegeben von Gerhard Schwarz und Michael Wohlgemuth, "Verlag Neue Zürcher Zeitung" in Zusammenarbeit mit der "progress foundation", an dem auch Tagebuchautor Andreas Unterberger mitgewirkt hat). Das Buch reflektiert 50 Jahre nach dem Erscheinen des Hauptwerkes des österreichischen Nobelpreisträgers über dessen heutige Bedeutung angesichts neuer gesellschaftlicher Herausforderungen.

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Wie raus aus dem Euro? drucken

Die beste Gelegenheit die Europäische Währungsunion zu verlassen, bestünde jetzt darin, die notwendige parlamentarische Verabschiedung der neuen, am 21.Juli 2011 vorgeschlagenen Änderungen der Bestimmungen über die EFSF (Europaen Financial Stability Facility) zu verweigern; ferner darin, der Absicht, die EFSF ab 2013 durch den ESM (European Stability Mechanism) zu ersetzen, eine Abfuhr zu erteilen, sowie die grundlegende Änderung des Lissabon-Vertrags durch die Einfügung einer Bail-out-Klausel als Bruch der europäischen „Verfassung“ nicht zu akzeptieren.

Worin die als allererstes anstehenden Änderungen der EFSF-Vereinbarungen bestehen und weshalb sie unzumutbar sind, wurde im Gastkommentar „Der Tanz auf dem Vulkan“ (http://www.andreas-unterberger.at/2011/07/der-tanz-auf-dem-vulkan/) geschildert.

Falls unsere Volksvertreter nicht als Volksverräter gelten wollen, werden sie alle EU-Vorschläge und ihnen entspechenden Regierungsvorlagen ablehnen, die Österreich in eine Transfer-, Haftungs-, Schulden- und Fiskalunion hineinzwingen würden. Der volkswirtschaftliche Schaden, der aus einer Zustimmung zu einer solchen „Unionisierung“ resultieren würde, übersteigt bei weitem den Nutzen des Souveränitätsverlustes. Darüber sind sich heute praktisch alle ernstzunehmenden Volkswirte einig. Allein die Verluste aus Transfers und für die zu erwartende Erhöhung der Zinsen auf die Staatsschuld infolge Bonitätsverlustes werden für Österreich auf fünf Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

Der Austritt aus der Währungsunion ist weit weniger kompliziert als ihn die Horrorszenarien in den EU-nahen Massenmedien ausmalen. Währungsunionen sind, das wissen wir aus der Geschichte, immer wieder zerbrochen (meist nach Kriegen). Für die letzten dreißig Jahre gibt es auch genügend Beispiele für eine geordnete und friedliche Auflösung. Ein gutes und lehrreiches Anschauungsmaterial bietet die Auflösung der tschechisch-slowakischen Währungsunion im Jahr 1992/93.

Beispiel Tschechoslowakei

Nachdem durch Volksabstimmungen in der Tschechoslowakei im Jahr 1992 beschlossen worden war, sich zu trennen, entstanden aus dem bis dahin einheitlichen Staatsgebilde mit Wirkung von 1. Januar 1993 an mit der Tschechei und der Slowakei zwei neue, souveräne Staaten. Sie bildeten eine Währungsunion unter Beibehaltung der bisherigen Währung, der tschechischen Krone. Diese Währungsunion hielt allerdings nur 6 Wochen. Am 8. Februar 1993 wurde zwischen beiden Staaten vereinbart, sie zu beenden.

Der Grund für die Auflösung war naheliegend. Solange Tschechien und die Slowakei einen einzigen Staat bildeten, bestand zwischen ihnen eine Transferunion, durch die das Bruttosozialprodukt des slowakischen Gebietes durch Zuschüsse in Höhe von vier bis acht Prozent aus tschechischen Provinzen gestützt wurde. Nach der Trennung in zwei Staaten bestand seitens der Tschechen kein Interesse mehr an solch einseitigen Subventionen und an der Aufrechterhaltung einer Währungsunion.  Beide Staaten bildeten an sich ja auch keinen einigermaßen homogenen Wirtschaftsraum. Die Anpassungsprobleme der Slowakei auf dem Industrie- und Bergbausektor waren außerordentlich groß und erforderten wirtschafts- und währungspolitisch freie Hand.

Um jedes Chaos zu vermeiden, wurde am 19. Januar 1993 die Auflösung der Währungsunion im Detail ausgehandelt, der Beschluss zur Auflösung am 3. Februar öffentlich bekannt gemacht und am 8. Februar durchgeführt. Tschechische Kronen wurden durch die slowakische Krone im Verhältnis 1:1 ersetzt. Vorübergehend wurde der Kapitalverkehr zwischen beiden Ländern unterbrochen. Abhebungen von den Bankkonten wurden beschränkt, ebenso die Umwandlung der einen in die andere Währung.

Um den Güter- und Zahlungsverkehr ungestört aufrecht zu erhalten, wurde eine Clearing-Stelle eingerichtet. Die Bandbreite, um die beide Währungen zum ECU  (European Currency Unit) schwanken konnten, wurde auf fünf Prozent (in beiden Richtungen) begrenzt. Alle Zahlungen für Güter, Dienstleistungen und Kapitaltransfers wurden zum vereinbarten Clearingkurs abgerechnet. Für Forderungen, die vor dem Februar 1993 entstanden waren, erfolgte die Umrechnung zum festen Kurs von 1:1. Das Clearingsystem wurde von beiden Regierungen garantiert und von ihren Notenbanken bis 1995 aufrecht erhalten.

Jede Regierung räumte der anderen eine Kreditfazilität ein, um Defizite in der Zahlungsbilanz auszugleichen. Soweit diese Fazilität nicht ausreichte, mussten Differenzen in konvertiblen Währungen (Dollar, D-Mark) ausgeglichen werden. Die Vereinbarungen blieben in Kraft, bis schließlich beide Währungen konvertibel wurden und auf den Finanzmärkten gehandelt werden konnten.

Die Auflösung ging relativ reibungslos vonstatten. Sie wurde durch die Orientierung an einer Ankerwährung (ECU) erleichtert. Der Verkehr von Kapital, Gütern und Dienstleistungen zwischen beiden Ländern war nur kurz beeinträchtigt. Sehr bald überschritt er das alte Niveau.

