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Wenn Asylanten in Quarantäne sind – sein sollten

Auch wenn der Wiener Gesundheitsstadtrat Hacker noch so rotzig im Stil eines Wiener Vorstadt-Strizzis herumrülpst: Der Problemfall Postverteilzentrum-Asylanten-Quarantäne übertrifft die seit Wochen brodelnde Causa Ischgl bei weitem. Gleich aus einer ganzen Reihe von Gründen ist er viel explosiver.

Die Explosivität besteht gar nicht so sehr darin, dass jetzt Wien mit 60 Prozent der Infektionsfälle der Hotspot ist. In den ersten Wochen der Corona-Krise waren vor allem Infektionen aus den westösterreichischen Bundesländern berichtet worden. Jetzt ist halt Ostösterreich an der Reihe. Es hat ja nie jemand gezweifelt, dass das Virus weiter virulent ist und dass es mit Sicherheit immer wieder Cluster-Bildungen geben wird. Einmal da, und einmal dort.

Das zentrale politische Problem ist ein ganz anderes: Es gibt starke Hinweise, dass

  • die neue Infektionskette von Asylanten – von Schwarzafrikanern aus Somalia, die schon einen positiven Asylbescheid haben, – ausgegangen sein dürfte;
  • diese Asylanten eigentlich unter Quarantäne-Verpflichtung gestanden wären, das Asylantenquartier im Wiener Messegelände nicht zu verlassen;
  • dort – also in einer Gemeinde-Einrichtung! – die Quarantäne-Auflagen einfach nicht kontrolliert worden sind;
  • nicht einmal die ganztägige Job-Abwesenheit der Quarantäne-Verpflichteten irgendjemandem aufgefallen ist;
  • diese schweren Versäumnisse der Wiener Behörden der wahre Grund sind, warum Wien sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, dass in Wien die Polizei – also eine Bundesbehörde – die Quarantäne-Einhaltung untersucht und kontrolliert, weshalb dann nichts mehr unter dem Teppich gehalten werden kann.

Das Dilemma der SPÖ und das der Grünen

Wenn sich durch polizeiliche Erhebungen dieser Verdacht gegen Wien bestätigen sollte, dann ist das ein katastrophaler Rückschlag für die SPÖ bei den Wiener Wahlen im Frühherbst. Dann würden noch so viel Wirtshaus- und Taxi-Bestechungsgutscheine an die Wähler nicht mehr helfen, um zu verhindern, dass das Asylantenthema wieder zu "dem" zentralen Wahlkampfthema wird.

Das spürt die SPÖ. Sie begreift aber nicht, dass für jeden aufmerksamen Beobachter ihr aufgeregtes Geschrei "Nehammer betreibt ja Wahlkampf" anstelle von Sachargumenten erst recht als Bestätigung der Vorwürfe des Innenministers erscheinen muss. Denn würden die Vorwürfe nicht stimmen, dann wäre nichts einfacher, als zu sagen: Hereinspaziert, liebe Polizei, untersucht alles, denn das stimmt ja alles nicht.

Die Wiener SPÖ ist nicht einmal bereit, eine Aufschlüsselung der Infektionen nach Wiener Gemeindebezirken bekannt zu geben. Und die allermeiste Panik hat sie wohl davor, dass sich noch irgendjemand daran erinnert, dass im März bei einer früheren Infektions-Häufung ganze Täler und Gemeinden im Paznaun- und Arlberg-Gebiet gesperrt worden sind, während in Wien ja schon wieder Trubel und Verkehr fast wie in den Vorweihnachtswochen herrscht.

Ganz offensichtlich in einem verzweifelten Beruhigungsversuch hat die Wiener SPÖ stattdessen ihre grünen Koalitionspartner massiv unter Druck gesetzt, damit der grüne Gesundheitsminister Anschober zur ganzen Angelegenheit ja nichts sagt, außer höchstens inhaltlose Floskeln, dass man zusammenarbeiten und nicht streiten solle.

