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Paneuropa – wie eine falsche Idee zur erzwungenen Realität werden soll

Im Rahmen des in Wien im November 2012 veranstalteten Festaktes zu 90 Jahren „Paneuropabewegung" wurde der Präsident des Europäischen Rates, Hermann van Rompuy, mit dem „Europapreis Coudenhove-Kalergi" ausgezeichnet. Der Preisträger bedankte sich mit einer bemerkenswerten Rede, in welcher er auf die von Graf Coudenhove-Kalergi in den 20er Jahres des vorigen Jahrhunderts vorgetragenen Ideengrundlagen einging. Die Paneuropabewegung habe lange vor 1945 den „intellektuellen Nährboden" vorbereitet, der „die Idee eines vereinten Europa für viel mehr Menschen als jemals zuvor möglich machte."

Noch heute bestimme diese Idee Entwicklung, Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union. Coudenhove-Kalergi habe bereits damals die noch immer gültige Frage gestellt, ob denn „Europa in seiner politischen und wirtschaftlichen Zersplitterung seinen Frieden und seine Selbständigkeit den wachsenden außereuropäischen Weltmächten gegenüber wahren kann – oder es gezwungen ist, sich zur Rettung seiner Existenz zu einem Staatenbunde zu organisieren?"

Diese Grundsatzrede des Präsidenten des Europäischen Rates, des höchsten Gremiums der EU, ist Anlass genug,  auf die Ideen von Coudenhove-Kalergi abwägend näher einzugehen.

Vereinigte Staaten von Europa nach dem Muster der USA

Über die Finalité der paneuropäischen Bestrebungen räumt Coudenhove-Kalergi jeden Zweifel aus: „Die Krönung der paneueropäischen Bestrebungen wäre die Konstituierung der Vereinigten Staaten von Europa nach dem Muster der Vereinigten Staaten von Amerika." Wie nahe dieses Ziel bereits ist, beschreibt Hermann van Rompuy mit „Europas politischer Reise, von einem Markt und Handelsblock hin zu einer politischen Rechtspersönlichkeit in voller Blüte mit ihrem eigenen Parlament, ihrer eigenen Währung, ihrer eigenen Flagge, einer gemeinsamen Außenpolitik.“

In seiner euphorischen Feststimmung übersieht van Rompuy, dass  an dieser Reise  längst nicht alle Staaten des europäischen Kontinents teilgenommen haben, dem Europäischen Parlament  noch immer die legislative Gewalt fehlt,  der Europäischen Währungsunion einstweilen nur 17 von derzeit 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union beigetreten sind, von einer gemeinsamer Außenpolitik nur in Ansätzen die Rede sein kann und die europäische Flagge von manchen Mitgliedern auf ihren Regierungsgebäuden nicht aufgezogen wird.

Die geistige Basis der „Europäischen Nation“

Coudenhove-Kalergi träumte von einer „Europäischen Nation“ als der geistigen Basis der Vereinigten Staaten von Europa. Europa sei geistig „verbunden durch die christliche Religion, durch die europäische Wissenschaft, Kunst und Kultur, die auf christlich-hellenischer Basis beruht. Die gemeinsame europäische Geschichte begann mit dem Römerreich und der Völkerwanderung, fand ihre Fortsetzung in Papsttum und Feudalismus, Renaissance und Humanismus, Reformation und Gegenreformation, Absolutismus und Aufklärung, Parlamentarismus, Industrialismus, Nationalismus und Sozialismus.“ Diese „abendländische Kultureinheit gibt uns das Recht, von einer europäischen Nation zu sprechen, die sprachlich und politisch in verschiedene Gruppen gegliedert ist.“ Über die Zugehörigkeit zu seiner Nation hinaus, sollte jeder „gute Deutsche, Franzose, Pole und Italiener auch ein guter Europäer sein.“

Es fällt heute zunehmend schwer, in diesem Konglomerat von divergenten geschichtlichen Einflussfaktoren die europäische „Kultureinheit“ zu entdecken, welche die „Nation Europa“ begründen könnte. Die drei Hügel, auf denen einst die Wahrzeichen Europas standen – Akropolis, Golgatha und Kapitol – sind abgetragen, eingeebnet und unsichtbar geworden. Die einstigen Geistesgrößen der Griechischen Philosophie gelten heute als „Feinde der offenen Gesellschaft“, die Kreuze werden abgehängt, die römische Rechtskultur wich positivistischer Willkür.

