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ÖVP: Zurück zu Mitterlehner?

Wohin geht die ÖVP? Das "Beiseite-Treten" des Sebastian Kurz zeigt eine ganze Reihe von schlimmen Fallen am Weg in die Zukunft und von noch schlimmeren Fehlern der Partei in der Vergangenheit auf. Beides droht dramatische Folgen zu haben, nicht nur für die Volkspartei, sondern auch für die Republik. Denn nur der Erfolg und die Positionierung der ÖVP als "Mitte-Rechts-Partei" ist derzeit die einzige Mauer dagegen, dass es zum ersten Mal seit 40 Jahren wieder eine linke Mehrheit gibt. Die es ja bisher in der Geschichte Österreichs überhaupt nur in den Kreisky-Jahren gegeben hatte.

Ein so erfolgreicher und charismatischer Führer wie Kurz verursacht unweigerlich ein Vakuum, wenn er auch nur einen Schritt beiseitetritt. Niemand weiß, wie sich dieses Vakuum füllen wird. Und niemand weiß heute genau, wie viele Schritte das sind.

Die Schwäche des Nachfolgers als Bundeskanzler hat sich ja schon in einer kleinen Szene bei seinem ersten Parlamentsauftritt gezeigt: Die Neos hatten Alexander Schallenberg dort ungefragt ein Konvolut auf sein Pult geknallt und eine Hysterie inszeniert, als dieser das Konvolut in der Folge neben sich auf den Boden gelegt hatte. Diese Hysterie veranlasste den neuen Kanzler in seiner Unsicherheit dazu, sich dann gleich devot bei den Neos für dieses Auf-den-Boden-Legen zu entschuldigen, statt ihnen die logische Antwort zu geben: Der schmale Arbeitsplatz des Bundeskanzlers im Parlament ist kein Abladeplatz für Oppositions-Papiere.

So wird das eher nichts mit Schallenberg, wenn er sich gleich durch den primitivsten Oppositions-Aktionismus ins Bockshorn jagen lässt und demütig zu Kreuze kriecht.

Der ORF hat sogar die große Artillerie gegen Schallenberg aufgefahren. Er beschimpft ihn seit seiner Nominierung täglich als "Hardliner". Offenbar zur Einschüchterung gedacht.

Zumindest die SPÖ weiß jedoch: Schallenberg ist sowieso nicht das Problem. Stattdessen schießt sie jetzt scharf auf alle Mitstreiter von Kurz in der Regierung, insbesondere den Finanzminister Blümel. Denn sie weiß: Wenn die alle gekillt sind, bleibt von der ÖVP nicht mehr viel.

Gewiss kann man über etliche dieser Mitstreiter durchaus geteilter Meinung sein. Dies gilt insbesondere für die weiblichen Quotenminister, die sich alle als eher schwach erwiesen haben – mit Ausnahme der Kanzleramtsministerin Edtstadler. Diese ist ein großes politisches Talent, auch wenn sie sich in Hinblick auf die für Österreich so wichtigen mitteleuropäischen Nachbarn als viel zu unkritisch dem EU-Zentralismus gegenüber positioniert hat, der für viele Länder immer erdrückender wird.

Es ist ja kein Zufall, dass es gerade Ungarn ist, von wo das größte Bedauern über das Ausscheiden von Kurz zu hören ist. Dort regiert der erfolgreichste konservative Politiker Europas. Er tritt für ähnliche Werte wie Kurz ein, aber dies noch viel konsequenter. Er weiß als fast einziger europäische Regierungschef noch, wie wichtig das Christentum für Europa ist. Und er hilft auch als einziger den bedrängten Christen im Nahen Osten. Während er alle Linken zur Weißglut bringt, verkörpert er eine gerade für viele ÖVP-Wähler spannende Richtung.

Aber dennoch sind die Kurz-Minister das weitaus Beste, was die Partei auf dem Spielfeld der Republik aufzubieten hat. Von den Parlaments-Abgeordneten ist hingegen noch kein einziger positiv aufgefallen. Dort herrschen bei der ÖVP in vielen Bereichen auch inhaltlich große Lücken, was nicht zuletzt – soweit da nicht die Länder ihren Provinzialismus nach Wien geschickt haben – in der Verantwortung des Sebastian Kurz liegt. Denn dieser hat oft nur auf die Loyalität Wert gelegt (und daneben einige rasch verglühende Sternschnuppen als Seiteneinsteiger geholt), und nicht auf Fähigkeiten in der politischen Sacharbeit.

