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Das Paradies und die Wirklichkeit

Das Paradies ist schon um die nächste Ecke. Und am 16. Oktober sind wir dort. Ich freu mich schon so darauf. Wenn ich mir die Wahlprogramme der Parteien durchblättere, dann sind sämtliche Briefe ans Christkind, die mir jemals in die Hand gekommen sind, ein Vorbild an Bescheidenheit und Demut. Dabei gibt es ja das Christkind mit seinen unendlichen Möglichkeiten eigentlich nur in den Augen der kleinen Briefschreiber. Glauben die großen Wahlprogrammschreiber am Ende vielleicht auch ans Christkind? Oder glauben sie, dass wir Bürger daran glauben?

Vor uns liegen nun im Grund zwei Kategorien von wirtschaftlichen Wahlprogrammen:

  1. Die schwarz-blau-pinken Programme (man kann sie ohne weiteres zusammen sehen, da ja Neos und Freiheitliche selbst unisono das zuletzt erschienene ÖVP-Wirtschaftsprogramm mit den Worten kommentiert haben: Die ÖVP habe bei ihnen abgeschrieben): Sie versprechen viel und tun so, als ob alles erfüllbar oder gar leicht erfüllbar wäre.
  2. Die grün-roten Programme: Sie versprechen noch viel, viel mehr. Sie fordern zum Unterschied von den anderen aber auch Steuererhöhungen, um das irgendwie zu finanzieren. Sie ignorieren dabei aber, dass die verlangten Erbschafts- und Wertschöpfungs-Steuern nicht nur eine ohnedies schon fast Weltrekord darstellende Abgabenquote noch weiter erhöhen würden, sondern auch gewaltige negative Nebenwirkungen hätten, wie vor allem die weitere Abwanderung von Investitionen ins Ausland.

Glauben die Parteien eigentlich wirklich, dass man seriöse Politik nur mit lauter Nettigkeiten machen kann? Dass die Menschen die Wahrheit nicht vertragen?

Da kann man nur mit großer Nostalgie an Schwarz-Blau zurückdenken, wo vor allem in den ersten beiden Jahren mit großem Ernst und auch gegen organisierten Widerstand gespart und saniert worden ist. Insbesondere bei den Beamtenpensionen sind langfristig positive und spürbare Auswirkungen auf den Staatshaushalt ausgelöst worden. Bei der Rückkehr der großen Koalition war die Staatsverschuldung um mehr als sieben BIP-Prozentpunkte gesunken. Das ist weder vorher noch nachher jemals auch nur annähernd gelungen.

Das ging freilich nur mit einer beinharten Disziplin, die sich auch über demonstrierende Gewerkschafter hinwegzusetzen bereit war. Die Reformenergie war damals aber nach zwei bis drei Jahren verpufft, als vor allem bei den Freiheitlichen beziehungsweise ihrer orangen Abspaltung die Nerven sehr bald blank lagen und sie wieder auf die in Österreich so beliebte Christkind-Politik einschwenkten, etwa mit dem Beharren auf der total missglückten Hacklerpension.

Vom Wissen um diese Notwendigkeit eiserner Disziplin und konsequenten Sparens ist heute gar nichts mehr zu spüren. Obwohl diese Tugenden der schwarz-blauen Jahre Österreich 2006/07 in mehrfacher Hinsicht zum international vielgelobten europäischen Vorzeigestück gemacht haben. Obwohl in Parallele zum Schüssel-Österreich der deutsche Sozialdemokrat Schröder mit seiner neoliberalen Austerity-Agenda-2010 eindeutig die Grundlage zum heutigen tollen Boom Deutschlands gelegt hat.

Es ist jedoch der Linken und ihren vielen Mitläufern in den Medien in den Jahren seither gelungen, diese doppelte Erfolgspolitik total zu diskreditieren. Neoliberal ist trotz aller Erfolge einfach schlecht.

