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Türkei, London und Wien: Die Grundrechte und ihre Feinde

In der Türkei werden Wahlveranstaltungen des chancenreichen Oppositionskandidaten von Anhängern des türkischen Präsidenten Erdogan regelmäßig gestört; die herumstehende Polizei bleibt dabei auffällig untätig. In London wird die Krönung des neuen Königs von ein paar Dutzend Gegnern der Monarchie unter viel medialer Aufmerksamkeit gestört; die Polizei nimmt mehrere Demonstranten kurzzeitig fest. In Wien beraubt eine Handvoll Extremisten durch zahllose Klebeaktionen Hunderttausende Opfer oft stundenlang ihrer Bewegungsfreiheit; die Polizei führt sie ab, muss sie aber bald wieder freisetzen. Nach der Judikatur europäischer – und auch österreichischer – Höchstgerichte hat sich die türkische Polizei vorbildlich verhalten (außer in den Fällen, wo auch Steine geflogen sind), die englische ganz und gar nicht.

Die große Mehrheit der Europäer ist jedoch gegenteiliger Ansicht. Und zeigt damit, dass sie klüger und ehrlicher besorgt um den Rechtsstaat ist, um "the rule of law", als die Spitzenjuristen in ihren Elfenbeintürmen.

Diese haben in den letzten Jahren das Versammlungsrecht, das Demonstrationsrecht immer extensiver interpretiert, es geradezu absolut gesetzt, ohne Rücksicht auf Verluste, Kollateralschäden und andere Grundrechte. Das merken zunehmend auch die Österreicher und insbesondere die Wiener, denen schon Hunderttausende Stunden Lebenszeit geraubt worden sind, weil grüne Extremisten unter provozierendem Missbrauch des Versammlungsrechts den Gesetzgeber zu etwas zwingen wollen, was bisher auf verfassungsmäßigem und demokratischem Weg keine Mehrheit gefunden hat.

Das besonders Schlimme an den Vorfällen von Wien bis London ist die Rolle der Medien: Sie haben die Botschaften der Grünextremisten beziehungsweise der Monarchie-Gegner inhaltlich immer breit berichtet; hingegen sind sie der Frage der Rechtmäßigkeit der Blockadeaktionen (wohl aus innerer Sympathie) meist weit aus dem Weg gegangen. Sie haben die Extremisten damit ganz eindeutig noch mehr zu solchen Aktionen ermuntert und angestiftet. Wären diese Grüppchen hingegen den rechtsstaatlich-demokratischen Weg gegangen, dann wäre das erstens viel mühsamer gewesen und zweitens wären sie medial – auch deshalb, weil es keine "schönen Bilder" gibt – als Splitterpartei kaum beachtet worden.

Aber ist nicht das Recht auf Versammlung, auf Demonstrationen tatsächlich ein ganz wichtiges Grundrecht? Ganz gewiss. Jedoch: Selbst wenn es das wichtigste von allen, oder gar das einzige Grundrecht wäre, bleibt dennoch die Tatsache bestehen, dass auch die anderen Bürger ein Recht auf Versammlung und Demonstration haben. Und deren Recht wird durch ein oft nur winziges, aber lautstarkes und medienattraktives Grüppchen von Gegnern geschmälert oder gar zertrümmert, die den Sinn und Zweck der gestörten Veranstaltung ins Gegenteil umzukehren versuchen.

Dazu kommt, etwa bei den im Stau oft stundenlang festgehaltenen Opfern der Klimakleber, dass auch deren Rechte mit Füßen getreten werden, etwa das Recht auf Bewegungsfreiheit und Erwerbsfreiheit.

"Das muss uns die Demokratie schon wert sein", lautet ein weiteres Argument von Verteidigern der Judikatur. Diese Phrase macht fast sprachlos: "Ist das wirklich ernst gemeint? Extreme Aktivisten sollen regelmäßig friedliche Bürger als Geisel nehmen dürfen, weil sie ihr Ziel auf demokratischem Weg halt nicht erreichen? Dabei ist es eindeutig das Gegenteil von Demokratie , wenn Minderheiten über Straßenblockaden den Staat zu etwas zwingen wollen."

