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Wie ein guter Ukraine-Frieden aussehen müsste

Stündlich verringern sich die Chancen auf ein baldiges Ende des Ukraine-Kriegs. Diese Chancen schwinden selbst dann, wenn es nicht die von vielen Putin-Watchern befürchtete Mischung aus Paranoia und Größenwahn sein sollte, die den kleinen Mann im Kreml antreiben (was überhaupt die Garantie für eine Megakastrophe wäre). Einerseits schwinden angesichts des tapferen Widerstandes der Ukrainer zunehmend Putins Chancen auf den angestrebten raschen und totalen Sieg; andererseits sind aber auch die westlichen Sanktionen nicht imstande, Russland in die Knie zu zwingen, kann dieses doch via China und Indien einen Teil der Sanktionen relativ leicht umgehen. Daher wird es wohl einen längeren Krieg geben. Umso wichtiger wäre es, wenn es in Kiew und im Westen sehr bald ausgereifte Überlegungen für einen Kompromissfrieden gäbe. Bei einem solchen müsste man es einerseits Putin ermöglichen, sein Gesicht und Amt zu wahren, auch wenn einem allein bei diesem Gedanken übel wird – denn bevor er beides verlöre, drückt er wohl eher den Atomknopf. Andererseits wäre es katastrophal, würden die Ukraine oder die freie Welt ein Kriegsende akzeptieren, das zentrale Grundwerte verraten und deshalb zu weiteren Aggressionen ermutigen würde.

Das ist ein schmaler Grat, der ständig noch schmäler und gefährlicher wird. Zu diesem Gefährlicher-Werden tragen auch gut gemeinte Aktionen bei. Wie etwa die diversen juristischen Aktionen gegen Putin, wie etwa Strafverfahren gegen ihn vor internationalen und ausländischen Gerichtshöfen, wie etwa die dauerhafte Beschlagnahme aller russischen Auslandsvermögen und Devisenreserven, um damit die gigantischen Schäden in der Ukraine wiedergutzumachen. All diese Dinge wären in Wahrheit nur dann positiv zu bewerten, sollte es der Ukraine gelingen, die russischen Truppen total zu besiegen und in Moskau einzumarschieren. Kein sehr wahrscheinlicher Fall.

In jedem anderen Fall reduzieren diese Aktionen und eingeleiteten Verfahren nur die Bereitschaft Putins noch mehr, die Aggression zu stoppen. Sie verlängern also den Krieg, auch wenn sie für das emotionale und Gerechtigkeits-Empfinden der Welt total berechtigt und geradezu zwingend sind. Nur rational sind sie halt nicht, weil man dadurch die kleine Chancen auf einen baldigen Frieden noch kleiner macht. Es kann nicht rational sein, auch nur die kleinste Chance auszulassen, die vielleicht Abermillionen Tote verhindern könnte.

Auf der anderen Seite können die Ukraine und die freie Welt niemals freiwillig und ohne äußerste Not einer "Lösung" zustimmen, die jene fundamentalen Werte zertrümmert, für die sie stehen. Das sind Freiheit und Selbstbestimmung jeder Nation. Das würden die Bürger zwischen Los Angeles und Berlin niemals hinnehmen. Eine Versklavung der Ukraine oder von Teilen des Landes kann niemals akzeptabel sein. Das würde total alle Bemühungen um eine Einkehr des Rechts in den Beziehungen zwischen Nationen, aber auch den einzelnen Menschen zunichte machen und durch das Recht des Stärkeren ersetzen. Gegen eine solche fatale Entwicklung haben sich die ihr Leben und ihre gesamte Existenz opfernden Ukrainer in bewunderungswürdiger Weise eingesetzt. Denn sie wissen, was es heißt, von Moskau beherrscht zu werden.

Aber auch für Moskau muss eigentlich die Erkenntnis aus den letzten Wochen völlig klar sein, zumindest wenn dort noch ein Rest an Rationalität vorhanden ist: Selbst mit einem Siegfrieden können die Russen die Ukraine niemals befrieden. Sie hätten mit einem jahrelangen Partisanenkrieg zu rechnen. Darin haben die Nachfahren der ukrainischen Kosaken ja fast schon genetische Erfahrung.

Diese Perspektive eines jahrelangen Partisanenkrieges á la Vietnam oder Afghanistan müsste man in Moskau eigentlich mit allen Mitteln zu vermeiden suchen, wäre man bei klarem Verstand – trotz aller nationalistischer Selbsttäuschung, trotz aller Tendenzen russischer Apparatschiks, nach Moskau nur das zu melden, was dort gern gehört wird. Diese Perspektive müsste Putins Kompromisswillen erhöhen, sofern er noch eine Restrationalität hat.

Wie schaut nun dieser ganz, ganz enge Grat zu einem für beide Seiten irgendwie akzeptablen Frieden aus, über den dringend nachgedacht werden müsste? Zu einem Frieden, der jeder Seite das Gefühl geben kann, zwar Kompromisse eingegangen, aber nicht gedemütigt worden zu sein. Zu einem Frieden, der nicht die Gewissheit in sich birgt, dass eine Seite nur auf die Stunde wartet, seine Ergebnisse durch einen neuen Krieg wieder umzustoßen. Zu einem Frieden, der in keiner Weise das Recht des Stärkeren bestätigt.

Für einen baldigen Kompromissfrieden mit Haltbarkeitschance gibt es vier entscheidende Faktoren und Voraussetzungen:

  • Erstens die Notwendigkeit, auf alle künftigen Strafverfolgungen für Kriegshandlungen zu verzichten. Das bedeutet, auch die schon an Monsterprozessen gegen Wladimir Putin und seine Mittäter bastelnden Richter und Strafverfolgungsbehörden etwa beim Internationalen Strafgerichtshof zu einem solchen Verzicht zu bringen;
  • zweitens, militärische Sicherheit zu beiden Seiten der Grenze;
  • drittens Selbstbestimmung und Freiheit für alle betroffenen Völker und Gebiete;
  • und, viertens, die Bereitschaft zu vergessen.

Jede dieser Bedingungen ist schwieriger als die andere.

  1. Der Verzicht auf Strafverfolgung der Kriegstreiber, ohne den ein Putin niemals einem Kompromiss zustimmen würde, klingt einfach, ist aber nur schwer durchsetzbar. Denn die internationalen und vielfach auch die nationalen Strafverfolger sind inzwischen total unabhängig und durch politische Anordnungen kaum zu bremsen. Dafür bräuchte es komplizierte völkerrechtlich Verträge.

Solche Anordnungen waren noch nach den Weltkriegen einfach – ohne politischen Konsens der Siegermächte hätte es die Nürnberger Prozesse nicht gegeben. Inzwischen haben sich die diversen Staatsanwaltschaften und Richter aber so viel Macht und Eigenleben jenseits aller Regierungen erkämpft, dass sie auch dann nicht mehr zu bremsen sind, wenn dadurch die Gefahr millionenfachen Mordens vergrößert wird. Das ist die gefährliche Folge des raschen Wucherns eines (auch schon innerösterreichisch zum wachsenden Problem gewordenen) Richterstaates, wo die Richter und Stasatsanwälte in ihrem elfenbeinernen Turm immer mächtiger werden. Wieder muss man an den alten Spruch denken: Fiat iustitia, pereat mundus.

  1. Militärische Sicherheit: Auf diese hat Russland ebenso wie die Ukraine Anspruch. Dazu gehört im konkreten Fall insbesondere ein Verzicht auf die Aufstellung von Angriffswaffen zu beiden Seiten der Grenze ebenso wie das Recht der Ukraine, starke Verteidigungskräfte zu haben. Die von manchen naiven (oder links- oder rechtsextremistischen) Seiten erfolgte Übernahme der russischen Propaganda, wonach die Ukraine eine Bedrohung der russischen Sicherheit wäre, ignoriert völlig den Umstand, dass von der russischen Enklave Kaliningrad/Königsberg aus in weniger als fünf Minuten Berlin und etliche andere europäische Hauptstädte vernichtet werden können. Also wenn Russland so sehr auf die eigene Sicherheit pocht, muss es diese auch dem Westen zubilligen.

Wer also ernstlich die russische Verschwörungstheorie glaubt, dass ohne den jetzigen Krieg bald Atomraketen von der Ukraine aus auf Moskau gerichtet würden, der muss ehrlicherweise auch die Tatsache berücksichtigen, dass solche Raketen auch von Ost nach West fliegen könnten. Dafür sind sie in Russland zum Unterschied von der Ukraine auch schon aufgestellt.

Es kann ja nicht ernsthaft ein Friede als haltbar oder gar gerecht bezeichnet werden, wo das Verlangen nach Sicherheit nur einer Nation, aber keiner anderen zugebilligt wird.

  1. Das Recht auf Freiheit durch Selbstbestimmung muss zumindest für die ganze Ukraine gelten (idealerweise weit darüber hinaus, was aber vorerst sehr unrealistisch ist). Das heißt: Die Bevölkerung jeder Region muss das Recht haben, mehrheitlich zu entscheiden, zu welchem Staat sie gehören will. Wenn das in sauberer Form (also etwa durch UNO oder OSZE überwacht) geschieht, und wenn sich dabei etwa die Krim und die Ostukraine für Russland entscheiden sollten oder für die eigene Unabhängigkeit oder eben für die Ukraine, dann wird das mit viel höherer Wahrscheinlichkeit von den Bürgern der restlichen Ukraine akzeptiert werden als russische Eroberungen.

Aber das kann eben nur durch Referenden geschehen, die wirklich frei und geheim ablaufen, wo jede Seite die volle Möglichkeit hat, zumindest über Fernsehen, Radio, Postsendungen und Internet für ihren Standpunkt zu werben.

  1. Auch das Vergessen beziehungsweise Verzeihen spielt eine entscheidende Rolle dafür, dass Frieden funktioniert. Anders wäre etwa nie die großartige Versöhnung zwischen den Deutschen und den Franzosen seit den 50er Jahren geglückt. Wenn diese beiden Nationen einander weiterhin, so wie die Generationen davor, ständig alle Untaten vorgehalten hätten, wäre es nie zur für Europa so wichtigen deutsch-französischen Versöhnung der letzten 70 Jahre gekommen, die heute die tragende Basis der europäischen Integration ist.

Es war schiere Dummheit, als sich ab den 60er Jahren eine neue Generation moralistisch über das vielfache "Verdrängen" der Nachkriegszeit empört hat. Dieses Verdrängen war richtig und notwendig.

Ganz ähnlich ist es etwa in Südafrika nur dadurch gelungen, nach den Jahrzehnten der Verbrechen des Apartheid-Regimes und der Befreiungskriege zu einem haltbaren Frieden und zu einer nun schon einige Jahrzehnte haltenden demokratischen Zukunft zu kommen, dass es wegen all dieser Taten keinerlei Bestrafung gegeben hat. Es hat nur eine Friedenskommission gegeben, vor der alle Fakten und Taten offen aufgerollt werden konnten, die aber keine Verurteilungen ausgesprochen hat.

Abschreckendes Beispiel ist hingegen der erste Weltkrieg. Die Friedensverträge nach seinem Ende waren eindeutig ein einseitiges und von vielen Millionen Europäern als ungerecht empfundenes Diktat der Siegermächte, vor allem Frankreichs (nachdem sich die USA gegenüber den anderen Mächten mit der Formel des Selbstbestimmungsrechtes nicht wirklich durchsetzen konnten beziehungsweise viel zu sehr auf die wenig taugliche Schaffung des Völkerbundes konzentriert waren). Diese Pariser Vororteverträge führten direkt in den zweiten Weltkrieg. Ohne die berechtigte Empörung fast aller Deutschen über diese Verträge wäre es Hitler nie gelungen, an die Macht zu kommen.

Deutlich anders hingegen nach dem zweiten Weltkrieg, wo es zwar nicht nur in Nürnberg Strafen für die Nationalsozialisten gegeben hat, wo es zwar furchtbare Vertreibungen von Millionen Deutschen aus ihrer Heimat im Osten gegeben hat, wo aber zumindest der westliche Teil des Landes binnen kurzem ein völlig gleichberechtigter und gleichwertiger Partner geworden ist.

Die Chance

Gewiss wäre eine echte Übernehme des österreichischen Weges ein mögliches Modell für einen Ukraine-Frieden. Aber eben nur, wenn dabei all seine Aspekte übernommen werden und nicht nur jene, die Moskau passen. So hat Österreich darauf bestanden, sein ganzes Gebiet freizubekommen. So hat Österreich auf Prozesse gegen die mit Moskau packelnden Kommunisten verzichtet. So ist Österreich (trotz einiger Widerstände aus Moskau) der EU beigetreten. So kooperiert Österreich auf unzähligen politischen und wirtschaftlichen Wegen mit dem Westen. So ist Österreich militärisch zwar frei, aber für niemanden eine Bedrohung.

Wird hingegen auch nur einer der genannten vier Faktoren nicht berücksichtigt, dann gibt es – selbst wenn es formal einen Friedensschluss geben sollte – massiv erhöhte Aussichten auf weitere Konflikte, auf niederschwellige in naher Zukunft und auf große Konflikte nach mehreren Jahren. Trotz aller Friedensverträge.

Das sollten sich alle jene bewusst machen, die auf dem Standpunkt stehen: Hauptsache die Waffen schweigen, der Rest ist egal. Die Menschen der Ukraine wissen so gut wie alle, wie verheerend das wäre, trotz des hohen Blutzolls, den sie dafür zahlen müssen. Keiner scheint bereit, ein Diktat Moskaus akzeptieren zu wollen.

Im Westen und auch bei manchen Kirchenvertretern begreifen das hingegen nicht alle. Egal, ob aus Naivität, oder aus Hass auf den Westen. Etwa aus Rache, weil dieser einst den Nationalsozialismus besiegt hat. Etwa weil er dann 40 Jahre später den Sowjetkommunismus niedergerungen hat.

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