Damit offenbart sich auch zugleich eine politische Zerreißprobe für die Grünen. Diese ist – erwartbar gewesene – Folge ihrer politischen Bigamie. Sie stehen in Wien in einer Linkskoalition mit der SPÖ: das ist zweifellos für die meisten Grünen die Koalition des Herzens. Im Bund aber haben sie eine Koalition mit der bürgerlichen ÖVP. Die Bundeskoalition ist für die Grünen wiederum politisch viel wichtiger.

Die eine Koalitionsdisziplin erfordert dieses, die andere jenes. Und beide passen halt absolut nicht zusammen. Das wird die Grünen noch in viele Zerreißproben und Loyalitätskonflikte stürzen. Bis hin zur Gefahr des Zerreißens einer der beiden Koalitionen.

Die Wiener Oppositionsparteien

Wie schaut die Causa für die übrigen Parteien aus?

  • Die – monatelang eigentlich nicht mehr existent gewesene – Wiener ÖVP hat damit eindeutig ein, wenn nicht sogar "das" Gemeinderatswahl-Thema gefunden. Die emotionale Überreaktion der Wiener SPÖ hat ihr dieses geradezu wie einen Elfmeter aufs leere Tor vorbereitet.
  • Bei der FPÖ und ihrem verfeindeten Klon H.C. Strache fällt auf, dass sie erst mit deutlicher Verspätung reagiert haben. Dabei ist mit dem Asylantenthema eigentlich jetzt nach Monaten zielgenau wieder das dominante Thema der FPÖ auf dem Tisch. Dabei hat der Wiener FPÖ-Obmann sogar selbst das Thema mit der Formulierung "Asylantenvirus" noch vor zwei Wochen angesprochen, womit er bei Linken den üblichen politisch-korrekten Empörungsschrei samt Strafanzeigen ausgelöst hat. Aber offenbar weiß man derzeit bei der FPÖ nicht genau, an welcher Seite man an der ÖVP vorbei und wieder an das eigene Zentralthema herankommt.
  • Die Neos wissen hingegen sehr genau, wie sie sich zu positionieren haben: Ihre Stellungnahmen klingen bis zum letzten Beistrich so, wie wenn sie von der SPÖ ausformuliert worden wären.

Die rechtlichen Aspekte

Zurück zum Wiener Cluster mit starken Asylanten-Implikationen: Die Tatsache, dass Wien als einziges Bundesland die Polizei von allen Kontrollen der Quarantäne-Einhaltung fernzuhalten versucht, ist angesichts dieser Vorwürfe an sich schon ein massiv belastendes Indiz. Das ist ähnlich beweiskräftig, wie wenn jemand den Alko-Test wie auch die Untersuchung durch einen Amtsarzt verweigert.

Rein verwaltungsrechtlich könnte Wien wohl die Polizei solange fernhalten, bis alle Spuren verwischt sind. Es sei denn, eine neue Verordnung des Gesundheitsministeriums ordnet etwas anderes an.

Diese Möglichkeit löst freilich für das Anschober-Haus ein riesiges Loyalitäts-, aber auch Glaubwürdigkeits-Problem aus. Hat es doch das Leben aller Österreicher mehr als zwei Monate mit oft sehr kleinlichen Verordnungen bis zum fast völligen Atemstillstand herunterreguliert. Wie kann es da wegschauen beim weitaus schlimmsten Infektions-Cluster der letzten Tage und bei der in solchen Fällen eigentlich obligaten Nachforschung nach allen Kontakten? Damit droht die durch ständige TV-Auftritte bei einem Teil der Wähler errungene Glaubwürdigkeit rasch wieder zum Teufel zu gehen.

