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Die Massenmigration und das bürgerliche Trauerspiel im VfGH

Es ist ein exzellenter juristischer und politphilosophischer Text aus der Zeit des (bisherigen) Höhepunkts der Massenmigration nach Mitteleuropa, der da vor unserer Runde liegt. Er hat überhaupt nichts von seiner Gültigkeit verloren: "Die Staatsgewalt erscheint ratlos. Verfassungsprinzipien wie das Demokratie- oder das Rechtsstaatsprinzip geraten durch die Wucht der Ereignisse unter Druck. Der Rechtstaat ist im Begriff, sich im Kontext der Flüchtlingswelle zu verflüchtigen …" Diese Welle (des Jahres 2015) dürfte nur "ein erster Vorgeschmack auf künftige globale Wanderungsbewegungen sein". Wie prophetisch: Inzwischen bekommen wir ja schon allüberall die nächste Welle dieser "Wanderungen" zu schmecken. Diese waren zwar während Corona zurückgegangen, haben in den letzten Monaten aber wieder steil zugenommen. Wir können den mutigen Worten des Autors daher nur voll zustimmen, die in der Formulierung gipfeln: "Staatsfinanzierte Medien üben sich in Hofberichterstattung, das Volk wird stummer Zeuge der Erosion seiner kollektiven Identität." Wer aber hat das so deutlich beschrieben?

Wer wagt deutlicher als die gesamte politische und mediale Szene zu sagen: "Das Volk wird stummer Zeuge der Erosion seiner kollektiven Identität"? Die meisten Anwesenden tippen auf Martin Sellner von den Identitären als Autor. Was sofort zur Vermutung führt, dass jetzt einem linken Staatsanwalt und erst recht der Justizministerin das Wasser im Munde zusammenlaufen wird: Jetzt haben sie ihn. Wie leichtsinnig war der Autor doch, vom Volk und seiner Identität zu reden! So etwas denkt man sich doch nur noch. So etwas schreibt man doch nicht. Auch wenn dieses Volk schon im ersten Absatz der Bundesverfassung als einzige Quelle allen Rechtes steht ...

Ich wagte einzuwerfen, dass ich selbst sehr oft Ähnliches geschrieben habe, wenn auch vielleicht nicht so wortgewaltig. Dennoch war auch ich bass erstaunt, als das Rätsel gelöst wurde: Der Autor ist niemand anderer als Christoph Grabenwarter. Er ist Präsident des österreichischen Verfassungsgerichtshofs; er ist seit 16 Jahren Richter an diesem VfGH; und er ist seit 24 Jahren habilitierter Universitätsprofessor für Verfassungsrecht.

Grabenwarter hat diesen Text zusammen mit Georg Depenheuer im ersten Absatz des Buches "Der Staat in der Flüchtlingskrise" geschrieben, in dem nicht weniger als 16 verschiedene Staatsrechtslehrer ihre Sorge über die 2015 begonnenen Entwicklungen beschrieben haben. Sie haben das Buch gemeinsam herausgegeben. Depenheuer ist ein ebenfalls hochrenommierter deutscher Professor der Staatslehre und Rechtsphilosophie.

Dieser Text gilt für Österreich noch viel mehr als für Deutschland. Wird doch die Alpenrepublik im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße noch viel heftiger von der Migrationswelle überrollt als Deutschland und der gesamte Rest Europas: So entfiel in Österreich heuer im ersten Halbjahr ein Asylantrag auf 926 Einwohner, in Deutschland hingegen auf 1772; und in dem ständig die Umverteilung von illegalen Migranten auf andere Länder verlangenden Italien sogar auf 2927.

Eine ähnliche Sprache sprechen die Zahlen, wie oft Asylberechtigte, aber auch "subsidiär Schutzberechtigte", in Österreich Pflegegeld bekommen. Im Dezember 2020 haben 1774 von ihnen diese zusätzliche Unterstützung bezogen, das sind 263 Prozent der viel geringeren Zahl jener Asylberechtigten, die fünf Jahre vorher Pflegegeld bezogen haben (diese dramatische Entwicklung beweist auch, wie sehr selbst dieser eigentlich nur für Alte und Kranke gedachte Topf des Sozialstaates schon von den Migranten in Anspruch genommen wird; und sie verstärkt die Vermutung, dass gezielt Behinderte ins Wohlstands-Schlaraffenland Österreich abgeschoben werden).

