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Nur so könnte der Krieg noch beendet werden

Mehr als hundert Tage leidet die Ukraine schon unter dem russischen Angriff, unter den Terrorbombardierungen und darunter, dass die russischen Eroberer schon ein Fünftel des Landes gestohlen haben. Aber auch die Russen haben schwere, in keiner Weise erwartete Verluste erlitten und sind auf lange von einem schweren wirtschaftlichen Rückschlag sowie weitgehender Isolierung bedroht. Außer einer kompletten Niederlage einer Seite – die aber noch Jahre entfernt wäre – gibt es nur eine einzige Lösungsformel für einen Friedensschluss. Dieser könnte relativ rasch erzielt werden, mit ihm könnten am Ende beide Seiten leben und er würde auch keine Ermutigung für die anderen eroberungslustigen Diktatoren dieser Welt bedeuten, nach russischem Vorbild loszuschlagen. Dennoch will – noch – keine Seite diesen Weg gehen. Aber auch der Westen will aus Eigeninteresse nicht über diesen Weg reden.

Diese einzig gerechte Lösung wäre ganz eindeutig eine faire Selbstbestimmung für die Einwohner der Ostukraine, der Krim und aller von den Russen eroberten Gebiete. Fair ist aber natürlich nicht das, was die Russen in den eroberten Gebieten als Referenden inszenieren. Auch wenn einige korrupte westliche Persönlichkeiten dafür einen Persilschein ausgestellt haben. Aber diese Referenden erinnern lebhaft an Hitlers "Volksabstimmung" in Österreich im April 1938 .

Eine faire Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts müsste ganz anders aussehen und zumindest folgende Voraussetzungen erfüllen:

  1. Die Durchführung und komplette Überwachung geheimer Wahlen müsste durch eine neutrale Institution wie die OSZE oder die UNO erfolgen.
  2. Wahlberechtigt müssten alle sein, die vor der Invasion nachweislich im jeweiligen Gebiet ansässig waren – und sonst niemand.
  3. Das heißt natürlich auch, dass es auch für die Vertriebenen Möglichkeiten außerhalb der eroberten Gebiete geben muss, wählen zu können.
  4. Zu einer fairen Wahl gehört auch ein fairer Wahlkampf. Das bedeutet vor allem: vollkommen freie Möglichkeiten für Medien und Propaganda aller Seiten und aller Technologien. Das schließt insbesondere die Postzustellung ein.
  5. Im Idealfall würde das auch die Möglichkeit für alle bedeuten, Versammlungen abzuhalten und Flugzettel zu verteilen; realistisch gesehen könnten dadurch aber neue Auseinandersetzungen entstehen – daher wäre es wohl schlauer, allen Seiten gleichermaßen Versammlungen zu verbieten.
  6. Ein solches Selbstbestimmungsreferendum sollte Bezirk für Bezirk, möglicherweise sogar Gemeinde für Gemeinde stattfinden. Eine solche Etappenlösung würde die Abstimmungen vorerst nur dort durchführen, wo ein Gebiet sowohl an Russland als auch an die Restukraine grenzt. Sonst würden ein Fleckerlteppich und Enklaven entstehen.
  7. Die bei anderen Referendumssituationen empfehlenswerte dritte Möglichkeit, dass sich die Bürger alternativ auch für die staatliche Unabhängigkeit ihres Gebiets entscheiden können, wäre in der Ukraine vermutlich weniger sinnvoll, sollte aber bei den Vorbereitungen eines Referendums noch einmal geprüft werden.

Die Selbstbestimmung wäre jedenfalls die einzige gerechte und unblutige Antwort auf die widersprüchlichen Rechtfertigungsbehauptungen beider Seiten über die Wünsche der jeweiligen Bevölkerung. Deren Wünsche sind aber auch über die Friedensperspektive hinaus moralisch viel wichtiger als alle völkerrechtlichen oder historischen Argumente, die da jeweils vorgebracht – und oft sofort wieder bestritten werden.

Warum müssen dennoch täglich und wohl noch lange so viele Menschen sterben? Warum droht Afrika dennoch eine Hungerkatastrophe? Warum zerstört Russland alle eigenen Perspektiven, sich in die Weltgemeinschaft zu integrieren, und kann lediglich auf eine internationale Perspektive im Klub der blutigen Diktatoren von Venezuela bis Nordkorea hoffen?

Das erklärt sich vor allem damit, dass es auf beiden Seiten für die Führungen extrem schwierig ist, von den Maximalpositionen abzurücken. Denn da wie dort steht eine klare Mehrheit der eigenen Bürger – noch? – voll hinter diesen Positionen.

  • Die Ukraine müsste bei einer Selbstbestimmungslösung das Risiko eines eventuellen Verlustes von Territorien eingehen, für deren Erhalt schon so viele Menschen gestorben sind. Sie müsste dann logischerweise auch dem kleinen Gebiet im Westen mit offenbar ungarischer Mehrheit die Selbstbestimmung erlauben.
  • Und Russland müsste umgekehrt bei einer solchen Lösung die Demütigung riskieren, dass seine ganze Propaganda – alle Ukrainer würden nur sehnlichst auf die Befreiung von den "Nazis" warten – als lächerlich entlarvt wird. Die Moskauer Machtzentrale müsste aber darüber hinaus auch damit rechnen, dass dann auch anderswo in dem Riesenreich Selbstbestimmungs-Forderungen laut werden. Man denke etwa an Tschetschenien. Ebenso würde das Verlangen der unter einem verbündeten Diktator leidenden Belarus-Bürger nach echter Demokratie wieder sehr intensiv werden.

Daher sind beide Seiten froh, dass sie ihre Ansprüche zwar weiterhin verbal behaupten können, aber nicht objektiv durch ein Bürgervotum abtesten lassen müssen. Lieber führen sie vorerst weiterhin Krieg.

Warum aber kommt auch von außen kein Engagement für die einzig friedliche Lösung, bei der beide Nationen und ihre Führungen gesichtswahrend überleben und daher vielleicht doch einen jahrelangen Krieg vermeiden könnten? Warum sehen wir nur Scheinaktionen wie die diversen Telefonate und für die Fernsehkameras veranstalteten Kiew- und Moskau-Besuche, die allesamt mehr für die heimische Bevölkerung gedacht sind, als dass sie einen echten Frieden näherbringen? Gar nicht zu reden von den peinlich lächerlichen Forderungen der Roten und Blauen aus Österreich, dass man doch endlich Wien als Verhandlungsort anbieten solle – als ob das Fehlen eines Verhandlungsortes das Problem wäre.

Während Österreichs Politiker in diesem Krieg freilich ohnedies völlig irrelevant sind, hängt die europaweite Vermeidung jedes Hinweises auf eine echte Selbstbestimmungslösung damit zusammen, dass viele in der EU dominierende Nationen panische Angst vor Selbstbestimmungsforderungen haben, die auch bei ihnen noch lauter werden könnten, als sie es ohnedies immer wieder sind. Wie einige Beispiele zeigen:

  • Siehe die spanische Verweigerung der Selbstbestimmung für Basken und Katalanen – mit dem einzigen "Argument", dass dies der spanischen Verfassung widersprechen würde (als ob man eine Verfassung nicht ändern könnte, wenn es dem Frieden und der Menschenwürde dient, und als ob Spanien an Reputation verlieren würde, wenn es nur noch Staatsbürger hat, die auch gerne Spanier sein wollen).
  • Siehe die italienische Herrschaft über seine Kriegsbeute Südtirol, dem seit hundert Jahren das Selbstbestimmungsrecht verweigert wird.
  • Siehe die Ängste Rumäniens und der Slowakei, die ebenfalls an nach dem Ersten Weltkrieg erzielten Gebietsgewinnen festhalten, obwohl diese auch heute noch mehrheitlich von Ungarn bewohnt werden, die durchaus lieber von Budapest regiert würden.
  • Siehe die Ängste des belgischen Zentralstaates vor den Unabhängigkeitswünschen vieler Flamen.
  • Siehe auch die von der EU zu verantwortende Verweigerung der Selbstbestimmung für die mehrheitlich serbisch oder kroatisch besiedelten Gebiete in Bosnien, obwohl Bosnien deshalb in seiner heutigen Konstruktion ewig ein "Failed State" bleiben muss.
  • Und siehe die Weigerung der Serben wie der Kosovo-Albaner, in den jeweils von ihnen kontrollierten Gebieten die Selbstbestimmung zuzulassen.

Weil Machthaber und Mehrheitsbevölkerungen vor einer rein demokratischen Entscheidung der von ihnen beherrschten Menschen Angst haben, beharren angeblich demokratische Staaten auf der Fortsetzung einer nur durch Gewalt und Eroberung herbeigeführten Situation. Daher können sie auch keine tauglichen Vorschläge zur Beendigung des Ukraine-Krieges machen und riskieren lieber selbst Gewalteskalationen. Wie wir sie etwa bei den Jugoslawienkriegen hautnah erlebt haben. Diese sind nach dem Ukraine-Krieg die zweitschlimmsten Auseinandersetzungen im Nachkriegseuropa – und ebenfalls Folge der Verweigerung von Selbstbestimmung gewesen.

Von den vielen Vertreibungen nach dem zweiten Weltkrieg sei erst gar nicht geredet, etwa von den zweieinhalb Millionen nach dem zweiten Weltkrieg aus Böhmen und Mähren Verjagten. Sie alle haben Brutalität statt Selbstbestimmung erlebt, sind also noch schlechter behandelt worden als Südtiroler und Einwohner Siebenbürgens.

Lediglich Großbritannien hat erkannt, dass man mit dem Angebot der Selbstbestimmung einen jahrzehntelang blutigen Konflikt unblutig lösen kann. Aber auch die Briten haben lange gebraucht, um Ulster/Nordirland das zuzugestehen, was in etlichen Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem friedlichen Wechsel des Nordens zur irischen Republik führen wird. Sofern die demokratische Mehrheit das wünscht. Es ist vielleicht kein Zufall, dass gerade das Mutterland der Demokratie den Schritt zum Selbstbestimmungsrecht akzeptiert.

PS: Klar muss freilich sein, dass jede Selbstbestimmungslösung mit einem starken, auch international verankerten Minderheitenschutz verbunden sein muss. Denn es wird ja nach einer Entscheidung der Mehrheit für eine Sezession überall Bevölkerungsteile geben, die sich sprachlich, kulturell oder auch religiös dem bisherigen Staat eher zugehörig fühlen als der neuen Konstellation. Auch diese Menschen müssen unter Bewahrung ihrer Identität in die Zukunft blicken können.

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