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Eisenbahn: der mutige Kampf der EU

Der EU wird zu Recht der Vorwurf gemacht, sich viel zu viel in Dinge einzumischen, die lokal – also durchaus unterschiedlich – geregelt werden könnten. Oder die überhaupt von keiner Obrigkeit geregelt werden sollten. Dafür hat sie wichtige Bereiche, die für das Funktionieren eines wirklich gemeinsamen Binnenmarktes notwendig sind, noch immer nicht harmonisiert. Umso erfreulicher ist, wenn sie da nun einen wichtigen wie schwierigen Bereich angreift. Daher sollte das Protestgeheul der bisherigen Profiteure und ihrer Lobbyisten bedenkenlos überhört werden. Selbst wenn zu diesen einst angesehene Ökonomen zählen.

Die Liste der für einen Binnenmarkt noch immer fehlenden Notwendigkeiten ist groß: Sie betrifft vor allem jene Bereiche, wo es grenzüberschreitende Verbindungen und Netzwerke gibt. Das sind etwa:

  • die gemeinsame Flugverkehrskontrolle (wo die nationalen Eifersüchteleien das Fliegen verteuern),
  • der gesamte Energiebereich (man denke an die katastrophalen Auswirkungen der deutschen Alternativenergiepolitik auf die Stromnetze der Nachbarländer),
  • der Straßenverkehr (nicht einmal die Verkehrszeichen sind einheitlich; jede zweite Großstadt hat neuerdings nun auch schon völlig eigenständig und undurchschaubar eigene Einfahrtsverbote entwickelt)
  • und insbesondere auch die Eisenbahn.

Die Bahn als nationales Königreich

Die Eisenbahn ist in Sachen Binnenmarkt noch immer ein absoluter Horror. Ich habe das etwa vor einigen Jahren erlebt, als ich für meine Familie Bahntickets auf einer Reise durch vier europäische Länder zu lösen beschloss. Dieses Vorhaben beschäftigte mich tagelang intensivst, so kompliziert war es, wenn man die Preise halbwegs optimieren wollte. Denn in jedem Land gelten andere Gruppen-, Familien- und Rückfahrkartenregelungen. Das kreuzt sich dann auch noch mit einem undurchschaubaren Aktionismus an befristeten Sonderaktionen.

Am Schluss musste ich mit einer dicken Aktentasche die Reise antreten. Darinnen waren für jedes Land eigene Ticket-Pakete. Ich schwor mir, jenseits von Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt niemals mehr mit der Eisenbahn zu fahren. Wobei ja schon die Südbahn heftigen inneren Widerwillen auslöst. Denn nur auf der Weststrecke ist das Bahnreisen halbwegs komfortabel geworden. Vor allem dank der dort fahrenden privaten Konkurrenz.

Absurd ist aber auch, dass jemand billiger nach Innsbruck fährt, wenn er ein Ticket nach Zürich löst und vorzeitig aussteigt, als wenn er „nur“ bis Innsbruck zahlen würde. Er muss das nur wissen. Denn die ÖBB selber sagen einem das ja nicht.

Und wer nur bisweilen in einem Verkehrsverbund unterwegs ist, also ein Nichtexperte, wird durch die diesbezüglichen Informationen und Regelungen so verwirrt, dass er ohne Hilfe kein Ticket kaufen kann. Worauf er bald wieder a priori zurück zum Auto wechselt.

Nun versucht die EU-Kommission mit einem neuen Regelungspaket, bei den Eisenbahnen ein wenig mehr Vereinheitlichung herzustellen und ein wenig transparentere Regeln durchzusetzen. Dabei muss man ihr viel Glück wünschen, auch wenn sie das ohnedies nur schaumgebremst versucht.

