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Der Ärztekrieg

Dürfen einzelne Ärzte andere Therapien empfehlen, als es Ärztekammer und die große Mehrheit ihrer Kollegen tun? In Österreich ist wie in etlichen anderen Ländern unter den Medizinern der Corona-Krieg voll entbrannt. Er spiegelt haargenau jenen Krieg, der sich auch auf den Straßen vieler Städte abspielt. Eine kleine, aber wild entschlossene Minderheit ist zum Kampf gegen die Mehrheit angetreten. Dieser Kampf macht überaus mulmig und verunsichert die ohnedies unter Pandemie und Maßnahmen leidende normale Bevölkerung zusätzlich.

Die Unterschriftenliste jener Mediziner ist lang, die gegen die von der wissenschaftlichen Mehrheit, der Ärztekammer und allen politischen Institutionen vorgegebene Linie protestieren. Freilich fällt auf, dass auf ihr ländliche Allgemeinmediziner, Zahnärzte, Abtreibungsärzte, Augenärzte oder Psychiater dominieren – aber praktisch kein Arzt, der auf Viren, Epidemien oder Intensivmedizin spezialisiert wäre.

Das ist nun gewiss kein endgültiger Beweis, dass die Unterzeichner Unrecht haben. Aber das scheint ein weiteres Indiz für einen von den dissidenten Ärzten nicht gerne gehörten Zusammenhang zu sein: Die Umsätze vieler frei praktizierender Ärzte leiden nämlich darunter, dass die Patientenbesuche seit zwei Jahren wegen der Pandemie seltener geworden sind. Und jedenfalls haben diese Indizien mehr Substanz als die lange ausgestreuten Behauptungen, dass die Pandemie nur eine Erfindung übler Geschäftemacher sei, die man in Bill Gates, im Weltwirtschaftsforum oder in den Pharma-Konzernen gefunden zu haben glaubt.

Tatsache ist, dass die gegen die Impfungen mobilisierenden Ärzte ein hohes Risiko eingehen, das ihnen wahrscheinlich selber gar nicht voll bewusst ist: Sollte nachweisbar sein, dass auch nur ein einziger Patient wegen ihrer von den offiziellen Empfehlungen abweichenden Behandlungsweise zu Schaden kommt, dann droht ihnen neben der zivilrechtlichen Haftung sowohl ein Strafprozess wie auch ein Berufsverbot.

Auf der anderen Seite ist nie hundertprozentig auszuschließen, dass sie aber zumindest mit einem Teil ihrer Kritik am Ende Recht behalten könnten. Freilich bestehen ihre Stellungnahmen weitgehend nur aus Kritik und Appellen zugunsten der Wahlfreiheit eines Patienten. Aber sie sagen fast nie konkret, wofür sie als Ärzte eigentlich sind, was sie sonst den hilfesuchenden Menschen empfehlen, um sich besser zu schützen. Sie sind damit freilich nicht so dumm wie die Pferdeentwurmungsmittel empfehlenden FPÖ-Politiker (die freilich als Nichtärzte rechtlich größere Narrenfreiheit haben).

Der Ausgang des Ärztekriegs kann noch sehr ambivalent werden: Er kann in der Vernichtung der beruflichen Existenz mancher jetzt recht leichtfertig Protestbriefe unterschreibenden Ärzte bestehen, sollten sie wirklich auch nur einem einzigen Patienten konkret von einer Impfung abgeraten haben. Möglicherweise werden Gerichte auch die schon die Veröffentlichung des Briefes mit seinen Inhalten als rechtswidrige ärztliche Ratschläge judizieren. Denn in dem von ein paar Dutzend Ärzten unterschriebenen Text heißt es: Bei "gesunden Menschen unter 65 Jahren ohne Risikofaktoren … überwiegen … mit hoher Wahrscheinlichkeit die Risiken durch die Impfung den potentiellen Nutzen." Ein hochriskanter Satz.

