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Nehammer: Da fehlt doch was

Karl Nehammer hat erstmals umfassend darzulegen versucht, wofür er und seine Partei heute stehen. Er hat damit auch einen längst fälligen Schritt aus dem Schatten seines Vorgängers heraus gemacht. Da war viel Richtiges dabei, manch kluge neue Gedanken, manch Bekanntes (und dennoch noch immer Richtiges), freilich auch zwei Punkte, wo Nehammer schlicht – aus Populismus oder Ahnungslosigkeit – falsch liegt. Der größte Kritikpunkt liegt aber in den Defiziten, also einerseits in den vielen Punkten, die eigentlich in einem Zukunftskonzept dringend notwendig wären, die er sich aber nicht zu sagen oder denken traut, und andererseits in der Partnerfrage: Der ÖVP-Obmann kann doch nicht im Ernst glauben, dass die Grünen inhaltlich ein geeigneter Partner wären, um dieses zwar vorsichtig, aber doch klar liberalkonservative Programm durchzuziehen.

Der noch von Vorgänger Sebastian Kurz verschuldete Irrglaube an die Grünen lähmt die ÖVP und ihre Glaubwürdigkeit seit dreieinhalb Jahren. Aber vielleicht – so bleibt die Hoffnung – ist mit der Nehammer-Rede ja ein Anfang gemacht, endlich mehr darüber nachzudenken. Es kann ja nicht sein, dass man nur in solchen programmatischen Grundsatztexten noch weiß, wo die bürgerlichen Wähler sind, dass sich diese im konkreten Handeln der Partei aber längst nicht mehr erkennen können.

Jedenfalls beweisen die hasserfüllten und empörten Reaktionen der grünen NGO-Szene, dass Nehammer inhaltlich etliche richtige, notwendige und wichtige Akzente gesetzt hat. Das gibt in Summe doch Anlass zu Beifall für den Bundeskanzler.

Bei den folgenden Details sei mit dem Positiven begonnen, bevor Nehammers Irrtümer angesprochen werden und das, wo er sich nicht getraut hat oder nicht imstande ist, Notwendiges beim Namen zu nennen.

Das Richtige

  1. Am meisten hat als neues, kantiges und positives Element aufmerken lassen, dass der ÖVP-Chef eine Dienstverpflichtung für fertige Medizinstudenten verlangt. Das wäre eine sehr kluge Maßnahme, um den vom EU-Gerichtshof verursachten und zunehmend katastrophal werdenden Ärztemangel zu mildern. Dieser ist ja nicht zuletzt dadurch entstanden, dass alle Deutschen, die es daheim wegen schlechter Noten nicht schaffen, bei uns sogar die teuersten Studien gratis absolvieren können. Gerade bei Medizin können die Studienplätze nur sehr mühsam vermehrt werden, wenn man sie in der gleichen Qualität halten will. Von den deutschen Gratisstudenten kehren nach dem Studium jedenfalls fast alle wieder heim ins Reich (und mit ihnen noch etliche von den Österreichern, die das wohlfahrtsstaatliche Gratisstudium dann mit den fetten Gehältern in Deutschland kombinieren). Dieser Irrsinn könnte durch Nehammers Vorschlag – wenn auch ein Vierteljahrhundert zu spät – entschärft werden: Alle Medizinabsolventen arbeiten entweder fünf Jahre hierzulande oder zahlen die Kosten des teuren Studiums zurück (Alle SPÖ-Genossen, die jetzt über diese teilweise Wiedereinführung von Studienkosten reflexartig empört sind, sollten den Mund halten: Genau dieses System hat ihre Gemeinde Wien etwa bei Kindergärtnern in noch restriktiverer Form schon lange eingeführt).
  2. "Endlich!" kann man nur zu Nehammers Ankündigung sagen, sich auf EU-Ebene gegen das Verbot des Verbrennungsmotors auszusprechen. Es stellt sich nur die Frage, ob sein Nein nicht zu spät kommt, ob nicht Frau Gewessler auf ihrer europäischen Verkehrsminister-Ebene das grüne Irrsinnsprojekt inzwischen schon im Alleingang durchziehen kann, wenn nicht mit ÖVP-Hilfe noch ein bindender Nationalratsbeschluss dagegen erfolgt.
  3. Überraschend – und Konfliktstoff mit den eigenen Landesparteien – ist die Forderung, dass der Wohnbauförderungsbeitrag (der seit einiger Zeit spurlos in den Länderbudgets verschwindet) wieder ganz dem Wohnbau gewidmet werden soll.
  4. Nicht ganz neu, aber noch immer goldrichtig ist sein Verlangen, dass Migranten erst nach fünf Jahren vollen Anspruch auf Sozialleistungen haben.
  5. Das Gleiche gilt für das Verlangen, dass die Arbeitslosen-Unterstützung am Anfang ansteigen, aber mit Fortdauer der Arbeitslosigkeit deutlich abnehmen soll. Ist doch angesichts der Arbeitsmarkt-Situation Arbeitslosigkeit über längere Zeit fast immer ein Produkt des Nicht-Wollens oder heimlichen Pfuschens.
  6. Noch viel weniger neu, aber ebenso richtig ist auch seine Forderung nach Senkung der Abgabenquote von 42 auf 40 Prozent. Konkret vermisst man jedoch – bis auf die längst dringend fällige Streichung der Grunderwerbssteuer – jeden Vorschlag Nehammers, wie das denn zu erreichen und durch welche Einsparungen das gegenzufinanzieren wäre.
  7. Auch bei vielem anderen fehlten unter den goldrichtigen Überschriften dann die eigentlich wichtigen Unterschriften komplett, bei deren Konkretisierung es ja erst richtig haarig würde:
    • So etwa mit dem schönen Satz, dass es nicht sein könne, "dass die einen nur mehr work, und die anderen nur mehr life haben" (ja, und was weiter?);
    • So etwa bei der an sich richtigen Forderung, dass Kinder bei Verlassen der Schule Deutsch auch tatsächlich können müssen (was ist das bitte außer leerem Wunschdenken, wenn nicht die Eltern endlich diesbezüglich unter Druck kommen?);
    • So etwa mit der an sich richtigen Forderung, die Schere zwischen Einkommen aus Arbeit und Bezug aus Sozialleistungen müsse wieder größer werden (die wirkliche Politik der ÖVP ist in den letzten Jahren unter Druck linker Sozialduselei jedoch in die Gegenrichtung gegangen – das war etwa ablesbar an den Pensionserhöhungen, wo immer jene benachteiligt worden sind, die sich ihre Pension durch Arbeit, also Beitragsleistungen, weitgehend erarbeitet haben gegenüber den anderen, die nichts oder wenig beigetragen haben);
    • So etwa mit seinem an sich richtigen Seitenhieb auf das Gendern (ohne aber reuevoll und besserungswillig dazuzusagen, dass diesem leider zum Teil auch von der ÖVP der Weg gebahnt worden ist – etwa durch die skurrilen "Töchter" in der Bundeshymne, etwa durch das Gendern in Gesetzestexten, etwa durch Einführung von Krampftiteln wie "Doktorin" usw.).
    • So etwa mit dem Wunsch, dass die Österreicher mehr Wohnungseigentum besitzen sollen (warum nicht den Schritt des Herrn Doskozil übernehmen, dass alle Erwerber von Genossenschaftswohnungen mit ihren Beiträgen auch schrittweise das Eigentum erwerben?).

