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Schule und Universität in Not: Wo der Minister handeln müsste

Heinz Faßmann ist der bestqualifizierte Minister, den wir seit langem in einer Regierung hatten. Daher ist er sich zweifellos bewusst, dass Österreich gleich zwei gewaltige Problembereiche im Bildungssystem hat: die Folgen der Plagiat-Seuche und die Folgen der Corona-Seuche. Dennoch scheint auch er – so wie alle Politiker seit Jahrzehnten – ein wenig vom Populismus-Virus infiziert und nicht willens zu sein, diese Problembereiche wirklich radikal anzugehen. Möglicherweise steht er auch unter Druck seines Regierungschefs, möglichst streichelweich zu agieren, damit die durch die Coronakrise schon gewaltig erhöhte öffentliche Erregungshitze nicht noch mehr ansteigt. Um die auch global steil steigenden Temperaturen zu erkennen, braucht man ja nur die beängstigenden Bürgerkriegs-Szenen aus den Niederlanden zu beobachten.

Solche Erregungsausbrüche sind ja oft über Ländergrenzen hinweg ansteckend (wie auch immer man sie inhaltlich bewertet). Das zeigt der Blick auf die Jahre 1848, 1968 oder 1989 sehr anschaulich, wo es in vielen Ländern aus oft ganz unterschiedlichen Ursachen zu Explosions-Kettenreaktionen gekommen ist. Insofern könnten die Entwicklungen auf den Straßen Amsterdams, Washingtons und Russlands auch wieder durch eine weltweite Erregungs-Infektion verursacht sein (so unterschiedlich auch jedes einzelne Land, jede einzelne Demonstration ist).

Die österreichische Politik ist daher wohl sehr an einer Abkühlung der Erregungshitze interessiert. Nicht nur die Regierung, wie man an den Verdrängungs-Wünschen des österreichischen Bürgermeisters bei der gestern hier analysierten Atombomben-Kontroverse sieht. Jedoch: Während in Sachen Atom der Handlungsspielraum der österreichischen Politik gleich Null ist, und während die Wahrscheinlichkeit, dass es hier zu schlimmen Konsequenzen kommt, relativ klein zu sein scheint, ist beides in Sachen Bildung viel größer. Daher sei dieser Bereich heute näher untersucht (und noch nicht diese erwähnten Erregungs-Zusammenhänge).

Die Entwicklung der Schulen und Universitäten – oder genauer: Die Qualität der Bildung und Ausbildung von Schul- und Uniabsolventen ist eine der wichtigsten Zukunftsfragen der Republik. Damit ist der Bildungsminister auf einem schmalen Grat unterwegs: einerseits zwischen diesen so wichtigen Qualitätsfragen und dem nachvollziehbaren Drang andererseits, speziell in Zeiten wie diesen, den Millionen Eltern und Schülern jede zusätzliche unangenehme Nachricht zu ersparen, um nicht den Grad der kollektiven Depressionen noch weiter zu erhöhen.

Vieles deutet daraufhin, dass Faßmann von diesem schmalen Grat zumindest einige Meter in Richtung einseitiger Depressionsverhütung abgerutscht ist. Er plädierte bei der Notenverteilung öffentlich für "Milde". Und er wischte den Vorschlag der querdenkenden Buchautorin, Lehrerin (und früheren Ministeriums-Mitarbeiterin) Susanne Wiesinger sofort vom Tisch, dass die Schüler an Brennpunktschulen – also in aller Regel Schulen mit hohem Ausländeranteil – breitflächig das Schuljahr wiederholen sollten.

Faßmann hat stattdessen ein Paket von Förderangeboten geschnürt. Das besteht aus zwei Stunden zusätzlichem Unterricht pro Woche und zusätzlicher Lernbetreuung während der diversen Ferien für 50.000 Schüler. Dieses Paket ist durchaus interessant. Es hat nur einen riesigen Nachteil: Die Teilnahme an all dem ist freiwillig. Die Lehrer sollen förderungsbedürftige Schüler "aktiv ansprechen". Aber wenn einer nicht will, wenn die Eltern nicht wollen – dann gibt es halt keinerlei Kompensation der verlorenen Unterrichtsmengen.

