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Auch Populismus will gelernt sein

Lernfähigkeit wäre ein wünschenswertes Merkmal für politisches Führungspersonal. Und zwar auch beim Populismus.

Christian Kern ist einer, der zwar ohne Partei sogar in der Staat-Wirtschaft nichts gewesen wäre, der aber doch unermüdlich betont, erst seit 13 Monaten in der Politik – also kein Politiker - zu sein. Als ob es in der Spitzenpolitik ein Qualitätsmerkmal wäre, keinerlei Ahnung vom ausgeübten Gewerbe zu haben. Politiker sind unbeliebt – deshalb war die Eigendefinition von Anfang an nur ein Versuch in anbiederndem Populismus. Nur werden sich mittlerweile viele fragen, ob man den Job eines Bundeskanzlers wirklich bei vollen Bezügen als Learning by doing ausüben sollte.

In der gut bezahlten Anlernphase legte Kern ein populistisches Ei des Kolumbus hin, das ihm dann selbst auf den Kopf fiel: die SP-Mitgliederbefragung zum Thema CETA. Zuerst als superdemokratische Neuerfindung angepriesen, mussten dann eine Menge Kurven gekratzt werden, durch die man sich über die "überwältigende Mehrheit" der 14.000 Parteimitglieder hinwegsetzen konnte, die gegen CETA Stellung bezogen hatten.

Zumindest hat Kern damals gelernt, dass eine die Interessen des Gesamtstaats betreffende Entscheidung nicht von einem winzigen Teil der Mitglieder einer einzigen Partei zu treffen ist. Was er nicht gelernt hat, ist, dass Entscheidungen und vor allem deren Durchsetzung Sache der Politiker sind.

Wenigstens geht er es diesmal staatstragend an: Er kündigt immerhin eine Abstimmung des gesamten Volkes zur Verwaltungsreform an – falls er wieder Bundeskanzler wird.

Das Volk wird ihm sagen, was alle wissen: Wir brauchen diese Verwaltungsreform. Dringend. Nur machen muss sie jemand! Nicht ständig nur darüber reden. Der Volkswille ist ebenso manifest wie die Vorschläge, wie sich diese Aufgabe umsetzen ließe, die es vom ehemaligen Österreich-Konvent bis zu den 1000 Vorschlägen des Josef Moser ausreichend gibt. Eine Volksabstimmung wäre nur ein weiteres Hinauszögern von politischem Handeln.

Aber Christian Kern denkt halt, dass die direktdemokratische Karte ein populistischer Trumpf ist – und möchte sie genau dort einsetzen, wo vielmehr – siehe CETA – Leadership gefragt wäre.

Und mit dieser Verwaltungsreform finanziert er dann übrigens seine angekündigte Steuerreform. Ganz konkret bekommt er dadurch zwei Milliarden (Daumen mal Pi?!). Und weil das noch nicht ausreicht, führt er halt wieder einmal die berühmte neidgenossenschaftliche Erbschaftssteuer ein – mit der schon eine imaginäre Bildungsreform, ein auf Kosten aller Steuerzahler abgeschaffter Pflegeregress und jetzt halt noch die Steuerreform finanziert wird.

Toll: Wer jeden nicht eingenommenen Steuer-Euro gleich mehrfach ausgibt und damit so viel Gutes tut, der kann wirklich nur als Mann mit Erfahrung bei den ÖBB bezeichnet werden.

Dabei hätte Christian Kern ein wirklich lohnendes Betätigungsfeld für einen angehenden Populisten: Stellt sich doch heraus, dass die SPÖ ihre 3000 m2-Büros hinter dem Burgtheater in einem Haus der Gemeinde Wien um einen Quadratmeter-Preis von 4,27 Euro mietet. In dieser Lage wären an die 30 Euro pro Quadratmeter marktkonform. Monatlich macht das einen Unterschied von rund 77.000 Euro aus – eine fette Monatssubvention der SPÖ durch den Wiener Steuerzahler, dem dieses Geld entgeht. Würde man noch all die Parteilokale in Gemeindebauten etc. dazuzählen und das alles mit einem Machtwort abstellen, dann könnte vielleicht so manche Gebühr im rot-grünen Wien nur alle zwei Jahre erhöht werden. Das wäre ein fruchtbarer populistischer Schritt (träumen wird man ja noch dürfen...). Eines Nicht-Politikers würdig, der aus der echten Wirtschaft kommt.

Reiner Populismus ist auch der derzeit wieder landauf, landab postulierte Gratis-Tablet für jeden Schüler. Als ob nicht jeder Zweijährige mittlerweile das Bildschirm-Wischen beherrschte. Digitale Kompetenzen werden die Schüler dadurch nicht erwerben. Denn dazu müssten sie erst einmal Rechnen, Schreiben und Lesen lernen. Ausreichend. Denn auch für die digitale Kompetenz ist das Voraussetzung. Nur leider klingt Lernen weniger schön als "Gratis-Tablet für jeden Volksschüler".

Dieses populistische Geschenk wird auch Österreichs Zurückbleiben bei der Digitalisierung nicht wettmachen, das uns gerade die OECD bescheinigt hat. Da sollten die Tablet-Verteiler einmal darüber nachdenken, wie sehr sie zu diesem Modernisierungsverlust beitragen, indem sie falsch gewichten: Jährlich 5000 bis 8000 Millionen aus dem Budget für die Bahn, aber nur 100 Millionen für den Ausbau des Breitband-Internets.

Aber so ist es eben mit dem Populismus besonders in Wahlzeiten. Man will ja der beliebteste Kanzler-Kandidat sein.

Dabei hat doch gerade eine Umfrage ergeben, dass bei den Wählern nur die Inhalte, die Programme zählen. Nicht lachen: Bei der Partnerwahl zählen ja auch nur die inneren Werte.

P.S. Natürlich, die wohlerworbene Aversion der Wähler gegen Politiker verleitet auch Sebastian Kurz zu kurzsichtigen Entscheidungen. Wenn eine Opernball-Organisatorin in den Nationalrat quer-einsteigen darf, wird der Glanz einer frischen Bewegung schnell verblassen. Kompetenz wäre ein minimales Auswahlkriterium für Kandidaten zum Nationalrat. Wenn man meint, dass Zeit für Neues ist, dürfte das Ausrichten von Society-Events nicht gerade die beste Empfehlung sein. Das reicht gerade mal für einen Adabei-Populismus.

P.P.S. Das Missverständnis, dass der Verzicht auf Berufspolitiker eine neue Politik überhaupt erst möglich macht, könnte auch für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron zum populistischen Fallstrick werden. Er hat in seine Regierung eine große Anzahl von politisch unerfahrenen NGO-Vertretern und Quereinsteigern geholt. Und so verkündet der neue Umweltminister Nicolas Hulot, dass Frankreich ab 2040 keine Benzin- und Diesel-Autos mehr zulassen wird. Und er verbietet ab 2022 gleich alle Energieproduktion auf Basis von Kohle, erschwert Öl- und Gasförderung und erhöht die Subventionen auf erneuerbare Energie. So sieht Politik aus, wenn ein Fernsehjournalist Entscheidungen trifft, der ausgewählt wurde, weil er einer der beliebtesten Prominenten im Land war. Und nicht, weil er weiß, wie Politik besser funktioniert. Für unsere vielen Macron-Nachahmer sollte das eine Warnung sein.

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