Der Kampf der Schienen-Lobbyisten gegen die Konsumenten und Steuerzahler

Denn schon erheben sich lautstark die Manager und Lobbyisten vor allem der deutschen und österreichischen Bundesbahn mit ihren engen Vernetzungen in ein großes politisches Lager. Klarerweise zittern dort viele um ihre geschützten Werkstätten, in denen die Kundschaft oft nur als leider nicht ganz verbietbare lästige Begleiterscheinung behandelt wird. Das macht aber ein Gelingen des EU-Vorhabens ebenso schwierig wie wichtig.

Der rote Faden der EU-Kommission: Sie will mehr Wettbewerb auf der Bahn. Wie in allen Bereichen nützt der Wettbewerb Kunden und (bei der Bahn ganz besonders!) Steuerzahlern. Wettbewerb steckt ja auch hinter den günstigen Zürich-Fahrkarten: Denn auf dieser Strecke gibt es diesen Wettbewerb – wenn auch mit dem Flugzeug. Nach Innsbruck nicht.

Der einzige Vorwurf, den man der EU machen kann: Sie geht zu langsam und nicht hundertprozentig konsequent vor. Worüber aber klagt der (politisch eingesetzte) Chef der ÖBB? Über das Gegenteil; die Vorschläge seien „aggressiv und viel zu schnell“.

Wie schnell sind sieben Jahre?

Um zu verstehen, was man bei der ÖBB als „zu schnell“ versteht: Das sind fast volle sieben Jahre! Bis Dezember 2019 will die EU nämlich den Ländern ohnedies Zeit lassen, den Personenverkehr für neue Marktteilnehmer und Dienste zu öffnen . . .

Laut jammern die ÖBB und die mit ihr verbundene Partei auch über die von der EU verlangte Trennung zwischen Infrastruktur und Absatz. Das würde die ÖBB „hart treffen“, meint ÖBB-Chef Christian Kern. Gewiss: Herr Kern wäre dann halt nur noch Chef eines der beiden Bereiche. Das ist gewiss ein hartes Schicksal.

Nach außen weiß er aber nur ein einziges Argument zu nennen: Der „Ausgleich“ zwischen Mitarbeitern beim Bau und der Erhaltung der Schienen auf der einen Seite und den Eisenbahnern, die sich um die Züge selber kümmern, wäre nicht mehr möglich.

Es ist offenbar ein bisher unbekanntes Naturgesetz, demzufolge man es bei der Bahn auch in sieben Jahren nicht schafft, die Mitarbeiter-Dimensionen einem angekündigten neuen Umfeld anzupassen. Dass in der selben Zeit Tausende Unternehmen in Konkurs gehen werden, und Hunderttausende sich einen neuen Arbeitgeber suchen und umlernen müssen, sind für Eisenbahner offenbar Vorgänge auf einem anderen Planeten. Statt nachzudenken, ob man dazu eventuell die Änderung innerösterreichischer Gesetze verlangen sollte, jammert Kern: Geht nicht.

Sogar der natürliche Abgang würde reichen

Ja noch mehr: Im gleichen Atemzug, da er jammert, kündigt Kern an, dass sehr wohl die Größenordnung von 40.000 (aktiven) Eisenbahnern gleich bleiben werde. Um bis Ende 2019 die Mitarbeiterzahlen drastisch zu senken, würde es aber in Wahrheit genügen, den natürlichen Abgang wirken zu lassen. Damit müssen sich locker 20 Prozent reduzieren lassen, wahrscheinlich sogar 25. Wenn man nur will und nicht in Wahrheit parteipolitische und gewerkschaftliche Interessen verfolgt.

Wenn Kerns Argumente richtig wären, dann hätte man ja einst auch die Post nicht in Telekom und Briefpost aufspalten und weitgehend privatisieren dürfen. Diese Aufspaltung und Öffnung für einen harten Wettbewerb hat den Österreichern jedoch erstens eine sensationelle Verbilligung ihrer Telefonierkosten gebracht. Und zweitens hat sie sogar die damals von schlechten Zukunftsaussichten begleitete gelbe Post in ein heute auch für Anleger attraktives Unternehmen verwandelt, das neue Märkte erobert, statt sich zu fürchten.

