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Lula und die Österreicher

Mit hauchdünner Mehrheit hat in Brasilien der ehemalige Präsident Lula das Amt zurückgewonnen. Nach der Berichterstattung der österreichischen Medien scheint dabei ja nur eines erstaunlich: nämlich, dass der sehr rechte Gegenkandidat Bolsonaro als Inbegriff des Bösen auch nur eine einzige Stimme gegen (den sehr linken und daher automatisch guten) Lula errungen hat. Eigentlich  ist aber für einen Österreicher etwas ganz anderes erstaunlich, das Lula freilich auch in eine Reihe mit vielen anderen Spitzenpersönlichkeiten stellt. Und das eigentlich auch der heimischen Politik viel zu denken geben müsste. Wäre auch nur eine Partei bereit zu denken.

Das ist Lulas Alter: Der Mann ist 77 Jahre. Er tritt also sein Amt in einem Alter an, zu dem der durchschnittliche Österreicher schon 16 Jahre in Pension ist. In keinem einzigen Bericht über den gesamten Wahlkampf habe ich jedoch auch nur eine Zeile gefunden, die Lulas Alter als Problem angesehen hätte.

Zugegeben: bei den allermeisten österreichischen Medien kann sowieso prinzipiell und generell nur ein Mensch ein Problem darstellen, der von rechts der Mitte kommt, nie jedoch einer, der von links kommt. Auch alle jene, die sich sonst über die neoliberale Zumutung empören, dass die Menschen einige Jahre länger arbeiten sollen, sehen in Lulas Alter keinerlei Problem.

Aber vielleicht ist dieses ja auch gar kein Problem. So wenig wie das Alter des chinesischen, des amerikanischen, des russischen, des österreichischen Präsidenten ein Problem darstellt – jedenfalls war es das nicht für die Mehrheit der Wähler oder der jeweils entscheidenden Machtzirkel.

Haben die Männer in Spitzenämtern vielleicht ein geheimes Elixier vom Gallier Asterix oder aus Donizettis "Liebestrank"? Oder gibt ihnen sonst etwas Kräfte, die für den Normalsterblichen unzugänglich sind? Oder sind umgekehrt alle österreichischen Regierungen der letzten Jahre grob verantwortungslos gewesen?

Alle Nachfolger von Wolfgang Schüssel haben seit 16 Jahren das Thema des Pensionsantrittsalters jedenfalls geflissentlich ignoriert. Sie alle und ihre dummen Berater haben geglaubt, dass sie die nächsten Wahlen verlieren würden, wenn sie bei den Pensionen etwas anrühren (obwohl keine Partei jemals so erfolgreich geworden ist wie Schüssel im Jahr 2002 – obwohl er da schon das Pensionsthema intensiv angegangen ist). Sie behandeln das Pensionsantrittsalter als tabu:

  • Obwohl die meisten Menschen längst erkannt haben, dass Österreich beim Pensionssystem etwas machen müsste;
  • Obwohl eine Erhöhung des Antrittsalters viel mehr Sinn macht als eine Kürzung der realen Pensionen oder eine weitere Erhöhung der Versicherungsbeiträge;
  • obwohl gerade die Pensionisten selbst – vor denen man sich so fürchtet – daran interessiert sein müssen, dass ihre Pensionen gesichert bleiben;
  • obwohl die Lebenserwartung seit Jahrzehnten (mit Ausnahme der Corona-Jahre) ständig steigt;
  • obwohl der Zuschuss aus dem allgemeinen Steuertopf (der eigentlich nur für Bildung, Landesverteidigung, Infrastruktur, Gesundheit, Umwelt, Polizei, Gerichte, Behinderten- und Familienhilfen sowie die allgemeine Verwaltung da sein sollte) zu den Pensionen der fast jedes Jahr am steilsten steigende Ausgabeposten im Budget ist, das – wenn die Dinge so weitergehen – bald komplett vom Zuschussbedarf der Pensionen aufgefressen wird;
  • obwohl die Babyboomer, die derzeit in Massen in Pension gehen (also alle Geburtsjahrgänge bis in die Sechziger Jahre), auch biologisch viel zu wenig für die Sicherung der eigenen Altersversorgung getan haben, da Ende jener Sechziger Jahre als Folge der Antibaby-Pille die Geburtenzahl drastisch eingebrochen ist;
  • obwohl nur jene wenigen Österreicher, die deutlich länger als bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter (für Männer spätestens 65, für Frauen 60) arbeiten, ihre Alterspension selbst durch die eigenen Beiträge ausfinanziert haben, wenn man diese versicherungsmathematisch verzinst;
  • obwohl nur durch deutlich längeres Arbeiten der Menschen die katastrophale Not an qualifizierten Arbeitskräften in praktisch allen Bereichen (außer bei Gleichstellungsbeauftragten, Genderprofessoren und ähnlichen Unfug-Jobs) gemildert werden kann, da dieser Mangel durch den Massenzuzug von Afghanen, Pakistanis, Somalis und Syrern in keiner Weise gedeckt werden kann (die vielfach in Summe nur eine zusätzliche Last für den Steuerzahler darstellen);
  • obwohl viele der älteren Menschen eigentlich gerne länger arbeiten würden, es aber nicht tun, weil viele durch das System geradezu hinausgedrängt werden, oder weil sie entdecken, dass längeres Arbeiten auf Grund eines verqueren Systems ihrer Pensionshöhe nicht nutzt;
  • obwohl der Großteil der heutigen Berufe körperlich in Wahrheit gar nicht anstrengend ist, was von Sozialisten und Gewerkschaftern immer empört als heuchlerisches Gegenargument gegen eine Antrittsalter-Erhöhung vorgebracht wird (und obwohl auch Bauarbeiter im höheren Alter durchaus qualifizierte Berater für die Kunden in Baumärkten abgeben würden).

Besonders verwiesen sei auch auf den weiteren Irrsinn, dass Frauen mit Hilfe einer Rechtslage, die die SPÖ durchgesetzt hatte, – noch mehr als eine Dekade lang – ein niedrigeres gesetzlichen Pensionsantrittsalter haben als Männer:

  • obwohl Frauen eine deutlich höhere Lebenserwartung haben;
  • obwohl sie ihre Pensionen zu einem noch viel geringeren Prozentsatz als die Männer durch Beiträge erarbeitet haben;
  • und obwohl sie dadurch deutlich niedrigere Pensionen haben.

Dennoch dröhnen die verlogenen Medien ununterbrochen von herzzerreißenden (durchwegs von jungen, der Grundrechnungsarten unfähigen Quoten-Journalistinnen komponierten) Klageliedern, wie viel weniger Geld Frauen bekommen.

Der kurzsichtige Populismus, der nach Schüssel bei allen Parteien dominiert, hat diese davon abgehalten, die notwendigen Gesetzesänderungen vorzunehmen. Daher schaut auch niemand ins Ausland, wo die Menschen – im realen Schnitt! – bei Pensionsantritt um viele Jahre älter sind als in Österreich. Überall also arbeiten sie länger. In den OECD-Ländern mindestens um drei Jahre, im (dem Image nach sozialistisch-wohlfahrtsstaatlichen) Schweden wie auch in der Schweiz um vier Jahre oder in den USA um fünf Jahre. Gar nicht zu reden von Japan und Südkorea, wo die Menschen im Schnitt erst nach(!) dem 70. Geburtstag in Pension gehen.

In jenen Ländern wird sich daher auch niemand wundern, wie alt jene Männer vielerorts sind, die die schwierigsten, herausforderndsten und am meisten belastenden Jobs haben.

  1. Wie der 77-jährige Lula (der damit mindestens bis ins 81. Lebensjahr das riesige Land regiert);
  2. wie der 70-jährige Putin (der – wenn er nicht gewaltsam gestürzt wird – noch viele Jahre Zeit zur Verfügung hat, um andere Länder zu überfallen);
  3. wie der 69-jährige Xi Jinping (der soeben wieder für eine fünfjährige Periode "gewählt" worden ist, die er auch danach unbegrenzt verlängern kann);
  4. wie der 85-jährige Papst (der trotz heftiger Knieschmerzen jeden Gedanken an einen Rücktritt von sich schiebt);
  5. wie der 64-jährige Olaf Scholz (der erst im vorigen Winter sein Amt angetreten hat);
  6. wie der 73-jährige König Charles (der gerade neu auf den Thron gekommen ist); 
  7. wie der 78-jährige Dietrich Mateschitz (der bis zu seinem Tod vor wenigen Tagen das erfolgreichste und kreativste Wirtschaftsimperium Österreichs aufgebaut und geleitet hat);
  8. wie der 79-jährige Joe Biden (der jedenfalls noch zwei Jahre im Amt ist und wahrscheinlich dann nochmals für vier Jahre kandidieren will, weil er offenbar als einziger den rechten und linken Flügel seiner Partei zusammenhalten kann);
  9. wie der 76-jährige Trump (der nach vielen Anzeichen in zwei Jahren wieder gegen Biden zum Kampf um die US-Präsidentschaft antreten möchte);
  10. oder wie der 78-jährige Van der Bellen (der gerade für sechs Jahre wiederbestellt worden ist und der von allen Altersgruppen gewählt worden ist – am meisten aber von den über 60-Jährigen).

Sie alle können (auch wenn man Van der Bellen und Biden Alterserscheinungen ansieht). Sie alle wollen. Sie alle werden jedenfalls von einer klaren Mehrheit der Bürger oder der jeweils entscheidenden Machtzirkel als geeignet ansehen, die im Gegensatz zu einer dummen Minderheit nichts gegen die "alten, weißen Männer" haben.

Nur die normalen Österreicher können in der Sichtweise der vom SPÖ-Populismus getriebenen Politik nicht. Selbst wenn sie wollten. Selbst wenn ein längeres Arbeiten bei ihnen für die eigene Zukunft und für die Zukunft des eigenen Landes noch viel wichtiger wäre als bei den meisten dieser Herren für ihr Land.

PS: Ist die Altersfrage der wirklich wichtigste Aspekt der brasilianischen Wahl? Natürlich für die Brasilianer selbst nicht. Sie hatten freilich nur zwischen Pest und Cholera zu unterscheiden. Auf der einen Seite ein Macho-artiger Aufschneider ohne jede Rücksicht auf den Regenwald, auf der anderen Seite ein verurteilter Sozialist, der ganz schlecht für die Wirtschaft des Landes (und damit auch der restlichen Welt) ist.

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