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Die 15 Totengräber am Grab der „Wienerzeitung“

Durch einen Parlamentsausschuss ist die letzte Etappe des Todeskampfes der "Wienerzeitung" eingeläutet worden. Das erfüllt mit trauriger Nostalgie – auch persönlich, habe ich doch viereinhalb sehr erfolgreiche Jahre dort werken können. Das gibt Anlass, die Ursachen für den Untergang des Blattes aufzulisten, insbesondere die begangenen Fehler und Versäumnisse sowie all das, was man unbedingt versuchen hätte müssen.

Dabei finden sich sowohl objektiv von niemandem beeinflussbare Faktoren wie auch solche, wo schuldhaft direkt oder indirekt zu diesem Tod beigetragen worden ist. Dabei lassen wir außer Acht, wieweit die stolze Geschichtslegende stimmt, die der Zeitung eine mehr als 300-jährige Geschichte gegeben und sie damit zur ältesten Tageszeitung der Welt gemacht hat. Vom Eigentum bis zum Namen und zum Inhalt ist 1703 ja alles ganz anders gewesen, was zumindest stutzig macht. Aber auch ohne diesen Weltrekord ist die "Wienerzeitung" ein stolzes Produkt dieses Landes – gewesen.

Vieles hat aber fast zwangsläufig zum Untergang geführt. Zuerst zu den Ursachen ohne persönliches Verschulden:

  1. An erster Stelle ist zweifellos das allgemeine Zeitungssterben als Folge der übermächtigen Konkurrenz des Internets zu nennen: Die "Wienerzeitung" wird nicht die erste und nicht die letzte Zeitung sein, die in diesem Kampf unterliegt. Die Generation unter 45 bis 50 Jahren liest dramatisch wenig Zeitung, aber auch bei den Älteren ist das Lesen einer Papierzeitung langsam im Abnehmen. Immer mehr Menschen informieren sich – scheinbar oder wirklich – im Internet.
    Dort können sie auf irgendwelchen Plattformen überdies auch ihre eigenen Meinungen zum Besten geben. Das ist demokratiepolitisch sogar überaus positiv, selbst wenn im Internet sich relativ viele frustrierte Sonderlinge und ungehobelte Schimpfer abreagieren. Aber auch die sind schließlich Bürger dieses Landes und haben Meinungs- und Äußerungsfreiheit. Umso erschreckender sind daher die immer brutaleren Versuche der Politik – von der UNO über die EU bis zum heimischen Gesetzgeber –, die aufbegehrenden Stimmen aus dem Volk wieder, wie einst im Vormärz, als unbotmäßig zu verbieten.
  2. Der zweite objektiv nachvollziehbare Faktor beim Tod der "Wienerzeitung" ist ihre skurrile bisherige Finanzierungsbasis, die nur doktrinäre Sozialisten für in Ordnung halten können: Längst hat sonst niemand mehr nachvollziehen können, warum eine sechsstellige Anzahl von österreichischen Unternehmen alljährlich unter den absurdesten Vorwänden zu Einschaltungen in der Zeitung gezwungen wird. Diese Einschaltungen liest zwar niemand, mit ihnen wird die "Wienerzeitung" aber hauptsächlich finanziert. So musste bisher etwa alljährlich in zehntausendfacher Papierauflage gedruckt werden, dass der Jahresabschluss einer Mini-GmbH beim Firmengericht hinterlegt worden ist. Das erinnert in Zeiten des Internets an die Steinzeit.

Dennoch hätte sehr wohl die Möglichkeit bestanden, ein Überleben der Zeitung zu ermöglichen, wenn auch in ganz neuer Form. Es sind jedoch alle nur möglichen Patzer und Bösartigkeiten passiert, die das im Zusammenwirken verhindert haben. Die wichtigsten dieser Fehler und Versäumnisse:

  1. Eitel darf ich jenen Faktor als ersten nennen, der mit mir zusammenhängt – und damit der einzigen Zeit in den letzten Jahrzehnten, wo die Zeitung wachsende Leserzahlen hatte. Dadurch war die Zeitung zwar noch nicht ausfinanziert, aber zumindest zu einer sehr aussichtsreichen Perspektive gelangt. Diese Phase ist aber vom SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann abrupt abgedreht worden. Ihm war die bei den Lesern beliebte kritisch-unabhängige Linie der Redaktion unter meiner Führung zu unangenehm. Nach meinem Abschuss ging es mit der Leserzahl der Zeitung nur noch bergab. Daher ist es geradezu lächerlich, wenn sich ausgerechnet die SPÖ jetzt als Retterin der "Wienerzeitung" aufzuspielen versucht.
  2. Weder Verlag noch Redaktion hatten jemals gelernt, was ich in meinen mehr als drei Jahrzehnten "Presse" tagtäglich lernen und praktizieren musste: Das Machen einer Qualitätszeitung ist praktisch immer mit der Notwendigkeit verbunden, eisern zu sparen (nur durch Sparen und durch professionelle Auflagen-, Inseraten- und Effizienzsteigerung hatten wir die "Presse" einst um die Jahrtausendwende erstmals seit 1918 in die schwarzen Zahlen gebracht, wobei sich Julius Kainz, Kurt Schügerl und Peter Umundum auf kaufmännischer Seite besonderes Verdienst dafür erworben haben). Ohne eine solche internalisierte Fähigkeit zum Sparen wäre ein Weiterleben der "Wienerzeitung" noch viel schwieriger geworden.
  3. Auch vom Eigentümer, der durch den Bundeskanzler vertretenen Republik, ist absolut nie ein Drang zu Sparsamkeit ausgegangen. Was ich auch bei meinem eigenen Hinauswurf beobachten konnte: Da mir die SPÖ-Partie keinen einzigen dienstlichen Vorwurf machen konnte, ließen sie mir einfach für den Rest meines Vertrags den vollen Gehalt auszahlen, ohne dass ich irgendeine Gegenleistung erbringen musste – was juristisch massiv nach Untreue der Organträger gegenüber der Republik aussah, allerdings den roten Staatsanwälten völlig egal war.
  4. Auf dem Faulbett der üppigen Finanzierung durch die Zwangseinschaltungen hat die Verlagsführung der "Wienerzeitung" nie irgendwelche ernstlichen Anstrengungen unternommen, kommerzielle Inserate zu bekommen. Dazu hätte man freilich auch offiziell in die Media-Analyse einsteigen – und damit Legenden über die eigene Auflage aufgeben müssen.
  5. Die Regierung hat in den letzten Monaten angeblich mit vielen "Experten" über die Zukunft der "Wienerzeitung" geredet. Allerdings kenne ich niemanden, der befragt worden wäre UND zugleich eine Ahnung vom kommerziellen Zeitungshandwerk hätte (außer Konkurrenzverleger, die natürlich eher froh sind, wenn die "Wienerzeitung" verschwindet).
  6. Fast alle in die jetzige "Lösung" aufgenommenen Dinge sind daher peinlich und skurril. Österreich braucht zwar viele gute und unterschiedliche Medien, aber keine weitere zusätzliche Journalisten-Ausbildungsplattform (die überdies mit Sicherheit genauso schlecht sein wird wie wirklich alle derzeit existierenden an Unis und Fachhochschulen).
    Denn für Nachwuchs-Journalisten – wo es sie überhaupt noch braucht – wären ganz andere Fähigkeiten als der dort überall verzapfte theorie- und ideologielastige Schwachsinn nötig. Das wären Dinge, die man nur anderswo lernt wie: perfekte Rechtschreibung, sehr gutes Allgemeinwissen, ausgezeichnetes Englisch, logisches Denken in Zusammenhängen, Kontaktfähigkeit und eine Spezialausbildung in Recht, Wirtschaft, Kunst, Sprachen oder Geschichte (aber bitte auch von den Historikern nicht den Zehntausendsten Vergangenheitsbewältiger); den Rest lernt man in einer Ausbildungsphase im eigenen, jeweils sehr unterschiedlichen Medium. Ein solcher von der Regierung nun geplanter "Hub" hat in Wahrheit eine einzige Funktion: einigen dort tätigen Ausbildnern einen Arbeitsplatz auf Steuerkosten zu verschaffen.
  7. Auch alles Gewäsch von einer Online-Zukunft nach dem Tod der papierenen "Wienerzeitung" ist ebenfalls zu vergessen: Denn das hat es noch vor dem Tod jeder Zeitung (wie "Wirtschaftsblatt" und "Täglich Alles") in den letzten Jahren geheißen, dass sie als Online-Zeitung weiter existieren wird. Aber es hat nie funktioniert.
