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Wie kam es zum Chorgesang "Weg mit Kurz!" - und was ist daraus geworden?

Die Jahre 2017 bis 2021 waren von der an vielen Fronten auftretenden Kurz-muss-weg-Agitation geprägt. Eine rückblickende Analyse dieses Phänomens versucht Hintergründe und politische Motive einzeln zu sezieren. 

Das "Kurz muss weg!" kam aus ganz verschiedenen Richtungen:

  • Am 18. Mai 2019 begleiteten Tausende SPÖ-nahe Demonstranten vor dem Bundeskanzleramt das Ende der türkis-blauen Koalition mit lauten "Kurz muss weg!"-Sprechchören.
  • Am 4. Jänner 2021 erklärte FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl bei einer Pressekonferenz: "Mein Kampfauftrag für 2021 lautet: ,Kurz muss weg!‘"
  • Am 22. Juli 2021 veröffentlicht der ehemalige grüne Parteichef Peter Pilz sein Buch "Kurz: Ein Regime", in dem sich zwar nicht wörtlich die Forderung "Kurz muss weg!" findet, das aber von der ersten bis zur letzten Zeile in ihrem Zeichen steht, so wie Pilz auch sein letztes, erfolgloses Antreten bei der Wahl 2019 einzig damit begründet hat, dass er "der Gegenpol gegen Sebastian Kurz" sei.

Drei sehr unterschiedliche politische Parteien, aber ein gemeinsames Ziel. Daneben verfolgten auch noch viele weitere Gruppierungen das gleiche Ziel, aber ohne es so offen auszusprechen. Dieses Ziel wurde am Ende des Jahres 2021 erreicht, was an seinem Beginn oder gar im Sommer 2019 noch niemand geglaubt hätte. Errang doch Sebastian Kurz 2019 den größten Wahlerfolg der ÖVP seit Wolfgang Schüssel 2002.

Was aber waren die Gründe und Motive dafür, dass die Person des Sebastian Kurz von so vielen Seiten ins Visier genommen wurde? Diese Gründe waren oft total unterschiedlich, aber es gab auch einige durchaus gemeinsame. Letztlich gibt es ja nur zwei Arten von Kurz-Feinden: Solche, die sich Kurz durch eigene Fehler geschaffen hat; und solche, denen er einfach zu erfolgreich gewesen ist.

Im Folgenden werden die unterschiedlichen Motive gleichsam mit einem Seziermesser in 14 verschiedene aufgespaltet:

1. Jeder politische Gegner wird bekämpft

Das ist an sich ein üblicher Vorgang: Jede Partei bekämpft die anderen, die ja alle Rivalen um die gleichen Wählerstimmen sind. Ganz besonders werden immer Regierungsparteien und der Regierungschef bekämpft.

2. Wahlsieger werden intensiv bekämpft

Ebenso logisch ist, dass immer jene Partei speziell angegriffen wird, die die letzten Wahlen gewonnen hat, wie es der ÖVP zweimal hintereinander gelungen ist. Gibt es doch dort die meisten  Wähler zu holen, die noch nicht Stammwähler geworden sind.

3. Die Partei der Mitte als beliebtestes Ziel

Der ÖVP-Chef ist auch deshalb immer ein ganz besonders interessantes Ziel, weil die ÖVP eine Partei der Mitte ist. Keine andere Partei hat durch eine solche Positionierung Ein- und Ausgangsventile in so viele verschiedene Richtungen, durch die Wähler hinein- und hinausströmen können.

Hingegen haben die traditionellen Attacken der Linksparteien auf die FPÖ, und deren Attacken auf die Linken ein ganz anderes Hauptmotiv als Wählergewinnung: Diese Attacken sollen die eigenen Reihen kampfesfreudig und in emotional aufgeladener Bewegung halten. Man will den eigenen Wählern zeigen, dass sich auf der Gegenseite etwas so Fürchterliches abspielt, dass man dagegen zusammenhalten muss. Man will zeigen, dass man die entschlossenste Partei gegen Rechts beziehungsweise Links ist.