Wie das Beispiel zeigt, ist es ausschließlich der politische Wille, von dem es abhängt, eine Währungsunion aufzulösen. Ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten, etwa beim Export, sind bei abgestimmter Währungspolitik nicht zu erwarten. Es gibt in der EU auch keine rechtlichen Hindernisse, die ein souveränes Mitglied am Verlassen der Währungsunion hindern könnten. Kein souveräner Staat kann gezwungen werden, der Veränderung von internationalen Verträgen zuzustimmen, wenn eine solche Zustimmung seinen Interessen widerspricht.

Konstruktionsfehler der Währungsunion

Die  Europäische Währungsunion, das gestehen heute praktisch alle anerkannten Fachleute ein, ist gescheitert. Von der Gründung bis heute leidet sie an unbehebbaren Konstruktionsfehlern. Das gibt jetzt sogar der deutsche Finanzminister, Wolfgang Schäuble, zu (siehe dazu den Gastkommentar „Der Tanz auf dem Vulkan“: http://www.andreas-unterberger.at/2011/07/der-tanz-auf-dem-vulkan/).

Die politische Union, welche die Voraussetzung für die Währungsunion gewesen wäre, ist nicht zustande gekommen, sie wird von den Völkern mit Recht strikt abgelehnt. Die Mitglieder der Europäischen Union sind wirtschaftlich, politisch, kulturell und sozial viel zu verschieden, um sie über einen Kamm scheren zu können. Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Lohnstückkosten klaffen auseinander und lassen sich ohne Gewaltmaßnahmen – erforderlich wären einschneidende Kürzungen der Löhne und Sozialausgaben in den PIIG-Staaten – politisch nicht durchsetzen.

Die jetzt vorgeschlagenen Regelungen sind nichts anderes als „ein Weg ins Verderben“ (Hans-Werner Sinn). Auf komplexe Anforderungen, das hat kürzlich der Systemanalytiker John L. Casti vom Internationalen Institut für Systemanalyse in Laxenburg (im STANDARD vom 8. August 2011, S. 19: „Die EU in der Komplexitätsfalle“) überzeugend ausgeführt, können kleine staatliche Einheiten wesentlich schneller und differenzierter antworten als große. Wenn sich die Probleme häufen, vertrauen große Einheiten auf den Ausbau ihrer Bürokratie bis zu dem Punkt, an dem alle Ressourcen aufgebraucht sind, „nur um ihre gegenwärtige Struktur zu erhalten“.

Wären die Problemländer, so führt er aus, „nicht in der Eurozone, hätten sie viele Optionen zur Verfügung um eine Zeit wirtschaftlicher Veränderung zu bewältigen. Sie könnten zum Beispiel ihre eigenen Währungsprobleme regeln“ und müssten sich nicht „dem Diktat der Europäischen Zentralbank fügen“. In der Tat haben das die meisten Staaten unseres Kontinents, die nicht in der Währungsunion sind, bewiesen.

Ganz zu schweigen von jenen, die es vorzogen, nicht der Europäischen Union beizutreten. Gutes Geld dem schlechten nachzuwerfen, führt nach Casti unweigerlich „zum Zusammenbruch des Euro“. „Die einzig offene Frage“ ist für Casti, „ob sich die EU – analog zum Euro – schließlich selbst als Experiment erweisen wird, das zwar gut gemeint, im Endeffekt (aber) ein Fehlschlag war“.

Fürs erste jedenfalls ist Österreich gut beraten, wenn es seine Zustimmung zu den anstehenden Vertragsänderungen verweigert und im Übrigen die Entwicklung der EU zu einer politischen Transfer-, Haftungs-, Schulden- und Fiskalunion, zu der ja nun auch Deutschland seinen Widerstand aufgegeben hat, mit allem gebotenen Nachdruck ablehnt.  Diese Ablehnung hindert die restlichen Länder der Eurozone nicht, die Brüsseler Beschlüsse durchzusetzen.

Solange nicht Länder die Ratifikation verweigern, deren Haftungsquote fünf Prozent in Summe übersteigt, steht der Durchsetzung nichts in Wege. Österreich braucht also nicht das Odium auf sich zu nehmen, eine Entwicklung zu blockieren, welche die politische Führung der anderen Länder für zweckmäßig hält, die jedoch von der österreichischen Bevölkerung abgelehnt werden wird, sollte es zu der von Bundeskanzler Faymann hoch und heilig versprochenen Volksabstimmung bei grundlegenden Vertragsänderungen kommen. Dass solche „grundlegenden Vertragsänderungen“ jetzt vorliegen, welche den Charakter des Lissabon-Vertrages allein schon durch die Einfügung  einer Bailout-Klausel entscheidend ändern, darüber besteht kein Zweifel.

Der Autor lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Sein jüngstes Buch, „Der Sinn der Geschichte“ (Regin-Verlag, Kiel 2011), setzt sich eingehend mit Fragen der Europäischen Union auseinander.

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Die Mauer und Herr B. drucken

Bis heute habe ich kein einziges Medium gefunden, das nur irgendwie die Massenmorde des norwegischen Herrn B. entschuldigt oder verteidigt hätte. Dennoch haben viele Kommentare in den Mainstream-Medien so getan, als ob hinter B. eine Armada gleichgesinnter Gewalttäter stünde. Umso erstaunlicher ist das Schweigen dieser Medien zu einem skandalösen Kommentar in der deutschen Links-Zeitung „Neue Welt“, in der ganz offen der DDR für den nun gerade 50 Jahre zurückliegenden Mauerbau gedankt wurde. Ohne dass jemand in den sonst so verbotslüsternen Medien nach einem Verbot der Zeitung oder der dahinterstehenden „Linken“ gerufen hätte oder zumindest nach einer gründlichen „Gewissenserforschung“ der gesamten Linken.

Auch ich rufe gewiss nicht nach einem Verbot, schon weil ich das nie tue. Eine liberale Gesellschaft sollte nämlich auch den größten Schwachsinn aushalten, solange dieser nur verbal und nicht mit Waffen in der Hand artikuliert wird. Was aber notwendig ist, ist – wieder einmal – die verlogene Doppelbödigkeit des rot-grünen Zeitgeistes aufzuzeigen.

Davor aber noch einen Satz zu Herrn B.: Was für ein widerlicher Abschaum der Kerl ist, hätte man schon seit Jahren daran ablesen können, dass er als Großbetrüger Hunderttausende Euro Schaden angerichtet hat. Aber Finanzinstitute um solche Summen zu betrügen, ist dem Zeitgeist zufolge ja ein eher gutes Werk und daher nicht weiter zu beachten.

Zurück zur „Neuen Welt“: Erschütternd und beklemmend ist, welch Geistes Kind gar nicht so wenige Deutsche sind, die eine solche Zeitung lesen, die der Linkspartei ihre Stimme geben, oder die kein Problem damit haben, dass diese Partei von SPD und Grünen immer wieder als Koalitionspartner akzeptiert wird. Wer den Mauerbau bejubelt, ist geistig genauso krank wie Herr B.

In welcher Form tut dies die „Neue Welt“? Sie sagt ausdrücklich „Danke“ für eine lange Liste von – angeblichen – Errungenschaften der 28 DDR-Jahre zwischen Bau und Fall der Mauer. Diese behaupteten Vorteile der Mauer waren den Autoren zufolge offenbar den Gefängnishof für Millionen Ostdeutsche und den Tod für eine dreistellige Anzahl von Flüchtlingen wert gewesen.

Aber selbst wenn man zu diesem Zynismus bereit wäre, ist nicht zu ignorieren: Fast all diese Errungenschaften sind erlogen oder in Wahrheit Unmenschlichkeiten, wie man an Hand einiger zufällig herausgegriffener „Danke“-Beispiele zeigen kann:

„Danke für 28 Jahre Friedenssicherung in Europa“: Als ob nicht diese 28 Jahre die weitaus gefährlichsten Jahre im Nachkriegseuropa gewesen sind, in denen ständig mit einem Atomkrieg zu rechnen war, und als ob nicht der Mauerfall die friedlichste Periode auf dem Kontinent ausgelöst hätte.

„Für 28 Jahre ohne Beteiligung deutscher Soldaten an Kriegseinsätzen“: Als ob die Tausenden Schüsse an Mauer und DDR-Grenzen etwas anderes als ein Kriegseinsatz deutscher Soldaten gewesen sind.

„Für 28 Jahre ohne Hartz IV und Erwerbslosigkeit“: Als ob nicht jeder Hartz-IV-Bezieher einen weit höheren Lebensstandard hat denn jeder Durchschnitts-DDR-Bürger.

„Für 28 Jahre Versorgung mit Krippen- und Kindergartenplätzen“: Als ob die DDR-Kinder eine glückliche Jugend gehabt hätten, und als ob der Zwang, Kinder möglichst bald in eine solche Krippe zu stecken, etwas lobenswertes wäre.

„Für 28 Jahre ohne Hedgefonds und Private-Equity-Heuschrecken:" Als ob nicht jeder Hedgefonds mehr Wohlstand schafft denn einst die umweltzerstörenden und unrentablen DDR-Betriebe mit von den Bürgern nicht gekauften Produktionen, während viele nachgefragte Produkte nicht erhältlich waren – bis hin zum Klopapier, Bananen und Strümpfen.

„Für 28 Jahre ohne Praxisgebühr und Zwei-Klassen-Medizin“: Als ob die Nomenklatura der DDR nicht ein im Vergleich zu den Massen extrem privilegiertes Gesundheitssystem gehabt hätte.

„Für 28 Jahre Hohenschönhausen ohne Hubertus Knabe“: Dabei ist Hohenschönhausen ein berüchtigter Folterkerker gewesen.

„Für 28 Jahre Bildung für alle“: Die vor allem aus Marxismus-Leninismus-Indoktrination für alle bestanden hat.

Auch wenn man schon viel Schwachsinn gelesen hat: Manches Mal wird einem wirklich übel.

Für Übelkeit sorgt - in ganz anderen Zusammenhang - auch der auf linksradikalen Internertseiten kursierende Aufruf für "kämpferische Solidarität mit den Londoner Genoss_innen". Ganz abgesehen davon, dass man wieder einmal sieht, wes Geistes Kind die Binnen-I/Binnen-Unterstrich/Genderismus-Neurotiker eigentlich sind. Wenn man nur links genug ist, darf man auch zum Bürgerkrieg aufrufen.

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Freimaurer: Ein skurriles Relikt oder eine gefährliche Gefahr drucken

In Zusammenhang mit dem norwegischen Herrn B. ist wieder einmal auch die Freimaurerei des Täters zum Thema geworden. Manche Leser haben nun gefragt, was ich von der Maurerei halte.

Als Nichtmitglied kann ich naturgemäß nur das beurteilen, was nach außen dringt. Was fast immer positiv oder negativ gefiltert ist. Prinzipiell können unter Freimaurern ebenso viele anständige und unanständige Menschen sein wie unter allen anderen Gruppen. In der Geschichte gab es ein paar ganz hervorragende Persönlichkeiten, die Freimaurer waren. In vielen Epochen war die geschützte Aussprachemöglichkeit in einer geheimen Loge zweifellos auch ein wichtiger und für innovatives Denken notwendiger Hort der Freiheit.

Eher skurril und an diverse esoterische Inszenierungen erinnernd sind aber jedenfalls viele maurerische Riten. Diese hängen zum Teil mit der Entstehung der Freimaurerei rund um die mittelalterlichen Bauhütten zusammen, wo wichtiges Handwerkswissen in vertraulichen Zirkeln weitergegeben worden ist. Ein vor einigen Jahren erschienenes Buch eines österreichischen Freimaurer-Chefs zeigte aber auch ganz allgemein eine erstaunliche geistige Plattheit, obwohl der Band eigentlich als Propagandawerk gedacht war.

Bekannte Mitglieder der Freimaurerei tendieren überwiegend nach links, finden sich aber letztlich in mehr oder weniger allen politischen Lagern. Und auch wenn es gerne geleugnet wird, ist Geschäftemacherei an jedem Wettbewerb vorbei ein wichtiger Antrieb für die Mitgliedschaft. Die katholische Kirche, welche die Maurerei lange vehement abgelehnt hat, hat in der Nachkriegszeit ihren Frieden mit dem Geheimbund gemacht, zumindest auf offizieller Ebene. Die Freimaurer betonen, nicht antireligiös zu sein, signalisieren in manchen Elementen eine ziemlich unspezifische Gottgläubigkeit, die übrigens ein wenig an ihre erbittertsten Gegner, die Nazis erinnert. In Teilen sind die Freimaurer aber auch nach wie vor betont atheistisch.

