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Was sollen unsere Politiker „nachher“ machen?

Es ist eine lange fällige Diskussion, die wir jetzt endlich ehrlich führen sollten. Der Anlass wäre klar: Die Herren Gusenbauer und Kurz waren nach ihrer politischen Karriere unter anderem für René Benkos Imperium tätig und haben dabei Millionenumsätze gemacht – vor allem Gusenbauer, der sich überdies auch noch für ein paar mittelasiatische Diktaturen verdingt hat. Das ist ebenso wie die Aktivitäten auch noch weiterer Politiker für den Immobilienspekulanten sehr unerquicklich, war dieser doch schon vor seiner nunmehrigen Pleite erkennbar jemand, an den man besser nicht anstreifen sollte. Und die Diktatoren waren und sind das sowieso. Zugleich ist der Verdacht groß, dass jene Expolitiker bei ihren Beratungs- und Lobby-Tätigkeiten ihre in Regierungsjobs erworbenen Kontakte eingesetzt haben. Jenseits der großen Insolvenz-Debatte bleiben daher sehr politische Fragen: Kann Sebastian Kurz jemals noch in die Politik zurück (Bei Gusenbauer stellt sowieso niemand diese Frage)? Was erwarten wir von unseren Politikern? Und welche Rahmenbedingen schaffen die beste Chance, dass wir die bestmöglichen bekommen, und dass sich zugleich keiner von ihnen an suspekte Auftraggeber andienert?

Rund um diese Fragen agieren die Medien ziemlich verlogen. Denn einerseits verlangen sie jetzt von allen Politikern, dass sie nach der Politik eine jahrelange Abkühlphase haben, in der sie praktisch nichts tun, außer Wohltätigkeitsbasare zu veranstalten. Andererseits waren es ebenfalls die Medien (vor allem die Kronenzeitung zusammen mit dem Millionenerben Jörg Haider), die Ende des letzten Jahrtausends vehement die Abschaffung der früher ansehnlichen Politikerpensionen verlangt und durchgesetzt haben. Und überdies ist aus wieder anderen Gründen recht unbeliebt, wenn Menschen lebenslang in der Politik bleiben; deshalb gibt es in manchen Parteien etwa die Bestimmung, dass man beim dritten Antreten eine qualifizierte Mehrheit braucht.

Was aber sollen nun ehemalige Politiker konkret tun, wenn sie sich nicht in Salzsäure auflösen und wenn sie sich nicht mit einem Straßenkehr-Job abfinden wollen?

Das ist nicht nur eine persönliche Frage für sie selbst. Denn viele Politiker haben in steuerfinanzierten Jobs einen wertvollen Schatz an Wissen und Können angesammelt, den es eigentlich im Interesse der Gesellschaft zu nutzen gilt.

Dieser Themenkreis führt zu einer noch wichtigeren Frage: Wie kann man junge, talentierte und anständige Menschen überhaupt dazu bringen, in die Politik zu gehen? Die von Opposition und Boulevard rund um die Uhr betriebene Politikerbeschimpfung wirkt eindeutig auf die Jungen massiv abschreckend, vor allem auf die talentierten und anständigen unter ihnen. Es kann aber keine Zweifel geben, dass wir ­– vor allem in einer repräsentativen Demokratie – eine möglichst positive Auslese des gesetzesmachenden und steuergeldverwaltenden Personals bräuchten.

Daher zu diesem Problemkreis ein paar ungeordnete Gedanken:

Die Folgen des Rekrutierungsproblems sind in einer direkten Demokratie signifikant weniger relevant als in einer repräsentativen, wo alle Macht ja bei den gewählten Repräsentanten liegt. In einer direkten Demokratie hingegen trifft das Volk alle wichtigen Entscheidungen selber, wenn es das will. Das reduziert auch die Möglichkeiten für die im Grund bei jedem Menschen mögliche Korruptionsanfälligkeit dramatisch, weil die Bedeutung jedes einzelnen Parlamentariers und Ministers deutlich geringer ist (wer das bezweifelt, soll nachdenken, ob er auch nur ein einziges Mitglied der Schweizer Regierung beim Namen kennt. Wozu sollte man die auch kennen, sind sie doch dort wirklich nur Diener des Volkes, also "Minister" im Wortsinn?).

Was auch immer uns konkret zur Lösung des Problems einfallen sollte, es gilt: Je durchlässiger Karriereverläufe in Richtung Politik und aus der Politik zurück sind, umso besser ist es, sofern diese Rückkehr nicht in irgendeiner Hinsicht zu üblen Unvereinbarkeiten führt, wie es etwa bei fast jeder Berater- oder Lobbyisten-Tätigkeit der Fall ist.