4. Die Volkspartei ist Chef-abhängig

Die oft steil hinauf und hinunter gehenden Zacken der ÖVP-Wahlerfolge hängen fast immer mit der Stärke des Mannes an der Spitze zusammen. Siehe Leopold Figl, siehe Julius Raab, siehe Josef Klaus, siehe Wolfgang Schüssel und siehe eben Kurz. Dazwischen herrschte oft triste Ebbe. Daher ist es für alle politischen Konkurrenten bei der ÖVP besonders wichtig, den Parteichef zu bekämpfen.

5. Das Charisma des Sebastian Kurz

Dies gilt ganz besonders, wenn dieser so charismatisch ist wie Sebastian Kurz, der an persönlicher Ausstrahlung national wie international alle Politiker seit Kreisky übertroffen hat. Durch inhaltliche Akzente hat Kurz hingegen lediglich in einem einzigen Punkt wirklich geführt: nämlich mit seinem Kampf gegen die illegale Migration aus Afrika und Asien. Dieser wurde geradezu Teil seiner politischen Identität.

SPÖ und FPÖ hatten hingegen fast nie jemanden mit einer solchen Ausstrahlung an der Spitze – mit den großen Ausnahmen Bruno Kreisky und Jörg Haider. Diese beide hatten ihren Parteien auch prompt historische Erfolge gebracht. Ihr Abgang hinterließ dann jeweils eine merkbare Krise. Für die  ÖVP war es nach dem Abgang von Schüssel und Kurz ganz ähnlich.

Die Bedeutung der Person Kurz für die ÖVP hat etwa der SPÖ-Agent Silberstein richtig erkannt, weshalb er eine ganz auf die Demolierung der Person Kurz gerichtete Schmutzkübelkampagne mit kriminellen Methoden gestartet hatte – die allerdings 2017 erfolglos geblieben ist, weil die Aktion aufgeflogen ist.

Die Volkspartei war unter Sebastian Kurz so stark auf eine einzige Person konzentriert wie überhaupt noch nie in der Geschichte. Denn früher gab es dort einen Raab-Kamitz-Kurs, einen Klaus-Koren-Kurs (samt Hermann Withalm als Drittem Mann), ein Erfolgsteam Schüssel-Grasser (samt einem weiteren inneren Küchenkabinett rund um Schüssel). Da waren also auch in Erfolgszeiten mindestens zwei Spitzenleute im Rampenlicht.

Bei Kurz gab es das nicht. Er hatte zwar ein starkes persönliches Kabinett, das fast wie eine Schattenregierung agierte. Aber dieses Kabinett blieb stets diskret im Dunkeln. In der Öffentlichkeit, in Partei, Regierung oder Klub gab es niemand sonderlich Führungsfähigen. Kurz mit seinem Gespür für parteiinterne Konstellationen hat es wohl sogar gezielt verhindert, dass irgendjemand in die Kronprinzenrolle hätte schlüpfen können.

Das machte ihn parteiintern fast allmächtig, das machte aber umgekehrt seine Person zu einem umso interessanteren Angriffsziel. Denn es war sehr bald klar, dass die ÖVP ohne Kurz kopflos wird. Auch wenn sie wie ein geköpftes Huhn noch eine Zeitlang weiterlaufen würde.

6. Die Rache der Hinausgedrängten

Als einziger Bundeskanzler der Geschichte hat Kurz gleich zwei große andere Parteien gegen deren Willen aus der Regierung geworfen. Das war parteitaktisch ein großer Doppelerfolg. Dadurch hat sich Kurz aber gleich beide großen Konkurrenzparteien zu Todfeinden gemacht.

So berechtigt ihm und seiner Partei beide Male der Hinauswurf auch erschienen sein mag, bei SPÖ wie FPÖ war seine Person seither als Hauptfeind vorgemerkt. Beide wussten (und sagten es auch): Ihre einzige Chance war das "Kurz muss weg!"

7. Die Folgen der Abhängigkeit von den Grünen

Kurz hat sich durch den Koalitionswechsel von Blau auf Grün nicht nur rachsüchtige Todfeinde geschaffen, sondern auch von der einzigen noch verbleibenden Partei abhängig, um nicht zu sagen erpressbar gemacht, mit der eine Koalition noch möglich war. Die Grünen sind aber ausgerechnet jene Partei, die der ÖVP unter allen politischen Konkurrenten ideologisch (wenn auch nicht unbedingt soziologisch) weitaus am fernsten steht.