„Europa schafft sich ab“, diagnostizierte der Altabt des Stiftes Heiligenkreuz im Sommer 2011. „Der Untergang Europas ist besiegelt, weil es sich mit seiner heutigen modernen Weltanschauung, die sich aus einer pervertierten Aufklärung entwickelt hat, verrannte“ (Gregor Graf Henckel von Donnersmarck). Geprägt ist diese „moderne Weltanschauung“ vom Geist des Antichristen, den Papst Franziskus sogar mit der Teufelsanbetung in Verbindung bringt. Sicher kein tragfähiges Fundament für Paneuropa und die „europäische Kultureinheit“!

Religionsbekenntnis und Nationalität müssen „Privatsache“ werden

Mit Coudenhove-Kalergi möchte auch Hermann van Rompuy für Europa „die Herzen der Menschen gewinnen“ und ihrer Denkweise den „Stempel Europa aufdrücken.“ Coudenhove-Kalergi wollte erreichen, dass Paneuropa „Wurzeln“ schlägt „in den Herzen und Köpfen der Europäer… Das paneuropäische Gemeinschaftsgefühl, der europäische Patriotismus muss Platz greifen als Krönung und Ergänzung des Nationalgefühls.“ Um das zu erreichen sei die „Trennung von Nation und Staat“ notwendig, und zwar so, wie Religion und Kirche vom Staat getrennt wurden: „Jeder Kulturmensch muss daran arbeiten, dass wie heute die Religion, morgen die Nation zur Privatsache jedes Menschen wird.“

Es sei eine Schande, dass heute Menschen wie einst für ihre Religion, so heute für ihre Nation „leben und sterben, morden und lügen“ würden. Die Nation sei „ein Reich des Geistes“, das nicht durch Grenzpfähle begrenzt werden könne. „Die deutsche Nation endet nicht an der Reichsgrenze: Österreicher und Südtiroler, Deutschböhmen, Deutschpolen und Deutschschweizer gehören ihr nicht minder an als Preußen und Bayern.“ Staatsbürgerliche Pflichten müssen von jedem Bürger erfüllt werden, „ohne je die kulturelle Zugehörigkeit zu seiner eigenen Nation zu verleugnen.“

Man kann Coudenhove-Kalergi vom Vorwurf der Ambiguität bei der Behandlung der nationalen Frage nicht freisprechen. Abgesehen davon, dass die Trennung von Kirche und Staat oder von Religion und Politik nach katholisch-orthodoxer wie römisch-katholischer Lehre eine Häresie darstellt. Papst Franziskus: „Das, was einer auf der Kanzel sagt, bezieht sich auf die Politik mit Großbuchstaben geschrieben, das ist die Politik, die Werte berücksichtigt; aber die Medien pflegen oft das Gesagte aus dem Zusammenhang zu reißen und es zugunsten der Parteipolitik an die Modeströmungen anzupassen.“

Einerseits fordert Coudenhove-Kalergi „europäischen Patriotismus“ und europäisches „Nationalgefühl“, um Europa als „Vereinigte Staaten“ begründen zu können; auf der anderen Seite plädiert er für die Trennung von Staat und Nation. Nationalistische Politik ist für ihn die „Totengräberin der europäischen Kultur“, doch laufen seine ganzen Vorschläge auf eine nationalistische Politik für „Paneuropa“ hinaus. Abgesehen von diesem Widerspruch, sind die Nationalstaaten ja „kein überständiger Restbestand des 19. Jahrhunderts, sondern eine in 2000 Jahren gewachsene Struktur und die lebendige Wirklichkeit des heutigen Europa. (Thilo Sarrazin)“ Verständlich, dass ganz in diesem Sinne der Ministerpräsident Großbritanniens, David Cameron, die Europäische Union aufforderte, „den Wert nationaler Identität anzuerkennen  und  die Diversität der europäischen Nationen als Quelle der Stärke zu schätzen.“

Europa, ein Machtzentrum der Welt

Coudenhove-Kalergi fürchtete, dass ohne „ihre Einigung die europäischen Staaten binnen kurzem von den wachsenden Weltmächten verschlungen werden“ Neben den vier anderen großen Weltzentren – dem panamerikanischen, dem britischen, dem russischen und dem ostasiatischen – könne Europa nur durch einen Zusammenschluss seiner die Zersplitterung bewirkenden Nationalstaaten sich behaupten. Entweder erfolge die Einigung freiwillig oder gewaltsam, durch Eroberung.

