Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (10 Euro pro Monat) ist jederzeit beendbar und endet extrem flexibel einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Kickl im Kanzlersessel oder auf der Eselsbank?

Es ist nachvollziehbar, dass man vieles an Herbert Kickl als problematisch, als übel empfindet. Dennoch ist die gegenwärtige scharfe Kampagne der ÖVP gegen Kickl selbst problematisch und jedenfalls kurzsichtig. Denn es könnte – trotz des Zutreffens vieler Vorwürfe gegen Kickl – durchaus sein, dass die schwarz-blauen Auseinandersetzungen diesem am Wahltag mehr nützen werden als der ÖVP. Und noch schwieriger wird es sein, sich von der dumpfen Gebetsmühle von Rotgrün zu unterscheiden, die schon beim Wort "normaldenkend" in "Faschismus!"-Geklapper verfallen.

Es ist absolut richtig, scharfe Kritik daran zu üben, dass die Freiheitlichen unter Kickl außenpolitisch nur noch als Vasall Moskaus erscheinen, der selbst gegen das wichtige und richtige Projekt einer gemeinsamen Sicherung der europäischen Staaten gegen ballistische und andere Raketen stänkert, entweder weil es die Russen stört oder weil Kickl prinzipiell gegen alles stänkern will. Dabei hat das letzte Jahr ja klar gezeigt, dass Russland hemmungslos zum Einsatz von Raketen und Drohnen bereit ist und mit ihnen schlimme Terrorschäden in den ukrainischen Städten angerichtet hat, die in Wahrheit militärisch gar keinen Sinn haben. Ebenso kann es keinen Zweifel geben, dass Österreich alleine niemals zur Verteidigung gegen solche Raketen imstande sein wird, auch wenn jetzt bei der FPÖ empört geschrieen wird: Das sind ja Nato-Raketen! Tausendmal lieber Nato-Raketen gegen angreifende Geschoße als gar keine.

Auch Kickls Verhalten in der Pandemie war zweifellos verantwortungslos, selbst wenn er damit zeitweise die Zustimmung von einem guten Viertel der Österreicher erreicht hat, selbst wenn viel mehr Österreichern die Maßnahmen sehr auf die Nerven gegangen sind, selbst wenn allzu viel in der Corona-Krise chaotisch abgelaufen ist, selbst wenn es unerträglich war, dass Kritiker der Maßnahmen kriminalisiert und mundtot gemacht worden sind.

Es ist völlig legitim, das alles der FPÖ auch mit scharfen Worten vorzuhalten. Zugleich sollte man als nüchterner Beobachter aber auch wissen: Scharfe, untergriffige, übertreibende Kritik gehört zu den selbstverständlichen Arsenalen einer Oppositionspartei. Das kann man ja auch geradezu täglich an den Äußerungen der Babler-SPÖ ablesen.

Und vor allem sind diese beiden Schwachpunkte rund um die Kickl-FPÖ ja nicht die einzigen Problemzonen der Republik. Aber bei fast allen anderen Themen ist es völlig klar, dass ÖVP und FPÖ dort inhaltlich viel näher beisammen sind als etwa die ÖVP mit einer der Linksparteien. In vielen Politikbereichen ist den Wählern ein richtiges Agieren der Politik wichtiger als es die Differenzen bei der abgeflauten Pandemie und auch die Fragen der Sicherheits- und Außenpolitik sind. Letztere sind zwar an sich enorm wichtig – aber derzeit den Wählern zweifellos nicht so wichtig wie anderes.

Wie etwa:

  • der aktuelle Kampf gegen die Massenenteignungspläne der EU zu Lasten der Bauern (die unter dem Euphemismus "Renaturierung" laufen);
  • wirksamere Maßnahmen gegen die illegale Migration (die weitgehend nur auf europäischer und juristischer Ebene zu erreichen sind, wo aber zweifellos auch eine geschlossene Haltung der österreichischen Regierung nötig wäre);
  • wirksame Maßnahmen gegen den Terror der Klimakleber;
  • ein Sauberwerden und eine Entpolitisierung der Staatsanwaltschaft samt Maßnahmen gegen die massiv übergriffig gewordenen Strafverfolger;
  • ein Ende des Gebührenmonopols des ORF (das man unter der jetzigen Koalition absurderweise zu einer flächendeckenden Haushaltsabgabe umgewandelt hat);
  • Stärkung der Familie gegen das Trans- und Schwulen-Unwesen, aber auch als wichtige Strategie in der demographischen Krise;
  • konsequentes Vorgehen gegen die vor allem in Migrantenkreisen rasch zunehmende Kriminalität einschließlich der zunehmenden Übergriffe in Schwimmbädern;
  • Kampf gegen die Entwicklung der EU zu einer Außenstelle grüner NGOs (wie sie Johanna Mikl-Leitner zu Recht gegeißelt hat).

