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Griechische Lehren – aber niemand will sie ziehen

Das griechische Wahlergebnis ist lange nicht ein so eindeutiger Erfolg der Vernunft, wie es auf den ersten Blick scheint. Zugleich aber könnte man aus den Vorgängen in Griechenland viel lernen, tut es aber nicht, weder Europa noch Österreich.

Der Sieg der konservativen Nea Demokratia mit 40 Prozent führt einzig und allein wegen des seltsam mehrheitsverstärkenden griechischen Wahlrechts zu einer absoluten Mehrheit. Dort bekommt nämlich jene Partei, die als Nummer eins durchs Ziel geht, automatisch ein zusätzliches Paket Abgeordnetensitze geschenkt.

Mit Einführung dieses Wahlrechts hat Griechenland einst beabsichtigt, dass immer – oder fast immer – regierungsfähige Mehrheiten zustandekommen. Das hat gewiss Vorteile für den politischen Betrieb, das kann man aber nicht unbedingt als sonderlich demokratisch einstufen. Das ist fast noch problematischer als das britische oder amerikanische Mehrheitswahlrecht, wo in jedem Wahlbezirk ein noch so knapp voranliegender Kandidat der alleinige Sieger wird.

Das griechische System führt nun meist dazu, dass abwechselnd die Linke und die Rechte regieren. Das scheint zwar ein normaler demokratischer Wechsel zu sein, der verhindert, dass Bäume in den Himmel wachsen. Das Wahlergebnis hängt aber in Wirklichkeit vor allem davon ab, ob es auf der Linken oder der Rechten größere Geschlossenheit gibt.

Im heutigen Griechenland gibt es diese eindeutig auf der Rechten, wo außer der Nea Demokratia nur zwei wirklich rechtsradikale Kleinparteien angetreten sind, wo es – um mit Österreich oder Deutschland zu vergleichen – neben ÖVP beziehungsweise CDU nichts mit der FPÖ, der FDP, der "Alternative für Deutschland" und den (wirtschaftspolitisch rechts, gesellschaftspolitisch links stehenden) Neos Vergleichbares gibt.

Auf der griechischen Linken hingegen gibt es neben den Kommunisten (5,3 Prozent) und der Linksaußen-Partei des einst von allen mitteleuropäischen rotgrünen Linksradikalen angebeteten Schuldenfanatikers Varoufakis (3,4 Prozent) auch noch die alten Sozialdemokraten (die Schwesterpartei der SPÖ kam auf 8 Prozent) und die zuletzt unter Alexis Tsipras regierende linkspopulistische Syriza-Partei (mit 31,5 Prozent).

Das aber heißt: Wäre die Linke geschlossener angetreten, dann hätten sie auch diesmal die Nase vorne gehabt. Würde umgekehrt in Skandinavien das griechische Wahlrecht gelten, dann hätten im Norden die Sozialisten überhaupt ein schier ewiges Regierungsmandat, weil dort die Bürgerlichen – Konservative, Christliche, Rechtsliberale, Agrarier, Rechtspopulisten – seit jeher getrennt antreten und immer nur gemeinsam eine Mehrheit bilden können.

Wir lernen daraus, wie sehr der scheinbar bloße Formalismus eines Wahlrechts auch die politischen Realitäten formt, obwohl es ja eigentlich für alle Parteien eines Landes gleich ist.

Was aber ist aus dem griechischen Wahlergebnis inhaltlich abzulesen?

Da steht einmal die erstaunliche Tatsache an der Spitze, dass trotz der geographischen Lage Griechenlands das Migrationsthema nicht im Zentrum des Wahlkampfs gestanden ist, sondern Wirtschaftsfragen. Denn auch auf der Linken gibt es in Griechenland praktisch keine "Welcome"-Fanatiker wie in Österreich und vor allem  in Deutschland.

Die zweite Erkenntnis: Viele Griechen haben erkennen müssen, dass sozialistische Versprechungen nicht einhaltbar sind (zwar haben das noch keineswegs alle Griechen erkannt, aber eben doch so viele, dass Nea Demokratia jetzt alleine regieren kann). Denn auch die einst so lautstark linkspopulistische Syriza hatte angesichts der schweren Verschuldung des Landes letztlich keine andere Alternative gehabt, als beinhart zu sparen, Sozialausgaben und Pensionen zu kürzen. Das aber ist das genaue Gegenteil von dem, was die Partei eigentlich einst versprochen hatte.

Daher nahm sich in den Augen der Griechen der plötzliche Beschluss von Syriza nur noch lächerlich aus, knapp vor der Wahl nach Jahren des Zurückfahrens noch die älteren Wähler durch eine zusätzliche Pensionszahlung zu bestechen. Ebenso wie schon lange die Syriza-Politik lächerlich geworden war, ständig dem Ausland die Schuld an allen griechischen Problemen zuzuschieben.