Das wirklich negative Element an den Freimaurern ist die Geheimnistuerei über die Mitgliedschaft. Nur bei wenigen Mitgliedern wird die Zugehörigkeit auch definitiv bekannt. Und das sind meist die toten, wie Helmut Zilk, Jörg Mauthe oder Fred Sinowatz, oder viele der einstigen Voest-Vorstände oder viele Künstler. Bei etlichen aktiven politischen und wirtschaftlichen Größen ist die Freimaurerei jedoch nur eine mehr oder weniger gut fundierte, aber nie ganz geklärte Vermutung. Das eröffnet naturgemäß allen Verschwörungstheorien Tür und Tor – gleichgültig, ob sie nun wahr oder erlogen sind.

Die Problematik lässt sich am besten an Hand eines Vergleichs zeigen: Wenn der Wirtschaftsminister lauter Oberösterreicher in relevante Positionen befördert, dann ist es wichtig zu wissen, dass er selbst ein Oberösterreicher ist. Das kann die demokratische Öffentlichkeit dann gebührend beurteilen. Wenn der Bundeskanzler jeden nur erdenklichen Posten mit seinen Parteigängern besetzt, dann hängt das klarerweise mit seinem Neben(?)-Job als SPÖ-Vorsitzender zusammen.

Hingegen: Wenn Freimaurer ebensolches zugunsten anderer Freimaurer tun, wenn gleichzeitig sehr ähnliche Gedanken von ganz verschiedenen Menschen geäußert werden, dann weiß da niemand genau, welche Zusammenhänge dahinterstecken. Ist es reiner Zufall oder machtstrategische Inszenierung? Und das ist mehr als problematisch. So fragt man sich beispielsweise bei jedem Zuarbeiter von Hannes Androsch, ob der etwa aus Logensolidarität handelt oder aus Überzeugung von Androschs Qualitäten.

Auf der anderen Seite muss ganz klar sein: Ein Rechtsstaat sollte niemals die Privatheit von Zusammentreffen verbieten oder behindern dürfen. Daher gehen Logentreffen im Prinzip niemanden etwas an. Und nur der eigene Charakter und das eigene Gewissen sollten einen daran hindern, irgendwo mitzumauern.

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Die Intelligenz eines linken Intellektuellen drucken

In linken Kreisen gilt Armin Thurnher als Intellektueller. Das wird ihm offenbar den Auftrag eingebracht haben, in der US-Zeitschrift „Foreign Policy“ alle seine Vorurteile über Österreich zu veröffentlichen. Diesmal war das Begräbnis Otto Habsburgs der Anlass.

So weit so altbekannt. Der Herausgeber des mit Inseraten aus dem Dunstkreis der Gemeinde Wien wohlbestückten „Falter“ zeigt in diesem Artikel aber darüber hinaus ein sogar in seinen Kreisen erstaunliches Maß an faktischer Ahnungslosigkeit.

So behauptet er in dem Pamphlet, dass das Haus Habsburg im Jahre 1438 errichtet worden sei – obwohl in jenem Jahr lediglich ein weiterer Habsburger zum deutschen König gekürt worden ist, was in Wahrheit schon zwei Jahrhunderte davor zum ersten Mal der Fall war (und auch da waren die Habsburger durchaus schon eine bekannte Familie).

So behauptet er in seinem Hetzartikel (ohne jede zeitliche Einschränkung!), dass im Habsburger-Reich „protestantische Aristokraten routinemäßig geköpft“ worden seien – so als ob dieses Reich schon im 17. und nicht erst im 20. Jahrhundert zu einem Ende gekommen wäre.

Besonders köstlich ist, dass Thurnher behauptet, Warschau habe einst zum Reich der Habsburger gezählt – zu dem die heutige polnische Hauptstadt aber nie gehört hat.

Wetten, dass all dieser Schwachsinn nichts daran ändern wird, dass Thurnher unter Linken auch weiterhin unverändert als Intellektueller gehandelt werden wird? Dort genügt es ja offenbar schon, jede Woche den selben Satz zu schreiben, um ein solcher zu werden.

 

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Fußnote 211: Die rechte und die linke Hand der Kulturlosigkeit drucken

Heinz Fischer bleibt sich treu: Er sondert medial Habsburg-kritische Worte ab, um seiner offiziellen Teilnahme am Begräbnis von Otto Habsburg ein Gegengewicht zu geben. Keiner soll ihm nachsagen können, dass er (in jüngeren Jahren als ideologischer Kopf von den eigenen Genossen „roter Heinzi“ benannt) ausgerechnet wegen eines Habsburgers einmal klar Stellung bezieht.


Da weiß der arme Rotfunk nicht mehr, wie er sich genauso geschickt verhalten soll. Also wählt man doppelstrategisch den Ausweg der linken Hand, die nicht wissen will, was die rechte tut. Auf Ö 1 vergeht keine Journalsendung, in der nicht empört kritisiert wird: Skandal, was das Steuergeld kostet - 400 Polizisten beim Habsburg-Begräbnis! (Bei Regenbogenparaden, Donauinselfesten etc. kräht kein ORFler danach – die sind ja alle ideologisch richtig und müssen uns unser gutes Steuergeld grenzenlos wert sein). Jeder Politiker muss sich der knallharten Frage stellen: Ist denn das gerechtfertigt? Und völlig unbekannte Historiker, Verfassungsrechtler dürfen vors Mikrophon, wenn sie nur sagen, dass das ungeheuerlich ist. Wenn man schon mit ansehen muss, dass ORF 2 den ganzen Samstagnachmittag lang das Begräbnis live überträgt, dann muss man wohl als politisch korrekter Radio-Redakteur sein Zeichen setzen.
Die Republik hat mit den Nachkommen der Habsburger längst ihren Frieden gemacht – und doch ist das Begräbnis keine „Privatveranstaltung“, wie Ö 1 meint. Es ist – auch – ein Blick auf unsere Geschichte (die nicht erst 1934 beginnt, wie der ORF zu glauben scheint). Es ist – auch – ein Teil unseres kulturellen Gedächtnisses. Aber das aus unser aller Zwangsgebühren finanzierte Ö 1 ist eben kein Kultursender mehr.