Um es nüchtern zu sagen: Die Durchschnittsösterreicher (fast hätte ich gesagt die normal Denkenden) werden sich bei ihrer Wahlentscheidung wohl mehr nach diesen und ähnlichen Themen richten als nach der sie derzeit nur theoretisch interessierenden Außen- und Sicherheitspolitik. Zwar zeigt die ÖVP durchaus Ansätze, sich hier wieder mehr gegen den grünen Koalitionspartner und gegen die genauso grün gewordene EU zu profilieren. Aber letztlich ist sie halt doch durch die Koalition gebunden und kontaminiert.

Am Wahltag könnte daher alles auf folgenden Aspekt hinauslaufen, den die ÖVP wohl nicht bedacht hat: Wenn wirklich die Brücken zwischen ÖVP und FPÖ abgebrochen scheinen, dann ist es ja zwingend, dass wieder zumindest eine Linkspartei in der Koalition sein wird. Und das wollen Wähler rechts der Mitte nach den schlimmen Erfahrungen mit den Grünen und den kaum besseren früher mit den Roten absolut nicht. Daher dürfte mancher bürgerliche Wähler zu den Blauen wandern, auch wenn ihm etliches an Kickl und insbesondere seine Russlandfreundlichkeit unheimlich ist.

Da ja alle Parteien von absoluten Mehrheiten weit entfernt sind, wird man fast keinem bürgerlichen Wähler einreden können, dass eine Partnerschaft mit Rot oder Grün besser wäre als eine mit Blau (für eine solche mit den pinken Neos, die ja bisweilen so tun, als hätten sie einen wirklich liberalen Kern, hat es selbst in den besten Kurz-Zeiten nie eine Mehrheit gegeben, also kann man sie vergessen). Folgerichtig müsste die ÖVP dann auch an Rot und Grün eine ebenso klare Absage erteilen. Nur stünde ihr als weitere Folge dann ein Schicksal bevor, das klingt wie ein alter Filmtitel: Home alone.

Dazu kommen noch jene Dinge, die zwar vielleicht nicht wahlentscheidend sind, aber die staatspolitisch, demographisch und wirtschaftlich enorm wichtig sind, wie vor allem die Notwendigkeit einer raschen Pensionsreform. Eine Neuausrichtung der unter schwachen Rektoren leidenden Unis, die viel stärker leistungsorientiert werden müssen. Auch diese Dinge lassen sich – wenn überhaupt – nur mit den Freiheitlichen durchbringen.

Die ÖVP-Strategie in diesem Dilemma scheint derzeit so auszusehen: Das Nein beziehe sich nur auf Kickl, nicht auf die Freiheitlichen. Da steckt aber viel Wunschdenken dahinter. Denn es gibt keine Anzeichen, dass man die FPÖ von ihrem Obmann trennen könnte. Vielmehr bedeutet Beschuss von außen gerade bei der stark um das Wort "Treue" kreisenden Wertehierarchie der Freiheitlichen ein noch engeres Zusammenrücken um den Leitwolf.

Zweifellos spukt da bei vielen im Hinterkopf das Modell der Wahl 1999 und der darauf folgenden ersten schwarz-blauen Regierung unter Wolfgang Schüssel: Da war Jörg Haider Parteiobmann und es hat im Wahlkampf auch keinerlei Anzeichen gegeben, dass er dann einer Regierung unter Beteiligung seiner Partei nicht angehören würde. Also scheint theoretisch in Wiederholung zu diesem Modell einer Koalition mit der FPÖ ohne Kickl ein Weg zu einer Lösung der gegenwärtigen Blockade zu sein. Haider war damals international durch seine Verachtungs-Attacken etwa auf den französischen Präsidenten Chirac und national durch die Aversion des damaligen Bundespräsidenten Klestil ein noch größeres Problem, als es Kickl heute ist.

