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Roaming-Ende: die Umverteilung nach oben

Das nun von der EU beschlossene Verbot der Roaming-Gebühren ist viel negativer, als der deswegen aufgebrandete mediale Jubel erkennen ließe. Denn in Wahrheit bedeutet es – wieder einmal – eine massive Zwangs-Umverteilung von unten nach oben. Nur: Die da unten haben bisher noch gar nicht erkannt, dass sie die Opfer sind.

Das ist übrigens bei vielem anderen ebenso. Etwa bei den teuren Universitäten. Etwa bei den Subventionen für den Kulturbetrieb: Auch die kommen ja überwiegend der Oberschicht zugute, welche Theater, Ausstellungen & Co viel stärker konsumiert, als dies Durchschnittsösterreicher tun. Diese Hochkulturbetriebe werden aber dennoch (oder gerade deswegen?) stark subventioniert.

„Roaming“ bedeutet, dass man derzeit für die Benutzung von Mobiltelefonen im Ausland bei fast allen Verträgen viel mehr zahlen muss als im Inland. Ab 2017 darf hingegen jedes Telefonat, jedes SMS, jedes Mail, jedes Surfen in allen EU-Ländern nur noch so viel kosten, wie man im Inland für die gleichen Dienstleistungen zahlt.

Ist doch super, denken sich da viele Europäer aufs erste. Sie haben nur aufs zweite vergessen: Mit absoluter Sicherheit werden alle Telekom-Betreiber demnächst ihre Tarife fürs Inland in die Höhe schnalzen, egal ob ein Konsument jemals im Ausland telefoniert oder nicht. Die Telekoms können den Wegfall der bisherigen Roaming-Profite de facto ja nur so kompensieren. Manche von ihnen schreiben sogar längst nur noch durch die Roaming-Einnahmen schwarze Zahlen.

Das wird insbesondere für Österreich sehr spürbar werden. Denn hier sind derzeit die Telekom-Tarife im internationalen Vergleich besonders niedrig. Aber sicher nicht deshalb, weil die österreichischen Telekom-Unternehmen Wohltäter wären, oder weil in den anderen EU-Ländern kein Wettbewerb herrschen würde. Vielmehr liegt der Hauptgrund dafür in der Tatsache, dass Österreich ein Tourismus- und Transitland ist. Das bedeutet, dass die Telekoms hier besonders viel am Roaming profitiert haben, was ihnen umgekehrt sehr niedrige Inlands-Tarife ermöglicht. Damit ist‘s aber nun ab 2017 aus.

Wieso ist das jedoch eine Umverteilung nach oben? Die Erklärung ist einfach: Vom Wegfall der teuren Roaming-Gebühren profitieren nur jene Europäer, die es sich leisten können, viel auf Auslandsreisen zu gehen, sowie jene, die als Journalisten, Politiker, Manager, Künstler beruflich überdurchschnittlich viel im europäischen Ausland unterwegs sein müssen. Die politmediale EU-Klasse jubelt besonders laut. EU-Politiker, -Journalisten und -Beamte sind besonders oft grenzüberschreitend in Europa unterwegs. Viele von ihnen sogar jede Woche.

Jene aber, die sich höchstens ein oder zwei Wochen Auslandsurlaub leisten können, zahlen drauf. Obgleich es manche nicht glauben: Es gibt in Europa viele Millionen Menschen, die so leben müssen. Für sie darf auf Beschluss der EU kein Telekom-Anbieter künftig einen günstigen Nur-Inland-Tarif anbieten.

Das mag „europäisch“ sein. Gerecht ist es nicht. Auch wenn im Prinzip die Herstellung eines paneuropäischen Wettbewerbs eine gute Sache ist, auch wenn eines Tages dadurch europaweit die Telekom-Tarife im Durchschnitt – im Durchschnitt! – sinken sollten. Das wird aber diejenigen absolut nicht trösten, die dabei draufzahlen.

Wirklichen Wettbewerb kann es nur zwischen gleichen Dienstleistungen geben. Mobil-Verträge, die nur im Inland gelten und daher billig sein können, weil sie nur im eigenen Netz des Anbieters stattfinden, und solche, die europaweit gelten, und bei denen man vielen fremden Sendemast-Betreibern etwas zahlen muss, sind halt einmal durchaus nicht gleichwertig.

Diese Handy-Manie der EU-Menschen ist doppelt ärgerlich, wenn man zugleich sieht, dass es auf anderen, viel wichtigeren Gebieten, insbesondere beim Straßen- und Eisenbahnverkehr, keinerlei spürbare Vereinheitlichung gibt. Schiene und Straße sind aber ganz zufällig jene Verkehrsformen, welche die politmediale Oberschicht bei Auslandsreisen viel seltener benützt als der Durchschnitt. Diese fliegt ja meist. Ganz zufällig ist die EU hingegen beim Luftverkehr in den letzten Jahren sehr stark um internationale Einheitlichkeit und Verbilligung bemüht.

Auf Straße und Schiene sind den EU-Politikern und -Bürokraten die nationalen Unterschiede offenbar ziemlich wurscht. Dabei entwickeln sich gerade beim Straßenverkehr die nationalen Regeln sogar noch weiter auseinander. Gerade auf diesem Feld haben sich viele nationale und lokale Politiker durch Erlassung immer ausgefeilterer Sonderregeln zu profilieren versucht.

Da ist in etlichen Dingen (z.B.: Scheinwerfer bei Tag) seit einiger Zeit in einem Land verboten, was im anderen vorgeschrieben ist. Da gibt es in immer mehr Ländern und Städten örtlich selektive Fahr- oder Parkverbote, die man kaum kennt und die überhaupt nur dann zu befolgen sind, wenn man die örtliche Sprache und Gesetzgebung kennt. Oder erkennen alle Ausländer in vielen italienischen Städten (die nicht einmal der ÖAMTC im kompletten Überblick hat!), dass sie ab dem unauffälligen Schild „zona traffico limitato“ plötzlich nicht mehr weiterfahren dürfen, obwohl das alle anderen tun? Oder glaubt jemand, dass ein Nichtösterreicher in Wien die unglaublich kasuistischen Wiener Parkschein- und Bezirkspickerl-Regelungen durchschauen kann? Selbst Wiener brauchen da ja schon eine eigene App und ein sehr genaues Auge, um durchzublicken und nicht ständig in irgendeine Falle zu gehen.

Das Roaming-Ende ist also nur für eine Minderheit ein Grund zum Jubeln. In Wahrheit ist es ein weiteres Indiz für ein neues Klassensystem.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com. 

 

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