Der Unsinn

Im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik ist Nehammer nach wie vor völlig blank:

  1. Verzweifeltes – wenn auch angesichts seiner bisherigen Äußerungen nicht ganz überraschtes – Kopfschütteln löst Nehammer mit dem unreflektierten Festhalten an der Neutralität und der beweisfreien Behauptung aus, diese wäre eine "Sicherheitsstrategie". Da war gerade die ÖVP schon viel weiter in der Analyse.
  2. Zumindest problematisch ist auch seine – freilich nicht näher präzisierte – Passage, für eine Änderung der EU-Verträge in Kompetenzfragen bereit zu sein. Das löst angesichts der Tatsache, dass noch jede Vertragsänderung zu einer weiteren Machtakkumulierung für die EU-Zentralinstitutionen geführt hat, und dass alle Bekenntnisse zur Subsidiarität reines Papier geblieben sind, große Sorge aus. Denn in Wahrheit besteht neben dem – schon lange gut ausgebauten – Binnenmarkt nur noch auf einer einzigen Ebene Bedarf an mehr statt weniger Europa: Das wäre gerade in Zeiten wie diesen die militärische Sicherheit der EU-Länder. Aber gerade das dürfte der ÖVP-Chef mit jener kryptischen Bemerkung wohl nicht gemeint haben. Denn zu diesem Thema lässt er mit seinem Neutralitätsklammern eigentlich nur Kontraproduktives hören.

Das Fehlende

Alles, was gänzlich fehlt, fällt zwar beim ersten Lesen seiner Rede gar nicht auf. Aber Vieles hätte unbedingt bei einer so umfassenden Rede mit diesem Anspruch unbedingt angesprochen gehört. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass Nehammer sich sonst relativ oft in Details verliert wie etwa in der Frage, wann denn in der Schule Programmieren auf dem Lehrplan stehen soll (was übrigens überhaupt ein überholtes Verlangen sein dürfte. Denn um sich gut im Internet und in der EDV-Welt bewegen zu können, muss man genauso wenig Programmieren können, wie ein guter Autofahrer die ganze Elektronik seines Gefährts durchschauen muss. Da ist "Programmieren" zumindest das völlig falsche Wort).

