Rezension: Return to Order von John Horvat

Die Liste an Büchern zur Wirtschaftskrise ist lang und wird angesichts der Verstetigung der Krise beständig länger. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen behandeln die sich zu Wort meldenden Autoren lediglich die strukturelle Dimension der Systemkrise. Dementsprechend werden zu ihrer Überwindung nahezu ausnahmslos strukturelle Reformvorschläge unterbreitet, die normalerweise in ihren Schlussfolgerungen stark ideologisch gefärbt sind. Die einen sehen in einem Mehr an staatlichen Regulierungen das wirtschaftspolitische Allheilmittel, die anderen fordern ebenso undifferenziert „mehr Markt“ und entlang dieser ermüdend simplifizierenden Argumentationsketten erschöpfen sich die meisten Diskussionen.

Eine in jeder Hinsicht hervorstechende Ausnahme ist das Buch „Return to Order“ des US-Amerikanischen Autors John Horvat. Seine umfassende Analyse baut auf der unserem materialistischen Zeitalter verloren gegangenen grundlegenden Einsicht auf, dass die Seele als Lebensprinzip alles Lebendigen den menschlichen Körper bewegt. Je nachdem, ob die Seele geordnet oder ungeordnet ist, bringt sie andere Verhaltensweisen und in weiterer Folge unterschiedliche gesellschaftliche Institutionen hervor. Den engen Zusammenhang zwischen Seelenverfassung und Staatsverfassung, zwischen innerer (Un-)Geordnetheit und äußerer (Un-)Geordnetheit hat bereits Platon in seiner „Politeia“ ausführlich dargelegt.

Daher verortet John Horvat die Wurzel der wiederkehrenden Wirtschaftskrisen richtigerweise in der ungeordneten Seelenverfassung des modernen Menschen. Der Autor des rezensierten Werkes weist dieser Ungeordnetheit den Begriff der zügellosen Maßlosigkeit (engl. „frenetic intemperance“) zu und erkennt in dieser jenes herausragende Laster, das die Wirtschaft und die Gesellschaft aus dem Gleichgewicht bringt. Ein klassischer Fall zügelloser Maßlosigkeit ist das vom ungeordneten Gewinn- und Konsumstreben motivierte Eingehen exzessiver Risken.

Der sich von moralischen, kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Beschränkungen Befreiende ist durch diesen emanzipatorischen Befreiungsakt jedoch entgegen den verlockenden Verheißungen zu einem Getriebenen seiner unsteten Leidenschaften geworden und damit alles andere als frei. Denn wahrhaft frei ist eine Person, die Ursache ihrer selbst ist und durch die Übung der Tugend der Mäßigung Herr seiner Triebe, Leidenschaften und Begierden ist. Der dem Laster Verfallene ist hingegen nicht Herr seiner selbst. Biblisch ausgedrückt: Der Sünder ist der Sünde Knecht (vgl. Joh 8, 34). Weiterhin charakterisiert John Horvat den neuzeitlichen Menschen dahingehend, dass er das Angenehme dem Guten, die Quantität der Qualität, sowie die kurzfristige Bedürfnisbefriedigung um jeden Preis der umsichtigen Bewirtschaftung vorzieht.

Einen Gutteil seines Erstlingswerks widmet John Horvat der Skizzierung jener gesellschaftlichen Ordnung, zu deren Rückkehr er den Leser ermuntern möchte. Dieses Unterfangen ist gleichermaßen verdienstvoll wie schwierig, weil die von ihm vertretene christlich-organische Gesellschaft kein dem Menschen von außen oktroyiertes Gesellschaftssystem ist, das Freiheit durch die Errichtung bestimmter Strukturen verspricht. In eben dieser Annahme, dass der Mensch „sozial-institutionell bedingt“ sei, macht der deutsche Historiker Thomas Nipperdey den Wesenskern der Utopie fest. Utopien fordern nicht die Gesinnungsänderung des Einzelnen als unabdingbare Voraussetzung für eine Gesellschaftsreform, sondern locken mit dem verführerischen Versprechen, dass der gute Mensch eine Folge der richtigen gesellschaftlichen Strukturen sei.

In Zeiten des grassierenden Subjektivismus, der die Existenz objektiver und allgemeinverbindlicher sittlicher Normen bestreitet, mahnt Horvath daher nichts Geringeres als eine kopernikanische Wende ein. Die christlich-organische Gesellschaft ist somit die Frucht der Verinnerlichung jener Prinzipien, die das christliche Abendland als zeitlos und unveränderbar erkannt hat. Zu diesen unwandelbaren Prinzipien sind die vier Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung sowie die drei christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe zu zählen.

Horvat gelingt es außerordentlich gut, die fundamentale Kluft zwischen dem neuzeitlichen Systemdenken und der abendländischen Vorstellung von Organizität herauszuarbeiten. Organizität bedeutet zum einen, dass der Mensch sein Mensch-Sein nur in den natürlichen Bindungen der Gemeinschaft entfalten kann. Die einzelnen Glieder einer Gesellschaft bedürfen einander so wie die Zellen, Glieder und Organe eines menschlichen Körpers aufeinander angewiesen sind. Der Mensch ist eben nicht, wie das individualistische Menschenbild behauptet, ein fertiges Individuum, das als solches dem Anderen gegenübertritt und in diesem Gegenübertreten nicht weiter zur Vollkommenheit geformt wird.