Da der Minister laut von "Milde" gesprochen hat, werden die Schulen gerade von jenen viele nicht erwischen, die einen solchen Zusatzunterricht am dringendsten bräuchten. Das wären jene, die ohnedies Sprachprobleme oder Begabungsdefizite haben, das wären jene, die während der Corona-Zeit mangels guter IT-Ausstattung oder mangels qualifizierter Lehrer noch weiter in Relation zu jenen zurückgefallen sind, die in diesem Schuljahr einen ganz ausgezeichneten Internet-Unterricht konsumieren und dabei sehr viel lernen können (auch das sollte ruhig betont und gelobt werden).

So sympathisch Wörter wie "Milde" und "Freiwilligkeit" emotional auch sind, so schlimm ist es, dass das eigentliche Ziel des Schulbesuchs unter den Tisch gefallen ist. Dieses Ziel liegt nicht in der beliebigen Gestaltbarkeit des Bildungsministers oder der Politik. Dieses Ziel wird vielmehr ganz beinhart von außen diktiert. Vom künftigen Arbeitsmarkt. Von den Ansprüchen einer industriellen und postindustriellen Hochleistungsgesellschaft. Von den Notwendigkeiten, die der internationale Wettbewerb diktiert. Und von der Herausforderung durch die Bildungs- und damit auch Forschungs- und damit auch Wettbewerbserfolge der ostasiatischen Konkurrenz.

In Asien verwendet mit Sicherheit kein Bildungsminister das Wort "Milde", auch nicht im Corona-Jahr. Mit der Deklaration von Milde hätte er vielmehr den eigenen Job verloren. Denn dort weiß die ganze Nation, dass sie nur mit guter, mit immer besserer Bildung die Zukunft gewinnen kann. Trotz Corona.

Aber bei uns liebt man eben die Verdrängung unangenehmer Fakten. Wie im Bildungsbereich, so auch bei allen Sicherheitsfragen, so auch in der Volkswirtschaft: In dieser versucht man ja seit fast einem Jahr durch Aussetzung des Insolvenzrechts und durch gewaltige Neuverschuldung auf Kosten der Zukunft einen Gutteil der Corona-Krisenfolgen zu vertuschen und weit auf die Zukunft zu verschieben.

So werden eben auch im Schulsystem viele Konsequenzen heute begangener Fehler auf die Zukunft verschoben. Wenn man zulässt, dass sich Bildung und Ausbildung der Schüler heute verschlechtern, dann ist das für die künftige Erhaltung des Wohlstandes eine ganze schlechte Nachricht. Dennoch scheinen heute für alle Parteien eventuelle Proteste der Elternverbände gegen eine nicht corona-milde Schule eine noch viel schlechtere Nachricht – und sind daher wichtiger. Das nennt man Populismus.

Den es offensichtlich auch bei einem Heinz Faßmann gibt. Denn es fehlen die Signale, dass er den Direktoren und Lehrern konsequent den Rücken stärkt, wenn sie in der Schulrealität trotz Corona Wert und Notwendigkeit einer Ziel-Erreichung betonen. Wenn sie zu vermitteln versuchen, dass Sommerschulen oder Schuljahrs-Wiederholungen keine Strafe sind, sondern eine Hilfe, damit die Schüler trotz der objektiven und von ihnen nicht verschuldeten Benachteiligung durch die Corona-Krise eines Tages gut gerüstet in die Welt hinausgehen können.

