Die Finanzkrise und ihre Ursache

Folgt man den im Zusammenhang mit der nicht enden wollenden Schuldenkrise publizierten Einlassungen der Hauptstrommedien und Behauptungen der politischen Klasse, ist die Sache sonnenklar: Allein die Juden – Pardon – die Spekulanten sind Schuld. Diese ebenso gierigen wie tückischen Akteure haben die Arglosigkeit aufrechter demokratischer Eliten in aller Welt trickreich dazu genutzt, um deren Kampagnen zum Stimmenkauf – Pardon – „soziale Errungenschaften“ auf Pump zu finanzieren und auf diese Weise unter ihr Joch zu zwingen. Ein Skandal!

Daher ist es nur recht und billig, wenn unsere weisen Führer nun dazu übergehen, diesen ausbeuterischen Halunken die einzig angemessene Antwort zu geben, indem sie sie kurzerhand enteignen. Ein seit Jahrhunderten bewährtes Mittel zur Entschuldung, das in der guten alten Zeit gerne auch mit der physischen Liquidation der Kreditoren verbunden wurde! Immerhin wollen die nimmersatten Gläubiger ja nicht nur das von ihnen verliehene Geld wieder zurück, sondern begehren darüber hinaus auch noch – anmaßend wie sind – Zinsen!

Nicht zuletzt deshalb wächst die Höhe der Kapitalerträge im Verhältnis zu den Arbeitseinkommen ständig, was listige Genossen umgehend dazu veranlasst, Neid- und Hasstiraden gegen die Juden – Pardon – die „Reichen“ – vom Stapel zu lassen, die von den Massenmedien eilfertig kolportiert werden.

An eine Rückzahlung der eingegangenen Verbindlichkeiten, wie sie von jedem privaten Schuldner erwartet und verlangt wird, ist indessen keinesfalls zu denken. Schließlich sind große Teile der Stimmbürger seit Jahrzehnten auf die Entgegennahme leistungsloser Transfereinkommen konditioniert. Sie müssen also vom Staat auch künftig bei Laune gehalten werden. Daher bleibt am Ende nur ein „Schuldenschnitt“ á la Griechenland.

Die politische Klasse in Staaten wie Deutschland und Österreich lebt in der überaus beruhigenden Gewissheit, dass die Höhe der privaten Vermögen jene der staatlichen Schulden immer noch beträchtlich übersteigt. In einer Zeit der totalen Politisierung und Verstaatlichung unserer Gesellschaften und der damit verbundenen, rapide schwindenden Respektierung privater Eigentumsrechte, besteht daher keinerlei Veranlassung, die Staatsausgaben zurückzufahren. Fiskalischen Übergriffen schutzlos ausgelieferte Privatvermögen bilden die jederzeit verfügbare Manövriermasse des Wohlfahrtsstaates.

Ein bereits vor mehr als 140 Jahren von Lysander Spooner, einem US-amerikanischen Sklavereigegner, unter dem Titel „No Treason“ veröffentlichter Text nimmt sich jenes Problems an, das auch die Wurzel des gegenwärtigen Schuldendebakels bildet: Die Entkoppelung von (politischer) Macht und Verantwortung. Spooners Ausführungen bilden eine profunde Kritik am heute auch in Euroland herrschenden demokratischen System, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriglässt. Ein Auszug aus dem zwischen 1867 und 1870 entstandenen Traktat – zunächst zur Frage der „demokratischen Legitimation“:

„In Wahrheit kann die Wahlbeteiligung nicht als Beweis der Zustimmung angesehen werden. […] Im Gegenteil, es muss bedacht werden, dass ein Mensch sich, ohne dass seine Zustimmung erfragt worden wäre, sich von einer Regierung umringt findet, der er nicht widerstehen kann; einer Regierung, die ihn zwingt, unter Androhung schwerer Strafen Geld zu zahlen, Dienste zu erbringen und auf die Ausübung vieler seiner natürlichen Rechte zu verzichten. Er sieht auch, dass andere Menschen diese Tyrannei durch den Gebrauch der Wahlurne über ihn praktizieren.