Dabei war die Brief- und Paketpost bei der früheren Einheitspost immer ein großer Defizitbringer. Dabei hat die neue Post noch immer einen lähmenden Rucksack von Beamten auf der Besoldungsliste mitzuschleppen, von denen sich leider ein Großteil als unbrauchbar erwiesen hat. Das merkt man noch immer in so manchen Postämtern. Diese sind noch wirkliche Ämter geblieben, wo es offensichtlich dauert, bis sich auch dort der neue Geist auswirken wird.

Umstellungsprobleme in den Anfangsjahren

Zurück zur Bahn: Europaweit gibt es vorerst nur zwei Länder, welche die Eisenbahn komplett für den Wettbewerb geöffnet und gleichzeitig Infrastruktur von Betrieb getrennt haben: Schweden und Großbritannien. Und beide haben ganz exzellente Erfahrungen damit gemacht.

Auch in Großbritannien haben selbst die Linksregierungen niemals versucht, Privatisierung und Wettbewerb wieder rückgängig zu machen. Die Passagierzahlen sowie die mit Umfragen getestete Fahrgastzufriedenheit haben dramatisch zugenommen; und die Unfallzahlen haben sich reduziert.

Woher kommen dann die bei uns immer wieder verbreiteten kritischen Berichte über die englische Bahn?

  • Die hängen erstens mit der ideologischen Prädisposition der meisten Journalisten zusammen;
  • die hängen zweitens mit den tatsächlichen Umstellungsproblemen in den allerersten Jahren nach der Privatisierung zusammen;
  • die waren drittens Folge von auf dem britischen Boulevard sehr breit berichteten Preiserhöhungen in der Anfangszeit (diesen waren aber wiederum Folge von davor lange aus politischen Gründen eingefrorenen Preisen und sie haben bei weitem nicht das Ausmaß etwa der jüngsten Tariferhöhungen in der Gemeinde Wien erreicht);
  • sie waren viertens Folge der Neuheit und des Tempos einer viel rascheren Privatisierung, als sie von der EU jetzt geplant ist (die Briten haben ja als Pioniere nicht schon auf Erfahrungen anderer Länder und jetzt auch auf offensichtlich gut vorbereitete EU-Studien aufbauen können);
  • sie war fünftens Folge der davorliegenden Jahrzehnte, in denen der britische Staat als Eigentümer auf jede Investition in die Bahn verzichtet hatte;
  • und sie hängen sechstens mit dem Problembereich Infrastruktur zusammen, wo dann – als einziger Bereich – auch die Privatisierung bald zurückgenommen werden musste.

Problemzone Infrastruktur

Denn entgegen den damaligen Erwartungen lässt sich die Infrastruktur naturgemäß schlechter privatisieren als Personen- und Frachtzüge. Bei der Infrastruktur kann es naturgemäß kaum Wettbewerb geben. Und Investitionen haben dort eine viele Jahrzehnte dauernde Amortisationsfrist. Es wird ja auch nirgendwo das Straßennetz privatisiert, wenngleich einzelne mautpflichtige Autobahnen und Brücken ein interessantes Beispiel sind, wie man auch dort sonst nicht mehr finanzierbare Infrastrukturbauten privat bauen kann.

Die österreichische Asfinag ist jedenfalls kein gutes Beispiel für eine staatliche Infrastrukturgesellschaft: Denn sie hat sich auf Jahrzehnte hinaus schwer verschuldet. Die Asfinag müsste eigentlich wegen ihrer Finanzsituation in ein paar Jahren alle Investitionen einstellen. Sie hat in den letzten Jahren viel zu viel gebaut. Sie stand auch unter Druck der parteipolitisch hervorragend vernetzten Baulöwen (man denke nur an die Herrn Pöchhacker oder Haselsteiner), die ohne Rücksicht auf die Zukunft bauen, bauen, bauen und damit Geld verdienen wollten; sie stand unter Druck von Bürgermeistern und Landeshauptleuten, die Österreich mit so viel Lärmschutzwänden auf Kosten der Asfinag zumauern ließen, wie es sie in ganz Europa nicht gibt. Und von den Korruptionsinseraten der Asfinag wollen wir ja gar nicht reden.