Als Coudenhove-Kalergi  1923 sein Buch schrieb und herausbrachte, sah er Europa durch Russland wie auch durch die amerikanische Wirtschaftskraft bedroht. Der Zusammenschluss „aller Staaten, von Polen bis Portugal“ sei die einzige Chance, wie Europa seine Selbständigkeit, sein Kolonialreich, seine Kultur und seine Zukunft noch retten könne.

Das Argument wird heute noch immer mit Vehemenz vertreten, doch es verliert zusehends an Überzeugungskraft. Nicht nur haben weit über hundert Kolonialvölker nach 1945 ihre Unabhängigkeit errungen, sondern auch der Zerfall des Sowjetimperiums sowie Jugoslawiens hat zur Entstehung von neuen Nationalstaaten geführt. In Ostasien widerspricht der Aufstieg relativ kleiner und in der Weltwirtschaft erfolgreicher „Tiger-Staaten“ der These Coudenhove-Kalergis, „Kleinstaaterei“ führe zum Untergang. Im Nahen Osten ist der erst 1948 gegründete Staat Israel ein Musterbeispiel, welche Macht Kleinstaaten in der Welt ausspielen können.

Zollunion unter sozialistischer Kontrolle

Dürftig sind die Vorstellungen Coudenhove-Kalergis auf wirtschaftlichem Gebiet. In der von den Schutzzöllen profitierenden Nationalindustrie sieht er einen wichtigen Gegner seiner Paneuropabestrebungen. Würde durch europäischen Zusammenschluss die Kriegsgefahr verschwinden, gäbe es keinen Grund mehr für national geschlossene Wirtschaftsgebiete und Autarkie, von denen monopolartige Treibhausindustrien profitierten. Freihandel und freie Konkurrenz würden nicht nur die europäischen Konsumenten mit besseren und billigeren Waren versorgen, sondern jene Industrien neue Märkte gewinnen lassen, welche die Konkurrenz nicht zu fürchten brauchen. Die Gefahren, die von Monopolindustrien und Trustbildungen ausgehen, könnten gebannt werden „durch eine sozialistische Kontrolle, die in Europa leichter durchzuführen ist als in Amerika, weil hier der Sozialismus über mehr Macht verfügt.“

In den über die Grenzen hinausdrängenden „paneuropäischen Monopolindustrien“  und dem „internationalistischen Sozialismus“ sieht Coudenhove-Kalergi starke Antriebskräfte für die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa, ebnet doch dort „die natürliche Vervollkommnung des kapitalistischen Systems … den Weg zum Sozialismus.“, jenem „Sozialismus, der die ganze Welt regeln wird“ und „die Menschheit wie von anderen Ausbeutungsfesseln auch befreien (wird) von den hemmenden zwischenstaatlichen Zollschranken.“

Coudenhove-Kalergi sollte mit diesem Hinweis auf die Verbindung von Monopolkapitalismus und Sozialismus Recht behalten. So berichtete Wolfgang Böhm jüngst über das 1983 erfolgte „Treffen der wichtigsten Konzernchefs von Philips über Siemens, Fiat, Volvo bis Nestlé, um die Idee eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes zu forcieren. Dieser „European Round Table“ fand Gehör beim sozialdemokratischen Kommissionspräsidenten Jacques Delors.“ 1986 öffneten „die einheitlichen Europäischen Akte“ den Weg zum Binnenmarkt.

