Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (10 Euro pro Monat) ist jederzeit beendbar und endet extrem flexibel einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Die pastoralen Todsünden eines naiven Papstes

Es ist nicht gerade einfach, unter diesem Papst katholischer Christ zu bleiben. Nach den überzeugenden, ja begeisternden Päpsten aus Polen, Deutschland und etlichen aus Italien haben wir nun einen, der die Freiheit der Marktwirtschaft gar nicht mag, dafür Russland sehr. Allerdings sollte man als Österreicher mit Kritik daran eigentlich sehr leise sein, lebt man doch in einem Land, wo allzu viele Landsleute allen Ernstes der Meinung sind, man kann und soll ruhig und untätig dabeistehen und zu- oder notfalls wegschauen, wenn jemand massakriert, terrorisiert und beraubt wird.

Die Österreicher nennen diese Haltung "Neutralität". Der Papst tut Ähnliches: Er empfiehlt den Ukrainern, gegenüber dem russischen Überfall die "weiße Fahne" zu schwenken, also zu kapitulieren und den Russen damit alles zu überlassen, was sie nur wollen. Er kann ja nicht wirklich so naiv sein zu glauben, dass Wladimir Putin bei "Verhandlungen" nach der Kapitulation der Gegenseite noch irgendetwas hergeben wird, was er im Krieg erobert hat. Er wird ganz im Gegenteil als Sieger noch viel mehr einstreifen.

Beiden, den Österreichern wie dem Papst, hat Dante Alighieri, der größte Dichter Italiens, schon im Mittelalter eine klare, wenn auch dichterisch formulierte Antwort gegeben: "Die heißesten Plätze der Hölle sind für diejenigen reserviert, die sich in Zeiten der Krise neutral verhalten." Die also einem Opfer nicht beistehen wollen.

Das trifft genauso auf jene zu, die untätig wegschauen, wenn auf der Straße eine Frau von einem Mann attackiert wird, wie auf jene, die so reagieren wie Papst und die Österreicher, wenn eine Großmacht einen Nachbarstaat überfällt.

In solchen Auseinandersetzungen siegt am Ende leider nicht immer das Gute. Man denke beispielsweise an das Los der Tibetaner, die seit einem Dreivierteljahrhundert unter der chinesischen Okkupation leiden, gedemütigt und entrechtet werden. Man denke an die Polen, die noch viel länger unter russischer und preußischer Herrschaft litten. Oder an die von den Türken jahrhundertelang unterjochten Griechen. Dass Griechen und Polen dann die Befreiung gelang, ist nur ein kleiner Trost für die vielen Generationen, die vorher sterben mussten, ohne je die Freiheit gesehen zu haben. Und ebenfalls kein Trost ist es für die vielen wohl dauerhaft aus der Heimat ihrer Väter vertriebenen Polen, Griechen und Tibetaner.

Aber zumindest solange das Opfer sich wehrt und noch am Leben ist, haben anständige Menschen die Pflicht, ihm beizustehen, soweit es die eigenen Kräfte und die Rücksicht auf die eigene Sicherheit halbwegs erlauben. Es ist dem Opfer zumindest alles zu geben, was es zu seiner Verteidigung braucht. Und auf gar, gar keinen Fall ist ihm zuzurufen: Gib doch auf, lass dich doch vergewaltigen, hast ja eh keine Chance. Ein solcher Ruf ist zutiefst unmoralisch, ist widerlich.

Unmoralisch ist er nicht nur in Hinblick auf die konkrete Belohnung, die sich nach der Kapitulation ein Aggressor einverleiben kann. Unmoralisch ist es noch viel mehr auch deshalb, weil es zu künftigen weiteren Aggressionen desselben oder anderer Räuber geradezu einlädt. So wie es 1938/39 der britische Premierminister Chamberlain getan hat, der Hitlers Aggressionen gegen Österreich und die Tschechoslowakei nicht nur hingenommen, sondern auch noch als "Peace in our time!" bejubelt hat.

Noch unmoralischer, noch egoistischer ist die Haltung vieler Österreicher: Wir brauchen ohnedies niemand anderem beizustehen, wir brauchen auch nicht selber etwas Nennenswertes für die eigene Verteidigungsbereitschaft zu tun, weil uns die anderen, also die ringsum liegenden Nato-Länder, ja eh schützen.