Nea Demokratia hat nun mit einem klaren wirtschaftsliberalen Programm gesiegt. Sie will mit günstigen Steuersätzen und korrekten Regeln ausländische Investitionen anlocken. Wahlsieger Mitsotakis besticht durch nüchternen Pragmatismus, ganz ohne südliche Ekstase. Er hat praktisch keine Wahlversprechen außer harter Arbeit gemacht. Er streicht der politischen Klasse – für Griechenland bisher unvorstellbar – den gesamten Sommerurlaub und hat schon am Montag nach der Wahl mit der Arbeit begonnen.

Dieser Weg verheißt dem Land eine erfreulichere Zukunft – aber nur dann, wenn die neue Regierung nicht in die alten Fehler zurückfällt, von denen auch die Siegerpartei keineswegs frei gewesen ist: Das waren vor allem der massive Nepotismus und Klientelismus in einem überflüssig aufgeblähten Staatsapparat. Das waren viele Tricksereien von Politik wie Bürgern bei der Einhaltung von Gesetzen und EU-Regeln. Wenn man Steuer- und andere Gesetze nur als unverbindliche Empfehlungen behandelt, wenn die Justiz ineffektiv ist, dann kann ein Staat nicht funktionieren.

Auch für Europa bedeutet eine griechische Zwischenbilanz keineswegs eine reine Erfolgsbilanz. Die schwere Verschuldung des Landes hält bis heute an und liegt mit 180 Prozent des BIP noch immer weit vor dem zweitschlechtesten Land, Italien mit 132 Prozent, an der europäischen Spitze. Zwar hat Griechenland die einst 26 Prozent betragende Arbeitslosigkeit reduzieren können – aber auch 18 Prozent sind noch immer gewaltig.

Allerdings macht Griechenland keine neuen Schulden mehr. Es erzielt also einen Primärüberschuss. Griechenland braucht auch keine neuen europäischen Hilfspakete mehr. Es kann sich – wenn auch zu höheren Zinsen als der Rest Europas – sogar wieder auf den Märkten refinanzieren.

Das sind alles eindeutige Fortschritte, die Griechenlands Entwicklung der letzten Jahre positiv von jener Italiens abheben. Das darf aber nicht ignorieren lassen, dass die Steuerzahler und Sparer des restlichen Euroraumes jahrelang das kleine Ägäisland mit hohen Milliardensummen retten mussten (vor allem über Schuldenstreichungen und über neue unverzinste Langfristkredite). Und noch weniger darf man ignorieren, dass dieses Rezept beim nunmehrigen ökonomischen Hauptproblem Europas in keiner Weise mehr anwendbar ist. Denn Italien ist viel zu groß dazu, zehnmal so groß wie Griechenland.

Gleichzeitig haben die Italiener aus Griechenland auch eine katastrophale Lektion gelernt: Europäische Warnungen vor Schuldenmachen sind nicht ernst zu nehmen. Womit sie leider wohl recht haben dürften. Denn soeben hat die EU-Kommission ganz offiziell das Defizitverfahren gegen Italien abgebrochen, obwohl Italien außer leeren Versprechungen keine einzige ernsthafte Sparmaßnahme gesetzt hat, obwohl Italien in den letzten zehn Jahren seine Schuldenmasse um 70 Prozent vergrößert hat. Und die Europäische Zentralbank wird unter der neuen Chefin Lagarde mit Sicherheit die Nullzinsenpolitik fortsetzen, sodass nicht die eigentlich logische Folge von hohen Schulden eintritt, nämlich hohe Zinssätze. Diese sind ja normalerweise das Thermometer, wie die Gläubiger die Rückzahlungsfähigkeit eines Landes einschätzen.

Von diesen artifiziellen Nullzinssätzen der EZB profitieren Italien wie Griechenland und natürlich auch alle übrigen Finanzminister im Euroraum, die sich billigst refinanzieren können. Den Schaden tragen kurzfristig und dauerhaft alle europäischen Sparer. Langfristig ist er aber noch viel größer: Investitionen werden nicht optimal gelenkt, marode Unternehmen überleben zum Schaden aller, daher bleibt Europas Wachstum immer weiter zurück, daher entstehen im Aktien- sowie noch mehr im Immobiliensektor gefährliche Blasen, die mit Sicherheit eines Tages explodieren werden.

Das alles nur, weil Regierungen seit Einführung des Euro undiszipliniert Geld ausgeben können, um die Wähler zu bestechen. Und weil sich die Wähler gerne bestechen haben lassen, weil sie die langfristigen Folgen nicht verstehen oder verstehen wollen.

PS: In Österreich scheint niemand bereit, jenen Aspekt dieser Wahl auch nur zu diskutieren, bei dem Griechenland eigentlich eindeutig vorbildlich ist: Das Mittelmeerland hat nicht nur ein bloßes Fünftel der Zeit zwischen Neuwahl-Beschluss und Wahldurchführung gebraucht, die Österreichs Politik benötigt. Zwischen Wahltag und dem Amtsantritt der neuen Regierung in Athen ist die Zeit noch viel kürzer: Mitsotakis braucht nach der Wahl ganze zwei Tage dafür! In Österreich dauert das im Schnitt zwei Monate! Da fragt man sich schon: Wer sind da eigentlich die Faulen? Die Griechen oder die Österreicher?

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