Jetzt werden über „das mit Abstand wichtigste Projekt der Aufbau einer gemeinsamen transatlantischen Freihandelszone zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union“ noch im Sommer 2013 Verhandlungen aufgenommen. Inzwischen mehren sich die Stimmen der Auguren, die nach dem bereits 1993 erfolgten Beschluss über die „Agenda 21“ der UNO sogar eine Weltregierung im Entstehen sehen, welche die nachhaltige Entwicklung der Weltwirtschaft („sustainable development“) durch umfassende Regelungen und Kontrollen sichern soll.

Der Einspruch gegen dieses grundfalsche, eben auch von Coudenhove-Kalergi vertretene, liberale Konzept „gemeinsamer Märkte“, erfolgt jetzt nicht nur von Nationalökonomen alter Schule, sondern sogar von den Intelligenteren unter den Juristen. Sie sehen im Binnenmarkt einen „Grundfehler der Integration“ und wenden sich „gegen die Freihandelsdoktrin. (Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider)“ Der Eindruck drängt sich auf, die Politikversager möchten den ob seiner horrenden Arbeitslosigkeit gescheiterten, von der Bevölkerung nicht mehr mitgetragenen europäischen „Binnenmarkt“ durch die Flucht in den noch größeren „Nato-Markt“ kompensieren

„Welt-Union“ statt „Europäischer Union“? Das kann die Fahrt in den Abgrund nur beschleunigen.

Die Führung Europas durch den neuen Adel

Die bemerkenswerten Feststellungen zur Verbindung von Kapitalismus und Sozialismus durch gemeinsame Interessen bahnen den Weg zum Verständnis der elitären Vorstellungen Coudenhove-Kalergis über die politische Führung Europas, ihre Rekrutierung und Zusammensetzung.

Einen guten Zugang zu diesen Vorstellungen erhält der Leser durch eine kleine Schrift, die Coudenhove-Kalergi 1922 unter dem Titel „Adel“ veröffentlicht, aber wohl schon 1920 fertiggestellt hat. Die Schrift gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil ist die Rede vom „rustikalen und urbanen Menschen“. Er enthält Gegenüberstellungen von Landmensch und Stadtmensch; Junker und Literat; Gentleman und Bohemien; Inzucht und Kreuzung; heidnischer und christlicher Mentalität.

All diese Charakterisierungen sind amüsant zu lesen. Der rational denkende Stadtmensch habe den organisch denkenden Landmenschen abgelöst, der Literat und Geistesmensch den geistig minderbemittelten Junker und Blutadel verdrängt, der Bohemien den Gentleman. Der Rustikalmensch sei vielfach ein Produkt der Inzucht, der Urbanmensch eher ein Mischling, in dem sich Vielseitigkeit, geistige Regsamkeit, Freiheit von Vorurteilen und Weite des Horizontes verbinden. Schon diese in Kurzform wiedergegebenen Gegenüberstellungen lassen erkennen, wem die Führung in Zukunft gehören wird: Nicht dem „Blut- und Schwertadel“, sondern dem „Hirnadel“.

Der Held und der Heilige

Von besonderem Interesse in diesem ersten Teil ist der letzte Abschnitt mit der Gegenüberstellung von heidnischer und christlicher Mentalität, den wir weitgehend zitieren wollen.

„Heidentum stellt Tatkraft, Christentum Liebe an die Spitze der ethischen Wertskala.“ Christentum will das Raubtier Mensch in ein zahmes Haustier verwandeln, während Heidentum den Menschen zum Übermenschen umschaffen will. Im Mittelalter lebt das Heidentum als ritterliche, in der Neuzeit als imperialistische und militaristische Weltanschauung fort. Offiziere, Junker, Kolonisatoren, Industriekapitäne sind die führenden Repräsentanten modernen Heidentums. Tatkraft, Tapferkeit, Größe, Freiheit, Macht, Ruhm und Ehre: das sind die Ideale des Heidentums;

während Liebe, Milde, Demut, Mitleid und Selbstverleugnung wahre christliche Ideale sind. Allgemeingültiger heidnischer Individualismus ist nur in dünn bevölkerten Erdstrichen möglich, wo der Einzelne sich behaupten und rücksichtslos entfalten kann, ohne gleich in Gegensatz zu seinen Mitmenschen zu geraten. In übervölkerten Gegenden, wo Mensch an Mensch stößt, muss das sozialistische Prinzip gegenseitiger Unterstützung das individualistische Prinzip des Daseinskampfes ergänzen und zum Teil verdrängen.