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Ein Abschied, Habsburg und die Zukunft Österreichs drucken

Es ist wie ein endgültiger Abschied von einem großen Österreich. Der Tod Otto Habsburgs erinnert an ein Österreich der Geschichte und der Werte, auch wenn die Monarchie keineswegs romantisiert oder verklärt werden sollte. Aber um es banal zu sagen: Sich mit dem soeben friedlich entschlafenen Kaisersohn über Gott und die Welt – und vor allem Europa zu unterhalten, war allemal spannender, als einen Heinz Fischer oder gar einen Werner Faymann zu was auch immer zu hören. (Mit nachträglicher Ergänzung am Ende).

Ich habe es nie über die Lippen gebracht, ihn während unserer Begegnungen mit Kaiserliche Hoheit, Erzherzog oder gar Majestät anzusprechen, wie es so manche tun. Ich habe ihn auch nicht als einen der überragendsten politischen Denker eingestuft, für den ihn einige seiner Abstammung wegen gleichsam automatisch hielten. Unterwürfigkeit ist nicht die Sache eines liberalen Bürgers.

Gleichzeitig habe ich aber immer hohen Respekt für die Würde empfunden, die dieser Mann ausgestrahlt hat, für seinen unerschütterlichen Glauben an die Religion, an Anständigkeit, an die Sendung der mitteleuropäischen Völker.

Und noch mehr Hochachtung habe ich vor seiner Biographie. Dabei stehen weniger die Bilder des gelockten Otto an der Seite von Kaiser Karl in den Stunden der Agonie der Monarchie im Zentrum. Größere Bedeutung haben die für die Republik Österreich beschämenden Umstände der Vertreibung des Hauses Österreich aus ihrer Heimat. Aber vor allem habe ich tiefe Hochachtung vor jenem Mann, der nach Engelbert Dollfuß die mutigsten und ernsthaftesten Anstrengungen unternommen hat, um Österreich vor dem Zugriff der Nazis zu retten, und um einen spürbaren österreichischen Widerstand gegen die Hitler-Diktatur zu organisieren.

Und emotional wird alles noch übertroffen durch die Empörung über den beschämenden Umgang auch der zweiten Republik mit der Familie Habsburg. Die jahrzehntelange Aussperrung, der österreichische Pass „gültig für alle Länder der Welt außer Österreich“: Das sind zu allermindest Zeichen einer schweren Kollektivneurose, von der vor allem die heimische Sozialdemokratie gebeutelt wird – oder worden ist. Dahinter steht aber natürlich auch das schlechte Gewissen einer Diebsbande, die den Habsburgern nicht nur das Staats-, sondern auch das Privatvermögen abgenommen hatte. Und die ob ihrer Beute kein schlechtes Gewissen haben will.

Otto musste als Folge dieses Verhaltens der Republik jahrzehntelang von der Unterstützung aufrechter Freunde, etwa von jener des inzwischen ebenfalls hochbetagt verstorbenen Unternehmers Herbert Turnauer leben. Umso eindrucksvoller war die würdevolle und hassfreie Reaktion Ottos, wenn man ihn darauf ansprach.

Immer wieder befällt mich nach wie vor das Gefühl der Schande, wenn ich sehe, wie heute die Bundespräsidenten die Hofburg benutzen, wie sie voller Stillosigkeit bei ihren großen Banketten auf dem Familienservice der Habsburger servieren lassen, als wäre es das eigene.

Soll Österreich wieder zur Monarchie zurückkehren? Nun, es wäre naiv, darin eine Lösung für die großen Probleme des Landes zu sehen, an denen die Politik derzeit so grandios scheitert. Eine Monarchie in Zeiten wie diesen hätte sicher primär touristische Dimensionen.

Sie würde aber – wie man an den anderen „regierenden“ Herrscherhäusern sieht – darüber hinaus auch eine beruhigende und stabilisierende Wirkung ausüben. Sie würde vor allem signalisieren, dass dieses Land mit sich und seiner Geschichte endlich ins Reine gekommen ist. Dann würden Staatshistoriker nicht mehr auf die Idee kommen können, ein – ohnedies nie realisiertes – Haus der österreichischen Geschichte erst im Jahr 1918 beginnen zu lassen.

Eine Monarchie würde uns last not least auch das Gift so mancher Bundespräsidentschaftswahlkämpfe ersparen, wo vor allem die politischen Mordversuche der SPÖ an Kurt Waldheim Österreich jahrzehntelange Narben zugefügt haben. Wahlkämpfe sind dann besonders für Niedertracht anfällig, wenn es nur um Personen geht, und fast überhaupt nicht um Sachfragen und Gesetzgebungskompetenz.

Das heißt freilich nicht, dass ein Habsburger sonderlich klüger wäre als gewählte Politiker. Es hat auch ganz jammervolle Herrscher aus dieser Familie gegeben. Dennoch ist es unbestreitbar, dass die republikanische Staatsform Abnutzungserscheinungen zeigt, dass in den nächsten Jahrzehnten der Wert der geistigen und politischen Identität an der Spitze eines Staates noch stärker erkannt werden wird. Ganz unabhängig davon, ob mit dieser Spitze auch konkrete juristische Macht verbunden ist oder nicht.

Ein libertärer Ökonom hat es einmal recht zynisch (und sicher stark übertreibend) formuliert: Monarchen müssen nicht wie gewählte Politiker danach trachten, sich und ihre Anhänger binnen vier oder fünf Jahren zu bereichern, sondern sie haben generationenlang Zeit, Reichtum zu akkumulieren.

Ein Schritt Richtung Monarchie ist aber nur dann realistisch, wenn er von der großen Mehrheit der Bevölkerung getragen wird, und wenn er nicht von großen Gruppen als verhasst empfunden wird. Es gibt jedoch Gruppen in diesem Land, die Österreich lieber untergehen lassen, als selbst klüger zu werden oder eigene Fehler einzugestehen. Daher wird dieser Schritt wohl nie getan werden.