Emotional war Kurz jedenfalls auch für die Grünen der Hauptfeind geblieben. 

8. Die Rache der SPÖ

Die SPÖ wäre 2017 zweifellos in der Regierung verblieben, hätte Kurz nicht gegen die große Koalition revoltiert. Daher war für sie die Schwächung der ÖVP nur das zweitwichtigste Ziel, wichtiger war die Rache an Kurz.

Es gibt nur eine einzige Episode im Nachkriegsösterreich, da die Fußtruppen einer Partei ähnlich auf den Abschuss eines bestimmten Politikers einer Gegenpartei versessen waren. Das waren im Jahr 1966 die Anhänger der ÖVP, die vom Wahlsieger Josef Klaus in Sprechchören forderten, dass der SPÖ-Justizminister Christian Broda weg müsse. Das war freilich skurril: Die von Jahrzehnten einer großen Koalition geprägten ÖVP-Anhänger haben damals einfach übersehen, dass ein absoluter Wahlsieger eigentlich gar keinen Minister einer anderen Partei benötigt.

Hingegen hatte  man vor der Wahl umso genauer sehen können, wie wichtig für die SPÖ (schon damals) die Instrumentalisierung der Justiz gewesen ist: Siehe die Justizkampagnen gegen Franz Olah und Otto Habsburg.

Zurück ins 21. Jahrhundert: Nach dem Scheitern von Orange-Schwarz im Jahr 2006, nach dem spektakulären Tod des Jörg Haider, nach der medial erfolgreichen, wenn auch nie bewiesenen Kriminalisierung des Eurofighter-Kaufes und nach der – wenn auch noch keineswegs rechtskräftigen – Vernichtung des Karl-Heinz Grasser durch die Korruptionsstaatsanwaltschaft war die ganze SPÖ überzeugt, dass es nie wieder ein Schwarz-Blau geben könnte (oder welche andere Farbe sonst die beiden Lager gerade tragen …).

Diese Perspektive hatte für die  SPÖ 2006 bis 2017 einen komfortablen strategischen Ausblick auf ein ewiges Regieren bedeutet: Entweder sie regiert mit der ÖVP oder wechselt zu einer Linkskoalition, falls es für eine solche einmal eine Mehrheit geben sollte. Schwarz-Blau war hingegen unter ÖVP-Obmännern wie Reinhold Mitterlehner völlig undenkbar.

Erst Kurz hat diese Regel gebrochen, so wie einst Schüssel. Daher musste er weg. Nachdem er weg war, schien die frühere SPÖ-Doppelmühle tatsächlich wiederhergestellt. Ein Zusammengehen von Karl Nehammer und Herbert Kickl ist kaum mehr möglich. Dafür sorgen schon die ressortbezogenen Kämpfe der beiden Ex-Innenminister; dafür sorgt die Corona-Radikalisierung von Kickl; dafür sorgt die Political Correctness von Nehammer.

Das Blöde für die SPÖ ist nur, dass nicht sie, sondern die Grünen nach dem FPÖ-Aus als Regierungspartner der ÖVP zum Zuge gekommen sind. Das war nicht nur neuerlich demütigend für die SPÖ, das war auch tatsächlich nach der politischen Logik erstaunlich, sind doch ÖVP und Grüne jene zwei Parteien, die im Parteienspektrum inhaltlich am weitesten auseinander sind, spielen doch die bei den Grünen verhassten Grundpfeiler wie Marktwirtschaft, Bauern und christliches Familienbild bei der ÖVP eine noch weit größere Rolle als bei der FPÖ, dem "offiziellen" Hauptfeind der Grünen. Und in Sachen Anti-Migration, Law and Order und Heimatverbundenheit sind Schwarz und Blau etwa gleich.

Auch die Koalition mit den Grünen war (noch) ein Werk von Kurz, während ohne ihn nach der nächsten, wann immer stattfindenden Wahl die Aussichten für ein Schwarz-Rot oder Rot-Schwarz jetzt wieder viel besser sind.

Damit hatte die SPÖ gleich einen zweiten Grund für die Rache an Kurz – auch wenn es die Sozialdemokraten 2019 einer Regierungsteilnahme nicht nähergebracht hat.

