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Die Verschweizerung Österreichs

Der sensationellste Aspekt des Wahlergebnisses (von vielen ähnlich epochalen) ist vielfach noch gar nicht richtig wahrgenommen worden: Die Wahl hat nämlich die Weiterentwicklung des Landes zu einer "Dritten Republik" wahrscheinlich gemacht, zu einer – Verschweizerung. Beide Siegerparteien haben sich vor der Wahl ausdrücklich für die direkte Demokratie ausgesprochen, also für ein Modell, in dem Volksabstimmungen durch ausreichend unterstützte Volksbegehren erzwungen werden könnten. Wobei die Zahl der dafür nötigen Unterschriften sicher höher sein dürfte als in der Schweiz – aber erreichbar.

Das Parlament hat in der Vergangenheit zwar im Gegensatz zu Deutschland schon einige Referenden angesetzt. So zuletzt 2013 über das sozialdemokratische Verlangen nach Abschaffung der Wehr- und Zivildienstpflicht (Das hat damals bekanntlich eine klare Mehrheit abgeschmettert). Davor hatten die Österreicher direkt-demokratisch dem EU-Beitritt und der Nichtinbetriebnahme eines eigentlich schon fertigen Atomkraftwerks zugestimmt. Das war es dann aber auch schon.

Und das war extrem unbefriedigend. Denn diese Referenden waren meist aus parteitaktischen Motiven angesetzt worden. Sie beruhten auf keiner Bürgerinitiative und waren ganz von Parteipolitik beherrscht. Das hat in Folge zu einem schlechten Image der direkten Demokratie geführt.

In den letzten Jahren hat jedoch die repräsentative Demokratie eine noch viel ärgere Imageverschlechterung erlitten. Stillstand, ökonomischer Rückfall, ständige Rangeleien in der Regierung und deren Versagen angesichts der Völkerwanderung haben zu einem totalen Stimmungswechsel geführt. Die Österreicher spüren: Die repräsentative Demokratie ist in einer Sackgasse.

Es ist daher kein Zufall, dass Volkspartei wie auch Freiheitliche Partei – also die beiden großen Wahlsieger – das gleiche Verlangen in ihrer Wahlkampagne hatten, das nach Veränderung. Und darüber hinaus ganz konkret die Forderung nach einer verbindlichen direkten Demokratie. Die FPÖ hat das zuletzt sogar zur obersten Bedingung für eine Regierungsbeteiligung erhoben.

Der wahrscheinliche neue Bundeskanzler Sebastian Kurz von der ÖVP hat die direkte Demokratie nun sogar schon bei der zweiten Wahl in Folge auf seiner Wunschliste. Beim ersten Mal war er damit noch parteiintern unterlegen. Die alten Parteigranden wollten dem Volk nicht so viel Macht überlassen.

Aber jetzt haben sie nichts mehr zu reden. Kurz hat sie völlig entmachtet und in der neuen ÖVP-Fraktion fast nur persönliche Gefolgsleute sitzen.

In seiner etwas überambitionierten Veränderungssucht – oder einer zu großen Machtambition? – hat Kurz freilich auch noch andere Ideen lanciert, die ebenfalls das Motto "Hauptsache Veränderung" tragen, jedoch in ganz andere, eher autoritäre Richtungen gehen. Diese Ideen haben aber keine Chance auf Realisierung.

So träumt er von der Machtfülle des französischen Präsidenten. So hat er laut über eine Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers nach deutschem Muster nachgedacht – beides will aber keine andere Partei. So hat er auch daran gedacht, ein Minderheitskabinett zu bilden, das sich jeweils Mehrheiten suchen würde – auch das würde weder Rot noch Blau mittragen: Man müsste dann ja auch unpopuläre Maßnahmen verantworten, während man auf all die attraktiven Möglichkeiten eines Ministerpostens verzichtet. Die bestehen ja nicht nur in Geld und exekutiver Macht, sondern auch in gesetzgeberischen Kompetenzen in den jeweiligen EU-Räten.

Diese Vorschläge sind daher Totgeburten. Umso chancenreicher ist die direkte Demokratie. Denn sie ist – neben dem ebenfalls gemeinsamen Ziel einer rigorosen Beschränkung von illegaler Migration, Asylmissbrauch und politischem Islam sowie vielen gemeinsamen Wertvorstellungen in der Bildungs- und Gesellschaftspolitik – zentrales Element der Schnittmenge zwischen Schwarz und Blau.

Diese Schnittmenge ist auch jedenfalls so groß, dass etwas anderes als Schwarz-Blau nicht nur eine große Überraschung wäre, sondern auch ein massiver Betrug einer der beiden Parteien an den eigenen Wählern, wenn sie dennoch mit Rot koalieren würde.

Schwarz-Blau, eine Koalition zwischen den beiden großen rechts der Mitte stehenden Parteien, ist auch bei allen Umfragen die weitaus am stärksten von den Österreichern erhoffte und erwünschte Koalitionsformel. 40 Prozent wollen Schwarz-Blau, während die Varianten Schwarz-Rot und Rot-Blau nur jeweils 17 bis 18 Prozent Sympathisanten finden.

Wenn man die einzelnen Parteien addiert, dann haben die beiden Rechtsparteien bis vor kurzem von niemandem für möglich gehaltene 58 Prozent erobert. Zu diesen kann man zum Teil auch die fünf Prozent der "Neos" rechnen, die gesellschaftspolitisch zwar links, aber wirtschaftspolitisch klar rechts stehen.

Um die direkte Demokratie wirklich verankern zu können, würden Schwarz und Blau genau diese Neos benötigen. Nur mit ihnen zusammen erreichen sie die Verfassungsmehrheit, mit der direktdemokratische Entscheidungen erzwingbar gemacht werden könnten.

Rot und Grün haben hingegen erstmals in der Geschichte keine Blockade-Möglichkeit gegen Verfassungsänderungen mehr. Das ist eine weitere sensationelle Folge dieser Wahl und eröffnet noch viele andere Perspektiven für eine Erneuerung, reden doch die Neos ebenso von Veränderung. Ihre Zustimmung zur direkten Demokratie ist durchaus denkbar – vor allem, wenn sie dann im Gegenzug bei einigen anderen Fragen mitreden können. Weder Neos noch ÖVP würden es freilich zulassen, dass die direkte Demokratie in einer Form kommt, die – wie in der Schweiz – EU-Recht aushebeln könnte.

Ansonsten scheint aber klar: Schwarz-Blau würde einen großen Schritt zu einer Verschweizerung Österreichs bedeuten.

Das wäre übrigens der zweite in der Geschichte. Der erste war ja 1955 das Moskauer Memorandum, in dem sich Österreich gegenüber der Sowjetunion zu einer immerwährenden Neutralität nach dem Muster der Schweiz verpflichtete, die es dann auch erklärte (wenn auch ohne Erwähnung der Eidgenossenschaft).

Dass die beiden Nachbarn dennoch seither Rücken an Rücken lebten, ist freilich wieder eine andere Geschichte …

Dieser Beitrag entspricht zum Teil einem (längeren) Text, den ich für die in der Schweiz erscheinende "Weltwoche" verfasst habe. www.Weltwoche.ch  

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