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Acht Jahre und ein bisschen was

Sebastian Kurz kann sich jetzt zum ersten Mal ausrechnen, wann er frühestens erstmals vor einem unabhängigen Richter stehen wird und sich dort gegen die (zumindest bisher) substanz- und beweisfreien Vorwürfe der WKStA verteidigen kann. Der Prozess gegen den einstigen EU-Abgeordneten Richard Seeber (natürlich auch ein ÖVP-Mann) ist der neueste Modellfall, wie lang bei der sogenannten Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ein solches Verfahren dauert. Da das Seeber-Verfahren keineswegs atypisch ist für deren Vorgangsweise und Effizienz, ist dieser Analogieschluss durchaus legitim.

Die werten Leser können sich nicht erinnern, wie lange das Seeber-Verfahren gedauert hat? Seltsam. Werden es doch in diesem November 2021 erst knappe acht Jahre her sein, dass die WKStA am 20. November 2013 den Antrag auf Aufhebung der Immunität des ÖVP-Europaabgeordneten Seeber gestellt hat ...

Freilich ist es nur eine Hoffnung, dass sich die unfähigste Behörde Österreichs auch im Fall Kurz "schon" in acht Jahren der unangenehmen Situation stellen wird, dass dann jemand anderer das beurteilen wird, wo bis dahin ganz alleine sie fuhrwerken konnte. Wo sie bis dahin die unbeschränkte Allmacht hatte, menschliche Existenzen ohne rechtlichen Grund zu quälen. Denn die WKStA-Staatsanwälte wissen eines, auch wenn sie vom Strafrecht selbst erschütternd wenig Ahnung haben: Das für sie blöde Ende kommt noch. Ihre Menschenvernichtungsaktionen enden in der großen Mehrheit nämlich nicht mit einer Verurteilung ihres Opfers, und schon gar nicht mit der eigentlich vom Gesetz als Voraussetzung für eine Anklageerhebung verlangten 51-prozentigen Wahrscheinlichkeit.

Dementsprechend hat auch der jüngste WKStA-Prozess mit einem Freispruch geendet. Das schert die Staatsanwälte aber nicht: Haben sie doch auch in diesem Fall ihr Opfer viel länger foltern können, als selbst im Falle eines Schuldspruchs eine eventuell ausgesprochene Strafe gedauert hätte. Persönliche Konsequenzen für solche versagende Staatsanwälte gibt es ja nicht. Und außerdem haben die WKStA-Staatsanwälte auch in diesem Fall Berufung eingelegt. Damit wird also auch dieses Folterverfahren durch die Schergen der Frau Zadic noch weitergehen. Dabei scheint längst klar zu sein, dass Seeber – obwohl selber alles andere als ein politisches Kirchenlicht – Opfer rachsüchtiger Mitarbeiterinnen geworden war, die einst das Verfahren gegen ihn in Gang gebracht haben.

Kurz sollte aber auch noch aus einem anderen Grund mit der Möglichkeit rechnen, dass er selbst nach acht Jahren – und etlichen hunderttausend Euro an Verteidiger- und Sachverständigen-Kosten – nicht unbedingt "schon" mit einem Urteil der ersten Instanz rechnen kann. Denn nicht nur diese WKStA, sondern auch vier Parlamentsparteien und die gesamte Linksmedienlandschaft von ORF bis Falter werden samt dem grünen Bundespräsidenten alles tun, um den erfolgreichsten Politiker seit Wolfgang Schüssel, Jörg Haider und Bruno Kreisky noch länger am Marterpfahl zu halten. Da werden ihnen zweifellos – mit Unterstützung des VfGH – noch viele Tricks und U-Ausschüsse einfallen. Schon die Neos-Frau Krisper wird wie einst Peter Pilz weiterhin ununterbrochen Strafanzeigen erstatten. Das kann sie ja locker, da es in diesem "Rechtsstaat" keine Konsequenzen für ständige mutwillige Anzeigerei ohne rechtliche Substanz gibt.

Kurz hat auch das Pech – um es höflich auszudrücken –, kein SPÖ-Parteibuch zu besitzen, wie der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil eines hat. Denn bei dem gegen diesen nach externen Anzeigen laufenden Verfahren wegen Falschaussage hat die WKStA schon ganz zufällig nach wenigen Wochen eine Einstellung beantragt. Sie hat sich dafür nicht einmal die Mühe gemacht, Doskozil auch nur ein einziges Mal zu vernehmen!!

Nur hat überraschenderweise die Oberstaatsanwaltschaft etwas gegen diese Einstellung gehabt und der WKStA weitere Ermittlungen aufgetragen, die von dieser jetzt zweifellos mit voller Energie, mit ihrem bekannten juristischen Sachverstand und der dort ebenfalls üblichen parteipolitischen Neutralität durchgeführt werden.