Wenn manche Propagandisten nun sagen, dass sich in den letzten Monaten ohnedies einige Indikatoren (Wachstum und Arbeitslosigkeit) verbessert hätten, dann vergessen sie erstens zu beachten, dass in Österreich die Investitionen dramatisch zurückgegangen sind, was langfristig immer zum Abstieg führen muss. Und dann ignorieren sie zweitens die Hauptgründe für die Entwicklung:

  • In den US-Wirtschaftsdaten ist seit Jahresbeginn eindeutig eine Trump-Euphorie ausgebrochen (die sich zwar ganz und gar nicht in den Zeitungskommentaren, aber sehr wohl im stark angewachsenen Wirtschaftsoptimismus niedergeschlagen hat, welcher aber mittelfristig kollabieren muss).
  • Die Bad Banks, wo die Schulden von Hypo und Kommunalkredit ausgelagert sind, haben sich viel besser entwickelt als erwartet.
  • Am wirksamsten für die jetzige Entwicklung ist die Negativzins-Politik der Europäischen Zentralbank. Diese hat Billionen Gratisgeld an die Euro-Staaten gepumpt, die dadurch heute zumindest zum Teil besser dastehen.

Diese Negativzins-Politik der EZB ist aber eine mehrfache Katastrophe:

  1. Sie ist ein unverschämter und ungerechter Enteignungs-Raubzug auf alle Sparer, die sich nirgends holen können, "was ihnen zusteht", wenn sie jahrelang trotz ansteigender Inflation Null Zinsen bekamen und bekommen (die Machthaber denken vielleicht sogar zu Recht: Die Mehrheit der Menschen weiß ohnedies nicht einmal, was Zinseszins ist, und schluckt den Zinsenraub einfach. Es ist ja auch noch keine Regierung deswegen bestraft worden).
  2. Die Staaten haben dadurch die Zinsausgaben für ihre Schulden drastisch reduzieren können, ohne irgendwo echt zu sanieren oder den üppigen Sozialstaat zu beschneiden. Wenn man sich eh bei den Sparern bedienen kann, wenn man von der EZB eh jedes Geld kriegt, das man will, fällt der Zwang selbst zu sparen weg.
  3. Wer selbst das noch für positiv hält, sollte aber noch etwas wissen: Die EZB-Geldproduktion ist vor allem in Immobilien und Aktien geflossen und hat dort eine Mega-Blase steil gestiegener Preise gebildet.
  4. Damit trägt die jetzige EZB-Politik die Hauptverantwortung dafür, was in wenigen Jahren mit absoluter Sicherheit passieren wird. Sie wird nämlich mit einem lauten Knall platzen. Und dann werden wieder alle sagen: "Ja, warum hat man das nicht vorausgesehen? Das war doch verantwortungslos!"
    Ganz genauso war ja auch die Krise ab 2007/08, die mancherorts bis heute noch nicht ganz überwunden ist, vor allem dadurch ausgelöst worden, dass erstens damals in Amerika jahrelang die Zinsen zu niedrig waren, und dass zweitens die Banken vom Staat aus populistischen Gründen gezwungen worden waren, viel zu hohe Immobilienkredite auch an einkommenslose Menschen zu vergeben.

Kehren wir zu den spendablen Wahlprogrammen in Österreich zurück. Die Linksparteien hier haben (anders als etwa die schwedischen und deutschen Sozialdemokraten, die beide sehr konsequent und mittelfristig sehr erfolgreich "neoliberal" saniert haben) noch nie begriffen, dass der Wohlfahrtsstaat überdehnt sein könnte. Sie fordern daher weiterhin immer noch mehr für alles Mögliche.

Und sie haben daher bisher noch in jedem Wahlkampf die gleiche Propaganda gegen die ÖVP eingesetzt: "soziale Kälte", "Pensionsraub", usw.

Stopp dem "Rentenklau"

Das weiß Sebastian Kurz natürlich. Diese Propagandamasche will er ganz offensichtlich der SPÖ abschneiden. Deswegen hat er schon in den letzten Wochen sehr problematischen zusätzlichen Geldausgaben zugestimmt, die von der SPÖ – ganz offensichtlich als Falle für ihn gedacht – ganz schnell noch vor dem Wahlkampf verlangt worden waren. Etwa:

  • Abschaffung des Pflegeregresses (obwohl das nicht nur Steuergeld kostet, sondern zweifellos zur vermehrten Abschiebung von alten Menschen in öffentliche Pflegeheime führen wird);
  • Erhöhung eines Teils der Renten über die gesetzlich fixierte Formel hinaus (was eindeutig ungerecht und unfair ist, weil die erhöhten Kleinpensionen versicherungsmathematisch viel weniger durch Beiträge – also "Leistung" – erwirtschaftet worden sind als die übrigen);
  • Geld für den Ausbau der Ganztagesschulen (was jetzt von der SPÖ-Unterrichtsministerin zu einer großen ideologischen Propagandaoffensive genutzt wird);
  • natürlich gehört dazu auch der offiziell verkündete Verzicht auf Erhöhung des Pensionsantrittsalters von Frauen (wohinter freilich auch Realismus steckt: Denn die dafür nötige Zweidrittelmehrheit ist sowieso nicht zu finden);
  • und man kann fast sicher sein, die SPÖ wird noch mehr teure Dinge schnell vor der Wahl fordern. Und Kurz wird nie Nein sagen.