Nachträgliche Ergänzung: Eigentlich sollte man sich schon daran gewöhnt haben, aber es macht noch immer fassungslos: Die "Zeit im Bild" berichtete zwar rund zehn Minuten über Ottos Tod, brachte es dabei aber fertig, den Habsburg-Kannibalismus der SPÖ mit keinem Wort zu erwähnen. Dabei war das in den 60er Jahren eine der schwersten politischen Krisen in der Endphase der ersten großen Koalition, samt einem bedenklichen Frontalzusammenstoß zweier Höchstgerichte. Diese Art der Berichterstattung erinnert an die einstigen Bilder der Ehrentribüne bei den Aufmärschen der KPdSU in Moskau: Da wurden Parteibonzen einfach wegretuschiert, wenn sie in Ungnade gefallen waren. Die SPÖ-Bonzen im ORF radieren zentrale Episoden der Geschichte weg, wenn sie ihnen nicht mehr passen. Nur große Dialektiker können darin auch etwas Positives sehen: Die Partei geniert sich offensichtlich mittlerweile für das Motto vieler ihrer Maiaufmärsche "Unser Motto: Raus mit Otto!" Und Wahrheit oder Objektivität hatten ja auch im kommunistischen Moskau keinen Stellenwert im dortigen Pseudo-Journalismus gehabt.

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Die Vergangenheit wartet auf ihre ganze Bewältigung drucken

Wäre das dem Angehörigen einer anderen Partei passiert, dann hätte Österreich seine große Aufregung. So aber blieb die Affäre weitgehend unter dem Teppich. Und kaum eine Zeitung nahm davon Notiz.

Aber in Wahrheit ist es aufregend und empörend, dass der Bruder des langjährigen SPÖ-Justizministers Christian Broda ein sowjetischer Spion gewesen ist, wie sein Sohn nun offen zugibt. Engelbert Broda war das aus voller Überzeugung und tiefer Aversion gegen den Westen. Gewiss ist es schon etliche Jahre her, aber wir „bewältigen“ mit großer Intensität ja auch noch viel länger zurückliegende Vergangenheiten.

Das bedeutet nun keineswegs einen Appell, nach Art der Linksmedien in die Sippenhaftung zurückzufallen. Das heißt aber sehr wohl, sich bewusst zu machen, wie sehr einer der gesellschaftspolitisch einflussreichsten Politiker der zweiten Republik, auch über den gemeinsamen Vater und andere enge Familienangehörige – in einer schwer kommunistischen Umwelt aufgewachsen ist.

Denn auch Christian Broda selbst ist vor seiner Ministerzeit deklarierterweise ein Kommunist gewesen. Was zusammen mit dem familiären Umfeld viele seiner politischen Aktionen in einem – sagen wir: interessanten Licht erscheinen lässt. Zu diesem gehört, dass er von einem gefängnislosen Strafrecht geträumt hat. Dass er personalpolitisch das Justizministerium und insbesondere die Staatsanwaltschaft auf einen bis heute nachweisbaren gesellschaftspolitischen Linkskurs gebracht hat. Dass von dieser Staatsanwaltschaft jahrzehntelang – bis heute – politisch relevante Causen fast immer nur bei Politikern rechts der Mitte verfolgt werden (wenn nicht gerade ein Bauernopfer wie Helmut Elsner unumgänglich geworden ist).

Denn zweifellos hat jeder Kommunist ein wenig Mitverantwortung am Tod der 80 Millionen Opfer des Kommunismus. So wie jeder Nazi und NSDAP-Wähler zumindest eine kleine Mitschuld an den nationalsozialistischen Verbrechen hat.

Ich würde mich jedenfalls viel wohler in diesem Land fühlen, wenn mir irgendwo eine ordentliche und reuevolle Aufarbeitung seines eigenen Lebens durch Christian Broda bekannt geworden wäre. Oder wenn die SPÖ selbst einmal auch ihre diesbezügliche Vergangenheit aufgearbeitet hätte – bei allen, großen Verdiensten, die SPÖ-Politiker wie Franz Olah oder Franz Kreuzer im Kampf gegen die kommunistische Bedrohung erworben hatten.

 

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Wie lange kann sich Österreich die Leistungsfeindlichkeit noch leisten? drucken

Manches Mal sind es nur kleine Notizen, die nachdenklich machen, wie etwa diese in einer Schweizer Zeitung: Die fünf Prozent ärmsten Schweizer sind noch immer besser gestellt als die fünf Prozent reichsten Inder – trotz des indischen Wirtschaftsbooms. Das wird für die ärmsten Österreicher angesichts des hier noch viel stärkeren Wohlfahrtssystems nicht viel anders sein.

Solche Meldungen veranlassen Ideologen dazu, nach einer globalen Umverteilung zu rufen. Dagegen würden sich aber 90 Prozent der Schweizer (wie der Österreicher) heftig wehren. Das macht überdies in Summe nur alle ärmer, wie die Geschichte zeigt. Viel wichtiger ist es nachzudenken: Was sind eigentlich die Wurzeln des mitteleuropäischen Wohlstands? Und wird er sich – mit oder ohne Vorsprung gegenüber anderen – halten lassen?

Mit Bodenschätzen, Kolonialismus oder ererbtem Reichtum lässt sich da gar nichts erklären. Die Schweiz ist eines der bodenschatzärmsten Länder der Welt; sie hatte noch weniger Kolonien als Österreich; und dieses war 1945 das ärmste Land Europas – ärmer als manche Länder, die sich heute in der Schublade „Dritte Welt“ finden.

Auch genetische Erklärungen helfen nicht weiter. Denn breite Studien aus den USA zeigen, dass die Asiaten (dort vor allem Vietnamesen und Chinesen) sowohl bei Intelligenztests wie auch an den Unis weit besser abschneiden als die Weißen.

Die einzige valide Erklärung für den sich nicht nur im Konsum, sondern auch bei Lebenserwartung und Kultur auswirkenden Wohlstand ist das europäische Wertesystem. Dessen Basis lautet: Freiheit und Leistung im Rahmen einer liberalen Rechtsordnung.

Freiheit und Leistungsbereitschaft wurzeln in Europas kollektiven Erfahrungen wie auch im Christentum, auch wenn sich manche Theologen schwer damit tun. Das Rechtssystem wiederum ist ein Erbe der alten Römer. Insofern ist die Basis der heute stabilsten, friedlichsten, gesündesten und wohlhabendsten Gesellschaften der Menschheitsgeschichte also schon auf eine Erbschaft zurückzuführen, jedoch auf eine immaterielle.