Dieser Einspruch der Oberstaatsanwaltschaft zeigt, dass es in der Justiz noch Restbestände von Juristen mit Charakter und Mut gibt, die auch noch nicht gefeuert worden sind, weil sie Kritik an der WKStA gewagt haben. Wenn ich diesen Damen und Herren freilich einen guten Rat geben darf: Sie sollten nur so viele persönliche Habseligkeiten in der Schreibtischlade haben, dass man diese in einer einzigen Aktentasche abtransportieren kann. Und vor allem sollten sie all ihre Handys durchsuchen, ob ihnen dort einmal das Wort "Putsch" entschlüpft ist.

Zurück zu Kurz. In diesen acht plus x Jahren wird er viel Zeit haben, über seine Fehler nachzudenken. Diese bestehen gewiss nicht darin, dass er den Auftrag gegeben hat, mit betrügerischen Scheinrechnungen eine Umfrage zu finanzieren, nur damit diese de facto zum gleichen Ergebnis kommt wie viele andere Umfragen. Seine Fehler hat er anderswo begangen:

  1. Kurz hat nie begriffen, wie wichtig die Justiz ist; er hat daher keinen Rechtsexperten in die von ihm geprägte ÖVP-Fraktion geholt, der etwas vom Straf- und Verfassungsrecht verstünde.
  2. Kurz hat vom Partei-Generalsekretariat über die von ihm nach der Wahl 2019 ausgesuchte ÖVP-Ministerriege bis zur Fraktion bei der Personalauswahl immer nur auf eines geschaut: dass dort lauter loyale Fans sitzen. Er hat nicht begriffen, dass – politische wie sachliche – Kompetenz vielleicht auch dort wichtig sein sollte, so talentiert er selber als Politiker auch ist.
  3. Kurz ist mitverantwortlich dafür, dass seine Partei de facto jetzt auf lange führungslos sein wird. Nicht nur weil er selber sowohl Fraktions- wie Parteiführung in Händen hat, aber gleichzeitig dank der WKStA-Intrigen ein politischer Eunuch ist; nicht nur weil er das Kanzleramt einem farblosen Platzhalter übergeben hat, sondern weil er selbst dafür gesorgt hat, dass es auch sonst niemanden gibt, der auch nur andeutungsweise Leadership hätte, der sich als Kronprinz aufdrängen würde.
  4. Kurz hat – vermutlich auf einen Schlangenrat des grünen Bundespräsidenten und der provinziellen ÖVP-Landesfürsten – 2019 nach Auffliegen des Ibiza-Lauschangriffs die Nerven weggeschmissen und nach dem (notwendigen) Abgang des FPÖ-Vizekanzlers die FPÖ dummerweise überhaupt als Partner hinausgeworfen. Er tat das im Glauben, damit die richtige Reaktion auf die angeblichen FPÖ-Affären zu setzen (mit von den linken Medien hochgespielten Rattengedichten und Liederbüchern), die ihn genervt haben, statt dass er sie als inszeniert und lächerlich erkannt und daher ignoriert hätte.
  5. Kurz hat nicht begriffen, dass er seither vier Parteien frontal gegen sich hat.
  6. Kurz hat nicht begriffen, dass sich nach einem Koalitionswechsel natürlich sofort die gesamte aggressive – und von Silberstein bis Ibiza auch kriminelle – Energie der Linken ausschließlich gegen ihn richten wird, dass dann sofort die Blauen als Angriffsobjekt uninteressant würden.
  7. Kurz hat auch nicht die letzte Chance ergriffen, 2020 durch ein neuerliches Schwarz-Blau – das mit dem damaligen FPÖ-Chef Hofer sehr gut möglich gewesen wäre – im Einklang mit der Wählermehrheit gegen diese destruktive Energie noch einmal einen Damm zu errichten.
  8. Kurz hat auch 2020 noch nicht begriffen, wie wichtig die Justiz ist. Sonst hätte er diese nicht einer Linksradikalen überantwortet, die (zumindest!) zwei Jahre engste Alliierte von Peter Pilz gewesen ist.
  9. Und Kurz hat auch nie die Größe zum Handschlag mit Herbert Kickl gehabt, dem er einst Unrecht angetan hat, so klar auch ist, dass sich Kickl dann selbst durch seine Corona-Verrücktheiten ins Abseits geschossen hat.

Um es auf den Punkt zu bringen: Kurz war so blöd, seinem eigenen Todfeind ein geladenes Maschinengewehr in die Hände zu drücken und seiner eigenen Partei alle Alternativen zu rauben. Daher verdient er persönlich kein Mitleid. Dieses verdient aber umso mehr der österreichische Rechtsstaat, der von der Zadic-Truppe zertrümmert wird. Denn in ihm ist tatsächlich ein Putsch in Gange.

