Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (10 Euro pro Monat) ist jederzeit beendbar und endet extrem flexibel einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Kann man Recep Tayyip Erdogan mit Adolf Hitler vergleichen?

Ja, man kann. Es gibt zwischen dem türkischen Machthaber und dem einstigen deutschen Führer erschreckende Parallelen. Besonders in diesen Stunden muss man das empfinden, da rund um die Olympischen Spiele in Rio jetzt viele Filme und Dokumentationen an die Inszenierungen Adolf Hitlers und viele beklemmende Techniken der totalitären Macht bei den Berliner Spielen 1936 erinnern.

Die Ähnlichkeiten sind groß, auch wenn natürlich – wie bei jedem historischen Vergleich – etliche Unterschiede zu sehen sind.

  1. Am stärksten ähneln sich die beiden Regime durch die riesigen Inszenierungen. Bei ständigen Aufmärschen von angeblich Millionen Menschen mit all ihren aufputschenden und suggestiven Massenpsychologien bleibt kein Raum für eigenständige, abwägende oder gar kritische Gedanken. Außer bei sehr Ich-starken Menschen oder Opfern dieses Staatsterrors.
  2. Bei diesen Massenveranstaltungen wird oft raffiniert die Partei des Führers in den Hintergrund gerückt. Im Vordergrund stehen nationale Einheitsparolen und der Hass auf alle Gegner. Damit kann man viel besser alle schwankenden „Volksgenossen“ einbinden und nicht nur die „Parteigenossen“.
  3. Auch wenn der Begriff „Rassismus“ ein schillernder Allerweltsbegriff ist, der viel zu oft verwendet wird, ist doch klar: Auch Erdogan verwendet gerne rassistisch anmutende Argumentationen, wenngleich er dabei lange nicht so weit geht wie die Nazis.
  4. Beide Male arbeitet die Propaganda vor allem mit Hass auf die angeblichen Gegner. Wobei sowohl die Aversion gegen die Kurden bei den Türken wie auch der deutsche (und österreichische) Antisemitismus lange vor Hitler/Erdogan da waren, aber erst von den beiden richtig hochgepeitscht worden sind. Allerdings ist diese Parallele endenwollend: Denn das harte Los der Kurden ist in keiner Weise mit dem Schicksal der Juden im Nationalsozialismus zu vergleichen.
  5. Beide verwenden den gleichen Trick: Sie würden ja nur auf Aktionen ihrer Feinde reagieren. Hitler beendet die deutsche Demokratie endgültig als Reaktion auf den Reichstagsbrand (wobei Historiker bis heute streiten, ob dieser von den Nazis selbst gelegt war oder nicht); die flächendeckenden antijüdischen Pogrome der „Reichskristallnacht“ waren angeblich nur spontane Reaktionen wegen eines Anschlags auf einen deutschen Diplomaten; und auch beim Weltkriegs-Beginn haben die Deutschen die Fiktion versucht, dass sie nur „zurückgeschossen“ hätten. Ganz ähnlich bei Erdogan: Auch er beendet die Demokratie und veranstaltet die Massenverfolgungen all jener, die nicht für ihn sind, angeblich nur wegen eines mehr als dubiosen Putschversuches gegen ihn. Dieser war freilich so amateurhaft, dass wohl erst nach Ende der Erdogan-Macht Historiker seriös erforschen werden, was es mit ihm wirklich auf sich hatte. Bis heute fehlen mir jedenfalls alle wesentlichen Elemente eines Putschs: insbesondere die Kommunikation von konkreten Forderungen und die Proklamation, wer denn eigentlich die Macht ergreifen wollte. Beides bleibt bis heute im Dunkel. Ein Greis im fernen Amerika kann es wohl nicht sein. Truppen, die ein paar Stunden sinnlos auf den Bosporus-Brücken aufmarschiert sind, beweisen jedenfalls absolut nichts. Filmaufnahmen von angeblichen Gefechten, die hunderte Opfer gefordert haben, fehlen völlig.
  6. Oppositionelle gehen zu Zehntausenden in Gefängnisse. In der Öffentlichkeit ist keiner mehr zu sehen. Auf den leisesten Verdacht, ein Regimegegner zu sein, verlieren Menschen Job und Besitz.
  7. Besonders Medien, Lehrer und Richter waren am raschesten im Visier von Hitler wie Erdogan, was zu Tausenden Säuberungen geführt hat.
  8. Beider Führer spielten mit großer Fertigkeit auf der Klaviatur der hasserfüllten Propaganda.
  9. Da wie dort wurden die Oppositionsparteien so eingeschüchtert, dass sie auch ohne (oder vor ihrem) Verbot keinerlei Kritik am Führer mehr wagten.
  10. Hitler wie Erdogan sind beide durch relativ demokratische Wahlen an die Macht gekommen (wobei vor den türkischen Wahlen die massive Einschüchterung von Medien und Journalisten bereits durch die – ja Erdogan schon damals unterstehende – Staatsmacht selbst erfolgt ist, während die Nazis bei den Wahlen vor ihrer Machtergreifung vor allem durch die Einschüchterungsaktionen ihrer SA-Horden gearbeitet haben).
  11. Hitler wie Erdogan haben schon jahrelang vor der eigentlichen Machtergreifung bei mehreren Wahlen um die Macht gekämpft – sie haben dabei zwar von den Wählern in der Anonymität der Wahlzelle viele Stimmen erhalten, aber keineswegs so viele, dass sie auf verfassungsmäßigem Weg an ihr wirkliches Ziel kommen konnten, nämlich eine komplette Umformung des Staates.
  12. Beide sehen ihre äußeren Hauptfeinde, die sie ständig attackieren, in den westlichen Demokratien. Mit autokratischen Führern hingegen finden sie bald erstaunliches Einvernehmen. Hitler hat sich (trotz anfänglicher Differenzen um Südtirol und Österreich) bald sehr gut mit Italiens Mussolini verstanden. Erdogan wiederum schmiegt sich in einer erstaunlichen Wende mit honigsüßen Worten an Russlands Machthaber Putin heran, den er jetzt als ersten(!) nach den „Putsch“-Tagen besucht und plötzlich „Freund Wladimir“ nennt. Dabei hat Putin in den letzten Monaten als Rache für den Abschuss eines russischen Flugzeugs durch die türkische Armee gegen die Türkei viel härtere Sanktionen verhängt, als sie zwischen der EU und Russland bestehen.