Alles wahltaktisch verständlich. Kurz will sich nicht den sich abzeichnenden Wahlsieg durch die 20. Auflage einer Rentenklau-Propaganda rauben lassen. Aber die große Kompetenz als mutiger Wirtschaftspolitiker hat er damit nicht erworben. Er stimmt lieber in den Chor der übrigen Parteien ein, und macht ein Wahlprogramm voller Versprechungen, die sehr viel kosten. Nur ein paar herausgefischte Punkte:

  • Nichtbesteuerung nicht entnommener Gewinne,
  • bessere Unterstützung für Behinderte,
  • Ausbau der Gesundheitsprävention,
  • Angleichung Arbeiter-Angestellte (=Erhöhungen für die derzeit schlechter gestellten Arbeiter),
  • Sicherung der Pflege (allein das wäre ein Jahrhundert-Projekt),
  • mehr für den geförderten Wohnbau,
  • mehr Entwicklungshilfe,
  • mehr für den Tourismus,
  • Stärkung der regionalen und urbanen Lebensräume,
  • Steuerbonus für Kinder,
  • Senkung der Einkommensteuersätze (mit Ausnahme der ausländische Investoren besonders vom Weg nach Österreich abschreckenden Spitzensätze von 50 und 55 Prozent – aber deren Senkung hätte ja sofort wieder die SPÖ-Propaganda der ÖVP als "Reichenpartei" ermöglicht),
  • Senkung der Lohnnebenkosten,
  • Unterstützung fürs erste Eigenheim,
  • Abschaffung der kalten Progression, usw.

Jeder einzelne Punkt ist wirklich toll, super, geht in die richtige Richtung. Aber in Summe sind sie in keiner Weise finanzierbar. Ähnlich wie die Programme der anderen Parteien. Lediglich die goldene Uhr für jeden Firmling habe ich bei keiner Partei gefunden.

Gewiss: Man muss Kurz (ähnlich auch den Freiheitlichen) zugute halten, dass er als einziger auch echte Einsparungen vorgeschlagen hat. Dabei gibt es zwei rhetorische Schmähs:

  • "Wirtschaftswachstum": Das ist nett. Aber wenn ein dauerhaft höheres Wachstum wirklich einfach mit Wunschzettel erzwingbar wäre, hätten es wohl schon viele Regierungen dekretiert.
  • "Ausgabenbremse": Wie will Kurz die Ausgaben bremsen, wenn er zum Beispiel keine Eingriffe beim weitaus teuersten Ausgabeposten, nämlich den ständig steigenden Pensionsausgaben macht? Diese steigen ja jedes Jahr weit über die Inflationsrate hinaus. Und sie müssen laut Gesetz aus dem Budget getragen werden. Womit die Ausgabenbremse entweder Makulatur ist, oder es doch Pensionsmaßnahmen braucht (um nur den größten Ausgabenbrocken zu nennen). Und die können immer nur langfristig greifen.

Daneben gibt es aber auch ein paar ernsthaftere Vorhaben:

  • Die von Schwarz wie Blau vorgeschlagene Reduktion der Mindestsicherung ist absolut sinnvoll und notwendig (löst aber natürlich ein Geheul der gesamten Gutmenschfront aus);
  • auch die Reduktion der Subventionen wäre absolut dringend (nur müsste man auch hier den Mut und die Kraft haben, ins Detail zu gehen: Die Regierung müsste die ÖBB-Subventionen kürzen, etwa durch offene Vergabe der Verkehrsdienstleistungen; sie müsste auch die Bundesländer in die Knie zwingen, denn dort findet die meiste Verschwendung statt);
  • Abschaffung von Pensionsprivilegien bei Nationalbank, ÖBB oder auch der Stadt Wien (die Betroffenen werden sich zwar heftig wehren - aber das sind alles keine Privilegien, die wie etwa die höheren ASVG-Pensionen durch höhere Leistungen, durch Einzahlungen erarbeitet worden sind, sondern nur durch politischen Protektionismus).
  • und schließlich hat Kurz auch völlig recht, wenn er die Reduktion der Migration in allen Varianten und ihrer Subventionierung als zentrale Notwendigkeit anspricht (von den "Flüchtlingen" bis zu den Familienbeihilfen für EU-Ausländer). Das ist durchaus zu Recht seit langem auch wirtschaftspolitisch sein Zentralthema.

