Buchbesprechung: Das Ringen um die Freiheit

Der spätere Nobelpreisträger Friedrich August v. Hayek erlangte mit seinem populären, 1944 erschienenen, Bestseller „Der Weg zur Knechtschaft“ Weltruhm. Seine 1960 publizierte „Verfassung der Freiheit“, weist ein in jeder Hinsicht anderes Format auf. Darin fasst der große Universalgelehrte seine Gedanken zu Fragen des Wesens und des Erhalts der individuellen Freiheit zusammen, deren Bewahrung er als entscheidendes Element einer freiheitlich verfassten Zivilisation betrachtet.

50 Jahre nach Erscheinen des Werkes ist es erstaunlich, wie hochaktuell es anmutet. Einige Passagen, wie etwa das Kapitel „Der Währungspolitische Rahmen“, sollten – nicht nur angesichts der Finanzkrise – eine Pflichtlektüre der politischen Klasse, von Bankern und Führungskräften der Wirtschaft darstellen.

Das besprochene Buch enthält eine Sammlung von Aufsätzen, die sich von unterschiedlichen Positionen aus mit den von Hayek behandelten Gedanken auseinandersetzen. Als Autoren fungieren Journalisten (zwei davon aus Österreich – der Betreiber dieser Plattform, Andreas Unterberger, und der Leiter des Wirtschaftsressorts der Wiener Tageszeitung „Die Presse“, Franz Schellhorn), aber auch Wirtschaftswissenschaftler und Protagonisten der liberalen Idee.

Wer Hayeks über 500 Seiten starkes Opus Magnum nicht gelesen hat, wird hier mit dessen zentralen Inhalten bekanntgemacht – so etwa mit der „negativen“ Definition von Freiheit als „Abwesenheit von Zwang“. Oder seiner vehementen Kritik an der „Anmaßung von Wissen“ durch die Machthaber, die immer wieder dem Größenwahn verfallen, der Gesellschaft jene Idealvorstellungen oktroyieren zu wollen, die sie am Reißbrett konstruiert haben – und damit regelmäßig scheitern. Wissen entsteht und entwickelt sich, nach Hayek, durch den Wettstreit der Ideen in den Köpfen aller Bürger – nicht nur in denen einer kleinen (selbsternannten) Elite.

Der vielfach übersehene Gegensatz von Demokratie und Liberalismus wird von Hayek durch die Benennung der jeweiligen Gegenteile beider Ordnungsprinzipien klargemacht: „Das Gegenteil der Demokratie ist eine autoritäre Regierung; das Gegenteil eines liberalen Systems ist ein totalitäres System.“ (…) Eine Demokratie kann totalitäre Gewalt ausüben, und es ist vorstellbar, daß eine autoritäre Regierung nach liberalen Prinzipien handelt.“ Diese Erkenntnis sollten sich alle jene hinter den Spiegel stecken, die eine Demokratie unkritisch in den Rang eines Heiligtums erheben. Demokratie bleibt stets ein Mittel, wird aber niemals selbst zum Ziel.

Auch dass Freiheit und (materielle) Ungleichheit wie siamesische Zwillinge zusammengehören, mag für manchen eine unangenehme Botschaft sein: „Freiheit erzeugt notwendig Ungleichheit und Gleichheit (materielle Gleichheit) notwendig Unfreiheit.“ Größte Vorsicht ist also gegenüber jenen Gesellschaftsklempnern geboten, die „Gerechtigkeit“ ausschließlich durch materielle Gleichheit verwirklicht sehen wollen – nicht aber durch Gleichheit vor dem Gesetz – die „Rule of Law“.

Wer materielle Gleichheit zu verwirklichen trachtet, dem steht als Mittel am Ende nichts weiter als Freiheitsberaubung zur Verfügung. Hayeks lebenslängliche Opposition zum „Sozialen“ wurzelt in dieser Erkenntnis. Dass er damit zum Feindbild von linken Gleichmachern und den Gewerkschaften wurde, macht seine Theorie für den überzeugten Liberalen nur umso attraktiver…

Hayeks Präferenz für die unter der Bezeichnung „Flat Tax“ besser bekannte Proportionalsteuer erklärt sich ebenfalls aus seinem Eintreten für die „Gleichheit vor dem Gesetz“. Jeder einkommensabhängig progressive Steuertarif ist notwendigerweise ein Produkt politischer Willkür – in der demokratischen Praxis schlichtweg die Konsequenz des Neides vermeintlich unterprivilegierter Mehrheiten.

Hayek, vielfach als „Konservativer“ eingeschätzt, begegnet diesem Missverständnis mit einer fulminanten Kritik am Konservativismus. Da es ihm an eigenen Zielvorstellungen mangle, würde er sich permanent von seinen (sozialistischen) Herausforderern vor sich hertreiben und in faule Kompromisse drängen lassen. Die ausschließliche Bewahrung des Überkommenen könne kein Programm sein. Lediglich Entwicklungen bremsen zu wollen, sei eine zu armselige Strategie, um für wache Geister attraktiv zu erscheinen. Seine langfristige Marginalisierung oder die völlige Verwässerung seiner Ideale sei die logische Konsequenz. Den Liberalismus sieht Hayek nicht auf einem linearen Schema in der Mitte zwischen Konservativismus und Sozialismus, sondern als einen der Eckpunkte eines (ungleichseitigen) Dreiecks.

Der in Philip Plickerts Beitrag thematisierte Unterschied zwischen der französischen und der englischen Version der Aufklärung ist für das Verständnis der Politik der EU im Zuge der aktuellen Krisenbewältigungsmaßnahmen sehr erhellend. Der „spekulative und rationalistische“, französische Ansatz hat offensichtlich vollständig über den englischen, „empirisch-unsystematischen“, triumphiert.

Die unterschiedliche Gartenarchitektur in Frankreich und England des 17. und 18. Jahrhunderts, spiegle die Differenzen in den beiden Denkansätzen wider: Am Reißbrett entworfene Künstlichkeit auf der einen und zurückhaltend geformte, am Ende aber sich selbst überlassene Natürlichkeit auf der anderen Seite. Der aus den Naturwissenschaften auf den Bereich der sozialen Interaktionen und des Wirtschaftens übertragene „französische“ Ansatz wurde von Hayek, der sich selbst in der Tradition der britischen „Old Whigs“ („Betonung auf old!“) sieht, stets heftig als „Anmaßung von Wissen“ kritisiert.

Ein „mechanistisches“, „szientistisches“ Weltbild führt zu konstruktivistischen, zentralistischen – ja größenwahnsinnigen – Utopien, die gegenwärtig auf das Narrenprojekt „Vereinigte Staaten von Europa“ hinauslaufen. Dass dies eine Entwicklung darstellt, die Hayek (wie auch große Ordoliberale wie Röpke oder Erhard) vehement abgelehnt haben würde, liegt auf der Hand.

Die Lektüre der „Verfassung der Freiheit“ kann durch das besprochene Buch nicht ersetzt werden. Immerhin aber bietet es eine hochinteressante, zeitgenössische Auseinandersetzung mit den Ideen eines der führenden Liberalen des 20. Jahrhunderts. Lesenswert!

Das Ringen um die Freiheit
Gerhard Schwarz, Michael Wohlgemuth, Hg.
Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2011
222 Seiten, broschiert
ISBN 978-3-03823-712-9
€ 42,-

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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