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Neos: Wie weit nach links geht es noch?

Die Neos haben im letzten Jahr zweifellos den größten Wandel irgendeiner österreichischen Partei durchgeführt. Dies geschah fast unbemerkt von der Öffentlichkeit – auch wenn die neue Parteiobfrau nicht gerade durch leises Auftreten gekennzeichnet ist. Die Neos stehen heute nämlich in den allermeisten Fragen genauso links wie SPÖ, Grüne und Pilze – in etlichen Themen sogar noch weiter links, zumindest seit sich die neue SPÖ-Chefin von manchen linksradikalen Rabaukentönen etwa des Wiener Sozialstadtrates zu distanzieren versucht.

Diese Neupositionierung der Neos zeigt sich in immer mehr Details. Das jüngste Element dieser Umwandlung war die Festlegung zu den Wiener Wahlen, für die der Wahlkampf ja schon überraschend früh begonnen hat. Bis vor wenigen Wochen hatten die Neos immer gesagt: Sie würden keinen FPÖ-Politiker als Bürgermeister unterstützen. War das schon keine Aussage, die die Neos irgendwo in der Mitte oder gar in der rechten Hälfte des politischen Spektrums positionieren würde – haben sie doch keiner weiteren Partei das Recht abgesprochen, den künftigen Bürgermeister zu stellen – so sagen sie jetzt ganz deutlich: "Keine Koalition mit den Freiheitlichen."

Das ist eindeutig eine Absage an jede bürgerliche Koalition. Damit reduzieren sich die Neos selbst auf die Rolle als Mehrheitsbringer für Rot und Grün. Sie stehen als Reservist sprungbereit, falls die jetzige Rathauskoalition keine Mehrheit mehr erringen sollte (was derzeit die Umfragen als sehr wahrscheinlich erscheinen lassen). Denn wenn eine Zweierkonstellation, also Blau-Schwarz oder Rot-Grün oder Rot-Schwarz, eine Mehrheit erringen sollte, dann braucht es die Neos sowieso nicht für eine Koalition. Und selbst Rot-Blau nach burgenländischem Muster hat da jetzt eine etwas größere Wahrscheinlichkeit als irgendeine Beteiligung von Pink in anderen Partnerschaften als mit Rot und Grün.

Auch auf Bundesebene positionieren sich die Neos durch ihre ständigen gemeinsamen Chorgesänge mit Roten und Pilzen – keineswegs nur beim ewigen und ewig substanzlosen BVT-Ausschuss – so, dass sie keine Chance mehr haben, außerhalb des linken Lagers glaubwürdig zu werden.

Sie haben kein einziges Mal versucht, ihren derzeit einzigen Joker auszuspielen: Sie könnten der Bundesregierung zur Zweidrittelmehrheit verhelfen. Das hätte ein politischer Vollprofi sogar zu einer wochenlangen Inszenierung nutzen können, um die Partei optisch ins Zentrum des Geschehens zu rücken –  etwa bei der Einführung des Verhüllungsverbots in Pflichtschulen. Gerade die Befreiung junger Mädchen vom autoritären Kopftuchterror Tausender Brüder und Väter wäre ein enorm liberaler wie – in diesem Fall sicher positiv zu bewertender – feministischer Akzent gewesen. Wäre.

Die Neos haben alle Chancen versäumt.

Die Motive des Linksrucks

Ihre Neupositionierung hat etliche taktische Gründe, die auch kurzfristig ihre Logik haben. Sie sind aber nicht nachhaltig durchdacht. Sie liegen weder im langfristigen Interesse Österreichs noch der Neos selbst. Und schon gar nicht im Interesse Wiens, das schon viel zu lange von der gleichen Partei total beherrscht wird.

Diese Neupositionierung wird auch durch die kantige Selbstprofilierung von Frau Meinl-Reisinger deutlich. Sie agiert viel "männlicher" als ihr Vorgänger Strolz – wenn diese Typisierung noch gestattet ist und nicht gleich zur Verbrennung auf dem politisch-korrekten Scheiterhaufen führt. Sie argumentiert viel schärfer. Strolz hatte durch seinen Hang zu Esoterik und zu bildungspolitischen Phrasen ja noch viel weicher und verbindlicher gewirkt.

Neben dem Führungswechsel hat der pinke Stellungswechsel noch weitere Motive: das Wahlergebnis der letzten Nationalratswahl und damit das Ausscheiden der Grünen aus dem Parlament, das derzeitige Fehlen attraktiver Grün-Politiker und die peinliche Glücksspiel-Karriere der einstigen Grün-Chefin Glawischnig. All das hat in den Neos den Glauben wachgerufen, dass grünes Wählerpotential zu erben wäre. Dieser Glaube wurzelt auch darin, dass ja auch schon in der Gründungspartie der Neos viele Ex-Grüne dabei gewesen waren.

