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Merz, Nehammer und die Mitte

Es sind oft scheinbare Kleinigkeiten, die Erstaunliches bewusst machen. Eine solche Kleinigkeit ist der Wortlaut des Glückwunschschreibens der öffentlich bisher kaum bekannten ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner an den mit überwältigender Mehrheit gewählten neuen CDU-Chef Friedrich Merz. Darin schreibt die Dame, dass der Kurs der CDU dem der ÖVP sehr ähnlich sei. Das ist an sich noch nicht so aufregend.

Erstaunlich ist jedoch die folgende Beschreibung der ÖVP-Generalin für diesen gemeinsamen Kurs: Er sei ein "klares Bekenntnis zu einem bürgerlichen Kurs der Mitte". Daraus können wir lernen: Der von Sebastian Kurz stets als "rechte Mitte" bezeichnete Kurs der ÖVP ist jetzt einer der "Mitte". Wieder wie unter Erhard Busek oder Reinhold Mitterlehner etwa.

"Mitte" hat bekanntlich sehr viel mit "Mittelmäßigkeit" zu tun. Mitte ist fast immer eine politische Ortsangabe jener, die sich in keiner Frage entscheiden und festlegen wollen. Nicht heiß, nicht kalt, sondern lau, unbedeutend, irrelevant.

Eine Bewegung von Mitte-Rechts Richtung Mitte ist mathematisch ein eindeutiger Linksruck. Ein solcher ist natürlich gutes Recht der ÖVP. Er wird ihr aber nicht sonderlich guttun.

Wenn man genauer hinschaut auf das, was Karl Nehammer und die Nach-Kurz-ÖVP so machen, dann findet man etliche Bestätigungen, dass das Wort von der "Mitte" keineswegs nur eine zufällige Fehlleistung einer politischen Anfängerin ist, sondern dass tatsächlich ein Richtungswechsel stattgefunden hat. Dieser wird auch durch die Hinzufügung des nichtdefinierbaren Vokabels "bürgerlich" keineswegs relativiert.

Mit diesem Richtungswechsel will die ÖVP offenbar beim linksliberalen Medien-Mainstream Punkte sammeln. Solche Bemühungen haben sich freilich schon oft als schwarze Illusion erwiesen: Denn der Mainstream hat für alles, was nicht stramm links ist, nur Verachtung.  Da kann die ÖVP turnen, wie sie will. Umgekehrt wendet sich die ÖVP mit einem Linksruck aber von all jenen ihrer Wähler ab, die auf einem klar wertkonservativ-wirtschaftsliberalen Fundament stehen.

Der Eindruck einer solchen Positionsverschiebung der ÖVP unter Karl Nehammer wird durch eine Reihe von Beobachtungen gestärkt. Der neue Bundeskanzler setzt rund um die Uhr einen einzigen Akzent: die Kampfansage an das Virus. Damit hat er sich ein ziemlich undankbares Aktionsfeld ausgesucht, besteht doch Österreich derzeit aus acht Millionen Virologen mit mindestens 16 Millionen Vorschlägen. 

Aber egal, welcher Meinung man selber ist: Ein klar zu identifizierendes Unterscheidungsmerkmal für die ÖVP setzt Nehammer damit jedenfalls nicht. Kann diese Linie doch genauso dem grünen Koalitionspartner oder den roten beziehungsweise pinken Oppositionsparteien zugeordnet werden.

Sonst steht Nehammer noch erkennbar für Law and Order und eine Wiederholung der klaren Absage von Kurz an die illegale Migration und den Islamismus. Das sind an sich zweifellos auch richtige Positionen.

