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Zwei Drittel sehen Österreich schon halb totalitär

 

Noch nie in den letzten Jahrzehnten hatte eine Meinungsumfrage ein so beklemmendes Ergebnis gebracht: Sie sagt im Grund nämlich nichts anderes, als dass zwei Drittel der Österreicher ihr Land schon als ein halb totalitäres System sehen, in dem man nicht mehr ohne Scheu seine politische Meinung äußern kann. Drei Jahre davor war erst ein Drittel dieser Ansicht.

Das ist das Ergebnis einer bisher nicht veröffentlichten Meinungsumfrage des renommierten Linzer Imas-Instituts, die auch bei den Instituts-Angehörigen Bestürzung auslöst. Im Detail lautete die Frage: „Wie ist Ihr Eindruck: Kann man in Österreich eigentlich ganz ohne Scheu darüber reden, wie man über politische, geschichtliche oder kulturelle Dinge denkt, oder ist es besser, sich mit seiner Meinung zurückzuhalten, weil man sonst mit Nachteilen rechnen muss?“

Diese Frageformulierung trifft genau einen wesentlichen Kern dessen, was ein totalitäres System ausmacht: Zum Unterschied von bloß autoritär-undemokratischen Systemen, die sich auf die Machtausübung konzentrieren, wollen totalitäre Staaten auch die Meinungen der Untertanen kontrollieren. Wobei sie natürlich nicht die Gedanken kontrollieren können, aber sehr wohl die Meinungsäußerungen zu wichtigen politischen Fragen.

Auf diese zuvor zitierte Frage antworten jedenfalls nicht weniger als 65 Prozent der Österreicher, entweder mit: „besser, sich zurückzuhalten“ (25 Prozent) oder mit: „kommt darauf an, hängt vom Problem ab“ (40 Prozent). Während lediglich 31 Prozent noch sagen, man „kann ohne Scheu reden“.

Ein ziemlich erschütterndes Ergebnis, das bei allen freiheitsorientierten Menschen die Alarmsignale schrillen lassen muss. Diese Umfrage müsste eigentlich eine zwingende Konsequenz haben: Neben den Verfassungsreformen mit dem Ziel einer Verwaltungsvereinfachung braucht Österreich genauso dringend einen zweiten Verfassungskonvent mit der zentralen Aufgabe, die Meinungsfreiheit in diesem Land wieder herzustellen.

Denn wenn nun manche Juristen und Politiker zu argumentieren beginnen sollten, dass in Österreich durchaus Meinungsfreiheit herrsche, sprechen die mehr als signifikanten Zahlen der Umfrage eine ganz andere Sprache. Viel entscheidender, ob eines der allerwichtigsten Grundrechte auf dem Papier von irgendwelchen Menschenrechtskatalogen steht, ist die Wirklichkeit. Also ob die Menschen auch davon überzeugt sind, dass es Meinungsfreiheit gibt. Schließlich haben ja auch totalitäre Diktatoren immer wieder papierene Verfassungen präsentiert, denen zufolge alle Grundrechte gesichert schienen.

Wenn hingegen Politik und Jurisprudenz tatenlos bleiben sollten, dann ist dies der wohl stärkste Beweis, dass hier tatsächlich eine herrschende Klasse sich sehr bewusst ist, die Meinungsfreiheit der Bürger eingeschränkt zu haben. Denn wenn zwei Drittel keine volle Meinungsfreiheit mehr sehen, dann gibt es diese Freiheit nicht mehr.

Nun werden manche sagen: Dieses Umfrageergebnis sei ja nur ein Beweis, dass die Österreicher seit jeher Duckmäuser sein; in Wahrheit wären sie ja ohnedies frei. Andere schlichte Denker werden halt sagen: Die Umfrage beweise nur, dass die Österreicher unverbesserliche Nazis geblieben wären, denen man zu Recht das Maul stopfe. Gegen beide Interpretationen spricht  aber massiv der Trend: Denn die Werte verschlechtern sich von Umfrage zu Umfrage dramatisch!

Im Oktober 2007 haben nämlich noch 47 Prozent gemeint, man könne in Österreich ohne Scheu reden (im Februar 2010 waren es dann nur noch 37). Und nur 34 Prozent haben sich für „zurückhalten“ oder „kommt drauf an“ entschieden. Was nur rund halb so viel wie in diesem Sommer waren – wenn auch in Wahrheit auch schon damals viel zu viele. (Im Februar 2010 waren es dann schon 51 Prozent).

Über die Ursachen dieses bestürzenden und sich beschleunigenden Trends sagt die Umfrage natürlich nichts. Sie hängen aber zweifellos mit den Verbotsgesetz-Debatten in diesem Frühjahr ebenso zusammen wie mit den ständigen Versuchen des Justizministeriums, den ohnedies jetzt schon bedenklichen Verhetzungsparagraphen, der reine Meinungsdelikte mit Haft bestraft, noch weiter zu verschärfen. Ebenso spielt da die vor allem von Rot und Grün ständig intensiver vorangetragene Political Correctness eine unschöne Rolle oder die Groteske der Wiener ÖVP, welche die Spitze des Wiener Akademikerbund wegen unerwünschter Meinungsäußerungen einfach ausschloss.

Mit etlicher Wahrscheinlichkeit kann man annehmen, dass das Kesseltreiben gegen Thilo Sarrazin – obgleich das ein deutscher Fall ist – die Angst der Österreicher, ihre Meinung frei zu äußern, noch weiter verschlimmert hat. Jedenfalls ist auch da kein österreichischer Politiker dadurch aufgefallen, dass er sich für die Meinungsfreiheit eingesetzt hätte.

Da bleibt nur noch eine vage Hoffnung: Wann kommt ein neuer Schiller mit einem Da capo der einst schon für erfüllt geglaubten Forderung: „Geben Sie Gedankenfreiheit!“?

Derweil tut es zumindest gut, ein altes Lied hervorzukramen und vor sich hinzusummen, das schon seit Walther von der Vogelweide und in immer neuen Variationen immer das Gleiche gesagt hat:
„Die Gedanken sind frei
wer kann sie erraten?
Sie fliehen vorbei
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Jäger erschießen
mit Pulver und Blei:
Die Gedanken sind frei!“

 

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