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Merkel: eine Agonie

Gegen Deutschland in seinem derzeitigen Zustand nimmt sich Österreich trotz all seiner Aufregungen derzeit geradezu wie ein Hort der Stabilität aus. Andererseits: Wenn der weitaus wichtigste Nachbar der Republik und größte Staat Europas knapp vor der Überstellung in die Intensivstation zu stehen scheint, dann kann auch Österreich von dessen Siechtum nicht unberührt bleiben. Daher kann man nur bedrückt und besorgt am Krankenbett Deutschlands stehen. Daher wäre Schadenfreude die völlig falsche Reaktion.

Die Agonie Deutschlands ist mit schweren aktuellen Fieberschüben verbunden. Sie hat aber auch langfristige Ursachen. Die allermeisten davon sind mit dem Namen Angela Merkel verbunden. Dadurch verbinden sich die Krankheits-Symptome untrennbar mit ihrem viel zu lange hinausgezögerten Abschied.

Aber auch in Hinblick auf die Art und Weise des politischen Abschiednehmens schneidet Österreich besser ab. Hier hat es keinen Bundeskanzler gegeben, der noch lange im Amt geblieben wäre, nachdem sein Abschied festgestanden ist. Meist ist das dann blitzschnell gegangen oder war Folge eines Wahlergebnisses. Langzeitbundeskanzler Bruno Kreisky etwa ist nach einer Wahlniederlage umgehend als Regierungschef abgetreten und erst später als Parteivorsitzender. Langzeitbundeskanzlerin Merkel hingegen hat, als ihre Abenddämmerung nicht mehr zu ignorieren gewesen ist, lieber den Parteivorsitz als die Regierungsführung aufgegeben. Dadurch hat sie zwar mehrere Kronprinzen überleben können. Das hat sich aber als fatal für CDU/CSU erwiesen, die sich in der Kanzlerfrage ohnedies immer besonders schwer tut, weil sie ja aus zwei formal unabhängigen Parteien besteht, die wie Siamesische Zwillinge miteinander verwachsen sind, wo aber gleichzeitig jede auf ihre Eigenständigkeit pocht.

CDU/CSU sind jedenfalls jahrelang nicht imstande gewesen, zu entscheiden, wer denn eigentlich in diesem Herbst bei der Wahl als Merkel-Erbe und Kanzlerkandidat antreten soll, obwohl seit 2018 feststeht, dass es nicht mehr Merkel sein wird. Die zwei Kandidaten, die derzeit im Vordergrund stehen, müssen sich aber beide noch immer in Demutsgesten gegenüber Merkel ergehen, weil man innerparteilich in der CDU als Anti-Merkel noch immer schlechte Chancen hat. Außerhalb der Partei jedoch ist genau dieser Merkel-Geruch schon längst abstoßend geworden. Denn angesichts vieler Fehlentwicklungen lechzen viele Deutsche nach Merkellosigkeit.

Ihr Überdruss an Merkel hat den beiden Unionsparteien so geschadet, dass es erstmals seit langem wieder denkbar geworden ist, dass eine andere Partei den Regierungschef stellt. Und überhaupt zum ersten Mal seit dem Krieg ist nicht die SPD die Alternative, sondern es sind die oppositionellen Grünen, hat sich doch die SPD in der Koalition mit Merkel noch schlechter entwickelt als die CDU/CSU selbst.

Die SPD hat derzeit völlig ihre Identität verloren: Der eine Teil ist sehr links orientiert, was seit einiger Zeit vor allem Schwulen-, Gender- und Migrations-Begeisterung bedeutet. Der andere versucht, an die staatstragende Geschichte der Partei anzuknüpfen, die vor allem durch die Bundeskanzler Schmidt und Schröder symbolisiert gewesen ist, die beide innerhalb der Sozialdemokratie rechts gestanden sind.