Die Uni-Krise

Genauso groß wie die gegenwärtige Schulkrise ist die Krise der Universitäten und Fachhochschulen, der zweiten Faßmann-Baustelle. Nur ist sie dort weitgehend Corona-unabhängig und tobt dort schon viel länger. Dort ist die Causa Aschbacher nur die plötzlich allgemein sichtbar gewordene Spitze eines großen Eisbergs.

Und wieder ist es – wie bei Susanne Wiesinger – kein Politiker, sondern ein Praktiker, der mutig zumindest einen Teil der notwendigen unpopulären Schritte ins Gespräch bringt. Das ist der sogenannte Plagiatsjäger Stefan Weber. Er hat ein paar interessante Vorschläge gemacht, die zumindest einen Teil der universitären Qualitätsprobleme reduzieren könnten. Und das ist anzuerkennen, auch wenn charakterlich ein Mann immer etwas suspekt bleiben muss, der gegen Geld gezielt einzelne Persönlichkeiten wegen unzureichender und plagiierter Uni-Arbeiten abschießt, während viele andere ja unentdeckt bleiben.

Aber dennoch hat Weber zweifellos mit ein paar Vorschlägen zur Qualitätshebung der Universitäten Recht. So kritisiert er etwa den universitären "Prüfungsbasar", bei dem man bis zu fünf Mal antreten darf, was naturgemäß manche Studenten zum Hasardieren verleitet. So verlangt er die automatische Anwendung von Plagiats-Software durch die hohen Schulen. Auch das ist sinnvoll, selbst wenn dahinter Eigeninteresse stecken sollte, hat doch Weber selbst eine Plagiatssoftware entwickelt.

Besonders wichtig aber ist der Verweis auf die Leistungsvereinbarungen zwischen Staat und Universitäten, wenngleich es dabei keinesfalls nur um das von Weber betonte Plagiatsthema gehen sollte, sondern auch um Folgendes:

  1. Die Leistungsvereinbarungen, also die Vereinbarungen, unter welchen Bedingungen Steuergeld in welcher Höhe an welche Hochschulen fließt, sind letztlich der einzige wirksame Hebel, mit dem die demokratische Öffentlichkeit (via Bildungsminister) von den Universitäten echte Leistungen erzwingen kann.
  2. Durch ihre seit 20 Jahren eingemauerte Selbständigkeit hat sich an etlichen Unis ein kollegialer Schlendrian nach dem Motto "Wenn du mir nicht wehtust, tue auch ich dir nicht weh" eingenistet (so richtig und notwendig die Selbständigkeit auch gewesen ist, um die politische Einmischung zu stoppen, wo Politiker das letzte Wort bei Professorenbestellungen hatten, was zu einem langfristig nachwirkenden Qualitätsverfall gerade bei den politisch relevanten Professuren geführt hat, der von der Politologie über die Publizistik, Volkswirtschaft und Verfassung bis zur Zeitgeschichte reicht).
  3. Etliche Rektoren waren ohne äußeren Qualitätsdruck nicht einmal imstande, ihre Unis von skurrilen und unwissenschaftlichen Modeerscheinungen wie den Genderstudien mit ihrer Lehre vom sozialen Geschlecht freizuhalten.
  4. Während sich in den Naturwissenschaften bei der Forschung sehr gute globale Standards dafür entwickelt haben, wie man Qualität misst (nämlich vor allem durch die Messung der Zitierungen in hochrangigen globalen Zeitschriften), fehlen solche Standards weitgehend für Sozial- und Geisteswissenschaften. Und vor allem fehlen sie für die Qualität der Lehre. Bis auf ein paar internationale Universitäts-Rankings durch britische oder chinesische Medien gibt es keine objektiven Maßstäbe für die Qualität der Uni-Absolventen.
  5. Solche Maßstäbe werden niemals von den Unis selber kommen. Diese muss vielmehr der Staat als Auftraggeber, als Vertreter der das alles zahlenden Steuerzahler festsetzen und kontrollieren. Nur wenn Druck durch solche von außen angelegten Maßstäbe entsteht, wird ein Rektor gegen jene Professoren vorgehen, die kein Interesse an den Studenten haben, denen nur ihre eigenen Arbeiten und Gutachten wichtig sind, die sich gar bestechen lassen, die ihre Lehre privaten Forschungshobbys widmen oder die aus lauter Gutherzigkeit alle durchkommen lassen. Und er wird seine Mittel auf solche Professuren konzentrieren, deren Lehre gesellschaftlich wichtig ist.

Da sind die Leistungsvereinbarungen sicher das beste, wenn nicht  das einzige Instrument, um hier Fortschritte zu erzwingen. Wie aber misst man solche Fortschritte? Wie misst man eigentlich die Qualität der Absolventen einer Uni?

Da ist ein Bündel von Maßstäben denkbar, die auch international mancherorts schon im Einsatz sind. Man kann etwa stichprobenartig durch externe Experten das Wissen und Können einzelner Absolventen überprüfen. Man sollte aber vor allem schauen, wie der Arbeitsmarkt auf die Absolventen jeder einzelnen Studienrichtung reagiert: Wie viele haben nach einem, nach fünf, nach zehn Jahren einen Job? Und wie viel verdienen sie in diesem Job?

Der Arbeitsmarkt ist das weitaus beste Messinstrument für die Qualität der Uni-Absolventen. Kein Arbeitgeber (bis auf den Staat und bis auf ein paar konkurswürdige Unternehmen) nimmt – und vor allem: behält und bezahlt Absolventen nur wegen eines formalen Titels.

Gewiss, da werden die Politologen, Genderologen, Publizisten und noch ein paar andere Studienrichtungen laut aufheulen. Aber ein Minister, der sein Amt ernst nimmt, muss da durch. Auch wenn seit ein paar Jahrzehnten alle Vorgänger die Verbesserung der Uni-Qualität nicht als ihre Aufgabe angesehen haben. Auch wenn der Bundeskanzler wahrscheinlich nicht noch an einer weiteren Baustelle Unruhe haben will. Auch wenn ein Universitätsprofessor sich nicht gerne mit seinen Ex-Kollegen anlegt, die ständig von "Freiheit der Wissenschaft" quatschen, und damit in Wahrheit nur meinen, dass der Steuerzahler ihre Leistung nicht messen, sondern nur gut honorieren soll. Auch wenn bei der Suche nach der Exzellenz-Universität wohl bald das Thema höherer Studiengebühren – bei gleichzeitig großzügigem Stipendiensystem – auftauchen wird, das dann auch die Studenten zu Verbündeten bei der Suche nach möglichst hoher Lehr- und Ausbildungsqualität machen wird.

Aber andererseits: Wer anders sollte eine solche historische Reform angehen als eben ein Universitätsprofessor selber, der angesehener ist als alle seine Vorgänger, der sehr gut seine Politik zu erklären versteht, der nichts mehr werden will außer ein exzellenter Minister?

Vielleicht könnte die Causa Aschbacher, so traurig sie auch ist, solcherart sogar zum indirekten Startschuss für die wichtigste Universitätsreform der österreichischen Geschichte werden …

PS: Kleines Positivum zu den von Faßmann verkündeten Schul-Förderplänen: Die Grünen haben ausdrücklich als Erfolg für sich selbst reklamiert, dass ein spürbarer Teil der Mittel für "Deutschfördermaßnahmen" aufgewendet wird. Das ist wunderbar. Man glaubt gar nicht, dass das dieselben Grünen sind, die noch vor wenigen Jahren mit ihrem moralistischen Geschwafel gegen eigene Deutschklassen und Ähnliches gewettert haben; die lange gefordert  haben, man solle die bildungsfernen und in anderen Sprachen aufgewachsenen Migrantenkinder einfach in normale Klassen stecken, dann würde alles wie von selber gut werden. Erfreulich: Sogar die Grünen sind bisweilen imstande, dazuzulernen!

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