  1. Abgesehen von der plakativen Formel, das Asylsystem müsse sich ändern, und der erwähnten Idee, in den ersten Migrantenjahren die Sozialleistungen zu kürzen, fehlt gerade zu jenem Zentralthema, dem Nehammer zuletzt viel Zeit gewidmet hat, jeder Mut, also zum Thema der illegalen Massenmigration. Dabei ist längst klar, dass nur die von Dänemark und Großbritannien angepeilte und einst von Kurz zumindest angedeutete Strategie die Migrationskatastrophe bremsen kann. Dabei ginge es darum, Asylverfahren nach dem erfolgreichen australischen Beispiel nur außerhalb der Grenzen Europas durchzuführen, also jeden illegal Hereingekommenen wieder in ein außereuropäisches Zentrum zu bringen. Wenn Nehammer wirklich über die Zukunft nachdenken wollte, müsste er diesen Zusammenhang auch längst erkannt haben. Ehrliche Politik müsste auch zugeben, dass das wohl auch eine Präzisierung der Europäischen Menschenrechtskonvention mit sich bringen muss, dass es dabei auch wieder eine rechtliche Trennung zwischen den Grund- und Freiheitsrechten für die europäischen Bürger und den allgemeinen Menschenrechten für alle acht Milliarden Erdbewohner bräuchte.
  2. Völlig der Mut verlassen hat Nehammer auch in Hinblick auf die Notwendigkeit, das gesetzliche Pensionsantrittsalter anzuheben. Dabei kann nur so wirksam auf die steil gestiegene Lebenserwartung reagiert werden, nur so können die Pensionen der Zukunft gesichert werden, nur so kann verhindert werden, dass wir wertvolle und gesunde Arbeitskräfte an ein dumpfes Pensionistendasein verlieren.
  3. Ebenfalls keinen Mut hat er in Sachen Rechtsstaat gezeigt, wo etwa immer öfter Unter-14-Jährige schwere Verbrechen begehen, wo die Klimaterroristen den Staat und seine arbeitswilligen Bürger immer frecher herausfordern und als Geiseln nehmen, wo Meinungsdelikte mehr verfolgt werden als Gewaltdelikte, wo ein Teil der Staatsanwaltschaft losgelöst von jeder rechtlichen Kontrolle wilde Menschenjagden veranstalten kann.
  4. Wenn ich nicht alles überhört oder überlesen habe, ist ihm auch zu einer einstigen ÖVP-Kernkompetenz, zur Familie, nichts eingefallen und dazu, wie man junge Eltern dazu ermutigen kann, wieder mehr Kinder in die Welt zu setzen.
  5. Ebensowenig ist ihm eingefallen, das einzige wirklich verbreitete soziale Problem anzusprechen, nämlich die Altersarmut vieler Frauen, die mit einem Splitting der Pensionsansprüche zweier Ehegatten viel besser gelöst wäre als mit dem altertümlichen Konzept "Witwenpension".
  6. Aus dem Weg gegangen ist er auch allen globalpolitischen Fragen, etwa der Notwendigkeit, dass Europa und ganz Amerika sich dringend zu einer Freihandelszone zusammenschließen sollten; oder wie mit dem wachsenden Dominanzanspruch Chinas umgegangen wird.
  7. Fast schon erwartbar war nach den jämmerlichen Anläufen seiner Medienministerin, dass Nehammer auch nicht zu einem klaren Nein zu jeder Zwangsfinanzierung für den ORF imstande ist (welcher im Radio provozierenderweise einen Herrn Kappacher mit dem Bericht über Nehammers Rede beauftragt hat). Dabei würde das einen konkreten Schritt zur Senkung der Abgabenquote bedeuten.
  8. Noch mehr erwartbar gewesen, aber dennoch weiterhin bedauerlich ist, dass Nehammer auch allen Notwendigkeiten völlig aus dem Weg gegangen ist, in einer Zukunftsrede über eine bessere Energieversorgung Österreichs nachzudenken – etwa durch Erwähnung des Tabuthemas Atom, wo es ja inzwischen viele neue, viele sichere Reaktortechnologien gibt; oder etwa durch Erwähnung der großen Erdgasvorräte unter dem Boden Österreichs; oder etwa durch ein Nein zum gerade jetzt freilich erst durch die Koalition erleichterten Zupflastern der schönen Landschaften Österreichs durch Tausende Betonwindmühlen.
  9. Leider gibt es auch zur notleidenden Gesundheitspolitik – wo Linken ja immer nur der Ruf nach noch mehr Geld einfällt – keinerlei Therapievorschläge. Etwa zur Konfliktzone zwischen niedergelassenen Ärzten und den Spitälern. Etwa zur gegenseitigen Kostenabschiebung zwischen Krankenkassen und Bundesländern.
  10. Auch die Landesverteidigung und die einseitig nur auf Männern lastende Dienstpflicht hätten Thema einer wirklich mutig nach vorne weisenden Grundsatzrede sein müssen.
  11. Völlig aus dem ÖVP-Denken entschwunden ist auch die Notwendigkeit eines Umbaus des Bundesstaats, mit dem sichergestellt würde, dass jede Ebene für das Geld, das sie ausgibt, auch auf der Einnahmenseite die Verantwortung trägt.
  12. Zum Feld der Kultur fällt Nehammer zwar der alte Spannungsbogen zwischen Nitsch-Museen und Blasmusikkapellen ein, aber nicht die viel dringendere Notwendigkeit, die Schönheit unserer Orte und Städte gegen Spekulanten aller Art wie auch gegen selbstverwirklichende Bürgermeister zu verteidigen.

PS: Zur Professionalität, an der Nehammer noch viel arbeiten (lassen) muss, würde auch gehören, dass seine Rede in vollem Textwortlaut auf der ÖVP-Seite zu finden wäre. Aber schmecks. In der Partei herrscht bitterer Amateur-Standard – der natürlich auch für Nehammer kein gutes Bild abgibt.

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