Das jetzige Hoch der Grünen in Deutschland ist das absolute Gegenteil zur Entwicklung in Österreich. In der Alpenrepublik erleben die Grünen ja einen steilen Abstieg, ganz offensichtlich, weil sie  genetisch nur eine Oppositionsbewegung sind. Allerdings muss man den deutschen Grünen zum Unterschied von den österreichischen auch zubilligen, dass sie einige sehr eindrucksvolle und gemäßigte Politiker haben, die auch in nicht linksradikalen Schichten wählbar sind.

Eine Ursache für diese Rechtsverschiebung der deutschen Grünen ist, dass es links von ihnen noch eine parlamentarische Partei gibt, während sie in Österreich bisher selbst immer die Linksaußen-Welt repräsentiert haben (freilich wollen hier die Neos angesichts der Krise der Kogler-Partei die Rolle der am weitesten links stehenden Partei übernehmen, obwohl sie einst gegründet worden waren, um der ÖVP zu schaden). Jedenfalls kann man von mehreren deutschen Grünen deutlich migrationskritische Töne hören, die es bei den österreichischen Grünen oder der SPD nicht gibt.

Deutschland ist in Sachen Corona tief zerstritten

Zurück zur Krise der Merkel-Partei. Diese leidet ja nicht nur am jahrlangen Köcheln der Nachfolge-Frage. Sie leidet auch ganz aktuell zusätzlich an der Corona-Krise.

Und wieder sieht man einen interessanten Unterschied zu Österreich. Zwar sind auch in Österreich viele unterschiedliche Meinungen und Ratschläge zu hören, wie mit der Pandemie umzugehen wäre. Aber es ist in Österreich bisher immer gelungen, am Ende irgendwie einen Konsens aller Verantwortlichen herzustellen, nämlich nicht nur regierungsintern, sondern auch unter allen Bundesländern, wie auch zwischen den Ländern und der Bundesregierung. Dabei ist besonders auffällig, dass da zuletzt auch die roten Bundesländer voll mit der schwarz-grünen Bundesregierung mitgezogen haben (was freilich auch damit zusammenhängt, dass die roten Bundesländer Wien und Burgenland derzeit besonders schlechte Infektions- und Spitalszahlen haben).

Das ist in Deutschland ganz anders. Dort tobt derzeit der Konflikt zwischen denen, die viel schärfere Maßnahmen verlangen, und jenen, die solche strikt ablehnen, auf offener Bühne. Auch das zeigt, wie sehr Merkel an Leadership verloren hat. Sie selbst tritt für schärfere Maßnahmen ein. Diese Linie teilen auch die beiden im Nachfolgespiel voran liegenden und um den Segen Merkels buhlenden Kronprinzen, also die Ministerpräsidenten aus Bayern und Nordrhein/Westfalen. Die meisten anderen Bundesländer sind hingegen strikt gegen strengere Corona-Maßnahmen, unabhängig von der politischen Farbe des Landeschefs.

Aber nicht nur der öffentlich ausgetragene Dissens zwischen Bund und Ländern lässt einen über die deutsche Corona-Politik wundern. Das tut nun auch der Umstand, dass der deutsche Gesundheitsminister Spahn offiziell bekanntgegeben hat, dass er mit Russland über die Lieferung des Sputnik-Impfstoffes verhandelt. Dabei haben sich in den Tagen davor fast alle deutschen Medien über den österreichischen Bundeskanzler lustig gemacht, weil dieser ebenfalls über einen Sputnik-Ankauf verhandelt, ohne dass absehbar ist, ob und wann dieser die Genehmigung durch die EU bekommt. Dabei war die deutsche Bundeskanzlerin selbst hauptverantwortlich für den Konsens der EU-Staaten im Vorjahr, dass der Impfstoffeinkauf durch die EU gemeinsam erfolgen soll.