Es ist aber eben auch nicht auszuschließen, dass der Ausgang des Ärztekrieges in einem wissenschaftlichen Triumph der Dissidenten bestehen wird, wenn sich etwa doch die seit einem Jahr von ihnen behauptete Schädlichkeit der Impfungen beweisen sollte. In der Wissenschaft ist nie ganz auszuschließen, dass doch die Minderheit recht behält. Nach allem, was ich (freilich als Laie) erfahren habe, als ich mich durch einschlägige Studien durchzuarbeiten versucht habe, ist die Chance darauf freilich weit geringer als eins zu hundert.

Allerdings begreifen ja erstaunlich viele Menschen Wahrscheinlichkeiten nicht und verhalten sich ziemlich unlogisch. Sonst würden ja nicht so viele rauchen und/oder sich adipös anfressen, obwohl das mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem frühen Tod  führt. Sonst würde ja wohl niemand dem Staat freiwillig sein Geld bei Lotterien oder Roulette andienen, obwohl er dabei nur eine extrem geringe Gewinnchance hat.

Besonders auffällig ist die in Ärztekreisen verbreitete Krankheit der Rechthaberitis. Während unter Juristen von Anwälten bis zu den Richtern alle wissen, dass es – fast immer – noch eine höhere Instanz gibt, die alles umdrehen kann, haben sich Ärzte eine Haltung antrainiert, die in der Anmutung der Allwissenheit selbst des kleinsten Turnusarztes besteht. Da es die Patienten erwarten, haben es viele Ärzte zu ihrem zweiten Ich gemacht.

Deswegen gibt es in der Medizin auch praktisch keine Plattformen wie in Jurisprudenz oder Technik, wo unter Leitung eines unabhängigen Vorsitzenden kontroversielle Seiten ihre Behauptungen detailliert beweisen müssen. Das findet nicht medial statt, das dürfte auch nirgendwo in den sogenannten Expertenstäben stattfinden, von denen sich die Politik beraten lässt. Bei denen ja meist schon die Zusammensetzung das Ergebnis determiniert.

Mangels einer solchen Plattform entgeht uns - durch das aggressive Kriegsgeschrei beider Seiten im Ärztekrieg taub gemacht - noch etwas sehr Überraschendes: Inhaltlich hat in Wahrheit durchaus eine gewisse Annäherung stattgefunden. Nur will dies keine Seite wahrhaben, weder die offiziellen Experten noch die Briefe schreibenden Kritiker. Aus Bestemm und Rechthaberei nicht. Und um die eigenen Anhängerkohorten nicht zu enttäuschen.

So sind die offiziellen Experten mittlerweile viel vorsichtiger geworden. Sie behaupten nicht mehr wie früher, dass irgendetwas die Pandemie ganz besiegen könne, dass es eine "Vollimmunisierung" oder einen dauernden Schutz geben würde. Das haben sie lange intensiv betont – und die Politiker ihnen nachgeplappert.

Aber auch die Kritiker-Front gibt mittlerweile, wenn auch widerwillig als Negation und in Schachtelsätzen formuliert, zu, dass Impfungen keineswegs sinnlos sind. So schreiben sie:

  • " … ist mittlerweile wissenschaftlich belegt, dass dieser Schutz erstens allenfalls hinsichtlich schwerer Verläufe relevant ist und zweitens nach spätestens sechs bis sieben Monaten statistische Signifikanz verliert": Also gibt es doch auch in ihren Augen für sechs bis sieben Monate einen Schutz vor schweren Verläufen (wenn man einmal das trotzige "allenfalls" überhört)!
  • "... ob durch die Boosterimpfung ein weitergehender Schutz erzielt werden kann, ist ungewiss. Die bisher hierzu vorliegenden Studien überblicken nur wenige Wochen und machen deutlich, dass die absoluten Effekte allenfalls marginal sind": Wieder kann das trotzige "allenfalls" und das trotzige "marginal" nicht die "absoluten Effekte" verwischen; und wenn unklar ist, ob der Schutz weitergeht, dann ist offenbar klar, dass es vorher einen Schutz gegeben hat.
  • "… bereits gegenüber der derzeit noch vorherrschenden Delta-Variante wurde ein verminderter und rasch schwindender Effekt der Impfungen gezeigt": Und wieder müssen sie – hinter trotzig relativierenden Adjektiva – zugeben, dass es Effekte der Impfungen gibt. Denn wenn es die nicht gäbe, konnten sie nicht schwinden und vermindert werden.

