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Das Umfallen der sparsamen Europäer

Es war zwar letztlich erwartbar gewesen. Es ist aber dennoch blamabel und deprimierend. Und in einer Hinsicht sogar viel schlimmer als befürchtet. Sebastian Kurz hat mit quietschenden Reifen eine Kurskorrektur seiner EU-Politik eingeleitet und ist auf die Angela-Merkel-Linie eingebogen. Das ist für jeden traurig, der auf ihn gesetzt hat. Das ist noch viel trauriger für die Zukunft Europas. Und besonders traurig ist, dass es ausgerechnet Österreich ist, das als erstes von den vier bisher für Sparsamkeit plädierenden Länder in die Merkel-Kurve gegangen ist.

Zwar versucht der Bundeskanzler den üblichen Trick aller Politiker: Man bewegt sich durch eine Vielzahl verwirrender Erklärungen immer nur millimeterweise, sodass nur sehr aufmerksame Beobachter erkennen können, dass man sich bewegt hat. Dass man am Schluss ganz wo anders steht. Dass man voll eingeknickt ist.

Jedenfalls sollte man angesichts dessen, was Kurz jetzt im Parlament zugegeben hat, jede Hoffnung aufgeben, dass am Ende außer gesichtswahrender Kosmetik irgendetwas Relevantes von all dem übrigbleibt, wofür man noch vor ein paar Wochen geglaubt hat, dass Kurz in Sachen EU steht.

  • So hat er jetzt endgültig eingeräumt, dass der nächste Budgetrahmen der EU jedenfalls die noch vor kurzem von Österreich vehement verteidigte und bisher immer gültig gewesene Ein-Prozent-BIP-Grenze deutlich überschreiten wird.
  • So akzeptiert Kurz jetzt, dass es am EU-Finanzrahmen nur eine "leichte Redimensionierung" geben wird.
  • So wird es vor allem erstmals in der Geschichte der EU eine Schuldenaufnahme durch die Union geben. Womit der EU-Vertrag endgültig gebrochen wird. Womit ein historischer Damm geborsten ist, den man nie wieder aufrichten wird können. Das wird mit großer Sicherheit in etlichen Jahren dazu führen, dass die EU genauso schwer verschuldet ist wie ihre Mitglieder.
  • Diese Schulden werden in einen "Aufbaufonds" fließen, der vor allem den schon lange vor Corona schwer verschuldeten und weiterhin reformunwilligen Mittelmeerländern zugutekommen wird.

Diese europäische Umverteilung erfolgt unter dem Vorwand, diese Länder wären von der Corona-Krise besonders hart getroffen. Dabei leiden ja alle EU-Länder infolge der Pandemie unter einer katastrophalen Wirtschaftskrise. Diese wird für die nördlicheren Staaten, also auch Österreich, naturgemäß nicht leichter, sondern noch schlimmer, wenn diese Staaten jetzt neuerlich massiv zur Hilfe für Italien & Co herangezogen werden. Und viele Ökonomen schon wetten, dass das nicht die letzte Italienhilfe gewesen sein wird.

Es ist ganz eindeutig: Der schlimme Zustand insbesondere Italiens und Spaniens, aber auch Frankreichs, Belgiens und Portugals ist nicht erst durch die Pandemie ausgelöst worden, sondern Folge schon jahrzehntelanger Misswirtschaft und Schuldenmacherei. Wenn jetzt weitere Hunderte Millionen Euro in dieses Fass ohne Boden geschüttet werden, dann folgt dieses Geld nur den Billionen aus diversen anderen Geldtransfers, die dort schon (etwa via Struktur- und Kohäsionsfonds) folgenlos versickert sind. Auch für den Transfer dieser Billionen hat man uns immer die gleiche Begründung erzählt: Der Süden, der ganze romanische Teil Europas sei doch so arm und hilfsbedürftig; es wäre daher Europas Pflicht, ihn zu entwickeln.

An dieser Stelle ist schon vor sechs Wochen die Reformunwilligkeit insbesondere Italiens im Detail aufgelistet worden. Daher erspare ich mir hier eine Wiederholung. Die Summe der alten und neuen Sünden macht klar, dass auch die jetzige, alle Grenzen sprengende Hilfsaktion völlig wirkungslos bleiben wird – außer dass sie nun auch in den relativ disziplinierteren Staaten schwere Schäden anrichten wird.

Wirklich schockierend aber ist, was Kurz im Parlament als jene drei Bedingungen aufzählt, die Österreich und die anderen drei verbal noch sparsamen Länder an die Auszahlung der Gelder knüpfen wollen. Kurz stellt das zwar so dar, dass man über diese Bedingungen noch im Konflikt mit den von Deutschland unterstützten Schulden-Ländern läge. Aber wenn man sich seine drei Bedingungen genauer ansieht, dann ist das Nachgeben jetzt schon völlig klar.

Sie lauten:

  • Klimaschutz,
  • Reformwillen und
  • Rechtsstaatlichkeit.

Nur eine einzige dieser Bedingungen richtet sich jedoch an die Adresse des Schuldenklubs! Und auch diese Bedingung entpuppt sich, wenn man genauer hinhört, als bloßes Als-Ob: Das ist die Formulierung "Reformwille".

Die "Bedingung" besteht also nur noch im "Willen", und nicht mehr in ganz konkreten Reformen. Ja gewiss: Wollen, wollen täten die italienische und die anderen Regierungen eh. Aber Reformen sind halt so schwierig. Und die Wähler sind halt jetzt dagegen. Und die Opposition ist halt dagegen. Und von der Konjunktur her ist halt der Zeitpunkt jetzt nicht ideal. Und man kann doch nicht von außen den Inhalt der Reformen diktieren. Und von außen drängen lassen wir uns schon gar nicht.

Von außen will man nur das Geld.

Überdies kann man ohnedies so gut wie über jedes Gesetz "Reformgesetz" drüberschreiben, um Reformen zu simulieren. Selbst wenn es die Zustände nur verschlimmert, statt sie zu verbessern. Selbst wenn gerade Italien ein neues "Reformgesetz" vorbereitet, das als angebliche "Entbürokratisierung" nur eines bewirken wird: dass Mafia und ähnliche Strukturen noch leichter an Staatsgelder herankommen.

Kurz akzeptiert also offensichtlich, wie diese Formulierung indirekt zeigt, dass Italien & Co es mit ein paar substanzlosen Bekundungen ihres "Reformwillens" bewenden lassen können.

Was für ein Unterschied zum entschlossenen Verhalten der EU-Länder Griechenland gegenüber, als dieses eine Dekade davor ebenfalls in massiven Geldnöten gesteckt ist und viel Geld aus dem Norden gebraucht hat. Damals sind den Griechen ganz konkrete Bedingungen auferlegt worden, von ganz konkreten Privatisierungen bis hin zu ganz konkreten Kürzungen beim Wohlfahrts- und Pensionssystem. Insbesondere Wolfgang Schäuble hat sich damals viele Verdienste um sinnvolle Reformen erworben. Diese haben ja in der Folge auch tatsächlich dafür gesorgt, dass Griechenland aus der Intensivstation herausgekommen ist (auch wenn sich die damalige griechische Linksregierung lange vehement gegen die Reformen gewehrt hatte).

Jetzt jedoch schafft offensichtlich niemand mehr in Europa solche Konsequenz. Heute stehen viel zu viele EU-Kräfte auf der Seite der bedingungslosen Schuldenmacherei: von der mächtigen Front aller Mittelmeerländer bis zur noch mächtigeren deutschen Bundeskanzlerin und zur EU-Kommission und dem EU-Parlament.

Genauso schlimm wie diese blamable Schrumpfung des Verlangens nach konkreten Reformen zu einem Verlangen nach bloßem Reformwillen ist die zweite Bedingung, der "Klimaschutz". Denn wirklich alles, was unter dieser Überschrift verlangt wird, ist ebenso teuer wie naturgemäß unproduktiv. Denn würde sich eine "Klimaschutz"-Investition rentieren, bräuchte sie ja keine Subvention. Jeder einzelne Euro, der für "Klimaschutz" statt für echte Wirtschaftsinvestitionen ausgegeben wird, verzögert zwangsläufig die Erholung des Kontinents aus der Wirtschaftskrise.

Im Kleinen hat man die Widersinnigkeit einer solchen Politik, die gleichzeitig "Klimapolitik" und wirtschaftliche Erholung zu betreiben behauptet, schon an der AUA-"Rettung" gesehen. Bei dieser gibt Österreich einerseits viel Geld aus, damit die AUA wieder fliegt (als ob nicht andere Fluggesellschaften auch ohne Steuergeld Wien anfliegen würden). Andererseits versucht Österreich im absolut gleichen Atemzug mit Ticketabgaben und Flugverboten auf bestimmten Strecken die AUA möglichst am Fliegen und Profitabelwerden zu hindern.

Genauso pervers ist es, so zu tun, als wäre "Klimaschutz" und ein "Aufbaufonds" miteinander logisch vereinbar. Auch das bedeutet gleichzeitig bremsen und Gas geben.

Die schlimmste aller Bedingungen von Kurz verbirgt sich aber im Wort "Rechtsstaatlichkeit". So sehr man im eigenen Land für Rechtsstaatlichkeit kämpfen muss, so sehr haben die letzten Jahre klar gemacht: Über den Wortlaut der Menschenrechtskonvention, die Abhaltung freier, geheimer Wahlen sowie die konkreten Bestimmungen des EU-Vertrags, der völkerrechtlichen Konventionen und der diversen EU-Verordnungen und Richtlinien hinaus gibt es keinerlei europäischen oder gar internationalen Konsens, was denn eigentlich genau Inhalt von "Rechtsstaatlichkeit" ist.

Im ideologischen Sprachmissbrauch der letzten Jahre verbirgt sich hinter dieser Vokabel ja eindeutig der Versuch der europäischen Linken, die nichtlinken Regierungen in Osteuropa, insbesondere die in den sogenannten Visegrad-Staaten zu denunzieren. Auf den leider auch in der CDU etliche hereingefallen sind, ebenso wie ein Othmar Karas (was wieder weniger überrascht …).

Konkret sind jedoch die angeblichen Verfehlungen der Osteuropäer extrem dünn. Sie bestehen etwa darin,

  • dass sich die Osteuropäer weigern, bei der Umverteilung von "Flüchtlingen" mitzumachen;
  • dass Polen Richtern durch ein Gesetz verbietet, außerhalb ihrer Gerichtsurteile Kritik an anderen Staatsinstitutionen zu üben (was ich für eine angesichts der ohnedies gewaltigen Macht von Gerichten überaus sinnvolle Regel zur Verteidigung des Anscheins der richterlichen Unparteilichkeit halte);
  • dass Ungarn ausländische Vereine und NGOs anhält, sich registrieren zu lassen (auch das scheint mehr als legitim);
  • oder darin, dass die Regierungen Einfluss auf die Medien nehmen.

Insbesondere der letztgenannte Kritikpunkt Richtung Osteuropa ist der Gipfel der Infamie, wenn man ihn mit den medienpolitischen Vorgängen in Österreich selbst vergleicht.
- Besetzt doch die österreichische Regierung selbst seit Jahrzehnten die Gremien des noch immer weitaus mächtigsten Fernseh- und Radiosenders rein parteipolitisch.
- Zwingt doch die jeweilige Parlamentsmehrheit die Österreicher seit Jahren zu Zwangsabgaben an dieses regierungskontrollierte Medium.
- Hat doch die Regierung gerade erst in den letzten Wochen neue fette Steuermillionen an die Printmedien verschoben.
- Werden doch gefügigen Medien in Österreich seit längerem in internationalem Rekordausmaß hunderte Korruptionsmillionen für Inserate und Kooperationen zugeschoben.

Noch widerlicher ist der Versuch der österreichischen Regierung, andere Staaten wegen angeblicher Rechtsstaatlichkeits-Probleme von allen EU-Geldern fernzuhalten, wenn die gleiche Regierung zur gleichen Stunde unter der Phrase "Kampf dem Hass im Netz" eine weitere Einschränkung der Meinungsfreiheit vorbereitet, also eines der zentralen Grundrechte angreift. Als ob nicht jetzt schon der Verhetzungsparagraph "Hass" pönalisiert – ohne ihn natürlich definieren zu können. Was ihn jetzt schon zu einer total beliebig anwendbaren Gummiformulierung macht. Schon dieser Paragraph stellt eine schwere Einschränkung der Meinungsfreiheit dar, die sowohl von Menschenrechtskonvention wie Verfassung eigentlich garantiert ist.

Bei ihrem Kampf gegen "Hass" geht es der Koalition einzig und ausschließlich um einen Kampf gegen Kritiker, gegen die sofort vorgegangen werden soll, auch wenn sich diese nur einmal im Ton vergreifen. Das beweist etwa ganz aktuell der bedrohliche Auftritt einer ganzen Riege von Ministerinnen, die sich zusammen mit der SPÖ-Chefin über eine angeblich frauenfeindliche, in Wahrheit völlig harmlose Karikatur aufregen, die postwendend aus dem Netz entwendet werden musste. Womit die Quotenministerinnen nahtlos in die Fußstapfen der Islamisten treten, die sich ebenfalls maßlos über Karikaturen erregen.

Der Titel der Koalitionsaktion gegen "Hass im Netz" zeigt die Kampfrichtung: Im Netz gibt es Plattformen, die man sich noch nicht gefügig gemacht hat. Denen gilt daher jetzt der Regierungskampf. Während eine so getaufte Initiative offensichtlich nichts gegen den Hass in regierungsfinanzierten Medien unternehmen will. Auch nicht gegen den ideologischen Hass, der hinter manchen Staatsanwaltschafts-Aktionen stehen dürfte.

Und schon gar nicht gegen den Hass, der von der Regierungsbank selbst strömt. Den es aber sehr wohl gibt: Was soll es sonst sein als Hass und Hetze von der Regierungsbank, wenn der Innenminister mehrmals Bürger als "Lebensgefährder" bezeichnet, nur weil sie nebeneinander auf einer Parkbank sitzen oder zu viert Pizza essen. Solche Töne von der Regierungsbank sind schlimmer als der (ebenfalls wenig erfreuliche) Umgangston von Neos-Abgeordneten im Parlament.

Zurück zu den Kurz-Bedingungen: Meint der Bundeskanzler angesichts dieser österreichischen Fakten etwa vielleicht gar, dass auch Österreich keinen Anteil an der von ihm mitfinanzierten Hilfsaktion bekommen soll, weil es eben selber gewaltige Rechtsstaats-Probleme hat? Diese sind ja auch in Aussagen des Bundeskanzlers selbst zu finden, als er den Vorwurf gravierender Grundrechtsverletzungen während der Corona-Maßnahmen salopp als "juristische Spitzfindigkeiten" abgetan hat?

Sollte Kurz also eine solche Pönalisierung Österreichs im Sinne haben, wäre seine Argumentationslinie allerdings wieder logisch. Wenn sie auch nicht sonderlich im heimischen Interesse läge …

Aber Spass beiseite: Gar kein Spass ist, dass Kurz mit Einschwenken auf die "Rechtsstaatlichkeits!"-Denunziationslinie die fast einzige außenpolitische Option Österreichs zerstört, strategische Freunde zu finden. Viel Glück, wenn die ÖVP offenbar wieder unter die muffigen Röcke aus Deutschland schlüpft! 

PS: Probleme mit der eigenen Rechtsstaatlichkeit müsste auch die EU haben. Hat sie aber nicht. Dabei schleust sie im Nahen Osten massiv europäisches Steuergeld zu palästinensischen Organisationen, die direkt mit dem Terror zu tun haben. Das hat dankenswerterweise jetzt der EU-Abgeordnete der ÖVP, Lukas Mandl, mit deutlichen Worten aufgegriffen, nachdem ein Brief des offiziellen EU-Vertreters bei den Palästinensern bekannt geworden war. Darin hat dieser EU-Diplomat den Palästinensern ausdrücklich geschrieben, dass Personen nicht von EU-Förderungen ausgeschlossen würden, wenn sie Gruppierungen unterstützen, die auf der EU-Terrorliste stehen! Genau das ist in letzter Zeit schon mehrfach nachgewiesen worden. Mandl völlig zutreffend: "Das ist an Jenseitigkeit nicht mehr zu überbieten."

PPS: Übrigens stünden auch Österreich Reformen dringend an. Hie und da tönt diese Erkenntnis zwar bei Kurz auch kurz an, findet aber nie den Weg in die Realisierung. Notwendig wären etwa eine massive Deregulierung und Verwaltungsvereinfachung, eine Aufgaben- und Einnahmen-Entflechtung zwischen Bund und Ländern, eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters, eine Abschaffung der Zwangsgebühren für Arbeiterkammer und ORF, und eine Umstellung der Uni-Finanzierung auf gemessene Leistung, etwa den beruflichen Erfolg der Absolventen.

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