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Orbán zwischen Papst, Nehammer, Putin und Meloni

Dass Papst Franziskus schon zum zweiten Mal in das kleine Ungarn gefahren ist, hat im politmedialen Mainstream Verunsicherung ausgelöst – weshalb der Besuch medial kaum berichtet worden ist. Alle Versuche, aus den Papst-Worten Kritik an dem zum internationalen Bösewicht erklärten und nach langer Nähe zu Schüssel und Kurz den österreichischen Freiheitlichen nahegerückten Premier Viktor Orbán herauszulesen, sind jedenfalls gescheitert. Franziskus hat ganz im Gegenteil Aussagen gemacht, die im Mainstream gar nicht gern gehört werden, die aber zufällig ganz ähnlich zu zeitlich fast gleichzeitig gemachten Festlegungen des österreichischen Bundeskanzlers Karl Nehammer klingen. Das passt auch ganz zu Signalen des Papstes anlässlich der englischen Königskrönung.

Aus allem lässt sich eine ganz klare Ablehnung eines EU-europäischen Zentralismus und eine Verteidigung der nationalen Identitäten ablesen – während bei uns die Zadic-Staatsanwälte die Identitären wegen eines sehr ähnlichen Engagements vor den Strafrichter schleppen (was sie bisher bei Papst oder Nehammer noch nicht versucht haben).

Diese klare Positionierung zur Wichtigkeit der nationalen Identität ist zumindest bei Kirche wie ÖVP ein wenig überraschend. Waren doch beide in den letzten Jahrzehnten durch eine fast dogmatische EU-Begeisterung geprägt. Die Kirche hat lange jede Kritik an Brüssel vermieden:

  • weil sie, erstens, ja selbst eine supranationale Struktur ist;
  • weil sie, zweitens, zu Recht in der EU das damals notwendige Gegengewicht zum atheistisch-totalitären Ostblock gesehen hat, der heute nur noch in Putin weiterlebt;
  • und weil, drittens, alle Gründerväter der EU Christdemokraten gewesen sind (denen freilich ein ganz anderes Europa vorgeschwebt war als das der heutigen Brüsseler Überregulierer).

Auf der anderen Seite hat die Kirche meistens das Ohr besser als viele ideologische Politiker nahe an den einfachen Menschen. Sie weiß seit langem um die emotionale und seelische Bedeutung von Heimat und Nation für die Menschen. Daher spürt sie zunehmend die wachsende Entfremdung zwischen allzu machtgierig gewordenen Brüsseler Zentralbehörden, die sich in immer mehr Dinge einmischen, die mit einem Binnenmarkt absolut nichts zu tun haben, auf der einen Seite und der Bevölkerung auf der anderen.

Den einzelnen Völkern ist – vielleicht mit Ausnahme Luxemburgs – die eigene Nation emotional näher als Europa, so sehr auch eine große Mehrheit in Handels- und Wirtschaftsfragen die Vorteile eines gemeinsamen Marktes durchaus erkennt. Daher wäre es eigentlich undemokratisch, Europa noch zentralistischer zu machen, wie es aber insbesondere die Gruppe der ersten sechs EU-Mitglieder will. Die meisten anderen Nationen lehnen hingegen strikt den Plan dieser Gruppe ab, das Einstimmigkeitsprinzip abzuschaffen, also die Regel, dass insbesondere in Außen-, Sicherheits- und Steuerpolitik nur dann etwas beschlossen werden kann, wenn absolut alle Länder zustimmen.

Dieses Nein zur Herrschaft der Mehrheit anstelle eines Konsenses kam jetzt in überraschender Deutlichkeit auch von Karl Nehammer. Dieser hatte sich da früher eher zurückgehalten, sodass die nach Brüssel entsandten Schwarzen von Fischler bis Hahn (oder gar Karas) den ÖVP-Ton angeben konnten. Diese haben sich immer sofort, sobald sie in Brüssel Funktionen übernommen haben, am Gefühl begeistert, nunmehr für mehr als 440 Millionen Regeln konzipieren zu können statt nur für 9 Millionen. Im Gegensatz zu dieser (aus Eigeninteresse auch von den Wirtschaftsverbänden transportierten) EU-Euphorie sagte Nehammer jetzt erfreulich deutlich: "Wir werden niemals in einem schablonenhaften System wie die Vereinigten Staaten zusammenpassen." Europa bedeute Vielfalt.

Was für ein erstaunlicher Gleichklang mit dem fast zur gleichen Stunde aus Budapest zurückgekommenen Papst, der sich nur etwas blumiger ausgedrückt hat: Brüssel soll ein Ganzes sein, "das die Teile nicht plattdrückt". Europa dürfe sich nicht "in eine zerfließende, wenn nicht gar gasfömige Wirklichkeit" verwandeln. Europa dürfe nicht "eine Art abstrakter Überstaatlichkeit" werden, "die das Leben der Völker vergisst".