Anfangs waren die Neos durch die zweite Säule der Gründungsplattform besser ausbalanciert gewesen, die wirtschaftsliberal-bürgerlichen Elemente vom linken Flügel der ÖVP. Zumindest in der Konzeption von Parteigründer Matthias Strolz hatte da eine Balance geherrscht. Am Anfang hatte auch Parteifinancier Haselsteiner die Strategie vorgegeben, vor allem der ÖVP Wähler abzujagen. Dazu sollten auch die Verbindungen zwischen Haselsteiner und dem damaligen Raiffeisen-Boss Konrad dienen. Diese Strategie hat freilich nicht funktioniert, sie hat so gut wie keine ÖVP-Wähler bewegt – genauso wenig wie schon die in der gleichen Absicht erfolgte Gründung der Vorgängerpartei "Liberales Forum" von Heide Schmidt, mit der damals Drahtzieher Heinz Fischer die ÖVP schwächen wollte. Aber die ÖVP hat immer nur an die FPÖ relevante Wählermassen verloren (und durch Schüssel und Kurz zumindest zeitweilig zurückgewonnen).

Diese zweite Säule wird noch aus einem weiteren Grund vernachlässigt. Mit einem wirtschaftsliberalen Akzent glaubt man auch deshalb nichts mehr gewinnen zu können, seit dort die ÖVP unter Sebastian Kurz doch etliche überraschend klare Akzente gesetzt hat, die auch von der FPÖ mitgetragen werden. Jedenfalls viel klarere als im sozialpartnerschaftlichen Rot-Schwarz.

Der Eindruck eines wirtschaftsliberalen Regierungskurses wird auch durch die – von vielen Medien übernommene – Angriffsrichtung der SPÖ verstärkt: Sie versucht, die Regierung ständig als einen an den Fäden der Wirtschaft hängenden Haufen zu porträtieren.

Unabhängig davon, ob diese SPÖ-Propaganda stimmt – sie wirkt. Sie tut das freilich anders, als von den SP-Strategen eigentlich intendiert. Viele Wirtschaftsliberale fühlen sich gerade dadurch der ÖVP wieder näher als in den letzten rot-schwarzen Jahren. Damals ist ja die ÖVP von den Wählern für jeden Erfolg der SPÖ beim exzessiven Ausbau des Wohlfahrtssystems bestraft worden. Viele wirtschafts-(neo-)liberal denkende Wähler sind jetzt wieder zur ÖVP zurückgekehrt. Dieser Prozess ist auch dadurch verstärkt worden, dass sich der neue WKO-Präsident nicht mehr so wie einst Christoph Leitl ständig auf Kosten der ÖVP profiliert, sondern eng mit ihr kooperiert (natürlich hat Kurz nicht nur bei den Neoliberalen dazugewonnen, sondern auch bei den unter Rot-Schwarz ebenfalls massiv verärgerten Wertkonservativen und Migrationskritikern – die waren allerdings nie Neos-Wähler).

Links gibt es derzeit mehr zu erben

Die Neos sind also indirekt auch durch die SPÖ selbst veranlasst worden, verstärkt im einst SPÖ-eigenen Links-Terrain nach Wählern zu suchen. Dort ist das auch aus anderen Gründen derzeit leichter als rechts. Sind doch die Krisen nicht nur der Alt-Grünen, sondern auch der SPÖ und der Pilze ganz offenkundig.

Die Neos sind zu Recht überzeugt, dass die Gruppierung Pilz, die sich gerade auf den nichtssagenden Namen "Jetzt" umgetauft hat, keine Chancen hat, jemals wiedergewählt zu werden. Hat sie sich doch schon in ihrem ersten Parlamentsjahr atomisiert: Dauerstreit, das rasche Ausscheiden von Mandataren, die Eskapaden des Selbstdarstellers Pilz und jetzt eine völlig unbekannte Parteichefin, für die die "Jetzt"-Mandatare nicht einmal bereit sind, irgendeinen Parlamentssitz freizumachen. An der "Jetzt"-Implosion kann auch die Tatsache nichts ändern, dass die Liste mit Alfred Noll zweifellos einen Juristen hat, der intellektuell und juristisch sowohl dem Justizminister wie auch allen Juristen der Regierungsparteien weit überlegen ist. Aber er ist im Pilz-Klub wie auch in der Welt der Politik ein einsamer Fremdkörper.