Ganz besonders ist die Lücke rund um die Justiz offenkundig, wo ausgerechnet die große bürgerliche Partei, in deren Lager so viele hochqualifizierte Rechtsanwälte stehen, keinen einzigen qualifizierten Juristen im Parlament hat, der gegen die Opposition antreten und präzise Kritik an den Vorgängen im Justizministerium und insbesondere in der Korruptionsstaatsanwaltschaft üben würde. Statt juristischer Qualität regiert im Parlamentsklub die Angst, als Rache selbst zur Zielscheibe der außer Rand und Band geratenen Staatsanwälte zu werden. Kurz hat aber auch auf Regierungsebene nicht begriffen, wie zentral die Justiz ist. Sonst hätte er nicht als ÖVP-Justizminister einst den Einsparungs- und Verwaltungsrechts-Experten Josef Moser in das für ganz andere Rechtsmaterien (nämlich Straf- und Zivilrecht) zuständige Justizministerium entsandt. Sonst hätte er nicht eine linksradikale Justizministerin aus dem Stall des Peter Pilz akzeptiert.

In Summe: Weder im Parlament noch in den Bundesländern fällt auch nur ein Kopf auf, den man sich an Stelle der Kurz-Leute wünschen könnte, so wenig auch dort alles glänzt.

Das hindert freilich die ÖVP-Landeshauptleute nicht, wieder Morgenluft zu wittern und zusätzlichen Sand ins Getriebe zu werfen. Dabei zeigt die Geschichte der letzten Jahrzehnte glasklar: Je mächtiger parteiintern die Landeshauptleute sind, umso schlechter geht es jedes Mal der ÖVP als Ganzes.

Ausgerechnet der Tiroler Platter hat jetzt als erster offen zu stänkern begonnen. Ausgerechnet einer der schwächsten ÖVP-Landeshauptleute hat sich auf die lächerlichen Farbspielereien mancher Journalisten eingelassen, dass er nicht "türkis" sondern "schwarz" sei.

Dabei hat Kurz doch ausgerechnet diesem Platter gleich zwei sehr unangenehme Krisen der letzten Jahre zu "verdanken": erstens die unprofessionelle Reaktion der Tiroler auf den Corona-Ausbruch in Ischgl; und zweitens den schlimmen Zustand des Verfassungsschutz-Amtes BVT, der ja primär auf die einstige Tätigkeit Platters als Innenminister zurückgeht. 

Dieses Sprichwort ist politisch sicherlich nicht korrekt und jedenfalls unhöflich, aber dennoch sei es gesagt: Die Ratten scheinen schon das sinkende Schiff der ÖVP zu verlassen.

Das Erstaunliche ist, wie sehr sich die Volkspartei immer von den Persönlichkeiten abhängig fühlt, die da an der Spitze stehen. Und wie sehr sie immer die veröffentliche Meinung mit der öffentlichen verwechselt. Darob wird der inhaltliche Kern vergessen, auf den es letztlich immer noch am meisten ankommt. Auch Reinhold Mitterlehner – obwohl rhetorisch deutlich schwächer als Kurz – wäre viel erfolgreicher gewesen, hätte er sich nicht von der SPÖ, Angela Merkel und Figuren wie einem Christian Konrad zur Unterstützung für die illegale Masseneinwanderung treiben lassen.

So klar es ist, dass der inhaltliche Kurs des Sebastian Kurz entscheidend für den Aufstieg der Volkspartei in den letzten fünf Jahren gewesen ist (und es war ein echter Aufstieg und nicht, wie Staatsanwälte, Opposition und Linksmedien lächerlicherweise behaupten, bloß einer in manipulierten Umfragen), so klar ist, dass jetzt sowohl inhaltlich wie damit auch automatisch im Wahlerfolg der Rückfall auf das Mitterlehner-Niveau droht. Dabei war dieses für die ÖVP noch viel schlechter als jenes, auf das sie in den letzten Stunden abgestürzt ist, da täglich alle Medien voll sind von Schreckensgeschichten über die ÖVP.