Ein großes Defizit speziell Österreichs ist das rigide Closed-Shop-System in vielen Bereichen, wo es zweifellos für alle positiv und bereichernd wäre, wenn Politiker und andere Menschen aus dem wirklichen Leben dorthin wechseln könnten. Das zeigt der Vergleich mit einigen (leider wenigen) anderen Demokratien, wo das viel leichter möglich ist.

So wäre der Wechsel aus der Politik in die Wissenschaft für alle Seiten ein Gewinn – vor allem für Studenten und Universitäten. Es ist hundertprozentig sicher, dass Expolitiker Politik-Studenten viel mehr beibringen könnten als die wirklichkeitsfremden Ideologen, die dort ihr Unwesen treiben. Einen ähnlichen Gewinn könnte es auch für Wirtschafts-, Zeitgeschichte-, Publizistik-Studien oder die Rechtswissenschaften geben. Speziell amerikanische Spitzenunis reißen sich um Expolitiker, die bereit sind, ihre Erfahrungen mit den Studenten zu teilen. Aber in Österreich ist es für universitäre Karrieren halt viel wichtiger, eine dicke Habilitation geschrieben zu haben, die meist völlig ungelesen irgendwo verrottet …

Ähnliches gilt für die Diplomatie. Mir fällt nur ein einziger österreichischer Minister ein, der dort einmal beziehungshalber auch ohne die strenge ressortinterne Préalable-Prüfung aufgenommen worden ist (Das war Kreiskys Außenminister Willibald Pahr). Deutschland hat einmal einem Ex-Bundestagspräsidenten den Wechsel an die Spitze der Wiener Botschaft ermöglicht, wo er nicht der schlechteste Botschafter gewesen ist. Aber ansonsten haben auch in Deutschland die etablierten Diplomaten gewaltiges Interesse, nicht durch Ex-Politiker in ihren exklusiven Kreisen gestört zu werden.

Gewiss ist der Schutz gegen politische Protektionskinder wichtig. Das rechtfertigt aber nicht die hermetische Abschließung. Denn es täte Universitäten wie Diplomatie gut, wenn sie gelegentlich frisches Denken von außen akzeptierten.

Eine gute Verwendung für das Können und Wissen mancher ehemaliger Politiker wäre zweifellos auch der große Kulturbereich. Vom Vorsitz in Stiftungen bis zu Theater- und Museumsdirektoren wären manche zweifellos besser als das, was sich dort so herumtreibt.

In manchen Bereichen werden in Österreich einige ehemalige Politiker jetzt schon eingesetzt: So werden sie im staatsnahen Veranstaltungs- und Forschungsbereich oft in Präsidenten-Funktionen tätig. Siehe etwa das Forum Alpbach, wo die Exminister Busek, Einem, Fischler eine sehr intensiv genutzte Plattform fanden. Letzterer ist auch im Präsidium des Wiener Forschungsinstitut IHS tätig. Wolfgang Schüssel ist heute ein sehr aktiver Chef der früher völlig verschlafenen Gesellschaft für Außenpolitik, der dort ein sehr dichtes Programm aufgezogen hat. Es ist freilich wenig überraschend, dass man die "Ex" vor allem in solchen Plattformen findet, die von öffentlichen Subventionen abhängig sind. Dort kann es aber auch kaum Unvereinbarkeiten geben.

Natürlich gibt es auch in Teilorganisationen der Parteien, insbesondere in den Pensionistenverbänden, in Gewerkschaften und den diversen parteinahen Kammern etliches Betätigungsfeld für Ex-Politiker. Aber für diese Aufgaben scheiden halt wieder jene aus, die im Konflikt mit ihrer Partei gegangen sind. Was ja meist eher gegen die Partei spricht als gegen den Ex-Politiker.

Während ein Arzt, der Minister war, jederzeit wieder in diesen Mangelberuf zurückkehren kann, und während es für Beamte nach der Zeit in der Politik verfassungsrechtlich geradezu eine Autobahn in den Beamtenberuf zurück gibt, so tun sich zum Beispiel Rechtsanwälte oder Steuerberater sehr schwer mit der Rückkehr. Die Klienten haben sich verlaufen, die einstigen Partner tun meist alles, damit der Herr Ex-Minister nicht mehr in die Kanzlei zurückkehren kann. Aus diesen Erfahrungen anderer Kollegen haben in den letzten Jahren viele Rechtsanwälte abgewinkt, als ihnen Mandate oder Ministerposten angeboten worden sind. Dabei war einst der Anwalt der geradezu typische Politikerberuf; aber kluge junge Leute denken heute vor der Entscheidung, vollberuflich in die Politik zu gehen, auch immer daran, dass politische Karrieren sehr oft von einem Tag auf den anderen zu Ende gehen können. Und da ist das Nachher sicher für Anwälte und ähnliche Berufe gar nicht erfreulich.

