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Österreich und die Ukraine: abschreckend oder vorbildlich?

Gleich zweifach hat in den letzten Tagen in erregten Diskussionen um die Ukraine die österreichische Geschichte eine Hauptrolle bekommen. Einmal durch Bezüge auf das Neutralitätsgesetz 1955 und einmal in Hinblick auf den deutschen Einmarsch 1938. Das sind zwei an sich interessante Aspekte. Vieles an diesen Diskussionen zeigt jedoch verbreitete historische und völkerrechtliche Ahnungslosigkeit, zeigt eine widerliche parteipolitische Instrumentalisierung der österreichischen Geschichte. Fast noch peinlicher war aber, als Außenminister Schallenberg einen durchaus legitimen Vergleich zum Jahr 1938 gezogen hat – aber einen Tag später angsterfüllt einen Rückzieher gemacht hat, als die linke Meute über ihn hergefallen ist. Das beweist, dass in der Ära Nehammer das zeitgeschichtliche Wissen der ÖVP auf das Niveau der Geschichtsumschreibung des nach dem Antisemiten Karl Renner benannten SPÖ-Instituts heruntergefallen ist (Mit nachträglicher Ergänzung).

Zuerst zu dem beim oberflächlichen Hinhören ja ganz verlockend klingenden Vorschlag, die Ukraine solle sich doch so wie Österreich für neutral erklären, so könnte es eine friedliche Lösung geben. Österreich ist es doch nach 1955 auch gut gegangen.

Nun, nicht alles, was an allen Beinen hinkt, ist ein richtiger Vergleich oder vernünftiger Vorschlag. Denn:

  • Ein Schutz für die Unabhängigkeit und Freiheit Österreichs war die Neutralität im Gegensatz zu einem populären Mythos nie. Das waren immer ganz andere Faktoren.
  • Der wunderbare wirtschaftliche Aufstieg Österreichs hat mit Vielem zu tun – insbesondere mit dem auf einer freien Marktwirtschaft beruhenden Wirtschaftswunder, mit dem Verzicht auf den gegenseitigen Kampf unter den Österreichern, mit dem Ausbleiben von Streiks. Aber mit der Neutralität hat das absolut nichts zu tun, auch wenn das etliche Österreicher glauben. Hat doch das nicht-neutrale Deutschland sogar zeitweise einen noch steileren Aufstieg erlebt, haben doch im Grund alle europäischen Länder sich recht gut entwickelt, die nicht den kommunistischen Weg, sondern den der Freiheit gegangen sind.
  • Für Österreich war 1955 das Dreierpaket Moskauer Memorandum, Staatsvertrag, Neutralitätsgesetz notwendig, um die Folgen des Zweiten Weltkriegs zu entsorgen, an dem Österreich zwar nicht schuld gewesen ist (auch wenn das einige linke Geschichtsumschreiber so darzustellen versuchen), aber in dem viele Österreicher mitgekämpft haben und viele Landsleute auch Kriegsverbrechen begangen haben. Das Land war überdies nach Kriegsende zehn Jahre vierfach (und im sowjetischen Teil mit sehr schmerzhaften Folgen) besetzt. Für Österreich war dieses Dreierpaket, das auch teure Reparationsleistungen an die Russen enthielt, daher damals notwendig und hilfreich, um alle Folgen der– wenn auch unfreiwilligen – Kriegsteilnahme zu beenden und den Abzug der vier Siegermächte zu erreichen. Dennoch hat Österreich sehr bewusst Wert darauf gelegt, die Neutralität erst nach Abzug aller Besatzer und ausdrücklich "aus freien Stücken" zu erklären, sodass niemand anderer diesbezüglich dreinreden konnte und kann (die damalige SPÖ hat die Neutralitätserklärung davor sogar lange abgelehnt, weil sie dadurch eine zu große Abhängigkeit von der Sowjetunion befürchtet hatte).
  • Die Ukraine hingegen war bis vor wenigen Jahren ein voll souveränes Land ohne fremde Besatzung, das nicht einmal indirekt in einen Krieg involviert gewesen ist, das also nicht die Lage von Österreich 1955 hatte.
  • Das Neutralitätsgesetz ist rechtlich ein österreichisches Verfassungsgesetz  gewesen, das der Außenwelt nur mitgeteilt ("notifiziert") worden ist. Hingegen war die Unverletzlichkeit der ukrainischen Grenzen durch mehrere eindeutige völkerrechtliche Verträge garantiert, die auch der jetzige Aggressor unterzeichnet hat.
  • Die Ukraine war daher juristisch an sich viel höherrangig geschützt, als es Österreich durch das Neutralitätsgesetz ist (dieses bietet eigentlich überhaupt keinen Schutz, der über das allgemeine Gewaltverbot des Völkerrechts hinausgehen würde). All diese Abkommen haben aber der Ukraine dennoch nichts geholfen.
  • Österreich ist heute ringsum (mit Ausnahme der eng befreundeten Schweiz und Liechtensteins) von Nato-Staaten umgeben und kann sich dadurch total sicher fühlen. Die Ukraine hat eine ganz andere exponierte Lage, ist sie doch fast ringsum von russischen Panzern umgeben.
  • Der Verbleib Österreichs in der Neutralität ist lediglich ein Akt eines unsolidarischen Egoismus, der darauf hofft, unbestraft zu bleiben. Österreich verlässt sich einfach darauf, dass es durch die Nato-Staaten und deren Verteidigungskraft ohnedies geschützt ist. Es hat deshalb die eigenen Landesverteidigungs-Anstrengungen fahrlässig heruntergeschraubt (was durch die weitgehend erfolgreiche Kampagne von SPÖ, der mit ihr liierten Korruptionsstaatsanwaltschaft und der Kronenzeitung gegen die Eurofighter besonders anschaulich geworden ist). Sollten sich aber alle Staaten Mitteleuropas so verhalten wie Österreich, dann kann sie ein Aggressor problemlos wegblasen.
  • Die Lage Ostösterreichs war zwar in den ersten Jahrzehnten nach 1955 auch exponiert. Von Oberösterreich bis zum Burgenland war es von Warschaupakt-Staaten umgeben, also von Kolonien Moskaus, wo die Sowjets überall ihre Panzer stehen hatten. Aber das Land war dennoch auch schon damals durch die Nato geschützt. Denn hätten die Sowjets seither versucht, sich ihre Besatzungszone im Osten zurückzuholen, hätten die Nato-Länder Deutschland und Italien binnen weniger Stunden den Westen Österreichs und vor allem die für sie wichtige Brenner-Verbindung unter Kontrolle gebracht. Genau das zu verhindern war aber für Moskau ein weit wichtigeres Ziel, als Soldaten im strategisch unwichtigen Niederösterreich stationiert zu haben.
  • Die russischen Aggressionen gegen die Ukraine haben auch gar nicht wegen eines bevorstehenden Nato-Beitritts begonnen, wie Moskau suggerieren möchte, sondern wegen der Kontroverse um einen Vertrag der Ukraine mit der EU, der sich überhaupt nicht mit militärischen Fragen befasst hat (der übrigens auch noch weit von einem Beitrittsvertrag entfernt war). Das, was Russland von der Ukraine wollte und will, ist also weit mehr als deren Neutralitätserklärung. Das ist vielmehr der Status einer Kolonie, in der Russland der Vormund über alle Entscheidungen der Ukraine ist, in der die Ukraine nicht einmal an die EU heranrücken darf, in der Österreich längst Vollmitglied ist.
  • Österreich hat zwar immer, etwa auch 1956 bei der Ungarn-Revolution die militärische Neutralität beachtet. Aber es hat schon damals – also ein Jahr nach 1955! – ganz scharf die russische Invasion und Niederschlagung des ungarischen Freiheitskampfes verurteilt. Es hat die ungarischen Bürger auf allen nichtmilitärischen Ebenen unterstützt, etwa publizistisch und durch Öffnung aller Grenzen für Ungarn-Flüchtlinge.
  • Noch wichtiger als alle diese Aspekte ist aber: Putin in seinem großrussischen Imperialismus und Expansionismus würde nie und nimmer eine Übertragung des österreichischen Modells 1955, das da lautet: "Unabhängigkeit und Abzug aller Besatzungstruppen im Gegenzug zur freiwilligen Neutralitätserklärung", auf die Ukraine akzeptieren. Denn das würde ja einen Abzug aller russischen Truppen von ukrainischen Gebieten bedeuten, also von der Ostukraine bis zu Krim.

Für die Ukraine stand daher diese Option Neutralität nie zur Verfügung, selbst wenn man alle sonstigen Unterschiede beiseiteschieben würde. Für die Ukraine ist die inständige Bitte um Nato-Aufnahme die einzige mögliche Option im Ringen um ihr Überleben. Aber genau die wird ihr vom Westen verweigert – unter dem ziemlich zynischen Argument, dass die Ukraine ja territorial gefährdet sei. Und dieses Risiko will das Verteidigungsbündnis nicht eingehen, obwohl es genau zum Zweck des territorialen Schutzes seiner Mitglieder geschaffen worden ist.

1938: Die linke Geschichtsumschreibung

Damit sind wir unmittelbar bei der zweiten Epoche der österreichischen Geschichte angelangt, die jetzt im Zusammenhang mit der Ukraine thematisiert worden ist, beim Jahr 1938. Die jetzige Lage der Ukraine erinnert intensiv daran, wie damals Österreich gegenüber der deutschen Aggression alleingelassen worden ist. So etwa Außenminister Schallenberg in einem Interview: "Wir haben doch 1938 am eigenen Leib erlebt, wie es ist, wenn man alleine gelassen wird."

Absolut richtig. Lediglich das ferne Mexiko hat damals gegen den deutschen Einmarsch protestiert (wohl auch nur, weil es sich selber vor seinem großen Nachbarn gefürchtet hat). Sonst haben alle anderen Nationen unter wechselnden Vorwänden weggeschaut, etwa unter jenem, dass die Österreicher 1918 ja selber den Anschluss an das damalige Deutsche Reich gewollt hatten. Daher wollte die Außenwelt 1938 nicht verstehen – oder gab vor, es nicht zu verstehen –, dass Österreich inzwischen ganz und gar nicht mehr zum Deutschen Reich wollte, weil dort ja inzwischen die Hitler-Diktatur ausgebrochen war (weshalb Hitler auch unbedingt die von Kanzler Schuschnigg angesetzte Volksabstimmung über diese Frage verhindern wollte). Die verzweifelte österreichische Ablehnung eines Anschlusses ist aber den mit anderen Sorgen befassten Westmächten damals ebenso egal gewesen wie auch der angeblich so antihitlerisch gewesenen Sowjetunion. So wie ihnen allen dann ein paar Monate später auch das Schicksal der Hitler geopferten Tschechoslowakei egal war.

Die Außenwelt hat 1938 zugunsten Österreichs und der Tschechen nicht einmal so viel unternommen, wie es jetzt immerhin die beschlossenen und die anderen für weitere Aggressionsschritte angedrohten Sanktionen sind.

Natürlich ist den Sozialisten die Erinnerung an das Jahr 1938 extrem unangenehm. War doch die damalige SPÖ nicht bereit, mit der verhassten austrofaschistischen Schuschnigg-Regierung zur Rettung der österreichischen Unabhängigkeit zu kooperieren (Franz Olah und einige andere Patrioten konnten sich in der SPÖ nicht durchsetzen). Diese Haltung der SPÖ hat zweifellos auch zur damaligen Nichtreaktion des Auslandes beigetragen.

Diese Schuld versuchen die Sozialisten mit Gewalt aus der Erinnerung wegzubringen, indem sie hartnäckig ein Geschichtsbild malen, in dem der Dollfuß-Schuschnigg-Ständestaat absurderweise mit seinem ärgsten Feind, dem Nationalsozialismus, gleichgesetzt wird. Das geschieht vor allem mit dem Trick der Behauptung, dass alles ein und derselbe Faschismus gewesen wäre. Jede Erwähnung der Völkerrechtswidrigkeit des deutschen Einmarsches ebenso wie jeder Hinweis auf die Ermordung von Engelbert Dollfuß durch Nazis wird als "Opfermythos" verhöhnt. Als einzigen "Beweis" für diese Behauptungen verweisen die Linken auf die Zehntausenden oder vielleicht Hunderttausend Österreicher, die Hitler zugejubelt haben, oder die der NSDAP beigetreten sind. Als ob das irgendetwas an den historischen Fakten des Verhaltens der Republik Österreich bis zum 12. März 1938 ändern würde. Als ob all jene, die ängstlich daheimgeblieben waren, als ob die Aktionen des Staates Österreich selbst irrelevant wären, nur weil die Hitler-Propaganda damals die Zujubler so groß herausgestellt hat.

Würde diese linke Logik stimmen, dann wäre etwa auch ganz Österreich mit den Zehntausenden Corona-Leugnern und Impfgegnern gleichzusetzen, obwohl diese eindeutig nur eine kleine Minderheit darstellen.

Nun gut, Geschichtslügen sind wir von der Linken gewöhnt. Das wirklich Neue und Entsetzliche ist der peinliche Rückzug Schallenbergs, der folgte, als die SPÖ und ihre Medien vom "Standard" bis zum ORF den Minister für seine eindeutig richtige Aussage kritisiert haben. "Was ich gemeint habe, ist natürlich überhaupt nicht den Opfermythos Österreichs, ganz im Gegenteil".

Also, Herr Minister, nur weil die rotgrünpinken Linken kläffen, sind Sie der Meinung, dass Österreich kein Opfer des deutschen Einmarsches und der nationalsozialistischen Kanzlermörder gewesen ist, sondern das "Gegenteil". Und was ist denn das Gegenteil von einem Opfer? Das ist eindeutig der Täter.

Diese Schallenberg-Verrenkungen sind eine absolut peinliche Vorstellung. Allerdings deckt sich dies mit mehreren anderen Eindrücken vom Verhalten der ÖVP, seit Karl Nehammer sie übernommen hat. Diese schwarze Generation hat so wenig Wissen um die Geschichte, dass die Führungsgarnitur die verlogene sozialistische Geschichtsumschreibung übernimmt. Offen ist nur, ob mehr aus Ahnungslosigkeit oder mehr aus Opportunismus, dem eine korrekte Geschichtsdarstellung zu mühsam ist? In dieser seit Kreisky üblichen Umschreibung gelten die Vorgänge der Jahre 1933/34, bei denen in Wahrheit Schwarz wie Rot schwere Schuld auf sich geladen haben (wobei die Schwarzen die Auseinandersetzung der beiden wenig demokratisch gesinnten Lager gewonnen haben, weshalb vom roten Schuldanteil nicht geredet wird), als viel schlimmer denn das, was 1938 mit dem Land passiert ist.

Es ist zum Verzweifeln! Warum kann ein Schallenberg  nicht 2022 wenigstens so mutig sein, wie es die Mexikaner 1938 gewesen sind? Und warum nur hat er so viel lächerliche Angst vor verlogenen Geschichtsumschreibern?

Nachträgliche Ergänzung: In diesen Morgenstunden ist nun passiert, was die amerikanischen und britischen Nachrichtendienste seit Wochen prophezeit haben (und was einige hiesige Dummköpfe beziehungsweise russische Trolle als Erfindung verspottet haben): Russlands Putin greift in breiter Front die Ukraine aus der Luft und am Boden an. Der Diktator hat sich damit nun endgültig in eine Reihe mit Hitler, Stalin und Mao als die größten Verbrecher der neueren Geschichte eingereiht. Wie weiland Dschingis Khan erobert er ein Territorium nach dem anderen. Europa und Amerika hingegen hatten sich schon in den letzten Jahren entschlossen, aus Feigheit die Ukraine alleine zu lassen und das wahnsinnigerweise auch Putin signalisiert (am peinlichsten Deutschland, das auf Verlangen der Grünen statt Panzerabwehrwaffen lediglich 5000 Stahlhelme geliefert hat, deutlicher kann man die Einladung zur Invasion nicht signalisieren). Jetzt kann man nur noch genau beobachten, ob wenigstens wirklich alle nichtmilitärischen Mittel ergriffen werden, um Putin und seinem Volk, das ihn widerstandslos gewähren lässt, die Verachtung der Welt zu zeigen.

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