Wenn man aber die wichtigste Frage stellt, nämlich die nach den Ursachen, nach den Schuldigen an dieser Entwicklung, wenn man forscht, warum ausgerechnet im Binnenland Österreich der Andrang so groß ist, dann findet man viele richtige Teile der Antwort, etwa die grob fahrlässige Großzügigkeit unseres Wohlfahrtsstaatssystems. Aber ganz eindeutig an der Spitze der institutionellen Schuld stehen der Verfassungsgerichtshof und seine extrem asylantenfreundliche Judikatur.

So hat der VfGH erst vor wenigen Tagen den Jobzugang für Asylbewerber – also für Menschen ohne Asyltitel – fast total geöffnet. Damit entsteht ein weiteres riesiges Hindernis gegen die ohnedies schon mühsame Abschiebung von illegalen Migranten, wenn sie dann nach Ende des Rechtszuges kein Asyl bekommen. Wie schon so oft tat der VfGH das scheinbar nur aus rein formalen Gründen: Es brauche für die Beschränkung des Asylwerber-Zugangs halt leider, leider eine Verordnung statt eines Erlasses. Das klingt ja aufs erste harmlos, auch wenn der Arbeitsmarktzugang für Asylwerber seit vielen Jahren "nur" per Erlass geregelt gewesen ist.

Jedoch in der wirklichen Welt – und das haben die linken Politruks auf der VfGH-Richterbank mit absoluter Sicherheit gewusst – wird es für die ÖVP (beziehungsweise den zuständigen Arbeitsminister Kocher) ein Riesenproblem werden, die nötige Verordnung gegen den Willen des grünen Koalitionspartners zu erlassen. Ist doch in der Koalition bisher de facto noch nie eine Verordnung gegen den ausdrücklichen Willen der zweiten Partei erlassen worden. Kontroversielles unterhalb der Gesetzesebene – wie etwa auch zuletzt die problematischen Aktionen der Justizministerin zugunsten der WKStA – wird immer nur als bloßer Erlass der einzelnen Minister dekretiert, für den es keinen Konsens braucht.

Aber das ist nur ein Detail der vielfältigen Migrationsförderungsaktionen des Verfassungsgerichts. Noch viel gravierender ist, dass es ständig neue Vorwände entwickelt, mit denen es Abschiebungen be- und verhindert. Auf dieser Internetseite sind einige seiner besonders absurden Entscheidungen dargestellt, und insbesondere auch in diesen und diesen und diesen und diesen Texten, die zeigen, wie sich durch Schuld des VfGH der Rechtstaat im Kontext der Flüchtlingswelle verflüchtigt hat. Genau so, wie es vor fünf Jahren ein kluger Autor prophezeit hat.

Sie lassen sich eigentlich in eine absurde Grundregel der VfGH-Judikatur zusammenfassen: Aus Österreich darf niemand abgeschoben werden, wenn nicht sicher ist, dass es ihm daheim ebenso gut geht wie in Österreich.

Jetzt kann man natürlich rätseln, was hinter dieser Judikatur steht:

  1. Weltferne Naivität, die keine Ahnung hat, dass es global sieben Milliarden Menschen deutlich schlechter geht als den Österreichern – ungefähr so schlecht, wie unseren Vorfahren bis ins 18 oder 19. Jahrhundert?
  2. Die Verkörperung des Prinzips "Summum ius summa iniuria" durch abgrundtief schlechte Formaljuristen, die gar nicht begreifen, dass sie durch eine solche Judikaturlinie nicht nur den sozialen und wirtschaftlichen Zustand der Republik, sondern auch den Glauben der Menschen an den Rechtsstaat zertrümmern?
  3. Der Hass von vermeintlich bürgerlichen VfGH-Richtern, die aus der Geistesschule Reinhold Mitterlehner, Josef Pröll und Christian Konrad stammen, auf Sebastian Kurz und seine Anti-Migrationslinie, die sie insgeheim konterkarieren wollen?
  4. Der – immer nur bei bürgerlichen Richtern anzutreffende – Glaube, dass man nur dadurch seine Unabhängigkeit zeigen kann, indem man gegen alle eigenen Werte und die Interessen der Republik eintritt?
  5. Der ebenso große Hass der einst von der SPÖ ernannten und hochgradig ideologischen Richter, die zum Teil direkt aus den Vorzimmern damaliger SPÖ-Parteichefs gekommen waren, auf die österreichische Identität wie auch auf alles, was politisch rechts der Mitte steht? (Dieser Hass hat sich ja auch in den unglaublichen VfGH-Erkenntnissen widergespiegelt, die unzählige, auch sehr persönliche Handy-Nachrichten zahlreicher ÖVP- und FPÖ-Exponenten im Zusammenspiel mit der Korruptionsstaatsanwaltschaft und unter dem kafkaesken Vorwand, das wäre alles irgendwie "abstrakt relevant", an die Öffentlichkeit gespielt haben; dieser Hass hat sich auch in Sachen Schwulenehe gezeigt)
  6. Oder eine Mischung aus allem?