Eigentlich bräuchten wir ein unabhängiges Gremium, das bei jeder Berufswahl eines ausgeschiedenen Politikers während der ersten fünf Jahre nach Mandat oder Ministeramt seinen Segen oder seine Ablehnung aussprechen muss, je nach konkreter Tätigkeit. Etwa die Parlamentspräsidiale? Etwa ein neuzuschaffender Rat aller früheren Bundespräsidenten und Bundeskanzler? Oder aller Kandidaten, die bei einer Präsidentenwahl 20 Prozent der Stimmen erreicht haben?

Aber bei jeder Variante, die besser ist als die gegenwärtige Situation, wird eines unumgänglich: Wenn wir aus guten Gründen anfangen, Politikern eine längere Abkühlphase zu verordnen, in der sie bestimmte Berufe nicht ergreifen dürfen, dann müssen wir ihnen dafür auch einen ordentlichen Bezug während dieser Phase garantieren. Entgegen der primitiven Stammtisch- und Journalisten-Attitüde: In Sack und Asche mit ihnen!

Das würde der Republik auch manche peinlichen Schauspiele ersparen. Das peinlichste fand wohl 2019 statt, als die FPÖ H.C. Strache nach der Ibiza-Aufregung zum Rückzug überreden wollte. Im Gegenzug passierte dann bei der wenige Wochen danach stattfindenden Nationalratswahl Merkwürdiges: Straches damalige Ehefrau rutschte vom völlig unwählbaren Platz 286 auf der FPÖ-Kandidatenliste ins Parlament. Ganz Österreich ahnte damals, dass das nur dazu diente, der Familie Strache ein Einkommen zu sichern. Inzwischen ist die Dame freilich sowohl aus der FPÖ wie auch aus der Ehe mit Strache ausgeschieden und kassiert unbemerkt den Abgeordnetenbezug weiter.

Österreich sollte über all die hier angeschnittenen Aspekte und Ideen eingehend diskutieren. Denn ein besserer Umgang mit Politikern brächte uns auch bessere Politiker.

Aber ebenso sicher ist, dass diese Diskussion nicht stattfinden wird. Denn alle Parteiapparate sind nur daraufhin konditioniert, die anderen anzupinklen. Würde ein Politiker einen Vorstoß in die skizzierten Richtungen machen, wird er schon als Abkassierer hingestellt. Alle fürchten die Kronenzeitungs-Schlagzeile (obwohl sich deren Leserquote praktisch halbiert hat): "Jetzt erhöhen sich die Politiker auch noch die Pensionen."

Dennoch wäre es richtig. Denn es geht ja vor allem darum, anständige junge Menschen zum Einstieg in die Politik und zum Dienst an der Allgemeinheit zu motivieren, wofür die Perspektive der persönlichen Lebensplanung neben einigen anderen Faktoren jedenfalls sehr wichtig ist.

Genauso wichtig wäre es freilich auch, wenn Nachwuchspolitiker schon VOR der politischen Karriere etliche Erfahrung in einem ganz normalen Beruf gesammelt hätten, der außerhalb des geschützten, direkt oder indirekt von Steuern lebenden Sektors liegt. Das wäre übrigens auch für andere wichtige Berufe sehr wünschenswert: für Richter etwa oder Lehrer. Wie sollen Letztere den Jugendlichen ein realistisches Weltbild vermitteln, wenn sie ihr ganze Leben immer nur in Klassen und Hörsälen verbracht – und dort lediglich die Plätze gewechselt haben?

Zurück zur anfangs gestellten Frage nach einer Rückkehr von Kurz in die Politik. Da muss die wahrscheinliche Antwort erstmals lauten: Nein, er wird nicht mehr zurückkehren – auch wenn außer vielleicht dem Finanzminister niemandem unter den gegenwärtigen Schwarzen so etwas wie eine positive Ausstrahlung zuzuschreiben ist. Einziger Trost für die ÖVP: Auch bei den anderen Parteien herrscht totale Ebbe an herzeigbaren Persönlichkeiten.

All das sind zusätzliche Gründe auch für die Parteien, mehr über die direkte Demokratie nachzudenken. Was sie aber im Glauben an die eigene Wichtigkeit natürlich weiterhin nicht tun werden.

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