Christentum und Sozialismus sind internationale Großstadtprodukte. Das Christentum nahm als Weltreligion seinen Ausgang von der rasselosen Weltstadt Rom; der Sozialismus von den national gemischten Industriestädten des Abendlandes. Beide Äußerungen christlicher Mentalität sind auf Internationalismus ausgerichtet, welcher die Zukunft bestimmen wird.

Christentum und Judentum

„Das Christentum, ethisch von jüdischen Essenern (Johannes), geistig von jüdischen Alexandrinern (Philo) vorbereitet, war regeneriertes Judentum. Soweit Europa christlich ist, ist es (im ethisch-geistigen Sinne) jüdisch; soweit Europa moralisch ist, ist es jüdisch. Fast die ganze europäische Ethik wurzelt im Judentum. Die prominentesten und überzeugtesten Vertreter christlicher Ideen, die in ihrer modernen Wiedergeburt Pazifismus und Sozialismus heißen, sind Juden … Der theokratischen Idee der Identifikation von Politik und Ethik ist das Judentum im Wandel der Jahrtausende treu geblieben: Christentum und Sozialismus sind beides Versuche, ein Gottesreich zu errichten. Vor zwei Jahrtausenden waren die Urchristen, nicht die Pharisäer und Sadduzäer, Erben und Erneuerer mosaischer Tradition; heute sind es weder die Zionisten noch die Christen, sondern die jüdischen Führer des Sozialismus: denn auch sie wollen, mit höchster Selbstverleugnung, die Erbsünde des Kapitalismus tilgen, die Menschen aus Unrecht, Gewalt und Knechtschaft erlösen und die entsühnte Welt in ein irdisches Paradies wandeln. Diesen jüdischen Propheten der Gegenwart, die eine neue Weltepoche vorbereiten, ist in allem das Ethische primär: in Politik, Religion, Philosophie und Kunst.“

Charakterstärke verbunden mit Geistesschärfe prädestiniert den Juden in seinen hervorragendsten Exemplaren zum Führer urbaner Menschheit, zum falschen wie zum echten Geistesaristokraten, zum Protagonisten des Kapitalismus wie der Revolution.

Das demokratische Zwischenspiel und sein Ende

Nicht minder anregend ist der zweite Teil dieser kleinen Schrift, der mit „Krise des Adels“ überschrieben ist. Er besteht aus 5 Abschnitten und wird mit einem „Ausblick“ abgeschlossen.

Gleich der erste Abschnitt „Geistesadel statt Schwertherrschaft“ hat es in sich. „Unser demokratisches Zeitalter“, schreibt Coudenhove-Kalergi, „ist ein klägliches Zwischenspiel zwischen zwei großen aristokratischen Epochen: der feudalen Aristokratie des Schwertes und der sozialen Aristokratie des Geistes. Die Feudalaristokratie ist im Verfall, die Geistesaristokratie im Werden. Die Zwischenzeit nennt sich demokratisch, wird aber in Wahrheit beherrscht von der Pseudo-Aristokratie des Geldes.“ Das Schwarzpulver bedeutete das Ende der Ritterschaft, der Buchdruck gab dem schriftstellernden Geist Machtmittel von ungeheurer Tragweite.

„Der Einfluss des Blutadels sank, der Einfluss des Geistesadels wuchs. Diese Entwicklung, und damit das Chaos moderner Politik wird erst dann ein Ende finden, bis eine geistige Aristokratie die Machtmittel der Gesellschaft: Pulver, Gold, Druckerschwärze, an sich reißt und zum Segen der Allgemeinheit verwendet. Eine entscheidende Etappe zu diesem Ziel bildet der russische Bolschewismus, wo eine kleine Schar kommunistischer Geistesaristokraten das Land regiert und bewusst mit dem plutokratischen Demokratismus bricht, der heute die übrige Welt beherrscht und korrumpiert.“