Er sieht ferner, dass er, wenn er die Wahlurne selber benutzt, einige Chancen hat, sich von der Tyrannei durch andere zu befreien, indem er sie seiner eigenen unterwirft. Kurz, er findet sich ohne seine Zustimmung in einer Situation, wo er Herrscher werden kann, wenn er die Wahlurne benutzt, und wo er Sklave werden muss, wenn er sie nicht benutzt. Er hat keine andere Alternative als diese beiden. In einem Akt der Selbstverteidigung versucht er die erstere. Sein Fall ist analog zu dem eines Menschen, der in eine Schlacht gezwungen wurde, wo er entweder andere töten muss oder selber getötet wird. Daraus, dass ein Mensch das Leben seiner Gegner nimmt, um sein eigenes Leben in der Schlacht zu retten, kann nicht geschlossen werden, dass er diese Schlacht selber gesucht hat. […] Infolgedessen sind [gewählte Regierungsamtsträger] weder unsere Diener, Agenten, Anwälte oder Repräsentanten […] (denn) wir übernehmen für ihre Handlungen keine Verantwortung.“

Zu der von politischen Würdenträgern so gerne für sich reklamierten „Übernahme von Verantwortung“: „Wenn ein Mensch mein Diener, Agent oder Anwalt ist, bin ich im Rahmen der ihm von mir übertragenen Vollmacht notwendigerweise verantwortlich für alle seine Handlungen. Wenn ich ihm, als meinem Agenten, entweder absolute oder irgendeine Macht über Personen oder Besitztümer anderer Menschen als mir selbst übertragen habe, bin ich dadurch notwendigerweise gegenüber diesen Personen verantwortlich für jeden Schaden, den er ihnen zugefügt hat, solange er innerhalb des Rahmens der Machtbefugnis wirkt, die ich ihm gewährt habe.

Kein Individuum jedoch, das in seiner Person oder seinem Eigentum durch Handlungen des Kongresses geschädigt worden sein mag, kann sich an die individuellen Wähler wenden und sie für diese Handlungen ihrer so genannten Agenten oder Repräsentanten zur Verantwortung ziehen. Diese Tatsache beweist, dass diese anmaßenden Agenten des Volkes – von uns allen – in Wirklichkeit die Agenten von niemandem sind.“

Demokratisch gewählte Politiker berufen sich also auf ihr von den Wählern erteiltes Mandat. Sie können sich jederzeit hinter dem ihnen erteilten Wählerauftrag verschanzen und jedes noch so irrsinnige oder verbrecherische Programm – entsprechende Mehrheiten vorausgesetzt und solchermaßen „legitimiert“ (und zwar in 99,9% der Fälle ungestraft!) – umsetzen. Die Wähler andererseits sind, schließlich werden Wahlzettel ja anonym in der lauschigen Abgeschiedenheit einer Wahlzelle ausgefüllt, unbekannt und daher für ihre Wahl nicht verantwortlich zu machen.

Es liegt auf der Hand, dass ein derartiges System der doppelten Unverantwortlichkeit dem „Moral Hazard“ – der sich zum Beispiel in der rücksichtslosen Verpfändung der Zukunft der Jungen durch die Regierenden manifestiert – Vorschub leistet. Krethi und Plethi verhalten sich auf dem Boden dieses Systems rational, wenn sie besonnene Wahlwerber meiden, die ihnen unbequeme Sparprogramme verheißen. Sie wählen stattdessen lieber linke Desperados, die ihnen Brot und Spiele versprechen.

Dies umso mehr, als das Wahlrecht ja jedermann zugestanden wird. Der mittellose Totalversager, der keinen Tag seines Lebens aus eigener Kraft zu meistern imstande ist, wird, wie Spooner treffend bemerkt, mit der Aushändigung des Stimmzettels in die Lage versetzt, seine (wohlhabenden) Mitmenschen zu tyrannisieren. Dass der besitz- und geistlose Pöbel – von den in allen politischen Parteien zu findenden Feinden der Freiheit aufgestachelt – sich nur allzu gerne antikapitalistischen „eat the rich“- Feldzügen anschließt, ist nicht verwunderlich.

Um vorauszusehen, dass diese Aktivitäten am Ende eine kollektive Wohlstandsminderung bewirken werden, bedarf es allerdings keiner magischen Kristallkugel, sondern lediglich der Einsicht in elementare ökonomische Gesetzmäßigkeiten.

Dass ein, wie Spooner erkannt hat, mit derart schweren Konstruktionsfehlern behaftetes politisches System nicht dauerhaft bestehen kann, ist die „freie Welt“ soeben im Begriff, auf die harte Tour zu lernen.

http://praxeology.net/LS-NT-0.htm

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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