Wenn der Papst solches noch dazu in Zusammenhang mit Ungarn sagt, das immer wieder vor einem solchen Plattdrücken durch Brüssel bangen muss, dann ist das ganz eindeutig nicht nur seine Vision von Europa, sondern auch eine massive Unterstützung für Viktor Orbán. Dafür gibt es auch außerhalb des vom Papst angesprochenen Gegensatzes Europa vs. Identität Gründe:

  • Ungarn unterstützt mehr als jedes andere europäische Land die bedrohten christlichen Diaspora-Gemeinden in islamischen Ländern.
  • Ungarn betreibt mehr als jedes andere Land eine betont familien- und kinderfreundliche Politik.
  • Ungarn lehnt wie der Papst die sogenannte "Genderkultur" ab und teilt seine Sorge um die demographische Entwicklung Europas.
  • Ungarn verbietet die Verbreitung von Trans- und Homosexualitäts-Propaganda in Schulen.

Auffallend zart waren hingegen die Worte des Papstes in Hinblick auf die Migration. Er zitierte dazu nur den Heiligen Stephan, den Gründer Ungarns, mit der "Empfehlung", auch zu den Fremden "freundlich zu sein".

Trotz dieser Unterstützung durch den Papst ist Ungarns Strategie eine recht kühne: Denn Orbán setzt neuerdings außenpolitisch alles auf die Karte Donald Trump, auf dessen Rückkehr ins Weiße Haus. Und das ist nun mehr als gewagt. Denn wenn Trump nicht gewinnt, was wahrscheinlich ist, steht Orbán ziemlich alleine da. Feinde in Washington, Feinde in Brüssel – da wird ihm wohl auch die Karte Putin nicht sonderlich helfen (und die der FPÖ schon gar nicht).

Vor allem da Putin auch im eigenen Land beziehungsweise im Krieg rapide wachsende Probleme hat.

  • Da eskaliert der Streit zwischen dem Milizenführer Prigoschin und der Armee immer lauter.
  • Da schaffen es unfreundliche Drohnen auf unbekannter Flugroute bis zum Kreml.
  • Da entgleisen in den letzten Tagen allzu oft russische Züge.
  • Da gehen allzu oft russische Treibstofflager in Flammen auf.
  • Da mangelt es dem Riesenland zunehmend an kampfeswilligen Rekruten.
  • Da werden im Süden der Ukraine zahlreiche besetzte Ortschaften evakuiert, noch bevor die ukrainische Offensive begonnen hat.
  • Und da schafft es Russland nicht einmal, die seit Monaten als einziges konkretes Ziel belagerte Kleinstadt Bachmut zu erobern.

So sehr man Orbán unterstützen kann, ja muss, bei seinem Kampf gegen Brüsseler Bevormundung, gegen schwule und Trans-Propaganda in den Schulen, gegen jede Form der illegalen Migration, so unverständlich, ja absurd und charakterlos ist seine Haltung zum Ukrainekrieg und die offensichtliche Sympathie für den immer mehr an Adolf Hitler erinnernden Putin. Daran ändert es nichts, dass er als Schutzherr der ungarischen Minderheit in der Ukraine unzufrieden ist, weil er diese  nicht gut behandelt sieht.

Bei klügerem strategischem Denken würde Orbán sich jedoch mehr für das Beziehungsfeld interessieren, das sich da zwischen Nehammer und dem neuen italienischen Superstar Giorgia Meloni entwickelt, und das vor allem um das auch ihm am Herzen liegende Thema Migrationsabwehr kreist. Es ist freilich zugegeben noch alles andere als klar, inwiefern Nehammer und Meloni zu konkreten und gemeinsamen Ergebnissen gekommen sind. Aber wenn es eine positive Entwicklung in Europa zur Migrationsabwehr gibt, dann kann sie eigentlich nur um Meloni kreisen.

Und wenn eine Lösung inhaltlich etwas bringen soll, dann kann sie nur gemäß dem britischen Modell geschehen: Die besteht in dem schon weit vorangetriebenen Plan der Abschiebung aller illegalen Migranten Richtung Ruanda.

Damit kommen wir wieder zum Papst. Denn er schickt zur englischen Königskrönung die Nummer Zwei der kirchlichen Hierarchie nach London. Das ist eine Sensation, da die römisch-katholische Kirche seit der Abspaltung der Anglikaner alle britischen Königskrönungen total boykottiert hat. Hängt die nunmehrige Änderung nur damit zusammen, dass König Charles positiver über die römische Kirche spricht als alle seiner Vorfahren seit Heinrich VIII.?

Darüber hinaus ist aber Tatsache, dass die Krönung und die hohe Visite aus Rom zu einem Zeitpunkt kommen, da die Briten in Opposition zum Brüsseler Zentralismus aus der EU ausgetreten sind, was zahllose Europäer moralistisch getadelt haben – nicht jedoch der Papst.

Und Tatsache ist auch, dass die britische Regierung ernster als jede andere die Abschiebung illegaler Migranten vorantreibt, was zahllose Europäer moralistisch getadelt haben – nicht jedoch der Papst, obwohl er schon öfter das Wort zugunsten der Migranten ergriffen hat.

Ganz offensichtlich ist Franziskus bemüht, den Menschen Europas wieder näherzukommen. Und ganz offensichtlich ist Karl Nehammer beim Thema Europa bemüht, den Menschen in Österreich wieder näherzukommen.

Das sollte auch den eingefrorenen Dialog zwischen Wien – zumindest zwischen der schwarzen Hälfte der Regierung – und Budapest wiederbeleben. Eine gute Zukunft für Budapest kann es nur zusammen mit Wien und vor allem beiden Teilen Roms geben. Und umgekehrt. Denn im Alleingang bringt keiner was voran – bei aller Wertschätzung für die nationale Identität.

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