Dürfen wir hier, Coudenhove-Kalergi ergänzend, anmerken, dass manche nicht unbegründet vermuten, die kommunistische Geistesaristokratie sei in die Glaspaläste der Europäischen Union eingezogen, habe den Stuhl des Kommissionspräsidenten eingenommen und führe nun auch den Vorsitz im Europäischen Parlament? Und mit China würde diese „kommunistische Geistesaristokratie“ bereits eine Weltmacht regieren, von deren Wohl und Wehe der „Westen“ weitgehend abhängig sei? Hat demnach Coudenhove-Kalergi mit der Bemerkung recht, Kapitalismus und Kommunismus seien „beide rationalistisch, beide mechanistisch, beide abstrakt, beide urban“, im Grunde also verwandt? Offen bleibt für uns die Frage, ob aus dieser geistigen Verwandtschaft von Kapitalismus und Sozialismus tatsächlich, wie Coudenhove-Kalergi vermutet, ein neuer Geistesadel erwächst, dem die Führung Europas anvertraut werden kann?

Die Krise des Adels

Mit der Erfindung des Schwarzpulvers hat der Schwertadel endgültig ausgespielt. Der Ritter wurde vom Pferd geschossen. Der Blutadel, der einst seine Ländereien verwaltete und bodenständig war, kam bei Hofe mit der Dekadenz in Berührung und verdarb. Der Geistesadel aus Literatur, Wissenschaft, Kunst wurde vom korruptionistischen Kapitalismus „vergiftet“, „Schule und Presse sind heute beide in den Händen einer ungeistigen Intelligenz.“

Auch die „Geldaristokratie“, die Plutokratie, welche die Macht an sich riss, befindet sich „gegenwärtig in einer Verfallsperiode.“ Ihr war es gelungen, ihre Herrschaftsform hinter einer demokratischen Fassade aufzurichten, die Staatsmänner zu ihren Marionetten zu machen und ihnen die Richtlinien der Politik durch Bestechung zu diktieren. Herabgekommen zur Schieber- und Spekulantenaristokratie, droht der kapitalistischen Plutokratie durch den Bolschewismus und Sozialismus eine Katharsis, welche sie zwingt, soziale Forderungen mehr und mehr zu berücksichtigen. Der gemeinsame Tanz von Kapitalismus und Sozialismus hat schon begonnen.

Der unverzichtbare Adel

Trotz aller Verfallsformen ist Adel unverzichtbar: „Will die Menschheit vorwärts schreiten, braucht sie Führer, Lehrer, Wegweiser; Erfüllungen dessen, was sie werden will; Vorläufer ihrer künftigen Erhebung in höhere Sphären. Ohne Adel keine Evolution. Eudämonistische Politik kann demokratisch – evolutionistische Politik muss aristokratisch sein. Um emporzusteigen, um vorwärts zu schreiten sind Ziele nötig; um Ziele zu erreichen, sind Menschen nötig, die Ziele setzen, zu Zielen führen: Aristokraten.“ Das Zwischenspiel der Demokratie „entstand aus Verlegenheit: nicht deshalb, weil die Menschen keinen Adel wollten, sondern deshalb, weil sie keinen Adel fanden.“

„Von der europäischen Quantitätsmenschheit, die nur an die Zahl, die Masse glaubt, heben sich zwei Qualitätsrassen ab: Blutadel und Judentum. Voneinander geschieden, halten sie beide fest am Glauben an ihre höhere Mission, an ihr besseres Blut, an menschliche Rangunterschiede. In diesen beiden heterogenen Vorzugsrassen liegt der Kern des europäischen Zukunftsadels: im feudalen Blutadel, soweit er sich nicht vom Hofe; im jüdischen Hirnadel, soweit er sich nicht vom Kapital korrumpieren ließ.“

Die Überlegenheit ihres Geistes „prädestiniert“ die Juden „zu einem Hauptfaktor zukünftigen Adels“ und zur „Menschheitsführung. Bei ihnen ist seit jeher „das Gemeinsame, Verbindende und Primäre nicht die Nation, sondern die Religion. Im Laufe des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung traten in diese Glaubensgemeinschaft Proselyten ein, zuletzt König, Adel und Volk der mongolischen Chazaren, der Herren Südrusslands. Von da an erst schloss sich die jüdische Religionsgemeinschaft zu einer künstlichen Volksgemeinschaft zusammen und gegen alle übrigen Völker ab. (Richard N. Coudenhove-Kalergi nimmt hier Bezug auf das Buch seines Vaters, Dr. Heinrich Coudenhove-Kalergi: Antisemitismus )“

Die Jahrhunderte währende Verfolgung und Ausrottungsversuche durch das europäische Christentum [Anm.: Die erst mit dem Zweiten Vatikanum einsetzende Reflexion und Reaktion der römisch-katholischen Kirche auf diesen Vorwurf hat ihre Glaubwürdigkeit zutiefst erschüttert und sogar zur Änderung ihrer liturgischen Texte und Riten geführt] haben das Judentum gestählt und einem Ausleseprozess unterzogen, der es „zu einer Führernation der Zukunft erzogen“ und „zu einem geistigen Adel entwickelt“ hat. Das Judentum wird deshalb der Schoß sein, „aus dem ein neuer, geistiger Adel Europas hervorgeht; ein Kern um den sich ein neuer, geistiger Adel gruppiert“.

Lenin und Trotzki, der neue Adelstyp

Dieser neue Adel rekrutiert sich beileibe nicht nur aus dem Judentum. Coudenhove-Kalergi schwebt ein neuer Adelstyp vor, der aus „einem kleinen Rest sittlich hoch stehenden Rustikaladels und eine(r) kleinen Kampfgruppe revolutionärer Intelligenz“ besteht. „Hier wächst die Gemeinschaft zwischen Lenin, dem Mann aus ländlichem Kleinadel, und Trotzki, dem jüdischen Literaten, zum Symbol: Hier versöhnen sich die Gegensätze von Charakter und Geist, von Junker und Literat, von rustikalem und urbanem, heidnischem und christlichem Menschen zur schöpferischen Synthese revolutionärer Aristokratie.“ Der nicht korrumpierte Landadel hat eine Fülle vitaler Kräfte in tausendjähriger Symbiose mit der Natur gesammelt und aufgespeichert Gelingt es, diese gesteigerte Lebensenergie ins Geistige zu sublimieren, dann könnte vielleicht der nichtjüdische Adel der Vergangenheit  zusammen mit dem jüdischen Geistesadel Anteil nehmen am Aufbau des Adels der Zukunft, der sich durch alles „Hervorragende an Schönheit, Kraft, Energie und Geist“, an „Unbeugsamkeit des Willens, Seelengröße und Selbstlosigkeit“ auszeichnet.

Man kann über dieses neue „Herrschervolk“, diese neue „Herrenrasse“, deren Bildung Coudenhove-Kalergi sogar mit eugenischen Züchtungsmethoden fördern wollte, leicht die Nase rümpfen, doch die Bildung von Führungseliten gehört zu den unverzichtbaren Aufgaben staatlichen Überlebens. Auch wenn man die Verbindung von altem Adel und Sozialismus – ob nun „katholischem“ oder „jüdischem Sozialismus“ – ablehnt, so sollte zumindest das Faktum ein wenig des Nachdenkens wert sein, dass seine Kaiserliche und Königliche Hoheit, Otto von Habsburg, die Präsidentschaft der Paneuropabewegung nach dem Tode von Coudenhove-Kalergi übernommen hatte.

Sein Sohn Karl gehört dem Präsidium der Paneuropa-Union seit 1994 an. Unterstützt wurden und werden sie von vielen Angehörigen des Hochadels, die politische und soziale Verantwortung zu ihrem Anliegen gemacht haben. Darüber hinaus sind heute etwa einhundert Abgeordnete zum Europäischen Parlament Mitglieder der Paneuropa-Union.

In zahlreichen Querverbindungen wird die Zusammenarbeit mit den in den USA beheimateten Einflussgruppen gepflegt. Damit wird von der Paneueropabewegung dem Umstand Rechnung getragen, dass die Europäische Union heute nur noch als „euroasiatischer Brückenkopf der USA“ (Zbigniew Brzezinski) fungiert. Die von Hermann van Rompuy eingangs gestellte Frage, ob denn Europa seinen Frieden und seine Selbständigkeit den anderen Weltmächten gegenüber wahren kann, hat sich damit ebenso erledigt wie die Vorstellung Coudenhove-Kalergis, Europa könne durch Zusammenschluss zu einer auf der globalen Bühne mitspielenden Weltmacht werden. Denn trotz Europäischer Union ist Europa, wie Coudenhove-Kalergi schon 1923 befürchtete, „politisch und militärisch zum Schachbrett der Welt“ und anderen Großmächten hörig geworden.