Langsam kommen einem die in ihren Positionen verstiegenen Ärztekrieger beider Armeen wie ein zankendes Ehepaar vor, wo am Schluss keiner mehr weiß, worüber man eigentlich streitet. Aber dennoch steigt keiner mehr von seinem Baum herunter.

Würden die einen offen zugeben, dass die Wissenschaft lange nicht so erfolgreich ist wie erhofft und dass sie oft viel zu unvorsichtig Erfolge verkündet hat, und würden die anderen nicht nur verklausuliert, sondern deutlich zugeben, dass Impfen doch einen wichtigen Sinn hat, dann könnte der Ärztekrieg zu einem Ende kommen. Aber das wird er nicht. Weil man da wie dort recht haben und nicht einen Dialog führen, keinen Konsens erzielen will. Weil man von der eigenen Claque angefeuert wird.

Dabei droht beiden Seiten im Impfkrieg schon jeweils das nächste Ungemach:

A) Die regierungsnahe Seite wird noch viel an der noch mit Begeisterung ausgerufenen Impfpflicht zu kiefeln haben, je näher man sich mit ihr befasst. Denn sollte die Impfpflicht den erhofften Erfolg haben, sollte es also am Ende wirklich eine fast hundertprozentige Durchimpfung geben, könnte es ja dennoch zur Blamage kommen, dass die Pandemie weitergeht, weil das Virus weiter in der Welt ist.

Ebenso blamabel – wenn auch nicht für die Wissenschaftlerfront, sondern den Staat – wäre die Perspektive eines endgültigen Kollapses der Gesundheitsbehörden. Und die ist sehr wahrscheinlich. Waren die Gesundheitsbehörden doch schon lange – in Wien, aber auch in etlichen anderen Bundesländern – völlig außerstande, das eigentlich vorgeschriebene Contact-Tracing sinnvoll umzusetzen, die Absonderungsbescheide rechtzeitig auszustellen oder wenigstens nach zwei Jahren Pandemie die behördlichen Corona-Telefonleitungen ausreichend zu besetzen. Jetzt aber steht diesen ständig versagenden Behörden in Kürze die alle bisherigen Aufgaben in den Schatten stellende Mammut-Herausforderung bevor, hunderttausende Strafbescheide in juristisch sauberer Form auszustellen, die in ähnlich großer Zahl zu erwartenden Rekurse sauber zu beantworten und den Fall jeweils für die Oberinstanzen tauglich aufzubereiten. Wollen diese doch normalerweise jeden Einzelfall sauber behandelt sehen und sind nicht gewillt, sich mit Schimmeltexten abfertigen zu lassen. Da droht mit hoher Wahrscheinlichkeit die nächste Mega-Blamage der Gesundheitsbehörden, weil sie das rein administrativ nicht schaffen werden.

Noch größer ist die Blamage durch einen weiteren in den letzten Tagen gefällten Regierungsbeschluss. Nämlich den über eine vierzehntägige Pflicht-Quarantäne für jeden, der Kontakt mit einem Omikron-Infizierten hatte. Diese Quarantäne ist skandalös und verfassungsrechtlich unhaltbar, da

  • viele Anzeichen dafür sprechen, dass Omikron-Infektionen harmloser sind als die bisherigen Varianten, damit fällt die verfassungsrechtliche Rechtfertigung;
  • sogar die ganze Schulklasse eines einzigen infizierten Schülers in eine solche Totalquarantäne gehen muss;
  • die vierzehntägige Quarantäne auch dann vorgeschrieben ist, wenn der Kontakt-gehabt-Habende dreifach geimpft gewesen ist;
  • und da – jetzt muss man sich endgültig niedersetzen – sich selbst Geimpfte während der vollen 14 Tage nicht freitesten können.

Damit werden die ja noch immer so heftig beworbenen Impfungen lächerlich gemacht. Als Folge wird es kein Infizierter mehr wagen, sich seine Freunde durch deren Nennung als Kontaktpersonen zu Feinden zu machen.

B) Mindestens genauso dramatisch wird die Zukunft aber auch für die Gegenseite: Die impfkritischen Ärzte haben überhaupt noch nicht realisiert, in welche Gesellschaft sie sich begeben haben. Das müssten sie aber dringend, wollen sie auch nur eine Sekunde lang weiterhin ernst genommen werden.

Dabei geht es nicht um die angeblich rechtsextremen Parolen, die die Regierungsseite ständig zu erkennen behauptet, um die Demonstrationen zu diffamieren. Man bekommt zunehmend den Eindruck, dass die Behörden fast jeden Impfkritiker automatisch als Rechtsextremisten ansehen. Was diese aber nicht sind. Denn etwa der besonders oft als Beweis rechtsextremistischer Umtriebe genannte Vergleich zwischen dem Ungeimpften-Lockdown und den Judensternen der Nazis ist zwar unhistorisch, aber er ist nicht antisemitisch oder rechtsextrem. Denn er bedeutet ja eine Identifikation der Demonstranten mit den Juden. Die Behauptung ist sinnwidrig, dass man jemanden dadurch diskriminiert oder beleidigt, dass man sich selbst mit ihm identifiziert.

Hingegen ist etwas anderes skandalös und macht jeden, der da zumindest indirekt mitmacht und sich nicht laut distanziert, selber völlig unakzeptabel. Das sind die Demonstrationen von Impfgegnern vor Spitälern. Das sind die Bedrohungen und Angriffe gegen andersdenkende Ärzte, Impfpersonal, Journalisten und Polizisten. Da wird die Grenze zum Extremismus eindeutig überschritten. Das – und nur das – sollte jeden anständigen Menschen und Politiker sofort davon abhalten, weiter mitzumachen. Hier werden Grenzen überschritten, die jedes Restverständnis unmöglich machen.

PS: Manches ist so skurril geworden, dass man aber auch nur noch laut lachen kann. Etwa wenn auf FPÖ(!)-Kundgebungen gegen die Impfpflicht nicht nur Israel-Fahnen zu sehen sind (das ist vermutlich ein eleganter Trick, um die von der Polizei verfolgte Judenstern-Kampagne mit anderen Ausdrucksmitteln fortzusetzen), sondern auch die Regenbogenfahne der Homosexuellen-Aktivisten.

PPS: Lachen muss man auch, wenn man untersucht, welche Länder besonders wenig Geimpfte haben: Es sind ausgerechnet die von der FPÖ so verachteten Balkanländer, wie Albanien oder Montenegro. Und innerösterreichisch finden die FPÖ-Parolen ausgerechnet bei den Moslems am stärksten Echo. Also leicht pointiert gesagt: Die besten Gefolgsleute Herbert Kickls sind Moslems, Schwule und Albaner ...

PPPS: Lachen hat mich jetzt auch die Gemeinde Wien lassen, die offenbar wirklich ständig ihre Unfähigkeit beweisen möchte: 14 Tage, nachdem ich meinen dritten Stich (übrigens diesmal ganz ohne Nebenwirkungen) erhalten habe und nachdem dieser auch sofort ins amtliche Register eingetragen worden ist, hat mich das Rathaus jetzt aufgefordert, mich doch ein drittes Mal impfen zu lassen. Und zwar gleich in vier Sprachen (aber immerhin: Der deutsche Zettel war noch der oberste …). Guten Morgen.

PPPPS: Gar nicht zum Lachen, aber eigentlich eine gute Lehre für die unterschreibenden Landärzte ist der Tod unserer besten Freundin. Sie ist heuer gestorben, weil der formal hochqualifizierte Primar monatelang eine Krebserkrankung als orthopädisches Problem (und zeitweise als Hypochondrie) behandelt hat. Es war ein präpotener oberösterreichischer Arzt, der aber zügig von einer oberösterreichischen Richterin (die sehr liebevoll die Verhandlung sogar ans Krankenbett verlegt hat) verurteilt worden ist, weil er die offiziellen Empfehlungen völlig ignoriert hat, wie er eigentlich vorgehen hätte sollen …

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