Das wäre alles bei einem privatwirtschaftlich verpflichteten Infrastrukturbetreiber jedenfalls nicht passiert.

Die britischen Bahnen sind eine Erfolgsgeschichte

Alles spricht also dafür: Die EU hat recht, wenn sie entgegen den Berichten in linken Medien auch Großbritannien als absolute Erfolgsstory einer Trennung der Bahngesellschaften, einer Privatisierung und eines starken Wettbewerbs nennt. Denn selbst eine staatlich verbleibende oder notfalls wiederverstaatlichte Infrastrukturgesellschaft steht unter Druck der privaten Betreiber, für funktionierende und sichere Schienen zu sorgen. Und diese Betreiber stehen wieder unter Druck der Kunden, die ja auch Auto, Lkw oder Flugzeug benutzen können.

Wir sind daher schon froh, wenn die EU mit ihrem Hauptziel Erfolg hat: Dass in ein paar Jahren quer durch Europa Züge in offenem und transparentem Wettbewerb nach einheitlichen Regeln fahren können. Wer auch immer für die benutzten Schienen sorgt. Dieses Ziel ist nur dann erreicht, wenn nicht wie anfangs zwischen der neuen „Westbahn“ und den ÖBB unzählige Prozesse wegen der diskriminierenden Behandlung der „Westbahn“ anhängig gemacht werden müssen, weil die ÖBB die Konkurrenz so schlecht behandelt hat.

Genügen Feuermauern statt echter Trennung?

Auf Grund dieser Erfahrungen muss man freilich über einen halben Rückzieher der EU traurig sein: Sie akzeptiert, dass auch nach der Neuordnung Betriebs- und Infrastrukturgesellschaft derselben Holding gehören. Sie verlangt nur gute Feuermauern dazwischen. Aber solche  haben noch nie perfekt funktioniert, wenn der Eigentümer gleich ist. Womit wohl der zweite Webfehler in ein sonst sehr gutes Konzept eingebaut ist.

In diesem finden sich jedoch auch noch viele andere sehr gute Details und Vorhaben. Davon sei hier nur eines genannt: Das ist die Schaffung einer einzigen europäischen Anlaufstelle für die Genehmigung aller Fahrzeuge und in dem Bereich aktiven Unternehmen. Alleine mit der einheitlichen Genehmigung sind mindestens 20 Prozent Kostenersparnisse möglich (nicht nur weil dann halt im Verkehrsministerium ein paar Beamte überflüssig werden). Man denke nur daran, wie sehr nationale Bahnen, etwa die italienische, ausländische Züge immer wieder wegen skurriler Sicherheitsregeln behindert haben.

Ein starker Regulator fehlt weiterhin

Zwei weitere Bereiche sind hingegen auch mit dieser Reform noch nicht ganz geglückt: Einerseits fehlt ein wirklich starker Regulator, der die  Gleichberechtigung aller Betreiber durch die Infrastrukturverwalter sowie Tariftransparenz und Konsumentensicherheit europaweit sicherstellen könnte; diese Aufgabe erfordert nämlich einen täglichen Kampf gegen ständig neue Tricks der Firmen und kann nicht von vornherein mit einer einzigen Richtlinie geregelt werden.

Andererseits werden die technischen Anlagen noch immer nicht vereinheitlicht. Daher wird es auch in Zukunft noch immer nicht jeder Lokomotive möglich sein, quer durch Europa zu fahren. Wie es ein Lkw seit langem kann. Die Lkw aber sind bekanntlich die weitaus größte Konkurrenz der Bahn.

Also Ja zur Gleichberechtigung der Bahn mit der Straße. Auch wenn die Bahnen lustigerweise heftig dagegen sind.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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