Zumindest bei der Migration beginnen die Fragezeichen freilich schon deutlich größer zu werden: Kann Nehammer wenigstens auf diesem Feld glaubwürdig bleiben? Das wird zunehmend fragwürdig, da die Zahlen der Asylwerber zuletzt eine Größe erreicht haben wie noch nie in den letzten fünf Jahren. Es gibt zugleich nirgendwo ein Zeichen, dass Nehammer dieses Anschwellen realisieren oder gar zum Anlass konkreter Maßnahmen nehmen würde – die freilich in einer Koalition mit den Grünen und in einer von der deutschen Linksregierung beeinflussten EU teuflisch schwierig geworden sind. Man sieht aber nicht einmal verbale Bemühungen Nehammers, diesen Kampf aufzunehmen. Gewiss ist der Migrantenanstum eine indirekte Folge der Bildung einer asylantenfreundlichen Linksregierung in Deutschland. Aber ganz offensichtlich löst der dortige Pull-Effekt auch einen Ansturm auf die österreichischen Asylbehörden aus. 

Und sonst? Sonst haben die konservativliberalen ÖVP-Wähler überhaupt keine Signale von Nehammer bekommen. Familienwerte? Heimat? Österreichische Identität? Kampf dem Genderschwachsinn? Mehr Pluralismus in der gleichgeschalteten Medienwelt? Ende von Zwangsgebühren für ORF und Arbeiterkammer? Sorge um die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Österreichs? Emotionale Beziehungen zur mitteleuropäischen Nachbarschaft (und damit auch zur Geschichte)? Verständnis für die verzweifelte Rolle des Engelbert Dollfuß in seinem einsamen Kampf gegen die Nazis?

Dazu kommt, dass Nehammer halt auch die persönliche Ausstrahlung des Sebastian Kurz fehlt, der für fast alle ÖVP-Wähler noch lange die Verkörperung des Idealpolitikers bleiben dürfte. Dabei hat Kurz zwar keineswegs alle im vorigen Absatz skizzierten Positionen selbst vertreten (beziehungsweise gegen den medialen Mainstream zu vertreten gewagt). Aber er war für sehr viele Wähler einfach immer die ideale Projektionsfigur ihrer Positionen.

Nehammer hingegen erweckt den Eindruck, sich zwar unglaublich brav, diszipliniert und eifrig zu bemühen. Aber gut gemeint ist halt noch nicht gut gelungen. Und vor allem ist Nehammer einfach nicht bei den skizzierten Werten zu finden – was man schon daran merkt, dass Standard, ORF, Falter & Co noch keine einzige Aussage Nehammers gefunden haben, über die sie sich linkskorrekt empören könnten.

Ebenso fühlt sich Nehammer weder in der Außen- noch in der Wirtschaftspolitik zuhause, den beiden normalerweise wichtigsten Politikfeldern. Bisher haben praktisch alle ÖVP-Spitzen außer Josef Pröll und Karl Schleinzer in einem dieser Felder ihre Heimat gehabt oder zumindest gefunden (Wolfgang Schüssel sogar in beiden).

Daher ist vorerst Nehammers einziges Glück, dass die Konkurrenz ebenfalls extrem schwach aufgestellt ist:

  • Die Freiheitlichen haben sich heillos in ihren skurrilen Corona-Impf-und-Masken-Verschwörungstheorien verstrickt, aus denen sie auf wohl längere Sicht nicht herauskommen können.
  • Bei den Sozialdemokraten erweckt die Parteichefin den Eindruck, die Parteizentrale mit einer Arztordination zu verwechseln. In sämtlichen anderen Politikfeldern hat sie jedenfalls nicht einmal die Zehenspitzen auf den Boden bekommen.
  • Die Grünen sind und bleiben nun einmal bei allen Themen das totale Gegenstück zu einer bürgerlichen Partei der rechten Mitte.
  • Und bei den Neos gibt es zwar einige interessante Figuren. Aber solange diese Partei glaubt, links von den Grünen Wähler suchen zu müssen und solange dort eine Frau Krisper oder ein Herr Hoyos als linksradikale Hassprediger in Erscheinung treten, sind auch sie für Nehammer keine Gefahr.

Wirkliche Gefahren für Nehammer wird es erst dann geben, wenn die SPÖ ihre Kampfrösser aus Wien oder dem Burgenland an die Spitze bringen oder wenn bei Neos beziehungsweise Freiheitlichen ein grundlegender Wandel eintreten sollte. Bis dahin werden die Verluste der ÖVP halt ein bloßes Zurücksinken auf das Mitterlehner-Niveau bedeuten und ein Teil ihrer Wähler wird sich auf die anderen Parteien wie auch das Nichtwählerlager verstreuen, ohne aber dass sie irgendwo einen Cluster bilden würden.