Organizität bedeutet aber auch, dass in der Befolgung der genannten zeitlosen Prinzipien das gesamte Gemeinwesen – und die es bildenden untergeordneten Gesellschaften wie die Familie, die Gemeinden, die Vereine, die Berufsstände und die Regionen – das ihnen zustehende Eigenleben entfalten können, wobei sich die innere Verfasstheit der einzelnen Gesellschaften wie auch das enge Beziehungsgeflecht zwischen diesen Gesellschaften an die verändernden äußeren Rahmenbedingungen ebenso anpassen kann. Dies steht im fundamentalen Widerspruch zur gegenwärtig dominierenden mechanistischen Auffassung, die die Gesellschaft wie den Einzelnen in vorgegebene Abläufe zwängt und durch Individualisierung, Standardisierung und Zentralisierung familiäre, lokale, regionale und nationale Identitäten zerstört.

Vorbild Mittelalter

Das Buch räumt zudem mit vielen, von der Aufklärung in Umlauf gebrachten Fehlurteilen über das Mittelalter auf. So hat das Mittelalter schließlich die Sklaverei überwunden. Zum einen deshalb, weil das Christentum jeder Person als Geschöpf Gottes die ihr daraus resultierende Würde zuerkennt und zum anderen, weil das Christentum im Unterschied zur heidnischen Antike die körperliche Arbeit wertschätzt. Unabhängig vom Berufsstand ist jeder Mensch dazu berufen, an der Vervollkommnung der sehr guten Schöpfung aktiv mitzuwirken. Unbeschadet der damaligen Missbräuche, die aufgrund der Neigung zur Sünde im Diesseits nie vollständig zu vermeiden sind, zielte die mittelalterliche Feudalordnung auf die umfassende Verwirklichung eines auf konkreten personalen Beziehungen und wechselseitigen Dienst- und Treueverhältnissen beruhenden Zusammenlebens, das die innertrinitarische Liebesgemeinschaft als Urbild jeder Gemeinschaft vor Augen hatte. Diese menschliche Komponente ist, so John Horvat, in der neuzeitlichen Wirtschaftsauffassung verloren gegangen, weil das Gewinnmaximierungsprinzip menschliche Beziehungen auf zeitlich begrenzte Nutzenbeziehungen reduziert und die mechanistische Wirtschaftstheorie im wahrsten Sinne des Wortes geist- und seelenlos ist.

Wie die noch immer von unzähligen Touristen bestaunten Bauwerke jener Epoche wie Kathedralen, Burgen und Schlösser eindrucksvoll bezeugen, kannte das Mittelalter einen regen technologischen Fortschritt, der im Unterschied zur Neuzeit jedoch nicht auf die heidnische Trias des „Schneller, Höher und Weiter“ abzielte. Die Hinwendung der menschlichen Seele zum Schönen, Guten und Wahren manifestierte sich an der formvollendeten Bauweise und der meisterhaften Ausgestaltung durch die unzähligen (Kunst-)Handwerker dieser Epoche. Es ist unmittelbar einsichtig, dass die Menschen jener Epoche von einem gänzlich anderen Geist bewegt waren – alles wurde zur höheren Ehre Gottes verrichtet – als dies seit dem Hereinbrechen des „Geist des Kapitalismus“ (Max Weber) der Fall ist, der beispielsweise gesichtslose, ausschließlich der wirtschaftlichen Verwertung dienende Wolkenkratzer hervorbringt.

Dennoch hängt John Horvat weder einem verklärenden Romantizismus an noch fordert er das Unmögliche, das Zurückdrehen der Zeit. Das Mittelalter ist eine abgeschlossene Epoche der Vergangenheit, in dem jene Ordnungsprinzipien, deren Rückgewinnung Horvat vorschlägt, bislang am vortrefflichsten verwirklicht worden sind. Insofern ist die Auseinandersetzung mit dem Mittealter hilfreich, um die Verwerfungen und Verirrungen der Gegenwart klarer erkennen zu können. Ein weiterer Pluspunkt dieses Buches sind die zahlreichen farbigen Abbildungen, die dem zeitgenössischen Leser helfen, ein tieferes Verständnis von der verblichenen christlich-organischen Gesellschaftsauffassung in der eingänglichen Sprache der Bilder zu erlangen, deren bauliche, künstlerische, gesellschaftliche und institutionelle Überreste uns in Europa (noch) vielfach begegnen. Aber niemals verliert der Autor die Gegenwartsbezogenheit seines Anliegens aus den Augen; und weil er der Gesellschaft gerade kein System überstülpen möchte, wird die Wiederbelebung der zeitlosen Prinzipien einer christlich-organischen Gesellschaft im 21. Jahrhundert andere Formen hervorbringen als vor 1000 Jahren.

Obschon sich „Return to Order“ speziell an die US-Amerikanische Öffentlichkeit wendet, ist dieses Buch aufgrund seiner grundlegenden Ausführungen zum christlich-abendländischen Ordnungsdenken auch für Nicht-Amerikaner eine gewinnbringende Lektüre. John Horvat ermutigt den Leser, diese Ordnung der Dinge im 21. Jahrhundert erneut zum Leben zu erwecken. Glück, Ruhe und Frieden, nach denen sich der Mensch sehnt, sind letztlich allesamt Früchte dieser inneren wie äußeren, von Gott geschaffenen Ordnung.

Gregor Hochreiter: Vorstand – Oekonomika-Institut für angewandte Ökonomie und christlich-abendländische Philosophie

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