Ebenso zu Recht spekulieren die Neos damit, dass die SPÖ noch lange nicht aus ihrer eigenen Krise herauskommen wird. Wieder nur einige Stichwörter: der irreversible Verlust eines Großteils der Arbeiterschaft an die FPÖ; innerparteiliche Flügelkämpfe zwischen den linken Post-68-Ideologen und dem pragmatisch und populistisch denkenden rechten Flügel; eine Parteichefin, die die Füße nicht auf den Boden bekommt, die sich sogar von sehr parteinahen Autoren vorhalten lassen muss, von Wirtschaftsthemen nichts zu verstehen, die von "Parteifreunden" wie Hacker oder Kaiser durch öffentliche Attacken weitgehend demontiert worden ist, die auch noch keinen einzigen wirksamen inhaltlichen Akzent zu setzen verstanden hat; und last not least die europaweit verheerenden Auswirkungen der Völkerwanderung, die von den Wählern mit gutem Grund vor allem den Sozialdemokraten angelastet werden, die deshalb fast überall in der schwersten Krise der letzten hundert Jahre stecken.

Am Neos-Kalkül dürfte also etliches richtig sein. Die pinke Frau mit dem Doppelnamen kann auch durch ihr einem Schwert gleichenden Mundwerk das politische Handwerk besser als die rote Frau mit dem Doppelnamen, oder gar als die (für fast alle Österreicher) namens- und gesichtslose Pilz-Nachfolgerin.

Ein fundamentaler Irrtum ist aber der Glaube an eine dauerhafte Grünkrise. Bei der letzten Wahl sind etliche Grün-Wähler ja nur deshalb zur SPÖ gewechselt, um dieser vielleicht doch den ersten Platz zu retten, trotz der erwartbar gewesenen schweren Verluste an Blau und Schwarz. Diese Wähler werden wieder grün oder maximal rot, aber wohl nicht pink wählen. Das linksradikale Lager (das in Deutschland sogar eine eigene Links-Partei hat, was dort die Grünen ein wenig entradikalisiert hat) ist natürlich auch in Österreich existent und denkt nicht daran, etwas anderes als Rot oder Grün zu wählen. Und schon gar nicht eine Partei, die auch nur irgendwie wirtschaftsliberal zu denken versucht hat.

Dennoch versucht Frau Meinl-Reisinger mit ständigen sehr gezielt gesetzten Sagern den früheren Grün-Wählern das Gefühl zu geben, dass eigentlich jetzt die Neos genau so reden und denken wie sie selbst. Sie setzt auf das gutmenschliche Minderheitsprogramm aus städtischen Bobos, genderistisch schwadronierenden Feministen und aus Alt-Achtundsechzigern.

Jedoch: Diese Gruppen sind zwar in der Tat die größte politische Erbmasse, die derzeit auf dem Markt zu haben ist. Aber eben nicht für die Pinken.

Österreich bräuchte echte Liberale

Die Entwicklung der Neos ist noch aus einem ganz anderen Grund bedauerlich: Das wirtschaftsliberale Element ist in der österreichischen Politdebatte ziemlich unterentwickelt. Österreich bräuchte genau das, was in Deutschland die FDP und jener CDU-Flügel sind, der hinter dem Merkel-Gegner Merz steht. Österreich bräuchte eine kräftige, mutige und konsequente Stimme, die den klassischen Liberalismus vertritt, der von Linken gerne Neoliberalismus genannt wird (was als Schimpfwort gemeint ist, aber in Wahrheit das Wirtschaftswunder-Denken der 50er Jahre bezeichnet).

Schon gar nicht kann die Partei glaubwürdig werden, wenn man sich die Namen anhört, mit denen die Neos in letzter Zeit kokettiert haben.

Etwa mit dem irrlichternden Schwarzen Othmar Karas, der die österreichische Verkörperung der Merkel-Juncker-Politik ist, der aber dann doch lieber beim vermeintlichen Siegesgarant Sebastian Kurz geblieben ist.

Etwa mit dem schon mehrfach gescheiterten Manager Horst Pirker, der nun gerade dabei ist, mit der Illustrierten "News" neuerlich verlegerisches Versagen zu beweisen.

Mit solchen und ähnlichen Namen kokettiert zu haben, zeigt eine nicht sonderlich große Professionalität der Neos-Führung. Dabei haben die Pinken eigentlich im diesbezüglich sehr ausgedünnten Parlament wahrscheinlich den relativ größten Anteil an eindrucksvollen Politikern, was man etwa an den Namen Scherak, Loacker und eventuell auch Griss sehen kann.

Anmerkung: Dieser Text ist durch einen technischen Irrtum vorzeitig eine Zeitlang online gegangen, während ich noch daran gearbeitet und korrigiert habe. Bitte um Entschuldigung.

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