Jedoch gibt es sechs große Aber zum vielerorts kursierenden Gedankenkonstrukt, den damaligen Weg zu einer Regierungsbildung zu wiederholen:

  1. Der Verzicht Haiders auf ein Regierungsamt konnte damals als eine freiwillige Entscheidung Haiders dargestellt werden und ist nicht als eine Art Diktat des Koalitionspartners erschienen, wie es jetzt bei einem Verzicht Kickls wäre.
  2. Haider und Schüssel waren beide Juristen mit viel liberalem Wirtschaftsverstand, sprachen daher eine gemeinsame Sprache. Bei Nehammer und Kickl ist nirgendwo eine gemeinsame Sprache zu erkennen.
  3. Kickl wie Nehammer sind bei weitem keine so gefinkelten Taktierer, wie es Haider und Schüssel trotz aller Polemiken im damaligen Wahlkampf gewesen sind.
  4. Die damalige FPÖ hatte gleich viele Mandate wie die ÖVP, während zumindest derzeit die FPÖ deutlich voranliegt, was Konzessionen der FPÖ doppelt schwierig macht.
  5. Haider hatte damals als (auch von der ÖVP gewählter) Landeshauptmann eine honorige Position, wo er zumindest behaupten konnte, Kärnten sei ihm wichtiger, während es für Kickl keine solche Position gibt.
  6. Die damalige Koalition – aber auch die FPÖ (siehe Spaltung FPÖ-BZÖ) – ist genau an der Unhaltbarkeit einer Situation gescheitert, dass der starke Mann des einen Koalitionspartners nicht in der Koalition saß und nur frustriert von außen stänkern konnte, weil er entdecken musste, dass nur die regieren konnten, die in der Regierung saßen. Umso kräftiger stänkerte er. Diese Situation will in der FPÖ niemand wiederholen.

Daher bleibt der ÖVP wohl nur noch ein Weg aus der Sackgasse: Sie akzeptiert Kickl (insgeheim bald, aber offiziell wohl erst nach dem Wahltag) und schließt zugleich außenpolitische und finanzpolitische Exzesse durch eine möglichst präzise Koalitionsvereinbarung aus – und hofft, dass diese diesmal hält.

Der an dieser Stelle mehrmals ventilierte Vorschlag einer Lösung nach italienischem Vorbild scheint nach den wilden Auseinandersetzungen kaum mehr möglich oder nur noch nach einem steilen Rückzug auf beiden Seiten. In Italien hatten sich die rechten Parteien bekanntlich schon vor der Wahl zu einem auch inhaltlich umrissenen Bündnis zusammengeschlossen. Es blieb nur die Frage offen, wer Regierungschef wird: Das sollte jener Parteichef werden, der am Wahltag als Bester innerhalb des Dreigestirns abschneidet. Es ist wohl kein Zufall, dass die beiden Putin-Freunde in diesem Dreierbündnis am Wahltag deutlich schlechter abschnitten, während die prowestliche, antirussische, kirchenfreundliche Giorgia Meloni triumphierte und in der Folge zur beliebtesten Regierungschefin seit langem avancierte – obwohl sie vorher von der Linken in üblicher Manier als "faschistisch" denunziert worden ist. Oder gerade deswegen.

PS: Wenn für Karl Nehammer die – an sich wirklich falsche – Sicherheitspolitik Kickls so inakzeptabel ist, dass er den FPÖ-Mann gleich als Ganzes zur Persona non grata macht und die Chancen auf Schwarz-Blau zertrümmert, dann fragt man sich schon, warum das Gleiche nicht auch für Koalitionspartner Werner Kogler gilt. Der hat binnen weniger Stunden einmal die Kirche, der die ÖVP ja doch irgendwie nahesteht, als Frauenmörderin denunziert und dann eine der wichtigsten ÖVP-Persönlichkeiten als "präfaschistoid". Aber beim Koalitionspartner ist das alles offenbar wurscht. Politische Glaubwürdigkeit sieht anders aus.

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung