Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (10 Euro pro Monat) ist jederzeit beendbar und endet extrem flexibel einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Die Menschen in diesem Land sind keine Untertanen

Wird es Karl Nehammer nicht endlich mulmig? Antiregierungs-Demonstrationen in russischen Städten, Antiregierungs-Demonstrationen in österreichischen Städten – und da wie dort hat die Polizei die politische Anordnung bekommen, gegen die Demonstranten massiv durchzugreifen. Da wie dort wird Corona als Prätext für dieses Durchgreifen verwendet. Ganz gewiss gibt es auch dramatische Unterschiede zwischen den beiden Kundgebungen. Aber allein diese angesprochenen Parallelen sollten einen österreichischen Innenminister eigentlich intensiv ins Nachdenken bringen.

Bei Herrn Nehammer geschieht dies aber ganz und gar nicht. Immer öfter schlägt bei ihm der einstige Heeresoffizier durch. Offenbar begreift er nicht: Der allergrößte Unterschied zwischen Russland und Österreich sollte eigentlich darin bestehen, dass Österreich ein Rechtsstaat sein will, in dem Verfassung und Grundrechte über allem stehen. Auch über den Notwendigkeiten einer Pandemiebekämpfung.

Russland hingegen ist eindeutig eine Diktatur. Und daher bereitet es argen Schmerz, wenn Österreich diesem Land ein Stück ähnlicher geworden ist. Die russischen Machthaber lassen Oppositionspolitiker vergiften, erobern fremde Regionen, bauen für den eigenen Diktator einen Luxuspalast, der in eine Reihe mit den Palästen eines Ludwig XIV. und eines Ceausescu gehört, und sie bekämpfen jede oppositionelle Demonstration und Aktion mit voller Härte, Brutalität und Tausenden Verhaftungen.

Eine rechtsstaatliche Demokratie hingegen muss – oder sollte zumindest auch in Corona-Zeiten eine ganz andere Prioritätenreihung haben. Nicht nur eine andere als Russland, sondern auch eine andere, als sie jetzt in Österreich oder auch in Deutschland praktiziert wird. Das hat jetzt der frühere Präsident des deutschen Verfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier, in Hinblick auf Deutschland in aller Deutlichkeit attackiert, wo die Politik ähnlich wie die in Österreich mit üblen Methoden kritisierende Bürger zu knebeln versucht. Papier im Wortlaut:

"Ich hätte mir als Staatsrechtler nie vorstellen können, dass derart intensive Freiheitsbeschränkungen von der zweiten Gewalt, der Exekutive, beschlossen werden. Und ich wundere mich, wie wenig in der politischen Auseinandersetzung der rechtsstaatliche Grundsatz gewürdigt wird, dass der Zweck – auch der gute des Gesundheitsschutzes – nicht jeden Grundrechtseingriff rechtfertigt."

Und der prominente Verfassungsrechtler weiter: "Mich stört, dass so manche Verantwortliche in der Politik offensichtlich meinen, man dürfe in Zeiten der Pandemie so ziemlich alles an Einschränkungen vornehmen. Sie orientieren sich auch vornehmlich an den Ratschlägen von Naturwissenschaftlern und hören zu wenig auf Verfassungsjuristen und Sachverständige, die etwas sagen könnten zu den gesellschaftlichen Nebenwirkungen der Corona-Bekämpfung. Die Politik ist auch dem Freiheitsschutz der Bürger verpflichtet. Die Menschen in diesem Land sind keine Untertanen. Man muss auch die ökonomischen, sozialen und kulturellen Lebensgrundlagen der Menschen im Auge behalten. Diese Abwägungen kann man nicht einseitig orientieren am Rat der Virologen."

Frau Bierlein, Herr Adamovich, wäre es nicht auch für unsere früheren Verfassungspräsidenten dringend an der Zeit, ähnlich klar zu reden? (Karl Korinek, der zweifellos größte Verfassungspräsident der letzten Jahrzehnte, lebt ja leider nicht mehr, dem die Grundrechte immer ein leidenschaftliches Anliegen gewesen sind, der sich in Zeiten wie diesen wohl kaum verschwiegen hätte).

Es bleibt zwar zu hoffen, dass irgendwann auch der österreichische Verfassungsgerichtshof in ähnlicher Richtung die Regierung diesbezüglich an den Ohren ziehen wird. Dass er etwa auch die seltsamen Erlässe aufhebt, dass nur Demonstrationen  mit einer bestimmten Teilnehmerzahl stattfinden dürfen.

Es ist jedenfalls erschütternd, wenn für einen Minister,  für eine ganze Regierung zentrale Grundrechte, also die wichtigsten Grundlagen dieser Republik gleichgültig, zumindest zweitrangig geworden sind. Daran ändert auch der Umstand gar nichts, dass in Österreich "nur" massenweise Verwaltungsstrafen und nicht massenweise Verhaftungen wie in Russland die ausgegebene Strategie sind.