  8. Wie bei allen in die Krise gekommenen Zeitungen ist ein Teil der Mitschuld bei der Gewerkschaft zu finden. Diese hat seit Jahrzehnten für die angestellten Journalisten viel zu üppige Kollektivverträge erkämpft (nicht zuletzt dank der Kampfstärke der stets streiklustigen Druckergewerkschaft, aber auch dank Hans Dichands, der den Forderungen immer als erster nachgegeben hat, weil er es sich leisten konnte und weil er wohl zu Recht angenommen hat, die auflagenschwächeren Zeitungen würden dadurch bald in Probleme geraten). Diese Kollektivverträge haben Journalisten mit mehr Dienstjahren für die Zeitungen zur immer größeren Belastung gemacht, vor allem, wenn sie trotz ihrer vielen Dienstjahre nur durchschnittliche Leistungen erbracht haben.
  9. Genauso Schuld an der Branchenkrise tragen die Zeitungsverlage und als übler Vorreiter der "Standard", die ihre teuer erarbeiteten redaktionellen Inhalte weitgehend gratis ins Internet gestellt haben. Das hat natürlich die Krise der Papierzeitungen noch beschleunigt – und damit zugleich auch den Abschied von den einst dominierenden Umsätzen aus den Inseraten.
  10. Sowohl die Schuld der Gewerkschaft wie auch die der Verleger verblasst aber angesichts der Schuld der diversen Regierungen, die der Schmutzkonkurrenz durch den ORF immer freie Bahn geschlagen haben. Dieser bekommt als einziges Medium ohne jede objektive Berechtigung (die einst für den Senderbau bestanden hatte) eine üppige Finanzierung durch die Zwangsgebühren. Denen gegenüber ist die gesamte gesetzliche Presseförderung für die Printpresse nicht einmal ein Trinkgeld.
    Diese Zwangsgebühren werden jetzt kranker Weise noch zu einer Haushaltsabgabe ausgeweitet, sodass künftig auch jene automatisch für das ORF-Programm zahlen müssen, die es nie konsumieren, die gar keinen Fernsehapparat haben.
  11. Ein besonderer Hohn für die gesamte "Wienerzeitungs"-Mannschaft ist dabei die Tatsache, dass künftig auch Unternehmen die Haushaltsabgabe zahlen müssen. Also genau jene, die durch den – zum Tod der Zeitung führenden – Wegfall der Zwangseinschaltungen eigentlich entlastet werden sollten!! Damit ist der politische Erfolg für Wirtschaftskammer und ÖVP zunichte gemacht, den dieser Wegfall zumindest bei der Wirtschaft bringen hätte können, und in einen schweren Misserfolg verwandelt worden.
    - Denn erstens schadet jede neueingeführte Abgabe politisch viel mehr, als die Abschaffung einer alten nützt.
    - Und zweitens wird damit der knalllinke ORF massiv unterstützt, während die zwar nicht gerade bürgerliche, aber doch meist um Objektivität bemühte "Wienerzeitung" im Gegenzug getötet wird.
    Hauptverantwortlich für diesen Mega-Plunder sind die Ministerin Raab und die (bitte ernst bleiben) Medienexperten rund um den Bundeskanzler. Das parteipolitische Interesse der ÖVP an dieser doppelten Entwicklung hat mir bisher noch niemand erklären können. Aber vermutlich ist dort hochgradiger Masochismus ausgebrochen. Wie ja auch die Hereinnahme der Grünen in die Regierung bewiesen hat.
  12. Eine zusätzliche Waffe zum Umbringen der Zeitungen hat die Regierung dem ORF auch dadurch in die Hand gegeben, dass er ihm den Aufbau eines Online-Auftritts gestattet hat, der heute eine komplette Gratiszeitung darstellt. Damit ist absolut jede Chance der Zeitungen zunichte gemacht, selbst wenigstens durch schrittweise Umwandlung von einer Papier- zu einer Online-Zeitung überleben zu können. Denn dort müssen sie ja Inserate verkaufen, was der ORF nicht muss. Inserate aber verärgern immer die Konsumenten und machen einen Auftritt total unübersichtlich..
  13. Eine weitere schwere Attacke auf die Zeitungen im Allgemeinen und damit auch auf die "Wienerzeitung hat das Wiener Rathaus zu verantworten. Denn mit absoluter Sicherheit hätten ohne tatkräftige Hilfe aus diesem Rathaus niemals die beiden Gratiszeitungen (ursprünglich "U-Bahn-Zeitungen") ins Leben kommen können, die den klassischen Zeitungen viele Leser und Anzeigen geraubt haben.
  14. Von geringerer Bedeutung, aber doch bezeichnend für die Verlogenheit der Szene sind die vielen Aufrufe und Unterschriftensammlungen von linken Autoren, Professoren, Gewerkschaftern und sonstigen hauptberuflichen Appell-Unterschreibern: Denn die "Wienerzeitung" hätte deutlich bessere Überlebenschancen gehabt, wären wenigstens all jene, die sich da jetzt wichtig machen, Abonnenten gewesen.
  15. Einen Vorwurf muss man aber auch der "Wienerzeitungs"-Mannschaft selber machen: Denn sie hat viel zu viel Energie einerseits auf innere Konflikte, auf Kriege zwischen Redaktion und Geschäftsführung aufgewendet, statt positiv nach außen zu wirken. Andererseits hat sie naiverweise auf die Gewerkschaftskarte und linksradikale Publizistik-Professoren gesetzt, womit sie das Spiel endgültig verloren hat.

Was aber hätte die Regierung – wären all diese Fehler vermieden worden – machen können, um die Zeitung in irgendeiner Form zu retten, ohne dem idiotischen, dennoch täglichen Ruf der Linken zu folgen, schon wieder etwas mit Steuergeld, also weiteren Schulden, zu finanzieren?

Es hätte mehrere Strategien gegeben, wie man eine konkrete Zukunft der "Wienerzeitung" erkämpfen und vorhandenes Geld gezielter ausgeben hätte können. Denn jedenfalls wird auch nach Erscheinen der letzten Zeitung noch viel Geld unter der Bezeichnung "Wienerzeitung" fließen, zumindest für rechtliche Verpflichtungen wie Abfertigungsansprüche, Kündigungsfristen oder Weiterbeschäftigung von Behinderten:

A) Ich lehne zwar die Haushaltsabgabe massiv ab: Aber wenn man sie schon macht, dann wäre es geradezu zwingend gewesen, etwa 15 Prozent der Erträgnisse der "Wienerzeitung" zu geben, statt es Wolf, Thür, Kappacher und anderen linksradikalen Meinungsmachern zukommen zu lassen, damit sie weiter hemmungslos agitieren können.
B) Immer wieder kritisiere ich die massiven Inseratenausgaben der Gemeinde Wien und ihrer zahllosen Außenstellen wie Holding oder E-Werke: Solange dieser Inseratenstrom aber ungehindert weiterfließt, wäre es eine absolute Verpflichtung für die Gemeinde, statt des linken Kampfblatts "Falter" und der niveaulosen Boulevardblätter ein die Objektivität wenigstens suchendes Qualitätsblatt wie die "Wienerzeitung" zu retten. Insbesondere auch deshalb, weil diese schon durch ihren Namen mit Wien viel enger verbunden ist als all die anderen vom Wiener Steuerzahler subventionierten Blätter.
C) Da alle jetzt beschlossenen Ausgaben für "Hub" & Co Unsinn sind, und da die Republik als Eigentümer sowieso Geld für die sozialen Ansprüche der bei der "Wienerzeitung" Tätigen ausgeben muss, hätte man diese Summe in Form einer umgekehrten Versteigerung für das Weiterleben der "Wienerzeitung" verwenden können. Also etwa: Wer erklärt sich bereit, die Zeitung für mindestens sieben Jahre weiterzuführen und 75 Prozent des Personals zu übernehmen, wenn er diese Summe in Jahresraten von der Republik bekommt. Sollte es mehrere Bieter geben, dann wäre natürlich das für die Republik günstigste Gebot zu nehmen.
D) Da nicht sicher ist, ob sich da jemand findet, hätte man in einer zweiten Versteigerungsstufe auch nach Geboten für eine bloße Wochenzeitung fragen können. Es kann ja überhaupt kein Zweifel bestehen, dass dem Land eine qualitätsvolle Wochenzeitung fehlt (wobei das exzellente Feuilleton der jetzigen Zeitung und das "Extra" ein guter Nukleus hätten sein können).
E) Und in einer dritten Stufe, wenn das alles scheitern sollte, hätte man die "Wienerzeitung" anderen Tageszeitungen zu einer Fusion unter den Bedingungen anbieten können, das Personal großteils zu übernehmen und den Titel etwa für den Wiener Lokalteil zu verwenden.

Gewiss: Für keine dieser Varianten gibt es eine absolute Erfolgsgarantie. Aber die Republik und die Zeitung wären es wert gewesen, alles zumindest ernsthaft zu versuchen. Und vor allem öffentlich, denn zu angeblichen Geheimgesprächen hinter verschlossenen Türen kann wirklich jeder alles behaupten.

Insgesamt muss man ganz klar sagen: Die ÖVP hat schon seit Erfindung des Fernsehens marktwirtschaftliche und zugleich qualitätsbewusste Medienpolitik nicht beherrscht. Auch Sebastian Kurz nicht. Der hat ja auch allen Ernstes geglaubt, dass der ORF trotz seiner Linkslastigkeit ruhig weiter Gebühren kassieren kann, weil er ja wirklich jedes Interview-Duell gegen die ORF-Wolfs gewonnen hat.

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