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Ihr könnt uns alle mal und zehn andere italienische Weisheiten

Nur ein paar Zehntelprozent mehr für Silvio Berlusconi im Abgeordnetenhaus, und der geliftete und haartransplantierte Expremier hätte in beiden Kammern des italienischen Parlaments die Mehrheit. Das ist nicht das einzige, was am nunmehr definitiven Wahlergebnis erstaunlich ist. Es ist auch noch in vielerlei anderer Hinsicht extrem lehrreich. Auch für Europa.

Die erste Lehre muss aber der Tagebuchautor ziehen: Er hat sich gestern im Vertrauen auf die Exit Polls zu früh an den Computer gesetzt und ein Ergebnis analysiert, das dann so nicht eintraf. Aber die Sprache der Exit Polls schien diesmal so deutlich, dass am Ergebnis kein Zweifel zu bestehen schien. Werch ein Illtum. Ich habe – als Zeichen der versprochenen Ehrlichkeit – den falsch liegenden Kommentar aber nicht gelöscht, sondern kann ihn nur bedauern.

Zweitens sollten wir alle endlich die richtige Bewertung von Umfragen lernen. Die Italiener haben nicht nur bei den Exit Polls, sondern auch bei sämtlichen Befragungen der letzten Monate in hohem Ausmaß die Unwahrheit gesagt. Sie haben anders gestimmt, als sie es vor und(!) nach der Stimmabgabe neugierigen Meinungsforschern gesagt haben. Dieses Phänomen ist ja auch in Österreich bekannt. Da steht die FPÖ am Wahlabend regelmäßig viel besser da, als die Umfragen davor indiziert hatten. Mit anderen Worten: Je mehr eine Partei medial verteufelt wird, umso weniger geben die Menschen deren Wahl zu, wenn sie danach befragt werden.

Die dritte Lehre: Zweikammersysteme mit gleichen oder ähnlichen verfassungsrechtlichen Kompetenzen sind ein Unding. Es ist schon schwer genug, ein Land zu regieren, wenn man eine klare Mehrheit hat (wie es derzeit noch die österreichische Koalition hat). Das wird aber absolut unmöglich, wenn zwei gleichberechtigte Parlamentskammern politisch konträr zusammengesetzt sind. Daher die Kollateral-Lehre für Österreich: Alle Ideen, den Bundesrat „aufzuwerten“, also ihm mehr Gleichberechtigung zu geben, sind schlecht für die Regierbarkeit des Landes (und nur gut für das Ego von ein paar Funktionären).

Viertens, und damit zum eigentlichen Wahlergebnis: Wenn man es auf einen Satz bringen will, bedeutet es ein kollektives Götzzitat der italienischen Wähler an die politisch-mediale Klasse. Nobler formuliert: Das Land hat donnernd Nein gesagt, ohne zugleich zu irgendetwas Ja zu sagen. Und wenn man versucht, kollektiv zu psychologisieren (was natürlich problematisch ist), dann ist die in Italien entstandene „Grande Confusione“ durchaus gezielte Absicht der Wähler gewesen. Denn damit haben sie jede Form von klaren gesetzgeberischen Entscheidungen blockiert (die ohnedies nur unangenehm wären). Sie können aber zugleich besser denn je lautstark über die Unfähigkeit der politischen Klasse lamentieren.

Fünftens: Auch wenn politisch korrekte Kommentatoren nun den unerwarteten Erfolg Berlusconis bejammern: Das eigentliche Drama liegt wo anders. Das besteht in der dramatisch abgesunkenen Wahlbeteiligung sowie in dem gigantischen Erfolg der Anarchie-Liste des Beppe Grillo. Beides bedeutet eine klare Absage an alles. Wenn jeder vierte Italiener nicht zur Wahl gegangen ist, und wenn von den Wählern jeder vierte für den dauerschimpfenden Komiker gestimmt hat, dann schrumpfen die Ergebnisse für Bersani, Berlusconi, Monti und Dutzende Kleinstparteien in ihrer Bedeutung noch mehr zusammen. Die Italiener wollen keine Verantwortung übernehmen. Das ist ihnen am liebsten.

Damit ist, sechstens, Mario Monti fast zwangsläufig zum großen Verlierer geworden. Wer dieses Land zum Verantwortungsbewusstsein zwingen will, ist offenbar selber schuld. Wer Wähler vor die Alternative stellt: „Notwendige Austerität oder lustige Schuldenmacherei?“ bekommt diese Antwort. Davon lebt ja auch die SPÖ.

Die nächste und siebente Frage lautet natürlich: Wie kann‘s jetzt weitergehen? Da schwebt sofort die Idee von neuerlichen Wahlen in der Luft. Meine persönlichen Erfahrungen mit der italienischen Politik deuten aber stärker in eine andere Richtung: Italien könnte nach ein paar Wochen der Turbulenzen für ein Jahr oder so eine große Koalition bekommen. Aus mehreren Gründen.

Berlusconi ist in Wahrheit heilfroh, seine Wahlversprechungen (Steuerabschaffung und -rückzahlung) nicht verwirklichen zu müssen. Er hat auch schon im Wahlkampf vorausschauend gesagt, er möchte jetzt lieber Wirtschaftsminister als Regierungschef werden. Und vor allem: In einer Koalition mit der Linken hat er die besten Chancen, die gegen ihn ununterbrochen anrollende Prozessflut einzudämmen. Egal ob die Prozesse nun politisch oder sachlich-objektiv motiviert sind. In seinen sachpolitischen Forderungen wird er daher extrem handzahm sein.

Die Linke hat trotz ihres Berlusconi-Hasses umgekehrt fast keine andere Wahl: Sie hat die absolute Mehrheit in der Kammer und kann daher nicht sagen „Ohne uns“. Und eine Vereinbarung mit Grillo ist mit Sicherheit noch zehnmal unverlässlicher als eine mit Berlusconi. Dieser hat ja etwa trotz seiner vielen schillernden Auftritte ein Jahr lang die Reformen Montis mitgetragen (die ja auch zum Teil schon lange auf seinem Programm gestanden waren!). Und der gevifte Taktiker Berlusconi hat erst dann auf Wahlkampfmodus geschaltet, als er den Wechsel der Stimmung im Lande gespürt hat. Zugleich will die Linke – vor allem die hinter ihr stehenden Gewerkschaften – ja gar nicht die unpopulären Reformen, zu denen sie ein Bündnis mit Monti gezwungen hätte.

Achtens sollte man auch eine positive Seite nicht übersehen: Die radikalen Kommunisten (die seltsamerweise mit einer starken Richtergruppe verbündet sind) wurden aus dem Parlament hinausgewählt. Ebenso einige andere bekannte Selbstdarsteller wie etwa der bisherige Parlamentspräsident Fini.

Neuntens hat die italienische Wahl große internationale Dimensionen. Die wichtigste davon ist der enorm stark gewordene antideutsche Reflex. Zum dritten Mal nach Griechenland und Frankreich hat ein solcher Reflex in einem Wahlkampf eines europäischen Landes eine entscheidende Rolle gespielt. Darauf seien die Rhetoriker hingewiesen, die ständig alles loben, was die EU macht, weil sie ein so tolles Friedens- und Versöhnungswerk ist. Die Deutschen zahlen und zahlen und haften und haften, bis sie nicht mehr können. Und sie werden dafür mehr denn je geohrfeigt. Ein Friedenswerk?

Grillo und Berlusconi haben so getan – und offenbar damit Gehör gefunden –, als ob Angela Merkel das Problem des Landes wäre. Und nicht die seit Jahrzehnten angehäuften Schulden, die Überregulierung und gleichzeitige Disziplinlosigkeit, sowie der aus Schuld der katholischen und linken Illusionisten überdimensionierte Sozialstaat. Eine solche Schuld-Übertragung ist zwar psychisch sehr angenehm, aber ein entscheidendes Hindernis für eine wirkliche Reform des Landes.

Die europäische Dimension des Wahltages kann gar nicht ernst genug genommen werden: Jeder vernünftige Mensch müsste spätestens jetzt erkennen, dass Europa im Mai 2010 mit der gegenseitigen Haftungsübernahme auch für extreme Verantwortungslosigkeit einen, wahrscheinlich den, historischen Fehler begangen hat. Die EU-Politiker haben einfach den menschlichen Faktor nicht begriffen. Die Mehrheit der Menschen vor allem in den Mittelmeerländern sieht keinen Grund, freiwillig Unangenehmes zu beschließen, solange jemand Dritter zahlt. Warum sollten sie auch?

Damit ist wohl endgültig das Gerede als Schall und Rauch erwiesen, dass die – völlig unfinanzierbaren! – Haftungen und Kredite und EZB-Versprechungen einen sinnvollen befristeten Schutzschirm aufbauen würden, hinter dem sich Griechenland und all die anderen zielgerichtet reformieren und sanieren würden. Sie tun es aber nicht. Von Griechenland bis Portugal wird nicht einmal annähernd im spürbaren Ausmaß saniert und reformiert. Das ist auch völlig überflüssig, wenn Berlin und die EZB offenbar auf Dauer eh alles zahlen. Die in Südeuropa gezogene Lehre: Wer einmal – entgegen den ausdrücklichen vertraglichen Pflichten! – einer Erpressung nachgibt, der wird wohl immer nachgeben. So glaubt man zumindest derzeit. Weshalb ja auch die deutschen Zinsen signifikant steigen.

Zehntens, letztens und trotz allem: Auch das verantwortungslose Ergebnis der italienischen Wahl kann nicht als Absage an die Demokratie interpretiert werden. Denn zum einen würde auch ein autoritärer Herrscher nicht verantwortungsbewusster regieren. Im Gegenteil. Er würde nur die kritischen Berichte darüber verbieten, bis alles zusammenkracht. Und zum anderen funktioniert Demokratie immer dann und nur dann gut, wenn Entscheidungen und Folgen zusammenfallen. Wenn also die direkt oder indirekt aktiven Wähler auch die Folgen ihrer Abstimmung zu tragen haben. Und wenn sie keine Chance haben, dass (in Österreich) der Bund oder (in der Eurozone) die Deutschen die Zeche für andere politische Ebenen zahlen.

PS.: Köstlich war ein ORF-Auftritt des langjährigen Vranitzky-Mitarbeiters Karl Krammer im ORF. Der Mann, der vielfältige Beziehungen nach Italien und damit große Kenntnis über das Land hat, hat zu Recht die Dramatik des Grillo-Erfolgs beklagt. Der auf der üblichen Medienschiene fahrende ORF-Moderator wollte ihm statt dessen ständig Entsetzen über Berlusconi entlocken. Was der kluge Krammer aber total vermied. Worauf wiederum der Moderator völlig entgeistert war.

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