9. Die Rache des Herbert Kickl

Noch viel enger als die SPÖ ist Herbert Kickl mit dem Slogan "Kurz muss weg!" verbunden. Das zeigt schon der Anfang 2021 – selbst erteilte – Kampfauftrag. Auch bei vielen FPÖ-Demonstrationen ist dieser Spruch der zentrale Slogan geworden. Dabei war am Beginn des Jahres eigentlich noch ein anderer Kampfauftrag für Kickl viel wichtiger, von dem er aber naturgemäß nie offen sprach: Das war die Absetzung von Norbert Hofer als Parteichef, damit Kickl selber Parteichef werden kann.

Beide Kampfaufträge sind aber ohnedies miteinander verquickt. Hat es doch zwischen Hofer und Kurz immer konstruktive Kontakte gegeben. War doch nach der Wahl 2019 eine neuerliche schwarz-blaue Koalition durchaus noch vorstellbar – hätte es nicht die Person Kickl gegeben. Weil dessen Politikstil eigentlich nur für eine Oppositionsrolle geeignet ist, weil die ÖVP die Verwundungen durch den einstigen Hinauswurf Kickls nie elegant aus der Welt schaffen hat können, und – inzwischen – weil Kickls Corona-Verhalten völlig inakzeptabel geworden ist.

Kickl musste umgekehrt aus Eigeninteresse sowohl gegen Hofer wie auch gegen Kurz sein. Tatsächlich waren beide Ende 2021 nicht mehr an der Parteispitze. Während der Abschuss von Kurz auf einige Staatsanwälte zurückgeht, konnte Kickl seinen Rivalen Hofer selbst hinausintrigieren. Dafür sorgte vor allem sein radikaler Anti-Corona-Kurs. Kickl mobilisierte gegen Schutzmasken, gegen Tests, gegen Impfungen, gegen alle Maßnahmen – und für eine höflich ausgedrückt ungewöhnliche Behandlungsmethode. Er kam damit bei einem kleinen, aber für die FPÖ wichtigen Bevölkerungsteil sehr gut an, aber auch bei etlichen für Verschwörungstheorien anfälligen Linken wie der Ex-Grünen-Chefin Petrovic oder dem Autogegner Knoflacher.

Die Ursache, warum für Kickl das "Kurz muss weg!" so zentral war, liegt aber in den Stunden nach Auftauchen des Ibiza-Videos. Damals war in der Koalition zwar blitzschnell Einvernehmen erzielt worden, dass Strache als Vizekanzler abtreten müsse. Einige Stunden später aber – während draußen die SPÖ-Sympathisanten brüllten "Kurz muss weg!" – schob der ÖVP-Obmann die Forderung nach, dass auch Innenminister Kickl zurücktreten müsse.

Das war ein schwerer Fehler, der gleichzeitig die Koalition demolierte und Kurz einen Todfeind einbrachte. Denn es gab damals keinen konkreten Vorwurf gegen Kickl (außer dass er alle nervte). Daher war es für die FPÖ – eine Partei, bei der ein Flügel eine emotionale Bindung zum Begriff "Ehre" hat, – völlig unzumutbar, noch einen zweiten mächtigen Spitzenmann zu opfern.

Gleichzeitig war die Argumentation von Kurz fadenscheinig, es ginge nicht, dass ein FPÖ-Mann das Innenministerium leite, wenn gegen den (bisherigen) FPÖ-Obmann zu ermitteln sei. Das dürfte Kurz vor allem auf Rat oder auch auf Druck einiger ÖVP-Landeshauptleute gefordert haben, die dabei auch – wieder einmal – mit dem Bundespräsidenten kooperierten. Alexander van der Bellen hatte natürlich auch eigene Motive, gegen Kickl zu sein. Diese waren nicht nur parteipolitisch gewesen, sondern wurzelten auch darin, a-dass Kickl jener Minister gewesen ist, der ihm am offensten Kontra gegeben hatte.

Sollte Kurz das Argument von der Unmöglichkeit von IbizErmittlungen durch einen FPÖ-Innenminister ernst gemeint haben, dann ist er jedenfalls gleich doppelt falsch gelegen.

  • Dann hat er erstens übersehen, dass seit der Strafprozess-Reform der Minister Böhmdorfer und Strasser die Polizei mit all ihren Abteilungen zum bloßen Erfüllungsgehilfen der Staatsanwälte reduziert worden ist. Daher wäre jedes Bremsmanöver des Innenministers sofort zum dramatischen Skandal geworden. Außerdem können die Staatsanwälte jedes Verhör, jede Hausdurchsuchung und Beschlagnahme selbst durchführen.
  • Zweitens ist Kurz aber auch unglaubwürdig geworden, als dann Vorwürfe gegen die ÖVP zu untersuchen waren. Dann hätte nach dieser Logik umgekehrt ja auch die ÖVP das Innenministerium abgeben müssen. Woran sie nie gedacht hat.

Seit jenen Tagen des Jahres 2019 war für Kickl jedenfalls der ganz persönliche Rachebedarf unendlich groß. Und dieser Antrieb richtete sich primär gegen Kurz, weil dieser es ja war, der Kickl hinausgeschmissen hat, egal, wer Kurz diese Forderung in den Kopf gesetzt hat.

10. Statt Corona sollte Kurz weg

Wenige Monate nach der FPÖ-Verabschiedung aus der Regierung ist Corona ausgebrochen. Kickl setzte sehr bald – parteitaktisch nachvollziehbar, wenn auch wenig verantwortungsbewusst – auf den steigenden Frust vieler Bürger und diverse Verschwörungstheorien. Bar jeder Logik zwängte Kickl aber auch alle Anti-Corona-, Anti-Maske-, Anti-Lockdown-, Anti-Impf-Demonstrationen unter das Motto "Kurz muss weg!". Am Ende war Kurz zwar – aus anderen Gründen – tatsächlich weg, aber die Pandemie unverändert da.

Corona war jedenfalls für Kickl fünffach hilfreich:
- Er setzte die FPÖ-Anhänger nach der Ibiza-Schockstarre und der Hofer-Noblesse wieder in Bewegung, was für eine ideologiearme politische Bewegung immer essentiell ist.
- Er mobilisierte auch in solchen Ecken Wählermassen, die nie blau gewählt haben, sondern eher im esoterisch-alternativen linken Eck stehen oder die als Wirte eigentlich ÖVP-nahe sind.
- Er konnte damit Hofer beseitigen, der Corona staatstragend behandelt hatte.
- Er konnte die ihm eher skeptisch gegenübergestandenen Burschenschafter parteiintern ins Abseits bringen, weil dort viele Mediziner zu finden sind, die nichts von seinen Corona-Thesen halten.
- Und er konnte den aus vielen Quellen gespeisten Corona-Unmut gegen seinen Hassgegner Kurz lenken.

11. Der Exklusivitätsanspruch der Populisten

Sind die zuletzt genannten Motive für den Hass auf Kurz bei Rot und Blau unterschiedlich, so ist ihnen ein weiteres wiederum gemeinsam. Das "Weg mit Kurz!" war für beide im Grund sogar überlebensnotwendig. Denn unter Kurz praktizierte erstmals auch die ÖVP einen kräftigen Populismus. Diesen gab es bis dahin nur bei Rot (seit jeher) und Blau (seit Haider), wenn auch zum Teil mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt. Populismus besteht im Aufstellen von Forderungen und Versprechungen, die kurzfristig bei Wählern gut ankommen, auch wenn klar ist, dass sie mittel- und langfristig nicht funktionieren können. Er äußert sich am häufigsten durch sozialpolitische Lizitation, die langfristig zu noch mehr Schulden, noch würgenderen Steuern, zu Inflation, Arbeitslosigkeit und einem Wohlstandsverlust führen muss, die aber kurzfristig Wählergruppen emotional anspricht, weil sie ihnen einen Nutzen vorgaukelt.

Seit Sebastian Kurz hat auch die ÖVP einen starken Zug zum Populismus, einen stärkeren als unter allen anderen ÖVP-Obmännern vor ihm. 
- So setzte sich Kurz im Grund nie – im Gegensatz insbesondere zu Wolfgang Schüssel – für etwas ein, das unpopulär, aber notwendig ist.
- So war Kurz bei den Pensionserhöhungen oft großzügiger als die Empfehlungen der Pensionskommission.
- So gab es bei ihm nie "Sparpakete". 
- So verlangte er nie ernsthaft eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters, obwohl fast alle Wirtschaftsexperten sagen, dass das dringend notwendig wäre.

