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Europas Blödheit, Ungarns Rache

Den beiden harten Urteilen dieser Überschrift hätte man noch eine dritte hinzufügen können: Österreichs Unfähigkeit. Denn dieses Land hat jahrelang wirklich alles versäumt, was dringend nötig gewesen wäre, um die eskalierenden Konflikte zwischen der EU und dem Nachbarland zu besänftigen und die nach der Wende neu erwachte und inzwischen entschlafene Freundschaft wiederzubeleben. Ungarn ist schon auf Grund der Geschichte ein ganz besonders wichtiger Nachbar. Gleichzeitig ist aber auch die EU für Österreich unverzichtbar, will das Land wirtschaftlich überlebensfähig bleiben.

Was macht Österreich in dieser Zerreißprobe? Es steckt wieder einmal den Kopf in den Sand.

Die Entwicklung in Kürze zusammengefasst: In Ungarn ist Viktor Orbán 2010 zum zweiten Mal ins Ministerpräsidentenamt gekommen, wo er seither sitzt. Die anfänglich gelähmte postkommunistisch-linksliberale Opposition hat in der Folge von den österreichischen Sozialisten eine raffinierte Strategie übernommen: Sie hat Orbán in der EU massiv zu denunzieren begonnen.

Dessen  – eindeutig demokratisch zustande gekommene – Wahlsiege seien das Ende von Rechtsstaat und Demokratie, seien die Machtergreifung des Faschismus. Genau dasselbe hatte die SPÖ einst mit einem einige Monate anhaltenden Erfolg gegen die 2000 gebildete schwarz-blaue Regierung Schüssel behauptet und damit antiösterreichische Sanktionen ausgelöst.

So falsch die EU-Kampagnen damals gegen Österreich gewesen sind, so falsch waren und sind sie auch in Hinblick auf Ungarn. Dennoch wiederholte sich die Geschichte, da niemand aus ihr gelernt hat.

Ungarn stand in den letzten Jahren zunehmend alleine gegen die auch medial gut geschmierte Denunziationsmaschine. Absurderweise hat auch Österreich nichts aus den Vorgängen des Jahres 2000 gelernt und jetzt selbst weitgehend die Denunziation mitgemacht. ÖVP-Politiker wie Hahn, Edtstadler und (sowieso) Karas waren dabei besonders lautstark. Aber auch von anderen Regierungspolitikern, also von denen, die weniger aus der Perspektive Brüssel, sondern mehr der Interessenperspektive Wien die Welt sehen, wo Budapest eigentlich sehr nahe liegt, stellt sich keiner erkennbar an die Seite Ungarns (während sich Orbáns Ungarn im Jahr 2000 – als es noch gar nicht EU-Mitglied gewesen ist – zwar vorsichtig, aber durchaus solidarisch gegenüber Österreich gezeigt hatte).

Wer nicht aus der Geschichte lernt, muss sie wiederholen.

In der Reaktion des Opfers auf die linke Denunziationsmaschine aber zeigten sich bald Unterschiede. Österreich unterwarf sich damals etwas demütig, aber taktisch geschickt einer Historikerkommission, die trotz heftiger Fütterung durch die gesamte Linke außer Lappalien keine Delikte in Österreich fand. Als ärgstes Verbrechen wurde ein Satz des damaligen Justizministers Böhmdorfer inkriminiert, der die Einführung eines Patriotismus-Paragraphen als überlegenswert angepriesen hatte, wie es ihn in etlichen europäischen Ländern gibt. Dieser Bericht führte dann sehr rasch zu einem Ende der europäischen Hass-Sanktionen gegen die Alpenrepublik und zu etlichen erkennbaren Gewissensbissen bei den Miteuropäern.

Nach Orbáns Rückkehr an die Macht wurden ganz ähnlich skurrile Vorwürfe laut, er würde Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte abschaffen. Die ungarische Opposition war sehr erfolgreich im Ausstreuen solcher Behauptungen – noch viel erfolgreicher als die österreichische im Jahr 2000. Denn praktisch kein einziger Ausländer kann sich mangels Sprachkenntnissen ein Bild darüber machen, was in Ungarn wirklich der Fall ist.