Offen bleibt nur: Warum Europa (mit der diesmal lobenswerten Ausnahme Österreichs) so feige und charakterlos reagiert. Dieser Vorwurf bedeutet nicht den Ruf nach Sanktionen und Boykotten. Man wird immer mit Diktaturen leben und wohl auch handeln müssen. So wie mit China oder Russland. Der Westen sollte sich wieder die – eine Zeitlang von den USA ausgehende – Attitüde abgewöhnen, Erzieher und Beurteiler aller anderen Völker sein zu wollen. Insbesondere dann, wenn man selbst viel zu schwach ist, um einen Übeltäter-Staat zu bestrafen. Solange ein Staat nicht andere angreift oder bedroht, Territorien erobert oder Menschenrechtsverletzungen im riesigen Umfang begeht, gibt es aber auch dann keine Legitimation, sich einzumischen, wenn man stark genug wäre.

Jedoch macht es wirklich absolut fassungslos, dass diese Erdogan-Türkei noch immer als EU-Beitrittskandidat behandelt wird. Dass man mit ihr über einzelne Beitrittskapitel spricht. Dass das Land weiterhin üppige finanzielle Vorbeitritts-Hilfen bekommt. Wenn die EU als Klub noch irgendwie ernst genommen werden will, muss sie diese Verhandlungen sofort abbrechen (sie hätte es längst tun sollen).

Noch absurder sind jene EU-Politiker, die sagen: (Nur) wenn Erdogan die Todesstrafe einführt, ist der Beitrittsprozess zu Ende. Als ob das das einzig Relevante wäre. Viele europäische Staaten waren einst schon mustergültige Demokratien und hatten trotzdem noch die Todesstrafe. Auch die USA sind ganz sicher eine hochentwickelte rechtsstaatliche Demokratie, trotz Todesstrafe.

Das kann also sicher nicht das wichtigste oder gar einzige Kriterium sein. Wenn man die Todesstrafe dennoch dazu erklärt, zeigt man nur eines: dass man Angst hat vor den wirren Drohungen aus Ankara und dass man daher das viel schlimmere Faktum einer Beendigung von Demokratie und Rechtsstaat ignoriert; dass man einen schweren politischen Fehler nicht zugeben will; dass man glaubt, abhängig von einem Erdogan zu sei; dass man sich fürchtet vor Tausenden arabischen/afghanischen „Flüchtlingen“, die Erdogan – pardon, nicht Erdogan, es heißt natürlich: „böse, aber leider unbekannte Schlepper“ – wieder täglich nach Europa schicken könnte.

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung