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Rückblick und Ausblick: Was es mit Trumps Niederlage wirklich auf sich hat

Niemand kann jetzt noch zweifeln, dass der nächste amerikanische Präsident Joe Biden heißt (was im Tagebuch übrigens – zum Ärger mancher Leser – schon unmittelbar nach der Wahl als fix zu lesen gewesen ist). Das heißt aber dennoch keineswegs, dass bei der amerikanischen Wahl alles in Ordnung gewesen wäre. Das heißt noch viel weniger, dass Amerika einer guten Zukunft entgegenginge. Das heißt aber sehr wohl, dass es spätestens jetzt nach der Entscheidung der Wahlmänner und der Ablehnung seiner Wahlanfechtung durch das US-Höchstgericht Donald Trump gut angestanden wäre, offen eine Niederlage einzugestehen und Biden zu gratulieren. Seine Weigerung, das vorerst nicht zu tun, bedeutet aber keineswegs, dass die amerikanische Demokratie jetzt durch einen Putsch Trumps bedroht wäre, wie mediale Hasser allen Ernstes behauptet haben. Das hat vielmehr ganz eindeutig – erlaubte – taktische Motive.

Es ist freilich ziemlich zweifelhaft, ob diese Taktik Trumps aufgeht.

Deren kurzfristiges Hauptziel sind die Nachwahlen für zwei Senatssitze in Georgia. Aus klarem Grund: Gingen diese beiden Sitze verloren, so wäre für die Republikaner auch die Mehrheit im US-Senat verloren, also ihre letzte nationale Machtbasis.

Ganz offensichtlich hat sich die Mehrheit der Republikaner daher entschlossen, bis zu diesen Nachwahlen in den ersten Jännertagen ganz auf der politischen Linie der letzten Tage und Wochen zu bleiben, also beim Zorn über den beklagten Wahlbetrug. Sie fürchten, dass ein plötzlicher Argumentationswechsel unmittelbar vor einer Wahl die Wähler verunsichern würde, und dass das Triumphgeheul der Demokraten und der Medien dann noch viel größer werden würde.

Mag sein, dass diese Überlegungen richtig sind. Aber viel wahrscheinlicher ist, dass etliche schwankende Wähler im Nicht-Eingestehen einer Niederlage ein Zeichen mangelnder Größe und Fairness sehen könnten, ein Zeichen von unsympathischer Verbissenheit und einem Mangel an Empathie. Dieser charakterliche Gesamteindruck, den Trump auslöst, dürfte ja auch der letztlich entscheidende Grund gewesen sein, weshalb Trump vor allem bei den weiblichen Wählern nicht die notwendige Unterstützung bekommen hat. Wenn ein Politiker als zu hart, besserwisserisch und unnachgiebig erscheint, schadet ihm das mehr, als dass es als positives Zeichen der Führungsstärke und von Mut im Gegenwind eingestuft würde. Das ist dann noch mehr der Fall, wenn hinter der scheinbaren Führungsstärke in der großen Bedrohung durch die Pandemie plötzlich ein unsicherer Zick-Zack-Kurs sichtbar geworden ist.

Das zweite taktische Ziel der Republikaner ist ein viel längerfristiges. Trump denkt offensichtlich schon an die nächsten Wahlen. Und da will er entweder selber oder durch einen engen Vertrauensmann – gar einen Sohn oder Schwiegersohn? – für eine Rückkehr zu seiner Linie kämpfen. Das ist wiederum gar nicht so aussichtslos. Denn Trump hat trotz etlicher abstoßender Charakterzüge eine große Mobilisierung nicht nur gegen sich, sondern ebenso auch für seine Politik ausgelöst.

Die Republikaner sind durch ihn von einer Partei des großen Geldes zu einer Partei der kleinen Leute geworden, die weder Massen-Immigration noch Blacklivesmatter-Randale noch die ständige Einmischung der USA in fremde Konflikte wollen. Die durchaus wissen, dass ihr eigener kleiner Wohlstand untrennbar mit einer klaren Marktwirtschaft verbunden ist. Und die sehr christlich und pro-israelisch geprägt sind.

Hingegen sind die Demokraten auf der anderen Seite von tiefen inneren Spaltungen zerrissen, die tiefer gehen denn je, die jetzt nur vom gemeinsamen Wahlerfolg übertüncht erscheinen. Diese Klüfte werden aber mit Sicherheit in den nächsten vier Jahren deutlich sichtbar werden.

  • Auf der einen Seite agitiert ein linksradikaler Flügel mit mehreren Gravitationszentren: Dazu gehören wie nach 1968 etliche US-Universitäten einerseits und andererseits die aggressiven Schwarzen-, Schwulen-, Klimapanik- und Feminismus-Aktivisten.
  • Auf der anderen Seite der gleichen Partei stehen die New Yorker Wall Street und das kalifornische Silicon Valley (auch wenn es verblüfft, ausgerechnet dort, wo man ja sehr von Trumps Politik profitiert hat, linke Gravitationszentren zu entdecken).
  • Zwischen diesen beiden Lagern droht der nette Großvater-Typ Biden völlig erdrückt zu werden, der ja keineswegs ein so charismatischer Politiker ist wie Barack Obama, Bill Clinton oder John F. Kennedy, und der auch schon Alterungssignale ausstrahlt.

Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass die demokratische Phase in den USA nicht allzu lang dauern wird. denn so zerrissen waren die Demokraten noch nie. Daher denken im Trump-Lager viele schon an das nächste Mal. Daher scheut die Mehrheit der Republikaner den innerparteilichen Stempel "Trump-Gegner".

Wie man auch immer diese Taktik bewertet: Rechtswidrig oder undemokratisch ist daran nichts. Das wird lediglich in vielen Medien und bei den Linksparteien behauptet. Nur im Apparat streng geführter Religionsgemeinschaften ist Kritik am Chef, etwa am Papst, unzulässig. In der demokratischen Meinungsfreiheit ist es hingegen zum Glück noch durchaus legal, dass Trump die Gerichtsurteile als "skandalösen Justizirrtum" bezeichnet. Das ist so lange legal, solange er die Einhaltung der Urteile nicht verhindert. Dafür aber gibt es bisher keinerlei Anzeichen.

Jetzt werden mache fragen: Wie ist nun wirklich der vergangene Wahltag zu bewerten? Da kommt man – zumindest aus der Ferne, die aber oft zu einer besseren Übersicht verhilft als allzu große Nähe, – zu einem klaren Urteil:

  1. Es kann keinen Zweifel geben, dass die Mehrheit der Amerikaner Biden zum Präsidenten gewählt hat.
  2. Es kann aber ebenso wenig Zweifel geben, dass die US-Wahlen viele Mängel in Sachen Rechtsstaatlichkeit gezeigt haben, die eindeutig größer sind als man sie bei nationalen Wahlen in irgendeinem EU-Land findet. Insbesondere jenen Politikern und Journalisten stünde es mehr als gut an, Kritik an den US-Wahlen zu üben, die immer wieder "Rechtsstaatlichkeits!"-Schaum vor dem Munde bekommen, wenn sie die Worte "Ungarn" oder "Polen" nur hören (die wie etwa eine einstige Qualitätszeitung allen Ernstes diese beiden Länder in eine Kategorie mit Russland und der Türkei gerückt haben). Dabei ist in Ungarn und Polen in den letzten 30 Jahren jede Wahl – also das Hochamt der Demokratie – eindeutig und immer korrekt abgelaufen.

Am jüngsten amerikanischen Wahltag sind viele Details, aber vor allem zwei diesmal ganz neue Fehlentwicklungen zu kritisieren, die – zu Recht – in anderen Ländern massiv als undemokratisch getadelt würden:

  • Die massive Beeinflussung der Wahl durch die sogenannten "Sozialen Medien", also die meist von Kalifornien aus regierten riesigen Internet-Netze wie Facebook, Google, Twitter oder Amazon. Sie alle haben nicht nur eindeutige Sympathien für die Demokraten gezeigt, sondern in massiver Form Trump, den amtierenden US-Präsidenten, sogar zensuriert. Das hat es in Demokratien noch nie so gegeben. Das ist zehn Mal schlimmer als die von vielen linken Heuchlern empört kritisierte Tatsache, dass in Ungarn die meisten "alten" Medien regierungsnahe sind. So wie sie in Österreich fast geschlossen links sind (was die gleichen Heuchler natürlich nicht kritisieren).
  • Die mehr als bedenkliche Leichtfertigkeit im Umgang mit Wahlkarten. Allein der Umstand, dass in etlichen US-Bundesstaaten die Wahlkarten einfach unverlangt sämtlichen Bürgern zugeschickt worden sind, ist eigentlich unfassbar. Als Folge sind viele Wahlkarten in falsche Hände geraten. Als Folge haben sogar etliche Tote "gewählt".

Wer sich in Österreich erinnert, wie skrupulös der hiesige Verfassungsgerichtshof die letzten Präsidentenwahlen bewertet hat und wie er sie dann aus kleinlichen Formalgründen wiederholen hat lassen, kann nur staunen, dass amerikanische Gerichte viel gravierendere Fehler völlig ignorieren.

Angenommen, der österreichische VfGH hätte über diese US-Wahl zu urteilen, und ebenfalls angenommen, er würde seiner bisherigen Haltung treu bleiben, dann müssten die Amerikaner wohl noch einmal wählen gehen. Auch wenn in Österreich damals wie heute in den USA im November ziemlich klar gewesen ist, was die Mehrheit der Bürger gewollt hat.

So sehr auch der zwangsläufig zu Bürokratie-Exzessen führenden Formalismus des österreichischen VfGH zu hinterfragen ist, so klar ist dennoch: Das amerikanische System ist noch viel bedrückender als die österreichische Realität. Denn es öffnet Willkür und Manipulation Tür und Tor.

PS: Noch in einem anderen Punkt ist gerade aus österreichischer Perspektive Trumps Zorn verständlich: Jetzt stellt sich heraus, dass schon seit dem Frühjahr gegen den Sohn von Joe Biden wegen massiver Steuerhinterziehung ermittelt worden ist. Das ist aber bis nach dem Wahltag völlig geheim gehalten worden. Da kann jeder Österreicher nur lachen. Denn hier wird in absolut jedem Wahlkampf mit theoretisch geheimzuhaltenden Justizmaterialien, die jeweils plötzlich in den letzten Tagen vor der Wahl auftauchen, massiv skandalisiert. Da bekommen vor allem Akten, Mutmaßungen und Verschwörungstheorien der sogenannten Korruptionsstaatsanwaltschaft regelmäßig Flügel in Richtung linker Wochenillustrierten und ORF.

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