Freilich hat das Innenministerium auch noch einen ganz anderen Weg, der Asylanten-Quarantäne-Connection nachzugehen: Das wäre eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Denn wenn jemand – und sei es auch "nur" ein somalischer Asylant – die Quarantäne-Pflicht mutmaßlich verletzt und dadurch die Seuche ausbreitet, ist das ganz eindeutig nicht nur ein Verwaltungs-, sondern auch ein Strafdelikt. Zu dessen Verfolgung kann die Polizei ganz ohne Erlaubnis aus dem Rathaus einschreiten. Und das tut sie nun auch gemäß einem "Anfangsverdacht".

Es ist zwar offen, was die Staatsanwaltschaft danach mit einer solchen Strafanzeige macht. Aber selbst der geeichteste Genosse unter den Staatsanwälten täte sich ziemlich schwer, das zu schubladisieren (auch wenn das die Justizministerin parteipolitisch sicher am liebsten hätte). Die Staatsanwaltschaft kann also höchstens bremsen, bevor dann doch wohl die Polizei genau jenen Ermittlungsauftrag bekäme, den ihr das Wiener Rathaus derzeit zu verweigern versucht.

Gegenbeispiel Ischgl

Wie verhält sich das Ganze eigentlich zu Ischgl, einem ganz ähnlichen Thema, das vor mehr als zwei Monaten ausgebrochen ist? Nun, die Größenordnung der schlussendlich Infizierten war in Ischgl eine Zehnerpotenz größer. Allerdings ist dort die Infektionskette inzwischen zu einem völligen Abschluss gekommen. In Wien wird sie hingegen sicher noch etliche Zeit weitere Opfer finden.

Auf der anderen Seite wird der SPÖ der Verweis auf Ischgl gar nichts helfen, egal wer dort aller geschlampt hat – ob Gesundheitsministerium, Landesregierung, Bezirkshauptmann, Bürgermeister, Hoteliers, Barbesitzer. Aus zwei Gründen:

  1. Ischgl ist passiert, bevor ganz Österreich zugesperrt worden ist. Damals haben die meisten Menschen in Österreich die Dimension der Seuche und ihre Konsequenzen noch gar nicht richtig verstanden.
  2. Zweitens legen sich die SPÖ und die anderen mit ihr kooperierenden Oppositionsparteien durch das ständige Hochkochen von Ischgl mit der gesamten Bevölkerung in Westösterreich an. Denn diese sehen – nicht ganz zu Unrecht – in jeder Erwähnung Ischgls eine weitere Vergrößerung des Schadens für den Tourismus, also für die dominante Wirtschaftsbranche zwischen Vorarlberg und Salzburg. In Wien hingegen gibt es außer bei den innigsten Verbündeten des rotgrünen Rathauses niemanden, den eine eingehende Untersuchung der Affäre um die  unterlassene Einhaltung der Quarantäne-Pflicht in Asylantenquartieren stört.

Man kann sicher sein: Fortsetzung folgt.

PS: Am Rande des Cluster-Dramas muss man wieder einmal den Kopf schütteln, wenn jetzt zwangsverpflichtete Soldaten eingesetzt werden, um Hunderttausende liegengebliebene Postpakete wieder in Bewegung zu bringen. Da man nicht annehmen kann, dass man beim Bundesheer eine wochenlange Spezialausbildung im Paketeschlichten bekommen hat (genausowenig wie das bei somalischen Asylanten der Fall gewesen sein dürfte), ist das also eindeutig eine Tätigkeit, die wirklich jeder sofort übernehmen kann, sofern er nicht körperlich behindert ist. Wie war das noch schnell mit der Millionenzahl von Arbeitslosen und Kurzarbeitern, die möglichst schnell wieder in Arbeit gesetzt werden sollen?? Ist Paketeschlichten für sie komplizierter als für Wehrpflichtige? Oder ist ihnen Hagenbrunn zu weit weg von Wien? Oder verhindert die AMS-Bürokratie ihren Einsatz? Oder verdient man dort halt weniger als in der Arbeitslosen-Zeit? Und: Hat irgendjemand etwas von der Arbeitsministerin gehört, wie man dieses Problem lösen könnte?

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