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Der Zölibat – ein Umdenken mit vielen Fragezeichen

Es ist wahrscheinlich der einzige, wenn auch verzweifelte Ausweg für die tief zerstrittene katholische Kirche (die allerdings nicht schlechter dasteht als viele andere Religionsgemeinschaften – auch wenn es keine Fälle wie bei den Zeugen Jehovas gibt, wo ein frustriertes Exmitglied einen Massenmord begeht). Papst Franziskus hat den Zölibat, also die verpflichtende Ehelosigkeit von Priestern, in einem Interview erstmals als revidierbar hingestellt. Damit ist dieser zwar noch nicht aufgehoben; aber sehr oft bereiten solche hingeworfenen Äußerungen grundlegende rechtliche Änderungen vor. Die Kirche wird dabei jedoch – fast hätte ich gesagt: höllisch – auf eines aufpassen müssen.

Das ist die zentrale Aufgabe: eine Einheit zu sein. Allzu oft in der Geschichte des Christentums ist dieses ja genau an dieser Einigkeits-Notwendigkeit gescheitert. Von den Arianern über die lutherische Reformation bis zu den heutigen Evangelikalen, die binnen weniger Jahrzehnte zu einer der mächtigsten christlichen Strömungen angewachsen sind, von denen man nicht einmal genau weiß, wieweit sie noch innerhalb oder schon außerhalb von Katholizismus und Protestantismus stehen.

Gerade die Evangelikalen zählen eher zu den Konservativeren unter den Christen. Weshalb sehr spannend sein wird, wie dort auf die Öffnungssignale von Franziskus in Sachen Zölibat reagiert wird.

Doch jenseits dieser historischen Spaltungen, Zentrifugaltendenzen und Schismen hat sich in letzter Zeit auch innerhalb der katholischen Kirche (wieder einmal) ein tiefer Riss gezeigt. Auf der einen Seite steht da ein starker, fest in der Tradition verwurzelter Katholizismus, der von Polen bis Afrika und Asien reicht. Tatsache ist, dass die Kirche gerade in diesen anderen Kontinenten starken Zulauf erhält. Sehr im Unterschied zu Europa, wo wichtige Teile des Kirchenapparats geradezu militant auf der modernistischen Seite stehen. Das ist auch die große Schwäche des progressiven Flügels, dass er keine Erfolgsgeschichten zu erzählen hat. Sein Dauer-Spin "Wir wären ja ohnedies erfolgreich, würden uns nicht der Papst und der Vatikan daran hindern" ist nicht wirklich überzeugend. Dennoch hat vor allem die Kirche in Deutschland einen sehr starken antirömischen Weg entwickelt, bei dem in den letzten Monaten nur knapp ein neuerliches Schisma verhindert werden konnte.

Als deutscher "Synodaler Weg" haben in den letzten Wochen ein paar hundert Funktionäre aus dem katholischen Raum, bis hin zu lesbisch verheirateten Theologie-Professorinnen, kampfentschlossen und wider alle Warnungen aus Rom versucht, die in den letzten 2000 Jahren eher monokratisch geführte Kirche in eine Basisdemokratie zu verwandeln. Das konnte von den Bischöfen nur recht mühevoll eingefangen werden, die ahnten, dass sonst in der Tat eine Kirchenspaltung gedroht hätte. Diese hätte aber wahrscheinlich die Kirchengebäude noch mehr geleert, statt wieder befüllt.

Dennoch sieht es wie ein Teilzugeständnis des Papstes an den Synodalen Weg der Deutschen (und einiger anderer westlichen Kirchen) aus, dass er nun erstmals den Zölibat als etwas praktisch jederzeit Revidierbares dargestellt hat. Wollte der Papst damit einen Kompromiss zu dem noch viel umfangreicheren synodalen Forderungskatalog der Deutschen anbieten, um eine Sezession der Progressiven zu vermeiden? Möglich ist aber durchaus auch, dass der Papst schon länger an eine Infragestellung des Zölibats gedacht hat, weil er ja selbst den globalen synodalen Prozess in die Wege geleitet hat und eigentlich wissen musste, was da kommen wird. Es ist durchaus denkbar, dass er geradezu auf solche Signale von unten gewartet hat, um sie aufzugreifen, dass er bewusst ein so heikles Thema nicht von oben als einsame Anordnung durchsetzen wollte.

Freilich: Die deutsche Kirche ist alles andere als die Weltkirche. Und Franziskus wäre gut beraten, jetzt eine Zeitlang genau anzusehen, wie anderswo auf die deutschen Vorschläge und vor allem seine Zölibats-Bemerkungen reagiert wird. Die Kirche denkt ja sowieso immer in langen Fristen.

Was ist der Zölibat aber selbst, würde ihn irgendjemand nur auf seinen Wert und seine Funktion hin und nicht als Symbol für eine totale Basisreformation ansehen?

Er ist ein Konzept, das den Priester gleichsam zur universellen Vertrauensperson für Männer und Frauen macht, zu einer Bestätigung der Andeutung, dass um ihn etwas ist, dass nicht aus dieser Welt ist. Es soll vor allem dafür sorgen, dass der Pfarrer sich ganz um seine Gemeinde kümmern und auch sonst auf seine Aufgaben konzentrieren kann. Hätte er selbst eine Familie, würde seine Hinwendung jedenfalls geteilt sein. Gleichzeitig wissen wir, dass das gute Führen eines Familienlebens eine ähnlich große Herausforderung darstellt wie der Zölibat. Dass also umgekehrt auch Priester als Familienväter und Ehemänner genauso versagen können wie im Zölibat.

Auf der anderen Seite bedeutet der Zölibat eine fast untragbar schwere Last. Auf Sexualität ganz zu verzichten ist vor allem für jüngere Männer fast unmöglich – womit schon fast automatisch ein Scheitern programmiert ist. Zugleich ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass als Folge des Zölibats ein Teil der Männer primär deshalb in den Priesterberuf flüchtet, weil eine Beziehung gescheitert ist oder die Angebetete sich einem anderen zugewandt hat.

Der Zölibat macht den Priesterberuf auch zum Magnet für alle jene, die in Wahrheit mit Frauen nichts anfangen können, und die insgeheim oder auch praktizierend homosexuell sind, die aber als Priester glauben, all den damit verbundenen Problemen und blöden Fragen entgehen zu können.. All das wirft die Frage auf, ob unter den Priestern nicht auch etliche sind, die sich die Kirche eigentlich gar nicht in diesem Beruf wünschen kann. Was dann auch sehr rasch zu der Frage führt, ob nicht auch die Fälle von sexuellem Missbrauch etwa von Kindern mit all dem zusammenhängt. Auch wenn man immer wieder festhalten muss, dass der Medienmainstream Missbrauchsfälle in der Kirche immer viel lustvoller auswalzt als solche unter Lehrern oder in öffentlichen Kinderheimen.

Aber auch für alle anderen Priester ist der Zölibat einerseits ein täglicher Kampf um Selbstdisziplin und noch mehr ein täglicher Kampf gegen die Einsamkeit, wenn sie abends in ihre Wohnung kommen. Gehen in diesen Kämpfen nicht auch viele wertvolle Energien verloren?

Gleichzeitig sei noch auf ein anderes Faktum verwiesen: Jahrhunderte, ja Jahrtausende war der Priesterberuf für viele junge Männer der einzige Weg zu einer besseren Erziehung und zum Studium. Für viele Bauernsöhne, die nichts geerbt haben, war er sogar oft die einzige Alternative zum Knecht-Dasein – ganz ähnlich für Habsburger Söhne, auf die kein Herrschaftsthron, dafür umso sicherer ein Bischofsamt wartete.

Auf all diese vielen Männer, die einst in die Priesterseminare strömten, muss die Kirche in einer total gewandelten Gesellschaft verzichten. Das hat zwar in Wahrheit gar nichts mit Fragen der Ehe oder Sexualität zu tun. Aber der Wegfall so vieler Priesterkarrieren rückt nun diese Fragen in den Vordergrund. Wobei es keineswegs sicher ist, ob dadurch der Priestermangel wirklich behebbar ist, der zuletzt ja nur noch durch Massenimporte aus Polen, Afrika oder Indien gestopft werden konnte.

Was sich aber jedenfalls positiv auswirken würde, ist ein anderer Aspekt: Die Kirche würde nicht mehr jene Männer verlieren, die halt trotz bester Vorsätze den Zölibat nicht durchhalten, die ihrer Einsamkeit entfliehen wollen, die aber auch kein heimliches Verhältnis wollen, die daher heiraten und aus dem Beruf ausscheiden.

Tatsache ist freilich auch, dass es in der katholischen Kirche schon seit mehr als 400 Jahren verheiratete Priester gibt, nämlich die sogenannten griechisch-katholischen. Und über den Familienstand der Urkirchen-Priester weiß man wenig Genaueres. Mit der Union von Brest 1596 ist jedenfalls ein Teil der osteuropäischen Orthodoxie wieder unter die Jurisdiktion von Rom gewechselt und hat dabei die Tradition der Ostkirche behalten, dass die Pfarrer verheiratet sein dürfen. In der Orthodoxie müssen nur die Bischöfe – Metropoliten und Patriarchen – ehelos sein, was dazu führt, dass die Klöster, wo immer die Ehelosigkeit gegolten hat, oft einziger Rekrutierungsplatz für die Kirchenoberhäupter sind.

Wahrscheinlich wäre die Kirche am besten beraten, in ähnlicher Weise beide Wege parallel zu versuchen. Darauf läuft ja auch in etwa das Konzept der "Viri probati" hinaus, das seit einiger Zeit im Westen diskutiert wird: Dabei geht es um nicht mehr ganz junge Männer, die sich schon im Ehestand bewährt haben, die auch etliches an Lebenserfahrung in den Beruf mitbringen, wenn sie in den Priesterberuf wechseln. Freilich: Was heißt schon "bewährt" – gibt es doch Ehen, die auch erst nach Jahrzehnten peinvoll scheitern.

Jedenfalls scheint es gut zu sein, dass jetzt gleichsam offiziell, aber behutsam über sinnvolle Lösungen nachgedacht werden darf. Eine Zauberformel wäre ein Ende des Zölibats aber jedenfalls nicht. Denn wäre es das, dann wären die protestantischen Kirchen gut weg, die ja schon lange verheiratete und weibliche Priester haben, die kein Problem mit Geschiedenen und Schwulen haben usw. Sie stehen aber eindeutig in jeder Hinsicht noch schlechter da als die römische Kirche.

Menschen sehnen sich halt in ihrer Religion nach etwas, das als Träger der Transzendenz ewigen Bestand und zeitlose Gültigkeit ausstrahlt, das nicht wie ein Papierschiff vom Zeitgeist hin und her gebeutelt wird.

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