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Die Pröll-Debatte wird unvermeidlich

Es ist gewiss nicht die feine Art, eine parteiinterne Revolution zu starten und an die Öffentlichkeit zu tragen, wenn der Parteiobmann mit Lungenembolie darniederliegt. Es ist auch nicht sonderlich intelligent, wenn der Raiffeisen-Mann Ferdinand Maier im VP-Klub die Revolution fast mit den gleichen Worten ausruft, mit denen er schon einmal gegen Molterer und Schüssel geblasen hatte. In der ÖVP hat sich aber viel zu viel Druck angesammelt, als dass dort noch irgendetwas steuerbar wäre. All die Fehler, Unzukömmlichkeiten und Sünden, die das Tagebuch seit Jahr und Tag auflistet, mussten einmal zur Explosion führen.

Und natürlich geht es nicht nur um Klubobmann Heinz Kopf, wenn immer mehr schwarze Abgeordnete die Faust in der Tasche ballen, wenn sie Führungsdefizite und eine „Elfenbeinpolitik“ anprangern. Sondern es geht auch um Josef Pröll und seinen Generalsekretär Kaltenegger.

Die Partei ist unter der gegenwärtigen Führung in vielerlei Hinsicht schlecht unterwegs. Wenn nun die lauteste Kritik ausgerechnet aus dem Raiffeisen-Eck kommt, welches ja einst Pröll gegen Molterer durchgeboxt hat, dann bedeutet das höchste Sturmwarnung.

Die medial auffälligsten Defizite sind zwei schwere Fehlgriffe in Personalfragen, die Pröll beide selbst zu verantworten hat. Der eine heißt Christine Marek, von der jeder außer Pröll von Anfang an wusste, dass mit ihr kein Blumentopf zu gewinnen ist. Der andere Ernst Strasser, der mit großer Wahrscheinlichkeit bald auf der Anklagebank sitzen dürfte, was noch sehr lustig sein wird (vor allem weil es die Staatsanwaltschaft wohl schaffen wird, den Prozess bis knapp vor die nächsten Wahlen zu schleppen). Marek wie Strasser sind jedenfalls beide von Pröll persönlich gegen massiven Widerstand innerhalb und außerhalb der Partei in ihre Führungsfunktionen gehievt worden.

Dass die Parteiführung auch sonst keinerlei Talent in Personalfragen hat, zeigt auch das gesamte Ministerteam, in dem als einzige Maria Fekter Gestaltungskraft zeigt; die meisten anderen von Mitterlehner bis Berlakovich sind so schwach, dass es nicht einmal einen der politischen Gegner die Mühe lohnt, sie zu attackieren. Und Claudia Bandion-Ortner steht überhaupt schon unter Artenschutz (vor allem, weil sie eine Staatsanwaltschaft nach der anderen rot besetzt).

Gewiss kann man jetzt räsonieren, dass es weit und breit keine politischen Talente mehr gibt, die auch in die Politik zu gehen bereit wären und dass auch Rot, Blau und Orange in den letzten Jahren alles andere als Strahlemänner oder -frauen in die Regierungen geschickt haben. Marek und Strasser sind aber eben nur Pröll passiert, und er kann absolut niemanden vorweisen, mit dem er von den beiden ablenken könnte.

Prölls zweiter schwerer Fehler ist seine politische Generallinie, sich mit seiner ganzen politischen Körpersprache von seinen parteiinternen Vorgängern zu distanzieren. Das zeigt, dass er nichts von politischer Psychologie versteht: Wenn die eigene Führung die bisherige Politik der Partei zum Fehler stempelt, dann lehrt das die Wähler nur eines: Das ist eine problematische Partei, die selbst zugeben muss, dass sie Fehler macht.

Das würde den Sozialdemokraten nie passieren: Die erheben als oberste strategische Linie die gesamte eigene Parteigeschichte ständig zur Ehre der Altäre. Die kämpfen heute noch um die Geschichtsschreibung sogar der Zwischenkriegszeit, in der sie mit Eleganz von ihren eigenen undemokratischen Bestrebungen ablenken; denn ein Kampf für die „Diktatur des Proletariats“ wenige Jahre nach der sowjetischen Revolution wäre ja eigentlich Anlass für reuige Selbstbeknirschung. Geradezu sensationell war auch, wie die SPÖ mit Hilfe von ORF und vielen Medien die schweren Fehler Kreiskys bei dessen Geburtstags-Zelebrationen mit großem Erfolg unter den Tisch gekehrt hat: sein Techtelmechtel mit dem Mörder Udo Proksch, die von ihm ausgelöste Spirale der Staatsverschuldung, Kreiskys antisemitischen Töne gegen Israel und Simon Wiesenthal, seine Unterwürfigkeit gegen Moskau, seine Vorliebe für Exnazis als Minister oder die Misswirtschaft in der verstaatlichten Industrie.