Die Fülle historischer Merkel-Fehler

Damit sind wir bei den großen politischen Fehlentscheidungen der Angela Merkel gelandet, die alle negative Nachwirkungen haben:

  1. Dazu zählt die gerade genannte Zuschiebung der Kompetenz für den Impfstoffankauf an die EU, obwohl die Union keinerlei Erfahrungen auf diesem Gebiet hat, obwohl es keine vertraglichen Grundlagen dafür gibt. Prompt hat die EU voll versagt, prompt liegen die EU-Länder  beim Impfen deprimierend weit hinter vergleichbaren Industrieländern. Sogar Serbien konnte die EU beschämen, als dort wochenlang massenweise EU-Bürger hinfahren konnten, um sich problemlos eine Impfung zu holen.
  2. Dazu zählt der über Nacht wegen ein paar verzerrender Schlagzeilen zum japanischen Tsunami gefallene Beschluss Merkels, alle deutschen Atomkraftwerke abzuwracken, der zusammen mit dem ebenfalls von Merkel zu verantwortenden Beschluss, auch alle Kohlekraftwerke zuzusperren, katastrophale Folgen hat: Dem größten Industrieland Europas droht eine riesige Energielücke, die es von naturgemäß teuer werdenden und unsicheren Importen abhängig macht, sobald all die jetzt das Land wie Pockennarben übersäenden Windmühlen und Solarpaneele wetterbedingt wenig Strom liefern.
  3. Dazu zählt der Beschluss, Deutschlands wichtigste Industrie, die Autoproduzenten, zu zwingen, möglichst bald auf E-Mobilität umzustellen. Das wird mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass diese ihre global führende Rolle verlieren werden. Von ihr ist aber auch Österreichs Industrie in einem wichtigen Teil abhängig.
  4. Dazu zählt die nicht zuletzt in ihrer langen Amtszeit immer langsamer gewordene Bürokratie. Das hat jetzt zu einem lauten Aufschrei von Tesla geführt: Tesla versucht seit Jahren, in Brandenburg eine große Fabrik für seine Autoproduktion zu errichten, und ist völlig fassungslos über all die bürokratischen und juristischen Verzögerungen, die es dabei erleben muss. Dazu gehören auch unendliche (und teure) Gutachterschlachten sowie Klagsfluten, die von den diversen Artenschutz- und Umweltvereinen losgetreten worden sind. Das ist doppelt absurd, ist doch Tesla eigentlich eine Ikone des grünen Lebensstils. Das deutsche Umweltrecht hat sich aber unter Merkels Amtszeit zu einem gigantischen Bremsklotz gegen alles und jedes entwickelt.
  5. Dazu zählt der Hinauswurf des deutschen Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen, nur weil er – die Wahrheit verteidigend – einer Aussage eines Merkel-Sprechers widersprochen hatte, der behauptet hat, dass es in Chemnitz "Hetzjagden" auf Ausländer gegeben hätte. Dabei war Maaßen zweifellos ein ganz exzellenter Chef des Verfassungsschutzes gewesen. Jetzt wird der Merkel-Flügel von dieser Fehlentscheidung neuerlich eingeholt: Die Merkel-kritische CDU von Thüringen will Maaßen demonstrativ als Bundestagskandidaten  aufstellen. Davor haben nun wieder die Merkel-Kronprinzen jetzt schon Angst, weil Maaßen zweifellos ein in keiner Weise steuerbarer Abgeordneter sein wird, der hohe Sympathiewerte bei den konservativen Wählern hat.
  6. Dazu zählt die massive Diffamierungspolitik gegenüber der AfD, die – jenseits ihrer internen Turbulenzen und manch unguter Funktionäre – in Sachen EU und Migration sehr viel richtige Kritik anbringt. Diese Diffamierungspolitik hat zwar oberflächlich Erfolg gehabt und das Wachstum der AfD limitiert und diese isoliert. Aber sie hat gleichzeitig dazu geführt, dass es in Deutschland keine Rechtsregierung geben kann, sondern immer nur eine solche mit einer oder mehreren Linksparteien an Bord.