Aber wenn Typen wie der Tiroler Platter nun plötzlich stolz blasen, sie seien Schwarze geblieben und nicht Türkise geworden, dann können sie ja nur einen Rückfall auf das inhaltliche und Beliebtheits-Niveau der Mitterlehner-Zeit meinen, als nach dieser Farbenlehre die ÖVP noch "schwarz" gewesen ist.

Kurz ist kommunikativ exzellent. Er hat auch eine positive Ausstrahlung. Das ist bei nicht sonderlich politik-interessierten Wählern (vor allem weiblichen Geschlechts) sicher wichtig. Aber letztlich war er vor allem deshalb erfolgreich, weil er nach Wolfgang Schüssel erstmals wieder konservative Politik gemacht hat, weil er gegen die Verstaatlichungstendenzen in der Familienpolitik gekämpft hat (was jetzt ebenfalls zu den absurden Vorwürfen der linken Staatsanwälte zählt), weil er klar gegen die illegale Migration aufgetreten ist, weil er sich von den Medien nicht zu einer Verteufelung der FPÖ zwingen hat lassen. Anders formuliert: Kurz war erfolgreich, weil er sich durch seine Erfolge vom Gängelband der Landeshauptleute emanzipieren konnte; weil er für eine ganz andere Politik als Merkel-Mitterlehner-Konrad stand (die übrigens privat schon von vielen konservativen Bürgern mit ähnlichen Kraftausdrücken belegt worden ist, wie Kurz 2016 – Skandal, Skandal! – einen verwendet hat).

Kurz wird mit Sicherheit weiterhin gerade wegen seines Erfolgspotenzials das Objekt des Hasses aller anderen Parteien bleiben. Und die Korruptionsstaatsanwaltschaft wird diesen weiterhin mit Begeisterung und Eifer zuarbeiten.

Das ist klar. Wie aber wird er sich selber nach den Infamien und Demütigungen der letzten Tage positionieren? Das ist gar nicht so klar. Im Grund hat er drei strategische Möglichkeiten. Er kann

  1. sich auf eine dienende Rolle für die wacklig gewordene Regierung zurückziehen (das ähnelt jener Rolle, die Wolfgang Schüssel nach seiner Wahlniederlage 2006 als politisches Ausgedinge eingenommen hat – 2006 ist Schüssel bei dieser "Niederlage" übrigens mit 34 Prozent noch ziemlich genau auf jene Werte gekommen, welche die ÖVP in den letzten Wochen noch hoch erfreut haben und von denen sie seit einer Woche weit entfernt ist);
  2. die eigenen Wunden lecken und sich als unschuldig Verfolgter bedauern (was zwar verständlich und höchstwahrscheinlich legitim ist, was aber als politische Identifikation vor allem den Wählern gegenüber nicht ausreicht);
  3. einen vorsichtigen Ausbruch aus der Isolation der ÖVP versuchen und insgeheim die Kontakte zur FPÖ wiederbeleben, mit der er ja am erfolgreichsten regiert hat (das wird aber wohl nicht gehen, ohne sich zumindest indirekt bei Herbert Kickl dafür zu entschuldigen, dass er diesen – und damit die FPÖ – 2019 zu Unrecht aus der Regierung hinausgedrängt hat).

Kurz und die ÖVP sollten sich aber neben aller Wichtigkeit der künftigen Strategie angesichts eines sehr feindlichen Umfelds auch zu einem kritischen Blick auf die Vergangenheit und die begangenen Fehler aufraffen. Die da waren:

