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"Verhandlungen!" – aber bitte worüber?

Die Ukraine hat einen dritten großen Sieg bei der Vertreibung der russischen Invasoren errungen. Das hat prompt wieder bei europäischen und gutmenschlichen Schreibtisch-Tätern den Ruf laut werden lassen: "Jetzt soll es Verhandlungen geben!" Die ungerufenen Ratgeber sagen freilich nicht das einzig Wichtige dazu: Verhandlungen worüber? Diese Ratschläge von außen sind damit in Wahrheit eine Infamie – auch wenn es einige Anzeichen gibt, dass es zwischen der Ukraine und Russland durchaus etliche geheime Gesprächs-Kanäle gibt. Die auch zu funktionieren scheinen, die aber in keinem Fall den großen Friedensschluss zum Thema haben können.

Solche – direkten oder indirekten – Verhandlungen hat es jedenfalls schon mehrfach über einen Austausch von Kriegsgefangenen gegeben. Man hat zwar nie erfahren, wo und wie diese Kontakte gelaufen sind. Aber gegeben muss es sie haben. Nur zum Vergleich: Im Weltkrieg hat es so etwas nie gegeben (da beutete die Sowjetunion viele Kriegsgefangene aus Österreich sogar noch bis zu zehn Jahre nach Kriegsende als Zwangsarbeiter aus ...).

Noch bei einem zweiten Thema deutet einiges darauf hin, dass es verhandlungsähnliche Kontakte gegeben haben dürfte: Das war der Verlauf des russischen Abzugs aus Cherson. Der lief zu geordnet ab, als dass da nicht viele Fragezeichen entstehen müssten. Denn die Russen hatten für den Abzug von 20.000 Truppen samt Gerät aus der Stadt – der einzigen Provinzhauptstadt, die sie heuer erobern konnten! – nur eine einzige extrem verletzliche Pontonbrücke zur Verfügung. Es gab dennoch keinen ukrainischen Versuch, die Pontons zu zerstören. Es gab auch keine Schlacht um Cherson. Es gab keinen Versuch, die dortigen russischen Soldaten einzukesseln und auszuschalten. Etwa wie im zweiten Weltkrieg mehr als 200.000 Angehörige der deutschen Wehrmacht in Stalingrad getötet worden sind. Und 90.000 in eine erbärmliche Kriegsgefangenschaft geraten sind.

Allerdings: Was die Gegenleistung der Russen bei einer solchen Vereinbarung gewesen ist, bleibt unklar. War es nur die kampflose Aufgabe einer nicht mehr haltbar gewesenen Stadt, ohne dass für deren Befreiung weitere Ukrainer sterben mussten? Oder haben die Russen etwa zugesichert, auf die Zerstörung des dortigen großen Staudamms und des Atomkraftwerks von Saporischschja zu verzichten? Beides wäre den Russen mit Raketen problemlos möglich. Beides wäre eine Megakatastrophe für die Ukraine. Daher wäre beides umgekehrt Kiew zweifellos den Verzicht auf die Ausschaltung von 20.000 ohnedies ob des ukrainischen Vorstoßes demotivierten russischen Soldaten wert gewesen.

Es spricht also viel dafür, dass es über Einzelfragen zu Verhandlungen gekommen sein dürfte. Unterhändler, die das diskret(!) abwickeln können, gibt es ja genug. Da braucht es nicht eitle Empfehlungen österreichischer Politiker.

Etwas ganz anderes ist es aber, wenn von außen Verhandlungen über ein komplettes Kriegsende verlangt werden. Denn das bedeutet in Wahrheit nichts anderes als die Einladung an den Räuber zu sagen, wieviel der geraubten Beute er denn zu behalten wünscht.

Um es noch klarer zu sagen: Jede Verhandlung, die nicht das Ziel eines kompletten russischen Rückzugs auf die völkerrechtlichen Staatsgrenzen hat, ist eine schlimme Belohnung für den schlimmsten Aggressionskrieg der letzten 80 Jahre. Im Grund bedeutet jeder Ruf von außen nach Verhandlungen, ohne ihn mit der klaren Forderung nach komplettem Abzug der Russen zu verbinden, nichts anderes als ein Ja zu Eroberungen in der längst für überwunden gehaltenen Art früherer Jahrhunderte.

Bis ins 19. Jahrhundert haben sich bekanntlich größere, aber auch kleinere Länder Europas wie Dänemark, Belgien oder Portugal willkürlich und ohne jedes Unrechtbewusstsein Kolonien eingenäht. Italien hat das sogar noch im 20. versucht. Im 18. Jahrhundert haben drei benachbarte Großmächte Polen zynisch untereinander aufgeteilt. Ein paar Jahrzehnte davor hat ein Preußenkönig den Habsburgern mit ein paar Schlachten ohne jeden Grund Schlesien abgenommen (nur weil in Wien eine für schwach gehaltene Frau regierte). In der für überwunden gehaltenen Geschichte hat nicht nur Hitler, sondern davor auch Napoleon mit gewaltigen Feldzügen riesige Gebiete erobert.

Gerade gegen Hitler und Napoleon waren aber schließlich alle anderen einig: Man muss zusammenhalten, um sie zurückzuschlagen. Genau das ist jeweils nach ein paar blutigen Jahren geglückt. Keineswegs zufällig trat aber jeweils nach den beiden großen Ringen gegen Napoleon beziehungsweise Hitler in Europa für Generationen der von allen Menschen ersehnte Friede ein. Allerdings ist dieser für die mittelosteuropäischen Völker nach 1945 ein sehr bitterer gewesen und hat ihnen einen sklavenähnlichen Zustand beschert (also genau das, was die Ukrainer jetzt mit allen Kräften zu verhindern suchen). Aber sonst haben alle begriffen: Aggressionskriege zahlen sich nicht aus.

Wenn man von diesem traurigen Aspekt absieht, sind jene beiden langen Friedensperioden ein krasser Gegensatz zu all den anderen Kriegen gewesen, bei denen Eroberer erfolgreich waren. Nach jeder geglückten Eroberung hat sich dann immer das Bewusstsein weit verbreitet: Kriegführen zahlt sich aus, es ist ein sinnvolles Mittel, um irgendwelche Ziele zu erreichen.

Hingegen hat sich das Nachgeben gegenüber einer brutalen Aggression oder Drohung um des lieben Friedens willen nie ausgezahlt. Genau das hat die Welt eigentlich aus den 30er Jahren gelernt: Damals schauten alle bei Hitlers rechtswidrigen Einmärschen im Rheinland oder in Österreich einfach weg. Und im Münchner Abkommen hat man sogar formell unterschrieben, dass sich Hitler die Tschechoslowakei gegen deren Willen aneignen darf. Nur weil man geglaubt hat, damit "Peace in our time" gerettet zu haben. Also nur, weil man an die eigene Ruhe gedacht hat, ist man sofort bereit gewesen, ein anderes Volk zu opfern. Selbst bei Hitlers Einmarsch in Polen tauchte mancherorts noch die Frage auf: "Für Danzig sterben?"

Für die späteren Jahrzehnte war die Lektion der 30er Jahre jedoch klar: "Wehret den Anfängen! Einem Aggressor darf keinen Millimeter nachgegeben werden." Diese Lektion ist jahrzehntelang auch sehr wirksam gewesen.

Doch heute ist sie bei einem Teil der Menschen in Europa – wenn vorerst auch nur einer Minderheit – in Vergessenheit geraten. Sie glauben: Wenn man Russlands Aggressionshunger jetzt befriedigt, dann herrscht wieder Ruhe, dann haben wir‘s warm im Winter, dann dürfen wir wieder so lange duschen, wie wir wollen (es sei denn, wir nehmen die Panikrufe von Grün & Co sowie die Gehirnwäsche durch ORF & Co ernst, dass der Planet verbrutzeln würde, wenn wir jemals wieder warm einheizen).

Diese Minderheit begreift nicht, dass durch ein Nachgeben gegenüber Russland das absolute Gegenteil erreicht würde. Millionen, ja Milliarden – keineswegs nur die Russen – würden die Botschaft internalisieren: Das Faustrecht, das Recht des Stärkeren ist wieder in Kraft.

All das, was an internationalem Rechtswerk aufgebaut wurde, um Konflikte friedlich beizulegen, und was dank der internationalen Solidarität und der Abschreckung durch wirkungsvolle Verteidigungsbündnisse wie der Nato lang funktioniert hat, wäre mit einem Schlag beseitigt. Jeder, der glaubt, stärker als andere zu sein, würde wieder beginnen, sich zu holen, was er mag.

Ein ungerechter Friede ist eben kein Friede, sondern nur die Ermutigung zu vielen neuen Kriegen.

Allerdings plädiert vorerst nur eine Minderheit für eine Belohnung des Aggressors und will ihm  bei "Verhandlungen" fremde Gebiete übereignen. Die große Mehrheit der Europäer und Amerikaner, aber auch der restlichen Weltbevölkerung hat hingegen durchaus begriffen, dass es zu vielen künftigen Konflikten führen würde, wenn Putin für seine Aggression belohnt würde, mit welchem Stück der Ukraine auch immer.

Wie kann der Ukraine-Krieg aber sonst zu Ende gehen? Wer nicht Hellseher ist, wird folgende Varianten als denkmöglich erkennen:

  1. Putin kann die Ukraine doch noch in die Knie zwingen. Das wäre zwar – wie skizziert – fatal für ganz Europa. Das ist derzeit auch recht unwahrscheinlich. Aber das ist keineswegs auszuschließen. Das hängt in einem großen Maße von der Ukraine selbst ab, welchen Preis sie zu zahlen bereit ist, nicht wieder in Sklaverei zu geraten. Das hängt aber auch von der Bereitschaft des Westens ab, die Ukraine weiterhin zu unterstützen.
  2. Die Ukraine kann die gesamte russische Armee bis an die alten Grenzen zurückdrängen. Das ist das einzige Szenario, bei dem dann – dann! – Friedensverhandlungen einen Sinn haben, etwa über einen demilitarisierten Streifen zu beiden Seiten der Grenze, etwa über eine UNO-Friedenstruppe an der Grenze.
  3. Der Krieg schläft so wie nach 2015 während des Winters ein und geht danach an der innerhalb der Ukraine laufenden Frontlinie mit Kampfhandlungen auf kleinerer Flamme für viele Jahre weiter.
  4. In Moskau kommt es zu einem Umsturz und einer Wendung Richtung Frieden, Demokratie und Rückkehr zum Völkerrecht. Solche Wendungen hat es in gewisser Ähnlichkeit dort schon zweimal gegeben: einmal nach Stalins Tod, und einmal durch das Wirken von Gorbatschow und Jelzin. Freilich zeigen beide Beispiele, dass sich schon nach einigen Jahren die russischen Verhältnisse jeweils wieder zum Schlechteren gewandelt haben. Es gibt aber dennoch kein Naturgesetz, dass die russische Bevölkerung nach den lähmenden Jahrhunderten der Zarendiktatur und den noch schrecklicheren Jahrzehnten von Leninismus und Stalinismus auf ewig unfähig für Demokratie, Rechtsstaat und ein friedliches Verhalten wäre.

Die Außenstehenden können nicht allzu viel beeinflussen, in welche dieser Richtungen es geht. Sie können nur dem russischen Volk ständig signalisieren, dass es bei einem Einschwenken auf diese drei Grundregeln ein willkommener und respektierter Partner wäre. Und sie müssen in der Zwischenzeit den tapferen Ukrainern weiterhin helfen.

Zugleich müssen sich die scheinbar außenstehenden Europäer jede Sekunde darüber im Klaren sein, dass es in diesem Krieg auch um ihr fundamentales Eigeninteresse an einem echten Frieden geht. Um einen Sieg des internationalen Rechts mit globaler Ausstrahlung über das Faustrecht des Stärkeren.

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