Was bedeutet nun umgekehrt die Wahl des Friedrich Merz für die Volkspartei?

Vor allem einmal drei Erkenntnisse:

  • Erstens zeigt die CDU-Entwicklung etliches über die liberalkonservativen Wähler: Sie sind keineswegs in Kadavergehorsam vor der lange von ihnen gewählten Partei erstarrt. Die häufig geäußerte Strategie ist völlig falsch: "Diese Wähler haben wir sowieso, da kümmern wir uns jetzt um die anderen".
  • Zweitens zeigt sich, dass die Funktionärsschichten in keiner Weise die Wähler repräsentieren. Sonst wäre Friedrich Merz nämlich schon viel, viel früher an die CDU- und vermutlich auch Regierungsspitze gelangt. Aber das haben die Funktionäre und die dort tonangebenden Merkel-Gefolgsleute immer zu verhindern gewusst.
  • Die dritte Erkenntnis: Die Amtsübernahme durch Merz dürfte eine Rückbesinnung auf genau die oben skizzierten liberalkonservativen Werte bedeuten. Auch wenn man mit dieser Aussage vorsichtig sein muss. Denn in den letzten Wochen vor dem gerade zu Ende gegangenen Parteitag hat Merz wochenlang bewusst im Gegensatz zu früher jede kantige Aussage vermieden.

Jetzt muss sich erst zeigen, wohin er wirklich geht, ob er nur auf lammfromm gemacht hat, damit endlich auch die CDU-Funktionäre dem Votum der Basis zustimmen, oder ob er noch der mutige Merz ist, den Merkel einst hinausgebissen hat. Vorerst muss man da Zweifel haben.

So hat sich Merz jenem SPD-Lager angeschlossen, das alle allzu scharfen Maßnahmen für den Fall einer russischen Invasion zu verhindern versucht. Während die Sozialdemokraten unbedingt die Ostsee-Gaspipeline aus Russland aktivieren wollen, hat Merz spürbare Sanktionen gegen Moskau auf dem Feld der Finanzen abgelehnt, insbesondere einen Ausschluss Moskaus vom globalen Transaktionsabwicklungssystem der Banken namens Swift.

Es ist zu befürchten, dass bei ihm dabei die Interessen der Finanzwelt stärker gewesen sind als die Sicherheitsinteressen Europas und die Freiheit seiner Völker. Merz hat auch dem Chef der bayrischen Schwesterpartei CSU nicht widersprochen, als dieser sich gegen Waffenhilfe für die tödlich bedrohte und um Hilfe schreiende Ukraine ausgesprochen hat, die von Deutschland im Gegensatz zu anderen Westmächten verweigert wird.

Und noch bei einer zweiten entscheidenden Frage scheint Merz vorerst auf eine bloße Merkel-Reproduktion geschrumpft zu sein: Nämlich mit seiner Absage an eine Zusammenarbeit mit der EU-kritischen Antimigrationspartei AfD. Sollte er bei dieser Linie bleiben – was ich freilich noch für offen halte –, dann bedeutet das die Garantie, dass immer mindestens eine Linkspartei an der Regierung beteiligt sein wird und so deren Richtung immer weiter nach links ziehen kann. Denn ohne AfD-Mandatare gibt es keine Chance auf eine Regierung rechts der Mitte. Dabei hat die deutsche FDP nie ein Hehl daraus gemacht, dass ihr eine Koalition mit einer wieder handlungsfähig gewordenen CDU/CSU lieber wäre als die jetzige Linkskoalition. Aber ohne AfD gibt es darauf halt keine Chance mehr. Weder für die Union noch die FDP.

Dennoch sollte man Merz noch nicht abschreiben. Denn er hat das, worum Nehammer noch verzweifelt kämpft: Leadership und Selbstbewusstsein.

Schauen wir mal.

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