Die Pröll-ÖVP betont hingegen mit keinem Wort  die Erfolge etwa der Schüssel-Ära, in der – als einzige Epoche seit 1970! – die Zunahme der Staatsverschuldung gestoppt werden konnte; in der zumindest der Versuch einer Sanierung des Pensionssystems gemacht wurde, in der viele Betriebe mit Erfolg privatisiert wurden, in der die Unis dem direkten Zugriff der Politik entzogen wurden, an deren Ende Österreich von vielen internationalen Zeitungen als Musterland gelobt worden ist.

Die kalte Distanzierung von Schüssel nützt Pröll freilich genauso wenig wie der britischen Labour-Partei die Distanzierung von ihrem einstigen Strahlemann Tony Blair genutzt hat. Sie ist letztlich nur dumm – was man auch daran ablesen kann, dass die ersten offenen Attacken auf Pröll eben aus seinem eigenen, dem Raiffeisen-Eck gekommen sind und nicht von der verfemten Viererbande.

Der schlimmste Fehler des ÖVP-Obmannes aber ist seine inhaltliche Führungsschwäche. Gerade ein strukturell so heterogener Haufen wie eine bürgerliche Partei braucht in den Grundsatzfragen eine klare Orientierung durch den Leitwolf. Der aber hatte fast zwei Jahre gebraucht, um sich auch nur in der simplen Frage der Gesamtschule festzulegen.

Der Parteiobmann gibt zu vielen anderen Fragen überhaupt nichts vor. Ob das nun Kultur oder Außenpolitik ist, ob das nun Medien- oder Gesundheitsthemen, ob es Landesverteidigung, Familien- oder Justizpolitik, ob das nun Zeitgeschichte oder Ideologie sind: Pröll hat erkennbar keinen inhaltlichen Bezug zu all diesen Fragen (außer seinem Engagement für die Schwulenehe) – ganz im Gegensatz zu seinen drei Vorgängern Busek, Schüssel und Molterer. Pröll hat aber bis auf die Außenpolitik auch nirgendwo Mitstreiter gefunden, die für die ÖVP zumindest ein Mindestmaß an geistiger Präsenz in diesen Themen aufrechterhalten könnten.

Und er ist auch selbst kein großer Finanzminister. Ein zu großes Defizit im laufenden Jahr, schädliche Steuererhöhungen, die überflüssige Rettung der Hypo Alpen-Adria – und vor allem der absurde Monstertunnel zwischen Graz und Klagenfurt, der mehr kostet, als all die kleinen Schikanen des jüngsten Sparpakets einbringen.

Unter den Funktionären wie auch bei den Wählern wird Pröll aber eines noch mehr angekreidet: dass er ständig völlig überflüssige Konzessionen an seinen Koalitionspartner Faymann macht. Statt einfach beim (richtigen) Nein zu bleiben, stimmt Pröll schließlich Steuerhöhungen und sinnlosen Schikanen für Anleger und Banken zu. Statt einfach Nein zu sagen, stimmt er der im Widerspruch zum Koalitionspakt stehenden Abhaltung einer Volksbefragung über die Wehrpflicht zu. Statt einfach Nein zu sagen, stimmt er einer Verlängerung der absurden Hacklerregelung zu.

Aber er hat sich nirgends eine Gegenleistung der SPÖ bei jenen Dingen einhandeln können, die für Österreich wichtig wären, von sinnvollen Zugangsregeln für die Unis über eine Entpolitisierung und Leistungsorientierung der Schulen, über eine Entpolitisierung der ÖBB bis zu einer Erhöhung des Pensionsalters und zu einer heftigen Redimensionierung des Staates.

Gewiss: Hätte Pröll die Kraft zum Nein und hätte er für diese und ähnliche Ziele gekämpft, hätten Zeitungen geschrieben, die Koalition streite. Aber dann hätten die liberalen, konservativen, christlichen, verantwortungsorientierten Wähler in diesem Land wenigstens noch gewusst, warum sie einst die ÖVP gewählt haben.

Pröll hat in den nächsten Wochen nach seiner Genesung eine letzte Chance, durch einen großangelegten Personalwechsel und durch eine Besinnung auf eine klar wertorientierte und liberalkonservative Reformpolitik Führungskraft zu zeigen. Freilich fehlt einem der Glaube, dass er wirklich noch die Kraft dazu aufbringen kann. Nicht nur seiner Krankheit wegen.

Aber vielleicht ist die ÖVP auch längst nicht mehr zu retten, wird sie doch durch Bleigewichte wie Christoph Leitl und Erwin Pröll (die sich beide auf Kosten von Republik und Partei als egoistische Oberzwerge in ihren Schrebergärten eingraben) ständig noch tiefer in den Untergang gezogen.

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