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Beethoven, Schmidt, der Papst und der Terror

Als sich das schreckliche Pariser Blutbad entwickelte, saß ich gerade im Musikverein. Ich widmete mich ganz den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle mit zwei Beethoven-Symphonien und vor allem dem absolut begeisternden Schlußsatz der Siebenten. Nachher konnte ich mich der Anschläge wegen nicht mehr lange dem jede Faser bewegenden Hochgefühl dieser tollen Aufführung hingeben. Daher kam ich erst später dazu, wieder ein wenig zu Beethoven zu schmökern, und vor allem darüber, wie politisch er selbst diese große Symphonie gesehen hat.

Dabei stieß ich auf ein Wort Beethovens, das ich seither nicht aus dem Kopf bekomme: „Vaterlandsliebe“. Er hat dieses so sensationelle Werk selbst als Apotheose der „Vaterlandsliebe“ nach den furchtbaren Napoleon-Kriegen – und dem stolzen Sieg an ihrem Ende gesehen. Dabei hat der Bonn-Wiener Komponist Jahre davor noch selbst an Napoleon geglaubt und an die von diesem behaupteten Werte wie vor allem die Freiheit. Als jedoch Beethoven wie viele andere sehen musste, dass Napoleon den deutschen Landen (zu denen damals selbstverständlich auch Österreich gezählt hat) nicht die Freiheit brachte, sondern etwa den Zwang, Soldaten für einen irrwitzigen Krieg gegen Russland zu stellen, wurde er zu einem erbitterten Gegner Napoleons. Und er wurde ganz von der Vaterlandsliebe gepackt.

Von diesem durch und durch politischen Motiv für die vielleicht schönste Musik, die je komponiert worden ist, ist die Brücke zu den Pariser Anschlägen und zu Europas Kampf gegen den Islamismus fast zwingend. Natürlich nicht, weil Napoleon ein Franzose war, sondern weil die Freiheit des Vaterlandes, heute zweifellos die des gemeinsamen europäischen Vaterlandes, gegen eine ganz andere Bedrohung auf dem Spiel steht.

Die große Frage aber ist: Ist die Vaterlandsliebe auch heute noch so stark, dass sie am Ende über diesen Angriff siegen wird? Dass sie sich überhaupt ernstlich diesem Kampf stellt? Ist es nicht auffällig, dass zwar Beethoven noch aufgeführt werden darf, dass man sich aber in Österreich und Deutschland kaum mehr traut, von „Vaterlandsliebe“ auch nur zu sprechen? Und zwar auch dann nicht, wenn man von „Vater- und Mutterlandsliebe“ sprechen würde (Frau Rauch-Kallat-Heinisch-Hosek zuliebe).

Vaterland, Heimat sind zwar bei den Menschen selbst, wie alle Umfragen zeigen, populärer denn je. Die Menschen im Pariser Stadion haben in der Stunde der Gefahr spontan die Marseillaise zu singen begonnen. Aber die tonangebende politisch-mediale Herrschaftsklasse findet diese Werte jedoch mehrheitlich igitt oder zumindest „erzkonservativ“.

Bezeichnend an Beethovens Vaterlandsliebe ist auch, dass sie total mit dem nach dem Russland-Feldzug entstandenen Bündnis Russland-Preußen-England-Österreich konform ging, also einem durchaus weiten Vaterlandsbegriff. Aber auch dieses Faktum hat unmittelbaren Bezug zur Gegenwart: Nur gemeinsam kann der Angriff zurückgeschlagen werden. Ganz Europa gemeinsam mit Russland und Amerika. Ein Abwehr des Angriffs wird hingegen nicht glücken, wenn Teile des bedrohten Westens die Weiße Fahne hissen und angstschlotternd signalisieren: „Wir haben eh nichts gegen den Islamischen Staat“.

Dazu würde jedenfalls auch gehören, dass man allen männlichen „Flüchtlingen“ aus Syrien und dem Irak zwischen 18 und 45 Jahren klar wie unmissverständlich mitteilt, dass es kein Asyl-Grundversorgung-Mindestsicherungs-Wohlfahrtsstaat-Schlaraffenland für sie gibt, sondern eine einzige Aufgabe und Pflicht: ihre eigene Heimat vom Wahnsinn zu befreien, und zwar mit unserer Hilfe. Aus Vaterlandsliebe, die ja auch Syrer und Iraker hoffentlich im Herzen haben, und weil Europa keine mögliche Alternative für sie ist.

Aus all den unzähligen, aber letztlich nichtssagenden Betroffenheits-Wortspenden der letzten Stunden sticht nur eine wirklich positiv durch ihre mutige Klarheit heraus. Und das ist überraschenderweise die des Papstes. Er spricht nämlich offen von einem „dritten Weltkrieg“, der da schon im Gange ist.

Egal ob man das als Weltkrieg oder (wie ich gestern) als Bürgerkrieg bezeichnet: Wenn Krieg ist, müssen viele Regeln anders werden, wenn man ihn gewinnen will. Das haben freilich die meisten europäischen Politiker bisher nicht begriffen. Aber vielleicht helfen die Worte des Papstes auch der deutschen Bundeskanzlerin zu erkennen, wie es wirklich steht.

Nicht nur Beethoven und der Papst, sondern auch ein dritter Mann kommt mir in diesen Stunden ständig in den Sinn: Helmut Schmidt. Der vor wenigen Tagen verstorbene große Deutsche war mit einer ähnlich gefährlichen Bedrohung konfrontiert gewesen, nämlich mit dem Terror der Baader-Meinhof-Bande, die sich bezeichnenderweise mit dem damals eher marxistischen statt islamistischen palästinensischen Terror verbündet hatte. Schmidt hat sich mutig und konsequent über die vielen Sympathisanten des Terrors auf der politischen Linken hinweggesetzt. Er hat nie nachgegeben, sich nicht erpressen lassen, ja, auch Menschenleben riskiert – und am Ende eindeutig einen großen Sieg errungen.

Vielleicht erinnern sich die Sozialdemokraten an das Vorbild Schmidts. Vielleicht begreifen die Christen die ganze Bedeutung des Papst-Wortes. Vielleicht ist Beethovens Vaterlandsliebe – und die vieler heutiger Europäer – auch bei der heutigen Politikergarde wiederbelebbar.

Mehr als Hoffnung ist das derzeit freilich nicht.

 

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