Wenn die Justiz das wirklich dauerhaft toleriert, dann wird sie zum übelsten Totengräber von Demokratie und Rechtsstaat. Dann ist sie hauptschuld daran, dass inhaltliche Auseinandersetzungen wieder nach dem Prinzip des Faustrechts ausgetragen werden. Dann brauchen die an die Klimamodelle Glaubenden sich nicht mehr demokratische Mehrheiten zu suchen, sondern können, so oft sie wollen, so viele Menschen, wie sie wollen, als Geiseln nehmen, bis diese dann den Parlamenten zurufen: "Gebt ihnen halt nach, damit wir wieder ungestört zur Arbeit fahren können."

Das würde dann freilich bedeuten, dass auch viele andere Gruppen über Straßenblockaden ihre Anliegen verfechten werden. Das erinnert lebhaft ans Jahr 1950, als Kommunisten in Wien mit solchen Blockade-Aktionen (etwa Ausgießen der Straßenbahn-Weichen mit Asphalt …) zum Kampf für ihre Ziele angetreten sind. Diese Ziele hätten zweifellos wie in der Mehrheit der Nachbarländer am Ende in der Ausrufung einer Volksdemokratie bestanden. Damals gab es zum Glück noch einen Gewerkschaftsführer namens Franz Olah, der die Kommunisten mit seinen Helfern von der Straße geprügelt und so die Demokratie gerettet hat.

Alle, die wie die Höchstgerichte und die Zadic-Staatsanwälte für das Tolerieren der Klimaextremisten verantwortlich sind, provozieren ganz eindeutig, dass das Schicksal Österreichs wieder auf der Straße mittels Faustrechts entschieden wird. Zu den Schuldigen daran gehören aber auch die Gesetzgeber, die nicht imstande sind, durch einen zusätzlichen Paragraphen noch deutlicher zu machen, dass da gegen das Strafrecht verstoßen wird (auch wenn es eigentlich schon heute klar sein müsste, dass da eindeutig strafbare Nötigungen und Freiheitsentziehungen stattfinden).

Das Unterhaus Großbritanniens, also eines Landes, das sich noch ernst nimmt, hat jetzt ganz eindeutig die Strafbarkeit eines solchen Aktionismus, eines solchen Missbrauchs des Versammlungsrechts geregelt.

Dass gerade Großbritannien dabei an der Spitze steht, hat besondere Bedeutung. Denn das Land hat eine längere Tradition und Erfahrung in Sachen Redefreiheit als jedes andere Land. Verkörpert durch den Hyde Park Corner, aber auch durch seine nicht gerade zimperlichen Medien ist dort klarer als in jedem anderen Land, dass man unbegrenzt über die Obrigkeit schimpfen darf. Dort wäre jener ängstliche Satz undenkbar, den ich zu meinem Schmerz immer wieder von österreichischen Jugendlichen zu hören bekommen habe: "Darf man das sagen?"

Selbstverständlich sollen britische Monarchie-Gegner so laut und so oft sie wollen, sich versammeln und ihre Parolen schreien dürfen. Aber sie sollten es nicht dort dürfen, wo andere, etwa die Anhänger der Monarchie – also die große Mehrheit der Briten – zu einer anderen Versammlung, zur Krönung, zusammengetroffen sind. Sie sollten es nicht dort dürfen, wo eine andere Partei ihre Wahlveranstaltung abhält. Und sie sollten es dort nicht dürfen, wo andere Menschen ihrer Arbeit nachgehen müssen.

Wer diesen Unterschied nicht begreift und doch Richter sein will, wird selbst zum Schuldigen – zum Schuldigen daran, dass sich immer mehr Menschen und damit bald die ganze Gesellschaft von der Idee des Rechtsstaats und der Grundrechte, verabschieden werden.

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