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Die Panik oder: Wann ist irgendwann?

Trau niemandem mehr. Der globale Kurssturz an den Börsen war zwar im Zeitpunkt nicht vorherzusagen gewesen. Das ist bei solchen, einer Massenpanik gleichenden Entwicklungen nie der Fall. Aber dass wir im letzten Jahr nur ein kurzes „Zwischenhoch“ erlebt haben, das war bei einiger Nüchternheit von Anfang an klar. Dieser Begriff ist daher auch in diesem Tagebuch im letzten Jahr mehr als ein halbes Dutzend Male verwendet worden. Dennoch ist es nicht wirklich logisch, dass jetzt ausgerechnet Aktien so rapide an Wert verloren haben.

Das ist letztlich nur noch psychologisch erklärbar. Denn Aktien verkörpern immerhin Sachwerte, während Staatsanleihen nur noch auf dem naiven Glauben aufbauen, dass die Regierungen den gigantischen Schuldenberg jemals abbauen können. Dieses noch immer vielerorts vorhandene Vertrauen in Staatspapiere gleicht in Wahrheit der Einstellung eines Lotteriespielers, der im Vertrauen auf eine winzige Chance wöchentlich dem Finanzministerium freiwillig große Beträge abliefert. Denn auch außerhalb der PIIGS-Länder haben die Staatsschulden unbewältigbare Dimensionen angenommen.

Natürlich lassen sich die Börsewerte nicht ganz von den Anleihewerten abkoppeln. Denn die Staaten in ihrer Verzweiflung sind zu allem imstande, also auch dazu, dass sie hemmungslos auf all unsere Sachwerte greifen. Projekte wie eine Kursgewinnsteuer sind da nur ein erster Schritt gewesen. Der nächste sind die von linken Parteien schon vehement geforderten „Vermögenssteuern“, die in Wahrheit wieder ganz überwiegend Unternehmen treffen, die aber die einzige Quelle eines eventuellen Wachstums, von Jobs und Wohlstand sein können. Und bald werden sie auch wieder verstaatlichen und enteignen wollen. So wie die Sowjets einst die Kulaken gejagt haben, also die freien Bauern.

Dass man dem Staat alles zutrauen kann, zeigt sich etwa in Italien. Dort veranstaltete eine süditalienische(!) Staatsanwaltschaft vor wenigen Stunden in Mailand Razzien bei einer Ratingagentur. Diese hätte „unbegründet und unvorsichtig“ gehandelt. Das wagen die Schergen eines Landes zu sagen, das die zweithöchste Verschuldung der Welt hat! Das wagen Beamte aus Apulien von sich zu geben, die seit Jahrhundert sehr gut mit der Mafia und von nordeuropäischem Geld leben!

Es gilt ganz offensichtlich die Devise: Niemand darf mehr die volle Wahrheit sagen! Zertrümmert alle Spiegel, damit niemand mehr sieht, wie hässlich wir Schuldenmachergesellschaften geworden sind.

Aber nicht nur Süditaliener, sondern auch viele Politiker sind mit solchen Dolchstoßlegenden immer sehr rasch bei der Hand (und die ihnen hörigen Journalisten sowieso). Wenn die Menschen massenweise das Vertrauen in den von der Politik angerichtet Scherbenhaufen verlieren, dann sind entweder die Ratingagenturen oder die Banken, die Spekulanten oder die „Profiteure“ (neuester O-Ton SPÖ-Staatssekretär Schieder) schuld, aber niemals jene, die jahrzehntelangen Stimmenkauf mit immer mehr Verschuldung betrieben, also von fremdem Geld „profitiert“ haben. Und niemals jene Wähler, die jene gewählt haben, die am lautesten und am meisten versprochen haben.

Sie alle taten das immer im Glauben, die Rechnung müsse irgendwann viel später ein anderer zahlen. Jetzt ist halt die Stunde „Irgendwann“ gekommen. Und der andere sind wir.

Auch wenn rückwirkende Gesetze jede Rechtsstaatlichkeit verletzen, so bekommt man derzeit fast Verständnis für das ungarische Vorhaben, die exzessiven Schuldenmacher aus der sozialistischen Regierungsperiode strafrechtlich zu verfolgen (nachdem die ungarischen Wähler sie schon mit nassen Fetzen davongejagt haben). Ungarn ist ja jenes Ostland, das schon am weitesten in den südlichen und westlichen Schuldenschlendrian verfallen ist.

Was aber tun? Sicher das Gegenteil von dem, was die Regierungen vermutlich jetzt wieder tun werden: nämlich dem verlorenen Geld noch viel gutes Geld nachzuwerfen, und immer neue Schuldpapiere in Umlauf zu setzen, damit vielleicht doch einmal eine Inflation alle Schulden (und halt auch Ersparnisse) auffrisst.

Wir müssen in Wahrheit die Dauerkrise wie das Jahr 1945 ansehen. Das ist eine Stunde null, wo der Wohlfahrtsstaat drastisch beschnitten werden muss; wo „wohlerworbene Rechte“ intensivst hinterfragt werden müssen, ob sie durch irgendeine echte Leistung oder nur auf dem Papier entstanden sind; wo die Staaten alle protektionistischen Regeln und alle bürokratischen Schikanen abschaffen müssen; und wo die Staaten nur noch auf das Notwendige und Machbare reduziert werden. Wir dürfen vor allem keinem Politiker mehr glauben, der mit irgendwelchen rasch geschnürten Rettungspaketen Abhilfe verspricht.

Der Glaube ist freilich gering, dass Europa zu einer solchen Rosskur bereit ist. Statt dessen wird es im Schlamm einer Dauerkrise steckenbleiben. Und es wird, so wie es die Griechen schon seit mehr als 2000 Jahren tun, von der einstigen Größe nur noch träumen, aber in keiner Weise mehr zu neuer Kraftanstrengung imstande sein. Oder es wird so wie Argentinien auf einen Standard nahe der Dritten Welt absinken – obwohl das Land in der Zwischenkriegszeit eines der wohlhabendsten Länder der Welt gewesen ist.

 

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