Die große Frage ist heute freilich: Sind wir uns noch immer dieses Fundaments bewusst? Ist den Europäern klar, dass Freiheit, Leistung und Rechtsstaat ständig verteidigt und neu erkämpft werden müssen? Ich fürchte: Nein.

Der Wert der Freiheit – von der Meinungs- bis zur Erwerbsfreiheit – war für die Europäer nach den beiden mörderischen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts offenkundig. Jedoch sind heute die allermeisten dahingestorben, die noch eine eigene Erfahrung mit diesen Systemen hatten. Eine der Folgen: Die Freiheit wird immer mehr durch Regeln und Gesetze, aber auch die einengende Herrschaft einer Politischen Korrektheit reduziert.

Noch rascher schwindet das Bewusstsein der Notwendigkeit von Leistung. Jahrzehntelange Gehirnwäsche hat uns suggeriert: Wir müssten nur die Partei X wählen, dann verdienen wir mehr, dann gehen wir immer früher in Pension, dann gibt es immer mehr gratis. Jahrzehntelang hat der öffentlich-rechtliche(!) Rundfunk nach derselben Masche Witzchen gemacht: „Furchtbar, heute ist Montag! Wann kommt endlich das Wochenende?“

Der Traum von der Leistungslosigkeit schlägt sich auch in harten Daten nieder: 1970 dauerte ein durchschnittliches Arbeitsleben 42 Jahre, heute nur noch 35 Jahre – trotz der um rund ein Jahrzehnt gestiegenen Lebenserwartung. 1970 betrug die Staatsverschuldung 12 Prozent des (damals noch dazu viel niedrigeren) Bruttoinlandsprodukts, heute liegt sie über 70 Prozent. Wobei die steil gestiegenen Pensionszusagen, für die nichts zurückgelegt worden ist, noch gar nicht einberechnet sind.

Nur ein immer kleiner werdender Teil der Bürger trägt noch die Leistungsanstrengungen. Der Rest ruht sich im morschen Wohlfahrtsstaat auf welken Lorbeeren einer verblichenen Vergangenheit aus. Das erinnert lebhaft an die Griechen, die seit mehr als 2000 Jahre nur von der Erinnerung an ihre große Vergangenheit leben. Mehr schlecht als recht.

Inder, Chinesen, Vietnamesen, Koreaner, Thais wollen hingegen das Match der Zukunft gewinnen, und zwar durch eine unglaubliche Leistungsorientierung. In ihren Schulen wird gebüffelt und gestrebert, dass sich die Balken biegen. Wettbewerb und beinharte Auslese regieren vom Kindergarten bis zum Berufsende. Arbeitszeitregelungen, Umweltschutz, Pensionssystem, Urlaubsansprüche, Gesundheitsversorgung: Überall stößt man in Asien auf eine total andere Welt.

Manche Leser werden jetzt denken: Will der Autor bei uns asiatische Verhältnisse haben? Natürlich will er das nicht. Es gibt aber keine angenehme Alternative zu einer starken Wiederbelebung des dahinsterbenden Leistungsprinzips. Wer glaubt, aus lauter Mitleid mit den wenig gewordenen Kindern (auch deren Zeugung gilt ja schon vielen als unzumutbare Mühe) und aus Angst vor den Wählern den Österreichern Anstrengungen und Wettbewerb ersparen zu können, der begeht in Wahrheit ein historisches Verbrechen. Nur über das Leistungsprinzip auf allen Feldern vom Beruf bis zum Sozialsystem können wir – zusammen mit Freiheit und Recht – unsere Zukunft sichern.

Die Geschichte ist erbarmungslos: Sie ist nämlich voll von untergegangenen, verarmten oder marginalisierten Kulturen.

(Dieser Text erscheint in ähnlicher Form auch in den ÖPU-Nachrichten der Österreichischen Professoren-Union.)

 

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Erster Weltkrieg - da war doch was? drucken

Der weltweit letzte Soldat, der noch im ersten Weltkrieg gekämpft hat, ist in der Vorwoche gestorben. Wenn jemand 110 Jahre alt wird, ist das kein Anlass mehr zu individueller Trauer. Aber sein Tod sollte statt dessen zum Anlass genommen werden, sich endlich wieder eines schon fast vergessenen, aber umso wichtigeren Krieges zu besinnen. Der erst mit diesem Tod wirklich Geschichte geworden ist.

Es ist ja mehr als erstaunlich, wie viel seit Jahrzehnten über den zweiten Weltkrieg geforscht, publiziert, polemisiert und bewältigt wird. Und wie wenig jedoch der erste Weltkrieg im kollektiven Bewusstsein verankert ist. Obwohl er deutlich mehr Opfer als der zweite gefordert hat (wenn man die nationalsozialistischen und die kommunistischen Massenmorde in Konzentrationslagern und Gulags nicht einberechnet). Obwohl eine sehr ernsthafte Sichtweise den zweiten eigentlich nur als Fortsetzung des quasi unterbrochenen ersten Weltkriegs ansieht.

Das hat manches für sich, insbesondere zeigen die deutschen Revanche-Gedanken eine Zusammengehörigkeit der beiden Kriege. Diese Revanche-Lust hat ja auch einem Adolf Hitler geholfen, an die Macht kommen. Hitler hat die deutsche Niederlage und den Zorn über die demütigenden Friedensbedingungen der Vororteverträge brutal für seine Machtaspirationen missbraucht. Ähnlich sind ja übrigens in einer Art demagogischer Kettenreaktion die Verbrechen Hitlers noch 70 Jahre später für politische Agitation missbraucht worden, so als könnte man sie rückwirkend verhindern.

Damit aber wird die selten gestellte Frage noch viel wichtiger: War der erste Weltkrieg eigentlich unvermeidlich? Als Antwort wurde von Historikern so manches an Details zutage gefördert, das andeutete, die Geschichte hätte ja auch ganz anders laufen können. Motto: Wenn Franz Ferdinands Fahrer in Sarajewo anders gefahren wäre, hätte auch die Weltgeschichte eine andere Wendung genommen. Oder: Hätte sich Rudolf nicht in Mayerling umgebracht usw.