Für mich war jedenfalls ein Gespräch mit einem der einst auf einem ÖVP-Ticket in den VfGH gekommenen Richter erschütternd (da es privat war, will ich im Gegensatz zu den VfGH- und WKStA-Praktiken die Privatheit auch wirklich wahren). Er äußerte sich zu meiner Verblüffung sogar überaus stolz über die Pro-Migrations-Judikatur des VfGH, weil diese "streng" darauf achte, "dass niemand in eine Region zurückgeschickt wird, in der sein Leben ernsthaft gefährdet wäre".

Wieder stoßen wir da auf die Illusion, dass es außerhalb Europas, Nordamerikas und Australiens Weltgegenden geben könnte, in denen die Menschen ähnlich sicher leben könnten. In denen es nicht viel gefährlicher wäre als in der EU oder in Europa.

Ohne jedes Problembewusstsein lobt der Mann den Vollzug des Asylrechts in Österreich als "großzügig". Und er freut sich: Die bei uns gewährten Verfahrenshilfen oder die Zuerkennung aufschiebender Wirkungen eines Rechtszugs bis zum VfGH "sind Möglichkeiten, die man in vergleichbaren Ländern kaum finden wird".

Ja eh, alles richtig. Aber absolut unverständlich ist, warum man auf diesen Wahnsinn auch noch stolz sein kann, dass wir viel weniger konsequent in der Migrantenabwehr sind als vergleichbare andere Länder.

Nicht ganz so unverständlich ist, warum niemand den Verfassungsgerichtshof öffentlich kritisiert, obwohl Richterschelte ja ein eindeutiges Grundrecht im Rahmen der Meinungsfreiheit darstellt. Er ist keineswegs eine "Attacke auf den Rechtsstaat", wie die Linksparteien und insbesondere die grüne Justizministerin ständig behaupten (die mit dieser Unterstellung in Wahrheit nur versucht, Kritik an ihrer Amtsführung gleich a priori zu unterbinden).

Freilich ist völlig klar, warum die ganze politische Szene den VfGH nur hinter vorgehaltener Hand zu kritisieren wagt (die letzte massive Kritik an einem Höchstgericht hat die SPÖ in den 60er Jahren in Sachen Habsburg in die Öffentlichkeit getragen): Denn jeder Politiker, jede Partei fürchtet nicht ganz zu Unrecht, sehr oft vom Wohlwollen dieses Gerichts abhängig zu werden.

Das wirkliche Rätsel aber ist Christoph Grabenwarter.

  • Warum steht er heute als Präsident an der Spitze eines mächtigen Gerichtshofs, der genau das tut, was er vor wenigen Jahren mit so flammenden Worten kritisiert hat?
  • Hat er sich damals aus taktischen Gründen nur verstellt?
  • Hat er sich um 180 Grad umpolen lassen, damit er an die Spitze des Gerichts kommt?
  • Oder ist er innerlich noch immer von der Wahrheit und Richtigkeit dessen, was er damals so präzise formuliert hat, überzeugt, kann sich aber in der von linken Politruks beherrschten Gerichtsbank nicht durchsetzen, wagt es aber auch nicht, Kritik daran zu üben (so wie er sich von diesen Politruks ja auch zwingen hat lassen, den ÖVP-Mann Brandstetter aus dem VfGH hinauszubeißen)?

Welche Variante auch immer stimmt: Es bleibt ein bürgerliches Trauerspiel.

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