Aber ich habe keine Sekunde die Überzeugung, dass diese Maßnahmen ausreichen können, um den ganzen Versprechenskatalog plus Reduktion der Staatsverschuldung plus signifikantem Rückgang der Staatsquote jemals zu finanzieren. Entweder  ist da vieles nicht ernst gemeint – oder Kurz hält aus taktischen Gründen alle schmerzhaften Maßnahmen zurück, um sich den Wahlsieg nicht nehmen zu lassen. Denn eines ist ja klar: Jeder, der nicht alles erhält, was er verlangt, oder dem genommen wird, schreit einmal öffentlich laut auf.

Zwei Maßnahmen, mit denen Kurz die Bürger wirklich entlasten könnte, finden sich in seinem Programm leider nicht. Die gibt es nur bei den Freiheitlichen und den Neos:

  • eine Halbierung oder Abschaffung der Zwangsbeiträge zu den Sozialpartner-Kammern;
  • Abschaffung der ORF/GIS-Zwangsgebühren.

Da war wohl die Angst vor der WKO oder vor noch ärgeren Untergriffen der ORF-Redaktion gegen die ÖVP im Wahlkampf dominierend. Aber vielleicht sind das ja auch schon die Punkte, wo ein Erfolg der FPÖ bei den künftigen Koalitionsverhandlungen einprogrammiert ist.

Relativ am zurückhaltendsten in den Versprechungen klingen im Parteienvergleich zwar die Neos. Nur hat die Neos-Zweitspitzenfrau Griss das dafür zustehende Lob sofort wieder zunichte gemacht, als sie öffentlich erklärte: All die Einsparungen bei Ausländern gingen rechtlich nicht.

Wir sehen wieder einmal: Es gibt die einen Juristen, die ständig superklug sagen, warum alles Mögliche nicht geht. Und es gibt die anderen, die mit aller Energie nach Wegen suchen, wie etwas doch möglich wird. Schließlich werden Gesetzgeber ja dazu gewählt, dass sie Gesetze verändern, dass Regierungen als europäischer Gesetzgeber für sinnvollere Gesetze kämpfen.

Richter gehören wohl genetisch immer zur ersten Kategorie. Wählen würde ich jedoch unbedingt immer die zweite Kategorie.

Bei aller rational-ökonomischen Skepsis zu seinem allzu euphorischen Programm, das alle wirklichen und wirklich notwendigen Schmerzpunkte vermeidet: Man muss Kurz gratulieren, wie brillant er in der ZiB2 dem wie immer von ganz weit links außen und damit zwangsläufig argumentativ schwach angreifenden Armin Wolf pariert hat (aber Wolf war immerhin diesmal fair, was im ORF schon ein Wunder ist). Denn am Ende bleiben im Gedächtnis ja nicht die Hunderten Programmseiten, sondern nur ein paar emotional überzeugende Eckpunkte haften. Und die konnte Kurz perfekt setzen.

Wolf sorgte sich nämlich ganz im Sinn der SPÖ vor allem um die Mindesteinkommensbezieher, die von den Kurzschen Plänen fast nichts haben. Und da argumentierte Kurz mutig – und für die allermeisten überzeugend – dagegen: Ihm gehe es vor allem um die Ermutigung und Belohnung jener, die etwas leisten; und es sei eben klar, dass jene, die keine Einkommensteuer zahlen, nichts von deren Senkung haben. Ebenso energisch und auch emotional schlüssig war sein Plädoyer gegen die von Wolf ebenfalls ganz im Sinne von Rotgrün verlangte Erbschaftssteuer. Kurz: Er sei dagegen, dass jetzt auch noch das Sterben besteuert würde, dass jene bestraft würden, die für ihre Kinder etwa ein Haus angespart haben, statt das Geld bei Reisen und für den eigenen Konsum auszugeben.

Wie erfrischend ist es, einen Politiker zu hören, der nicht das ganze Gerede immer auf jene ausrichtet, die am wenigsten leisten.

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