  1. Kurz hat den historischen Fehler einer Koalition mit den Grünen zu verantworten. Diese sind in allen inhaltlichen Fragen das absolute Gegenteil der ÖVP: von der grünen Unterstützung für die illegale Migration bis zu ihrem Klimafanatismus, mit dem sie die wirtschaftliche Stabilität und den Wohlstand bedrohen. Aus diesem ideologischen Antagonismus heraus war es auch logisch, dass kaum persönliches Vertrauen entstehen konnte.
  2. Kausal für diesen Fehler war ein weiterer, davorliegender Fehler: Kurz hat 2019 wegen der Ibiza-Affäre die Brücken zur FPÖ abgebrochen. Heute ist klar: Er hätte damals weit besser daran getan, nach dem Rücktritt des durch die (illegal aufgenommenen) Ibiza-Lauschvideos belasteten FPÖ-Vizekanzlers H.C. Strache mit der restlichen FPÖ weiterzumachen, mit der es zwischen 2017 und 2019 inhaltlich ja gut funktioniert hatte.
  3. Seither hat die ÖVP sowohl gegenüber der SPÖ (die Kurz bereits 2017 hinausgeworfen hat) wie auch der FPÖ ein schwerst belastetes, und mit den Grünen als letzter Möglichkeit ein nun ebenfalls schwer belastetes Verhältnis. Die linksliberalen Neos (die an sich ob ihrer Schwäche ohnedies irrelevant wären) als vierte Partei bemühen sich sogar, in ihrer Anti-ÖVP-Aggressivität die anderen Parteien noch zu übertreffen. Viel Feind ist in der Politik halt nicht immer viel Ehr.
  4. Kurz hat, wie schon weiter oben angesprochen, in seiner Personalauswahl den – bei vielen erfolgreichen Politikern typischen – Fehler begangen, zu sehr auf persönliche Loyalität zu achten und zu wenig auf Kompetenz. Sein Fehler, loyalen Personen zu unkritisch gegenüberzustehen, hat ihn ja auch 2016 offensichtlich dazu gebracht, positiv auf die Anbiederungen des Thomas Schmid zu reagieren, die möglicherweise einen kriminellen Hintergrund gehabt haben. Auch wenn es keinen Beweis für rechtswidrige Aktionen von Kurz selbst gibt, so muss er sich dennoch vorhalten lassen, solche schmierigen Typen nicht durchschaut zu haben. Das hat jetzt der linken Korruptionsstaatsanwaltschaft die Generalattacke auf ihn ermöglicht. Das war ein schwerer Fehler – der mehrfach dumm war: Denn Kurz hat völlig unabhängig von Schmids Aktionen seine Wahlen gewonnen; denn die Fellner-Medien, über die Schmid gearbeitet hat, sind alles andere als angesehen bei der großen Wählermehrheit; denn auch andere Umfragen als die offenbar manipulierten haben damals klar gesagt, dass die ÖVP mit Kurz sehr gut und mit Mitterlehner sehr schlecht abschneiden würde.
  5. Kurz hat – ganz unabhängig davon, wieweit er in Schmids Aktivitäten involviert gewesen ist (was unbewiesen ist, wofür aber noch ein Beweis auftauchen könnte) – jedenfalls einen anderen Fehler zu verantworten: Er hat als Außenminister und Bundeskanzler bei der schmutzigen, wenn auch landesüblichen Sauerei mitgemacht, Zeitungen durch Inserate gezielt freundlich zu stimmen. Diese Art der Korruption ist zwar – um Dimensionen größer als bei Kurz – vom SPÖ-geführten Wiener Rathaus entwickelt und zur größten Korruptionsmasche der Geschichte gemacht worden. Aber die ÖVP hat es aufgegeben, das wie noch unter Spindelegger zu kritisieren, und lieber selbst mitgemacht. Das war ein schwerer Fehler, auch wenn es der größte Skandal in diesem Skandal-Knäuel bleibt, dass die Staatsanwälte nie die viel größere SPÖ-Inseratenkorruptionsmasche vor Gericht gebracht haben, sondern nur die im Vergleich winzige Aktion des Thomas Schmid.
  6. Und letztlich muss sich Kurz auch vorhalten lassen, dass seine Medienpolitik stets dem ORF und dem Weiterbestand der dortigen Gebühren die Mauer gemacht hat, obwohl der ORF seit Jahren neben der WKStA die weitaus schärfste Speerspitze der politischen Linken in Österreich ist. Obwohl Kurz diese Zwangsgebühren gemeinsam mit der FPÖ mit einem einzigen Gesetz unter Jubel der großen Mehrheit der Österreicher abschaffen hätte können. Als Folge dieses Fehlers kann er sich heute täglich im ORF die dortigen Hass- und Triumph-Orgien anschauen.

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