Wir lassen uns also von denen schützen, denen wir im umgekehrten Fall den Beistand verweigern.

Dabei ist es historisch unstreitig: Je geschlossener der Zusammenhalt unter den friedlichen Ländern ist, je wirkungsvoller und glaubwürdiger die gemeinsame Abschreckung eines potenziellen Angreifers erscheint, umso unwahrscheinlicher ist, dass dieser dennoch einen Angriff wagt.

Bei der Frage nach der moralischen Haltung des Papstes kommt noch jene nach seiner pastoralen Intelligenz dazu. Denn nicht einmal jene Argumentationslinie, die viele heikle Verhaltensweisen früherer Päpste erklärt hat, ist hier anwendbar. Das ist die Funktion eines Papstes als Oberhirte aller Katholiken.

Manche Päpste haben deshalb gezögert, Verbrecherregime öffentlich allzu scharf zu kritisieren. Denn sie haben oft nicht ohne Grund Revancheakte gegen die katholischen Gläubigen befürchtet, die unter dem Zugriff dieses Regimes leben. Jedoch: In Russland, dessen Interessen der Papst so eindeutig vertritt, gibt es neben Russisch-Orthodoxen, Moslems und (nur noch wenigen) Juden praktisch keine Katholiken. Hingegen gibt es in der Ukraine neben den zwei rivalisierenden orthodoxen Kirchen immerhin auch sechs Prozent Katholiken, vor allem im ehemals zur k. und k. Monarchie gehörenden Teil der Ukraine.

Da werden sich jetzt die über vier Millionen Menschen der ukrainisch griechisch-katholischen Kirche und etliche Hunderttausend römisch-katholische Ukrainer durch die Worte des Papstes wohl ganz heftig in ihrem Glauben gestärkt und bestätigt fühlen. Haben die Unierten doch über 400 Jahre gegen zeitweise massiven Druck der moskauhörigen Orthodoxie die Treue zu Rom bewahrt. Das ist nun der Dank.

So traurig man sich als Katholik in diesen Stunden fühlen muss, so traurig macht schon seit langem die Haltung vieler Österreicher. Sie glauben offenbar allen Ernstes, dass sie den Frieden zum Nulltarif haben können, obwohl sie jede Solidarität, jeden Beistand verweigern. Sie glauben offenbar, dass es ihnen im Ernstfall irgendwie hilft, wenn sie einfach an ihren Grenzen Schilder "Achtung Neutralität!" aufstellen.

Sie könnten sich in diesem Glauben oberflächlich durch den "Global Peace Index 2023" bestätigt fühlen. Denn in diesem liegt Österreich global an der fünftfriedlichsten Stelle.

Aber natürlich ist genau das primär dem jahrzehntelangen Schutz durch die Nato zu verdanken (und sekundär der Tatsache, dass es praktisch keine gewaltsamen inneren  Auseinandersetzungen gibt). Dass die Nato selbst das friedlichste und am besten friedensschaffende Bündnis der Geschichte ist, sieht man auch daran, dass die ersten beiden Stellen in diesem Peace-Index von zwei Nato-Ländern, nämlich Island und Dänemark, eingenommen werden.

PS: Diese Global-Peace-Index-Studie ist am Beginn dieses Jahres veröffentlich worden – interessanterweise jedoch bei fast keinem österreichischen Medium auf Interesse gestoßen. Diese veröffentlichen solche internationalen Vergleichsstudien offensichtlich nur dann, wenn in diesen die Gemeinde Wien (in Wahrheit vor allem als Profiteur der Kulturleistungen des Bundes, die dieser wieder von der Monarchie übernommen hat) gut wegkommt. Wenn der Bund hingegen gut abschneidet, wird das ignoriert. Da kommen nur die schlechten Vergleichsstudien in den Medien gut heraus …

PPS: Auch die regelmäßigen Attacken dieses Papstes auf die Marktwirtschaft lassen nur noch verzweifelt kopfschütteln. Es könnte ihm einmal doch jemand vermitteln, dass es Völkern – vom relativ reichen bis zum relativ armen – umso besser geht, je freier die Marktwirtschaft ist (sofern auch Friede und Rechtsstaatlichkeit herrschen). Oder ist ihm mehr Gleichheit wichtiger – wie im Kommunismus, wo dann sehr rasch alle gleich arm waren?

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung