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Wien, eine Stadt wird hässlich

Einige Wochenendspaziergänge rückten - trotz der schönen Frühlingsvorboten - dem Tagebuchschreiber die ganze Explosion an Hässlichkeit ins Bewusstsein, die in den letzten Jahren in Wien passiert ist. Von der Verwahrlosung des Leopoldsbergs über die Verschandelung des Kahlenbergs, die riesigen Neubauten in den Neustifter Einfamilienhaus-Gebieten, die völlig unkoordiniert quer durch die Stadt aus dem Boden wachsenden Hochhäuser - bis zu den extrem hässlichen Dachbodenausbauten, die Hunderte historische Bauten Wiens mit protzigen zwei- bis dreistöckigen modernistischen Aufbauten beladen haben.

Wo sind die Zeiten eines Jörg Mauthes - und zum Teil auch Helmut Zilks und Erhard Buseks -, als es in Stadtregierung und Opposition Menschen gab, denen die Ästhetik dieser Stadt noch ein Anliegen war? Die ein Sensorium für Stil, Kultur, Proportionen, Geschichte und Ästhetik hatten? Nicht einmal mehr die Medien führen diese Debatte. Diese widmen statt dessen ihre aufgeblasen-hohlen Feuilletons seitenweise der verblödelten Auseinandersetzung eines Provinzschriftstellers mit der Frage, warum (der mit einer jüdischen Frau verheiratete!) Hans Moser nicht zu einem Widerstandskämpfer gegen die Nazis geworden war, obwohl solche Dummheiten bei den meisten maximal einen Gähnreiz auslösen können. Was man übrigens auch an den Auflagen der Zeitungen ablesen kann.

Vielleicht könnten die Medien statt dessen einen Redakteur auf eine kritische Dienstreise durch die Stadt schicken (falls es ihre städtischen Mega-Inserenten erlauben). Diese Reise könnte etwa am Leopoldsberg beginnen, wo sich Kirche und Klostergebäude in einem verwahrlosten Verfallszustand befinden, als ob wir das Jahr 1945 schrieben. Ein Gutteil der Fenster ist mit Plastik zugeklebt; alle Gebäude stehen seit Jahren leer; der Verputz bröckelt; und der Zustand der überquellenden Müllbehälter zeigt, dass hier mindestens seit Silvester niemand mehr den Mist entsorgt hat. Man weiß nur nicht, seit welchem Silvesterabend die vielen Sektflaschen und Raketenreste herumkollern: 2009, 2008, 2007?

Dafür hatte die Stadt Geld, um auf Wegweisern nicht nur die Gehrichtung, sondern auch den Namen einer Stadträtin namens Sima abzubilden, der wir offenbar diese Wanderhinweise verdanken. Wandern wir zum Kahlenberg, ist man immer wieder von neuem erstaunt, welche protzige Monsterkubatur da auf den prominentesten Aussichtsberg Wiens gebaut werden durfte, die fast von der ganzen Stadt aus sichtbar ist. Wenn sich Gemeinde und Kammer verbünden, dann darf offenbar der Wald- und Wiesenschutzgürtel aufs Wildeste verunstaltet werden. Warum hat man eigentlich nicht durch eine Renovierung der Leopoldsberger Gebäude den offenbar dringenden Hotelraumbedarf im Wienerwald gedeckt? Warum gibt es hier wilde Neubauten  und dort ungestoppten Verfall? Ist da gar wieder einmal wilde Spekulation in Gang? Dass der Kahlenberg nun schon seit ein paar Jahren so einbetoniert ist, ändert jedenfalls nichts an der Brutalität des Bauskandals.

Bauskandale sieht man mit fast noch größerem Schrecken einige Täler weiter in Neustift. An beiden Hängen dieses einst idyllischen Weinortes fressen sich riesige Neubauten in die Weingärten beziehungsweise in die bis vor kurzem durchwegs mit Einfamilienhäusern bebauten Gassen. So als ob die Großfeldsiedlung Junge bekommen hätte. Während in Grinzing noch ein querulatorischer Weinhauer vieles verhindern hat können, was dort Menschen mit offensichtlich hervorragenden politischen Beziehungen in ähnlicher Weise geplant hatten, ist in Neustift offenbar niemand mit gleicher Intensität unterwegs.

Einige Hügel weiter, am Schafberg, nehmen sich im Vergleich die Klagen fast idyllisch an: Dort trifft man auf Menschen, die vor eineinhalb Wochen der Stadtverwaltung den Ausfall der Straßenbeleuchtung gemeldet haben, die aber immer noch im Dunkeln ihren Weg stolpern müssen. Sie erinnern sich voll Wehmut, wie früher einschlägige Anrufe binnen 24 Stunden eine Besserung gebracht haben.

Aber offenbar stopft die Stadt ihr restliches Geld, das sie früher für solche banalen Aufgaben ausgegeben hat,  in die Propaganda für skurrile Volksbefragungen und in die Bestechung von Zeitungen.

Geht oder fährt man dann in die Bezirke innerhalb des Gürtels - oder gar auf den Karlsplatz, oder in die Frankenberggassen-Gegend, oder an den Beginn der Mariahilferstraße, oder in die Grünangergasse oder zu hunderten anderen Ecken, dann muss man wohl endgültig ob der Devastierung einer einst wunderschönen Stadt verzweifeln. Gierige Investoren durften an allen zahllosen Plätzen zwei bis drei Stockwerke in ganz modernem Stil auf alte Gründerzeithäuser setzen, die deren Ästhetik, Proportionen und Komposition total ruinieren.

Gewiss: Mit solchen Ausbauten lassen sich sensationelle Gewinne machen, welche die Verluste der Vermieter angesichts der schwachsinnigen Mietenbegrenzungen ausgleichen. Noch immer bewohnen ja zahllose Hofratswitwen ganz alleine sechs- bis achtzimmrige Großwohnungen - und zwar nur deshalb, weil der Umzug in eine Zweizimmerwohnung völlig unerschwinglich ist. Was die anderen Wohnungen in guten Bezirken natürlich umso teurer macht. Denn die Marktgesetze wirken immer, auch wenn man sie nicht mag.

Jedenfalls werden solche verbrecherischen Dachbodenausbauten in keiner anderen europäischen Stadt erlaubt, die etwas auf ihr Aussehen hält.

Für Wien kann der stadtwandernde Tagebuchautor aber auch eine sehr positive Nachricht verkünden: In den letzten zwei Jahren hat eine Richtlinie der vielgeschmähten EU einigen mutigen Gemeindebeamten ermöglicht, weiteren Mega-Aufstockungen einen Riegel vorzuschieben.

Die EU ist zwar nicht für Stadtschönheit zuständig - überraschenderweise aber für Erdbebensicherheit. Und da wollen wir nicht lange fragen, was diese eigentlich mit einem Binnenmarkt und dem Subsidiaritätsprinzip zu tun hat. Denn das Ergebnis ist wunderbar: Korrekte Beamte können neuerdings unter Berufung auf diese Richtlinie alle mehrstöckigen Dachbodenausbauten verhindern - während es gegen dezent gestaltete Ausbauten vorhandener Dachflächen mit Gaupen und Terrassen Richtung Innenhöfe ja nichts zu sagen gäbe.

Der Gesamteindruck eines Stadtrundganges bleibt aber deprimierend. Und hinterlässt die bange Frage, ob das Bundeskanzleramt, wohin der einst für das Bauen und solche Genehmigungen zuständige Stadtrat inzwischen entschwunden ist (es gilt die Unschuldsvermutung), nach einer eventuellen Änderung der Erdbebenrichtline vielleicht auch einen dreistöckigen Aufbau bekommen wird. Denn es wird ja immer Architekten geben, die im Interesse fetter Aufträge davon schwafeln, dass jede Behinderung ihres Wirkens, jede Rücksichtnahme auf die von früheren Generationen ererbte Schönheit reaktionär wäre.

Für Kahlenberg und Neustift hat jedenfalls noch niemand eine passende EU-Richtlinie entdeckt, die diesen Architekten und den dahintersteckenden Geschäftsinteressen von Investoren und Politikern das Handwerk gelegt hätte.

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