  7. Dazu zählt die von Merkel und den CDU-Exponenten in der EU betriebene, völlig überflüssige Konfrontation mit den ungarischen und polnischen Konservativen. Diese zeigt geradezu exemplarisch, wieweit die Merkel-CDU nach links abgeschwommen ist. Während (die in der EU sehr einflussreichen) CDU-Exponenten Ungarn vorhalten, die Rechtsstaatlichkeit zu verletzen, kann Ungarn neuerdings mit mindestens genauso gutem Grund Deutschland Rechtsstaatsverletzungen vorhalten, weil ein in Berlin (bei "Hertha") tätiger Fußballtrainer wegen einer bloßen Meinungsäußerung, in der er die an der klassischen Familie orientierte Politik Ungarns gegen die deutsche Schwulen-Politik verteidigt, gefeuert worden ist.
  8. Dazu zählt das komplette Scheitern der Merkelschen Schaukelpolitik zwischen Russland und den USA: Die USA sind – auch unter Joe Biden – böse auf Deutschland, weil es das Gaspipeline-Projekt "Nordstream 2" mit Russland weitertreibt. Russland umgekehrt schert sich einen Dreck um die deutschen Proteste gegen die skandalöse Behandlung des russischen Oppositionspolitikers Nawalny; und es eskaliert gerade in den letzten Tagen wieder ganz gefährlich seine militärischen Drohungen gegenüber der Ukraine, wo sich Merkel immer durch Vermittlungsbemühungen zu profilieren versucht hat.
  9. Dazu zählt die Tatsache, dass es ohne Merkel nie zur erstmaligen und noch dazu gewaltigen Schuldenaufnahme durch die EU gekommen wäre. Dieser 750-Milliarden-Kredit ist wirtschaftlich kontraproduktiv und rechtlich problematisch. Und er bedeutet politisch einen möglicherweise irreversiblen Schritt hin zu "Vereinigten Staaten von Europa" – für deren Bildung aber nie ein Konsens gefunden worden ist. Ein solcher Schritt könnte sogar zum Zerfall des EU-Binnenmarktes führen, der für Deutschlands und Österreichs Wirtschaft eigentlich lebenswichtig ist.
  10. Dazu zählt, dass Merkel nicht nur in Großbritannien als eine Hauptschuldige für den Brexit gilt, weil sie nicht bereit war, den Briten vor dem Referendum entgegenzukommen.
  11. Dazu zählt Merkels Anbiederung an die Türkei, welche aber dennoch zu keinerlei echten Konzessionen bereit zu sein scheint. Weder in Hinblick auf die Masseninhaftierungen von oppositionellen Politikern, Journalisten und angeblichen "Putschisten", noch beim regelmäßigen Versuch, illegale Migranten nach Europa abzuschieben.
  12. Und dazu zählt der überhaupt größte Fehlleistung Merkels: Die Öffnung der Grenzen gegenüber der Masseninvasion illegaler Migranten insbesondere in den Jahren 2015 und 2016. Diese hat  zu einer irreversiblen gesellschaftlichen Desintegration, zu gewaltigen sozialen, ökonomischen und Sicherheits-Problemen und einem inneren Zerfall Deutschlands geführt.

Angesichts dieser deutschen Multikrise kann man derzeit richtig froh sein, in Österreich zu leben. Auch wenn hierzulande der Zustand der Strafjustiz ein katastrophaler ist. Auch wenn hierzulande beispielsweise vier von fünf Parlamentsparteien nichts dabei finden, dass vertrauliche Konversationen an die Öffentlichkeit gespielt werden, in denen zwar pikante Stil- und Geschmacklosigkeiten zu finden sind, aber absolut keine Rechtswidrigkeiten oder Korruptionshinweise, die eine so massive Verletzung von Datenschutz, Amtsgeheimnis und Fernmeldegesetz rechtfertigen würden.

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