Es wurde auch kein Vergleich mit anderen Ländern gezogen. Denn politische Postenbesetzungen durch die Machthaber bis hin zur Justiz, politische Versuche, Medien zu beeinflussen, und Korruption findet man leider überall. Was sie nicht rechtfertigt, was es aber zum EU-Skandal macht, wenn die EU-Kommission und der von der Kommission aufgeganserlte EU-Gerichtshof nur im Falle Ungarns energisch dagegen vorgehen.

Die Lage Ungarns wurde aber dadurch erschwert,

  • dass der ungarischen Opposition auf Grund der Sprachsituation das Skandalisieren extrem leicht gefallen ist;
  • dass sich Viktor Orbán auch ganz massiv mit der erstaunlich einflussreichen Schwulen- und Trans-Lobby angelegt hat, denen er die Propaganda in den ungarischen Schulen verboten hat.
  • dass Orbán mit großem, anderswo unüblichem Selbstbewusstsein in die Auseinandersetzungen mit Brüssel gegangen ist, was besonders die Gründungsmitglieder der EU gar nicht goutierten.

Während diese Gründungsmitglieder im Grund nämlich meinen, dass ihnen alle anderen ewig dankbar dafür sein müssen, in die EU aufgenommen zu werden, haben die mittelosteuropäischen Reformstaaten umgekehrt das Gefühl gehabt, dass ihnen Westeuropa verpflichtet sei, weil sie 40 Jahre lang der russischen Terrorherrschaft ausgesetzt gewesen sind und der Westen das tatenlos hingenommen hat. Die Reformstaaten sehen die Abschüttelung des Kommunismus darüber hinaus als eigene Leistung, für die sie eigentlich doppelt Anerkennung verdienen.

Orbán ist heute einer der nur noch wenigen Spitzenpolitiker, der in diesem Befreiungskampf selbst eine durchaus aktive und mutige Rolle gespielt hat. Es hätte für ihn übel ausgehen können, als er damals in öffentlichen Reden den Abzug der Sowjets verlangt hatte.

Psychologisch ist es nachvollziehbar: Wer den Russen die Stirn geboten hat, der sieht die EU als Jausengegner an. Was diese wieder gar nicht gern spürt.

Wie auch immer: Ungarn reagiert auf die oberlehrerhafte Attitüde der EU ganz anders als Österreich im Jahr 2000. Es hat zwar ähnlich auf sachlicher Ebene die Vorwürfe zu widerlegen versucht. Aber Orbán ist darüber hinaus auch in einen trotzigen Totalwiderstand gegangen. Fast in jeder einzelnen Frage, die Ungarn keinen Vorteil verspricht, versucht er seit einiger Zeit Blockadeaktionen.

So verhindert Orbán derzeit sowohl weitere Ukraine-Hilfe der EU wie auch weitere Sanktionen gegen Russland. Neben dem Revanchemotiv hat Ungarn auch gewiss nationale Eigeninteressen im Sinn. So verlangt er die Streichung einer ungarischen Bank von der Sanktionsliste, was etwa Österreich nie so direkt zugunsten seiner im Russlandgeschäft engagierter Banken wagen würde.

Der große Fehler Orbáns: Er übersieht in seinem massiven Revanchezorn gegen die Brüsseler Oberlehrer, dass es eindeutig auch für Ungarn katastrophal wäre, würde Putin siegen und russische Truppen wieder einmal an der ungarischen Grenze stehen– noch dazu, wenn manche in Moskau sagen, dass sie wieder alles zurückhaben wollen, wo einmal russische Truppen gestanden sind.

Vermutlich geht dabei neben dem Revanchebedarf noch etwas anderes in Orbáns Unterbewusstsein vor: Trotz seiner unbestrittenen Dissidentenrolle ist er irgendwie überzeugt, dass Ungarn auf Grund seiner geographischen Lage einer zumindest teilweisen russischen Oberherrschaft nicht entkommen kann, dass es dauerhaft nur mit einer Schaukelpolitik durchkommt.