Dieser immer auf Umfragen schielende Kurz-Populismus war zusammen mit seiner charismatisch-sympathischen Wirkung und seinen grandiosen Kommunikationsfähigkeiten für die anderen populistischen Parteien eine fast letale Bedrohung. Können sie doch selbst nicht gut mit dem früheren Argument der ÖVP arbeiten: "Aber wir sind verantwortungsbewusster".

Auch bei anderen großen Politikern – von Churchill bis Orbán – hat sich gezeigt: Sobald der Konservativismus Werte wie Tradition, Heimat, Familie, Christentum mit sozialpolitischem Populismus verbindet, während er gleichzeitig die Unterstützung durch die Wirtschaft halten kann, wird er als "Compassionate Conservativism" auf viele Jahre zum schier übermächtigen Gegner.

Diese Gefahr spürten Rot wie Blau. Was ein weiteres starkes Motiv für ihr: "Kurz muss weg!" wurde.

12. Die Rache des Peter Pilz

Letztlich ist aber Kurz nicht an der Rache von SPÖ oder FPÖ gescheitert, so laut diese auch verkündet worden ist. Er wurde vielmehr Opfer des Hasses von Peter Pilz, den ihm dieser schon 2019 geschworen hatte. Pilz legte es nur viel raffinierter an als die "Kurz muss weg!"-Sprechchöre. Sein Haupterfolg bestand im plötzlichen Wechsel seiner engen Parteifreundin Alma Zadic 2019 ins Lager der mit Peter Pilz verfeindeten Grünpartei und ihr Einrücken ins Justizministerium. Von dort konnte sie dann perfekt die Pilz-Hass-Strategie vorantreiben.

Das war "der" Jackpot für Pilz, der ihn voll über seine Wahlniederlage hinweggetröstet hat.

Dieser Bestellung von Zadic zugestimmt zu haben, war umgekehrt der größte Fehler des Sebastian Kurz. Freilich war es ein Fehler, den damals auch sonst niemand in der ÖVP gesehen hat.

13. WKStA: Die tödliche Fehleinschätzung

Zadic räumt radikal in zentralen Justizbereichen mit allen Nichtlinken auf, insbesondere dem lange mächtigen Strafsektionschef Christian Pilnacek und dem Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Johann Fuchs. Kurz hat hingegen lange nicht einmal begriffen, dass die beiden das einzige Bollwerk gegen die linksradikale Kampftruppe der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gewesen sind.

Kurz bemerkte viel zu spät, welch massiv ideologischer Antrieb und Hass in dieser WKStA herrscht. Auch die Vernichtung von Karlheinz Grasser, eines einstigen bürgerlichen Stars, durch ein über ein Jahrzehnt gehendes Verfahren, das bis heute weit weg ist von einem rechtskräftigen Abschluss, war ihm keine diesbezügliche Lehre. Ebensowenig war es die Tatsache, wie eng seit Jahren die Informationen zwischen Akten der WKStA und Peter Pilz beziehungsweise dem rotgrünen Zentralorgan "Falter" geflossen sind. Ebensowenig hat Kurz – oder seine Berater – beachtet, wie eng Zadic mit Pilz in der gemeinsamen Abgeordnetenzeit kooperiert hat. Ebensowenig waren ihm die langfristigen Folgen der Tatsache klar, dass erster Chef der WKStA ausgerechnet ein grüner Ex-Abgeordneter gewesen ist. 

Diese Fehler dürfte erstens mit seinem nicht abgeschlossenen Jus-Studium zusammenhängen (was bei ihm mehr Hemmungen ausgelöst hat, sich zu Justizdingen zu äußern, als sie die Plagiats-Juristin Zadic zeigt). Und zweitens waren sie Folge des Versagens einer ganzen Reihe von überforderten ÖVP-Justizministern. Typisch für deren Versagen war die Tatsache, dass Justizminister Josef Moser eine Mediation(!) zwischen der WKStA und den übergeordneten Organwaltern ansetzte, statt eine klare Entscheidung auf Grund der vielen bedenklichen Aktionen der WKStA zu treffen. Wer zwischen einer weisungsberechtigten Oberbehörde und einer nachgeordneten Behörde eine Mediation ansetzt, demontiert ganz eindeutig die Oberbehörde – wird sie doch plötzlich als gleichrangig hingestellt.