Auch in die Richterschaft selbst sollte man nicht allzu viele Hoffnungen setzen, dass sie diesen verhindert. Auch sie ist keine Garantie für den Rechtsstaat. Das zeigt der Prozess gegen Karl-Heinz Grasser. Das Verfahren gegen diesen dauert noch viel länger als das gegen Seeber – und dennoch hat Grasser nicht einmal noch ein Urteil erster Instanz in Händen. Jetzt hat er den Antrag gestellt, der Richterin möge ein Jahr nach Ausspruch des mündlichen Urteils endlich eine Frist gesetzt werden, den Urteilsspruch auch schriftlich auszufertigen. Was sie bis jetzt nicht getan hat.

Das war – nur zur Erinnerung – jene Richterin, die schon vor Prozessbeginn von vielen Juristen als untragbar angesehen worden war, weil ihr Mann, ebenfalls Richter, in Chats gegen Grasser gehetzt hat. Das hat jeden Anschein einer unbefangenen Prozessführung von Anfang an unmöglich gemacht. Trotzdem blieb sie weiter Richterin. Alle mir bekannten Strafjuristen wetten darauf, dass dieses Urteil spätestens beim OGH oder letztlich beim Menschengerichtshof aufgehoben werden wird. Erstens wegen dieser von Anfang an gegebenen Befangenheit der Richterin; und zweitens wegen der überlangen Dauer des Verfahrens.

Vielleicht ist die Angst vor dieser drohenden Stunde der Niederlage sogar ein im Unterbewusstsein wirkender Grund, das Schreiben des Urteils möglichst lange hinauszuzögern. Aber vielleicht tut sich die Richterin nur deshalb so schwer, weil sie noch immer nach der Begründung sucht, warum sie Grasser eigentlich zu acht Jahren verurteilt hat. Wir wollen doch nicht wirklich annehmen, dass sie erst nach Ende des Prozesses begonnen hätte, die 5000 Aktenteile zu studieren, was die lange Zeit erklären würde. Denn diese Akten hätte sie ja eigentlich schon während des Prozesses kennen müssen.

Dennoch wird die Dame bei ihrem Arbeits-"Tempo" vom Oberlandesgericht voll gedeckt. Sie kann also theoretisch noch zwei Jahre brüten, oder was auch sonst immer tun.

Nur zur Erinnerung: Die gesetzliche Frist zur Ausfertigung eines Urteils beträgt eigentlich vier Wochen. Und Rechtsanwälte haben meistens für ihre Schriftsätze überhaupt nur zwei Wochen …

Richter und Staatsanwalt müsste man halt sein in diesem Staat. Dann steht man ganz offensichtlich über dem Recht. Und nur ein Teil von ihnen setzt sich jenseits aller Lagermentalität noch für das Recht ein, für die Unschuldsvermutung, für den "gesetzlichen Richter", für den Schutz der Privatsphäre, für das "In dubio pro reo".

PS: Als besonders mieser Verbündete der WKStA hat sich wieder einmal der ORF erwiesen. Er lädt zwar die Justizministerin zu einem längeren Interview, erspart ihr darin aber wirklich alle unangenehmen Fragen. Und der Gebührensender rückt überdies den Rechtsstaats-gefährdenden Skandal gleich in den erwünschten parteipolitischen Rahmen, indem er behauptet, nur die ÖVP würde die WKStA kritisieren. Und das auch erst seit einem Monat, seit dem Abschuss von Kurz. Dabei finden sich allein in diesem Tagebuch seit vielen Jahren sehr kritische Auseinandersetzungen mit der WKStA.

PPS: Bei aller oben geübten Kritik an Kurz ist es auch absolut unverständlich, dass niemandem auffällt, wie sehr nach seinem Ausscheiden das Regierungsgeschehen führungslos zerfällt. Das zeigt sich in der ersten größeren Nach-Kurz-Krise, nämlich beim Anwachsen der vierten Corona-Welle zu einem Tsunami. Zwar haben vor eineinhalb Jahren viele in der politmedialen Szene die Nase ob der Inszenierung gerümpft ("Corona-Quartett" und so). Aber niemand kann der Regierung absprechen, dass sie unter Kurz-Führung noch entschlossen gehandelt hat. Der jetzige Qualitätsverlust im Regierungshandeln ist für die Österreicher neben der Trauer um die Zerstörung des Rechtsstaats der zweite Grund, dem Abschuss von Kurz nachzuweinen. Trotz seines skizzierten neunfachen Versagens in Sachen Koalition und Justiz.

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