In Wahrheit aber war der Krieg wohl unvermeidlich, was auch immer letztlich der konkrete Zündfunke war. Die Kriegsschuld kann nicht so einfach auf einen einzigen Mann abgeschoben werden, wie es so mancher dann in Hinblick auf den zweiten Krieg Richtung Adolf Hitler versucht hat. 

Es ist sehr lehrreich, sich die Hauptursachen des ersten Weltkriegs in Erinnerung zu rufen: Europa hatte 1914 längst die Lektion aus dem Dreißigjährigen Krieg verlernt, dass am Schluss eines großen Krieges alle nur noch Verlierer sind. Gerade die letzten – relativ! –  kurzen Kriege des 19. Jahrhunderts haben ja noch den Anschein von Kriegs-Siegern erzeugt. Das zweite Deutsche Reich und Italien sind als Produkt von Siegen in diesen Kriegen entstanden. Das hat nicht gerade ein pazifistisches Klima geschaffen.

Deutsche wie Italiener hatten auch nach ihrer eigentlich geglückten nationalen Vereinigung weitere aggressive Pläne. Die Deutschen wollten weltweit zur Nummer eins aufsteigen, die Italiener gierten nach dem Brenner, nach Dalmatien und so wie die Deutschen nach Kolonien. Auch für die Briten und Franzosen war insbesondere in den Kolonien der Krieg die fast normale Fortsetzung der Politik und der wirtschaftlichen Interessen. Gleichzeitig brodelten in Frankreich die Revanchegefühle ob des Verlust von Elsass-Lothringen. Und das absolutistische Russland wie wohl auch Österreich-Ungarn waren innerlich schon so morsch, dass sie sich im „Stahlbad“ eines Krieges geradezu eine Stabilisierung erhofften.

Ein weiterer fast historisch zwingender Kriegsgrund waren die im 19. Jahrhundert überall und nicht zuletzt im Habsburgerreich erwachten Nationalgefühle auch relativ kleiner Nationen. Denen stand der oft überhebliche Chauvinismus der Großen gegenüber.

Nichts davon aber passte noch mit einer Welt zusammen, in der die Monarchen ihre Herrschaftsgebiete durch willkürliche Grenzziehungen, durch Kriege, durch Erbschaften, Heiraten und Erbteilungen erworben hatten. Die Sprache, die Kultur, die Religion, die Gefühle der Untertanen – das waren für diese Herrscher hingegen lange völlig unbedeutende Faktoren. Was sich aber die national erwachten Völker immer weniger gefallen ließen.

Das alles kreuzte sich mit zwei Explosionen: der industriellen und der Bevölkerungs-Explosion. Die als totaler Kontrast zur althergebrachten bäuerlichen und zünftlerischen Gesellschaft aufgeblühte Großindustrie produzierte gigantisches Material zum Kriegführen – bis hin zum Giftgas (das in Europa seit dem ersten Weltkrieg übrigens nie mehr eingesetzt worden ist). Die plötzliche industrielle Macht entzündete in den Köpfen der Mächtigen aber auch eine gefährliche Hybris. Alles schien möglich geworden – die Herrschenden vergaßen nur, dass das auch für die Gegenseite galt.

Die Bevölkerungszunahme wiederum erhöhte einerseits die expansive Gier auf neue Territorien – damals hielt man ja trotz der Industrialisierung noch die Landwirtschaft für die wichtigste Abteilung der Wirtschaft. Die Bevölkerungsexplosion hat aber andererseits auch die unglaublichen Menschenopfer an den Fronten des ersten Weltkriegs scheinbar erträglicher gemacht. Wenn ein Bauer vier, fünf Söhne hatte, wurde es als eine geringere Katastrophe als heute angesehen, wenn ein oder zwei davon fallen. Heute ist jeder einzelne Tote einer westlichen Armee ein großes und belastendes nationales Thema.

Eine interessante historische Deutung sieht das 20. Jahrhundert als ein kurzes an: Es habe erst 1914 mit dem Weltkrieg begonnen und sei schon 1989 mit der Implosion des Kommunismus zu Ende gegangen. Das widerspricht einem anderen Interpretationsversuch nicht wirklich: Dass 1989 nicht das von einem US-Historiker behauptete Ende der Geschichte ausgebrochen sei, sondern dass nach Ende des bisher letzten Totalitarismus eine Fortsetzung der traditionellen Geschichte stattfindet. Die Welt scheint also wiederum in einem Stadium vieler kleinerer und unüberschaubaren Konflikte angekommen, während in jenem kurzen 20. Jahrhundert zwei mörderische Ideologien alle anderen Fragen an den Rand gedrückt hätten. Da ist schon was dran.

Last but not least ein Gedanke zu Österreich: Es ist sicher ein entspanntes Signal, dass der erste Weltkrieg hierzulande überhaupt nicht mehr wahrgenommen wird. Dass sogar die Sozialdemokratie langsam auf ihren Habsburger-Hass von 1918ff vergisst (wie sie ihn ja auch bis 1914 keineswegs hatte). Während das ganze Kalenderjahr von Dutzend Gedenktagen an den Nationalsozialismus überzogen ist, findet der erste Krieg im Jahreskalender Österreichs nicht statt. Dabei ist durch jenen Krieg kein Land so atomisiert worden wie die einstige Habsburger-Monarchie.

Dennoch interessiert das niemanden mehr. Österreich kümmert sich nicht einmal mehr um jene Landsleute, die durch die – neuerlich – willkürlichen Grenzziehungen nach 1918 plötzlich von ihrer Heimat getrennt worden waren. Lediglich Südtirol war bis in die 70er Jahre ein nationales Anliegen. Heute aber sind auch die Südtiroler gut beraten, wenn sie von Wien absolut nichts mehr wollen. Sie interessieren in Österreich niemanden mehr, oder zumindest keine politisch relevante Gruppe.

Österreich trägt an keiner Geschichtslast seiner großen Vergangenheit mehr, und es hat nach all den Amputationen keinen Phantomschmerz mehr. Das wird viele beruhigen. Man kann es aber auch umgekehrt sehen: Ein Volk ohne Geschichte ist kein Volk. Und ohne Vergangenheit gibt es auch kein Interesse an der eigenen Zukunft.

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