Welche Schlüsselrolle die WKStA im Pilz-Kampf gegen Kurz spielt, ist auch an einem anderen nur scheinbar nebensächlichen Detail abzulesen: Gleich das erste Kapitel in seinem Anti-Kurz-Buch lautet "Die Köpfe der WKStA"! Das ist eine geradezu Freudsche Fehlleistung. Sie enthüllt die Schlüsselrolle der WKStA im Kampf der Kurz-Hasser, oder zumindest dem von Pilz.

14. Er oder wir: Angeschossene Feinde sind die gefährlichsten

Mindestens zweimal hat Kurz klar seine Aversion gegenüber anderen Akteuren in der politischen Arena zu erkennen gegeben, dann aber nicht die notwendigen Konsequenzen daraus gezogen. Das ist ein doppelter strategischer Fehler. Damit hatte er sich bis zum Ende seiner politischen Karriere Todfeinde geschaffen, die sich für seine Kritik rächen wollten – oder die darin angesichts der Position von Sebastian Kurz eine Dauerbedrohung für sich selbst sahen. Für beide wurde das "Kurz muss weg!" der unausgesprochene innere Antrieb, auch wenn beide diesen Spruch höchstwahrscheinlich nie verwendet haben.

Der erste dieser angeschossenen Feinde war der Europaabgeordnete Othmar Karas, dem Kurz es trotz Meinungsverschiedenheiten ermöglicht hatte, neuerlich auf einem ÖVP-Mandat ins EU-Parlament einzuziehen. Dort hat Karas ständig gegen Kurz intrigiert und praktisch in keiner einzigen Frage das gleiche Ziel wie dieser verfolgt.

Der zweite angeschossene Feind war die WKStA. Diese wurde für Kurz ab dem Zeitpunkt, da Kurz in einem vermeintlich vertraulichen Hintergrundgespräch mit Journalisten die "roten Zellen" in der WKStA kritisierte, der unerbitterlichste und letztlich tödliche Gegner. Die schwere Politisierung der WKStA war zwar in Juristenkreisen seit langem kein Geheimnis (auch ich habe sie in meinem Internet-"Tagebuch" schon lange vor Kurz zahllose Male analysiert). Gleichzeitig kursierten in Wien Gerüchte, dass es Strafanzeigen gegen die WKStA-Staatsanwälte und Hausdurchsuchungen bei ihnen geben würde.

Daher war für die WKStA-Mannschaft nachvollziehbarerweise im inneren Selbstverständnis klar: Er oder wir. Dabei ist letztlich irrelevant, ob Kurz einen konkreten Plan gegen die WKStA gehabt hat (was unwahrscheinlich ist) oder ob er das nur aus Zorn über die einseitigen Aktionen der WKStA gesagt hatte, die jede linke Verschwörungstheorie mit großem Einsatz verfolgt, während sie alle Strafanzeigen gegen die Gemeinde Wien wegen der hunderten Millionen, die im Lauf der Jahre aus deren Imperium korrupt an Medien geflossen sind, voll ignoriert hat.

Ab diesem Zeitpunkt war der Impetus der WKStA klar gegen die Person Kurz gerichtet. Und mit den Waffen, die die WKStA durch die Böhmdorfersche Strafprozessnovelle bekommen hat, führt das für jeden, der in ihr Visier gerät, zur bürgerlichen Existenzvernichtung, die wohlgemerkt ganz ohne Urteil eines Gerichts vollzogen wird.

So hat Kurz die letztlich erfolgreichste der vielen "Kurz muss weg!"-Aktionen indirekt selbst ausgelöst.

Um es martialisch zu formulieren: Tödliche Schüsse kommen fast immer aus einer Richtung, von der man es nicht erwartet, und der man sich durch eigene Unachtsamkeit selbst ausgesetzt hat. Auch wenn man – so wie Kurz – noch so vorsichtig zu sein versucht.

Dieser Text erscheint weitgehend identisch im soeben erschienen "Österreichischen Jahrbuch für Politik 2021.

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