Die Vereinigten Staaten von Europa – eine „idée fausse“

„Europa als politischer Begriff besteht nicht.“ Diese, wenn auch von ihm bekämpfte Einsicht, die Coudenhove-Kalergi 1923 vortrug, ist heute so gültig, wie sie es immer war. In seiner Geschichte war Europa nie eine staatliche Einheit, weder unter der Herrschaft Roms, noch unter den Kaisern und Päpsten des Mittelalters. Ganz zu schweigen von den gescheiterten Versuchen, die Napoléon, Stalin oder Hitler zur Neuordnung Europas unternommen haben.

Nach ihrer von Freiherrn von der Heydte so beredt beschriebenen „Geburtstunde des souveränen Staates“ im 13. Jahrhundert, hat die Entwicklung zu Nationalstaaten bis heute nicht an Fahrt verloren. Es ist einfach Utopie zu glauben, dass selbstbewusste Völker wie die Briten, Irländer, Holländer, Franzosen, Spanier, Italiener, Dänen, Schweden, Norweger, Finnen, Polen oder Tschechen ihre Souveränität an einen europäischen Bundesstaat abtreten. Selbst Vielvölkerstaaten wie Österreich, Belgien oder gar die Schweiz denken nicht daran, ihre staatliche Existenz aufzugeben.

Europa ist ein opakes, intransparentes, vergiftetes Wort, missbraucht zur Irreführung und zur Verschleierung politischer Zwecke. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ – selten hat ein Satz die Runde gemacht, der an Unsinnigkeit kaum zu überbieten ist. Europa „scheitert“ nicht einmal, wenn die EU sich auflöst! Die europäischen Völker und ihre Staaten werden auch ohne übergestülpte Zwangsjacke in Frieden weiterleben, solange jedenfalls wie die NATO ihn wahrt.

Völker sind Völker. Niemand hat das Recht, ihnen ihre Existenz in der von ihnen bejahten staatlichen Form zu verweigern. Weder kulturell noch politisch gibt es ein Substrat, das für die Vereinigten Staaten von Europa die notwendigen Ligaturen oder Bindekräfte beistellen könnte. Es gibt kein „europäisches Volk“. Die Abstimmungen über die Europäische Verfassung haben das dort, wo sie stattfinden konnten (Irland, Frankreich, Holland), eindeutig bewiesen. Heute kann die EU nur noch durch ständigen Rechtsbruch am Leben gehalten werden (Paul Kirchhof, Jürgen Stark).

Die EU steht vor einem Scherbenhaufen und muss zusehen, wie in vielen Staaten die Bevölkerung protestiert, Gewerkschaften mit Streiks das Land lahm legen, Parlamente gestürmt, Banken belagert, Schaufenster eingeschlagen, Geschäfte geplündert, Autos, Barrikaden und Häuser angezündet werden und ganze Stadtviertel außer Kontrolle geraten. Ein Europa, in dem es notwendig ist, Knüppel, Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschosse  einzusetzen, um das Versinken in Anarchie zu verhindern, ist das das Europa, das Coudenhove-Kalergi erträumte? Sicher nicht!

Es ist an der Zeit, Alternativen ins Auge zu fassen und den Völkern nicht länger das Naturrecht  auf Existenz in den von ihnen im Laufe der Geschichte gebildeten poltisch-staatlichen Einheiten zu verweigern. Europa der Vaterländer, das Konzept de Gaulles, ist das, was von den Völkern akzeptiert wird: Kooperation auf gleicher Augenhöhe, nicht aber die Vereinigten Staaten von Europa!

Der Autor ist Dozent für Theoretische Volkswirtschaftslehre und Politik. Er war Mitglied der Europakommission der Österreichischen Bischofskonferenz. Seine letzten Publikationen: Die Rechte der Nation (2002, slowakisch 2008), Der Sinn der Geschichte (2011), ESM-Verfassungsputsch in Europa (2012). 

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