Daran ändert auch der zweite große Unterschied zwischen den russischen und den österreichischen Demonstrationen nichts. Ich teile zum Unterschied von denen der österreichischen Demonstranten die Intentionen und Forderungen der russischen Opposition zu hundert Prozent. Ich bin zwar kein Russe, aber jeder Erdenbürger hat das Recht, und wohl auch die innere Verpflichtung, den gewaltlosen Kampf unterdrückter Menschen für mehr Freiheit in ihrem Land moralisch zu unterstützen.

Hingegen teile ich fast keine der Intentionen und Forderungen der Corona-Leugner wie auch der mit ihnen marschierenden Impf- und Testgegner, wenngleich sie immer wieder mit dem einen oder anderen Detailargument durchaus Recht haben. Aber dennoch sollten auch diese selbsternannten Querdenker viel ernster genommen werden, viel mehr respektiert werden, als es die Politik und die fast gleichgeschaltet wirkenden Mainstreammedien tun. Das sollte schon aus demokratiepolitischer Hygiene geschehen, schon aus dem eigentlich schuldigen Respekt der Obrigkeit vor dem Staatsbürger als dem eigentlichen obersten Souverän der Republik. Und diese "Querdenker" sind eben ein kleiner Teil dieses Souveräns.

Man sollte diese Querdenker so wie etwa auch die parlamentarische Opposition noch aus einem anderen Grund respektieren: Nur wenn man die Menschen ernst nimmt, kann man einer Radikalisierung und Herausbildung einer Totalopposition entgegenwirken.

Ganz unabhängig von der inhaltlichen Seite hat auf rechtlicher Ebene jedenfalls unabdingbar zu gelten: Die Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit können doch nicht nur für diejenigen bestehen, die die Meinung der Regierung teilen. Dann wäre das ja gar keine Meinungsfreiheit, keine Versammlungsfreiheit mehr!

Bei aller Sympathie zum Vorhaben, künftig zum Schutz der Mitmenschen nur getestete oder geimpfte Personen in Theater und Veranstaltungshallen zu lassen, und bei aller Zustimmung zur Notwendigkeit von effizienten Corona-Masken: Die in Verordnungen dekretierte Verpflichtung, diese zu tragen, hat in der Rechtshierarchie eine geringere Wertigkeit als die grundrechtliche Verpflichtung von Regierung und Polizei, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu respektieren. Daran kann auch der Versuch des (einfachen!) Gesetzgebers im Sog der Pro-Migrationspolitik der EU nichts ändern, die Menschen durch Orwellsche "Hass"-Verbote zu knebeln. Denn die Verhetzungs-Paragraphen verletzen ganz eindeutig das Grundrecht der Meinungsfreiheit.

Klar ist, dass das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit nur dann gelten kann, wenn keinerlei Gewalt oder Gewaltaufrufe damit verbunden sind, wenn es auch keine Einschüchterung anderer und wenn es keinen Landzwang etwa durch längere Blockaden öffentlicher Straßen gibt.

Besonders infam ist auch noch eine zweite Strategie Nehammers zur Bekämpfung der Demonstranten: Das ist deren Denunziation als Antisemiten und Rechtsextremisten. Denn der Minister hat keinen einzigen konkreten Beweis dafür vorgelegt.

Ich war zwar bei keiner einzigen Querdenker-Demonstration dabei (erstens, weil ich als auf geistige Unabhängigkeit bedachter Einzelkämpfer nie irgendwo mitdemonstriere; und zweitens schon gar nicht bei einer Kundgebung, mit der ich mich inhaltlich so wenig identifizieren kann). Aber ich fand jedenfalls in keinem einzigen der Berichte über diese Kundgebungen auch nur eine einzige Beobachtung, die diese Bezeichnungen irgendwie gerechtfertigt hätte. Gäbe es ein Faktum dieser Art, dann hätte dies insbesondere der ORF Tag und Nacht mit der gleichen Intensität rauf und runter gespielt wie er es etwa bei H.C. Straches illegal belauschten Ibiza-Schwachsinnigkeiten tut.

Das einzige, was Nehammer als "Argument" auftischen könnte, ist die Selbstdarstellung mancher Corona-Leugner als "Juden von heute", weil auch sie verfolgt würden. Das ist gewiss ein dummer, falscher, ja widerlicher Vergleich, der eine totale Banalisierung von Holocaust, Nazidiktatur und Kriegstreiberei bedeutet.

Dieser Vergleich gehört ganz eindeutig in die gleiche Reihe zu vielen anderen unpassenden und überflüssigen Nazi-Vergleichen: wie etwa zum absurden "Reichskristallnacht"-Sager des steirisch-kalifornischen Bodybuilders/Schauspielers/Politikers Arnold Schwarzenegger; und zu den ständigen Behauptungen der Grünen, die Freiheitlichen wären Neonazis und Rechtsextremisten.

Es kann aber ganz gewiss nicht sein, dass die Regierung solche unpassenden Vergleiche bei den Corona-Leugnern als Argument zum massiven Dreinschlagen verwendet, dass aber bei einer Regierungspartei oder beim Boulevard-Liebling Schwarzenegger solche unpassenden Vergleiche hingegen als völlig normal angesehen werden. Wenn jemandem wegen der Judenstern-Identifikation als angeblichem Verstoß gegen das NS-Verbotsgesetz der Prozess gemacht wird, dann muss das genauso gegen die Neonazi-Sager aus den Reihen der Grünen passieren. Beide Male wird ja mit der gleichen hinterhältigen Fiktion gearbeitet: Wir sind die Guten, wir sind die Opfer, die anderen die Täter, die Nazis.