Gleichzeitig hat er sich aber nicht nur mit der EU, sondern auch den USA angelegt: Er wünscht sich als einziger Regierungschef der Welt offen eine Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus. Das macht naturgemäß die Regierung des Joe Biden nicht gerade ungarneuphorisch. Ob viel Feind viel Ehr macht, lässt sich im Falle Ungarns freilich nicht beweisen. Viele Probleme machen die vielen Feinde jedenfalls.

Und jedenfalls wäre es auch im Interesse Österreichs, sich durch ein paar Gesten Ungarn verpflichtet zu machen. Gerade jetzt. Denn gerade in solchen Krisenphasen können echte Freundschaften entstehen. Aber freilich: Dazu müsste es in der österreichischen Außenpolitik jemanden geben, der die Interessen der Republik strategisch analysieren könnte. Von der EU wird Österreich hingegen ganz sicher keine Zusatzpunkte bekommen, weil es voll beim Ungarn-Bashing mitmacht.

Statt dessen wird Österreich jetzt auch heftig vom nächsten, durchaus infamen Revancheakt Ungarns getroffen: Budapest lässt Tausende ausländische Strafgefangene frei – der Großteil davon sind Schlepper, die Ungarn erwischt hat. Selbst wenn man es nicht beweisen kann, dass auch das ein Revancheakt gegen die vielen überflüssigen EU-Schikanen ist, so spricht alles dafür, dass es so ist.

Doppelt provozierend ist: Ungarn besteht nicht nur nicht auf Abbüßung der weiteren Strafe im Heimatland der Täter (wie es andere Staaten tun, wenn sie ausländische Straftäter abschieben); es besteht nicht einmal darauf, dass diese in ihre Heimat zurückgehen. Das wird sich wohl bald in Österreichs Kriminalstatistik unerfreulich niederschlagen.

Das alles ist nur ein Element einer möglicherweise gefährlichen und jedenfalls überflüssigen Entwicklung. Dabei wäre die Lösung ganz eindeutig: Die Brüsseler Oberlehrer verzichten auf die ideologische Indoktrinierung wie etwa das Engagement für Schwulen- und Trans-Propaganda in den Schulen; und Ungarn verzichtet andererseits auf seine immer infamer werdenden Revanche-Nadelstiche.

Dabei wäre ja durchaus anzuerkennen, dass Ungarn auch echte Anliegen hat: So sorgt es sich seit langem um die ungarisch sprechende Minderheit (auch) in der Ukraine. Dennoch hat keine ukrainische und keine EU-europäische Initiative jemals auch nur versucht, da eine konstruktive Lösung zu finden. Minderheitenprobleme interessieren die EU nicht (fast möchte man hinzufügen: im Gegensatz zu denen der Schwulen). Man kann freilich auch nicht ausschließen, dass Ungarn damit spekuliert, im Westen der Ukraine die vor mehr als hundert Jahren verloren gegangen Gebiete zurückzugewinnen. Das ginge nur bei einem Zerfall der Ukraine, wenn sich Russland große Teile einverleibt.

Ein anderer alter Klagepunkt Ungarns: Es hat sich immer vehement über die CEU-Universität in Budapest beschwert, die vom Exilungarn und Orbán-Feind George Soros mit eindeutig politischen Intentionen finanziert wird. Diese hat in Ungarn immer wieder juristische Zulassungsprobleme bekommen und ist in der Folge (unter heftiger Mithilfe des Wiener Rathauses) nach Österreich übersiedelt. Inzwischen bekommt man jedoch viel Verständnis für Orbáns Aversion gegen die CEU: Dafür sorgt das Wahlergebnis der jüngsten ÖH-Wahl. Die CEU-Studentenschaft hat sich als die am weitesten links stehende von ganz Österreich erwiesen: Weit mehr als 90 Prozent haben linke Listen gewählt; die bürgerliche Aktionsgemeinschaft bekam ganze 1,6 Prozent; die beiden kommunistischen Listen hingegen fast 28 Prozent.

Das übertrifft bei weitem noch die Ergebnisse der Orchideenuniversitäten für angehende Schauspieler und Maler, die traditionell sehr weit links wählen. Aber Künstler waren noch nie politisch ernstzunehmen. Die CEU hätte hingegen den Anspruch, das zu sein.

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