Besonders absurd ist auch die Erregung Nehammers, weil "Identitäre" bei der Demonstration dabei gewesen sein sollen (ich weiß ja nicht, ob es stimmt; es ist mir aber auch völlig egal, auch wenn ich den Identitären-Chef Sellner für intelligenter gehalten hätte, der sich bisher für andere Ziele engagiert hat).

Warum aber soll eine Teilnahme der Identitären besonders verwerflich sein? Es gibt kein einziges konkretes Beweisstück, das die Identitären belasten würde. Alle Verfahren, die linke Staatsanwälte gegen sie angestrengt haben, sind von unabhängigen Gerichten abgeschmettert worden. Was bei den Identitären zu beobachten ist: Sie treten mit Aktionismus (wie Greenpeace und Konsorten) für die österreichische Identität und gegen illegale Migration und Islamisierung ein. Wie es – so hätte ich zumindest geglaubt – auch Sebastian Kurz tut und wie es jedenfalls dieses Tagebuch tut.

Sind solche Forderungen neuerdings ein Verbrechen? Dann bitte das auch bei Kurz zu inkriminieren. Und wenn der Aktionismus der Grund sein sollte, dass jemand als Extremist bezeichnet wird, dann hat die Regierung bitte auch Greenpeace & Co als Extremisten zu brandmarken. Auch wenn aus deren Reihen grüne Minister kommen.

Rechtsstaatsprobleme mit den Identitären gibt es freilich in ganz anderer Richtung: Es ist ein Riesenskandal, dass dem Herrn Sellner nicht nur seine Plattformen in den "Sozialen" Netzwerken gesperrt werden (wie Donald Trump und Tausenden seiner Anhänger, was sogar eine Trump-Verachterin wie Angela Merkel inzwischen scharf kritisiert hat), sondern auch seine Bankkonten. Es ist absolut ungeheuerlich, dass österreichische Banken einem unbescholtenen Bürger ohne irgendeinen rechtlichen Vorgang einfach alle Konten sperren. Dafür machen sie läppische Werbefilmchen mit Schwulen. 

Hat Sebastian Kurz eigentlich vergessen, dass er seinen Wahlkampf ausdrücklich für eine "ordentliche Mitte-Rechts Politik" geführt hat? Und dass er genau mit dieser Linie gewonnen hat. Und wenn er es nicht vergessen hat: Wie will er es rechtfertigen, dass in diesem Land offenbar Linke alles tun dürfen, Rechte aber vogelfreie Opfer werden, nur weil sie jemand beweisfrei als Extremisten punziert?

Übrigens: Hat dem Bundeskanzler, hat dem Innenminister niemand zugetragen, dass es auch eindeutig als Linke identifizierbare Gruppen unter den Querdenker-Protesten gegeben hat (oder wie man diese sonst immer bezeichnen mag)? Nicht nur als gewaltbereite Gegendemonstranten, sondern auch als Mitdemonstranten. Bei einer Querdenker-Kundgebung ist sogar Wiens prominentester Abtreibungsarzt aufgetreten, der bisher immer unter dem Schutzschirm von Rot und Grün gestanden ist …

PS: In die gleiche bedenkliche Entwicklung einer ÖVP-geführten Regierung gehört auch die Tatsache, dass diese Regierung jetzt ein großes Antisemitismus-Bekämpfungspapier vorstellt. Das ist – oder wäre – an sich sehr lobenswert. Dabei wird aber die Tatsache, dass die bedauerliche Zunahme antisemitischer Aktionen in Österreich ganz eindeutig vor allem mit der massiven Zunahme der Moslems in Österreich und mit deren Radikalisierung zu tun hat, weitestgehend unter den Tisch gekehrt. Hat man sich da von den Grünen solche Blindheit aufzwingen lassen? Was soll ein solches Papier, wenn das Hauptproblem weitestgehend ausgespart wird?

PPS: Nehammers katastrophale Fehler im Umgang mit der Versammlungsfreiheit erinnern auch daran, dass der Minister im vergangenen März und April Menschen als "Lebensgefährder" (also de facto: eines Mordversuchs Schuldige) bezeichnet hat, nur weil sie nicht immer den Abstand von einem Meter eingehalten haben. Da das aber zweifellos Millionen Österreichern das eine oder andere Mal getan haben, kann man daraus nur den Schluss ziehen: Der Innenminister  möge sich ein anderes Volk suchen. Mit einem Volk voller potenzieller Mörder kann er ja nicht länger zusammenleben wollen. Diese Österreicher sind einfach nicht imstande zum verlangten Kadavergehorsam nach chinesischer Art. Seine derzeitigen Lieblingsvokabel gehen ja schon ganz in diese Richtung: "Durchgreifen" und "Nicht tolerieren".

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung